3 Anhropolgie-Einführung

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ANTHROPOPLOGIE
3
I . BEGRIFF UND WESEN
Das Wort Anthropologie, gebildet von dem griechischen Wort anthropos = Mensch, ist nicht neu.
Der protestantische Humanist O. Casmann hat es, soweit feststellbar, 1596 zuerst als Titel eines
Buches verwendet. Im 18. und 19. Jahrhundert bezeichnete es einen Zweig der
Naturwissenschaften, und zwar der Biologie, der sich mit der Erforschung, Unterscheidung (z. B.
durch Schädelmessungen) und Beschreibung der Menschenrassen befasste, im Zusammenhang
damit auch mit fremden und fernen Völkern, also etwa das umschloss, was wir heute Rassenkunde
und Völkerkunde (Ethnologie) nennen. Mit dem Aufkommen der Abstammungslehre im 19.
Jahrhundert trat als neue Hauptaufgabe hinzu die Erforschung der Stammesgeschichte des
Menschen, der Menschwerdung (Anthropogenese), vor allem auf Grund von Skelettfunden. Hieran
anknüpfend versteht auch der heutige Sprachgebrauch unter einem Anthropologen zunächst einen
Menschen, der auf diesem Gebiet wissenschaftlich tätig ist. In einem weiteren Sinne schließt der
Begriff Anthropologie heute jegliche biologische Forschung am Menschen ein, auch die
Erbforschung (Humangenetik), und wird dann gleichbedeutend mit Humanbiologie. In einem noch
weiteren Sinne wird das Wort im angelsächsischen Sprachgebrauch verwendet: es schließt hier
Ethnologie und Prähistorie ein und damit die Erforschung der sogenannten primitiven Kulturen,
wobei auch soziologische und sozialpsychologische Methoden angewandt werden. Dieser weitere
Sinn des Wortes wirkt heute auch in den deutschen Sprachgebrauch hinein.
Aber die biologischen Wissenschaften sind nicht die einzigen, die Aussagen über den Menschen
machen. Die umfassendsten Aussagen über das Wesen des Menschen und seine Stellung im
Weltganzen können wir von zwei anderen Instanzen erwarten: von Religion und Philosophie. Ihre
Aussagen über den Menschen bezeichnen wir als theologische bzw. philosophische Anthropologie.
Theologische bzw. philosophische Anthropologie ist also die Lehre vom Menschen. Es lässt sich
ohne Zwang behaupten, dass alles Fragen und Forschen der Philosophie dem Menschen, seinem
Wesen, seiner Stellung in der Welt gilt. In diesem Sinne hat Kant in seiner Logikvorlesung gesagt,
die drei Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? ließen sich im
Grunde in der einen Frage »Was ist der Mensch?« zusammenfassen.
Hinter allem, was der Mensch tut und lässt, liegt eine anthropologische Anschauung, liegt ein Bild
zugrunde, das der Mensch sich von sich selber macht. Der Mensch kann nicht leben, ohne sein
Leben zu deuten; und diese Deutung wirkt stets zurück auf das, was der Mensch tut und was er aus
sich selber macht. Das beruht darauf, dass der Mensch - als höchst wahrscheinlich einziges unter
dem uns bekannten Seienden - keinen festen, unveränderlichen Seinsbestand hat. Er findet sich
nicht wie das Tier eingepasst in eine ihm spezifische Umwelt, auf die seine Wahrnehmungsorgane
zugeschnitten sind; ihm fehlen so gut wie ganz die Instinkte, das heißt die ererbten Reaktions- und
Handlungsabläufe, die dem Tier die Erhaltung seines Lebens und seiner Art in der ihm angepassten
Umwelt sichern. Der Mensch ist, wie Herder sagt, »der erste Freigelassene der Natur«; ihm ist
aufgegeben, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Friedrich Schiller:
»Bei Tier und Pflanze gibt die Natur nicht nur die Bestimmung an, sondern führt sie auch allein
aus. Dem Menschen aber übergibt sie bloß die Bestimmung und überläßt ihm selbst die Erfüllung
derselben.«
Arnold Gehlen:
»Der Mensch lebt nicht nur, er führt sein Leben«
Sprichworte::
Der Mensch denkt, Gott lenkt
Ich werde gelebt
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Thema: Anthropologie
2. AUS DER GESCHICHTE DER ANTHROPOLOGIE
Dem Denken früher Kulturstufen ist es nicht selbstverständlich, dass der Mensch als ein Seiendes
sich abhebt von Tier und Pflanze. Andererseits ist auch nicht selbstverständlich, dass der Mensch
sich als Glied einer »Menschheit« begreift. Vielmehr macht frühe Menschliche Selbstdeutung das
Menschsein nicht selten von der Zugehörigkeit zur eigenen ethnischen Gruppe abhängig. Bei den
Ägyptern wie den Griechen war auch das Wort »Mensch« den Angehörigen des eigenen Volkes
vorbehalten; die verächtliche Bezeichnung »Barbar«, die die Griechen dem Nichtgriechen
beilegten, hat sich bis heute erhalten. Die allmähliche Überwindung dieses »Ethnozentrismus« (von
dem verfestigte Reste sich im Auserwähltheitsglauben mancher Völker bis heute konserviert
haben) ist in der Entwicklung des antiken Denkens vom 5. Jahrhundert ab deutlich zu verfolgen. So
hat zum Beispiel der Historiker Herodot (etwa 485 bis 41.5 v. Chr.), der auf weiten Reisen fremde
Völker, ihre Denkweisen und Kulturen studiert hatte, das Vorurteil seiner Landsleute gegen die
Nichtgriechen verworfen und bekämpft. Den eigentlichen Durchbruch zu der Einsicht von der
grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen haben jedoch erst die Sophisten vollzogen. Sie beginnen
auch schon damit, diese Einsicht nicht nur auf Griechen und »Barbaren« anzuwenden, sondern
auch auf das Verhältnis zwischen Freien und Sklaven (Paulus) - während noch Aristoteles die
Sklaverei als naturgegeben zu begründen sucht. Der Überzeugung, dass alle Menschen
grundsätzlich gleich sind und deshalb gleiche Rechte haben sollten - eine Überzeugung, die in
soziale Wirklichkeit umzusetzen auch dem 20. Jahrhundert noch keineswegs gelungen ist - wurde
Bahn gebrochen durch die römischen Stoiker und durch das Christentum. Die Stoiker schufen auch
das Wort »humanitas«, das unserem »Humanität« zu Grunde liegt.
18. Jahrhundert : Kant und Herder
Kant hat im Grundsätzlichen etwas Zentrales getroffen, als er »physiologische« von einer
»pragmatischen« Anthropologie unterschied, wobei die erstere auf das gehen sollte, »was die Natur
aus dem Menschen macht«, die zweite auf das, »was er als freihandelndes Wesen aus sich selber
macht oder machen kann und soll«. Der Mensch als homo sapiens, als einsichtiges und
vernunftbegabtes Wesen, dass sich nicht nur von Instinkten leiten lässt, sondern darüber hinaus die
Kraft hat, Trieb und von der Natur vorgegebenes zu überwinden.
Herder hat in seinen »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« und in seiner
Abhandlung »über den Ursprung der Sprache« Einsichten über den Menschen gewonnen, die für
die heutige Anthropologie grundlegend geblieben sind. Er gewinnt sie aus dem Vergleich des
Menschen mit den Tieren. Er sieht vor allem, dass der Mensch dem Tier in vielfacher Hinsicht
nachsteht - an Stärke, an Sicherheit der Instinkte - und so dem Tier gegenüber gleichsam als
»Mängelwesen« dasteht, das aber zugleich aufgerufen ist, »aus der Mitte seiner Mängel« sich
selbst erst zu dem zu machen, der er sein soll; dazu sind ihm Vernunft und Freiheit gegeben.
19. Jahrhundert : Marx und Darwin
Karl Marx und Charles Darwin haben das Bild vom Menschen über Wissenschaft und
Philosophie hinaus bis ins Bewusstsein der Massen geformt und umgeformt.
Von Marx kommt vor allem der - auf Hegel zurückgehende - Hinweis, dass der Mensch von Natur
aus als tätiges, handelndes Wesen angelegt ist (homo faber, homo laborans), das gezwungen ist zu
arbeiten, und zwar in gesellschaftlichem Zusammenwirken mit anderen zu arbeiten, und das in
dieser Arbeit erst seine» Welt« erzeugt und damit letztlich »sich selbst produziert«.
Darwin
schließlich
hat
mit
seinem
wissenschaftlichen
Lebenswerk
den
entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang des Menschen mit dem Tierreich bewiesen (»Die
Abstammung des Menschen« erschien 1859 in erster Auflage) - eine Entdeckung, die bald darauf
ergänzt wurde durch Sigmund Freud, der das» Tierische« im Menschen nun auch in seiner
Triebstruktur und in seinem unbewussten Seelenleben auffand.
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Thema: Anthropologie
3 . SCHELERS ANSTOSS
»Die Fragen: Was ist der Mensch, was ist seine Stellung im Sein? haben mich seit dem ersten
Erwachen meines philosophischen Bewusstseins wesentlicher und zentraler beschäftigt als jede
andere philosophische Frage. Die langjährigen Bemühungen, in denen im von allen möglichen
Seiten her das Problem umringte, haben sich seit dem Jahre 1922 in der Ausarbeitung eines
größeren dieser Frage gewidmeten Werkes zusammengefasst . . .«
Diese Sätze schrieb Max Scheler 1928, wenige Wochen vor seinem Tode, in der Vorrede der
kleinen Schrift »Die Stellung des Menschen im Kosmos«. Da das für 1929 geplante große Werk
nicht mehr erscheinen konnte, ist diese schmale, weniger als 100 Seiten lange Abhandlung Schelers
einzige Darstellung seiner Gedanken zur philosophischen Anthropologie. Eine gewaltige Wirkung
ist von ihr ausgegangen. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass ihr Erscheinen die Geburtsstunde
der modernen philosophischen Anthropologie bedeutet.
Es war ein historischer Glücksfall, dass ein Mann wie Scheler sich vor eine bestimmte Sach- und
Problemlage gestellt sah: ein Mann, der als Denker überzeugt war, dass eine »Grundwissenschaft
vom Wesen und Wesensaufbau des Menschen« eine philosophische Aufgabe »von einzigartiger
Dringlichkeit« für sein Zeitalter sei, für den der Begriff der Person eine fundamentale Kategorie
seines Denkens bildete; der darüber hinaus als Mensch dem Mit- Menschen in besonderer Weise
existentiell zugewandt war, wie sowohl sein Leben wie seine Lehre zeigt; für den »liebende
Teilnahme des innersten Personkernes am Wesen der Dinge« die philosophische Geisteshaltung
kennzeichnet. Dieser Mann stand einer geistigen Situation gegenüber, in der die Philosophen sich
unbefriedigt von der Erkenntnistheorie, die lange (seit John Locke und Immanuel Kant und länger)
im Brennpunkt des philosophischen Interesses gestanden hatte, abwandten und in der Beurteilung
des Menschen wie in der Philosophie überhaupt nicht länger von der Erkenntnisfunktion allein
ausgehen wollten, sondern vom ganzen fühlenden, leidenden, erkennenden und handelnden
Menschen.
Dieser ganzheitliche Ansatz Schelers brachte viele neue Aspekte und ermöglichte unterschiedliche
Perspektiven für die Betrachtung des Menschen. Vor allem aber hatten die Wissenschaften, an der
Spitze die Biologie seit Darwin, die Psychologie seit Freud, die Geschichtsbetrachtung seit Dilthey,
die Soziologie unendlich viele und reiche Einzelerkenntnisse über den Menschen erbracht, die mit
Nachdruck nach einer Zusammenfassung und Deutung verlangten. Wer konnte das leisten außer
der Philosophie oder der Theologie?
Scheler geht aus von der Einsicht, dass das Wort Mensch beim gebildeten Europäer drei unvereinbare Ideenkreise induziert:
die jüdisch-christliche Tradition vom Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes, der allerdings
seit dem Übergang von der Essenz zur Existenz erlösungsbedürftig ist („Sündenfall)
die auf die griechische Antike zurückgehende Vorstellung vom Menschen als Vernunftwesen,
schließlich die moderne Naturwissenschaft mit der Abstammungslehre.
„So besitzen wir denn eine theologische, eine philosophische und eine naturwissenschaftliche
Anthropologie, die sich nicht umeinander kümmern - eine einheitliche Idee vom Menschen aber
besitzen wir nicht.“
Deshalb unternimmt Scheler den Versuch, das „Wesen des Menschen im Verhältnis zum Tier“ und
die „metaphysische Sonderstellung des Menschen“ neu zu bestimmen. Dabei geht er von einer
Stufenfolge der psychischen Kräfte aus.
Die unterste Stufe des Psychischen – „zugleich der Dampf, der bis in die lichtesten Höhen geistiger
Tätigkeit alles treibt“ (hier erkennt man Freud's ~Libido wieder) - bildet der bewusst-,
empfindungs- und vorstellungslose Gefühlsdrang, den wir schon der Pflanze zuerkennen und der
auch im Menschen vorhanden ist.
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Thema: Anthropologie
Die zweite seelische Wesensform ist der Instinkt, die angeborene, zweckdienliche (d. h. der
Arterhaltung dienliche) Reaktion des Lebewesens (nicht auf die stets wechselnden individuellen
Umwelten, sondern) auf bestimmte arttypische Strukturen in der Anordnung der möglichen
Umweltelemente. Scheler verweist hier besonders auf die Erkenntnisse, die der französische
Entomologe J. H. Fabre aus der lebenslangen Beobachtung der Insekten gewonnen hat.
Aus dem instinktiven Verhalten gehen zwei neue Verhaltensweisen hervor, das
»gewohnheitsmäßige« und das »intelligente Verhalten«, wobei die sogenannte praktische
Intelligenz eher noch dem instinktnahen, organisch gebundenen Bereich zugehört. Hier geht
Scheler auf die aufsehenerregenden Versuche ein, die der deutsche Zoologe Wolfgang Köhler zur
Zeit des Ersten Weltkrieges auf Teneriffa an Menschenaffen durchgeführt hatte und die so gut wie
schlüssig nachgewiesen hatten, dass diese dem Menschen nächststehenden Tiere zu
„Intelligenzhandlungen“ fähig sind.
Sind aber Tiere schon »intelligent« in dem Sinne, dass sie neuen (d. h. weder individuell schon
durchlebten noch arttypischen) Situationen gegenüber plötzliche aufspringende Einsichten in
Sachverhalte gewinnen können - Einsichten, deren Fundamente nur zu einem Teil in der Erfahrung
liegen, zum anderen Teil aber »antizipatorisch«, vorwegnehmend, nur in ihrer Vorstellung - ist dies
so, besteht dann zwischen Tier und Mensch überhaupt ein Wesensunterschied und nicht vielmehr
nur ein Gradunterschied?
Hierauf antwortet Scheler: Im Menschen ist etwas wirksam, was ihn hoch über jedes Tier stellt,
etwas, das außerhalb des „Lebens“ (auch des »Lebens« im Menschen) steht, ja allem organischen
Leben geradezu entgegengesetzt ist: der Geist - und das Aktzentrum, in dem der Geist sich
manifestiert, ist die Person.
Als Geistwesen ist der Mensch überhaupt nicht mehr trieb- und umweltgebunden, sondern
»umweltfrei« oder, positiv ausgedrückt, »weltoffen«. Er lebt nicht in einer Umwelt, sondern er hat
Welt.
»Der Mensch ist das X, das sich in unbegrenztem Maße weltoffen verhalten kann.« Auf der
anderen Seite vermag der Mensch, in Abwehr gleichsam von der ihm als »Gegenstand« gegebenen
Welt, auch seine eigene seelische Beschaffenheit, ja das einzelne psychische Erlebnis sich zum
»Gegenstand« zu machen: Selbstbewusstsein als zweites Wesensmerkmal des Menschen neben
dem Geist. Das Tier hört und sieht, aber es weiß nicht, dass es hört und sieht! Das
Selbstbewusstsein befähigt den Menschen, über die von Triebanstößen und Umweltreizen
ausgelösten momentanen Regungen hinweg einen - Willen« zu haben, dessen Zielrichtung sich
über den Wechsel verschiedenartiger Affektzustände hinaus durchhält; in diesem Sinne ist er (nach
Nietzsche) -das Tier, das versprechen kann«.
Auf der Basis des bisher Referierten kommt Scheler zu neuartigen Einsichten über das menschliche
Vorstellungsleben; er leitet zum Beispiel ab, dass nur der Mensch einen einzigen Raum als
Wahrnehmungs- und Erlebnisfeld hat, dass er darum auch als einziges Wesen einen abstrakten, von
Dingen und Situationen gelösten Raumbegriff entwickeln kann. Vor allem aber kommt Scheler auf
dieser Basis vor die zentrale Frage: Ist der Geist, der den Menschen befähigt, sich vom „Leben“,
auch vom eigenen Leben, zu distanzieren, ja das eigene Leben auch von sich zu werfen: ist der
Geist eine selbstmächtige, dem Leben gegenüberstehende, vielleicht gar ihr überlegene Wirkkraft?
Schelers Antwort ist ein klares Nein. „Mächtig ist ursprünglich das Niedere, ohnmächtig das
Höchste.« Das Mächtigste in der Welt sind die blinden Energien des Anorganischen; kurz und
zufällig erscheint an ihm gemessen die Blüte der zarten und verletzlichen menschlichen Kultur. Der
Weltprozess besteht in der allmählichen Durchdringung des ursprünglich ohnmächtigen Geistes mit
den ursprünglich blinden Kräften.
Was bedeutet das aber für den Menschen? Der Mensch erscheint jetzt als das Wesen, das
gekennzeichnet ist durch den in ihm wirkenden Gegensatz von Geist und Leben, zugleich berufen,
die Durchdringung von Geist und Drang mit zu bewirken, als Mitstreiter der Gottheit, die - für
Scheler - sich in dem Weltprozess erst bildet, so dass Menschwerdung und Gottwerdung
aufeinander bezogen, ja aufeinander angewiesen sind.
Materialblatt erst. von R. Stiehl
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