Soziales Kapital und Soziale Arbeit.

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soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 1 (2008) / Rubrik "Thema"
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/66/78.pdf
Peter Pantucek:
Soziales Kapital und Soziale Arbeit.
Das gemischte, intermediäre Profil von Wissen, Aufgaben und Eigenverständnis der
Sozialen Arbeit führte und führt zu mannigfaltigen Versuchen, das Proprium, den
Kern der Profession zu entdecken oder endlich ein für alle mal zu benennen. Diesen
Entwürfen soll hier kein weiterer hinzugefügt werden, es soll kein neues Paradigma
oder kein neuer „Leitbegriff“ etabliert werden. Gegenstand der Untersuchung ist die
Frage, ob sich der Begriff „Soziales Kapital“ nützlich in das Framework der Sozialen
Arbeit einordnen lässt und ob seine Verwendung einen Zugewinn an Klarheit über
wichtige Aspekte sozialer Unterstützungstätigkeit bringen kann. Dazu wird zwischen
den Verwendungsweisen des Begriffes bei Putnam und bei Bourdieu unterschieden.
Die Diskussion um den Namen dieses Journals war zeitweise heftig, unter anderem
deshalb, weil zwischen dem Bourdieu´schen und dem Putnam´schen Konzept nicht
unterschieden wurde. Eine Erläuterung scheint daher angebracht.
Dimensionen des Situationsverständnisses der Sozialen Arbeit
Mit vagen oder nicht erläuterten Begriffen ist es schwierig, Sachverhalte „in den
Begriff zu bekommen“ und praktikable Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. In der
sozialarbeitswissenschaftlichen und sozialpädagogischen Diskussion wird das
schmerzlich deutlich. Eine sorgsame Arbeit an den Begriffen, mit denen theoretisch
operiert wird, ist in dieser Disziplin allzu selten. Die Front-Line-Sozialarbeit
kompensiert dieses Defizit durch ihre pragmatische Hinwendung zu den konkreten
Fällen, zu der Dynamik und Komplexität, die sich dort aufdrängt. Sie kompensiert es
durch Handwerkelei oder durch erworbene Meisterschaft im Steuern des
Unsteuerbaren. Während „Handwerkelei“ ein in der Regel abwertend gebrauchter
Terminus ist, verweist der Terminus Meisterschaft zwar auch auf das Handwerk, hier
aber in einem positiven Sinne. Richard Sennett (2008) widmete sein aktuelles Buch
einem Lob des Handwerks, und dieses Lob ist für das Verstehen der professionellen
Kompetenz der Sozialen Arbeit interessant und erhellend.
Der Vorteil der Front-Line-Sozialarbeit ist, dass sie im ständigen Austausch mit den
wirklichen Menschen steht, die offensichtlich ihr wirkliches Leben führen müssen,
und die die drängenden Probleme explizit oder implizit thematisieren. Für die
Reaktion auf diese Anforderungen steht den PraktikerInnen allerdings zu wenig an
gesichertem handwerklichem und analytischem Werkzeug zur Verfügung – und das
kann als notwendiges Technologiedefizit erklärt (Baecker 1994) oder als
chancenreiche Unbestimmtheit verklärt (Kleve 2000) werden1. Wenn sich durch die
zur Meisterschaft reifende Praxis allerdings die Fragen der Identität und des
Aufmerksamkeitsfokus der Sozialen Arbeit klären ließen, dann erübrigten sich
theoretische Überlegungen. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Denn so sehr
die KlientInnen mit ihren alltagsgenerierten Problemformulierungen die Front-Line-1-
SozialarbeiterInnen stets auf den Boden ihrer Lebens-Wirklichkeit zurückholen, so
offen bleibt, wie diese darauf reagieren. Und die „Meisterschaft“, die ihr Kriterium nur
in sich selbst findet, kann verschiedene Richtungen annehmen, kann die
aktivierbaren „Ressourcen“ in den KlientInnen selbst, in den standardisierten und
institutionalisierten Programmen professionalierter Hilfe, oder wo auch sonst immer
suchen. Eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit ergibt sich wohl bei jedem Ansatz –
schon allein deshalb, weil die KlientInnen in ihrem Handeln ja nicht auf die
lösungstechnischen Vorlieben ihrer SozialarbeiterInnen beschränkt bleiben und
günstigenfalls ihre eigene Fantasie einzusetzen verstehen2.
Abbildung 1: Dimensionen des Situationsverständnisses in der Sozialen Arbeit
3
Die hier angeführten Dimensionen können als Dimensionen der Analyse verstanden
werden, die erst in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Aspekte eines
Unterstützungsarrangements repräsentieren. Erkennbar wird hier ein Problem von
Sozialarbeitswissenschaft:
Die
Dimensionen
haben
theoretisch
und
forschungsmethodisch je eigene Logiken. Die Integration wäre eine titanische
Aufgabe, eine Überforderung. Trotzdem führt kein Weg am Versuch vorbei. Die
PraktikerInnen müssen dieses Problem der Integration der verschiedenen
Perspektiven fallbezogen lösen, und sei es durch die Vernachlässigung der einen
oder anderen Dimension.
Für eine professionsbezogene Wissenschaft ist letztlich die Relevanz ihrer
Erkenntnisse für die Praxis das wichtigste Kriterium. Wenn ihre Ergebnisse die Praxis
nicht mehr beeinflussen, dann hat sie als Wissenschaft der Profession abgedankt.
Die Praxis hätte ihre wissenschaftliche Basis verloren, die Wissenschaft ihre
praktische Basis und damit ihre Legitimation. Für beide Seiten wäre das ein
-2-
Bedeutungsverlust. Theoretische Konzeptionen in der Wissenschaft von der Sozialen
Arbeit müssen also immer pragmatisch sein. Der der Wissenschaft immanente
Wahrheitsanspruch ist überformt, oder, wenn man das so formulieren will,
eingeschränkt und begrenzt durch die Frage der praktischen Bedeutung der
Einführung eines theoretischen Modells. Modelle müssen sich also dem Elchtest auf
ihre Konsequenzen für die professionelle Praxis stellen: Sind sie handhabbar, führen
sie zu Vereinseitigungen oder Bereicherungen, können daraus abgeleitete
Schlussfolgerungen hilfreich sein?
Die Vieldimensionalität sozialarbeiterischer Praxis erschwert die Formierung einer
wissenschaftlichen Fundierung. In jeder einzelnen Dimension gibt es Wissenschaften
und theoretische Konzepte, die „besser“, weil fokussierter und bezogen auf diese
Dimension differenzierter sind, als es eine Wissenschaft von der Sozialen Arbeit sein
kann. Diese muss ihr Potenzial im Versuch, das Unmögliche möglich zu machen,
verdeutlichen. Bezogen auf die einzelnen Dimensionen werden ihre Produkte stets
unterkomplex sein, tlw. müssen sie es sein: Handreichungen für die Praxis werden
schließlich u.a. an ihrer leichten Handhabbarkeit gemessen. Komplexität gewinnt die
Wissenschaft von der Sozialen Arbeit dadurch, dass sie sich auf die
Mehrdimensionalität einlässt, die verschiedenen Perspektiven in eine begründete
Balance bringt. Was ihr eigen ist, ihr „Alleinstellungsmerkmal“, ist m.E. jene
Dimensionenkombination.
So gesehen erklären sich auch die konjunkturabhängig wechselnden
„Orientierungen“,
die
die
Sozialarbeitswissenschaft
heimsuchen
(„Gemeinwesenorientierung“, „Lebensweltorientierung“, „Sozialraumorientierung“,
„systemische Sozialarbeit“ etc.). Jede dieser „Orientierungen“ betont je ein bis zwei
Dimensionen, im günstigen Fall ohne die anderen zu ignorieren. Man kann das als
Reaktion auf die Wahrnehmung verstehen, dass einzelne Dimensionen zugunsten
anderer in den im Praxisfeld je vorfindlichen Konzepten und Praktiken tendenziell
vernachlässigt werden4. Lehre und Wissenschaft versuchen gegenzusteuern,
bringen das Verdrängte wieder in den Vordergrund und intervenieren so im Feld der
Praxis zugunsten einer Vollständigkeit der Sozialen Arbeit.
Von selbst stellt sich ein Gleichgewicht der verschiedenen Dimensionen nämlich
nicht her. Die Probleme der Alltagsbewältigung werden von den KlientInnen
eingebracht, wenn sie dazu eine Chance erhalten. Die Normalitätsdimension wird
machtvoll durch das Alltagsverständnis der individuellen und gesellschaftlichen
Akteure ins Spiel gebracht. Der Bezug auf die möglichen Programme wird durch die
Anforderungen der Organisationen und der GeldgeberInnen erzwungen.
Demgegenüber ist die angemessene Berücksichtigung der Dimensionen B, E und F
Leistung einer geschulten Fachlichkeit und hat in der Front-Line-Praxis einen
schweren Stand. Sie wäre auf selbständige professionelle Organisationsformen
angewiesen, die es nicht durchgehend im Feld gibt. Sozialarbeiterische fachliche
Leitung mit starker Bindung an die methodischen Standards der Profession, Teams
und fachspezifische Supervision wären solche Instrumente.
Ein weiteres Problem ergibt sich durch die nötige Ausbalancierung der
verschiedenen Dimensionen bzw. durch die eminent praxisrelevante Frage, in
welchem Maße die verschiedenen Dimensionen bei Interventionsentscheidungen
denn zu berücksichtigen wären. Es kann nämlich in ein und demselben Fall jede der
Dimensionen eine andere Richtung der Intervention nahe legen. Auf den ersten Blick
ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Logiken der Dimensionen eine
systematisierte Entscheidungsfindung für eine angemessene Interventionsstrategie
-3-
kaum möglich. Die Abwägung, was zu einem bestimmten Zeitpunkt des
Unterstützungsprozesses denn nun im Vordergrund zu stehen habe und was
aufgeschoben werden könne, verbleibt so beim erfahrungsgestützten Sachverstand
der Profis, die sich dabei kaum auf kumulierte und in Standards gegossene
Erfahrung der Profession stützen können. Hier könnten Senior Professionals
(„MeisterInnen“) eine wichtige Rolle bei der Herausbildung professioneller
Meisterschaft spielen. Deren Rolle wird jedoch oft unterschätzt bzw. wird deren
Erfahrung zu wenig genutzt. In vielen Organisationen, vor allem in solchen mit einer
großen
Personalfluktuation,
mangelt
es
außerdem
an
erfahrenen
SozialarbeiterInnen.
Die Dimension „Einbindung in das Soziale“
Die vorangestellten Bemerkungen dienen dazu, die Bedeutung einer Adaptierung
des Konzepts vom „Sozialen Kapital“ für die Soziale Arbeit zu präzisieren. Es geht
offensichtlich nicht darum, ein neues „Paradigma“ oder einen neuen Leitbegriff für die
Soziale Arbeit zu propagieren und damit wieder einmal ihre sonstigen theoretischen
und methodischen Grundlagen zu ignorieren. Soziales Kapital ist ein begriffliches
Konzept, das in der Dimension E anzusiedeln wäre, und auch dort deckt es nur einen
Teil der interessierenden Sachverhalte ab. Andererseits ist diese Dimension eine, die
einer theoretischen und praktischen Fundierung bedarf und die in der Alltagspraxis
vernachlässigt zu werden droht. Insofern verdient sie eine besondere
Aufmerksamkeit der Wissenschaft und der Methodik der Sozialen Arbeit.
Die Dimension umfasst zwei verschiedene, einander gegenseitig ergänzende Modi
der Verbindung von Menschen mit dem „Sozialen“ bzw. dem Gesellschaftlichen. Zum
Einen interessiert hier, wie Personen (für den Interessenfokus der Sozialarbeit:
KlientInnen) in den über Funktionssysteme vermittelten Austausch von Waren,
Dienstleistungen, staatlichen Transferleistungen, in Gestaltung und Nutzung
gesellschaftlicher Güter eingebunden sind. Diese Einbindung ist idealerweise eine,
die sowohl Geben wie auch Nehmen enthält.
Der zweite Modus ist der nicht über Funktionssysteme, sondern über persönliche
Beziehungen
(verwandtschaftliche,
nachbarschaftliche,
freundschaftliche
Beziehungen) vermittelte direkte Austausch mit Anderen5.
Beide Modi der Einbindung in das Soziale sind in hohem Grade relevant für die
Möglichkeiten der Lebensführung und für das Selbstverständnis der Personen, für
ihre „Identität“. Es sind zwei einander ergänzende Weisen, sich LebensMittel zu
sichern, also Weisen des Zugangs zu den materiellen und immateriellen Ressourcen
der Lebensführung.
LebensMittel
Personen benötigen, um ihr Leben „führen“ zu können, LebensMittel6. Ich verstehe
darunter jene materiellen und immateriellen Mittel, die zur Lebens-Führung
erforderlich sind: der menschliche Leib, die Güter des täglichen Bedarfs, die Güter,
die dem Leben Status und Bedeutung geben und die ermöglichen, es als sinnhaft zu
markieren und zu erkennen7. Als immaterielle LebensMittel können Wissen,
-4-
Aufmerksamkeit von anderen, Anerkennung/Respekt und die Möglichkeit des
Gesprächs betrachtet werden.
Der Zugang zu diesen LebensMitteln ist über das Soziale vermittelt, und zwar das
doppelte Soziale: horizontal (im Sinne der sogenannten Vernetzung, des
Erschließens von Beziehungen, die auf persönlichen Austauschverhältnissen
beruhen – wobei diese vom Status nicht völlig unabhängig sind); und das Soziale als
Position in der Gesellschaft, ihrer Schichtung, des Zugangs zu ihren Leistungen und
damit zu den Produkten, die von anderen geschaffen wurden und werden und deren
Verfügbarkeit über anderes als persönliche Beziehungen geregelt wird, z.B. über den
Markt (also Geld), Gesetze etc.
Der erste Kreis des Zugangs ist die Subsistenzwirtschaft, also die Eigenversorgung
mit Lebens-Mitteln, z.B. durch den Anbau von Obst und Gemüse auf eigenem Grund,
durch Kleintierzucht für den eigenen Bedarf. Subsistenzwirtschaft setzt geeignete
gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Eigentum oder Benützungsrechte für den
eigenen Grund und Boden) voraus. Bedeutend ist die Subsistenzwirtschaft noch im
Falle des Versagens des gesellschaftlichen Austauschs, aber sie ist extrem
arbeitsaufwändig und ermöglicht ein (Über-) Leben nur auf einem Niveau, das weit
unter dem gesellschaftlich Möglichen liegt. Die Subsistenzwirtschaft wird daher von
den Menschen zurückgefahren, wenn produktivere Formen der Produktion wieder
greifen8.
Ilse
Arlt
untersuchte
unter
anderem
den
Anteil
der
Schrebergartenbewirtschaftung an der Produktion von Nahrungsmitteln in den
Kriegs- und Nachkriegsjahren 1918 bis 1922 (1925:169) und wies nach, dass die
subsistenzwirtschaftliche Eigenproduktion z.B. von Eiern die auf dem Markt
erhältlichen Stückzahlen zeitweise um ein Vielfaches übertraf. Im selben Text listet
sie die Aktivitäten der Haushalte zur Sicherung der Eigenversorgung auf – von
Nahrungsmitteln über Kleidung, Heizung bis zu Erziehung und Krankenpflege. Damit
ist bereits darauf verwiesen, dass Subsistenzwirtschaft zwar in Notzeiten in der
Güterproduktion eine bedeutende Rolle spielt, aber, was oft übersehen wird, in der
Produktion von immateriellen Gütern (Erziehung, Pflege etc.) auch in Zeiten
wirtschaftlicher Prosperität von Gesellschaften für die Lebensführung unverzichtbar
bleibt. Auf diesen Umstand haben v.a. feministische Beiträge zur Ökonomie
hingewiesen.
Der zweite Kreis der Zugänglichkeit von LebensMitteln ist der „normale“ über Arbeit,
Vermögen etc., also über einen je eigenen Beitrag des Individuums zur Produktion
von materiellen und immateriellen Gütern, die in den marktförmig oder institutionell
vermittelten Austausch eingehen. Diese Beteiligung bringt für die Individuen eine
Einbindung in für andere bedeutsame Kooperation, wobei sie sich selbst als
bedeutsam erleben können und der Zugang zu den von anderen produzierten Gütern
als gerecht erscheint, als Teilhabe an einem wie auch immer abstrakt vermittelten
Prozess des Austauschs. Hier bleibe ich der Gesellschaft nichts schuldig und sie mir
nicht. Das Verhältnis des Gebens und Nehmens mag individuell als
ungleichgewichtig empfunden werden, im Extremfall als Ausbeutung. Es steht aber
außer Frage, dass je ich9 einen Beitrag leiste oder geleistet habe, und daher den
Bezug einer Leistung von der Gesellschaft nicht als „Hilfe“ oder Almosen, sondern
als Gegenleistung, als Element eines Austauschverhältnisses verstehen kann. Zu
diesem Kreis gehören auch die auf Versicherungsleistungen basierenden materiellen
und immateriellen Beiträge, die der Unterstützung der Lebensführung z.B. im
Krankheitsfall dienen.
-5-
Ein dritter Kreis der Zugänglichkeit von LebensMitteln ist eindeutig (und
ausschließlich) als „Hilfe“ konnotiert. Gelingt die Existenzsicherung und
Lebensführung objektiv (d.h. hier: in den Augen der anderen) nicht, dann wird Hilfe
als Substitut gewährt. Dieser substituierende Charakter ist kaum zu eliminieren. Er
formt die Problematik aller Hilfe, die nicht als „Gegenleistung“ wahrgenommen
werden kann: „Hilfe“, die also nicht in grundsätzlich ausgleichbare
Verrechnungskonten des Austauschs zwischen dem Individuum und Anderen
eingebunden ist, behindert das Selbst-Erleben des empfangenden Individuums als
Person, die über die mögliche persönliche Beziehung („Sympathie-Beziehung“)
hinaus auch für andere bedeutsam ist. Im Falle der Angewiesenheit auf eine solche
Hilfe wird es für die Individuen zusehends schwieriger, sich als Subjekt der
menschlichen Daseinsvorsorge und Kultur zu verstehen. Verschärft wird der
abwertende Aspekt von Hilfe dann, wenn auch die Insignien eines „normalen“
Lebens verloren gehen, wenn also das Individuum nicht einmal so tun kann, als wäre
es ein am Austausch und an der Produktion von Gesellschaft teilhabendes Wesen.
Das ist der Fall bei Asylierung, beim Überhandnehmen von professionellem
Hilfspersonal in der erlebten Alltagswelt der Individuen, und beim weiteren Verlust
von Möglichkeiten der aktiven und autonomen Teilhabe. „Menschlichkeit“ des
Personals und der Hilfsarrangements kann diesen Effekt zwar mildern, aber nicht
aufheben.
So gesehen ist die Ausstattung von Personen mit Vermögen, Geld und Gütern eine
Funktion des „Sozialen“. In dieser Dimension sind daher auch Parameter wie
Einkommen, Wohnung etc. anzusiedeln.
Putnam und/oder Bourdieu
Das Konzept des Sozialen Kapitals liefert einen Beitrag zum Verständnis des Teils
der sozialen Einbindung von Individuen, der nicht über den Markt, nicht über
Versicherung (auch eine Variante von Markt), und nicht über staatlich organisierte
Transferleistungen abgedeckt ist. Wir verhandeln also die Variante 1 der Einbindung
in das Soziale, die Partizipation an Netzwerken, die auf direktem Austausch beruhen.
Diese sind mit der Variante 2, der Zugänglichkeit gesellschaftlicher
Funktionssysteme, verbunden: Persönliche Beziehungen können z.B. die
Erreichbarkeit eines Jobs oder den Zugang zu potenziell bedeutenden Informationen
erleichtern. Eine völlige Unabhängigkeit der beiden Varianten sozialer Einbindung
kann also nicht angenommen werden.
Eine Diskussion der Erklärungskraft des Begriffes Sozialkapital (und des damit
verbundenen theoretischen Konzepts) ist dadurch erschwert, dass er in zumindest 2
Bedeutungsversionen im Umlauf ist. Putnam (2000) und vor ihm Coleman (1988)
fassen Sozialkapital als ein Strukturmerkmal von Gesellschaften, als „Vertrauen,
Normen und Netzwerke, welche die Effizienz einer Gesellschaft durch Erleichterung
koordinierten Handelns erhöhen" (Putnam, zit. nach Harriss 2005: 267). Das
besondere Augenmerk richtet Putnam dabei auf Vereine und horizontale Netzwerke.
Das Verdienst von Putnam liegt darin, das Vertrauen in die Möglichkeit solcher
persönlich grundierter Austauschverhältnisse als allgemeine Voraussetzung von
ökonomischen und politischen Austauschverhältnissen begründet zu haben. So
wurde sein Ansatz auch von der Weltbank mit höchstem Interesse aufgenommen.
Auf deren Website findet sich Material zur Messung von Sozialkapital, und sie
-6-
definiert die Förderung von Sozialkapital als Grundlage für die Chance nachhaltiger
Entwicklung.
Ein anderes Verständnis findet sich bei Bourdieu (1983, 1987). Für ihn ist Soziales
Kapital neben ökonomischem (Geld, Güter) und kulturellem Kapital (Diplome,
Zeugnisse, kognitive Kompetenzen etc.) ein Vermögen von Individuen, das, salopp
gesagt, in nützlichen Beziehungen besteht: „Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der
aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes
von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens
oder Anerkennens verbunden sind; oder anders ausgedrückt, es handelt sich dabei
um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“ (Bourdieu
1983:190). Die drei Kapitalformen (ökonomisch, kulturell, sozial) sind miteinander
verbunden und können ineinander umgewandelt werden. Bourdieus Konzept vom
Sozialen Kapital ist nicht machtblind, im Gegenteil: Er fasst die individuelle Verfügung
über Soziales Kapital als ein Mittel zur Perpetuierung von Machtverhältnissen auf, als
eine Möglichkeit, privilegierte Positionen abzusichern und auszubauen.
Die Sozialkapital-Konzepte und die Soziale Arbeit
Die Putnam´sche Version des Konzeptes, die u.a. auch von neoklassischen
Ökonomen bereitwillig aufgegriffen wurde, hat einige Schwächen. Sie setzt das
Sozialkapital mit bürgerschaftlichem Engagement gleich, blendet Politik, Staat,
Machtverhältnisse weitgehend aus. Es ist daher fraglich, wieweit sein Konzept für die
Soziale Arbeit nützlich sein kann. Wenn ein Rekurs auf die Putnam´sche
Argumentation sinnvoll sein soll, dann wohl am ehesten als einfache Formel mit
Anschlussfähigkeit an majoritäre brachialökonomistische („neoliberale“) Diskurse. Wo
diese selbst im Sinne ihrer eigenen Logik das Kind mit dem Bade ausschütten und
die Aufmerksamkeit der Sozialen Arbeit für die nicht-marktförmigen Formen des
gesellschaftlichen Lebens für überflüssig halten, kann ihnen mit Putnams
Argumentation, so verkürzt sie auch sein mag, begegnet werden. Dafür ist die
Kapital-Metapher ebenso nützlich wie der Hinweis auf die ökonomische Relevanz der
„weichen“ kulturellen und zivilisatorischen Faktoren menschlicher Beziehungen und
Netzwerke.
Theoretisch bleibt allerdings der Ansatz von Putnam relativ unproduktiv. Horizontale
Netze werden wohl besser und für die Soziale Arbeit relevanter z.B. von der
Forschung zu sozialen Unterstützungsnetzen und von der (mathematisch
grundierten) Social Network Analysis erfasst.
Der Bourdieu´sche Begriff des Sozialen Kapitals als individuelles Vermögen
(gemeinsam mit ökonomischem und kulturellem Kapital) hingegen verschafft der
Sozialen Arbeit, vor allem durch die Möglichkeiten der Operationalisierung und der
Einbindung der Erhebung des Sozialen Kapitals von Individuen und Gruppen in den
Unterstützungsprozess ein Set an Instrumenten und Bildern10. Mit diesen Bildern
kann Soziale Arbeit ihr Werken am „Fall“ m.E. stärker von pädagogisierenden und
psychologisierenden Ansätzen emanzipieren und ihr spezifisches Potenzial entfalten.
Während der pädagogische Ansatz alle Interventionen unter dem Gesichtspunkt der
Bildung (bzw. der Ermöglichung der individuellen Entwicklung analog dem Konzept
der „Erziehung“) thematisiert, fokussieren psychologisierende Ansätze auf die
psychischen Bedingungen individuellen Handelns. Tendenziell sind beide
Herangehensweisen auf die inneren Bedingungen der Individuen konzentriert.
-7-
Natürlich blieb weder der Pädagogik noch der Psychologie verborgen, dass
Individuen sich in ihren inneren Prozessen mit äußeren Bedingungen
auseinandersetzen, und das fand seinen Niederschlag in der Forschung und
Theoriebildung dieser Disziplinen. So beschäftigt sich z.B. die moderne Psychologie
auch mit Kommunikationsdynamiken, und die Pädagogik nimmt die Herstellung von
Arrangements, in denen sich individuelle Lernprozesse günstig entwickeln können, in
den Blick. Für die Soziale Arbeit ist allerdings diese Engführung der Betrachtung des
Sozialen (als „Bedingung von Erziehungsprozessen“ oder „Bedingung von
Psychischem“) unzureichend. M.E. benötigt sie für ihre Fundierung den Rückgriff auf
Konzepte, die das Soziale stärker in seiner Eigendynamik in den Blick nehmen, dabei
aber das Individuum nicht als Zentrum der Aufmerksamkeit verlieren. Auf das
Bourdieu´sche Sozialkapital-Konzept trifft das m.E. zu.
Eine Verwandtschaft zeigt sich mit Konzepten, die schon bisher in der Sozialen
Arbeit eine gewisse Bedeutung erlangen konnten, seltsamerweise aber noch nicht
systematisch rezipiert wurden: Soziometrie, Ecopsychology, Sozialpsychiatrie, Social
Network Analysis.
Der Bedeutungshorizont des Begriffs Soziales Kapital (nach Bourdieu) überschneidet
sich außerdem mit dem des in der Psychotherapie und der Sozialarbeit bereits länger
eingeführten und häufig gebrauchten Begriffs der „Ressourcen“, ohne mit ihm ident
zu werden. Der Ressourcenbegriff wird i.d.R. als Kontrastbegriff zu „Defizit“ oder
„Problem“ verwendet. Damit wurde in den Diskurs zur Methodik auch ein
Gegengewicht zu einer Sichtweise eingebracht, die das Augenmerk vor allem auf die
Defizite des Klientels richtete. Die „Ressourcenorientierung“ erhebt den Anspruch,
Interventionsstrategien vor allem an der Erschließung und dem Aufbau von
Potenzialen der KlientInnen auszurichten. Metaphern des „Wachstums“, der
„Stärken“, der „Lösungsorientierung“ sind damit verbunden. In diese Kategorie positiv
gewendeter Strategien gehört z.B. auch das Empowermentkonzept (Herriger 1997).
Die Erklärungskraft von sogenannten ressourcenorientierten Konzepten leidet
allerdings unter der polemischen Ausrichtung ihrer Begründung; darunter, dass sie
als Gegenentwurf zu Konzepten stilisiert werden, die Defizite oder Probleme in den
Blick nehmen. Ressourcen sind bloß eines der Elemente der zu bearbeitenden
Situation. Zu deren Bestimmung sind das Feststellen von Mangel (objektiven
Problemen) und von subjektiven Problemformulierungen ebenfalls für den Entwurf
einer realistischen Strategie nötig. Die moralisierende Emphase, die
ressourcenorientierte Ansätze in der Regel rahmt, scheint also wenig angebracht und
behindert deren praktische Wirksamkeit. Der systematische Einbezug des Blicks auf
die zugänglichen oder aktivierbaren Ressourcen ist zwar sinnvoll und nötig, aber er
erfordert auch die Thematisierung von Fragen der Ressourcenbewirtschaftung und
von Ressourcenknappheit. Gerade im Kontext der Sozialen Arbeit kippt ein
Ressourcenoptimismus leicht in Zynismus, wenn z.B. wie in manchen
gesprächstherapeutischen
und
systemischen
Beratungskonzepten
davon
ausgegangen wird, dass die KlientInnen grundsätzlich über alle nötigen Ressourcen
zur Lösung des Problems bereits verfügen. Davon kann keineswegs ausgegangen
werden. Das Klientel der Sozialen Arbeit (die Unterdrückten, Verletzlichen und
Armen11) leidet eben an einem Defizit an Ressourcen, von Information/Wissen bis zu
materiellen Ressourcen12, und dieser Mangel ist durch Willensanstrengung und
positive Rahmung („Reframing“) i.d.R. eben nicht auszugleichen.
Wenn wir also den Zugang zu LebensMitteln als Resultante der individuellen
Einbindung in das zweifach Soziale verstehen, dann bringt die Bourdieu´sche
-8-
Konzeptualisierung des Sozialen Kapitals einen Zuwachs an Klarheit über die
Möglichkeiten der Sozialen Arbeit, diesen Zugang über eine Bearbeitung von
Beziehungen zu verbessern. Die Optionen sind dann einerseits nicht berauschend,
weil Soziales Kapital nicht beliebig vermehrt werden kann. Andererseits ist es eben
nicht egal, ob die Verwendung und Vermehrung der Restbestände Sozialen Kapitals
der KlientInnen gefördert oder behindert wird. Eine Behinderung kann z.B. durch eine
einseitig maßnahmen- bzw. institutionsorientierte Vorgangsweise erfolgen, die den
Ausbau institutionalisierter Unterstützungsarrangements (die dritte Form des
Zugangs zu LebensMitteln) bevorzugt und die Reparatur der „natürlichen“ Sozialen
Netze ignoriert. Eine solche Ausrichtung, Resultat eines psychologistischen oder
institutionalistischen Missverständnisses von Funktion und Potenzial der Sozialen
Arbeit, ist im Praxisfeld nicht gerade selten.
Man kann konstatieren, dass Soziale Arbeit ihren KlientInnen mithilfe ihrer
institutionellen Einbindung Soziales Kapital und Symbolisches Kapital
kompensatorisch zur Verfügung stellt. Sie „borgt“ sich das Renommee der
Organisation (der Jugendwohlfahrt, der Caritas etc.) und setzt es ein, um ihren
KlientInnen bessere Chancen zu eröffnen. Dieser immaterielle Aspekt von
Umverteilung hat allerdings einen unerwünschten Nebeneffekt: Der Einsatz
institutioneller Autorität ersetzt zwar punktuell einen Mangel an Sozialem Kapital,
aber als Element des dritten Kreises des Zugangs zu LebensMitteln untergräbt er
gleichzeitig andere Ressourcen.
Anwendungen
Es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der KlientInnen der Sozialen Arbeit
nicht nur unter einem erschwerten Zugang zu den Leistungen der Funktionssysteme
zu leiden haben, sondern dass auch ihre horizontalen sozialen Netze ausgedünnt
sind, dass sie also unter einem Mangel nicht nur von ökonomischem und kulturellem,
sondern auch von Sozialem Kapital leiden13. Eine „Fürsorge“, die auf bloße
Versorgung ausgerichtet ist, also ihren KlientInnen stets zuerst den Zugang zu
LebensMitteln über den Modus der „Hilfe“ zu vermitteln sucht, läuft Gefahr, an einer
weiteren Verarmung mitzuwirken14.
Diagnostische und Interventionskonzepte, die sich auf eine Stärkung des Sozialen
Kapitals der KlientInnen orientieren, können vermutlich die unerwünschte weitere
Schwächung der sozialen Netze der KlientInnen, die ein Nebeneffekt der
professionellen Hilfe sein kann, vermeiden helfen.
Klaus Wolf (2006:247) weist am Beispiel von Eltern, die ihre Elternfunktion nur
partiell wahrnehmen können, darauf hin, dass durch die Aktivierung von Personen
aus dem sozialen Nahraum Fremdunterbringung mit ihren negativen
Begleiterscheinungen erfolgreich vermieden werden kann. Man kann das als
Aktivierung oder Aufbau von Sozialem Kapital beschreiben. In eine ähnliche
Richtung gehen Patenschaftsmodelle, zum Beispiel das Berliner Projekt von Katja
Beeck, das Paten für Kinder von psychisch kranken Eltern schult und vermittelt.
Family Group Conferences (oder: Family Decision Making, oder: Familienrat, oder:
Verwandtschaftsrat) sind ein Modell der Aktivierung des Sozialen Kapitals, vor allem
der erweiterten Familie, zur Sicherung gedeihlicher Sozialisationsbedingungen von
Kindern und Jugendlichen. Das Modell ist in Neuseeland entwickelt worden, und war
dort eine Reaktion auf Rassismus-Vorwürfe gegen die Jugendwohlfahrt: Kinder aus
-9-
der Maori-Population landeten wesentlich leichter in (i.d.R. weißen) Pflegefamilien als
die Kinder der Mehrheitsbevölkerung. Um dieser Tendenz gegenzusteuern, wurde
vor einer Fremdunterbringungsentscheidung der Rat der erweiterten Familie
einberufen, mit den Fakten konfrontiert und um einen Gegenvorschlag zur Sicherung
gedeihlicher Sozialisationsbedingungen für das betroffene Kind ersucht. Der Erfolg
dieser Aktivierung des Sozialen Kapitals der KlientInnen führte dazu, dass das
Modell als Regelmodell übernommen wurde. 2007 wurde das Modell in einigen
deutschen Pilotprojekten erfolgreich erprobt15. Das Arlt-Institut an der FH St. Pölten
arbeitet dzt. an einer Adaptierung des Modells als „Social Group Conference“ auch
für andere Arbeitsfelder und sucht Organisationen, die sich an Pilotprojekten
beteiligen wollen.
Boeck u.a. (2006) haben anhand einer Studie über die mittelfristigen Chancen von
Jugendlichen aus Straßencliquen darauf hingewiesen, dass jene Jugendlichen, die
auch während ihrer Zugehörigkeit zur Clique soziale Austauschbeziehungen mit
gesellschaftlich gut inkludierten Personen aufrechterhalten konnten, erheblich
größere Chancen haben, dem Teufelskreis von Armut und Ausgrenzung zu
entgehen. Der Aufbau von externen Bezügen zur „normalen“ Welt – nicht nur bei
Jugendcliquen, sondern z.B. auch bei Kindern psychisch kranker Eltern (dazu läuft
dzt. ein Projekt an der FH St. Pölten) und anderen tendenziell isolierten und/oder
ghettoisierten Personen scheint eine erfolgversprechende Strategie zu sein. Die
Herstellung direkter Austauschverhältnisse wäre so verstanden eine professionelle
Aufgabe. Sie stellt sich nicht von selbst her, sondern bedarf vorerst einer gezielten
Unterstützung. Institutionen müssen einen „Vorschuss“ einbringen, eine Investition.
Sozialräumliche Ansätze, die auf eine Stärkung und Unterstützung
nachbarschaftlicher Netzwerke zielen, gehen ebenfalls in diese Richtung, zum
Beispiel die Projekte des Ilse Arlt Instituts der FH St. Pölten zur Stützung informeller
Netze im ländlichen Raum: Zeitlich begrenzte Interventionen sollen lokale Netze
stärken. Hier konnten bereits einige ermutigende Erfahrungen gesammelt und das
Konzept präzisiert werden (vgl. Pantucek/Pantucek 2003, Brandstetter 2007,
Maiss/Stattler 2007).
Stephen Budde und Patricia Schene setzen sich mit Informal Social Support (ISS)Interventions in der Prävention von familiärer Gewalt auseinander. Sie betonen deren
„flexibility, responsiveness to individual needs“ (2004:341), sind allerdings (wohl zu
recht) skeptisch gegenüber der Erwartung, damit Kosteneinsparungen erreichen zu
können.
Früchtel, Cyprian und Budde haben kürzlich eine umfassende Publikation vorgelegt
(2007a und b), in der sie programmatisch Theorie und Methodik
sozialraumbezogener Sozialer Arbeit zusammenfassen. Mit ihrem „Fieldbook“
(2007b) stellen sie zahlreiche Werkzeuge für eine Methodik vor, die auf die Stärkung
Sozialen Kapitals zielt.
Diese Beispiele mögen zeigen, dass das Konzept des Sozialen Kapitals für die
Konzeptualisierung von Sozialer Arbeit relevant sein kann und Konsequenzen für die
methodische Ausrichtung hat.
Der Vorschlag, sich des Konzepts vom Sozialen Kapital zu bedienen, zielt auf jenen
Teil der sozialarbeiterischen Praxis, der der theoretischen und begrifflichen
Fundierung am meisten bedarf: die nicht primär erzieherischen Seiten, nicht die
Vermittlung zu Programmen, auf deren Nutzung die KlientInnen Anspruch erheben
- 10 -
könnten, nicht die beratende Optimierung des Denkens der KlientInnen über sich
selbst und ihre Situation (obwohl all dies immer auch enthaltend): sondern die Arbeit
der Aktivierung und Ausweitung der lebensweltlichen Beziehungen und (ja, wenn
man so will) der Ressourcen.
Zuallererst wird es für die Soziale Arbeit also das Soziale Kapital im Sinne Bourdieus
und ev. basierend auf den Arbeiten von Lin (1999 und 2001) sein, das praktisch (und
damit auch: theoretisch) interessant ist. Soziales Kapital als der Fundus an
vorhandenen, potenziellen und reaktivierbaren Beziehungen, die KlientInnen
(besser) nutzen können sollten und deren Ausweitung, (Re-)Aktivierung (und
manchmal auch: deren Abbau) angestrebt werden kann.
Die berechtigte Skepsis, die der Konzeptualisierung von Sozialkapital durch Putnam
begegnet, sollte nicht dazu führen, dass gleichzeitig die andersgearteten, theoretisch
und praktisch produktiven und – wie bisher schon vorliegende empirische Befunde
zeigen – für die Soziale Arbeit relevanten Ansätze von Bourdieu und Lin gleich mit
verworfen werden.
Verweise
1
Das Technologiedefizit mag ein Fakt sein, aber es suspendiert nicht die Erfordernis, an einer
Entwicklung von handwerklichen Anleitungen auf einigermaßen stringenter theoretischer und
empirischer Basis zu arbeiten, also an der Entwicklung von Technologien. Und die „Unbestimmtheit“
des Gegenstands der Sozialarbeit eröffnet zweifelsohne ein großes Potenzial in der Ausgestaltung der
Praxis. Diese Möglichkeit kann realistischerweise aber erst auf dem Niveau der Meisterschaft
ausgeschöpft werden. Darunter führt sie eher zum Rückgriff auf unangemessenen Einsatz des
Alltagsverstandes, wirft sie die PraktikerInnen in der Bewältigung der komplexen Anforderungen auf
den common sense, also auf ein vorprofessionelles Lösungsmuster zurück.
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Sie können dabei Informationen, die sie von den SozialarbeiterInnen bekommen, selektiv nutzen
oder ihrerseits „reframen“.
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entnommen Pantucek 2007 und für diesen Beitrag leicht verändert.
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Die Deformationen und Einseitigkeiten der Praxis sind am wenigsten den dort agierenden
Professionals anzulasten. Sie sind i.d.R. Resultat einer Fülle von Prozessen: politischen Konjunkturen,
Moden bei den Nachbarprofessionen und der Politik der Organisationen.
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Die beiden von mir vorgeschlagenen diagnostischen Instrumente für die soziale Einbindung
kartographieren je einen dieser Modi: das Inklusions-Chart die Teilhabe an Funktionssystemen, die
Netzwerkkarte die Einbindung in Netze persönlicher sozialer Austauschbeziehungen.
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Ich verwende die Schreibweise LebensMittel, um diesen Begriff hier gegenüber dem im
Alltagssprachgebrauch gängigen Begriff der Lebensmittel abzugrenzen, der einen deutlich
eingeschränkteren Bedeutungshorizont hat.
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Die Einbeziehung des Körpers in die Definition der LebensMittel mag irritieren. Die je eigene
Körperlichkeit ist (über familiäre Beziehungen und „Produktion“) ebenfalls gesellschaftlich vermittelt,
und für das Bewusstsein ist der Körper „Umwelt“. Mit der eigenen Persönlichkeit ident erscheint er
günstigenfalls, wenn er klaglos funktioniert. Spätestens im Falle einer beginnenden Hinfälligkeit wird
der Körper als einschränkende Bedingung wahrgenommen, als das Medium, in dem und mit dem man
sich als Person in die Welt begibt und die Welt beeinflussen kann, aber als deutlich getrennt von mir
als Person. Insofern scheint es mir legitim, den Körper zu den LebensMitteln zu zählen. In der
folgenden Argumentation wird der Körper aber aus der Betrachtung scheinbar verschwinden,
schließlich wird er nicht „produziert“, ist er nicht Gegenstand des Austauschs. In den
gesellschaftlichen Austausch einbezogen sind allerdings die Mittel zur Aufrechterhaltung körperlicher
Funktionen, von der Nahrung bis zu Medikamenten. Und die Bedeutung von gesellschaftlichen
Normen und Verhältnissen für Zustand und Entwicklung des Körpers ist wohl ebenso unbestritten, wie
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die Tatsache, dass ohne das Soziale eine Wahrnehmung des eigenen Körpers als von je meinem
Bewusstsein auch separat zu betrachtendes Faktum undenkbar ist. Eine Analyse der Bedeutung des
Körpers aus sozialarbeitswissenschaftlicher Sicht ist noch zu leisten – eine der Schwachstellen der
Theoriebildung.
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Während Gärten nach dem letzten großen Krieg noch eine wichtige Ressource für die
Nahrungsmittelversorgung vieler Menschen, vor allem der ärmeren Schichten, waren, ging deren
Nutzung als Anbaufläche schon ab den 1950er-Jahren deutlich zurück, heute dienen sie zumeist
vorrangig der Erholung oder ästhetischen Bedürfnissen.
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Mit dem Gebrauch des Terminus „je ich“ löste Klaus Holzkamp das Problem, wie denn in einer
verallgemeinerten und verallgemeinernden Rede das Subjekt zur Sprache gebracht werden kann. Ich
verwende den Terminus mit der gleichen Intention.
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Bei der Adaptierung für die Zwecke sozialarbeiterischer Praxis, also die Übersetzung in die
„Kunstlehre“, müssen allerdings in der Regel Vereinfachungen oder gewisse Unsauberkeiten im
Vergleich zum zugrunde liegenden theoretischen Konzept in Kauf genommen werden. So wie z.B. ein
Inklusions-Chart mit der Luhmann´schen Theorie der Funktionssysteme gelinde gesagt großzügig
umgeht, wird auch eine Kartographierung des Sozialen Kapitals von KlientInnen ohne Anpassungen
an die Pragmatik der Sozialen Arbeit nicht auskommen.
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Diese Aufzählung ist dem Code of Ethics der NASW (NASW 1996) entnommen.
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Die Problematik der Übernahme von mittelschichtsorientierten (therapeutischen) Konzepten in den
methodischen Fundus der Sozialen Arbeit liegt i.d.S. weniger in Inkompatibilitäten der Sprache und
Werte, als darin, dass die überwiegende Mehrheit der KlientInnen der Sozialen Arbeit tatsächlich (und
nicht nur vermeintlich) unter einer Unterversorgung mit Ressourcen leiden.
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Über den Zusammenhang von Armut und einer Ausdünnung des Sozialen Kapitals findet man
empirische Befunde z.B. bei Hofmann u.a. (2001:54f). Eine wachsende Sammlung von
Netzwerkkarten von KlientInnen sozialer Einrichtungen, die an der FH St. Pölten angelegt wird, belegt
die Tendenz zur Isolation bei KlientInnen aus den verschiedensten Arbeitsfeldern, besonders deutlich
z.B. bei Psychiatrie-PatientInnen.
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In anderer Terminologie: Sie arbeitet nicht an einer Stärkung der natürlichen sozialen Netze und
einer Reparatur der „sozialen Adressen“ (Baecker 1994), sondern beantwortet Mangel stets mit der
Bereitstellung von Substituten, von Ersatzleistungen für Inklusion. Damit befestigt sie die Exklusion.
15
Erfahrungen mit dem Modell in Großbritannien werden bei Brown (2002) beschrieben.
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Links
Patenschaftsprojekt Berlin: http://www.patenschaftsprojekt.de
Über den Autor
FH-Prof. DSA Mag. Dr. Peter Pantucek, Jg. 1953
[email protected]
Sozialarbeiter und Soziologe. Er leitet den BachelorStudiengang Soziale Arbeit und das Ilse Arlt Institut für
Soziale Inklusionsforschung an der FH St. Pölten.
Abstract
Für die Soziale Arbeit sind theoretische Modelle und Frameworks stets interessant,
die die Einbindung von Individuen in soziale und gesellschaftliche Verhältnisse zu
erfassen versuchen. Im vorliegenden Beitrag wird zunächst aus der
sozialarbeiterischen Praxis und ihren handlungsorientierten Fragestellungen ein
mehrdimensionales Verständnis der „Situation“ entwickelt. Dann wird eine der
Dimensionen, die „Einbindung des Individuums in das Soziale“ weiter
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aufgeschlüsselt. Vor dem Hintergrund dieser vorangestellten Überlegungen wird der
Frage nachgegangen, welche der Konzeptionen von Sozialem Kapital mit Gewinn für
Theorie und Methodik der Sozialen Arbeit nutzbar gemacht werden kann – und er
bevorzugt die Konzeptualisierung durch Bourdieu.
Frameworks conceptualizing the inclusion of the individual in the social environment
or the society are of interest for social work theory as well as social work practice. At
first the article tries to establish a multidimensional understanding of the „situation“ in
social work. One of the dimensions – the relation of the individual to the social
environment – is analyzed. Furthermore Putnam´s and Bourdieu´s concepts of the
social capital are discussed, which both address similar aspects, but in a different
way. For social work the Bourdieu-concept of social capital as a capital „owned“ by
individuals enhances the understanding of some aspects of the relationship between
individuals and society and can successfully be implemented in social work theory
and social work diagnosis.
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