ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln BAK-Zertifizierung 1 PUNKT Stress, Unruhe und Stimmungsschwankungen gehören für viele Menschen leider zum Alltag. Betroffene suchen häufig zunächst Rat in der Apotheke, indem sie ihre Symptome schildern und nach einem geeigneten Präparat verlangen. Im Rahmen des Beratungsgesprächs kann erörtert werden, worunter der Kunde leidet und welche medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten in Frage kommen oder ob eine ärztliche Konsultation sinnvoller ist. Im Rahmen der Selbstmedikation stehen allerdings sowohl zur Linderung von Stresssymptomen als auch zur Therapie von leichten bis mittelschweren depressiven Verstimmungen bzw. Episoden verschiedene pflanzliche Arzneimittel zur Verfügung. Diese Fortbildung fasst die wichtigsten Hintergrundinformationen zu den Krankheitsbildern und deren Behandlung zusammen und hilft bei einer praxisnahen und kompetenten Beratung im Bereich der Selbstmedikation in der Apotheke. Inhalt 1 Ursachen und Symptome 1.1 Einleitung 2 1.2 Definitionen 1.2.1 Stress 1.2.2 Depressive Verstimmung und Depression 2 1.3 Symptome 1.4 Neurotransmitter im Gehirn 1.5 Neurotransmittermangel 2 2 2 2 Therapien 2.1 Benzodiazepine bei Angst und nervöser Unruhe 2.2 Antidepressiva 2.3 Therapien im Rahmen der Selbstmedikation 2.3.1 Passionsblumenkraut 2.3.2 Johanniskraut 2.3.3 Baldrianwurzel 5 6 6 2.4 Im Fokus: Drei Heilpflanzenextrakte gegen leichte depressive Störungen mit nervöser Unruhe 9 3 Beratung in der Apotheke 3.1 Kunden mit einer Stresssymptomatik erkennen 10 3.2 Kunden mit einer depressiven Verstimmung erkennen 11 3.3 Einnahmehinweise 12 3.4 Hinweise zur Erstattungsfähigkeit zulasten der GKV 12 4 1 Quellen ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln 1 Ursachen und Symptome 1.1 Einleitung Stress ist für viele heute ein Dauerzustand. Zunehmende Arbeitsverdichtung, ein lautes Umfeld, Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie – das alles führt dazu, dass immer mehr Menschen ständig angespannt, nervös und unruhig sind. Doch nicht nur Stress ist für viele Menschen ein Dauerbegleiter, auch depressive Verstimmungen und Depressionen sind schon fast ein Volksleiden. Nach Auskunft des Deutschen Bundesministeriums für Gesundheit leiden weltweit schätzungsweise ca. 350 Millionen Menschen1 unter einer Depression. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden Depressionen bis zum Jahr 2020 sogar weltweit die zweithäufigste Volkskrankheit sein. Von depressiven Störungen sind nach Angaben der WHO rund 20 Millionen Deutsche betroffen, d. h. rund jeder Vierte2. 1.2 Definitionen Da sich diese Fortbildung mit „Stress“ und „leichten bis mittelschweren depressive Verstimmungen“ beschäftigt, werden im Folgenden zunächst diese beiden Begriffe erläutert. 1.2.1 Stress Stress (engl. für „Druck, Anspannung“; lat. stringere „anspannen“) bezeichnet zum einen durch spezifische äußere Reize (Stressoren) hervorgerufene psychische und physische Reaktionen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen, und zum anderen die dadurch entstehende geistige und körperliche Belastung.3 So ist z. B. die physiologische Stress-Antwort auf drohende Gefahren evolutionsbiologisch betrachtet ein Relikt aus alten Zeiten. Ihre typischen Anzeichen wie steigender Blutdruck, beschleunigter Herzschlag, verbesserte Durchblutung der Muskulatur und Bereitstellung von Energie sind körperliche Reaktionen auf Entscheidungssituationen: Kampf oder Flucht vor Angreifern oder wilden Tieren. Der Begriff „Stress“ wurde erstmals 1936 von Hans Selye geprägt, der auch zwischen Eu-Stress und Dis-Stress unterschied. Eustress Der sogenannte Eustress (die griechische Vorsilbe εὖ (eu) bedeutet „wohl, gut, richtig, leicht“) beansprucht den Organismus zwar, wirkt sich aber insgesamt positiv aus. So erhöht Eustress die Aufmerksamkeit und fördert die maximale Leistungsfähigkeit des Körpers, ohne ihm zu schaden. Eustress tritt beispielsweise auf, wenn ein Mensch zu bestimmten Leistungen motiviert ist, dann Zeit und Möglichkeiten hat, sich darauf vorzubereiten oder auch wenn eine (ggf. auch längere oder schwere) Krisensituation oder Krankheit dennoch positiv angegangen, bewältigt und überwunden werden kann. Im Resultat können sogar Glücksmomente empfunden werden. Eustress wirkt sich auch bei häufigem, längerfristigem Auftreten positiv auf die psychische oder physische Funktionsfähigkeit eines Organismus aus. Unter Eustress fällt zum Beispiel die Nervosität bei einer Hochzeit oder die Freude über die Geburt eines Kindes. Disstress Der für den Organismus schädliche Disstress (die griechische Vorsilbe δύς (dys) bedeutet „miss-, schlecht“) ist derjenige, der vom Körper nicht ausreichend kompensiert werden kann und deshalb als bedrohend oder überfordernd wahrgenommen wird. Insbesondere können negative Auswirkungen auftreten, wenn die betroffene Person (auch durch ihre Interpretation der Reize) keine Möglichkeit zur Bewältigung der Situation sieht oder hat. Beispiele dafür sind Klausuren ohne vorherige Zeit oder Fähigkeit zum Lernen, eine trotz Ärztebesuch unklare oder nicht anerkannte Erkrankung, eine durch Lärm unerträgliche Wohnung ohne Möglichkeit zum Umzug, o. ä. Dieser negative Stress kann auf Dauer krank machen. 2 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln 1.2.2 Depressive Verstimmung und Depression Depressive Verstimmung Die depressive Verstimmung wird meist durch aktuelle Belastungen ausgelöst, beispielsweise durch Misserfolg, Stress, finanzielle Sorgen, einschränkende körperliche Beschwerden oder Konflikte mit anderen Menschen. Die Betroffenen fühlen sich erschöpfter, dünnhäutiger oder unruhiger als gewöhnlich. Einige benötigen in solchen Phasen mehr Zeit für sich selbst, andere suchen Ablenkung oder vertrauen ihre Probleme vertrauten Personen wie Freunden oder Angehörigen an. Eine depressive Verstimmung ist noch keine psychische Erkrankung. Sie spiegelt lediglich den momentanen Gemütszustand im Kontext der aktuellen Ereignisse wieder.4 Depression Eine Depression kann entstehen, wenn verschiedenen Belastungsfaktoren gleichzeitig auftreten oder eine depressive Verstimmung länger als zwei Wochen andauert. Frauen sind von dieser Krankheit etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Abhängig von der Anzahl der Haupt- und Zusatzsymptome unterscheiden die Mediziner folgende Schweregrade: leichte depressive Episode, mittelschwere depressive Episode, schwere depressive Episode.4 Ursachen Für depressive Verstimmungen oder gar Depressionen gibt es ganz unterschiedliche Ursachen. Dazu gehören etwa Krankheiten, die den Stoffwechsel beeinflussen (beispielsweise Diabetes) und Erkrankungen neurologischer Art. Großen Einfluss auf die Psyche haben außerdem schwere Infektions- und Herzkrankheiten. Besonders ältere Menschen sind oft von Krankheiten und schwerwiegenden Veränderungen in ihrem Leben betroffen und haben ein höheres Risiko, eine depressive Verstimmung zu entwickeln. Im Alter, aber auch bei jungen Menschen, können zudem Medikamente Auslöser eines Stimmungstiefs sein. Zu einer depressiven Symptomatik können Faktoren aus unterschiedlichen Bereichen beitragen. Zu diesen zählen: Persönlichkeitsfaktoren, genetische Prädisposition (erblich bedingte Anlage bzw. Empfänglichkeit), psychosoziale Faktoren (Einflüsse aus dem sozialen Umfeld auf die Psyche) und körperliche Faktoren. Abb.: Entstehungsmodell Depression, Quelle: DAP 3 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln 1.3 Symptome Stresssymptome4 Stress kann sich an folgenden körperlichen Anzeichen zeigen: Blutdruckprobleme, ständiges Herzrasen, Muskelverspannungen, Juckreiz, Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, aber auch Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Durchfall, Bauchschmerzen bis hin zu Gastritis (Magenschleimhautentzündung), Reizmagen, Reizdarm oder einem Magengeschwür können die Folge von Stress sein. Auch die bekanntermaßen grauen Haare können sich durch Stress verstärken, da die Haarwurzeln auf Stressbotenstoffe reagieren, so dass es zu Haarausfall oder vermehrt grauen Haaren kommen kann. Zudem können als Folge von ständigem Stress nervöse Unruhezustände und Schlafstörungen auftreten. Auch die Entwicklung einer Depression kann eine Folge von anhaltendem Stress sein. Symptome von depressiver Verstimmung und Depression Es gibt typische Symptome einer depressiven Verstimmung bzw. Depression – die sogenannten Hauptsymptome. Erst wenn diese länger als zwei Wochen anhalten, kann dies auf eine depressive Episode hinweisen. Darüber hinaus gibt es weitere Symptome, die auf eine Depression hinweisen, aber auch bei anderen Erkrankungen auftreten können, was die Diagnosestellung mitunter schwierig gestalten kann. Hauptsymptome (Diagnosekriterien nach ICD-10): •gedrückte depressive Stimmung •Interessenverlust, Freudlosigkeit •Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit Zusätzlich können folgende Zusatzsymptome auftreten: •Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle •Schuldgefühle •Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen •Schlafstörungen •Hoffnungslosigkeit •Veränderung des Appetits •Suizidgedanken Darüber hinaus gibt es weitere charakteristische Symptome wie: •Grübeln •Unruhe •Gefühllosigkeit •Libidoverlust (Verlust des sexuellen Verlangens) •körperliche Symptome (95 % aller Depressiven haben Ängste, 80 % der Depressiven leiden unter Schlafstörungen) 1.4 Neurotransmitter im Gehirn Um verstehen zu können, weshalb sich bestimmte Symptome entwickeln und wie Arzneimittel zur Behandlung den gewünschten Erfolg erzielen, ist es erforderlich, sich zunächst einen Überblick über die Funktion der Botenstoffe, der sogenannten Neurotransmitter, im zentralen Nervensystem zu verschaffen. Beim Menschen und den übrigen Wirbeltieren fasst man unter dem Begriff Zentralnervensystem Gehirn und Rückenmark zusammen und grenzt es so gegen das periphere Nervensystem (Nervensystem außerhalb von Gehirn und Rückenmark) ab. 4 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Boten im Gehirn Im menschlichen Gehirn befinden sich ca. 100 Milliarden Neuronen (Nervenzellen). Jede dieser Zellen steht über bis zu 10.000 Verbindungsstellen (Synapsen) mit anderen Neuronen in Kontakt.5 Die synaptische Neurotransmission (Übertragung der Erregung von einer Nervenzelle auf eine andere) ist der wichtigste Kommunikationsweg für Nervenzellen. Als Botenstoffe dienen Neurotransmitter, wobei jede Synapse (Verbindungsstelle zwischen zwei Neuronen) spezifisch für einen Neurotransmitter ist. Was passiert im synaptischen Spalt? Neurotransmitter dienen als Botenstoffe für die Erregungsübertragung von einer auf die andere Nervenzelle. Die Transmitter werden bei Erregung der „Senderzelle“ präsynaptisch (vor der Synapse) ausgeschüttet, überbrücken den synaptischen Spalt zwischen den Zellen und werden postsynaptisch (nach der Synapse) von der „Empfängerzelle“ mittels besonderer Rezeptorproteine empfangen. Die über den Transmitter übertragene Erregung wirkt an einer chemischen Synapse entweder erregend (exzitatorisch) oder hemmend (inhibitorisch) auf die nachgeordnete Zelle, was durch die Rezeptortypen und die Ionensorten der beeinflussten Membrankanäle in der jeweils verknüpften Zelle festgelegt wird. Es gibt zahlreiche verschiedene Neurotransmitter. Zu den wichtigsten zählen: •Acetylcholin •Noradrenalin, Serotonin und Dopamin •ƴ-Amino-Buttersäure (GABA) •Glycin und Glutamat •Verschiedene Neuropeptide Abb.: Synaptische Neurotransmission, Quelle: Pascoe postsynaptisches Nervenende präsynaptisches Nervenende synaptisches Vesikel mit gespeicherten Neurotransmittern 5 Transmitterrezeptoren Neurotransmitter synaptischer Spalt ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Wirkung von ausgewählten Neurotransmittern Im Folgenden werden drei wichtige Neurotransmitter beschrieben, die bei der Entstehung und Behandlung von Stress und Depressionen eine Rolle spielen. Serotonin Serotonin (5-Hydroxytryptamin) ist ein Derivat der essentiellen Aminosäure Tryptophan und gehört zur Gruppe der biogenen Amine. Es kommt in relativ hoher Konzentration in den Nervenzellen des Zentralnervensystems und des Magen-Darm-Traktes vor. Sein Wirkspektrum reicht von der Konstriktion (Verengung) der Koronararterien über die Schlafauslösung bis zur Stimmungsaufhellung. Abb.: Strukturformel des Neurotransmitters Serotonin HO HN NH2 GABA GABA (ƴ-Amino-Buttersäure) ist der wichtigste inhibitorische (hemmende) Neurotransmitter im Gehirn, er entfaltet eine inhibitorische Wirkung an spezifischen GABA-Rezeptoren. GABA moduliert eine Reihe von Verhaltensmechanismen und physiologischen Abläufen: Schlaf, Ernährungsverhalten, Sexualverhalten, Schmerz, kardiovaskuläre (Herz und Gefäße betreffende) Regulation, Thermoregulation und Stimmung. GABA wirkt anxiolytisch (angstlösend), analgetisch (schmerzstillend), relaxierend (entspannend), antikonvulsiv (wirkt Krämpfen entgegen) und blutdruckstabilisierend. Außerdem besitzt GABA eine noch über Serotonin und Melatonin hinausreichende schlaffördernde Wirkung. Der Neurotransmitter wird mit Hilfe des Enzyms Glutamat-Decarboxylase aus Glutamat synthetisiert. Abb.: Strukturformel des Neurotransmitters GABA (ƴ-Amino-Buttersäure) O H2N 6 OH ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Dopamin Dopamin wird aus der essentiellen Aminosäure L-Tyrosin gebildet. Dopaminhaltige Neuronen kommen gehäuft im Mittelhirn vor. Der Neurotransmitter wirkt überwiegend erregend. Dopamin beeinflusst den Muskeltonus und grobmotorische Bewegungen, ist an der Verarbeitung neuer und unerwarteter Reize beteiligt und steuert kognitive Funktionen wie Motivation, Aufmerksamkeit und Konzentration.6 Daher ist es wichtig, den Dopaminstoffwechsel in der Behandlung von Depressionen und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) zu berücksichtigen. Dopamin gilt im Volksmund auch als das „Glückshormon“ und ihm wird eine wichtige Rolle in der Entstehung von Suchterkrankungen zugeschrieben. So kommt es beim Gebrauch von verschiedenen Rauschdrogen u. a. zu einer Wirkungsverstärkung von Dopamin. Abb.: Strukturformel des Neurotransmitters Dopamin HO HO NH2 1.5 Neurotransmittermangel Serotonin- und Noradrenalinmangel Bei Depressionen ist häufig die Serotonin- und Noradrenalin-Konzentration im synaptischen Spalt sehr gering. Daher ist z. B. Serotonin ein anerkannter pharmakologischer Angriffspunkt bei der Behandlung von Depressionen. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sowie Johanniskraut hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin in die präsynaptische Nervenzelle und erhöhen so das zur Verfügung stehende Serotonin im synaptischen Spalt. GABA-Synthese und -Mangel Der Neurotransmitter GABA (ƴ-Amino-Buttersäure) spielt sowohl bei Angstzuständen als auch bei Schlafstörungen eine Rolle. Besondere Bedeutung für die Wirksamkeit von GABA hat der Neurotransmitter Serotonin, der die GABA-Synthese stimuliert und die GABA-Rezeptoraffinität erhöht. Klinisch genutzt wird vor allem die angstlösende Wirkung von GABA, deshalb ist GABA der wichtigste Angriffspunkt in der Behandlung von Angstzuständen und Schlafstörungen. Aber auch bei Depressionen spielt GABA eine Rolle: Die GABA-Spiegel von depressiven Personen im Gehirn sind niedrig7 und können durch antidepressive Behandlung erhöht werden. Dopaminmangel Dopamin ist im Körper verantwortlich für Glücksgefühle und das Belohnungssystem. Je weniger davon ausgeschüttet wird, desto trauriger und antriebsloser ist die jeweilige Person. Ein Dopaminmangel kann daher zu Depression und Antriebslosigkeit führen. Durch die Wirkung von Dopamin auf die körperliche Motorik kann ein zu niedriger Dopaminspiegel außerdem zur Parkinson-Krankheit führen. Diese ist nachweislich untrennbar mit einem Dopaminmangel verbunden – bei Menschen mit Parkinson ist die Dopaminkonzentration im Gehirn bis zu 90 Prozent geringer als bei gesunden Menschen. 7 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln 2 Therapien 2.1 Benzodiazepine bei Angst und nervöser Unruhe Aus andauerndem Stress ohne Erholungsphasen kann sich eine chronische Angstsymptomatik entwickeln. Darüber hinaus sind nervöse Unruhezustände häufig die Folge von Stress. Zur Behandlung von nervöser Unruhe und Angst werden heutzutage meist Benzodiazepine eingesetzt, die zu den rezeptpflichtigen Wirkstoffen gehören und daher ausschließlich vom Arzt verordnet werden dürfen. Zu den wichtigsten Wirkstoffen mit beispielhaftem Handelsnamen zählen8: Wirkstoff Diazepam Chlordiazepoxid Prazepam Oxazepam Lorazepam Alprazolam Bromazepam Clonazepam Handelspräparat z. B. Diazepam ratiopharm® z. B. Librium® z. B. Demetrin® z. B. Adumbran® z. B. Tavor® z. B. Tafil® z. B. Lexostad® z. B. Rivotril® Wirkmechanismus von Benzodiazepinen8 Benzodiazepine greifen am GABA-System an, wobei sie die hemmende Funktion GABAerger Neurone verstärken. So steigern die Benzodiazepine die Bindungsfähigkeit von GABA zu ihren Rezeptoren und verstärken dadurch die GABA-Wirkung. Diese kommt dadurch zustande, dass die Öffnungswahrscheinlichkeit von Chloridkanälen erhöht wird, wodurch vermehrt Chloridionen in die Zelle einströmen. Dies bewirkt eine Hyperpolarisation (Steigerung der Membranspannung an einer Nervenzelle) der entsprechenden Zellen mit der Folge der verminderten Erregbarkeit. MERKE: Benzodiazepine verstärken die Wirkung von ƴ-Amino-Buttersäure (GABA) mit folgender Wirkung auf den (menschlichen) Organismus: Abb.: Wirkweise von Benzodiazepinen, Quelle: DAP WIRKUNG DER BENZODIAZEPINE beruhigend (sedativ) schlaffördernd (hypnotisch) krampflösend (antikonvulsiv) angstlösend (anxiolytisch) zentral muskelrelaxierend 8 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotential Aufgrund der zentral dämpfenden Wirkung der Benzodiazepine kann es zu einigen Nebenwirkungen kommen: Müdigkeit, Störungen der Bewegungskoordination, Benommenheit, Schwindel und Einschränkungen der intellektuellen Leistungsfähigkeit. Bei älteren Patienten kann es aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung zu schweren Stürzen kommen. Bei langandauernder Einnahme werden Appetitssteigerungen mit Gewichtszunahme, Libidoverlust sowie Ovulations- und Zyklusstörungen beobachtet. Besonders problematisch ist jedoch die Gewohnheitsbildung (psychische Abhängigkeit). Sie äußert sich darin, dass es – insbesondere nach längerer Einnahme – beim (plötzlichen) Absetzen des Präparates zu vermehrter Angst oder Schlaflosigkeit kommt und die Patienten daher erneut zu dem Arzneimittel greifen. Man muss daher zur Vermeidung eines Rebound-Effektes (Wiederaufleben) die Therapie langsam absetzen. Zusatzinfo9: Im Jahr 2010 wurden in Deutschland fast 10 Millionen Packungen Benzodiazepine verschrieben. 1,1 bis 1,2 Millionen Menschen in Deutschland sind abhängig von Benzodiazepinen, das sind 80 % aller Medikamentenabhängigen. 2.2 Antidepressiva8 Unter Antidepressiva versteht man Wirkstoffe, die depressive Symptome zu bessern vermögen. Sie wirken wirkstoffabhängig in unterschiedlichem Ausmaß: •depressionslösend, stimmungsaufhellend •psychomotorisch aktivierend •dämpfend Unter anderem aufgrund ihrer unterschiedlichen Wirkmechanismen unterscheidet man diverse Gruppen von Antidepressiva: Gruppe Tricyclische Antidepressiva Status Rezeptpflichtig Wirkstoffe Imipramin, Trimipramin, Clomipramin, Opipramol, Amitriptylin, Amitriptylinoxid, Nortryptilin, Doxepin Tetracyclische Antidepressiva Selektive Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI = serotonin/noradrenaline reuptake inhibitors) Rezeptpflichtig Rezeptpflichtig Mianserin, Mirtazapin, Maprotilin Venlafaxin, Duloxetin Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI = selective serotonine reuptake inhibitors) Rezeptpflichtig Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NRI = noradrenaline-reuptake inhibitor) Rezeptpflichtig Reboxetin Monoaminooxidase-Hemmer Melatonin-Derivate Johanniskrautextrakt Rezeptpflichtig Rezeptpflichtig Nicht rezeptpflichtig Trancylpromin, Moclobemid Agomelatin Hyperforin Wirkmechanismen In zahlreichen Untersuchungen (sowohl experimentell als auch klinisch) wurde nachgewiesen, dass alle Antidepressiva in den Neurotransmitter-Stoffwechsel und/oder die Neurotransmitter-Rezeptor-Wechselwirkung eingreifen. Dabei hemmen zahlreiche Antidepressiva die Wiederaufnahme von Noradrenalin und/oder Serotonin aus dem synaptischen Spalt, wobei diese „Reuptake-Blockade“ bei den einzelnen Wirkstoffen verschieden stark ausgeprägt ist. Als weiterer Angriffspunkt von Antidepressiva sei die Blockade von Neurotransmitter-Rezeptoren genannnt (z. B. α-adrenergen, 9 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln serotonergen, histaminergen und dopaminergen), wodurch das Wirkprofil wesentlich mitbestimmt wird, z. B. sedierende Wirkung durch Hemmung des Histamin-H1-Rezeptors (Protein aus der Familie des Histamin-Rezeptoren). Einige tricyclische Antidepressiva (z. B. Amitryptilin) unterdrücken ferner die Öffnung von Natriumkanälen in der Zelle. Einen anderen Wirkmechanismus als bisher beschrieben besitzt der zuletzt in die Therapie eingeführte Wirkstoff Agomelatin. Er wirkt als Agonist an Melatonin – sowie als Antagonist an 5-HT2-Rezeptoren (Serotonin-Rezeptoren). WICHTIG: Der antidepressive Effekt tritt bei der Einnahme aller Antidepressiva in der Regel erst nach einer Einnahmedauer von 2–4 Wochen auf! 2.3 Therapien im Rahmen der Selbstmedikation Sowohl leichte depressive Verstimmungen als auch nervöse Unruhezustände und Angstzustände wie z. B. Prüfungsangst, Flugangst oder Angst vor Operationen lassen sich auch im Rahmen der Selbstmedikation gut behandeln. Zur Behandlung dieser Beschwerden stehen verschiedene pflanzliche Wirkstoffe zur Verfügung, die nebenwirkungsarm sind und deren Wirksamkeit im Rahmen von klinischen Studien nachgewiesen wurde. Sie können daher als erste Behandlungsoption bei leichten Beschwerden dienen oder aber als sanfte Alternative zu einer bereits bestehenden Therapie fungieren. Folgende Heilpflanzen finden in der Selbstmedikation Anwendung: •Melisse (Melissa officinalis) •Hopfen (Humulus lupulus) •(Arznei)Lavendel (Lavandula angustifolia) •Passionsblume (Passiflora incarnata) •Echtes Johanniskraut (Hypericum perforatum) •Baldrian (Valeriana officinalis) Im Folgenden werden die drei Heilpflanzen Passionsblume, Echtes Johanniskraut und Baldrian und deren arzneiliche Wirkung vorgestellt. 2.3.1 Passionsblumenkraut10 Die meisten Arten der Passionsblume kommen aus Südamerika. Eine der wenigen Ausnahmen und die medizinisch interessanteste Art stammt Nordamerika – Passiflora incarnata. Die Passionsblume verdankt ihren Namen dem komplexen Aufbau ihrer Blüte. In den farbigen Blütenblättern sahen fromme Missionare die Verkörperung der Leidesgeschichte Christi. (Passiflora – lat. von pati „erdulden, erleiden“; passio „das Leiden“; incarnata – „die Fleisch gewordene“). Aufgrund ihrer interessanten Kultur- und Medizingeschichte und ihrer vielseitigen Wirksamkeit wurde die Passionsblume zur Arzneipflanze des Jahres 2011 gekürt. Die Wurzeln wurden bereits in der Volksmedizin der Ureinwohner innerlich und äußerlich als Heilmittel verwendet. Doch erst die Spanier nutzten gezielt die beruhigende Wirkung der krautigen Pflanzenteile. Hochdosierter (425 mg) Passionsblumenkraut-Trockenextrakt wird zur Behandlung von nervöser Unruhe, innerer Anspannung, 10 Abb.: Passiflora, Quelle: Pascoe ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Ruhelosigkeit und nervösen Einschlafstörungen eingesetzt. In stressbelasteten Situationen wie vor Prüfungen, vor Operationen oder auch vor Flugreisen wirkt er beruhigend. Der beruhigende, angstlösende Effekt von Passiflora incarnata ist vermutlich den in der Pflanze enthaltenen Flanvonoiden zu verdanken. Passionsblumenkrautextrakt beeinflusst positiv die beruhigende, entspannende Wirkung des Neurotransmitters GABA. MERKE: Die Passionsblume verstärkt die Wirkung von GABA und wirkt •angstlindernd •beruhigend •entspannend Wissenschaftliche Empfehlungen und Ergebnisse Forschungsergebnisse aus klinischen Studien belegen das traditionelle Wissen über die Wirksamkeit von Passionsblume zur Behandlung von nervöser Unruhe und Angst: •Gemäß dem Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel der European Medicines Agency (Europäische Arzneimittel-Agentur) werden Arzneimittel auf der Basis der Passionsblume traditionell zur Linderung leichter Symptome von psychischem Stress und zur Schlafförderung bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren angewendet.11 •In der Monographie der Kommission E (1990) wird die Verwendung von Passiflora-incarnata-Kraut zur Behandlung von nervöser Unruhe empfohlen.12 •Laut der ESCOP-Monographie (European Scientific Cooperative on Phytotherapy) wird es erfolgreich bei Anspannung, Ruhelosigkeit und Einschlafstörungen angewandt.13 Vergleichbarkeit mit dem Benzodiazepin Oxazepam bei leichten Angststörungen Passionsblumenkrautextrakt wurde im Rahmen einer klinischen Studie mit der Wirksamkeit von Oxazepam verglichen: Das Ergebnis war, dass bei Patienten mit leichten generalisierten Angststörungen der Passionsblumenkrautextrakt eine ähnliche Wirkung wie Oxazepam erzielte, bei gleichzeitigem Erhalt der Leistungsfähigkeit im Arbeitsalltag.14 Aufgrund der guten Verträglichkeit und der vergleichbaren Wirkung könnte der pflanzliche Passionsblumenkrautextrakt bei dieser Indikation demnach eine gute Alternative zu Benzodiazepinen sein ohne eine Gefahr der Abhängigkeit. Damit eignet sich der pflanzliche Extrakt auch zur Langzeitanwendung. Da außerdem keine Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bekannt sind, können die Extrakte sowohl als Monotherapeutikum als auch in Kombination mit anderen Heilpflanzen eingenommen werden. 2.3.2 Johanniskraut Das Echte Johanniskraut (Hypericum perforatum) ist in Europa heimisch – mittlerweile aber auch sonst überall auf der Welt zu finden. Weil sich die gelben Blüten kurz vor dem Geburtstag Johannes des Täufers (24. Juni) öffnen, erhielt die Pflanze seinen Namen. Bereits in der vorchristlichen Zeit wurden diverse Bestandteile des Johanniskrautes geerntet und zur Behandlung von Hautproblemen, Wunden oder Gicht verwendet. Im späten Mittelalter erkannte man dann, dass die Pflanze auch das Gemüt erhellen kann: Echtes Johanniskraut ist bis heute ein pflanzliches Heilmittel gegen depressive Verstimmungen. Aufgrund der großen Bedeutung des Echten Johanniskrauts in der Pflanzenheilkunde, vor allem wegen seiner stimmungsaufhellenden Wirkung, wurde Johanniskraut (Hypericum perforatum) zur Arzneipflanze des Jahres 2015 gekürt. 11 Abb.: Johanniskraut, Quelle: fotolia ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Das Wirkprinzip von Johanniskrautextrakt ähnelt demjenigen trizyklischer Antidepressiva: Hypericum steigert die Konzentration von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt – also derjenigen Neurotransmitter, die bei einer Depression erniedrigt sind.15 Neben verschiedenen Flavonoiden und Bioflavonen enthält Johanniskraut die Inhaltsstoffe Hypericin sowie Hyperforin. Johanniskraut ist zu einem Klassiker in der Behandlung von Depressionen geworden. Aufgrund seiner nachgewiesenen Wirksamkeit bei leichter bis mittelschwerer Symptomatik wurde Johanniskraut 2009 in die S3-Leitlinie „Unipolare Depression – Nationale VersorgungsLeitlinie“ aufgenommen.17 Johanniskraut steigert die Serotonin-Neurotransmission und führt so zu einer Verbesserung der Stimmung, allerdings setzt der gewünschte Effekt erst nach einer Behandlungsdauer von 10–14 Tagen ein. 2.3.3 Baldrianwurzel Abb.: Baldrian, Quelle: fotolia Baldrian (Valeriana officinalis) wächst in Europa, Nordamerika und Asien und kann bis zu zwei Meter hoch werden. Arzneilich verwendet wird die Wurzel, die beim Trocknen einen kräftigen Geruch absondert, der die meisten Menschen abstößt, Katzen jedoch magisch anzieht. Baldrian hat deshalb auch den Namen Katzen- oder Stinkkraut. Verantwortlich für den charakteristischen Geruch sind Öle und Valeronsäuren. Die in der Wurzel enthaltenen Lignane (sekundäre Pflanzenstoffe) docken an bestimmte Gehirnrezeptoren und beeinflussen Botenstoffe des Zentralnervensystems. Baldrian wird bei Unruhe und Anspannung eingesetzt. Er beruhigt ohne müde zu machen. Trotzdem hilft er beim Einschlafen, weil er die schlafhemmende innere Anspannung löst. Arzneilich verwendet werden vor allem Extrakte aus dem Wurzelstock von Valeriana officinalis. Mit diesem Extrakt wurde an Synaptosomen eine erhöhte Ausschüttung und außerdem eine geringere Wiederaufnahme von GABA nachgewiesen.18 2.4 Im Fokus: Drei Heilpflanzenextrakte gegen leichte depressive Störungen mit nervöser Unruhe Neben der Therapie mit Monopräparaten hat sich auch die Kombination aus den drei bereits genannten Heilpflanzen zur Behandlung von leichten, vorübergehenden depressiven Episoden mit nervöser Unruhe bewährt. Dadurch werden neben der Behandlung der leichten Depression auch typische Begleitsymptome wie Schlafstörungen und nervöse Unruhe mit Angst mitbehandelt. 2 Dabei wirken die drei Heilpflanzen folgendermaßen: 1 Johanniskraut: stärkt die Nerven und hellt die Stimmung auf 2 Passionsblume: wirkt entspannend und beruhigend 3 Baldrian: hilft bei Unruhe und Einschlafstörungen 3 1 12 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Wirkmechanismus auf einen Blick: •Johanniskraut steigert die Serotonin-Neurotransmission und führt so zur Verbesserung der Stimmung. •Passionsblume und Baldrian aktivieren die GABA-Neurotransmission und wirken somit auf Symptome wie nervöse Unruhe, Angst und Schlafstörungen. Abb.: Wirkung von Passionsblume, Baldrian und Johanniskraut im Gehirn, Quelle: Pascoe 3 Beratung in der Apotheke 3.1 Kunden mit einer Stresssymptomatik erkennen Wenn über Stressbelastung gesprochen wird, ist von negativem Stress, dem sogenannten Disstress, die Rede. Denn nur dieser macht auf Dauer krank. Typische Stresssymptome können sein: •Ständige Müdigkeit •Erschöpfung oder Gereiztheit •Schlafstörungen •Nervosität •Anspannung Stress ist für viele heute ein Dauerzustand. Zunehmende Arbeitsverdichtung, ein lautes Umfeld, Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie – das alles kann auf Dauer zu typischen Stresssymptomen führen. Stress kann aber auch selbstgemacht sein, z. B. durch ein gesteigertes Kontrollbedürfnis oder durch übertriebenen Perfektionismus – dies ist häufiger bei Frauen zu beobachten. Überhaupt scheinen Frauen etwas anfälliger für Stress zu sein, denn von den 30 Prozent aller Menschen, die ein „Stressgen“ besitzen, sind 70 Prozent Frauen. Doch das Gen allein sagt noch nichts darüber aus, ob jemand stressbedingt erkrankt.21 13 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Entscheidend sind die individuellen Verhaltensweisen im Umgang mit Stress. Diese sogenannten Bewältigungsstrategien entscheiden darüber, ob das Stressgen aktiviert wird.22 Manche Menschen haben von Geburt an eine „dickere Haut“. Sie reagieren in stressigen Situationen gelassen und bleiben gesund. Andere müssen den Umgang mit Stress erst lernen, damit sie gesund bleiben. Dafür gibt es Mittel und Wege, beispielsweise psychologische Unterstützung oder auch Stressmanagementtrainings. Im Rahmen des Beratungsgesprächs können Stressgeplagten auch folgende Tipps und Zusatzempfehlungen mitgegeben werden: •Hören Sie auf Signale Ihres Körpers: Finden Sie heraus, was Ihnen wirklich gut tut und sorgen Sie für sich! •Beurteilen Sie sich nicht zu streng, niemand ist perfekt. •Entrümpeln Sie Ihren Terminkalender, befreien Sie eventuell auch Ihr gesamtes Umfeld von unnötigem Ballast. •Bringen Sie mehr Ruhe in Ihr Leben, legen Sie bewusste Pausen ein. •Schränken Sie Fernseh- und Computerkonsum ein – verbringen Sie stattdessen mehr aktiv-entspannte Zeit mit Freunden und Familie. •Erlernen und praktizieren Sie eine Entspannungstechnik, die zu Ihnen passt (z. B. Yoga, Autogenes Training oder Tai-Chi) oder auch Waldspaziergänge und Schwimmen. 3.2 Kunden mit einer depressiven Verstimmung erkennen Depressive Phasen erlebt jeder Mensch – sie sind durch andauernde niedergedrückte Stimmung gekennzeichnet. Die Diagnosekriterien nach ICD-10 (deutsches Diagnoseklassifikationssystem) der Medizin führen drei Haupt- und eine Reihe häufiger Begleitsymptome auf: Abb.: Diagnosekriterien einer depressiven Episode nach ICD-10, Quelle: Pascoe Hauptsymptome gedrückte Stimmung Interessen- und Freudlosigkeit Antriebsstörung Andere häufige Symptome Konzentrationsstörung vermindertes Selbstwertgefühl mind. 2 der Hauptsymptome müssen vorhanden sein 2–4 der anderen Symptome müssen vorhanden sein 14 Schuldgefühl Hemmung/Unruhe Selbstschädigung Schlafstörung Appetitminderung ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Schnelltest für Depressionen Da es aufgrund der Komplexität der Symptome nicht besonders einfach ist, eine Depression zu diagnostizieren und das frühzeitige Erkennen und die Behandlung für die Betroffenen besonders wichtig ist, hat eine Forschergruppe des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung einen Schnelltest entwickelt, der die Erkennung von Depressionen erleichtert. Der Entscheidungsbaum besteht aus vier Fragen – werden alle Fragen mit „Ja“ beantwortet, liegt der Verdacht einer klinisch relevanten depressiven Verstimmung nahe. Abb.: Schnelltest für Depressionen, Quelle und Copyright: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Entscheidungsbaum zum Test auf depressive Stimmung Haben Sie diese Woche mehr geweint als früher? Nein Keine klinisch relevante Depression Nein Keine klinisch relevante Depression Nein Keine klinisch relevante Depression Nein Keine klinisch relevante Depression Ja Waren Sie diese Woche enttäuscht von sich oder haben Sie sich gehasst? Ja Sahen Sie diese Woche besonders mutlos in die Zukunft? Ja Hatten Sie diese Woche das Gefühl eine Versagerin zu sein? Ja Klinisch relevante Depression 15 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Beratung eines Patienten mit einer depressiven Verstimmung Erhärtet sich der Verdacht einer Depression oder depressiven Verstimmung, so sollte auch nachgefragt werden, wie lange die Symptome schon bestehen. Erst wenn die Symptome länger als zwei Wochen auftreten, weist dies auf eine behandlungsbedürftige depressive Episode hin. Eine sichere Diagnosestellung ist nur mit Hilfe eines Facharztes möglich. Pflanzliche Arzneimittel bieten im Rahmen der Selbstmedikation die Möglichkeit, die Beschwerden effektiv zu lindern, bei in der Regel gleichzeitig guter Verträglichkeit. Daher sind sie auch für die Langzeitanwendung geeignet. Aber nicht nur die Arzneitherapie ist wichtig, auch Zusatzempfehlungen können die Beschwerden verringern und die Therapie erleichtern. Zusatzempfehlungen bei der Beratung können sein: •Sport und Bewegung •Übungen zur Entspannung (Meditation, Yoga, autogenes Training) •Gespräche und soziale Kontakte •vollwertige Ernährung •ausreichend Licht (Bewegung an frischer Luft) •genügend Freizeit für ausgleichende und/oder spannende Hobbys •regelmäßige Schlaf- und Wachzeiten 3.3 Einnahmehinweise Ist das richtige Arzneimittel für den Kunden gefunden, so ist es Aufgabe des Apothekenmitarbeiters, den Patienten kompetent zur richtigen Einnahme zu beraten und ihn auf wichtige Produkteigenschaften hinzuweisen. Johanniskraut – Einnahmehinweise23: •Antidepressive Wirkung tritt erst nach 2–3 Wochen ein •Wechselwirkung mit anderen Arzneimitteln → verstärkte Elimination bestimmter Wirkstoffe und Konzentrationserhöhung von Serotonin möglich (siehe Fachinformation) •Keine gleichzeitige Anwendung mit folgenden Stoffgruppen: Immunsuppressiva, Anti-HIV-Arzneimittel, Zytostatika und Antikoagulanzien •Während der Behandlung Verzicht auf intensive UV-Bestrahlung (lange Sonnenbäder, Höhensonne, Solarien) → Sonnenschutz empfehlen! •Vorsichtshalber bei der Einnahme oraler Kontrazeptiva zusätzliche empfängnisverhütende Maßnahmen ergreifen •Mögliche Veränderung des Reaktionsvermögens, so dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt sein kann (in verstärktem Maße in Kombination mit Alkohol) Passionsblumenkrautextrakt und Baldrianwurzel – Einnahmehinweise: •Mögliche Veränderung des Reaktionsvermögens, so dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt sein kann (in verstärktem Maße in Kombination mit Alkohol) 16 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln 3.4 Hinweise zur Erstattungsfähigkeit zulasten der GKV Präparate, die im Rahmen der Selbstmedikation eingesetzt werden, sind im Allgemeinen als apothekenpflichtige Arzneimittel im Handel. Abgabe bis zum 18. Geburtstag Apothekenpflichtige Arzneimittel können nach § 34 SGB V (Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch) zulasten der gesetzlichen Krankenkassen abgegeben werden: •Für alle Kinder und Jugendliche bis zum 12. Geburtstag •Für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen auch bis zum 18. Geburtstag Für den Fall, dass eine Entwicklungsstörung vorliegt, muss weder der Arzt dies auf der Verordnung angeben noch die Apotheke nachprüfen. Das heißt, dass ein verordnetes apothekenpflichtiges Arzneimittel bis zum 18. Geburtstag eines Patienten zulasten der gesetzlichen Krankenkasse auf Rezept abgegeben werden kann. Ausnahme: Es handelt sich um eine nicht erstattungsfähige Jumbopackung. Abgabe für Erwachsene Apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel dürfen nur in Ausnahmefällen für Erwachsene zulasten der GKV abgegeben werden. Die GKV-Erstattung hängt von den Vorgaben der Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie des G-BA (OTC-Übersicht) ab. Apothekenpflichtige Arzneimittel, die zur Behandlung von Depressionen oder depressiven Verstimmungen bzw. zur Behandlung von Stress und nervöser Unruhe verwendet werden, erfüllen diese Voraussetzungen nicht und können daher nicht zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden. ZUSATZINFO: Viele gesetzliche Krankenkassen bieten die Erstattung pflanzlicher, homöopathischer und anthroposophischer Arzneimittel als freiwillige Satzungsleistung an. In der Regel werden die Kosten bis zu einem festgelegten Jahresbetrag übernommen. Hierfür muss das entsprechende Arzneimittel auf einem grünen Rezept verordnet sein. Der Patient bezahlt zunächst den vollen Betrag (wie bei einem Privatrezept) und kann anschließend das bedruckte grüne Rezept zusammen mit der Quittung aus der Apotheke bei der Krankenkasse einreichen. Eine Übersicht der OTC-Satzungsleistungen verschiedener Krankenkassen kann hier eingesehen werden: https://www.deutschesapothekenportal.de/rezept-retax/dap-retax-arbeitshilfen/otc-arzneimittel/bpi-liste-otc-satzungsleistungen-der-krankenkasse/ Ist das verordnete Arzneimittel keine Satzungsleistung der Krankenkasse, kann das grüne Rezept zusammen mit der Quittung aus der Apotheke bei der Einkommenssteuererklärung des Patienten als Beleg für außergewöhnliche Belastungen eingereicht werden. 17 ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln Quellen 1 Bundesministerium für Gesundheit, „Depression“, http://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/ depression.html, Erscheinungsdatum: 06.05.2016. 2 Bundesministerium für Forschung und Bildung: „Seele aus der Balance“ Grusswort v. Prof. Schavan, 2011. 3 https://de.wikipedia.org/wiki/Stress (abgerufen am 06.12.2016). 4 https://www.pascoe.de/anwendungsbereiche/depression-stimmungsaufhellung/depressive-verstimmung.html (abgerufen am 06.12.2016). 5 Thompson RF, Das Gehirn, Spektrum Akademischer Verlag GmbH, 2001. 6 Förstl H, Hautzinger M, Roth G. Neurobiologie psychischer Störungen, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2006. 7 Gründer G, Benkert O, Handbuch der Psychotherapie, 2. Auflage 2012. 8 Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer H K, Menzel S, Ruth P, Mutschler Arzneimittelwirkungen, 10. Auflage 2013 9 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2012. 10Heilpflanzenporträt Passiflora incarnata, „Entspannung durch Pflanzenkraft“, Quelle: Pascoe, Erscheinungsdatum: 01.03.2016. 11EMA. Community herbal monograph on Passifloraincarnata L., herba. 2014. 12Kommission E. Monographie Passifloraeherba (Passionsblumenkraut). 1990. 13ESCOP Passifloraeherba. Passion flower. 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Focus on Alternative and Complementary Therapies, 2009; 8(4): 551-2. 20Dimpfel W, Koch K, Weiss G: Early effect of NEURAPASR balance on current source density (CSD) of humanEEG BMC Psychiatry.2011; 11:123. 21Presseinformation „In der Ruhe liegt die Kraft: Stressoren entlarven und beseitigen, Quelle: Pascoe, Erscheinungsdatum: 01.02.2016. 22DeRijk R H*, Wüst S, Meijer O C, Zennaro M C, Federenko I S, Hellhammer D H, Giacchetti G, Vreugdenhil E, Zitman F G, de Kloet E R, „A Comon Polymorphism in the Mineralcorticoid Receptor Modulates Stress Responsiveness”, The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 91(12):5083– 5089, 2006. 23Fachinformation Neurapas® balance, Stand 12/2012. 18