Stress und leichte Depressionen natürlich behandeln

Werbung
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
BAK-Zertifizierung
1 PUNKT
Stress, Unruhe und Stimmungsschwankungen gehören für viele Menschen leider zum Alltag. Betroffene suchen häufig zunächst
Rat in der Apotheke, indem sie ihre Symptome schildern und nach einem geeigneten Präparat verlangen. Im Rahmen des Beratungsgesprächs kann erörtert werden, worunter der Kunde leidet und welche medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten in
Frage kommen oder ob eine ärztliche Konsultation sinnvoller ist. Im Rahmen der Selbstmedikation stehen allerdings sowohl zur
Linderung von Stresssymptomen als auch zur Therapie von leichten bis mittelschweren depressiven Verstimmungen bzw. Episoden verschiedene pflanzliche Arzneimittel zur Verfügung.
Diese Fortbildung fasst die wichtigsten Hintergrundinformationen zu den Krankheitsbildern und deren Behandlung zusammen und
hilft bei einer praxisnahen und kompetenten Beratung im Bereich der Selbstmedikation in der Apotheke.
Inhalt
1
Ursachen und Symptome
1.1 Einleitung
2
1.2 Definitionen
1.2.1 Stress
1.2.2 Depressive Verstimmung und Depression
2
1.3 Symptome
1.4 Neurotransmitter im Gehirn
1.5 Neurotransmittermangel
2
2
2
2
Therapien
2.1 Benzodiazepine bei Angst und nervöser Unruhe
2.2 Antidepressiva
2.3 Therapien im Rahmen der Selbstmedikation
2.3.1 Passionsblumenkraut
2.3.2 Johanniskraut
2.3.3 Baldrianwurzel
5
6
6
2.4 Im Fokus: Drei Heilpflanzenextrakte gegen leichte depressive Störungen mit nervöser Unruhe
9
3
Beratung in der Apotheke
3.1 Kunden mit einer Stresssymptomatik erkennen
10
3.2 Kunden mit einer depressiven Verstimmung erkennen
11
3.3 Einnahmehinweise
12
3.4 Hinweise zur Erstattungsfähigkeit zulasten der GKV
12
4
1
Quellen
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
1
Ursachen und Symptome
1.1 Einleitung
Stress ist für viele heute ein Dauerzustand. Zunehmende Arbeitsverdichtung, ein lautes Umfeld, Mehrfachbelastung durch Beruf
und Familie – das alles führt dazu, dass immer mehr Menschen ständig angespannt, nervös und unruhig sind. Doch nicht nur
Stress ist für viele Menschen ein Dauerbegleiter, auch depressive Verstimmungen und Depressionen sind schon fast ein Volksleiden.
Nach Auskunft des Deutschen Bundesministeriums für Gesundheit leiden weltweit schätzungsweise ca. 350 Millionen Menschen1
unter einer Depression. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden Depressionen bis zum Jahr 2020 sogar weltweit die
zweithäufigste Volkskrankheit sein. Von depressiven Störungen sind nach Angaben der WHO rund 20 Millionen Deutsche betroffen, d. h. rund jeder Vierte2.
1.2 Definitionen
Da sich diese Fortbildung mit „Stress“ und „leichten bis mittelschweren depressive Verstimmungen“ beschäftigt, werden im
Folgenden zunächst diese beiden Begriffe erläutert.
1.2.1 Stress
Stress (engl. für „Druck, Anspannung“; lat. stringere „anspannen“) bezeichnet zum einen durch spezifische äußere Reize (Stressoren) hervorgerufene psychische und physische Reaktionen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen, und zum
anderen die dadurch entstehende geistige und körperliche Belastung.3 So ist z. B. die physiologische Stress-Antwort auf drohende
Gefahren evolutionsbiologisch betrachtet ein Relikt aus alten Zeiten. Ihre typischen Anzeichen wie steigender Blutdruck, beschleunigter Herzschlag, verbesserte Durchblutung der Muskulatur und Bereitstellung von Energie sind körperliche Reaktionen auf
Entscheidungssituationen: Kampf oder Flucht vor Angreifern oder wilden Tieren.
Der Begriff „Stress“ wurde erstmals 1936 von Hans Selye geprägt, der auch zwischen Eu-Stress und Dis-Stress unterschied.
Eustress
Der sogenannte Eustress (die griechische Vorsilbe εὖ (eu) bedeutet „wohl, gut, richtig, leicht“) beansprucht den Organismus zwar,
wirkt sich aber insgesamt positiv aus. So erhöht Eustress die Aufmerksamkeit und fördert die maximale Leistungsfähigkeit des
Körpers, ohne ihm zu schaden. Eustress tritt beispielsweise auf, wenn ein Mensch zu bestimmten Leistungen motiviert ist, dann
Zeit und Möglichkeiten hat, sich darauf vorzubereiten oder auch wenn eine (ggf. auch längere oder schwere) Krisensituation oder
Krankheit dennoch positiv angegangen, bewältigt und überwunden werden kann. Im Resultat können sogar Glücksmomente
empfunden werden. Eustress wirkt sich auch bei häufigem, längerfristigem Auftreten positiv auf die psychische oder physische
Funktionsfähigkeit eines Organismus aus. Unter Eustress fällt zum Beispiel die Nervosität bei einer Hochzeit oder die Freude über
die Geburt eines Kindes.
Disstress
Der für den Organismus schädliche Disstress (die griechische Vorsilbe δύς (dys) bedeutet „miss-, schlecht“) ist derjenige, der vom
Körper nicht ausreichend kompensiert werden kann und deshalb als bedrohend oder überfordernd wahrgenommen wird. Insbesondere können negative Auswirkungen auftreten, wenn die betroffene Person (auch durch ihre Interpretation der Reize) keine
Möglichkeit zur Bewältigung der Situation sieht oder hat. Beispiele dafür sind Klausuren ohne vorherige Zeit oder Fähigkeit zum
Lernen, eine trotz Ärztebesuch unklare oder nicht anerkannte Erkrankung, eine durch Lärm unerträgliche Wohnung ohne Möglichkeit zum Umzug, o. ä. Dieser negative Stress kann auf Dauer krank machen.
2
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
1.2.2 Depressive Verstimmung und Depression
Depressive Verstimmung
Die depressive Verstimmung wird meist durch aktuelle Belastungen ausgelöst, beispielsweise durch Misserfolg, Stress, finanzielle
Sorgen, einschränkende körperliche Beschwerden oder Konflikte mit anderen Menschen. Die Betroffenen fühlen sich erschöpfter,
dünnhäutiger oder unruhiger als gewöhnlich. Einige benötigen in solchen Phasen mehr Zeit für sich selbst, andere suchen Ablenkung oder vertrauen ihre Probleme vertrauten Personen wie Freunden oder Angehörigen an. Eine depressive Verstimmung ist
noch keine psychische Erkrankung. Sie spiegelt lediglich den momentanen Gemütszustand im Kontext der aktuellen Ereignisse
wieder.4
Depression
Eine Depression kann entstehen, wenn verschiedenen Belastungsfaktoren gleichzeitig auftreten oder eine depressive Verstimmung länger als zwei Wochen andauert. Frauen sind von dieser Krankheit etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Abhängig
von der Anzahl der Haupt- und Zusatzsymptome unterscheiden die Mediziner folgende Schweregrade: leichte depressive Episode,
mittelschwere depressive Episode, schwere depressive Episode.4
Ursachen
Für depressive Verstimmungen oder gar Depressionen gibt es ganz unterschiedliche Ursachen. Dazu gehören etwa Krankheiten,
die den Stoffwechsel beeinflussen (beispielsweise Diabetes) und Erkrankungen neurologischer Art. Großen Einfluss auf die Psyche
haben außerdem schwere Infektions- und Herzkrankheiten. Besonders ältere Menschen sind oft von Krankheiten und schwerwiegenden Veränderungen in ihrem Leben betroffen und haben ein höheres Risiko, eine depressive Verstimmung zu entwickeln. Im
Alter, aber auch bei jungen Menschen, können zudem Medikamente Auslöser eines Stimmungstiefs sein.
Zu einer depressiven Symptomatik können Faktoren aus unterschiedlichen Bereichen beitragen. Zu diesen zählen: Persönlichkeitsfaktoren, genetische Prädisposition (erblich bedingte Anlage bzw. Empfänglichkeit), psychosoziale Faktoren (Einflüsse aus dem
sozialen Umfeld auf die Psyche) und körperliche Faktoren.
Abb.: Entstehungsmodell Depression, Quelle: DAP
3
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
1.3 Symptome
Stresssymptome4
Stress kann sich an folgenden körperlichen Anzeichen zeigen: Blutdruckprobleme, ständiges Herzrasen, Muskelverspannungen,
Juckreiz, Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, aber auch Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Durchfall, Bauchschmerzen bis hin
zu Gastritis (Magenschleimhautentzündung), Reizmagen, Reizdarm oder einem Magengeschwür können die Folge von Stress sein.
Auch die bekanntermaßen grauen Haare können sich durch Stress verstärken, da die Haarwurzeln auf Stressbotenstoffe reagieren, so dass es zu Haarausfall oder vermehrt grauen Haaren kommen kann.
Zudem können als Folge von ständigem Stress nervöse Unruhezustände und Schlafstörungen auftreten. Auch die Entwicklung
einer Depression kann eine Folge von anhaltendem Stress sein.
Symptome von depressiver Verstimmung und Depression
Es gibt typische Symptome einer depressiven Verstimmung bzw. Depression – die sogenannten Hauptsymptome. Erst wenn diese
länger als zwei Wochen anhalten, kann dies auf eine depressive Episode hinweisen. Darüber hinaus gibt es weitere Symptome, die
auf eine Depression hinweisen, aber auch bei anderen Erkrankungen auftreten können, was die Diagnosestellung mitunter
schwierig gestalten kann.
Hauptsymptome (Diagnosekriterien nach ICD-10):
•gedrückte depressive Stimmung
•Interessenverlust, Freudlosigkeit
•Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit
Zusätzlich können folgende Zusatzsymptome auftreten:
•Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle
•Schuldgefühle
•Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen
•Schlafstörungen
•Hoffnungslosigkeit
•Veränderung des Appetits
•Suizidgedanken
Darüber hinaus gibt es weitere charakteristische Symptome wie:
•Grübeln
•Unruhe
•Gefühllosigkeit
•Libidoverlust (Verlust des sexuellen Verlangens)
•körperliche Symptome (95 % aller Depressiven haben Ängste, 80 % der Depressiven leiden unter Schlafstörungen)
1.4 Neurotransmitter im Gehirn
Um verstehen zu können, weshalb sich bestimmte Symptome entwickeln und wie Arzneimittel zur Behandlung den gewünschten
Erfolg erzielen, ist es erforderlich, sich zunächst einen Überblick über die Funktion der Botenstoffe, der sogenannten Neurotransmitter, im zentralen Nervensystem zu verschaffen. Beim Menschen und den übrigen Wirbeltieren fasst man unter dem Begriff
Zentralnervensystem Gehirn und Rückenmark zusammen und grenzt es so gegen das periphere Nervensystem (Nervensystem
außerhalb von Gehirn und Rückenmark) ab.
4
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Boten im Gehirn
Im menschlichen Gehirn befinden sich ca. 100 Milliarden Neuronen (Nervenzellen). Jede dieser Zellen steht über bis zu 10.000
Verbindungsstellen (Synapsen) mit anderen Neuronen in Kontakt.5 Die synaptische Neurotransmission (Übertragung der Erregung
von einer Nervenzelle auf eine andere) ist der wichtigste Kommunikationsweg für Nervenzellen. Als Botenstoffe dienen Neurotransmitter, wobei jede Synapse (Verbindungsstelle zwischen zwei Neuronen) spezifisch für einen Neurotransmitter ist.
Was passiert im synaptischen Spalt?
Neurotransmitter dienen als Botenstoffe für die Erregungsübertragung von einer auf die andere Nervenzelle. Die Transmitter
werden bei Erregung der „Senderzelle“ präsynaptisch (vor der Synapse) ausgeschüttet, überbrücken den synaptischen Spalt
zwischen den Zellen und werden postsynaptisch (nach der Synapse) von der „Empfängerzelle“ mittels besonderer Rezeptorproteine empfangen. Die über den Transmitter übertragene Erregung wirkt an einer chemischen Synapse entweder erregend (exzitatorisch) oder hemmend (inhibitorisch) auf die nachgeordnete Zelle, was durch die Rezeptortypen und die Ionensorten der beeinflussten Membrankanäle in der jeweils verknüpften Zelle festgelegt wird. Es gibt zahlreiche verschiedene Neurotransmitter. Zu den
wichtigsten zählen:
•Acetylcholin
•Noradrenalin, Serotonin und Dopamin
•ƴ-Amino-Buttersäure (GABA)
•Glycin und Glutamat
•Verschiedene Neuropeptide
Abb.: Synaptische Neurotransmission, Quelle: Pascoe
postsynaptisches
Nervenende
präsynaptisches
Nervenende
synaptisches Vesikel
mit gespeicherten
Neurotransmittern
5
Transmitterrezeptoren
Neurotransmitter
synaptischer Spalt
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Wirkung von ausgewählten Neurotransmittern
Im Folgenden werden drei wichtige Neurotransmitter beschrieben, die bei der Entstehung und Behandlung von Stress und
Depressionen eine Rolle spielen.
Serotonin
Serotonin (5-Hydroxytryptamin) ist ein Derivat der essentiellen Aminosäure Tryptophan und gehört zur Gruppe der biogenen
Amine. Es kommt in relativ hoher Konzentration in den Nervenzellen des Zentralnervensystems und des Magen-Darm-Traktes vor.
Sein Wirkspektrum reicht von der Konstriktion (Verengung) der Koronararterien über die Schlafauslösung bis zur Stimmungsaufhellung.
Abb.: Strukturformel des Neurotransmitters Serotonin
HO
HN
NH2
GABA
GABA (ƴ-Amino-Buttersäure) ist der wichtigste inhibitorische (hemmende) Neurotransmitter im Gehirn, er entfaltet eine inhibitorische Wirkung an spezifischen GABA-Rezeptoren. GABA moduliert eine Reihe von Verhaltensmechanismen und physiologischen
Abläufen: Schlaf, Ernährungsverhalten, Sexualverhalten, Schmerz, kardiovaskuläre (Herz und Gefäße betreffende) Regulation,
Thermoregulation und Stimmung.
GABA wirkt anxiolytisch (angstlösend), analgetisch (schmerzstillend), relaxierend (entspannend), antikonvulsiv (wirkt Krämpfen
entgegen) und blutdruckstabilisierend. Außerdem besitzt GABA eine noch über Serotonin und Melatonin hinausreichende
schlaffördernde Wirkung. Der Neurotransmitter wird mit Hilfe des Enzyms Glutamat-Decarboxylase aus Glutamat synthetisiert.
Abb.: Strukturformel des Neurotransmitters GABA
(ƴ-Amino-Buttersäure)
O
H2N
6
OH
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Dopamin
Dopamin wird aus der essentiellen Aminosäure L-Tyrosin gebildet. Dopaminhaltige Neuronen kommen gehäuft im Mittelhirn vor.
Der Neurotransmitter wirkt überwiegend erregend.
Dopamin beeinflusst den Muskeltonus und grobmotorische Bewegungen, ist an der Verarbeitung neuer und unerwarteter Reize
beteiligt und steuert kognitive Funktionen wie Motivation, Aufmerksamkeit und Konzentration.6 Daher ist es wichtig, den Dopaminstoffwechsel in der Behandlung von Depressionen und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) zu berücksichtigen. Dopamin gilt im Volksmund auch als das „Glückshormon“ und ihm wird eine wichtige Rolle in der Entstehung von Suchterkrankungen zugeschrieben. So kommt es beim Gebrauch von verschiedenen Rauschdrogen u. a. zu einer Wirkungsverstärkung
von Dopamin.
Abb.: Strukturformel des Neurotransmitters Dopamin
HO
HO
NH2
1.5 Neurotransmittermangel
Serotonin- und Noradrenalinmangel
Bei Depressionen ist häufig die Serotonin- und Noradrenalin-Konzentration im synaptischen Spalt sehr gering. Daher ist z. B.
Serotonin ein anerkannter pharmakologischer Angriffspunkt bei der Behandlung von Depressionen. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sowie Johanniskraut hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin in die präsynaptische Nervenzelle und
erhöhen so das zur Verfügung stehende Serotonin im synaptischen Spalt.
GABA-Synthese und -Mangel
Der Neurotransmitter GABA (ƴ-Amino-Buttersäure) spielt sowohl bei Angstzuständen als auch bei Schlafstörungen eine Rolle.
Besondere Bedeutung für die Wirksamkeit von GABA hat der Neurotransmitter Serotonin, der die GABA-Synthese stimuliert und
die GABA-Rezeptoraffinität erhöht.
Klinisch genutzt wird vor allem die angstlösende Wirkung von GABA, deshalb ist GABA der wichtigste Angriffspunkt in der Behandlung von Angstzuständen und Schlafstörungen.
Aber auch bei Depressionen spielt GABA eine Rolle: Die GABA-Spiegel von depressiven Personen im Gehirn sind niedrig7 und
können durch antidepressive Behandlung erhöht werden.
Dopaminmangel
Dopamin ist im Körper verantwortlich für Glücksgefühle und das Belohnungssystem. Je weniger davon ausgeschüttet wird, desto
trauriger und antriebsloser ist die jeweilige Person. Ein Dopaminmangel kann daher zu Depression und Antriebslosigkeit führen.
Durch die Wirkung von Dopamin auf die körperliche Motorik kann ein zu niedriger Dopaminspiegel außerdem zur Parkinson-Krankheit führen. Diese ist nachweislich untrennbar mit einem Dopaminmangel verbunden – bei Menschen mit Parkinson ist die
Dopaminkonzentration im Gehirn bis zu 90 Prozent geringer als bei gesunden Menschen.
7
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
2
Therapien
2.1 Benzodiazepine bei Angst und nervöser Unruhe
Aus andauerndem Stress ohne Erholungsphasen kann sich eine chronische Angstsymptomatik entwickeln. Darüber hinaus sind
nervöse Unruhezustände häufig die Folge von Stress.
Zur Behandlung von nervöser Unruhe und Angst werden heutzutage meist Benzodiazepine eingesetzt, die zu den rezeptpflichtigen
Wirkstoffen gehören und daher ausschließlich vom Arzt verordnet werden dürfen.
Zu den wichtigsten Wirkstoffen mit beispielhaftem Handelsnamen zählen8:
Wirkstoff
Diazepam
Chlordiazepoxid
Prazepam
Oxazepam
Lorazepam
Alprazolam
Bromazepam
Clonazepam
Handelspräparat
z. B. Diazepam ratiopharm®
z. B. Librium®
z. B. Demetrin®
z. B. Adumbran®
z. B. Tavor®
z. B. Tafil®
z. B. Lexostad®
z. B. Rivotril®
Wirkmechanismus von Benzodiazepinen8
Benzodiazepine greifen am GABA-System an, wobei sie die hemmende Funktion GABAerger Neurone verstärken. So steigern die
Benzodiazepine die Bindungsfähigkeit von GABA zu ihren Rezeptoren und verstärken dadurch die GABA-Wirkung. Diese kommt
dadurch zustande, dass die Öffnungswahrscheinlichkeit von Chloridkanälen erhöht wird, wodurch vermehrt Chloridionen in die
Zelle einströmen. Dies bewirkt eine Hyperpolarisation (Steigerung der Membranspannung an einer Nervenzelle) der entsprechenden Zellen mit der Folge der verminderten Erregbarkeit.
MERKE: Benzodiazepine verstärken die Wirkung von ƴ-Amino-Buttersäure (GABA) mit folgender Wirkung auf den
(menschlichen) Organismus:
Abb.: Wirkweise von Benzodiazepinen, Quelle: DAP
WIRKUNG DER BENZODIAZEPINE
beruhigend (sedativ)
schlaffördernd (hypnotisch)
krampflösend (antikonvulsiv)
angstlösend (anxiolytisch)
zentral muskelrelaxierend
8
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotential
Aufgrund der zentral dämpfenden Wirkung der Benzodiazepine kann es zu einigen Nebenwirkungen kommen: Müdigkeit, Störungen der Bewegungskoordination, Benommenheit, Schwindel und Einschränkungen der intellektuellen Leistungsfähigkeit. Bei
älteren Patienten kann es aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung zu schweren Stürzen kommen. Bei langandauernder Einnahme werden Appetitssteigerungen mit Gewichtszunahme, Libidoverlust sowie Ovulations- und Zyklusstörungen beobachtet.
Besonders problematisch ist jedoch die Gewohnheitsbildung (psychische Abhängigkeit). Sie äußert sich darin, dass es – insbesondere nach längerer Einnahme – beim (plötzlichen) Absetzen des Präparates zu vermehrter Angst oder Schlaflosigkeit kommt und
die Patienten daher erneut zu dem Arzneimittel greifen. Man muss daher zur Vermeidung eines Rebound-Effektes (Wiederaufleben)
die Therapie langsam absetzen.
Zusatzinfo9: Im Jahr 2010 wurden in Deutschland fast 10 Millionen Packungen Benzodiazepine verschrieben. 1,1 bis 1,2 Millionen
Menschen in Deutschland sind abhängig von Benzodiazepinen, das sind 80 % aller Medikamentenabhängigen.
2.2 Antidepressiva8
Unter Antidepressiva versteht man Wirkstoffe, die depressive Symptome zu bessern vermögen. Sie wirken wirkstoffabhängig in
unterschiedlichem Ausmaß:
•depressionslösend, stimmungsaufhellend
•psychomotorisch aktivierend
•dämpfend
Unter anderem aufgrund ihrer unterschiedlichen Wirkmechanismen unterscheidet man diverse Gruppen von Antidepressiva:
Gruppe
Tricyclische Antidepressiva
Status
Rezeptpflichtig
Wirkstoffe
Imipramin, Trimipramin, Clomipramin,
Opipramol, Amitriptylin, Amitriptylinoxid,
Nortryptilin, Doxepin
Tetracyclische Antidepressiva
Selektive Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
(SNRI = serotonin/noradrenaline reuptake inhibitors)
Rezeptpflichtig
Rezeptpflichtig
Mianserin, Mirtazapin, Maprotilin
Venlafaxin, Duloxetin
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
(SSRI = selective serotonine reuptake inhibitors)
Rezeptpflichtig
Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin,
Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin
Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
(NRI = noradrenaline-reuptake inhibitor)
Rezeptpflichtig
Reboxetin
Monoaminooxidase-Hemmer
Melatonin-Derivate
Johanniskrautextrakt
Rezeptpflichtig
Rezeptpflichtig
Nicht rezeptpflichtig
Trancylpromin, Moclobemid
Agomelatin
Hyperforin
Wirkmechanismen
In zahlreichen Untersuchungen (sowohl experimentell als auch klinisch) wurde nachgewiesen, dass alle Antidepressiva in den
Neurotransmitter-Stoffwechsel und/oder die Neurotransmitter-Rezeptor-Wechselwirkung eingreifen.
Dabei hemmen zahlreiche Antidepressiva die Wiederaufnahme von Noradrenalin und/oder Serotonin aus dem synaptischen Spalt,
wobei diese „Reuptake-Blockade“ bei den einzelnen Wirkstoffen verschieden stark ausgeprägt ist.
Als weiterer Angriffspunkt von Antidepressiva sei die Blockade von Neurotransmitter-Rezeptoren genannnt (z. B. α-adrenergen,
9
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
serotonergen, histaminergen und dopaminergen), wodurch das Wirkprofil wesentlich mitbestimmt wird, z. B. sedierende Wirkung
durch Hemmung des Histamin-H1-Rezeptors (Protein aus der Familie des Histamin-Rezeptoren).
Einige tricyclische Antidepressiva (z. B. Amitryptilin) unterdrücken ferner die Öffnung von Natriumkanälen in der Zelle. Einen
anderen Wirkmechanismus als bisher beschrieben besitzt der zuletzt in die Therapie eingeführte Wirkstoff Agomelatin. Er wirkt als
Agonist an Melatonin – sowie als Antagonist an 5-HT2-Rezeptoren (Serotonin-Rezeptoren).
WICHTIG: Der antidepressive Effekt tritt bei der Einnahme aller Antidepressiva in der Regel erst nach einer Einnahmedauer von
2–4 Wochen auf!
2.3 Therapien im Rahmen der Selbstmedikation
Sowohl leichte depressive Verstimmungen als auch nervöse Unruhezustände und Angstzustände wie z. B. Prüfungsangst, Flugangst oder Angst vor Operationen lassen sich auch im Rahmen der Selbstmedikation gut behandeln. Zur Behandlung dieser
Beschwerden stehen verschiedene pflanzliche Wirkstoffe zur Verfügung, die nebenwirkungsarm sind und deren Wirksamkeit im
Rahmen von klinischen Studien nachgewiesen wurde.
Sie können daher als erste Behandlungsoption bei leichten Beschwerden dienen oder aber als sanfte Alternative zu einer bereits
bestehenden Therapie fungieren. Folgende Heilpflanzen finden in der Selbstmedikation Anwendung:
•Melisse (Melissa officinalis)
•Hopfen (Humulus lupulus)
•(Arznei)Lavendel (Lavandula angustifolia)
•Passionsblume (Passiflora incarnata)
•Echtes Johanniskraut (Hypericum perforatum)
•Baldrian (Valeriana officinalis)
Im Folgenden werden die drei Heilpflanzen Passionsblume, Echtes Johanniskraut und Baldrian und deren arzneiliche Wirkung
vorgestellt.
2.3.1 Passionsblumenkraut10
Die meisten Arten der Passionsblume kommen aus Südamerika. Eine der wenigen Ausnahmen und die medizinisch interessanteste Art stammt Nordamerika – Passiflora incarnata. Die
Passionsblume verdankt ihren Namen dem komplexen Aufbau
ihrer Blüte. In den farbigen Blütenblättern sahen fromme
Missionare die Verkörperung der Leidesgeschichte Christi.
(Passiflora – lat. von pati „erdulden, erleiden“; passio „das
Leiden“; incarnata – „die Fleisch gewordene“). Aufgrund ihrer
interessanten Kultur- und Medizingeschichte und ihrer vielseitigen Wirksamkeit wurde die Passionsblume zur Arzneipflanze
des Jahres 2011 gekürt.
Die Wurzeln wurden bereits in der Volksmedizin der Ureinwohner innerlich und äußerlich als Heilmittel verwendet. Doch erst
die Spanier nutzten gezielt die beruhigende Wirkung der
krautigen Pflanzenteile.
Hochdosierter (425 mg) Passionsblumenkraut-Trockenextrakt
wird zur Behandlung von nervöser Unruhe, innerer Anspannung,
10
Abb.: Passiflora, Quelle: Pascoe
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Ruhelosigkeit und nervösen Einschlafstörungen eingesetzt. In stressbelasteten Situationen wie vor Prüfungen, vor Operationen
oder auch vor Flugreisen wirkt er beruhigend.
Der beruhigende, angstlösende Effekt von Passiflora incarnata ist vermutlich den in der Pflanze enthaltenen Flanvonoiden zu
verdanken. Passionsblumenkrautextrakt beeinflusst positiv die beruhigende, entspannende Wirkung des Neurotransmitters GABA.
MERKE: Die Passionsblume verstärkt die Wirkung von GABA und wirkt
•angstlindernd
•beruhigend
•entspannend
Wissenschaftliche Empfehlungen und Ergebnisse
Forschungsergebnisse aus klinischen Studien belegen das traditionelle Wissen über die Wirksamkeit
von Passionsblume zur Behandlung von nervöser Unruhe und Angst:
•Gemäß dem Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel der European Medicines Agency (Europäische Arzneimittel-Agentur)
werden Arzneimittel auf der Basis der Passionsblume traditionell zur Linderung leichter Symptome von psychischem Stress und
zur Schlafförderung bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren angewendet.11
•In der Monographie der Kommission E (1990) wird die Verwendung von Passiflora-incarnata-Kraut zur Behandlung
von nervöser Unruhe empfohlen.12
•Laut der ESCOP-Monographie (European Scientific Cooperative on Phytotherapy) wird es erfolgreich
bei Anspannung, Ruhelosigkeit und Einschlafstörungen angewandt.13
Vergleichbarkeit mit dem Benzodiazepin Oxazepam bei leichten Angststörungen
Passionsblumenkrautextrakt wurde im Rahmen einer klinischen Studie mit der Wirksamkeit von Oxazepam verglichen:
Das Ergebnis war, dass bei Patienten mit leichten generalisierten Angststörungen der Passionsblumenkrautextrakt eine ähnliche
Wirkung wie Oxazepam erzielte, bei gleichzeitigem Erhalt der Leistungsfähigkeit im Arbeitsalltag.14
Aufgrund der guten Verträglichkeit und der vergleichbaren Wirkung könnte der pflanzliche Passionsblumenkrautextrakt bei dieser
Indikation demnach eine gute Alternative zu Benzodiazepinen sein ohne eine Gefahr der Abhängigkeit. Damit eignet sich der
pflanzliche Extrakt auch zur Langzeitanwendung. Da außerdem keine Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bekannt sind,
können die Extrakte sowohl als Monotherapeutikum als auch in Kombination mit anderen Heilpflanzen eingenommen werden.
2.3.2 Johanniskraut
Das Echte Johanniskraut (Hypericum perforatum) ist in Europa
heimisch – mittlerweile aber auch sonst überall auf der Welt zu
finden. Weil sich die gelben Blüten kurz vor dem Geburtstag
Johannes des Täufers (24. Juni) öffnen, erhielt die Pflanze seinen
Namen. Bereits in der vorchristlichen Zeit wurden diverse
Bestandteile des Johanniskrautes geerntet und zur Behandlung
von Hautproblemen, Wunden oder Gicht verwendet. Im späten
Mittelalter erkannte man dann, dass die Pflanze auch das Gemüt
erhellen kann: Echtes Johanniskraut ist bis heute ein pflanzliches
Heilmittel gegen depressive Verstimmungen. Aufgrund der
großen Bedeutung des Echten Johanniskrauts in der Pflanzenheilkunde, vor allem wegen seiner stimmungsaufhellenden Wirkung,
wurde Johanniskraut (Hypericum perforatum) zur Arzneipflanze
des Jahres 2015 gekürt.
11
Abb.: Johanniskraut, Quelle: fotolia
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Das Wirkprinzip von Johanniskrautextrakt ähnelt demjenigen trizyklischer Antidepressiva: Hypericum steigert die Konzentration
von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt – also derjenigen Neurotransmitter, die bei einer Depression
erniedrigt sind.15 Neben verschiedenen Flavonoiden und Bioflavonen enthält Johanniskraut die Inhaltsstoffe Hypericin sowie
Hyperforin.
Johanniskraut ist zu einem Klassiker in der Behandlung von Depressionen geworden. Aufgrund seiner nachgewiesenen Wirksamkeit bei leichter bis mittelschwerer Symptomatik wurde Johanniskraut 2009 in die S3-Leitlinie „Unipolare Depression – Nationale
VersorgungsLeitlinie“ aufgenommen.17
Johanniskraut steigert die Serotonin-Neurotransmission und führt so zu einer Verbesserung der Stimmung, allerdings setzt der
gewünschte Effekt erst nach einer Behandlungsdauer von 10–14 Tagen ein.
2.3.3 Baldrianwurzel
Abb.: Baldrian, Quelle: fotolia
Baldrian (Valeriana officinalis) wächst in Europa, Nordamerika
und Asien und kann bis zu zwei Meter hoch werden. Arzneilich
verwendet wird die Wurzel, die beim Trocknen einen kräftigen
Geruch absondert, der die meisten Menschen abstößt, Katzen
jedoch magisch anzieht. Baldrian hat deshalb auch den Namen
Katzen- oder Stinkkraut. Verantwortlich für den charakteristischen Geruch sind Öle und Valeronsäuren.
Die in der Wurzel enthaltenen Lignane (sekundäre Pflanzenstoffe) docken an bestimmte Gehirnrezeptoren und beeinflussen
Botenstoffe des Zentralnervensystems. Baldrian wird bei
Unruhe und Anspannung eingesetzt. Er beruhigt ohne müde zu
machen. Trotzdem hilft er beim Einschlafen, weil er die schlafhemmende innere Anspannung löst.
Arzneilich verwendet werden vor allem Extrakte aus dem
Wurzelstock von Valeriana officinalis. Mit diesem Extrakt wurde
an Synaptosomen eine erhöhte Ausschüttung und außerdem
eine geringere Wiederaufnahme von GABA nachgewiesen.18
2.4 Im Fokus: Drei Heilpflanzenextrakte gegen leichte depressive Störungen mit nervöser Unruhe
Neben der Therapie mit Monopräparaten hat sich auch die Kombination aus den drei bereits genannten Heilpflanzen zur Behandlung von leichten, vorübergehenden depressiven Episoden mit nervöser Unruhe bewährt. Dadurch werden neben der Behandlung
der leichten Depression auch typische Begleitsymptome wie Schlafstörungen und nervöse Unruhe mit Angst mitbehandelt.
2
Dabei wirken die drei Heilpflanzen folgendermaßen:
1
Johanniskraut: stärkt die Nerven und hellt die Stimmung auf
2
Passionsblume: wirkt entspannend und beruhigend
3
Baldrian: hilft bei Unruhe und Einschlafstörungen
3
1
12
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Wirkmechanismus auf einen Blick:
•Johanniskraut steigert die Serotonin-Neurotransmission und führt so zur Verbesserung der Stimmung.
•Passionsblume und Baldrian aktivieren die GABA-Neurotransmission und wirken somit auf Symptome wie nervöse Unruhe, Angst und Schlafstörungen.
Abb.: Wirkung von Passionsblume, Baldrian und Johanniskraut im Gehirn, Quelle: Pascoe
3 Beratung in der Apotheke
3.1 Kunden mit einer Stresssymptomatik erkennen
Wenn über Stressbelastung gesprochen wird, ist von negativem Stress, dem sogenannten Disstress, die Rede. Denn nur dieser
macht auf Dauer krank.
Typische Stresssymptome können sein:
•Ständige Müdigkeit
•Erschöpfung oder Gereiztheit
•Schlafstörungen
•Nervosität
•Anspannung
Stress ist für viele heute ein Dauerzustand. Zunehmende Arbeitsverdichtung, ein lautes Umfeld, Mehrfachbelastung durch Beruf und
Familie – das alles kann auf Dauer zu typischen Stresssymptomen führen. Stress kann aber auch selbstgemacht sein, z. B. durch ein
gesteigertes Kontrollbedürfnis oder durch übertriebenen Perfektionismus – dies ist häufiger bei Frauen zu beobachten. Überhaupt
scheinen Frauen etwas anfälliger für Stress zu sein, denn von den 30 Prozent aller Menschen, die ein „Stressgen“ besitzen, sind 70
Prozent Frauen. Doch das Gen allein sagt noch nichts darüber aus, ob jemand stressbedingt erkrankt.21
13
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Entscheidend sind die individuellen Verhaltensweisen im Umgang mit Stress. Diese sogenannten Bewältigungsstrategien entscheiden
darüber, ob das Stressgen aktiviert wird.22
Manche Menschen haben von Geburt an eine „dickere Haut“. Sie reagieren in stressigen Situationen gelassen und bleiben gesund.
Andere müssen den Umgang mit Stress erst lernen, damit sie gesund bleiben. Dafür gibt es Mittel und Wege, beispielsweise psychologische Unterstützung oder auch Stressmanagementtrainings.
Im Rahmen des Beratungsgesprächs können Stressgeplagten auch folgende Tipps und Zusatzempfehlungen mitgegeben werden:
•Hören Sie auf Signale Ihres Körpers: Finden Sie heraus, was Ihnen wirklich gut tut und sorgen Sie für sich!
•Beurteilen Sie sich nicht zu streng, niemand ist perfekt.
•Entrümpeln Sie Ihren Terminkalender, befreien Sie eventuell auch Ihr gesamtes Umfeld von unnötigem Ballast.
•Bringen Sie mehr Ruhe in Ihr Leben, legen Sie bewusste Pausen ein.
•Schränken Sie Fernseh- und Computerkonsum ein – verbringen Sie stattdessen mehr aktiv-entspannte Zeit mit Freunden und Familie.
•Erlernen und praktizieren Sie eine Entspannungstechnik, die zu Ihnen passt (z. B. Yoga, Autogenes Training oder Tai-Chi) oder auch
Waldspaziergänge und Schwimmen.
3.2 Kunden mit einer depressiven Verstimmung erkennen
Depressive Phasen erlebt jeder Mensch – sie sind durch andauernde niedergedrückte Stimmung gekennzeichnet. Die Diagnosekriterien nach ICD-10 (deutsches Diagnoseklassifikationssystem) der Medizin führen drei Haupt- und eine Reihe häufiger Begleitsymptome auf:
Abb.: Diagnosekriterien einer depressiven Episode nach ICD-10,
Quelle: Pascoe
Hauptsymptome
gedrückte Stimmung
Interessen- und
Freudlosigkeit
Antriebsstörung
Andere häufige Symptome
Konzentrationsstörung
vermindertes Selbstwertgefühl
mind. 2 der Hauptsymptome
müssen vorhanden sein
2–4 der anderen Symptome
müssen vorhanden sein
14
Schuldgefühl
Hemmung/Unruhe
Selbstschädigung
Schlafstörung
Appetitminderung
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Schnelltest für Depressionen
Da es aufgrund der Komplexität der Symptome nicht besonders einfach ist, eine Depression zu diagnostizieren und das frühzeitige
Erkennen und die Behandlung für die Betroffenen besonders wichtig ist, hat eine Forschergruppe des Max-Planck-Instituts für
Bildungsforschung einen Schnelltest entwickelt, der die Erkennung von Depressionen erleichtert. Der Entscheidungsbaum besteht
aus vier Fragen – werden alle Fragen mit „Ja“ beantwortet, liegt der Verdacht einer klinisch relevanten depressiven Verstimmung
nahe.
Abb.: Schnelltest für Depressionen, Quelle und Copyright: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Entscheidungsbaum zum Test auf depressive Stimmung
Haben Sie diese Woche
mehr geweint als früher?
Nein
Keine klinisch
relevante Depression
Nein
Keine klinisch
relevante Depression
Nein
Keine klinisch
relevante Depression
Nein
Keine klinisch
relevante Depression
Ja
Waren Sie diese Woche
enttäuscht von sich oder
haben Sie sich gehasst?
Ja
Sahen Sie diese Woche
besonders mutlos in die
Zukunft?
Ja
Hatten Sie diese Woche
das Gefühl eine Versagerin
zu sein?
Ja
Klinisch
relevante Depression
15
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Beratung eines Patienten mit einer depressiven Verstimmung
Erhärtet sich der Verdacht einer Depression oder depressiven Verstimmung, so sollte auch nachgefragt werden, wie lange die
Symptome schon bestehen. Erst wenn die Symptome länger als zwei Wochen auftreten, weist dies auf eine behandlungsbedürftige
depressive Episode hin. Eine sichere Diagnosestellung ist nur mit Hilfe eines Facharztes möglich.
Pflanzliche Arzneimittel bieten im Rahmen der Selbstmedikation die Möglichkeit, die Beschwerden effektiv zu lindern, bei in der
Regel gleichzeitig guter Verträglichkeit. Daher sind sie auch für die Langzeitanwendung geeignet. Aber nicht nur die Arzneitherapie
ist wichtig, auch Zusatzempfehlungen können die Beschwerden verringern und die Therapie erleichtern.
Zusatzempfehlungen bei der Beratung können sein:
•Sport und Bewegung
•Übungen zur Entspannung (Meditation, Yoga, autogenes Training)
•Gespräche und soziale Kontakte
•vollwertige Ernährung
•ausreichend Licht (Bewegung an frischer Luft)
•genügend Freizeit für ausgleichende und/oder spannende Hobbys
•regelmäßige Schlaf- und Wachzeiten
3.3 Einnahmehinweise
Ist das richtige Arzneimittel für den Kunden gefunden, so ist es Aufgabe des Apothekenmitarbeiters, den Patienten kompetent zur
richtigen Einnahme zu beraten und ihn auf wichtige Produkteigenschaften hinzuweisen.
Johanniskraut – Einnahmehinweise23:
•Antidepressive Wirkung tritt erst nach 2–3 Wochen ein
•Wechselwirkung mit anderen Arzneimitteln → verstärkte Elimination bestimmter Wirkstoffe und Konzentrationserhöhung von
Serotonin möglich (siehe Fachinformation)
•Keine gleichzeitige Anwendung mit folgenden Stoffgruppen: Immunsuppressiva, Anti-HIV-Arzneimittel, Zytostatika und Antikoagulanzien
•Während der Behandlung Verzicht auf intensive UV-Bestrahlung (lange Sonnenbäder, Höhensonne, Solarien) → Sonnenschutz
empfehlen!
•Vorsichtshalber bei der Einnahme oraler Kontrazeptiva zusätzliche empfängnisverhütende Maßnahmen ergreifen
•Mögliche Veränderung des Reaktionsvermögens, so dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum
Bedienen von Maschinen beeinträchtigt sein kann (in verstärktem Maße in Kombination mit Alkohol)
Passionsblumenkrautextrakt und Baldrianwurzel – Einnahmehinweise:
•Mögliche Veränderung des Reaktionsvermögens, so dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum
Bedienen von Maschinen beeinträchtigt sein kann (in verstärktem Maße in Kombination mit Alkohol)
16
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
3.4 Hinweise zur Erstattungsfähigkeit zulasten der GKV
Präparate, die im Rahmen der Selbstmedikation eingesetzt werden, sind im Allgemeinen als apothekenpflichtige Arzneimittel im
Handel.
Abgabe bis zum 18. Geburtstag
Apothekenpflichtige Arzneimittel können nach § 34 SGB V (Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch) zulasten der gesetzlichen Krankenkassen abgegeben werden:
•Für alle Kinder und Jugendliche bis zum 12. Geburtstag
•Für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen auch bis zum 18. Geburtstag
Für den Fall, dass eine Entwicklungsstörung vorliegt, muss weder der Arzt dies auf der Verordnung angeben noch die Apotheke
nachprüfen. Das heißt, dass ein verordnetes apothekenpflichtiges Arzneimittel bis zum 18. Geburtstag eines Patienten zulasten
der gesetzlichen Krankenkasse auf Rezept abgegeben werden kann. Ausnahme: Es handelt sich um eine nicht erstattungsfähige
Jumbopackung.
Abgabe für Erwachsene
Apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel dürfen nur in Ausnahmefällen für Erwachsene zulasten der GKV
abgegeben werden. Die GKV-Erstattung hängt von den Vorgaben der Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie des G-BA (OTC-Übersicht) ab.
Apothekenpflichtige Arzneimittel, die zur Behandlung von Depressionen oder depressiven Verstimmungen bzw. zur Behandlung
von Stress und nervöser Unruhe verwendet werden, erfüllen diese Voraussetzungen nicht und können daher nicht zulasten der
Gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden.
ZUSATZINFO: Viele gesetzliche Krankenkassen bieten die Erstattung pflanzlicher, homöopathischer und anthroposophischer
Arzneimittel als freiwillige Satzungsleistung an. In der Regel werden die Kosten bis zu einem festgelegten Jahresbetrag übernommen. Hierfür muss das entsprechende Arzneimittel auf einem grünen Rezept verordnet sein. Der Patient bezahlt zunächst den
vollen Betrag (wie bei einem Privatrezept) und kann anschließend das bedruckte grüne Rezept zusammen mit der Quittung aus der
Apotheke bei der Krankenkasse einreichen.
Eine Übersicht der OTC-Satzungsleistungen verschiedener Krankenkassen kann hier eingesehen werden:
https://www.deutschesapothekenportal.de/rezept-retax/dap-retax-arbeitshilfen/otc-arzneimittel/bpi-liste-otc-satzungsleistungen-der-krankenkasse/
Ist das verordnete Arzneimittel keine Satzungsleistung der Krankenkasse, kann das grüne Rezept zusammen mit der Quittung aus
der Apotheke bei der Einkommenssteuererklärung des Patienten als Beleg für außergewöhnliche Belastungen eingereicht werden.
17
ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG
Stress und leichte Depressionen
natürlich behandeln
Quellen
1 Bundesministerium für Gesundheit, „Depression“, http://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/
depression.html, Erscheinungsdatum: 06.05.2016.
2 Bundesministerium für Forschung und Bildung: „Seele aus der Balance“ Grusswort v. Prof. Schavan, 2011.
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Stress (abgerufen am 06.12.2016).
4 https://www.pascoe.de/anwendungsbereiche/depression-stimmungsaufhellung/depressive-verstimmung.html (abgerufen am 06.12.2016).
5 Thompson RF, Das Gehirn, Spektrum Akademischer Verlag GmbH, 2001.
6 Förstl H, Hautzinger M, Roth G. Neurobiologie psychischer Störungen, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2006.
7 Gründer G, Benkert O, Handbuch der Psychotherapie, 2. Auflage 2012.
8 Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer H K, Menzel S, Ruth P, Mutschler Arzneimittelwirkungen, 10. Auflage 2013
9 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2012.
10Heilpflanzenporträt Passiflora incarnata, „Entspannung durch Pflanzenkraft“, Quelle: Pascoe, Erscheinungsdatum: 01.03.2016.
11EMA. Community herbal monograph on Passifloraincarnata L., herba. 2014.
12Kommission E. Monographie Passifloraeherba (Passionsblumenkraut). 1990.
13ESCOP Passifloraeherba. Passion flower. ESCOP Monographs. 2003.
14 Akhondzadeh S, Naghavi HR, et al. Passionflower in the treatment of generalized anxiety: a pilot doubleblind randomized controlled trial with
oxazepam. J Clin Pharm Ther 2001; 26 (5) S. 363-7.
15Weyers W, Svejkovsky W, Immel-Sehr A,Kreiss C,Beratung aktiv 2014/2015, 21. Auflage 2014: 81.
16Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer H K, Menzel S, Ruth P, Mutschler Arzneimittelwirkungen, 10. Auflage 2013.
17DGPPN, BAK, et al. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression. 2011.
18Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer H K, Menzel S, Ruth P, Mutschler Arzneimittelwirkungen 10. Auflage 2013: 193.
19Urlea-Schön I, Wartenberg-Demand A, et al. Efficacy of a triple herbal preparation in mild depressive disorders: results of a randomized placebo-controlled trial. Focus on Alternative and Complementary Therapies, 2009; 8(4): 551-2.
20Dimpfel W, Koch K, Weiss G: Early effect of NEURAPASR balance on current source density (CSD) of humanEEG BMC Psychiatry.2011; 11:123.
21Presseinformation „In der Ruhe liegt die Kraft: Stressoren entlarven und beseitigen, Quelle: Pascoe, Erscheinungsdatum: 01.02.2016.
22DeRijk R H*, Wüst S, Meijer O C, Zennaro M C, Federenko I S, Hellhammer D H, Giacchetti G, Vreugdenhil E, Zitman F G, de Kloet E R, „A Comon
Polymorphism in the Mineralcorticoid Receptor Modulates Stress Responsiveness”, The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 91(12):5083–
5089, 2006.
23Fachinformation Neurapas® balance, Stand 12/2012.
18
Herunterladen