Handout 5th Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) Jubiläums-Symposium 5 th Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren Am Donnerstag, 10. April 2014 fand die 5-Jahres-Jubiläumstagung der SGAD, dem «Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders» statt. Die Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) verfolgt mit diesem jährlichen Symposium eines ihrer wesentlichsten Ziele: die Verbreitung von Wissen über Diagnostik und Behandlung der häufigsten psychischen Störungen. An der diesjährigen Veranstaltung gaben namhafte Referenten ein Update zum State-of-the-Art der Angst- und Depressionsbehandlung unter Integration von Forschung und Zukunftstrends. Alt-Bundespräsident HansRudolf Merz eröffnete das Symposium mit einem Bericht über seine persönlichen Grenzerfahrungen. Die renommierte Direktorin der Kinderund Jugendpsychiatrie der Universität Zürich, Prof. Dr. med. Dipl.- Psych. Susanne Walitza gab anschliessend ein Update über die Behandlung von Depression und Angststörungen bei dieser speziellen Patientengruppe. Besonders freute uns, dass Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jules Angst seine Erkenntnisse aus jahrelanger epidemiologischer Forschung präsentierte und dass der Pionier der evidenzbasierten Psychiatrie, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. h. c. mult. Florian Holsboer darüber referierte wird, wie wir in 10 Jahren therapieren werden. Das Symposium schloss von Prof. Dr. med. Erich Seifritz ab, der die praxisrelevanten Aspekte von DMS-5 und ICD-11 beleuchtete. Freundliche Grüsse Prof. Dr. med. Edith Holsboer-Trachsler Dr. med. Josef Hättenschwiler Prof. Dr. med. Erich Seifritz Inhaltsverzeichnis Depression und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter: Was gibt es Neues? Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Susanne Walitza Epidemiologische Forschung: Aktuelles und Relevantes für die Praxis Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jules Angst Angst- und Depression: Wie therapieren wir in 10 Jahren Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. h. c. mult. Florian Holsboer DSM-5 und ICD-11: Was Sie für die Praxis wissen müssen Prof. Dr. med. Erich Seifritz Depression und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter: Was gibt es Neues? Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Susanne Walitza Angst und Depression im Kindes- und Jugendalter: Was gibt es Neues? Susanne Walitza KJPD Universitätsklinik Zürich Jubiläumstagung SGAD Häufigkeit im Kindesund Jugendalter • Angststörungen: bis 11.5% (31.9%) • Depressionen: 1-5% (14.3%) • ADHS: 2-5% (8.7%) Nach DSM-5 Merikangas et al., 2010 (face to face survey: 10,123 Jugendliche 13-18 J., USA) Häufigkeit im Kindes- und Jugendalter 11,5% der Kinder erfüllen in einem 12-Monatszeitraum die Kriterien für Angststörungen. Die häufigste Angststörung im Kindesalter (<12 J) ist die Trennungsangststörung (ca. 4%). 16 % der Jugendlichen erfüllen im 12-Monatszeitraum die Kriterien für spezifische Phobien, gefolgt von 7% für soziale Phobie. Die Prävalenzen sinken mit dem zunehmenden Alter. Generalisierte Angststörungen wurden bei 3-5 % aller Jugendlichen ermittelt Nach DSM-5, 2013, Burstein et al., 2014 Gesundheit und Lebensstil von Jugendlichen der Stadt Zürich, Schülerbefragung 2012/13 • Körperliche Beschwerden und Schmerzen Mehrmals pro Woche oder täglich: • ▸17 % Rückenschmerzen • ▸15 % Kopfschmerzen • ▸11 % Bauchschmerzen • ▸13 % andere Schmerzen • Mädchen leiden deutlich häufiger an Schmerzen als Knaben Jugendliche der 2. Sekundarstufe, N = 1844; Stadt Zürich, Schulgesundheitsdienste, Wiegand et al., 2014 Psychische Gesundheit Angst und Depression • Bei 16 % der Jugendlichen Hinweise auf Angststörungen • Bei 17 % der Jugendlichen Hinweise auf depressive Symptome • Mädchen leiden häufiger an depressiven Verstimmungen und Ängsten als Knaben Jugendliche der 2. Sekundarstufe, N = 1844; Fragebogen: PHQ-4 (phqscreeners.com) Stadt Zürich, Schulgesundheitsdienste, Wiegand et al., 2014 Bsp. Diagnostik von Angst im Kindes- und Jugendalter • Anamnese und klinischer Verlauf • Fragebögen: CBCL oder YSR: «internalizing problem scales» haben sehr gutes Diskriminationspotential (van Meter et al., 2014) • SDQ • Kiddie Sads, Preschool Age Psychiatric Assessment • Angstspezifische Instrumente Bsp. Diagnostik von Depression im Kindes- und Jugendalter • (Fremd-) Anamnese, Exploration • Beobachtung • CBCL, YSR, SDQ (Screening) • Spezifische Diagnoseinstrumente – Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche (DIKJ) – Depressionstest für Kinder (DTK) – Beck Depressionsinventar (BDI) – Allgemeine Depressionsskala (ADS) Angst und Depression im Vorschulalter Kindergartenreihen-Untersuchung: N = 231 (3.1 bis 5,3 J.), Instrumente: SDQ, Preschool Age Psychiatric Assessment • Angststörungen > 30%, depressive Störungen 2.2-5%. Kinder mit Angststörungen waren über die Störung hinaus kaum auffälliger als gesunde Kinder. • Kinder mit Depression bzw. Depression und Angst, zeigten deutliche Auffälligkeiten (höhere Beeinträchtigung, psych. Komorbiditäten, negativeres Familienklima). • Das Erzieherurteil wich stark vom Elternurteil ab. Otto et al., 2014 Behandeln von Angststörungen und depressiven Störungen im Kindes- und Jugendalter Therapie • Psychoedukation • Verhaltens- / Psychotherapie • Medikamentöse Therapie Psychoedukation Z.B. Ursachen Angststörungen Für Trennungsangst findet man bei eineiigen Zwillingen eine Konkordanz bis 70% DSM-5, 2013 Modell zur Entwicklung von kindlichen Angststörung Biologie: Genetik ( bis 70%) Temperament Eltern: Psych. Probleme Erziehungsverhalten Ängstliches, unsicheres Kind Gedanken, Gefühle, soziale Fertigkeiten des Kindes Soziale Lernerfahrung Überforderung Maur-Lambert, Landgraf & Oehler, 2003 Psychoedukation für das Kind S. Schneider Wie fühlt sich Angst an? Herzklopfen komisches Gefühl im Magen Schwindel Psychoedukation für das Kind Wie fühlt sich Angst an? ich werde verrückt ich werde sterben 1. Zusammenfassung: Therapie Angst KJP • Kognitive Verhaltenstherapie: Evidenzgrad I und 1. Wahl bei Kindern und Jugendlichen • Einbezug der Eltern: Wird empfohlen, hier ist Evidenz nicht eindeutig belegt • Medikation mit SSRI: Bei erfolgloser Psychotherapie, sehr schweren Fällen oder um Teilnahme an Psychotherapie überhaupt zu ermöglichen Leitlinien DGKJPP, 2007, ZHAW, 2010, DSM-5 Angst: Ergebnisse zur kognitiven Verhaltenstherapie bei Kindern • 41 RCTs (1806 Kinder und Jugendliche mit milder oder moderater Angst) verglichen mit einer Warteliste (N = 1350) signifikant bessere Outcomewerte, NNT: 6 • Verglichen mit anderen aktiven Therapien (N = 426 Patienten) keine höhere Effektivität. • Cochrane Conclusion: limitierte Evidenz, dass CBT besser ist als andere aktive Therapien Cochrane, James et al., 2014 PTSD bei Kindern und Jugendlichen • 14 Studien mit 758 Kindern und Jugendlichen. • Angst, Depression, die störungsspezifische Symptomatik verbesserte sich unter CBT und anderen Psychotherapien verglichen mit einer Kontrollgruppe. • CBT schnitt im Vergleich am besten ab. Nebenwirkungen wurden nicht berichtet. • Keine Aussage über Art der Traumata möglich Cochrane; Gillies et al, 2012 Soziale Phobie Therapie-Materialien • • • • • • Konzentriert sich auf die kognitiven Anteile der Therapie für Kinder zwischen 7-12 Jahren ca. 20 Sitzungen, im wöchentl. Abstand 4 Elternsitzungen. Dauer von 50-60 Minuten Therapie am Beispiel Soziale Phobie • Identifikationsfigur (z.B. Froschpuppe) • Externalisierung der Angst: Angstmonster • Vermittlung eines Erklärungsmodells der Angst • Entwicklungsanpassung • Starke Problemorientiertheit • Hausaufgaben • Graduierter Familieneinbezug • Booster sessions • Cognitive behavioral therapy of socially phobic children focusing on cognition: a randomised wait-list control study: • Signifikant bessere Ergebnisse störungsspezifisch und übergreifend als Werte Kontrolle, niedrige Abbruchrate DFG, Melfsen et al., 2011 Melfsen und Walitza 2012 Melfsen, Walitza 2012 Gruppen-Verhaltenstherapie bei Sozialphobie • Photo von Kind in der Gruppentherapie Innovative Behandlungen im Kindesalter Kognitive Verhaltenstherapie Ricky and the Spider Medikation Antidepressiva, SSRIs • Angst: 6 Studien (562): • Zwang: 6 Studien (363): • Depression: 15 Studien (1552): NNT 3 NNT 6 NNT 10 • bei Kindern unter 12 Jahren: nur Fluoxetin positiver Effekt Bridges et al., 2007; Metaanalyse SSRI bei Angst, Depression, Zwang Medikamentöse Therapie Angst KJP • 22 Therapien (< 16 Wochen) RCTs (N =2519) • 14 dieser Studien untersuchten SSRIs: Medikation ist Plazebo überlegen (58.1% vs 31.5%) • Abbruchrate war mit 4.9% niedrig • Imipramine und Benzodiazepine werden nicht empfohlen Cochrane Database 2009: Ipser et al. 2009 Medikamentöse Therapie Angst KJP • 14 trials aus der Cochrane Analyse 2009 plus 2 neue Studien • Fluoxetine, Fluvoxamine, Paroxetine, Sertraline, Venlaflaxine im Vergleich • Alle SSRIs waren Plazebo überlegen • Fluvoxamine gefolgt von Fluoxetin erreichten die besten Werte bei der Response und Verträglichkeit • Venlaflaxine schnitt schlechter ab als die SSRIs Uthman & Abdulmalik 2010 Zusammenfassung: Therapie Depression KJP • Kognitive Verhaltenstherapie /CBT: Evidenzgrad I/II und 1. Wahl bei Kindern und Jugendlichen • Interpersonelle Therapie (IPT) • Medikation mit SSRI: Bei erfolgloser Psychotherapie, sehr schweren Fällen zusammen mit CPT oder IPT Leitlinien Depression S3 DGKJP 2013, ZHAW, 2010, DSM-5 Psychotherapie CBT • Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) bei leichten bis schweren Depressionen • Zur Akut- und Langzeitbehandlung • Effektivität geringer als bei Angststörungen* DGKJPP 2007, 2013; *Bachmann et al., 2008, Dolle, Schule-Körne et al., 2013 Psychotherapie CBT • Effektstärken für CBT mittel bis klein (0.53*) • Problem: Module wenig auf Kinder und Jugendliche adaptiert, Empfehlung ab 10 Jahren**. • Einbezug der Eltern (Evidenz noch nicht ausreichend***), aber empfohlen auch wegen familiärer Belastung** *Klein et al., 2007 Metaanalyse, **Seiffge-Krenke, 2007 *** Carr et al., 2008 TADS, 2007 • gemessen mit CGI-I zeigten sich folgende Raten des Ansprechens: Kombination: 71.0% Fluoxetin allein: 60.6% kognitive VT allein: 43.2% Placebo: 34.8% • gemessen als numbers needed to treat (NNT): • Kombination: NNT = 3 • • Fluoxetin allein: NNT = 4 kognitive VT allein: NNT = 12 Psychotherapie IPT • Interpersonelle Therapie (IPT) nach DGKJPP Leitlinien bei leichter und mittelschwerer Depression • Kaum randomisierte Untersuchungen im Kindesund Jugendalter • Effektstärken ähnlich gross wie bei KVT z.B. Carr et al 2008; Cheung et al., 2007 Young et al., 2006 Trizyklische AD für die Behandlung von Kindern • 14 RCT (590 Kinder 6-18 J). Keine antidepressive Wirkung, keine Verbesserung gegenüber Placebo. Hinsichtlich einiger Nebenwirkungen wie Übelkeit, trockener Mund, orthostatischer Dysregulation schnitten die AD deutlich schlechter ab als Placebo • Zusammenfassung Tricyclische AD sind nicht für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen empfohlen Cochrane update of 2002, 2006, 2010 Hazell and Mirzaie 2013 Cochrane Depression verschiedene Interventionen 10 RCTs mit Kindern und Jugendlichen (6-18 J., N = 1235) mit DSM- oder ICD-Diagnose einer depressiven Störung • Conclusion Cochrane: limitierte Evidenz für Psychotherapie, Medikation und Kombination bei Kindern und Jugendlichen Weitere RCTs mit ausreichender Teststärke werden benötigt. • Unter Einschluss von 6-25-jährigen: Eine begrenzte Anzahl an Studien fand, dass Medikation die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen/Rezidiven senkt. Cochrane: Cox et al., 2012a und b Multiple Treatment Metaanalyse Kinder und Jugendliche mit Depression 21 RCTs (4969 Kinder und Jugendliche) • Kombination Fluoxetine/CBT zeigte die höchste Effektivität, Fluoxetin > CBT • Die Akzeptanz und Verträglichkeit war jedoch höher für Sertraline, Paroxetin, Escitalopram und Venlafaxine gegenüber Fluoxetin und Kombination mit Fluoxetin • Mirtazapine und Venlafaxine schnitten bezüglich Sicherheit sehr gut ab Zusammenfassung: von Zhang und Zhang: Sertraline und Mirtazapin zeigen ein sehr gutes Wirkungs-, Nebenwirkungsprofil und werden in dieser Arbeit als erste Wahl empfohlen Cochrane eingeschlossen: Zhang and Zhang 2014 Cochrane Depression 2014 • «Paroxetine versus other anti-depressive agents for depression» • erste Response (1-4 Wochen): Mirtazapin> Paroxetin> Reboxetin • Behandlung der akuten Phase (6-12 Wochen) : Citalopram > Paroxetin, sonst keine Unterschiede zu anderen SSRIs Cochrane: Purgato et al., 2014 SSRIs kein Unterschied für Suizidrisiko für Kinder und Jugendliche Retrospektive Kohortenstudie (mehr als 36.000 Kinder- und Jugendliche = Neuanwender von SSRIs: Sertralin, Paroxetin, Citaopram. Escitalopram, Venlafaxin im Vergleich zur 1. Wahl Fluoxetin) Zwischen 1996 bis 2005: 419 Suizidversuche, kein Unterschied in Abhängigkeit vom Medikament. Nur wenn Kombinationen von Medikamenten , dann mehr Suizidversuche als unter Fluoxetin Cooper et al., 2014 Zulassung für SSRIs Kindes und Jugendalter • Fluoxetin (Fluctine®): Schweiz nicht unter 18 J empfohlen; D: 8 J. für Zwänge und mittelgradig bis schwere Depression; USA ab 7 Jahren für Depression • Fluvoxamin (Floxyfral junior®): Schweiz ab 8 J für Zwänge; USA ab 8 Jahren für Depression, ab 7 Jahren für Zwänge, D: 8 Jahre Zwänge • Sertraline (Zoloft®): Schweiz ab 6 J für Zwänge; D.: nicht zugelassen; USA 6 Jahre Zwänge • Citalopram, Escitalopram Cipralex® nicht zugelassen unter 18 J. • Paroxetin Deroxat ®nicht zugelassen unter 18 J. • Johanniskraut: Deprivita ®: Schweiz: keine Zulassung unter 18J.; D: depressive Verstimmung und Angst ab 12 Jahren Für Schweiz: Arzneimittelkompendium 2011 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Epidemiologische Forschung: Aktuelles und Relevantes für die Praxis Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jules Angst 09.04.2014 Epidemiologie von Angststörungen und affektiven Störungen Jules Angst Department of Psychiatry, Psychotherapy and Psychosomatics Psychiatric Hospital, University of Zurich [email protected] Zürich Studie 1978-2008 Alter 19 Männer Frauen 2201 2346 Alter 20 1978 Screening 20 292 299 21 1979 Interview 21 234 270 22 1980 Fragebogen 22 220 236 23 1981 Interview 27 225 232 28 1986 Interview 29 200 224 30 1988 Interview 34 192 215 35 1993 Interview 40 162 205 41 1999 Interview 49 144 191 50 2008 Interview 57% 57% 1 09.04.2014 ZH-Study Cumulative incidence rates Cumulative incidence rates of depression and mania/hypomania (ages 20/21 to 49/50) 40 34.79 35 29.31 30 23.62 Percent 25 19.4 20 Major Depression 14.56 Mania/Hypomani a 15 9.91 10 5 4.07 2.96 3.81 4.5 1988 1993 5.38 6.33 0 1979 1981 1986 1999 2008 Assessment Wave 2 09.04.2014 Kumulative Häufigkeiten (% Inzidenzen) von Angstzuständen vom 20.-50. Altersjahr Generalisierte Angst Panik Kumulative Häufigkeiten (% Inzidenzen) von Phobien vom 20.-50. Altersjahr Agoraphobie Soziale Angst/ Phobie Spezifische Phobie 3 09.04.2014 Kumulative Inzidenz der Angststörungen (Panik, GAD, Phobien) Phobien und Angstzustände Kumulative Inzidenz bis zum 50. Altersjahr % 25 22.28 20 18.37 15 12.3 10 7.63 5.27 5 0 Agoraphobia Social Phobia Specific Phobia Panic Disorder GAD 8 4 09.04.2014 Lebenszeit-Behandlungsprävalenz in %: Depression und Angststörungen 50 43.98 45 40 34.08 35 33.75 28.42 30 25 23.89 M 22.93 F M+F 20 15 9.05 10 5.32 7.22 5 0 Depression Anxiety/Panic Phobia Twelve-month prevalence rates of broad diagnostic categories 35 30 25 20 Mood disorder % Anxiety disorder 15 SUD w/o tobacco dep. 10 5 0 age 20-28 29-35 40-50 5 09.04.2014 Presence of diagnoses across three decades of life (20-29, 30-39, 40-49) % unweighted 100 Mood 90 Anxiety/Panic attachs 78.2 80 Phobias 65.5 70 63.2 60 50 40 26.9 30 26.3 17.2 20 7.6 10 10.5 3.9 0 1x 2x 3x moodzhdsm8 Diagnoses and anxious personality (gender difference p<.09) anxious (von Zerssen) mean 50 40 31.5 30 28.3 23.4 18.6 20 10 0 MDD unpublished BP-II BP-I M/Md p<.0001 6 09.04.2014 Ängstliche Persönlichkeit und Überleben Im Jahr 2009 noch am Leben % 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 22.0 8.4 kaum ängstl. (107) 11.0 6.7 leicht ängstlich ziemlich (90) ängstlich (107) sehr ängstlich (98) p<.005 Mixed anxiety and depression disorder • Proposed by David Goldberg, Institute of Psychiatry, London • Not approved by DSM-5 Proposed definiton: • 5/9 depressive symptoms plus 2 or more anxiety symptoms: Nervous and anxious, uncontrolled worrying, difficulties to relax, restless/not keeping still, fear that something awful will happen • 2 weeks’ duration • Causing some disability or signif. impairment in functioning 7 09.04.2014 Zurich Study: Comorbidity of GAD 1 mth.: (N=104) Numbers are Odds Ratios 3.37 (***) Suicide attempts Sedatives 3.07 (***) UP MDD 1.67 n.s. 60 BP MDE 50 3.69 (***) 40 Panic attacks 30 3.16 (***) 20 10 0 Drugs 1.30 Agoraphobia 2.50 (***) Alcohol 2.17 (***) Social phobia 2.20(**) Neurasthenia 3.93 (***) Binge eating 1.74 (*) Specific phobia 2.39 (***) Obs.-comp. 1.99 (*) Zurich Study: Comorbidity of panic attacks: (N=102) Numbers are Odds Ratios Suicide attempts 3.48 (***) Sedatives 2.85 (***) UP MDD 1.40 60 50 40 30 BP MDE 3.40 (***) GAD 3.17 (***) 20 Drugs 0.95 10 0 Alcohol 1.55 Neurasthenia 2.92 (***) Binge eating 1.83 (*) Agoraphobia 3.61 (***) Social phobia 4.88 (***) Specific phobia 2.76 (***) Obs.-comp. 2.43 (**) 8 09.04.2014 Zurich Study Comorbidity Panic attacks (N=102) vs. GAD (104) UPMDD 60 Suicide attempts 50 BPMDE 40 Sedatives Agoraphobia 30 20 10 0 Drugs Social phobia Alcohol Specific phobia Neurasthenia Obs.-comp. Binge eating Panic attacks GAD Zurich Study: Comorbidity of MDD (N=104) (broad ZH criteria for bipolarity) 1979-2008 Numbers are Odds Ratios, unweighted GAD 1.5 60 3.0*** Suicide attempts 50 Panic attacks 1.5 40 2.0* Sedatives Agoraphobia 30 1.1 20 1.6 Drugs 10 0 Social phobia 0.9 Alcohol 2.6*** Simple phobia 1.7 1.5 Obs.-comp. 1.7 Neurasthenia Binge eating 1.1 9 09.04.2014 Zurich Study: Comorbidity of BP-II: broad ZH criteria (N=107) 1979-2008 Numbers are Odds Ratios, unweighted 3.7*** Suicide attempts GAD 60 3.9*** 50 Panic attacks 3.4*** 40 2.9** Sedatives 30 Agoraphobia 2.95* 20 2.0* Drugs 10 0 3.8*** Alcohol 3.5*** Social phobia 2.1** Simple phobia 2.5*** Neurasthenia Obs.-comp. Binge eating 2.7** 3.6*** Zurich Study Comorbidity 1979-2008 MDD (N=104) vs. BP-II (N=106) GAD 60 Suicide attempts 50 Panic attacks 40 Sedatives 30 Agoraphobia 20 10 Drugs 0 Alcohol Social phobia Simple phobia Neurasthenia Obs.-comp. Binge eating BP-II MDD 10 09.04.2014 NCS-R: Comorbidity of BP-II (N=627) and MDD (N=977) in Numbers are Odds Ratios of D(m) vs. MDD 1.4* Panic 2.9* ADD 2.5* 1.5* Drug abuse 2.4* 70 60 50 40 30 20 10 0 Agoraphobia 2.1* Simple phobia Tobacco dep. Social phobia 2.4* AUD GAD 1.7OCD PTSD 1.7* 2.2* 1.5* BP-II MDD Temporal criteria for GAD syndromes in Zurich Study • • • • • 6 months (DSM-III-R, DSM-IV, DSM-5) not validated 3 months not validated 1 month (DSM-III) not validated 2 weeks (validated ZH Study, unpublished) Under 2 weeks, occurring about monthly over the last twelve months (RBA=recurrent brief anxiety)* • Subjects treated for anxiety but not during interview years • Others *Angst, J. (1992). Recurrent brief psychiatric syndromes of depression, hypomania, neurasthenia, and anxiety from an epidemiological point of view. Neurology, Psychiatry and Brain Research 1, 5-12. 11 09.04.2014 Zurich Study - GAD spectrum weighted prevalence and treatment prevalence (cumulative lifetime up to age 50) % 20 ↓ ↓ 15 12.7 12.7 10 7.5 6.2 5 4.8 5.4 4.6 3.2 3.3 3.3 1.7 1.3 0 6 mths 3 mths 1 mth 2 wks RBA LT trtmt small N=20 RBA=Recurrent brief anxiety GAD spectrum: % treatment during interview years anxiety/panic and depression % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 GAD 100 ↓ ↓ 79 ↓ 74.7 65.2 60.9 51.2 6 mths (43) 3 mths (23) Groups 1-5: p=n.s. 70.4 58.3 53.1 50 50 1 mth (38) 2 wks (24) RBA (81) 56.5 LT trtmt (92) RBA=Recurrent brief anxiety 12 09.04.2014 GAD spectrum distress (0-100) by depression and anxiety/panic (maxima of 7 interviews) % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 82.8181.09 81.74 84.04 80.92 78.6379.15 79 76.16 73.57 68.76 63 6 mths (43) 3 mths (23) 1 mth (38) 2 wks (24) Groups 1-5: p=n.s. RBA (81) LT trtmt (92) RBA=Recurrent brief anxiety GAD spectrum SCL-90-R subscale anxiety, means of eight (1978 to 2008) and three measures (1988 to 2008) means 50 40 30 20.98 20.61 20 19.19 18 17.73 15.73 14.63 14.27 15.99 14.95 13.13 12.15 11.2 8.19 10 0 6 mths (43) 3 mths (23) 1 mth (38) 2 wks (24) p<.00001 resp. p<.004 (w/o others) RBA (81) LT trtmt (92) other RBA=Recurrent brief anxiety 13 09.04.2014 GAD spectrum: family history for depression and anxiety/panic (not correlated with duration) % 100 90 ↓ 80 ↓ 70 65.8 58.7 60 50 ↓ 78.3 53.1 50 48.8 39.1 40 40.7 36.8 34.8 30.2 30 31.7 25.7 17.9 20 10 0 6 mths 3 mths 1 mth 2 wks RBA LT trtmt other small N=20 RBA=Recurrent brief anxiety Depressive syndromes by duration of episodes • Maximum duration of depressive episodes across 7 interviews from ages 20 to 50 • Depressive syndrome defined by 5 of 9 symptoms of DSM-IV depression • Distress and impairment - not considered for definition of syndromes - but analysed as independent variables and measured on analogue scales (0-100) in most interviews 14 09.04.2014 Maximum length of depressive syndromes occurring over the past twelve months (seven interviews) • • • • • 3 months 1 month 2 weeks (DSM, ICD: never validated) 4+ days 1-3 days mdedau77908 Depressive syndromes weighted prevalence rates by gender (women, men) % 60 50 ↓ ↓ 40 47.8 ↓ 34.7 30 22.5 25 17.9 20 11.3 11 10 6 3 4.5 3 4.4 5 4.1 0 3 mths 1 mth 2 wks 4+ days 1-3 days LT trtmt dep. others mdedau77908 15 09.04.2014 Depressive syndromes: distress (0-100) during interview years for depression and anxiety/panic % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 ↓ 87.4 ↓ 84.9 76.2 76 71.7 68.5 72.3 66.2 60.3 58.9 64 61.7 41.6 34.2 3 mth 1 mth 2 wks 4+days 1-3 days LT trtmt dep. others Groups 1-4: depression p<.02, anxiety/panic p<.19 Depressive syndromes: work impairment (0-100) during five interview years for depression and anxiety/panic % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 ↓ 55.3 ↓ 51.3 41.3 42.8 42.7 33.8 40.2 35.9 32.1 28.1 20.8 21.3 16.7 11.8 3 mth 1 mth 2 wks 4+days 1-3 days LT trtmt dep. others Groups 1-4: depression p<.03, anxiety/panic p<.43 16 09.04.2014 Depressive syndromes by duration SCL-90-R depression (Zurich criteria) means and maxima of eight measures (1978 to 1999) % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 ↓ 49.2 43.9 41.6 38 36.1 30 22.6 3 mth 1 mth 30 26.6 24.3 23.1 21.5 2 wks 17.8 13.9 4+days 1-3 days LT trtmt dep. others Groups 1-7 and 1-4: all p<.01 Depressive syndromes by duration Family history for depression, anxiety/panic and suicidality % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 63.4 61.3 ↓ ↓ 67.4 67.7 52.3 41.9 38.2 36.6 31.3 29.4 23.8 23.3 17.1 26.9 26.9 23.5 22.5 14.4 11.9 9.3 3.9 3 mth 1 mth 2 wks 4+days 1-3 days LT trtmt dep. others Groups 1-4: all p=n.s. 17 09.04.2014 Depressive syndromes by duration Suicidality: attempts, plans, ideation % 55 51.6 50 45 35.5 35 32.6 15 26.3 24.4 23.8 25 30.2 23.7 20.3 13.8 11 11 9.3 7.7 5 -5 3.9 2.6 0 3 mth 1 mth 2 wks 1.2 0 4+days 1-3 days LT trtmt dep. 2.9 others Groups 1-7: p<.0001, 1-4: p<.0004 Syndrome spectra weighted cumulative incidence rates (1979-2008) Panic DSM-III GAD % % % 13.90 2.05 3.20 14.70 Sub-threshold Dx 11.36 9.12 1.73 6.27 11.43 Rec.Brief syndr. 24.83 23.10 3.82 8.00 6.07 Total 51.18 52.87 7.60 17.47 32.20 Diagnoses UP Depr. BP Depr. Man. % % 13.47 1 month 18 09.04.2014 Treated subjects up to age 50 (2008) Diagnostic (Dx) coverage relative % based on weighted rates Major Panic Depression DSM-III GAD DSM-III 1 month GAD DSM-5 6 mth % % % % Dx with trtmt 68.1 64.8 62.3 73.0 Dx coverage of all treated subjects 53.7 21.5 38.1 12.6 Association between Mood Disorder Subtypes in Probands (n=475) and Relatives (n=2082) Probands MANIA Relatives 8.3 (3.8, 17.9)** h2=.83 MANIA 1.4 (0.6, 2.9) Hypomania Major Depression h2=.20 2.5 (1.7, 3.6)** h2=.54 Hypomania Major Depression 38 19 09.04.2014 Association between Mood Disorder Subtypes in Probands and Relatives Probands Relatives 1.44 NS MANIA MANIA 0.67 NS 1.08 NS Hypomania 1.21 NS Hypomania 1.16 NS Major Depression 1.00 NS Major Depression 39 Odds ratios of associations between patients and relatives by diagnoses Family Study in Lausanne and Geneva Diagnoses Relatives (N) 1734 SAD BP-I BP-II MDD SAD 251 6.4* 4.6* 3.0* 1.4 Patients BP-I BI-II 432 98 2.7 12.2* 2.4 2.0 2.6 1.2 2.1* MDD 460 1.7 1.4 1.6 2.4* Controls 493 Ref. Ref. Ref. Ref. Vandeleur CL …Ferrero…Preisig et al. 2014: Molecular Psychiatry 19:209-213 20 09.04.2014 Odds ratios of associations between patients and relatives by episode types Family Study in Lausanne and Geneva Diagnoses Relatives Psychosis Mania (N) 1734 505 628 Psychosis 2.9* 0.9 Mania 1.0 6.4*** Hypomania 1.2 2.1 MDE 1.0 0.7 Patients Hypomania MDE 113 1182 0.4 1.0 1.6 1.7 1.3 0.8 1.0 2.0*** Controls 493 Ref. Ref. Ref. Ref. Vandeleur CL …Ferrero…Preisig et al. 2014: Molecular Psychiatry 19:209-213 Lausanne Family Study of Mood Disorders (n=287 probands; 1726 relatives) Probands Psychosis Relatives 2.9 (1.1-7.7)* Psychosis 6.4 (2.2-8.7)** MANIA MANIA 1.3 (0.5-3.6) Hypomania Major Depression Hypomania 2.0 (1.5-2.7)* Major Depression 42 21 09.04.2014 Schlussfolgerungen I • • • • Syndrome der Depression und Angst bilden bezüglich Dauer stets ein Kontinuum Kritische Untergruppen nach Dauer unterscheiden sich nicht bez. Stress, Arbeitsbehinderung, Temperament und Behandlungsraten und auch nicht in den SCL-90 R Scores, abgesehen von chronischen Fällen Die diagnostische Kriterien der Dauer von 2 Wochen für Major Depression sowie 3/6 Monate für GAD sind nicht valide gemäss unseren Daten aus der repräsentativen ZH Studie Als neue Kriterien kommen in Frage: 4 Tage für die Depression und 2 Wochen für GAD. Dieser Vorschlag sollte durch unabhängige Studien geprüft werden. Schlussfolgerungen II • • • • • Die diagnostische Konzepte des DSM-5 und der ICD (WHO) sollten daten-basiert sein und möglichst stark behandelte Patienten charakterisieren. DSM Diagnosen identifizieren weniger als die Hälfte der behandelten Patienten Diese Patienten sind als N.O.S. eingestuft, aber DSM-5 offeriert nun neue Untergruppen, die sehr nützlich sein werden, da so genauere Daten gesammelt werden. Empirisch fundierte sub-diagnostische Syndrome müssen dringend eingeführt werden, um die behandelten Pat. diagnostizieren zu können (KKLeistungen z.T. davon abhängig) Dimensionale diagnostische Konzepte sind vielversprechend 22 09.04.2014 Schlussfolgerungen III • 36-50% der Personen, welche eine GAD- oder Depressions-Diagnose erhalten hatten, wurden behandelt. Nur etwa 50% (31-72%) der Behandelten erhielten eine offizielle Diagnose • • Die Behandlungsbedürftigkeit korreliert am stärksten mit dem Leidensdruck Das Leiden sollte daher ein dominierendes Fallkriterium sein und stets gemessen werden, z.B. mit einer Analog-Skala von 0-100 • • Dies gilt für alle psychischen und somatischen Syndrome, welche subjektive Symptome erzeugen, versagt aber z.B. bei Hypomanie/Manie oder bei psychotischen Syndromen und z.T. bei Suchterkrankungen (Mangel an Krankheitsgefühl, -Einsicht) Schlussfolgerungen IV • • • • • • • Diagnosen beruhen oft auf dichotomen Entscheidungen: ja/nein Diese sind für therapeutische Entscheidungen nützlich, aber für Forschungszwecke sind sie oft ungeeignet, weil biologische Variablen selten damit korrelieren (Molekulargenetik etc.) Aus diesem Grunde werden heute vermehrt kontinuierliche Variablen klinischer Aspekte entwickelt und verwendet, z.B. Kognition, Entzündungs-Parameter, Bildgebung Beispiel: S. C. Fears 2014: Multisystem Component Phenotypes of Bipolar Disorder for Genetic Investigations of Extended Pedigrees JAMA Psychiatry online February 12, 2014 Motto: jedes somat./psychiatr. Syndrom messen, soweit möglich, z.B.: - Dauer der Episoden - Anzahl Episoden über 1 Jahr - Summe aller Tage mit Symptomen über 12 Mte., - Leiden und Behinderung (0-100) Studien ganzheitlich: somatische und psychiatrische Syndrome Prospektive Langzeitstudien und Lebenszeitstudien sind nötig 23 09.04.2014 Besten Dank für Ihre Aufmerksamheit 24 Angst- und Depression: Wie therapieren wir in 10 Jahren Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. h. c. mult. Florian Holsboer 10.04.2014 Max-Planck-Institut für Psychiatrie Wie behandeln wir Angst und Depression in zehn Jahren? Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depression Zürich, Donnerstag, 10.04.2014 Florian Holsboer Die Gesamtkosten für Depression betragen in Deutschland fast 1% des Bruttosozialprodukts Massenhaftes Seelenleiden Arbeitsunfähigkeitsfälle und -tage wegen Burnout 3,95 durch Depressionen verursachte Kosten 2008 in Mrd. Euro jeweils pro 1000 AOK-Mitglieder 3,07 AU-Fälle AU-Tage 72,3 2,46 1,92 51,2 1,37 39,8 0,96 28,9 0,64 19,9 13,9 8,1 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Allianz-Report, 2011 1 10.04.2014 Lebenszeitprävalenz von Depression und Angsterkrankungen Lebenszeitprävalenz in % Europa MW USA Japan Bereich MW Bereich MW Bereich Affektive Störung Alle 16,3 14.0-18.6 20,8 20.2-21.4 5,6 4.1-7.6 Depression 13,2 7.8-21.0 17,7 16.6-19.2 4,2 2.9-6.6 Dysthymie 4,1 3.7-4.5 2,5 2.2-2.8 1,4 - Bipolare Störung 2,3 0.2-6.0 4,2 3.9-4.4 0,4 0.1-0.7 Alle 19,1 13.6-22.5 24,6 15.2-33.7 4,7 1.8-6.9 Panikstörung 3,8 2.1-4.7 3,4 1.7-5.2 0,5 - Agoraphobie 3,3 0.7-5.1 3,1 1.4-5.3 0,4 - Sozialphobie 6,7 2.0-16.0 9,7 2.5-13.0 1,2 - Spezifische Phobie 9,1 7.2-13.3 11,3 7.4-13.8 3,7 - Generalisierte Angststörung 3,1 0.1-6.9 5,7 5.1-6.2 1,4 - Zwangsstörung 2,1 0.5-3.0 2,2 1.6-2.7 1,7 - Posttraumatische Belastungsstörung 1,9 1.7-2.1 8,5 6.8-11.7 1,3 - Angsterkrankungen 2 10.04.2014 Physikalische Therapie in “Irrenanstalten” im 19. Jahrhundert Imipramin – Unerwarteter Erfolg einer Imitation Chlorpromazin Roland Kuhn (*1912 - †2005) Imipramin Jules Angst (*1926 ) 3 10.04.2014 Effektstärke von Psychopharmaka im Vergleich zu anderen Medikamenten Medikamente aller medizinischer Fachrichtungen außer Psychopharmaka Die Effektstärken unterscheiden sich nicht aber: Absolute Responderdifferenz aktive Substanz versus Plazebo: nur 1015% Psychopharmaka 94 Metaanalysen 48 Medikamente für 20 medizinische Erkrankungen 16 Medikamente für 8 psychiatrische Erkrankungen Leucht et al., 2011 Antidepressiva sind das Mittel der Wahl zur Depressionsbehandlung • Es fällt vielen Patienten schwer zu akzeptieren: Antidepressiva führen bei optimaler Auswahl, Kombination und Dosierung bei 70% der Patienten zur Heilung • Aber: – Es dauert ZU lange bis sie wirken – Sie wirken bei ZU wenigen – Sie haben ZU viele Nebenwirkungen • Und: Sie unterscheiden sich in ihrem Wirkmechanismus nur gering 4 10.04.2014 Hemmnisse für Innovation in der Antidepressivaforschung Der wirtschaftliche Erfolg: 2005 war der Gesamtumsatz von Antidepressiva etwa 20 Milliarden Euro. Das hat Risikoscheu hervorgerufen Blockbuster Der diagnostische Ansatz: Diagnosen nur auf verbal kommunizierte Information gestützt Diagnosen sind unspezifisch Der therapeutische Ansatz: Depression (allgemein: Krankheit) als kollektive Normabweichung Baseballmützen-Strategie: „one-size-fits-all” Medikamente sind unspezifisch CRH Vasopressin Cortisol + CRH Vasopressin 5 10.04.2014 Corticotropin freisetzendes Hormon (CRH) ist in der Zerebrospinalflüssigkeit von Patienten mit Depression erhöht CRH-Konzentration in der Zerebrospinalflüssigkeit von Patienten mit Depression CORTICOTROPIN-RELEASE FACTOR-LIKE IMMUNOREACTIVITY (pg/ml CSF) Gesamtzahl der CRH Neuronen Potenzielles Ansprechen auf CRHR1 Blocker? ? Female Controls N=73 Schizophrenia Major Depression Male Controls N=23 N=54 N=65 Raadsheer, Purba, Heuser, Nemeroff (1990ies) Transgene Mäuse, bei denen CRHR1 hirnarealspezifisch ausgeschaltet ist Pit Schnitt des Z/APxCamKIIa-Cre Hirn, starke Expression (dunkelblau) menschlicher “Placenta-ähnliche Alkaline Phosphatase” (hPLAP) im Vorderhirn, Hippocampus, Thalamus und Putamen. Cx - Cortex, Cb - Zerebellum, Hip - Hippokampus, Tha - Thalamus, Pit - pituitär hPLAP = human placenta like alkaline phosphatase Müller et al., Nat. Neurosci. 2002 6 10.04.2014 Stress erhöht die Freisetzung von CRH aus Nervenzellen, die uns “fit” zum bewältigen der bedrohlichen Situation machen Stress CRH Erhöhung der Stresshormone erst im Gehirn, dann im ganzen Körper Erhöhung von Ängstlichkeit, Verlust von Appetit, Schlaf und sexuellem Interesse Erhöhtes Risiko an einer Depression zu erkranken Zeit Negative CRHR1 Antagonisten-Studien bei Depression Firma Wirkstoff Grund für die Beendigung GSK - Neurocrine Verucerfont (GSK561679) Geringe Wirksamkeit in Phase 2 MDD (September 2010) Bristol Myers Squibb Pexacerfont (BMS-562086) Geringe Wirksamkeit in Phase 2 IBS und GAD, für Phase 2 MDD keine Ergebnisse berichtet GSK-Neurocrine Emicerfont (GSK876008) Geringe Wirksamkeit in Phase 2 SAD und IBS Pfizer CP316311 Geringe Wirksamkeit in Phase 2 MDD ONO Pharmaceutical ONO2333Ms Geringe Wirksamkeit in MDD Neurocrine-Janssen NBI30775 Sicherheitsgründe (vermehrte Leberenzyme bei zwei Freiwilligen im erweiterten abgesicherten Versuch) Sanofi Geringe Wirksamkeit in Phase 2b SSR125543 7 10.04.2014 Durch Gentechnologie wird im Mausgenom das depressionsauslösende CRH überaktiviert Die CRH Überexpression ist auf das zentrale Nervensystem beschränkt Lu et al., Mol Psych 2009 Das Verhalten CRH-überexprimierender Mäuse wird durch einen CRH-Rezeptorblocker normalisiert Verhaltensexperiment zur Testung antidepressiver Wirkung wildtyp Kontrolle transgen (heterozygot) transgen (homozygot) Behandlung mit dem CRHR1 Antagonisten DMP 696 25 Tag 1 Tag 2 Tag 1 Tag 2 CRH überexprimierende Mäuse als Testmodelle für neue Antidepressiva Lu et al., Mol Psych 2008 8 10.04.2014 Das Schlaf-EEG-Labor für Mäuse Mäuse, die CRH Erhöhung im Gehirn haben, zeigen ähnliche Schlaf-EEG Veränderungen wie viele Menschen mit Depression. Schlaf-EEG als Biomarker für CRH-Erhöhung im Gehirn? Mayumi Kimura (2008) Mäuse, die im Gehirn CRH überproduzieren, haben nach Stress im Schlaf vermehrte REM-Aktivität Schlafmuster von CRHüberexprimierenden Mäusen nonREMS (%) Gesamtmenge REM-Schlaf 80 60 40 20 * 0 REMS (%) 20 CRH-überexprimierende transgene Mäuse SD 15 10 5 * * 0 09:00 Nes = nur in Nervenzellen Cam = in für die Depressionsgenese relevanten Hirnregionen con (14) het (12) hom (14) SD * 21:00 09:00 Time of Day(h)(h) Tageszeit Kimura et al., 2010 9 10.04.2014 CRH-induzierter REM-Schlaf (“Traumschlaf”) korreliert mit klinischer Besserung 1/min. Klinische Besserung 8 7 6 5 4 3 2 1 0 r SP = .87 p = .002 baseline Panel A: 5 Patienten 5-40 mg of R121919 REM-Schlafdichte zu Beginn der Behandlung week 1 week 4 Panel B: 5 Patienten 40-120 mg of R121919 CRHR1 Antagonist reduziert REM-Schlaf? Therapie mit CRH Rezeptorblocker bei Depression Traumschlaf – Ein Biomarker für zu hohe CRH Konzentration im Gehirn? Holsboer and Ising, Annu. Rev. Psych 2010 Je spezifischer man interveniert, desto mehr muss man von dem Patienten wissen Frage: Können wir Patienten mit erhöhtem CRH durch Biomarker und Gentests identifizieren? CRH CRH CRH CRH CRH CRH CRH CRH Ja das können wir (bald!) 10 10.04.2014 Schlaflosigkeit, Angst und Depression: Ein vielschichtiges Wechselspiel Verteilung der Schlaflosigkeit auf unterschiedliche Erkrankungsformen Unbekannt 12%-16% Medikamente 3%-7% Psychische Erkrankungen 40% Schlafstörung: Risikofaktor für Depression und Angststörungen Verstärkt die Schwere der Depression Behindert Therapieerfolg Ist ein Restsymptom Sagt Rückfall voraus „Schlafhygiene“ Umweltfaktoren 10% Andere Krankheiten 4%-11% Bewegungsstörungen im Schlaf 15% Schlafbezogene Atemstörungen 5%-9% nach Manber and Chamber, 2009; Ohayon, 2010 Kann sich die Gesellschaft die für das Individuum „maßgeschneiderte“ Personalisierte Medizin leisten? Ja sie kann! Verbreiteter Irrtum: Personalisierte Medizin ist teuer für Gesundheitssystem und ohne Gewinnchancen für die Industrie Richtig ist: Entwicklung von „Blockbustern“ ist teuer mißlingt seit Jahrzehnten. Personalisierte Medizin entwickelt Medikamente wesentlich (30%) billiger Hoher Return of Investment! 11 10.04.2014 Jules Angst – der Vordenker Angst, Jules: Antidepressiver Effekt und genetische Faktoren. In: ArzneimittelForschung, (1964), Band. 14, S. 496-500 Genetisch festgelegte Effizienz der “Wächtermoleküle” bestimmt die klinische Wirkung von Antidepressiva Antidepressivum wird vom Wächtermolekul erkannt Antidepressivum Nicht Remission [%] Blutgefäß Zellinnneres “Wächtermolekül” vom ABCB1-Gen kodiert C-Träger (N=23) "Non-Träger” (N=110) günstige Genvariante Zeit [Wochen] Wächtermoleküle verhindern den Eintritt vieler chemischer Substanzen in das Gehirn. auch von Antidepressiva Durch Gentests lässt sich die Effizienz des Wächtermoleküls abschätzen. je effizienter das Wächtermolekül, desto ineffizienter die Therapie Gentest ist Entscheidungshilfe für den Arzt 12 10.04.2014 Das DNA Protein Dogma „What is true for E. coli is also true for elephant“ ... and human, Jacques Monod (1975) So einfach ist es (leider) nicht "Ich habe zu 98,5% die gleichen Gene wie der Affe!" "Ich habe zu 98,5% die gleichen Gene wie der Mensch!" Seeanemone hat fast so viele Gene wie Mensch und Affe 13 10.04.2014 Die Genomgröße hängt nicht mit der Komplexität eines Organismus zusammen Quastenflosser Lungenfisch Anzahl der Basenpaare 3 Milliarden BP 100 Milliarden BP Genomgrößen-Weltmeister ist die Japanische Einbeere! Paris japonica Bei dieser Pflanze fand man das größte bekannte Genom (150 Milliarden BP) – 50 mal größer als jenes des Menschen Die gemeine Fichte (Weihnachtsbaum) hat ein 7 mal größeres Genom als der Mensch Die fleischfressende Wasserpflanze hat nur 82 Millionen Basenpaare und hat fast keine nichtkodierenden Abschnitte 14 10.04.2014 Der Landkärtchenfalter – ein Paradebeispiel für den Einfluß der Umgebung auf den Phänotyp Winter Sommer Identische Gene Araschnia levana Das DNA Protein Dogma DNA mRNAs Proteine So einfach ist es (leider) nicht 15 10.04.2014 Das schwer fassbare Gen Proteinkodierende Sequenzen haben keinen klaren Anfangspunkt Viele Informationen werden durch RNA-Moleküle weitergeleitet Das menschliche Genom produziert ein Kontinuum von Transkripten und Zellen Modifiziertes DNA Protein Dogma Transkription Transkription Regulation Translation 16 10.04.2014 Unser Gehirn reagiert empfindlich auf äußere Einflüsse, die lebenslang erhalten bleiben können ? Stress Trauma Gene Infekte Klinischer Phänotyp Alter Ernährung Schlaf Alkohol Rauchen Altern Modifikationen in Histon Proteinen und DNA legen die Genaktivität fest Me DNMT DNA Methylation in CpG Inseln oder CpG Küsten Genen „schaltet Gene aus” Nukleosom Chromosom P Chromatin Me Ac Histon Modifikation Histon Modifikation Ac Ac Ac Ac Acethylierung „durchlässig“ Me Me Me Me Me Methylierung „unterdrückt“ Me Me „Angeschaltete“ Gene • Aktives (offenes) Chromatin • unmethylierte Zytosine • Azetylierte Histone „Ausgeschaltete” Gene •Stilles (kondensiertes) Chromatin •methylierte Zytosine •Deazetylierte Histone 17 10.04.2014 Die Funktion des Glukocorticoidrezeptor-Komplexes wird durch Chaperone und Co-Chaperone bestimmt Cortisol • Der Glukocorticoidrezeptor (GR) ist eine komplexe Struktur bei der durch Chaperone die Ligandenbindung und die GR Translokation in den Zellkern bestimmt wird FKBP5 STUB1 Bag1 GR GR P23 Translokation in den Zellkern GR GR GRE modified from Binder, 2009 FKBP5 Konzentration Aktivität der HPA-Achse wird durch negative Rückkopplung vom FKBP5 Genotyp beeinflusst rs1360780 GA/AA CRH CRH ACTH stimulation feedback Cortisol baseline rs1360780 GG Cortisol STRESSOR Höhere FKBP5 Induktion negative Rückkopplung Nebenniere höhere GR Resistenz weniger höhere Cortisol Konzentration Binder et al., 2004, 2008; Ising et al., 2008 18 10.04.2014 Beginn der Depression wird durch den FKBP5Genotyp und frühkindliches Trauma bestimmt CC / mit schwerem Trauma AA+AC / mit schwerem Trauma FKBP5 codiert ein Cochaperon, das die GR-Funktion reguliert Zimmermann et al., Am. J. Psych 2011 Der FKBP5 Risikogenotyp und Kindesmissbrauch = Demethylierung von Intron 7 des GRE im FKBP5 Gen % DNA Methylierung 100 ** kein Trauma - FKBP5 protektives Allel kein Trauma - FKBP5 Risikoallel Trauma - FKBP5 protektives Allel Trauma - FKBP5 Risikoallel 80 ** * 60 40 Kindesmissbrauch + FKBP5-Genotyp = Demethylierung von Intron 7 GRE 20 0 Intron 7 GRE CpGs Schwere des Traumas bei Erwachsenen FKBP5 Risiko Schwere Severity des Kindesmissbrauchs child abuse (CTQ) (CTQ) Aktuelle Cortisolwerte % DNA Methylierung methylation FKBP5 protektive Art (Schwere) des Traumas methylation % DNA Methylierung Schwere des Kindesmissbrauchs % DNA DNA Methylierung methylation Baseline Serum serum Cortisol cortisol Klengel et al., 2012 19 10.04.2014 Fernwirkung des “Glucocorticoid Response Elements” (GRE) im FKBP5 Gen und epigenetischer Mechanismus der Traumainduzierten Demethylierung a rs1360780 protektiv b rs1360780 Risiko PolII PolII gestörtes negatives Feedback normales negatives Feedback c d rs1360780 Risiko rs1360780 protektiv Cortisol Cortisol PolII PolII protektives G-Allel Risiko vermittelndes A-Allel Klengel et al., 2012 Die Perspektive von FKBP51 als Zielstruktur für Medikamente Vermutete Calmodulin Bindung FK1 FK506 Bindung GR Modulation FK2 TPR Hsp90 Bindung from Zimmermann et al., 2011 20 10.04.2014 Wechselwirkung von GR und FKBP51 p23 Leu 119 p23 Pro 120 GR Hsp90 Hsp90 FK1 Ko-Kristallstruktur von FK506 mit der FK1-Domäne von FKBP5 FK1 Bracher et al., 2011 21 10.04.2014 Ko-Kristallstruktur eines neu synthetisierten Liganden mit der FK1-Domäne von FKBP5 Leitstruktur aus der ein Medikamenten Kandidat entsteht FK1 Gopalakrishnan et al., 2012 Zukunft: Personalisierte Intervention unmittelbar nach Trauma um FKBP5 bei Risikoindividuen zu blockieren In der Gegenwart des Risiko (A-) Allels von rs1360780 wird Traumaexposition zu erhöhter FKBP5 Expression führen. Dies bewirkt DNADemethylierung in funktionalen Stellen des Glucocorticoid Response Elementes (GRE) Trauma GR + GR Cort Cort _ FKBP5 - Antagonist FKBP5-Antagonisten sind Medikamente zur Verhinderung stressassoziierter psychischer Erkrankungen, z.B. PTSB und Depression 22 10.04.2014 Chemische Biologie: Der Weg zur „großen“ Innovation in der Depressionsforschung I Die Untersuchung biologischer Vorgänge erfolgt heute sowohl auf systemischer (physiologischer) Ebene als auch in molekularer Dimension (Molekularbiologie) Die Chemie wendet sich immer größeren Molekülen und molekularen Systemen zu Die dimensionale Annäherung von Chemie und Biologie fördert ihre Durchdringung Chemische Biologie: Der Weg zur „großen“ Innovation in der Depressionsforschung II Unter der Diagnose Depression zusammengefasste Patientenpopulationen unterscheiden sich hinsichtlich der krankheitsverursachenden Pathologie Biomarker und Gentests erlauben die Aufteilung einer Diagnosegruppe (Depression) in Untergruppen mit einheitlicher Pathologie Für spezifische Krankheitsmechanismen können spezifische Medikamente entwickelt werden. Beispiel: Glutamat– Stresshormonblocker (CRHR1-Antagonisten) 23 10.04.2014 Chemische Biologie: Der Weg zur „großen“ Innovation in der Depressionsforschung III „The more specific you get with your drug (Industry) the more you need to know about the pathobiology of your patient (Academia)“ Durch kleine chemische Moleküle kann in biologische Prozesse eingegriffen werden, um einen krankheitsverursachenden Mechanismus zu korrigieren Depression bei Tieren? In der Depressionsforschung sind wir mit heutigen Tiermodellen an Grenzen gestoßen! 24 10.04.2014 Depression bei Tieren? „Die Forschung ist die Kunst des Lösbaren“ Perspektiven für innovative Therapie von Angsterkrankungen und Depression Die wichtigsten Forschungsgebiete von denen wir Innovationen erwarten können: 1. Humangenetik und -genomik 2. Pathophysiologie abbildende Biomarker 3. Chemische Biologie Rasche Umsetzung in der Humanforschung 25 10.04.2014 Der Mensch ist das Maß aller Dinge Protagoras (490-411 B.C.) Im Jahr 2024 wird die Medikamentenbehandlung auf der Grundlage der individuellen Biosignatur “maßgeschneidert” RNA Genotyp Proteine Metaboliten Biomarker Patienten-Untergruppen und spezifische Behandlung Klinische Biomarker Hormontests Schlaf-EEG Bildgebung 26 10.04.2014 Die Lebensspanne ist der Gesundheitsspanne davongeeilt medizinische und psychologische Untersuchung und Beratung Erste klinische Symptome Diagnose Therapie Beginn des krankheitsverursachenden Mechanismus Frühintervention Krankheitsspanne Gesundheitsspanne Lebensspanne Alter „Hätte ich gewusst, dass ich so lange lebe, hätte ich besser auf meine Gesundheit geachtet“ (Eubie Blake an seinem 100sten Geburtstag) 27 DSM-5 und ICD-11: Was Sie für die Praxis wissen müssen Prof. Dr. med. Erich Seifritz Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 DSM-5 und ICD-11 Was Sie für die Praxis wissen müssen Erich Seifritz Ι Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Entwicklung von DSM-5 / ICD-11, Kritik an DSM-5 Was ist neu bei DSM-5 im Bereich affektive Störungen Ausblick 1 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 170 Jahre psychiatrische Dx Hyman 2007 Emil Kraepelin (1856 – 1926) Eugen Bleuler (1857 – 1939) 2 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Funktion von diagnostischen Klassifikationssystemen • Ziele – – – – Praktikabilität Relevanz Reliabilität Validität • Klinik – Kommunikation – Ableitung von Therapien aus Diagnose – Prävention? • Forschung – – – – Verstehen Ätiologie Verlaufsforschung Verbesserung der klinischen Entscheidungen Grundlagenwissenschaftliche Zwecke Therapieentwicklung Geschichte von DSM-5 und ICD-11 (1) • ICD-VI (1948) erstmalig Kapitel V – 10 Psychosen, 9 Psychoneurosen, 7 Charakterstörungen • Reaktion DSM I (1952) – 129 Seiten und 106 Störungen – „Reaktionsbegriff“: Psychische Störungen sind Reaktionen auf psychische, soziale und biologische Faktoren – Psychopathologie aus psychodynamischer Perspektive • DSM-II (1968) und ICD-8 (1965) – – – – 134 Seiten Neurose (statt Reaktion) Kritik nach Publikation an psychoanalytischer Orientierung Homosexualität als Diagnose: erst in 7. Auflage von DSM II verschwunden (1973) 3 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Geschichte von DSM-5 und ICD-11 (2) • DSM-III (1980) – 474 Seiten – Feldstudien vor Einführung – Multiaxiales System 5 Achsen • • • • • Achse I alle psychische Störungen ausser Achse II Persönlichkeitsstörung und geistige Behinderung Ache III Medizinische Krankheitsfaktoren Achse IV psychosoziale Faktoren Achse V Funktionsniveau (GAF) – Einführung deskriptiver a-theoretischer operationalisbarer Diagnosekriterien ( Neurose) – Explizite Ein- und Ausschlussregeln • Algorithmen Geschichte von DSM-5 und ICD-11 (3) • Defizite vorangegangener Klassifikationssysteme – WHO: fehlende Übereinstimmung psychiatrischer Dx (Stengel, 1959) – Nicht explizit definierte Diagnosekriterien: geringe Reliabilität (Spitzer & Fleiss, 1974): ricc<0.60 Ebene Bezeichnung Kappa Störungsgruppen Schizophrenie 0.57 Persönlichkeitsstörungen 0.32 Subgruppen Depressive Erkrankungen Neurotische Depression 0.26 Psychotische Depression 0.24 – Operationale Kriterien, z.B. Feighner et al., 1972 (SLC) oder Spitzer et al., 1978 (RDC) nach Steglitz 2008 4 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Geschichte von DSM-5 und ICD-11 (4) • DSM-III-R (1984) – 292 Diagnosen und 567 Seiten – Einführung Komorbiditätsprinzip statt „hierarchische Diagnoseregeln“ • ICD-10 (1991) – Formal Konvergenz mit DSM • DSM-IV 1994 und DSM-IV-TR 2000 – 296 Störungen 973 Seiten – Keine gravierenden konzeptuellen Änderungen ICD-11 • • • • • Alpha Draft September 2009 Beta Draft Begin 2011 Internet Beta Draft 2013 Ende 2014 Endgültige Version 2015 Veröffentlichung 5 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 DSM-5 APA Mai 2013 www.dsm5.org DSM-5 Prinzipien / Ziele für Erneuerung • Höchste Priorität dem klinischen Nutzen • Empfehlungen wissenschaftlich untermauert (Evidenz-basiert) • Kontinuität mit früheren Ausgaben, aber: grundsätzlich jede Veränderung möglich • • • • Klärung der Grenzen zwischen den Diagnosen Diagnoseunabhängige Querschnittsymptome Genaue Bezeichnung der Stärke wissenschaftlicher Evidenz Klärung der Grenzen zwischen Normalpsychologie und psychischen Störungen • Schweregrad der Erkrankungen kann vermehrt bezeichnet werden • Diagnose-übergreifende Symptomdimensionen, wie Angst, depressive Stimmung, Substanz-Missbrauch, Schlaf, Bewegungsstörungen werden eingeführt • Vision: Biomarker 6 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Neu bei Affektiven Störungen • Wichtigste Änderung: zwei Kapitel – Depressive Störungen – Bipolare Störungen • Beide Bereiche – Specifier Ausmass der Angstsymptomatik – Klinische Dimension Suizidalitäts-Skala • 4-stufig aber qualitativ Fawcett (2013) Die Psychiatrie, 10: 18-23 Neu bei Affektiven Störungen DSM-IV DSM-5 Emotionsregulationsstörung (disruptive mood regulation disorder ) Alter 6-18 Major Depression Persistierende Depressive Störung (Dysthymia) Prämenstruelle dysphorische Störung Substanz/ Medikations-induzierte depressive Störung Nicht spezifizierte depressive Störung 7 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Neu bei Affektiven Störungen • Neu: prämentruelles dysphorisches Syndrom – Woche vor Mens bis wenige Tage nach Mens • Neu Affektive Dysregulation /disruptive mood dysregulation disorder (Kinder u. Jugendliche) DMDD • Wutausbrüche, Reizbarkeit, depressive Stimmung • Reaktion auf Anstieg bipolar bei Kinder u. Jugendlichen – 3 pro Woche über mindestens 1 Jahr • Persistierende depressive Störung statt Dysthymie – Kinder u. Jugendliche 1 Jahr • Diagnose Major Depression – Ausschlusskriterium „Einfache Trauer“ entfällt – Schweregrade und psychotische Symptomen getrennt Fawcett (2013) Die Psychiatrie, 10: 18-23 Neu bei Affektiven Störungen • Bipolare Störung – Wichtigste Änderung Bipolar I gemischte Episode entfällt • Als Specifier möglich – Diagnose Bipolar hypomane / manische Episode nach antidepressiver Behandlung möglich Fawcett (2013) Die Psychiatrie, 10: 18-23 8 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Laute Kritik ... the new volume is an “absolute disaster” ... worried that DSM-5 will "take psychiatry off a cliff“ “wholesale imperial medicalization of normality” “a bonanza for the pharmaceutical industry” for which patients would pay the “high price [of] adverse effects, dollars, and stigma.” “kids getting unneeded antipsychotics that would make them gain 12 pounds in 12 weeks hit me in the gut. It was uniquely my job and my duty to protect them. If not me to correct it, who? I was stuck without an excuse to convince myself.” Allen Frances , Chair of Task Force and Lead Editor DSM-IV 9 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Frances‘ Kritik inflationäre Krankheitsdiagnsosen Wichtigste 2 Beispiele 1) Grief/bereavement exclusion 2) DMDD, disruptive mood dysregulation disorder (DSM-5) DSM-IV verursachte eine Art Epidemie von bipolaren Erkankungen bei Kindern. Innert einer Dekade, die Diagnose „bipolare Störung“ bei Kindern hat 40-fach zugenommen. Das führte zu einer entsprechenden Zunahme der Indikation für atypische Neuroleptika bei Kindern (mit bekannten Problemen und potentiellen Gefahren (unklare Effekte auf Hirnentwicklung, metabolisches Syndrom). from WiredMagazine_Frances_Inside the Battle to Define Mental Illness | Wired Magazine | Wired.com_2010 Dx Systeme: gesellschaftliche Auswirkungen • 1980: Psychoanalytische Kritik wegen des Wegfalls des Begriffs „Neurose“ von DSM-III. • 1973: Homosexuelle Gruppierungen Kritik an Homosexualität als psychiatrische Diagnose: APA musste anerkennen, dass Homosexualität keine Krankheit ist und nie eine war. • 1993: Feministische Kritik an A. Frances für den Plan, das „späte Lutealphasen bezogene dysphorische Syndrom“ (“late luteal phase dysphoric disorder”; „prämenstruelles Syndrom“ in DSM-IV als Diagnose aufzunehmen. from WiredMagazine_Frances_Inside the Battle to Define Mental Illness Wired Magazine | Wired.com_2010 10 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 DSM-5 / ICD-11 Geschichte - Fazit • Von typologischer zu operationaler Diagnostik • Von theoriegeleiteten Diagnosen zu Neutralität bezüglich ätiologischer Vorstellungen • Klarere Differenzierung der Diagnosen und der Kriterien • Zunehmende Bedeutung der empirischen Validierung – „Task forces“ Komitees zu spezifischen Diagnosegruppen – Feldstudien • Rein klinische Phänotypen als dx Kriterien Diskussion DSM-5 • 46% der US Bevölkerung hat gemäss DSM-IV einmal im Leben diagnostizierbare psychiatrische Diagnose (mehr mit DSM-5) Problem? Vgl. 100% Lebenszeitprävalenz für Grippe, Ausdruck von Stigmatisierung psychischer Krankheiten? Unheilbarkeit? Kritik an DSM-5 ist auch Kritik an Pharmakotherapie, mit der vereinfachten Formel: Dg = Behandlung = Medikamente (berechtigt?) • 25% der Schulkinder in den USA erfüllen Dx für DMDD aber: DMDD ist Ersatz für Bipolare Störung bei K&J • Inflationäre Dx nicht psychiatrie-spezifisches Problem: – Innere Medizin: Übergewicht, metabol. Syndrom, Diabetes, Hypertonie: – Dx Resultat statistischen Konstrukts zur Kategorisierung eines Spektrums • Dx abhängig von sozio-kulturellem Kontext • DSM-5: kein Einbezug von Biomarkern und dimensionalen Kriterien • RDoC, Zukunftsvision für die psychiatrische Diagnostik 11 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Kategorisierung eines Spektrums Biologie hält sich nicht an Dx David Adam (Editorial and Columns editor), Nature 496, 25.04.2013, p 416-8 12 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Endophänotypen: näher an neurobiologischen Grundlagen und Therapiemechanismen Gottesman 2005, Hasler et al 2006 Ist das wirklich alles so neu? "Es ist die Absicht, eine naturwissenschaftliche Psychologie zu liefern, d.h. psychische Vorgaenge darzustellen als quantitativ bestimmte Zustände aufzeigbarer materieller Teile und sie damit anschaulich und widerspruchsfrei zu machen.” 1 „Die Zukunft mag uns lehren, mit besonderen chemischen Stoffen die Energiemengen und deren Verteilungen im seelischen Apparat direkt zu beeinflussen. Vielleicht ergeben sich noch ungeahnte andere Möglichkeiten der Therapie; ....“2 1S. Freud, "Entwurf einer Psychologie" [Project for a Scientific Psychology], 1887 2S. Freud 1938 (GW XVII, S. 108) 13 Goodwin_Sachs - Algorithm vs Menu debate 11.04.2014 08:39 Burghölzli, 1872 14