Jörg Widmann - Tonhalle

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Jörg Widmann Creative Chair
Jörg Widmann ist nicht nur ein hervorragender Klarinettist, er gehört auch zu den
wichtigsten deutschen Komponisten der jüngeren Generation. Nun folgt er EsaPekka Salonen auf den Creative Chair des Tonhalle-Orchesters Zürich.
Es begann völlig natürlich beim Musizieren. Der kleine Jörg spielte auf seiner Klarinette. Dabei gefielen ihm einige Stellen so sehr, dass er fasziniert darüber zu
improvisieren anfing. Und bald kam das Bedürfnis auf, das Improvisierte in Noten
zu fixieren. Die erste Komposition war ein Walzer in F-Dur für Klavier. Er sei sich
selber der erste Interpret gewesen – und lange wohl auch der einzige, sagte er
einmal über sein jugendliches Komponieren. Ausserdem musste seine Schwester,
CREATIVE CHAIR
die heute ebenso bekannte Geigerin Carolin Widmann, «daran glauben» – und bald
auch mal die Schulfreunde.
Ähnlich wie bei seinem Mentor, dem Oboisten, Dirigenten und Komponisten Heinz
Holliger, stehen bei ihm auch heute noch Instrument und Komposition auf völlig
selbstverständliche Weise nebeneinander. Durch Zufall etwa fand er «beim Üben
neue Klanggesten, die ich weiterdachte und aus denen dann die ‹Fünf Bruchstücke› für Klarinette und Klavier entstanden und später die ‹Polyphonen Schatten›
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TONHALLE-ORCHESTER ZÜRICH
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Interpretation und Komposition. An der Hochschule für Musik Freiburg i. Br. unterrichtet er heute beides.
Seine Stücke sind bei den wichtigen Avantgarde-Festivals wie in Donaueschingen zu
hören, aber auch in den Abo-Konzerten der grossen Orchester. Seine Bühnenwerke
wurden zum Beispiel an den Opern von Frankfurt, München und Paris uraufgeführt.
Seine Stücke klingen sehr unterschiedlich: «Ich möchte mich mit jedem Stück selber überraschen», sagte der 1973 in München geborene Jörg Widmann einmal im
Gespräch, und so ist auch jedes Stück anders konzipiert. Es geht ihm darum, in
jedem einzelnen Stück die Gedanken stringent durchzuarbeiten. Sein Violinkonzert,
das Schwester Carolin 2008 in der Tonhalle aufführte, ist ebenso spielerisch wie
schönheitstrunken und schwärmerisch; in seinem Lied für Orchester, das 2010 hier
Foto: Marco Borggreve
Jörg
Widmann
für Klarinette, Bratsche und Orchestergruppen». Es ist eine glückliche Einheit von
zu hören war, habe er versucht, «das Orchester zum Singen, wirklich zum Singen zu
bringen». Jörg Widmanns Musik kennt also den tiefen Ernst des Ausdrucks, aber
auch Schönheit und Verspieltheit.
Thomas Meyer
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Jörg Widmann, was sind Sie: Klarinettist, Dirigent oder Komponist?
Ich bin Musiker. Alle Tätigkeiten sind nur Ausformungen ein und desselben. Natürlich ist es ein Problem, dass der Tag nur 24 Stunden hat – aber ich bin glücklich und
dankbar, dass ich all das machen darf. Die verschiedenen Dinge befruchten sich
auch gegenseitig, ich kann Energie aus dem einen für das andere schöpfen.
Gibt es Zeiten, in denen Sie ausschliesslich komponieren?
Immer wieder versuche ich, die verfügbare Zeit in Kompositions- und Spielphasen
aufzuteilen, was immer wieder glückhaft gelingt, häufig aber an der Realität scheitert: Stücke nehmen sich oft einfach die Zeit, die sie brauchen.
Seit 14 Jahren unterrichte ich jetzt als Professor an der Freiburger Musikhochschule
– zunächst für Klarinette, seit einigen Jahren zusätzlich auch für Komposition. Mir
ist klar geworden, dass ich trotz aller Hingabe ans Unterrichten und meiner Liebe zu
den Studenten diese Tätigkeit für einige Jahre auf Eis legen muss. Im Moment, das
spüre ich genau, möchte ich einfach spielen und komponieren. Und meine Aufgaben
als «Principal Guest Conductor» meines Orchesters, des Irish Chamber Orchestra,
nehme ich sehr ernst, das ist eine zeitintensive Aufgabe, die mir viel Freude macht.
Wo suchen Sie Inspiration für Werke? Wer ist Ihr Publikum?
Foto: Marco Borggreve
Da bin ich ganz Schönbergianer: «Kunst kommt von Müssen.» Ich kann nicht anders. Ich kann keine Test-Abstimmung vorher machen nach dem Motto: «Gefällt es
Ihnen auch?» Nur wenn ich selbst aufrichtig bin und nur das schreibe, woran ich
glaube, kann mir auch ein Publikum wieder glauben.
Inspiration kann überall herkommen. Mein Problem war nie, genügend Einfälle zu
haben. Eher zu viele – ich musste über viele Jahre lernen, diese zu bündeln, zu ordnen, zu strukturieren, sinnvolle Formen dafür zu finden. Meinen Freiheitsdrang und
«Heimat ist für mich immer dort, wo ich im Moment
eine gewisse Ausdruckswut in Einklang zu bringen mit Logik und formaler Stringenz
Musik machen darf.»
– das ist ein Lebensthema für mich.
Jörg Widmann
Warum glauben Sie, tun sich viele Leute so schwer mit der Neuen Musik?
Meine Erfahrung ist eine Gegenteilige: Die Leute sind überhaupt nicht so ängstlich, und schon gar nicht blöd. Oft sind es die Konzertveranstalter und so manche
Verantwortliche in Rundfunk und Fernsehen, die Angst vor ihrem Publikum haben
und ihm nichts zutrauen. Wenn ich etwas mein ganzes künstlerisches Leben lang
versucht habe, dann ist es, Musik aus unserer Zeit und vergangenen Jahrhunder-
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ten sinnvoll in einem Programm zu kombinieren – in gewissem Sinne ist das auch
Darüber hinaus wird es eine Vielzahl von Einführungsveranstaltungen und Nach-
Kom-ponieren, im Wortsinne. Weil ich überzeugt bin, dass nach einem neuen Stück
wuchsförderprogrammen geben, etwa in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hoch-
die verschatteten Zonen, die Trugschlüsse und Dissonanzen, etwa in einem spä-
schule der Künste.
ten Mozart-Stück, noch einmal ganz anders wahrgenommen und gehört werden –
Ich nehme so eine «residency» sehr ernst, ich möchte mich im Wortsinne an-greif-
und umgekehrt die Traditionsbezüge in der Musik unserer Zeit luzide und evident
bar machen. Und für uns alle, das Publikum, das Orchester, mich selber ist es
werden. Vorausgesetzt natürlich, all das ist exzellent musiziert und das Publikum
einfach eine wunderbare Gelegenheit, sich wirklich gut kennenzulernen, über eine
spürt, dass die Musiker auf der Bühne voll und ganz hinter dem stehen, was sie da
Saison lang mit der Sprache eines Künstlers in all ihrer Vielfalt, vielleicht auch in
gerade machen. Dann kann ein Publikum von einem neuen Stück ebenso begeistert
all ihren Widersprüchen vertraut zu werden. Auf den Austausch mit dem Orchester
werden wie von einem (scheinbar!) bekannten.
und dem Publikum freue ich mich sehr.
Braucht Neue Musik neue Konzertformen?
Sie reisen viel – gibt es etwas Typisches aus Ihrer Heimat Deutschland, das Sie
Ich habe viel in diese Richtung gearbeitet und experimentiert, vor allem, was Raum
vermissen?
und Licht anbelangt. Dennoch darf bei alledem nie vergessen werden, dass es im-
Wenn man lange in Amerika unterwegs ist: das Brot! Nein, ernsthaft, es stimmt, wir
mer und zentral um die Musik selbst gehen sollte.
sind mit Gustav Mahler «Fahrende Gesellen». Und Heimat ist für mich immer dort,
Alle Mittel sollen den Fokus auf das musikalische Geschehen stärken und nicht
wo ich im Moment Musik machen darf. Das kann eine Probe sein, dann bin ich in
davon wegführen oder ablenken. Heute ist es etwas modisch geworden, die Verpa-
diesem Moment im Mozart-Klarinettenkonzert daheim. Aber ehrlich gesagt wird für
ckung aufzupeppen, wenn die Inhalte dünner werden. Darum kann es nicht gehen.
mich das Daheim immer wichtiger.
Aber bei einer ernsthaften, auf die Sache konzentrierten Suche nach Kunst als ei-
Das Interview führte Michaela Braun
ner existenziellen Erfahrung sollen unserer Fantasie keine Grenzen gesetzt werden.
Berlioz träumte von einem utopischen Orchester – und Künstler aller Zeiten von
einem utopischen Raum.
Was verbinden Sie mit der Funktion des Creative Chair?
Jörg Widmann
Jörg Widmann Meisterklasse
Es ist mir eine grosse Freude und Ehre, kommende Saison so intensiv mit dem wun-
in unseren Konzerten
Komposition und Klarinette
meiner Werke durch das Orchester in den letzten Jahren sind mir unvergesslich:
Mi 16., Do 17.09.15
Mi 18., Do 19.05.16
das Violinkonzert, Lied für Orchester – was für ein zauberischer, magischer, homo-
So 20.09.15
Zürcher Hochschule der Künste
gener Klang!
So 25.10.15
Ich freue mich darauf, mit den Musikerinnen und Musikern des Tonhalle-Orchesters
Do 26.11.15
Zürich gemeinsam Kammermusik zu machen, das war mir bei der Planung etwas ganz
Mi 16., Do 17.03.16
Wichtiges. Über die Saison verteilt wird es mehrere meiner Orchesterstücke aus den
Do 31.03., Fr 01.04.16
letzten Jahren geben. Besonders freue ich mich darauf, mit dem neuen Chefdirigen-
Do 02.06.16
ten Lionel Bringuier und dem Orchester gemeinsam meine Elegie für Klarinette und
Mo 20.06.16
Orchester zu musizieren. Und natürlich das mozartische Klarinettenkonzert zu kombi-
Do 30.06.16
nieren mit meiner Messe für Orchester, die ich selbst dirigieren werde.
Mi 06., Do 07., Fr 08.07.16
derbaren Tonhalle-Orchester Zürich zusammenarbeiten zu dürfen. Aufführungen
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