Manuskript: Auf dem Weg zu einem islamischen Feminismus

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Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Volker Bernius
hr2Wissen
Reformislam
03 „Gleichberechtigt“ nicht „gleichwertig“ – auf dem Weg zu einem
islamischen Feminismus
von
Ulrike Köppchen
Sendung: xy.xy.2015, hr2-kultur
Regie: Marlene Breuer
Sprecherin
Overvoice / Sprecherin II, S. 2,3,4
hr2Wi 14-50
Copyright
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1. O-Ton: Amina Wadud
Standing up for justice and gender equality, working to reform asymmetrical gender
policies and toppling tyrannical practises and epistemologies are thus essential to an
agent of the human – divine relationship. These aspects of justice were all mandated
by Allah and established by the prophetic sunna.
Overvoice
Sich für Gerechtigkeit und Gleichheit der Geschlechter einsetzen, an einer Reform
asymmetrischer Geschlechterpolitik arbeiten, tyrannische Praktiken und Lehren
stürzen - sind wesentliche Dinge für jemand, der sich für die menschlich-göttliche
Beziehung einsetzt. All diese Aspekte von Gerechtigkeit sind im Auftrag Allahs und
begründet in der Lebensweise des Propheten.
Sprecherin:
Die afroamerikanische Islamwissenschaftlerin und Konvertitin Amina Wadud. Sie hat
zahlreiche Bücher über Frauen im Islam geschrieben. Als eine der ersten Frauen hat
sie 2005 in New York öffentlich das Freitagsgebet vor einer gemischten Gemeinde
geleitet sowie die muslimische Frauenrechtsorganisation „Sisters in Islam“
mitgegründet.
2. O-Ton: Katajun Amirpur
Das ist eigentlich die wichtigste Frau für den sogenannten islamischen Feminismus.
Sprecherin:
Die Hamburger Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
Islam und Feminismus – für viele ist das ein Widerspruch in sich. Allenfalls verbindet
man damit jene muslimischen Frauen, die Kopftuch und Schleier zu Symbolen der
Emanzipation erklären. Die Forderung nach Gleichberechtigung lehnen diese Frauen
als Gleichmacherei ab und betonen stattdessen die Gleichwertigkeit der
Geschlechter.
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3. O-Ton: Gudrun Krämer
Mann und Frau sind gleichwertig, sie sind auch gegenüber Gott in gleicher Weise in der
Pflicht, sie sind beide zu achten, aber sie haben gesellschaftlich unterschiedliche Rollen und
gegebenenfalls auch unterschiedliche Sphären.
Sprecherin:
Gudrun Krämer, Leiterin des Islamwissenschaftlichen Instituts an der Freien
Universität Berlin.
4. O-Ton: Gudrun Krämer
Geschlechtergerechtigkeit ist da nicht identisch mit völliger Gleichheit, weil – so lautet die
Argumentation – Mann und Frau nun mal physisch, möglicherweise psychisch
unterschiedlich ausgestattet sind und weil die Gesellschaft am besten funktioniert, wenn sie
Differenz anerkennt. Nicht gleichmacht, sondern Differenz anerkennt.
Sprecherin:
Dass es noch eine andere Deutung des Geschlechterverhältnisses im Islam gibt, ist
nicht zuletzt das Verdienst von Amina Wadud, der Pfarrerstochter aus Maryland, die
1972 als junge Erwachsene zum Islam konvertierte und später an Universitäten in
den USA und in Malaysia islamische Theologie und Islamwissenschaften lehrte.
5. O-Ton: Amina Wadud
The patriarchal family is built upon unequal or complementary relationships. Does
this complementarity fulfil the divine purpose on earth or achieve agency – the
ultimate obligation of all human beings created by Allah?
Overvoice
Die patriarchale Familie ist auf ungleichen oder komplementären Beziehungen
aufgebaut. Erfüllt diese Komplementarität einen göttlichen Zweck auf Erden oder
lässt sich dadurch Repräsentanz (?) erreichen, die ultimative Verpflichtung aller von
Gott geschaffenen Menschen?
Sprecherin:
Amina Wadud bei einem Vortrag in der Universität Leiden im November 2013. Darin
beklagt sie das patriarchale Familienbild , das seit über 1000 Jahren in muslimischen
Kulturen herrscht. Es weist der Frau eine dienende Rolle zu und rechtfertigt dies mit
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der weiblichen Natur. Sich dieser Rolle zu verweigern, wäre als „unislamisch“
angesehen worden.
6. O-Ton: Amina Wadud
It was not a price the overwhelming majority of Muslim women were willing to pay. So
they made their peace with it. No one questioned the Islamic origin of this
asymmetry. How do we determine if this was a divine intent or the product of
interpreters who were limited to and influenced by their own social and cultural
realities? Since no articulation of the egalitarian family was practised at the time of
the prophet, developed in Islamic law or envisioned by secular muslim feminists and
Islamists alike, this very notion of family became indisputable. This was were a
radical reform was needed.
Overvoice:
Die überwältigende Mehrheit der muslimischen Frauen war nicht bereit diesen Preis
zu zahlen. Also machten sie ihren Frieden damit. Niemand stellte den islamischen
Ursprung dieser Asymmetrie in Frage. Wie bestimmen wir, ob diese einer göttlichen
Absicht entspricht oder ob sie das Produkt von Interpreten ist, die beschränkt und
beeinflusst waren von ihrem kulturellen und sozialen Umfeld? Weil ein egalitäres
Familienmodell weder zur Zeit des Propheten praktiziert wurde, noch es im
islamischen Recht entwickelt wurde noch von muslimischen Feministinnen oder
Islamisten als Möglichkeit gesehen wurde, wurde das asymmetrische Familienmodell
unanfechtbar. An diesem Punkt wurde eine radikale Reform nötig.
Sprecherin:
Was muslimische Feministinnen wie Amina Wadud von anderen Frauenrechtlerinnen
unterscheidet, ist, dass sie nicht gegen den Koran argumentieren, sondern mit ihm.
Wie für alle Muslime ist der Koran für sie eine heilige Schrift, die Gottes
unverfälschtes Wort enthält. Aber vielleicht nicht immer im Wortlaut. Denn der Koran
ist auch ein Text, der in die arabische Gesellschaft des 7. Jahrhunderts hinein
offenbart wurde und dementsprechend auf die kulturellen Umstände der damaligen
Zeit Bezug nimmt. Es gehe insofern darum, die hinter diesen Aussagen stehenden
Prinzipien zu identifizieren und diese vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
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gesellschaftlichen Situation mit Inhalt zu füllen. Die Islamwissenschaftlerin Katajun
Amirpur:
O-Ton: Katajun Amirpur
Eine sehr berühmte Argumentation lautet eben, dass man den Geist des Gesetzes sich
anschauen muss und dass aus dem Koran in seiner Gänze eben die Tendenz spreche, dass
man die Situation von Frauen habe verbessern wollen seinerzeit und dementsprechend
müsse man da heute weiterdenken.
Sprecherin:
Wenn beispielsweise im Koran steht, das Zeugnis einer Frau zähle vor Gericht halb
so viel wie das eines Mannes, soll damit nicht für alle Zeiten eine rechtliche
Ungleichbehandlung festgeschrieben werden. Sondern darin drückt sich – so die
Argumentation – Gottes Wille aus, die Position der Frauen zu verbessern. Denn
vorher habe deren Aussage vor Gericht überhaupt nicht gezählt.
Auch kritisiert Amina Wadud die verbreitete Ansicht, der Koran schreibe Frauen vor,
ein Kopftuch zu tragen. Er enthalte lediglich die Aufforderung, sich sittsam zu kleiden.
Vor 1400 Jahren mag ein Kopftuch dafür das angemessene kulturelle
Ausdrucksmittel gewesen sein. Wer daraus auch für die Gegenwart eine
Verpflichtung zum Kopftuch ableitet, erklärt jedoch, die Vorstellungen des 7.
Jahrhunderts, was sittsame Bekleidung ist, zu einem allgemeingültigen Prinzip, so
Amina Wadud.
Freunde macht man sich mit solchen These bei der konservativen Mehrheit der
Muslime nicht. Und so dürften die Chancen, dass Amina Waduds Vision von einem
geschlechtergerechten Islam Wirklichkeit wird, auf absehbare Zeit gegen Null gehen.
Im Kleinen jedoch hat sie schon einiges bewegt. Katajun Amirpur:
O-Ton: Katajun Amirpur
Die schreibt auf Englisch, die ist in sämtliche Sprachen der islamischen Welt übersetzt
worden – in einigen Ländern sind ihre Bücher allerdings verboten – aber sie wurde dann
irgendwann gelesen von einer Frau aus Uganda, glaube ich, und die ist dann
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Menschenrechtsaktivistin geworden und war so beeindruckt durch das, was sie da gelesen
hat, sie hat sich eingesetzt gegen weibliche Genitalverstümmelung und ist zur Frau des
Jahres gewählt worden in ihrem Heimatland, also da sieht man, dass Schriften auch wieder
umgesetzt werden von anderen Leuten, von Aktivisten.
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