Langzeitverlauf posttraumatischer Belastungsreaktionen bei ehemals politisch Inhaftierten der DDR. Ergebnisse einer 15-Jahre Follow-Up-Studie Matthias Schützwohl TU Dresden Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Magdeburg, 24.02.2014, Fachtagung SED-Verfolgte und das Menschenrecht auf Gesundheit Hintergrund Querschnittsstudien konnten zeigen, dass es nach politisch bedingter Inhaftierung in der DDR zu posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und anderen Folgestörungen kommen kann [vgl. z.B. Bauer et al. 1993; Maercker u. Schützwohl, 1997; Weißflog et al., 2011]. Langzeitverlauf der PTBS aus: Breslau et al. (1998). Trauma and Posttraumatic Stress Disorder in the Community. The 1996 Detroit Area Survey of Trauma Langzeitverlauf der PTBS gemäß DSM-IV Die Symptome beginnen normalerweise innerhalb der ersten 3 Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Symptomdauer ist unterschiedlich, wobei in der Hälfte der Fälle innerhalb von drei Monaten eine vollständige Remission eintritt, bei vielen anderen die Symptome länger als 12 Monate nach dem Trauma noch bestehen bleiben. Sass et al. (1996). Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen: übersetzt nach der vierten Auflage (.…) Langzeitverlauf der PTBS gemäß DSM-IV-TR Die Symptome beginnen normalerweise innerhalb der ersten 3 Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Symptomdauer ist unterschiedlich, wobei in der Hälfte der Fälle innerhalb von drei Monaten eine vollständige Remission eintritt, bei vielen anderen die Symptome länger als 12 Monate nach dem Trauma noch bestehen bleiben. In manchen Fällen besteht eine wechselnde Zu- und Abnahme der Symptome. Ein Wiederaufleben von Symptomen kann durch Erinnerungen an das ursprüngliche Trauma, durch lebenssituative Belastungen oder durch neue traumatisierende Ereignisse ausgelöst werden. Sass et al. (2003). Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen - Textrevision: übersetzt nach der Textrevision der vierten Auflage (.…) Langzeitverlauf der PTBS gem. ICD-10 Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft. In der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. Bei wenigen Betroffenen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über. Dilling u. Freyberger (2006). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen Langzeitverlauf der PTBS 1 J. 2 J. 3 J. 30 J. aus: Solomon Z, Mikulincer M (2006). Trajectories of PTSD: A 20-Year Longitudinal Study. AM J Psychiatry, 163: 659ff Langzeitverlauf der PTBS gem. Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen Für den Sachverständigen unproblematisch ist die Forderung des DSM-IV, dass die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung wenigstens 1 Monat andauern. Bei weniger als 3 Monaten andauernden Symptomen ist von einer „akuten“, bei länger anhaltenden Symptomen von einer „chronischen“ Störung zu sprechen. Zur möglichen Gesamtdauer nehmen weder der ICD10 noch der DSM-IV dezidiert Stellung. Erwähnt wird lediglich, dass die Störung „bei wenigen Patienten“ über viele Jahre hinweg einen chronischen Verlauf nimmt. aus: Sk2 – Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psycho-somatischer Erkrankungen. AWMF-Registernr. 951/029, S.107 / 147 Langzeitverlauf der PTBS gem. Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen aus: Sk2 – Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psycho-somatischer Erkrankungen. AWMF-Registernr. 951/029, S. 107 / 147 Fragestellungen Vergleich der Prävalenz psychischer Störungen und der PTBS-Symptomatik bei ehemals politisch Inhaftierten der DDR in einem 15-Jahres Follow-Up Verlauf der Vollbilder einer PTBS bei ehemals politisch Inhaftierten der DDR über einen Zeitraum von drei Messzeitpunkten Identifizierung von Prädiktoren für den Verlauf der Vollbilder einer PTBS (…) Studiendesign Inhaftierung in der DDR zwischen 1949 und 1989 t0 1994-1996 Ersterhebung 2008-2010 Follow-Up Untersuchung t1 t2 Rekrutierung der Studienteilnehmer Studienteilnehmer im Rahmen der Ersterhebung nicht lokalisierbar N = 146 n = 11 Studienteilnehmer, die identifiziert werden konnten bereits verstorben N = 135 n = 25 Studienteilnehmer, die um Teilnahmebereitschaft angefragt wurden Anzahl der ehemaligen Studienteilnehmer, die sich ablehnend äußerten N = 110 n = 17 Studienteilnehmer der Follow-Up-Untersuchung nur am Fragebogenteil der Studie teilnehmend N = 93 n= 7 Studienteilnehmer der Follow-Up-Untersuchung mit vollständigen Datensätzen N = 86 Punktprävalenz psychischer Störungen (in %) 33 29 26 26 25 21 16 16 13 12 19 19 14 12 9 7 7 6 6 2 PTBS Agoraphobie Panikohne störung Panikstörung 2 Spezifische Andere Phobie, spezifische klaustroPhobie phobischer Typ Sozialphobie 1994-1996 nach: Maercker, Gäbler u. Schützwohl (2012) 6 GAS 3 Zwangsstörung 6 6 3 Majore Majore Dysthymie Somato- SubstanzDepression, Depression, forme missbrauch aktuelle rezidivierend Störungen Episode 2008-2010 Punktprävalenz psychischer Störungen (in %) 33 29 26 26 25 21 16 16 13 12 19 19 14 12 9 7 7 6 6 2 PTBS Agoraphobie Panikohne störung Panikstörung 6 2 Spezifische Andere Phobie, spezifische klaustroPhobie phobischer Typ Sozialphobie 1994-1996 nach: Jacobi et al. (2014). Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung GAS 3 Zwangsstörung 6 6 3 Majore Majore Dysthymie Somato- SubstanzDepression, Depression, forme missbrauch aktuelle rezidivierend Störungen Episode 2008-2010 Vergleich der PTBS-Symptomatik 1994-1996 und 2008-2010 aus: Maercker, Gäbler u. Schützwohl (2012) Verlauf kategorialer PTBS-Diagnosen Inhaftierung n=86 100.0% keine PTBS n=32 37.2% nach Haftentlassung keine PTBS n=31 36.0% 19941996 20062008 keine PTBS n=26 30.2% resilient PTBS n=54 62.8% keine PTBS n=30 34.9% PTBS n=1 1.2% PTBS n=24 27.9% PTBS n=5 5.8% keine PTBS n=0 0.0% PTBS n=1 1.2% keine PTBS n=22 25.6% PTBS n=8 9.3% keine PTBS n=10 11.6% PTBS n=14 16.3% spät verzögert wechselnd früh verzögert früh remittiert wechselnd spät remittiert chronisch nach: Maercker et al. (2012); Maercker et al. (2013) Prädiktoren für den Verlauf kategorialer PTBS-Diagnosen nach: Maercker, Gäbler, … Schützwohl u. Müller (2013) Zusammenfassung Nach politischer Haft in der DDR leidet ein signifikanter Anteil der ehemals Inhaftierten auch ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung unter einer PTBS. Es findet sich zudem ein hoher Anteil depressiver Störungen und verschiedener Angststörungen, die komorbid oder aber singulär auftreten. Der Verlauf posttraumatischer Belastungsreaktionen ist sehr variabel und in der Praxis sind deutlich mehr Verlaufsformen der PTBS zu beobachten als z.B. in der Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen aufgeführt. Verlaufsprädiktoren konnten nur Hypothesen generierend ermittelt werden. Ein Hinweis darauf, dass die in der Praxis durchgeführten psychiatrischen oder psychotherapeutischen Interventionen wirksam sind, findet sich nicht. Schlussbemerkung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontaktdaten PD Dr. Matthias Schützwohl Universitätsklinikium C.G. Carus der TU Dresden Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Fetscherstraße 34 01307 Dresden E-Mail: [email protected] nach: Maercker, Gäbler u. Schützwohl (2012)