2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 60 2.2.3.6 Supraleiter 2. Art Betrachten wir zunächst die Flußfäden genauer. Je mehr Grenzflächen vorhanden sind, um so stärker kann die Energie abgesenkt werden. Dies bedeutet, daß sich der Fluß im 2-Dimensionalen möglichst fein verteilen muß. Die untere Grenze wird durch die Flußquantisierung gegeben. Solche Flußbündel laufen wegen der Quellenfreiheit des Feldes (divB=0) entweder von Oberfläche zu Oberfläche, oder sie sind ringförmig geschlossen. Nach dem Ampereschen Gesetz fließen Abschirmströme um das Flußbündel (s. Fig. 2.47). Bisweilen werden die Flußfäden auch als Flußschläuche (engl. flux line bzw. vortex) bezeichnet. Fig. 2.47: Fluß durch einen Flußfaden mit Abschirmströme In Figur 2.48 ist der Verlauf des Magnetfelds und der suprafluiden Dichte für einen Flußfaden gezeigt. In der Mitte des Flußfadens ist ns=0. Da es sich um einen Supraleiter 2. Art handelt ist die Kohärenzlänge kleiner als die Eindringtiefe. Fig. 2.48: Verlauf der Kohärenzlänge bzw. der Eindringtiefe innerhalb eines Flußfadens. In Figur 2.48 ist das Ergebnis der Rechnung für ? = ns und B gezeigt. Fig. 2.49: Verlauf der makroskopischen Wellenfunktion und des Magnetfeldes für einen Flußfaden. 2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 61 Nun wollen wir die Freie Energie einer Grenzfläche für ein allgemeines Feld B ≠ Bcth betrachten: Fgr B2 B2 = − λGL + ξGL cth A 2µ 0 2µ 0 Der erste Term beschreibt wieder die Feldverdrängungsenergie, die auf Grund des eindringen Magnetfeldes eingespart werden kann. Der zweite Term beschreibt den dadurch entstehenden Verlust an Kondensationsenergie. Flußfäden entstehen spontan, wenn die Feldverdrängungsenergie die Kondensationsenergie übersteigt. Da die Feldverdrängungsenergie von B abhängt, überwiegt für genügend kleine Felder stets der zweite Term und es liegt die Meissnerphase vor. Das Feld, bei dem beide Terme gleich groß sind, ist das untere kritische Feld Bc1. Für große Felder dringen Flußfäden ein und es bildet sich die Gemischte Phase (=Shubnikov Phase). Das untere kritische Feld Bc1 ist um so kleiner, je größer κ ist. Nach Abrikosov gilt der Zusammenhang (Ginzburg-Landau Theorie): B ln ? + 0,08 Bc1 = cth für κ > > 1 ? 2 Figur 2.50 zeigt eine Berechnung des gemischten Zustandes (B>Bc1) mit Linien konstanter Feldstärke. Die Kerne der Flußfäden ordnen sich zu einem energetisch günstigen Dreiecks-Gitter an. Fig. 2.50: Mikroskopische Anordnung der Flußfäden zu einem Dreicks-Gitter. Die Linien entsprechen Orte konstanter Feldstärke. (Hübener) In Fig. 2.51 – Fig 2.53 zeigen wir Beispiele für experimentelle Beobachtungen des Flußfaden-Gitters. In Fig. 2.51 wurde die Probe (Pb + 6,3 % In) in einem Magnetfeld auf 1,2 K abgekühlt und mit Eisen Clustern (=kleine Magnete) bedampft. Diese häufen sich dort, wo Fluß aus der Probe dringt. Das Bild zeigt eine anschließende Raster-Elektronen-Mikroskop (REM) Aufnahme (schwarzer Punkt ≡ Ort eines Flußfadens). Das regelmäßige Gitter der Flußfäden läßt sich auch mit Hilfe spinabhängiger Neutronenstreuung darstellen. Figur 2.52 a) zeigt die Flußfäden mit großem Abstand bei kleinem Magnetfeld. In Teilbild b) ist das Feld höher, so daß die Flußfäden bereits stark überlappen. 2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 62 Fig. 2.51: REM-Aufnahme einer mit Eisencluster dekorierten Pb/In Probe. (Träuble, Essmann) Fig. 2.52: Über Neutronenstreuung beobachtetes regelmäßiges Gitter der Flußfäden. (Schelten, Ullmaier, Schmatz) Eine neue Methode ist die direkte Bestimmung der Verteilung der suprafluiden Dichte ψ mit Hilfe der Tunnelmikroskopie (Hess et al 1989). Das erhaltenen Flußfaden-Gitter ist in Figur 2.53 gezeigt. Fig. 2.53 Flußfaden-Gitter einer NbSe2 Probe bei 1,8 K in einem 1 T Magnetfeld (Hess). 2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 63 Jeder Flußfaden trägt ein Flußquant Φ 0. Alle zusammen erzeugen das innere Feld Bi. Im Mittel gilt für das innere Feld: F NF 0 N Bi = = = nF 0 A : Probenquerschnitt n = : Flußfadendichte A A A Dieses Feld bestimmt makroskopisch die Magnetisierungskurve. Seine Abhängigkeit vom äußeren Feld ist in Fig. 2.54 gezeigt. Bei Bc1 könnte ein Sprung in der Kurve erklärt werden, da sofort viele Flußquanten eindringen können. Da sich die Flußfäden aber gegenseitig abstoßen, kommt es nur zu einer senkrechten Tangente. Fig. 2.54: Verlauf des inneren Feldes für einen Typ 2 SL. Die Abstoßung der Flußfäden soll anhand Figur 2.55 erklärt werden. Fig. 2.55: Überlappung zweier Flußfäden Ist der Abstand der beiden Flußfäden in der Größenordnung von λ, überlappen sich die Magnetfelder der einzelnen Fäden (grau markierter Bereich). In diesem Überlappungsgebiet ist die Einsparung an Feldverdrängungsenergie eines Flußfadens geringer als in einem Bereich ohne Überlappung. Je größer der Überlappungsbereich wird, desto stärker wird dieser Effekt. Dies wirkt wie eine Energiebarriere. Um die Flußfäden entgegen dieser Barriere zusammenzudrängen muß mehr Feldverdrängungsenergie (∝ B) verfügbar sein, d.h. ein stärkeres äußeres Feld angelegt werden. Dies erklärt das Abbiegen der Kurve (Fig. 2.54). Die größte Dichte der Fäden wird erreicht, wenn sich auch die normalleitenden Kerne überlappen, so daß die suprafluide Dichte zwischen den Fäden verschwindet. Dies entspricht dem oberen kritischen Feld Bc2. Für jedes Flußquant steht dann nur noch eine Fläche 2 ≈ξGL zur Verfügung. Daher ist: F Bc 2 ≈ 0 2 ξGL 2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 64 Genauer gilt nach Abrikosov: Bc 2 = Φ0 = 2κBcth 2 2πξGL Ist κ groß, folgt damit auch ein hohes kritisches Feld Bc2. In dieser großen Magnetfeldverträglichkeit liegt die Bedeutung der SL 2. Art für technische Anwendungen. Der Einfluß des Ginzburg-Landau Parameters κ auf die Magnetisierungskurve ist in Figur 2.56 gezeigt. Bcth, und damit die Fläche der Kurve, ist hier für verschiedene Werte von κ konstant gehalten. Dies bedeutet, daß Bc1 gleichzeitig mit steigendem κ abnimmt. Fig. 2.56: kritische Felder in Abhängigkeit vom Ginzburg-Landau Parameter κ. Um ein möglichst großes κ zu erzielen, müssen so viele Defekte (Verunreinigungen) in die Probe gebracht werden, daß die mittlere freie Weglänge l der Probe kleiner als die Ginzburg-Landau Kohärenzlänge ξGL ist (=schmutziger Grenzfall od. dirty limit). Für Niedertemperatur-SL liegt ξGL in der Größenordnung von einigen 10 nm, für Hochtemperatur-SL (HTSL) bei 1-2 nm. Die mittlere freie Weglänge l ist damit eine weitere charakteristische Länge, wobei im schmutzigen Grenzfall gilt: 1 κ∝ für l < ξGL l Ein Beispiel hierfür ist Blei. Reines Blei mit κ < 1 2 ist ein Typ I SL. Dagegen ist die Legierung Blei / Indium mit κ > 1 2 ein Typ II SL. Technisch wichtig für Magnetspulen ist die Verbindung Nb3Sn. Bei dieser ist κ ≈30. Obwohl Bcth mit 0,1 T nicht besonders hoch ist, wird trotzdem Bc2≈5T. Beim HTSL YBa2Cu3O7-δ ist aufgrund der sehr kleinen Kohärenzlänge κ ≈ 100. Mit Bcth≈1T wird hier Bc2≈60T bei 0 K. Dieser Wert ist nicht direkt meßbar, ergibt sich aber aus einer Extrapolation der Meßergebnisse Von besonderer Bedeutung ist das sog. Pinning, das im nächsten Kapitel besprochen werden soll. 2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 65 2.2.3.7 Pinning in Supraleitern 2. Art Dieses ist von besonderer Bedeutung bei Magnetspulen, Trafos, Motoren usw., bei denen der Supraleiter im Magnetfeld noch zusätzlich von einem Transportstrom durchflossen wird. Wir wollen den Einfluß des Transportstromes untersuchen und betrachten dazu Fig. 2.57. An die Probe sei ein Magnetfeld B angelegt. Außerdem wird sie von einem Transportstrom jtrans durchflossen. Dadurch wird eine Kraft auf die Flußschläuche ausgeübt, auf die wir im folgenden näher eingehen. Fig. 2.57 Der Transportstrom durch die Probe bewirkt eine Kraft F auf die Flußfäden. Zunächst betrachten wir einen einzelnen Flußschlauch (Fig. 2.58). Fig. 2.58: Wirkung eines Transportstromes auf einen Flußfaden Die Situation ist ähnlich wie beim Hall-Effekt. Durch das Magnetfeld in der λ-Zone des Fadens erfährt der Transportstorm eine Lorentzkraft FL. Für einen Ladungsträger gilt: r r r FL = qv ×B r r r r r Mit der Ladungsdichte ρ und der Kraftdichte f=F/V folgt: f = ρv ×B = jtrans ×B Die Richtung von f ist senkrecht zum Magnetfeld und senkrecht zum Strom. Wie beim Hall-Effekt ergibt f zunächst eine Ablenkung des Transportstroms. Dadurch entsteht jedoch eine Hallspannung, die den Strom wieder geradeaus zwingt. Diese Gegenkraft zur Lorentzkraft wirkt aber auf den Flußfaden, und kann diesen in Bewegung setzen. 2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 66 Wir wollen nun die Kraft berechnen. Es gilt: 3r F= ∫fd r Fadenvolumen Da der Flußfaden in B-Richtung translationsinvariant ist ergibt die Integration über z die Länge L des Fadens (=Probendicke): r r F = L ∫fd 2 r =L ∫jtrams Bd 2 r Der Transportstrom ist homogen auf der λ-Skala, so daß gilt: r F = jtrams L ∫Bd 2 r = jtrams LF 0 ⇒ F = jtramsF 0 L Dies ist die Lorentzkraft pro Länge auf einen Flußfaden. Wenn sich der Flußfaden unter der Wirkung dieser Kraft mit der Geschwindigkeit v bewegt, so wird Arbeit geleistet. Für die Leistung gilt: P = Fv FF wobei vFF die Geschwindigkeit des Flußfadens ist. Diese Leistung ist gleich der elektrisch zugeführten Leistung, weshalb für N Flußfäden gilt: P = NFv FF = UI Für vorgegebenen Strom tritt also ein Spannungsabfall U=P/I auf. Durch leichte Umrechnung findet man: U = Blv FF wobei l die Länge der Probe ist. Trotz der Supraleitung hat der Typ 2. SL also einen „Flußbewegungs-Widerstand“ oder „flux flow resistance“. Die am Flußfaden geleistete Arbeit wird dissipiert, d.h. letztlich in Wärme umgewandelt. Dafür gibt es zwei Mechanismen: a) durch Paarbrechung und Rekombination: Dazu betrachten wir die Bewegung eines Flußfaden zu zwei verschiedenen Zeitpunkten. Zum Zeitpunkt t1 befinde sich die Nullstelle der Wellenfunktion am Ort x1 entsprechend zu t2 bei x2 (s. Fig. 2.59). Am Ort x1 wird ψ und damit die Dichte ns mit der Zeit größer. Einzelne Elektronen rekombinieren hier zu Paaren. Am Ort x2 müssen mit der Zeit Paare aufgebrochen werden. Diese Paarbrechung und Rekombination erfolgt gegenüber der Wanderung von ψ zeitlich verzögert, weshalb netto Phononen (=Wärme) erzeugt werden und wir einen irreversiblen Prozeß erhalten. Fig. 2.59: Ort des Flußfadens zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten. Aufgrund der Wanderung ist es erforderlich die einzelnen Cooper-Paare aufzubrechen und anschließend zu rekombinieren. Dies ist ein irreversibler Prozeß. 2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 67 Anmerkung: Da die Cooper Paare zeitlich verzögert aufbrechen ist die Zahl der Cooper Paare an diesem Ort höher als sie ihm eigentlich entspricht. Dadurch „sehen“ die Cooper Paare beim Aufbrechen eine zu niedrige Energielücke, weshalb die beim Aufbrechen emittierten Phononen von geringerer Energie sind. Umgekehrt verhält es sich bei der Rekombination. Hier ist die Energielücke zu höheren Energien hin verschoben. Dies bedeutet in der Bilanz einen Energieverlust. b) durch Ohmsche Verluste im Wirbelkern: Bei höheren Temperaturen können wir uns den Kern als normalleitenden Bereich vorstellen. Läuft der Wirbelkern über den Ort x1 (s. Fig. 2.60), so ist dort ein zeitlich veränderliches Magnetfeld festzustellen. Fig. 2.60: Aufgrund der Wanderung des Flußfadens ist am Ort xi ein veränderliches Magnetfeld zu verzeichnen. Ein zeitlich veränderliches Magnetfeld bedeutet nach dem Induktionsgesetz ein elektrisches Feld. Das lokal induzierte elektrische Feld ist gegeben durch: ∂B ∂B = v FF ∂t ∂x Dieses elektr. Feld beschleunigt einzelne Elektronen im normalleitenden Kern und führt so zu Ohmschen Verlusten. − ∇ ×E = Beide Verlustmechanismen sind proportional zur Geschwindigkeit vFF der Flußfäden. Damit sind auch die Kräfte - äquivalent zu Reibungskräften - proportional zu vFF. Experimentell sind sie nicht voneinander trennbar. Die Geschwindigkeit vFF wird stationär wenn gilt: FL = FRe ibung ; wobei : FL ∝ jTrans und FRe ibung ∝ v FF ∝ U Der Transportstrom ist also proportional zur Spannung. Damit ist ein Ohmscher Widerstand zu erwarten. Im Vergleich dazu zeigt Figur 2.61 gemessene Strom-Spannungskennlinien. Die Ohmsche Gerade würde durch den Nullpunkt gehen. Dagegen bleibt bei realen Proben die Spannung zunächst klein und nimmt erst bei größeren Strömen einen zur Ohmschen Geraden parallelen Verlauf. Wir definieren den Strom, bei dem die Spannung meßbar von Null verschieden ist, als den kritischen Strom. Der kritische Strom ist materialabhängig und wächst mit der Defektdichte. Meist verwendet man folgende Konvention: Der technische kritische Strom Ic ist dann erreicht, wenn am SL eine Spannung von 1µV/cm Probenlänge abfällt. 2.2 Supraflüssigkeit 2.2.3. Ginzburg-Landau-Theorie 68 Fig. 2.61: Strom-Spannungskennlinie für eine Probe mit weniger oder mehr Defekte. Defekte erhöhen also nicht nur κ, sondern auch die kritische Stromdichte. Die Inhomogenitäten halten offenbar die Flußfäden fest, weshalb man hier von Flußverankerung (flux pinning) spricht. Dieses erzwingt eine Geschwindigkeit v=0 weshalb keine Arbeit verrichtet wird und somit kein Widerstand meßbar ist. Ab einer bestimmten Stromstärke reißen sich die Flußfäden von ihren Pinningzentren los und dissipieren dann Energie. Warum werden Flußfäden gepinnt? Dies sei anhand Figur 2.62 verdeutlicht. Fig. 2.62: Flußpinning an Inhomogenitäten in der Probe. Gezeigt sind Verunreinigungen (schraffiert) und Flußfäden (parallele Linien) (Buckel) Im Material befinden sich normalleitende Ausscheidungen mit geringer Kondensationsenergie (z.B. tempern von Nb3Sn => Sn Partikel fallen aus mit Tc,Sn<Tc,Nb3Sn). Die Flußfäden durchlaufen diese NL-Bereiche, da so weniger Kondensationsenergie aufgebracht werden muß (es ist keine Paarbrechung erforderlich). Um die Flußfäden von diesen Pinningzentren weg zu bewegen muß diese gesparte Kondensationsenergie aufgebracht werden. Ein weiteres Beispiel ist in Figur 2.63 dargestellt. Hier ist ein dünner Film mit einer rauhen Oberfläche gezeigt, weshalb man Flußfäden in unterschiedlicher Länge erhält. Die Täler der Oberfläche können wir uns als normalleitende Einschlüsse vorstellen, weshalb diese als Pinningzentren wirken. Fig. 2.63: Oberflächenpinning an einer rauhen Oberfläche