Kapitel 6 Symmetrietransformationen Besonders wichtig, nicht nur in der Quantenmechanik, sind zeitliche und räumliche Verschiebungen sowie Drehungen. Man bezeichnet sie auch als „Symmetrietransformationen”, weil das physikalische System darunter oft unverändert bleibt. Zu den Symmetrieoperationen gehört auch die räumliche Spiegelung (Kap. 4.6.2). 6.1 Zeittranslationen In Kapitel 3.1 haben wir den Zeitentwicklungsoperator Û (t, t0 ) kennengelernt, der einen Zustandsvektor ψ(t)i in der Zeit verschiebt: |ψ(t)i = Û (t, t0 ) |ψ(t0 )i = − ~i e Rt t0 Ĥτ dτ |ψ(t0 )i . (6.1) Wenn der Hamiltonoperator nicht explizit von der Zeit abhängt, vereinfacht sich diese Beziehung zu i |ψ(t)i = e− ~ Ĥ (t−t0 ) |ψ(t0 )i . (6.2) Man nennt den Hamiltonoperator deswegen den Erzeuger der Zeittranslation. Der Zeittranslationsoperator Û muss unitär sein, damit die Norm von |ψi erhalten bleibt, d.h. damit sich die Gesamtwahrscheinlichkeit, ein Teilchen irgendwo zu finden, nicht ändert. Daraus folgt, dass Ĥ hermitesch sein muss. 189 6.2. Zu Lie-Gruppen Per Konstruktion ist die Operation der Zeittranslation linear im Zustandsvektor |ψi, und sie hat die Struktur einer Gruppe: Û (t2 , t1 ) Û (t1 , t0 ) = Û (t2 , t0 ) . (6.3) Wenn der Hamiltoperator nicht explizit von der Zeit abhängt, dann ist kein Zeitpunkt gegenüber einem anderen ausgezeichnet. Das physikalische System verhält sich dann zu jedem Zeitpunkt gleichartig; es ist zeittranslationsinvariant. Wir haben in Kap. 3.4 gesehen, dass dann die Energie zeitlich erhalten ist: i i hψ(t)|Ĥ|ψ(t)i = hψ(t0 )|e ~ Ĥ (t−t0 ) Ĥ e− ~ Ĥ (t−t0 ) |ψ(t0 )i = hψ(t0 )|Ĥ|ψ(t0 )i Dies ist ein Spezialfall des Noetherschen Theorems: Zu jeder kontinuierlichen Invarianz eines Systems gehört eine Erhaltungsgröße (s.u.). 6.2 Zu Lie-Gruppen Wir werden im Folgenden räumliche Translationen und Drehungen behandeln. Wir werden sehen, dass die zugehörigen Operatoren genauso wie bei Zeittranslationen von der Gestalt i Ĝ(c) = e− ~ c  (6.4) sind, mit einem hermiteschen Erzeuger  und einem (oder mehreren) kontinuierlichen reellen Parameter(n) c.1 Da  hermitesch ist, sind diese Operatoren unitär. Operatoren dieser Gestalt sind kontinuierlich mit dem Einheitsoperator verbunden (im Gegensatz zur räumlichen Spiegelung) und sie haben Gruppeneigenschaften. Die zugehörigen Gruppen nennt man Lie-Gruppen, und die Erzeuger sind Elemente der zugehörigen LieAlgebra, mit jeweils charakteristischen Vertauschungsrelationen. Die Eigenschaften solcher Gruppen kann man schon an Hand von infinitesimalen Operationen (|c| 1) Ĝ(c) = 1̂1 − 1 i 1 c  + (c Â)2 + . . . ~ 2~2 Die Namen Ĝ, Â, c sind hier frei gewählt; es gibt dazu keine allgemeine Konvention. 190 Kapitel 6. Symmetrietransformationen untersuchen, wobei es reicht, lediglich bis zur 2. Ordnung in c zu entwickeln. Auch die Rotation von Spins wird über einen solchen Operator beschrie~ˆ i ben, nämlich e− ~ ϕ ~n S (s.u.), mit der Lie-Gruppe „SU (2)”, das ist die Gruppe der unimodularen (Determinante=1) unitären Operatoren in 2 Dimensionen. Räumliche Drehungen von normalen Vektoren gehören zu Symmetriegruppe SO(3) (s.u.). Weitere analoge Symmetriegruppen spielen in der Relativitätstheorie und in der Elementarteilchenphysik eine große Rolle, z.B. die Symmetriegruppe SU (3) in der Quantenchromodynamik. 6.3 Noethersches Theorem Wir nehmen im Folgenden an, dass weder der Hamiltonoperator Ĥ noch i der Erzeuger  einer Transformation Ĝ(c) = e− ~ c  explizit von der Zeit abhängen. Unter der Transformation Ĝ werden Zustände |ψi gemäß |ψi −→ Ĝ |ψi transformiert. Die physikalischen Matrixelemente wie hψ|Ĝ† B̂ Ĝ|ψi bleiben dieselben, wenn man stattdessen die Zustände unverändert lässt und alle Operatoren transformiert (s. Gl. (A.52), Gl. (A.54)). Ein beliebiger Operator B̂ transformiert sich bei diesem Zugang gemäß B̂ −→ B̂ 0 = Ĝ† B̂ Ĝ (6.5) i i c  + . . . B̂ 1̂1 − c  + . . . ~ ~ i = B̂ + c [Â, B̂] + O(c2 ) , ~ = 1̂1 + (6.6) wobei in „O(c2 )” höhere Kommutatoren enthalten sind (Baker-HausdorffFormeln). Das betrachtete physikalische System ist durch seinen Hamiltonoperator charakterisiert. Es ist invariant unter der Transformation Ĝ, wenn sich der Hamiltonoperator bei der Transformation nicht ändert. Wegen Gl. (6.5) und (6.6) ist dies (mit der Wahl B̂ = Ĥ) äquivalent zu [Â, Ĥ] = 0 , 191 (6.7) 6.4. Räumliche Translationen d.h. der Hamiltonoperator vertauscht dann mit dem Erzeuger  der Transformation. Mit der Heisenbergschen Bewegungsgleichung Gl. (3.50) folgt d i = [Ĥ, Â] = 0 dt ~ und man erhält das N OETHERSCHE T HEOREM i Wenn ein System unter Transformationen Ĝ = e− ~ c  invariant ist, d.h. wenn sich der Hamiltonoperator unter dieser Transformation nicht ändert, dann kommutiert Ĥ mit dem Erzeuger Â, und  ist zeitlich erhalten, d.h. sein Erwartungswert und seine Matrixelemente ändern sich zeitlich nicht. Dies gilt auch umgekehrt: wenn [Â, Ĥ] = 0, dann ist das System unter der von  erzeugten Transformation invariant. Die wichtigsten Spezialfälle sind: Zeittranslations-Invarianz ⇒ Energieerhaltung Translations-Invarianz ⇒ Impulserhaltung Rotations-Invarianz ⇒ Drehimpulserhaltung 6.4 6.4.1 Räumliche Translationen Translationsoperator Wir definieren den räumlichen Translationsoperator über seine Wirkung auf einen Zustand |xi: T RANSLATIONSOPERATOR T̂~a |~xi := |~x + ~ai . 192 (6.8) Kapitel 6. Symmetrietransformationen ψaktiv ’ ψ b x b+a b+a x’ Abbildung 6.1: Aktive Transformation eines Zustands und passive Koordinatentransformation. Er transformiert den Zustand eines Teilchens mit Position ~x in einen Zustand mit Position ~x + ~a, entspricht somit einer aktiven Transformation am Teilchen. Die Wellenfunktion ändert sich dabei wie folgt (der Einfachheit halber eindimensional): ψ 0 (x) := T̂a ψ(x) := hx| T̂a |ψi Z∞ Z∞ = dy hx| T̂a |yi hy|ψi = dy hx|y + ai hy|ψi | {z } | {z } −∞ −∞ = ψ(x − a) . δ(y+a−x) ψ(y) (6.9) Wenn die Wellenfunktion ψ(~x) ein Maximum an der Stelle ~x = ~b hat, dann hat die transformierte Wellenfunktion ψ 0 (~x) ein Maximum bei ~x = ~b + ~a, entsprechend der aktiven Transformation um die Strecke ~a (siehe Abb.). (Im Gegensatz dazu wird bei einer passiven Transformation das Koordina0 tensystem verschoben, statt des Teilchens, d.h. ~x = ~x + ~a, und für die 0 Wellenfunktion ψ 0 nach der Transformation gilt ψ 0 (~x ) = ψ(~x).) Den Operator der räumlichen Translation kann man über die inverse Fou193 6.4. Räumliche Translationen riertransformation umschreiben (Notation eindimensional): Z∞ 1 T̂a ψ(x) = ψ(x − a) = 2π = = 1 2π 1 2π e eik(x−a) ψ(k) dk −∞ Z∞ e dk e−ika eikx ψ(k) −∞ Z∞ d e dk e−a dx eikx ψ(k) −∞ = e−a i ~ d ~ i dx 1 2π Z∞ e eikx ψ(k) dk −∞ = e − ~i P̂x a ψ(x) , (6.10) somit (wieder dreidimensional) i ~ˆ T̂~a = e− ~ P ~a i ≡ e− ~ (P̂x ax +P̂y ay +P̂z az ) i i (6.11) i = e− ~ P̂x ax e− ~ P̂y ay e− ~ P̂z az Die Exponentialfunktion faktorisiert hier, weil P̂x , P̂y , P̂z alle miteinander vertauschen. Wir sehen: der Erzeuger der räumlichen Translationen ist ˆ der Impulsoperator ! Er ist unitär, weil P~ hermitesch ist. Es gilt daher T̂~a† = T̂~a−1 ⇒ h~x| T̂~a = h~x − ~a| . (6.12) Die letzte Beziehung folgt auch direkt aus ψ̂(x − a) = Ta ψ(x) ≡ hx|T̂a |ψi. Translationen bilden eine Gruppe T̂~a T̂~b = T̂~a+~b (6.13) und sie kommutieren miteinander. Die Eigenvektoren des Impulsoperators |~pi sind im Ortsraum die Fourierkoeffizienten h~x|~pi = eikx /(2π~)3/2 (ebene Wellen). Die Eigenwertglei194 Kapitel 6. Symmetrietransformationen chung lautet ˆ P~ ~ ~ ik~ x eik~x ~k e = ~ . (2π~)3/2 (2π~)3/2 (6.14) Sie sind auch die Eigenfunktionen des Translationsoperators ~ ~ T̂~a ~ eik~x eik~x eik~x ~ˆ a − ~i P~ − ~i p ~ ~a = e = e (2π~)3/2 (2π~)3/2 (2π~)3/2 (6.15) i mit den Eigenwerten e− ~ p~ ~a (und p~ = ~~k). Ein durch einen Hamiltonoperator Ĥ beschriebenes physikalisches System ist translationsinvariant, wenn der Translationsoperator mit Ĥ kommutiert, d.h. genau dann, wenn Ĥ mit P̂ kommutiert. [Ĥ, T̂~a ] = 0 ⇔ ˆ [Ĥ, P~ ] = 0 . (6.16) Dann gibt es ein gemeinsames System von Eigenfunktionen von Ĥ und i P̂ . Der Zeitentwicklungsoperator e ~ Ĥt ändert diese Eigenfunktionen nur um einen Phasenfaktor. In einem translationsinvarianten System ist daher der räumliche Impuls p~ eine Erhaltungsgröße ! 6.4.2 Blochsches Theorem Die Translationsinvarianz eines Systems hat auch dann physikalische Konsequenzen, wenn sie nicht für beliebige kontinuierliche Translationen gilt, sondern, wie in einem unendlich großen regelmäßigen Kristall, nur für Vielfache eines Gittervektors ~a. Wir betrachten der Einfachheit halber nur 1 Dimension. Ein Teilchen der Masse m befinde sich in einem gitterperiodischen Potential V (x) = V (x + a) mit dem Gitterabstand a > 0.2 Behauptung: Der Hamiltonoperator Ĥ = P̂ 2 + V̂ vertauscht dann mit dem Operator der Translation um dem Ab2m stand a (und ganzzahlige Vielfache davon): [Ĥ, T̂a ] = 0 . 2 Die Verwendung einer Funktion V (x) impliziert, dass der Operator V̂ der potentiellen Energie wie auch schon zuvor diagonal im Ortsraum ist, hx|V̂ |yi = V (x) δ(x − y), d.h. durch ihn wird das Teilchen nicht im Ort verschoben. 195 6.4. Räumliche Translationen Beweis: Es gilt [P̂ 2 , T̂l ] = 0 für beliebige Abstände l, weil P̂ der Erzeuger von T̂ ist. Zur Berechnung des verbleibenden Kommutators [V̂ , T̂a ] wenden wir ihn auf einen beliebigen Zustand |ψi an und werten das Ergebnis im Ortsraum aus: hx|[V̂ , T̂a ]|ψi = hx|V̂ T̂a |ψi − hx|T̂a V̂ |ψi Z∞ = dy hx|V̂ |y + ai hy|ψi − hx − a|V̂ |ψi −∞ = V (x) ψ(x − a) − V (x − a) ψ(x − a) = 0 . | {z } =V (x) Es gibt daher gemeinsame Eigenfunktionen zu Ĥ und T̂a . Die Eigenfunktionen von T̂a sind die sogenannten Bloch-Funktionen Φq (x) = eiqx f (x) (6.17) mit einer beliebigen periodischen Funktion f , die f (x + a) = f (x) erfüllt. Die zugehörigen Eigenwerte von T̂a sind eiqa . Den Wertebereich von q kann man auf einen Bereich der Länge 2π , z.B. [− πa , πa ] einschränken, da sich a sonst die Funktion Φq (x) wiederholen würde. Es gilt daher das Blochsche Theorem: In einem gitterperiodischen Potential V (x) = V (x + a) können alle Eigenfunktionen des Hamiltonoperators durch die kontinuierliche Gitterwellenzahl q ∈ [− πa , πa ] gekennzeichnet werden (äquivalent: durch den Gitterimpuls p = ~k), und die Wellenfunktion erfüllt Φq (x + na) = eiqna Φq (x) , n ∈ Z . (6.18) Die Gitterwellenzahl beschreibt, wie sich die Phase der Wellenfunktion bei Translation um a ändert. 6.4.3 Kronig-Penney-Modell Eine einfache Anwendung findet das Blochsche Theorem im Kronig-PenneyModell, einem extrem vereinfachten Modell für einen Festkörper. Es wird 196 Kapitel 6. Symmetrietransformationen ein einzelnes, als unabhängig angenommenes Elektron betrachtet. Das Elektron spürt lediglich ein periodisches Delta-Potential am Ort der Atome: V (x) = D ∞ ~2 X δ(x + na) . 2m n=−∞ (6.19) Das Potential kann man als attraktiv oder repulsiv annehmen. Zwischen den Atomen spürt das Elektron keine Kraft. In jedem Intervall (na, (n + 1)a) hat daher die Wellenfunktion die Gestalt ψ(x + na) = An eikx + Bn e−ikx , 0 < x < a , mit k 2 = 2mE/~2 . Ohne das Blochsche Theorem hätte man unendlich viele Konstanten An und Bn zu bestimmen. Aufgrund des Blochschen Theorems weiß man aber, dass man die Eigenfunktionen von Ĥ nach der Gitterwellenzahl q klassifizieren kann, so dass ψ(x + na) = eiqna ψ(x) (6.20) gilt. In diesen Eigenfunktionen unterscheidet sich somit die Wellenfunktion in jedem Intervall nur um einen bekannten Phasenfaktor von der Wellenfunktion im Intervall 0 < x < a. Deswegen bleiben nur die zwei Konstanten A0 und B0 im Intervall (0, a) zu bestimmen. Die Stetigkeitsbedingungen bei x = 0 reichen dann aus, um die Konstanten in Abhängigkeit von k und q festzulegen. Dazu benötigt man ψ(0− ) = e−iqa ψ(a− ). Das Gleichungssystem hat aber nur dann eine Lösung, wenn die entsprechende Koeffizienten-Determinante verschwindet, woraus nach kurzer Rechnung −a 0 a 2a Abbildung 6.2: Kronig-Penney-Modell. 197 6.4. Räumliche Translationen 1 cos(qa) 0.5 0 -0.5 -1 0 200 400 600 (ka) 800 1000 2 Abbildung 6.3: Kronig-Penney-Modell: cos(qa) als Funktion von (ka)2 ∼ Energie, bei Da = 10. Es sind nur diejenigen Energien möglich, für die cos(qa) zwischen den Linien −1 und 1 liegt. Als Funktion der Gitterwellenzahl q betrachtet, erhält man so die möglichen Energiebänder. folgt cos ka + Da Da sin ka = cos qa ⇒ | cos ka + sin ka| ≤ 1 . 2ka 2ka (6.21) Hier tauchen nur die dimensionslosen Größen qa, ka, und Da auf. Gl. (6.21) bedeutet eine Einschränkung für die möglichen Werte von ka und damit für die möglichen Energien E = ~2 k 2 /2m. Wenn man k variiert, variiert auch cos qa in Gl. (6.21). Als Funktion von q ergibt sich so ein Energieband E = ~2 k(q)2 /2m. Für manche Bereiche von k ergäbe sich aber | cos qa| > 1, so dass diese Wellenzahlenbereiche nicht möglich sind. Es gibt daher „erlaubte” und „verbotene” Energiebereiche, so wie in realen Festkörpern. Dies ist in Abb. 6.3 dargestellt. Wenn man k weiter vergrößert, gelangt man wieder in einen erlaubten Bereich, usw. Zu jeder Gitterwellenzahl q gibt es daher unendlich viele diskrete Lösungen für k. Als Funktion von q haben sie die Form von Energiebändern. 198