FORSCHUNG * Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Stellungnahme zum Schreiben von Frau Prof. Kämmerer FORSCHUNG Ludwig Manfred Jacob Nicole Weis 154 Prof. Kämmerer hat in einem Schreiben an die Insulinwirkung wären die entschei- renommiertesten Antikrebsorganisationen die Herausgeber der DZO (s.S. 152) sowie denden Auswahlkriterien, nicht der Koh- der Welt sowie zu den Empfehlungen und auf ihrer Homepage www.keto-bei-krebs. lenhydratgehalt. Warnungen der American Heart Associa- de massive Anschuldigungen gegen die Das Buch jedoch klärt nicht auf, dass Autoren Dr. med. Ludwig Manfred Jacob die Mehrzahl der Krebsarten sehr wohl in und Dr. med. Nicole Weis erhoben. Der Ar- der Lage ist, alle Makronährstoffe bestens „Unerklärlich ist für uns auf jeden Fall, tikel „Krebszellen mögen Zucker, aber zu metabolisieren. In einem Review von wie dieser Artikel mit seinen groben sach- noch mehr lieben sie Fett und tierisches Barger und Plas [4] werden alle Thesen lichen Fehlern den Begutachtungsprozess Eiweiß“ [12] beurteilt die ketogene Diät unseres Artikels zum Tumorstoffwechsel der Fachzeitschrift DZO durchlaufen kann.“ gegen Krebs sehr kritisch. Das Laienbuch übrigens bestätigt und die diversen Stoff- Die unausgegorenen Empfehlungen in „Krebszellen lieben Zucker – Patienten wechselwege von Krebszellen (Glykolyse, dem kritisierten Buch können höchstens brauchen Fett“ mit Frau Prof. Kämmerer Glutaminolyse, Fettsäureoxidation) aus- Grundlage für eine wissenschaftliche Dis- als Koautorin [14] bezeichnet sich selbst führlich Studien kussion sein, aber sollten keinesfalls an als „das neue Standardwerk zur ketogenen legen auch nahe, dass Tumore sogar krebskranke Laien und Nicht-Ernährungs- Ernährung bei Krebserkrankungen“, es be- Ketonkörper als Energiequelle verwerten wissenschaftler gerichtet werden, die sie schreibt interessante Zusammenhänge – können [6, 17]. Während Patienten mit nicht nachprüfen und korrekt einordnen nur leider aus eindimensionaler, ernäh- hochaggressiven, oft stärker glykolytischen können. Doch genau dies geschieht: Frau rungswissenschaftlich absurder Perspekti- Tumoren in onkologischer Betreuung sind Prof. Kämmerer und Koautoren machen ve (alle Kohlenhydrate sind schlecht, Fett und wohl kaum dieses Buch lesen, werden mit ihrem Buch eine extreme und unge- und Protein sind gut). insbesondere Personen, die Krebs vorbeu- sunde Ernährungsweise ohne klinische Die Empfehlungen des Buches richten gen möchten oder langsam wachsende Evidenz einem breiten Laienpublikum zu- sich an Laien und werden ohne Differen- Tumore mit hoher FAS-Aktivität und Fett- gänglich. Diese Vorgehensweise vor dem zierung und Hinweis auf Tumorart, Tumor- säureoxidation, wie z.B. die meisten Pros- Vorliegen eindeutiger klinischer Belege ist stadium sowie Stoffwechsel- und Ernäh- tata- und Mammakarzinome, dieses Laien- im Sinne des Patientenschutzes ethisch rungszustand des Patienten pauschal für buch lesen und sich auf eine Ernährung höchst bedenklich. Die drei Autoren soll- alle Krebskranken gegeben, ohne eine epi- einlassen, die auf Dauer der Gesundheit ten mit ihrer massiven Bewerbung eines demiologische oder klinische Evidenz zu schaden und Krebs fördern kann. Zu be- potenziell gesundheitsschädlichen, nicht haben. grüßen, aber auch selbstverständlich ist evidenzbasierten Konzepts bei krebskran- Sicher gibt es stark glukosevergärende, der Hinweis im Buch, dass ein Krebskran- ken Menschen zumindest so lange warten, hochaggressive Tumore, bei denen es eine ker bei einer solchen extremen Diät sei- bis sie klare klinische Langzeitbelege für gewisse Evidenz für eine Kohlenhydrat- nen Arzt konsultieren soll. Bekanntlich ist ihre Thesen vorzulegen haben und dann restriktion gibt. Die Ernährungsempfeh- aber eine gesunde Ernährung leider im- diese Erkenntnisse auf eine differenzierte lungen sollten aber ernährungswissen- mer noch nicht Teil der ärztlichen Ausbil- Weise präsentieren. Die Ergebnisse der schaftlich durchdacht sein und den Gehalt dung. bisher einzigen klinischen Studie von Prof. erörtert. Präklinische tion. Die Buchautoren enden ihren Brief an die DZO folgendermaßen: an Ballaststoffen, Mineralstoffen, Vitami- Das kritisierte Buch steht im komplet- Kämmerer belegt die geringe Compliance, nen und sekundären Pflanzenstoffen, po- ten und direkten Widerspruch zu bisheri- zahlreiche Nebenwirkungen und spricht tenziell ungesunden Inhaltsstoffen sowie gen Erkenntnissen über eine gesunde Er- sicher nicht für eine ketogene Diät [22]. die Insulinwirkung (vgl. Insulin-Index) be- nährung, zu medizinischen Leitlinien (z.B. Die von Prof. Kämmerer angebrachte rücksichtigen. Hier würden stärkearmes S3 bei Prostatakrebs), zu den ausdrück- Kritik lässt darauf schließen, dass ernäh- Gemüse, gesunde Fette (nicht Schweine- lichen Empfehlungen des World Cancer rungswissenschaftliches speck) und Hülsenfrüchte an erster Stelle Research Fund (WCRF) und American sches Grundwissen in Bezug auf die stehen und die glykämische Last sowie Institute for Cancer Research als den menschlichen Stoffwechselvorgänge eben- Jacob LM, Weis N. Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44: 154–161 und biochemi- so wie die Kenntnisse der belegten epide- [27]), 150 g Brokkoli, maximal 100 g Kohl, miologischen Zusammenhänge nicht be- maximal rücksichtigt werden. Des Weiteren werden „Krebszellen Himbeeren. Frau Kämmerer diskutiert auf etwa 1,5 die Schlussfolgerungen von Studien direkt Nahrungsmittel gegen Krebs“ [5]) oder Seiten eine von den Autoren angeführte ins Gegenteil verdreht. Dies geschieht wie- Heidelbeeren sowie keinerlei Granatapfel präklinische Studie des renommierten derum auf der Webpage www.keto-bei- verzehren. Auch der Granatapfel hat eine University of Texas M.D. Anderson Cancer krebs.de, die sich an ein Laienpublikum bessere Studienevidenz gegenüber Herz- Center [21] und kritisiert unsere Deutung richtet, welches den Wahrheitsgehalt nicht Kreislauf-Erkrankungen und Prostatakrebs der Studie scharf. Um Zweifel an der überprüfen kann. als die ketogene Diät. Schlussfolgerung unseres DZO-Artikels zu Himbeeren mögen keine (vgl. Buch Fett zur Energiegewinnung Während also Hülsenfrüchte, viele Ge- beseitigen, sei ein Zitat aus der offiziellen Empfehlungen der ketogenen Diät müse- und Obstsorten mit Antikrebswir- Pressemitteilung des M.D. Anderson Can- kung zum Teil oder komplett gemieden cer Center zu genau dieser Studie ange- werden sollen, darf der Verzehr von führt (M.D. Anderson News Release 01/ Im Folgenden dient das Laienbuch „Krebs- Schwein, Fleischwurst, Schinken und Sala- 27/10; Researchers Find Leukemia Cells zellen lieben Zucker – Patienten brauchen mi „unbegrenzt“ erfolgen, solange kein Metabolize Fat to Avoid Cell Death): Fett“ [14] als „Standardwerk“ und Zitaten- Zucker beigesetzt ist. quelle für die vielen gesundheitsschädli- Laut dem kritisierten Buch sollte die chen Ernährungsratschläge aus dem Be- Süßkartoffel komplett gemieden werden. reich der ketogenen Diät, wie z.B. die Das carotinoidhaltige Gemüse ist das Empfehlungen (Seite 228–235): Hauptnahrungsmittel der Bewohner von In dem Buch wird zum „unbegrenz- Okinawa. Auf dieser japanischen Insel le- ten“ Verzehr von rotem Fleisch und Wurst ben mit großem Abstand die meisten geraten. Doch genau diese Lebensmittel 100-Jährigen der Welt und sogar 15 % aller fördern nachweislich die Insulinresistenz über 120-Jährigen der Welt. Die 100-Jähri- und Diabetes mellitus Typ 2 am meisten. gen von Okinawa, die zeitlebens gesunde Sämtliche Getreidesorten und Hülsen- Kohlenhydrate als Hauptenergielieferant früchte sollten komplett gemieden wer- verzehrten, sind Gegenstand einer über den. Ergebnis: eine extrem ballaststoff- 25-jährigen Großstudie der japanischen farme Ernährung. Fakt: Rotes Fleisch und Regierung. Kämmerer führt dagegen die verarbeitetes Fleisch fördert mit interna- Inuit (Eskimos) als Beispiel der ketogenen tional und allgemein anerkannter über- Diät an. Diese praktizieren zeitlebens ge- zeugender Evidenz (höchste Evidenzstufe) zwungenermaßen eine sehr fett- und pro- Dickdarmkrebs, Ballaststoffe und ballast- teinreiche Diät. Sie starben bis Mitte des stoffhaltiges Getreide wirken wahrschein- 20. Jahrhunderts im Schnitt zwischen 30 lich (zweithöchste Evidenzstufe von fünf (Grönland) und 47 Jahren (Alaska) und er- Evidenzstufen) protektiv gegenüber Ko- reichen auch heute noch nur die geringste lon- und Rektumkarzinom. Im Vergleich Lebenserwartung aller Kanadier. dazu besitzen die Empfehlungen von Kämmerer keine Evidenzstufe. Zitat aus dem kritisierten Buch: „Faustregel in der ketogenen Diät: Je kg „Leukämiezellen, wie die meisten anderen Krebsarten, sind bei ihrer Energiebereitstellung abhängig von Glukose. Neue Forschungen konnten nun zum ersten Mal zeigen, dass diese Zellen auch Fettsäuren benötigen, um zu wachsen und dem Zelltod zu entkommen. (…) Inhibierte man die Fettsäureoxidation, waren Leukämiezellen angreifbar für Medikamente, die sie zur Apoptose zwingen.“ „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die mitochondriale Funktion und die Apoptose-Resistenz in Leukämiezellen eng mit dem Eintritt von Fettsäuren in das Mitochondrium verbunden sind“, sagte Hauptautor Ismael Samudio, M.D., ein früherer Dozent für Stammzelltransplantation und Zelltherapie. „Für viele Jahre war es offensichtlich, dass Leukämiezellen für die Gewinnung von zellulärer Energie (ATP) auf Glukose angewiesen waren. Unsere Ergebnisse legen aber jetzt nahe, dass Leukämiezellen für die Funktion des Krebszyklus und der Prävention des Zelltods abhängig von Fettsäuren sind.“ Laut dem kritisierten Buch sollte man Körpergewicht essen Sie am Tag 2,5 g Fett, Bohnen (alle Sorten) komplett weglassen. 1,4 g Eiweiß und 0,5 g Kohlenhydrate. Min- Doch laut Insulin-Index verursachen Boh- destens aber 175 g Fett.“ Das entspricht nen oder Spaghetti al dente eine wesent- 1575 Kcal Fett (bei einem Körpergewicht lich geringere Insulinausschüttung als z.B. von 70 kg). Praktische Erfahrungen zeigen, Beefsteak. Überhaupt verursachen Bohnen, dass dicke Patienten mit dieser Ernährung Trotz wortreicher Argumente wider- wenn sie ohne Zucker zubereitet werden, eher weiter zunehmen – vor allem dann, spricht Prof. Kämmerers Schlussfolgerung nicht nur eine extrem niedrige Insulin- wenn durch einen hohen Proteingehalt direkt den Studienautoren und der Presse- ausschüttung (etwa die Hälfe eines Steaks keine Ketose eintritt –, während dünne mitteilung der Universität. bei gleicher Kalorienzahl), sondern haben Patienten verstärkt abnehmen. Die Emp- Prof. Kämmerer weiter: „Tumore kön- auch einen niedrigen glykämischen Index. fehlung einer solch fettreichen Ernährung nen aufgrund ihrer stark erhöhten Zucker- Laut dem kritisierten Buch sollte man ist bei den heute sehr häufigen überge- aufnahme im bildgebenden PET-Scan sicht- pro Portion maximal 40 g Rote Rüben, wichtigen Krebspatienten mit nicht fortge- bar gemacht werden. Die Aufnahme von maximal 150 g Tomaten (lykopinreich, schrittenem, nicht kachektischem Tumor- Fettsäuren eignet sich dafür nicht.“ schützt „wahrscheinlich“ vor Prostatakrebs leiden kontraindiziert. Jacob LM, Weis N. Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44: 154–161 FORSCHUNG 50 g 155 Wir zitieren aus unserem Artikel: „Tumore haben eine gesteigerte Zuckerver- Leber- und Nierenschäden sowie Osteo- sächlich empfiehlt jedoch der aktuelle Blaue porose erhöhen.“ Ratgeber Ernährung bei Krebs der Deut- langsam Ausführlich wird das Thema „Fett“ so- schen Krebshilfe: „Wichtig ist auch eine wachsende Tumore wie Prostatatumore wie die Würzburger-Studie im Internet hohe Eiweißzufuhr; empfohlen werden 1,2 haben eine stark gesteigerte Fettsäuren- diskutiert: www.drjacobsweg.eu bis 2 g Eiweiß pro kg Körpergewicht“.“ wertung. Doch insbesondere Hier offenbart sich eine wissenschaft- oxidation. Diese liefert sowohl ATP als Zu viel Protein ist nicht empfehlenswert lich gefährliche Unlauterbarkeit, weil der erhöhen das Risiko der hormonabhängi- Der neueste europäische Referenzwert für sie auf einer Website für Laien gemacht gen Krebsarten (Mamma- und Prostata- die Proteinzufuhr, der von der Europäi- wird! Denn der Blaue Ratgeber Ernährung karzinom). Die Fettsäureoxidation domi- schen Behörde für Lebensmittelsicherheit bei Krebs der Deutschen Krebshilfe [8] niert z.B. beim Prostatakrebs deutlich (EFSA) festgelegt wurde, ist für Erwach- enthält zwar diese Empfehlung, aber unter über die Glykolyse [16]. Der Nuklearmedi- sene 0,83 g/kg Körpergewicht. Hier ist be- der Überschrift: Empfehlungen bei Ge- ziner Liu kommt in einem großen Review reits ein deutlicher Sicherheitsaufschlag wichtsverlust durch den Tumor (primäres zum Thema daher sogar zur Schlussfol- einberechnet. Anorexie-Kachexie-Syndrom). gerung: Eher als die Glykolyse hat ein schnittliche Bedarf liegt laut EFSA bei täg- eine Selbstverständlichkeit. In unserem auch Acetyl-CoA, welches Ausgangsstoff der Cholesterin- und Sexualhormonsyn- FORSCHUNG these ist. Cholesterin und Sexualhormone tatsächliche kann und daher direkt getäuscht wird, da durch- Dies ist dominanter Fettsäuren-Stoffwechsel das lich 0,66 g/kg Körpergewicht. Die Biologin Artikel wird ausdrücklich eine stadien- Potenzial, die Grundlage für bildgebende Prof. Kämmerer empfiehlt dagegen das gerechte Ernährung angeraten und eine Diagnostik und gezielte Behandlung von Doppelte des tatsächlichen Bedarfs: 1,2 bis fett- und proteinreiche Ernährung bei Prostatakrebs zu sein [16].“ 1,4 g/kg Körpergewicht. Dies belastet Stoff- Kachexie, jedoch ohne Kohlenhydratres- Zur Würzburger Studie [22] sei nur wechsel, Leber und Nieren. Diese Empfeh- triktion empfohlen. Hyperkalorisch, prote- kurz bemerkt: Nur 31 % der Studienteil- lung kann nur für den kachektischen in- und fettreich ist aber nur sinnvoll für nehmer hielten die drei Monate bis zum Krebskranken gelten, nicht für den norma- den kachektischen Patienten. Studienende durch. Bei 40 % dieser ver- len Krebskranken – eine Unterscheidung, Vielmehr schreibt der blaue Ratgeber bleibenden Teilnehmer sind die zentralen die im DZO-Artikel getroffen wird, aber für normale Krebskranke: „Der neuste Be- Blutwerte (Hb1Ac, Triglyzeride) nicht aus- im Laienbuch „Krebszellen lieben Zucker – richt des World Cancer Research Fund wertbar. Triglyzeride stiegen im Schnitt Patienten brauchen Fett“ fehlt. (WCRF) empfiehlt, dass sich Krebskranke um 54,5 %, Glukose sank um 5,7 %, HbA1c Fleisch ist glukogen. Bereits 1915 be- ähnlich ernähren sollten, wie es allen Ge- um 0,17 % bzw. 3,1 % (relativ). Insbesonde- richtete Janney [13], dass 3,5 g Glukose sunden geraten wird, die Krankheiten vor- re Fettsäure-oxidierende Tumore dürften aus 6,25 g verzehrten Fleischprotein her- beugen möchten.“ Daraufhin werden im dadurch eher gefördert werden, während gestellt werden können. 100 g Rinderpro- Blauen Ratgeber exakt die in dem von selbst stark zuckervergärende Tumore da- tein kann mit einer gewissen Verzögerung Kämmerer kritisierten DZO-Artikel ange- durch schwerlich an ihrer Proliferation ge- also 56 g Glukose liefern. Für andere Pro- führten Empfehlungen des World Cancer hindert werden. Die Nebenwirkungen, die teine liegt die Glukoseausbeute zwischen Research Funds zitiert: in der Studie auftraten (Verstopfung, Ap- 50–84 g. petitlosigkeit, 156 Der Kranke diese Aussage nicht einordnen Übelkeit, Energiemangel, Schon Otto Warburg bemerkte 1931, Der World Cancer Research Fund (WCRF), der das globale Netzwerk von Gewichtsverlust), sind nicht in erster Linie dass Krebszellen in einem stickstoffhalti- Anti-Krebs-Wohltätigkeitsorganisationen tumortypisch, sondern entsprechen insbe- gen Medium viel Ammoniak freisetzen zur Vorbeugung und Therapie von Krebs sondere den Nebenwirkungen, weshalb [26]. Diese Beobachtung erklärt sich durch koordiniert, und das American Institute die American Heart Association vor sol- die Glutaminolyse, also die Freisetzung for Cancer Research (AICR) kommen 2007 chen ballaststoffarmen, fett- und protein- von Glukose aus der Aminosäure Glut- in ihrem zweiten Review (537 Seiten) zu reichen Ernährungsformen warnt: „Die amin, die in Krebszellen eine wichtige Rol- Ernährung, Bewegung und Krebsvorbeu- Ketose macht das Diäthalten einfacher, da le spielt [4]. Praktisch bedeutet dies, dass gung [27] zu folgenden offiziellen Empfeh- sie den Appetit senkt und Übelkeit verur- durch eine Proteinüberversorgung, die bei lungen: sachen kann. (…) Proteinreiche tierische der ketogenen Diät stattfindet, eine opti- " Nahrungsmittel sind meist gleichzeitig male Versorgung des Tumors gewährleis- reich an gesättigten Fetten. Über einen tet ist: mit einem Überangebot an Amino- längeren Zeitraum erhöht der Verzehr säuren als Baustein für die Proliferation " Seien Sie täglich körperlich aktiv! einer großen Menge an fettreichen Nah- und Glukose als Brennstoff aus den gluko- " Wählen Sie Essen mit niedriger Kalo- rungsmitteln das Risiko für KHK, Diabetes, genen Aminosäuren. Schlaganfall und einige Krebsarten. Perso- Prof. Kämmerer führt auf ihrer Page nen, die überschüssiges Protein nicht ef- zur Rechtfertigung ihrer überhöhten Pro- fektiv verwerten, können ihr Risiko für teinzufuhrempfehlungen weiter aus: „Tat- Jacob LM, Weis N. Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44: 154–161 Seien Sie so schlank wie möglich innerhalb eines normalen Körpergewichts! riendichte! (D.h. wenig Fett und Softdrinks!) " Essen Sie überwiegend Pflanzenkost, davon mindestens 600 g Gemüse gemein in Wissenschaftskreisen bekannt. Gruppen zu vergleichen ist hier genauso, aus Vollkornprodukten und anderen Doch fehlen in dem kritisierten Buch die wie wenn wir aus dem Vergleich des noch Ballaststoffquellen. (Raffinierte Mehle nötigen Darstellungen zu den tatsächli- quicklebendigen fast 94jährigen Kettenrau- und Zucker gelten nicht als Pflanzen- chen Lebensmittelwirkungen. Nachzubes- chers Helmut Schmidt und des dieses Jahr kost.) sern versuchen die Autoren mit grotesken mit 26 Jahren nach dem Training verstor- Essen Sie möglichst wenig verarbeite- Argumenten und einer falscher Widergabe benen norwegischen Schwimmweltmeisters tes Getreide und Leguminosen mit unseres Textes. Alexander Dale Oen herleiten würde, dass Kämmerer: „Jacob und Weis belegen Rauchen und Vermeiden von Sport eine Reduzieren Sie Fleisch auf maximal nun mit drei Beispielen aus der „bisher deutlich lebensverlängernde Wirkung haben.“ 300 g pro Woche und vermeiden Sie umfangreichsten Untersuchung des Effekts Pikanterweise handelt es sich bei dem, komplett verarbeitetes Fleisch (z.B. von Lebensmitteln auf die Insulinsekretion“, was Kämmerer als „Bohnen“ falsch über- Wurstwaren). dass Protein eine stärkere Insulinsekretion setzt, um „baked beans“, ein Fertignah- verursacht als Kohlenhydrate: sowohl fett- rungsmittel, das 16 % zugesetzten Zucker Auf fünf Evidenzstufen wurden von dem armer Fisch als auch Steak rufen eine hö- enthielt und mit der Kombination „Zucker weltweit maßgeblichen Gremium unter here anderem folgende Risikoeinstufungen vor- schreiben die Mediziner.“ jeder Mahlzeit! " " " " " " " hervor als Pasta, mit zerkochtem, schnell im Blut anflutendem Protein“ einen Insulin-Index von 88 Unser tatsächlicher Text: „Dass 1000 erreichte. Dies ist gerade eine der Bot- Rotes Fleisch und verarbeitetes Fleisch kJ (333 g) fettarmer Fisch (FII 43) und schaften des Food Insulin-Index (FII): fördert mit überzeugender Evidenz 1000 kJ (158 g) Steak (FII 37) zu einer Schnell verfügbare Kohlenhydrate (hoher (höchste Evidenzstufe) Dickdarmkrebs. wesentlich höheren Insulinausschüttung GI) zusammen mit Protein erhöhen unver- Ballaststoffe und ballaststoffhaltiges als 1000 kJ (200 g) Pasta al dente (FII 29) hältnismäßig die Insulinausschüttung. Getreide wirken wahrscheinlich pro- führen, zeigt die Gefahr dieser pseudowis- Dagegen haben echte, naturbelassene tektiv gegenüber Kolon- und Rektum- senschaftlichen Ernährungsratschläge, die Bohnen ohne Zucker (Canned navy beans) karzinom. Pasta verbieten und Schweinebraten emp- einen Insulin-Index von nur 23, obwohl Gemüse und Obst wirken wahrschein- fehlen. Wer übrigens nun 227 g Tofu isst, sie 28 % Kohlenhydrate enthielten und lich protektiv gegenüber zahlreichen nimmt zwar auch 1000 KJ und 27 g Prote- laut Kämmerer komplett gemieden wer- Krebsarten. in auf, hat aber eine wesentlich niedrigere den sollten – im Gegensatz zu Beefsteak Kalziumreiche Ernährung und Milch Insulinausschüttung (FII 21). Die Auswahl ohne Kohlenhydrate, aber mit einem Insu- erhöhen wahrscheinlich das Prostata- der Lebensmittel bedarf also einer diffe- lin-Index von 37. Bei den einzelnen Nah- krebsrisiko. renzierteren Betrachtung. Einfache und rungsmitteln dienten 1000 kJ Glukose als Kochsalz erhöht wahrscheinlich das schnell verfügbare Kohlenhydrate (z.B. Zu- Referenz für den Insulin-Index 100. Damit Magenkrebsrisiko. cker, Weißmehl) gelten im Gegensatz zu ist die Insulinwirkung der „verbotenen“ Es erfolgt vermutlich eine Risikoerhö- komplexen Kohlenhydraten mit Recht als Bohnen viel geringer als das praktisch hung für Brust-, Lungen- und Dick- ungesund, weil sie zu einem schnellen kohlenhydratfreie Beefsteak, die fettarme darmkrebs durch einen hohen Fett- Blutzuckeranstieg und einer hohen Insu- Milch und der fettarme Fisch. konsum. linantwort, besonders in Kombination von Weder Getreide noch Zucker zeigen Proteinen, führen.“ genommen: " Insulinantwort Kämmerer weiter: „In einer Analyse von kompletten Mahlzeiten hatte dann Selbstverständlich schreiben wir nicht auch ein Steak – sogar mit Kartoffeln – eine eine Risikoerhöhung von irgendeiner generell, dass Protein stärker insulinogen deutlich geringere Insulinantwort als der Krebserkrankung. (Dies soll nicht wirkt als Kohlenhydrate, sondern: „Die absolute Spitzenreiter mit der höchsten In- bedeuten, dass der übermäßige Ver- Auswahl der Lebensmittel bedarf also sulinantwort: Honigmelone und Banane, zehr isolierter Zucker von den Autoren einer differenzierteren Betrachtung.“ fettfreier Erdbeer-Joghurt, dazu Apfelsaft. auf irgendeiner der fünf Evidenzstufen für harmlos oder empfehlenswert Kämmerer argumentiert weiter: „Pas- Also kaum Fett, kaum Protein, sondern gehalten wird. Auch der WCRF rät ta findet sich in der Gruppe der „koh- überwiegend Kohlenhydrate. Es stellt sich zur Vorsicht mit Zucker und Weiß- lenhydratreichen Lebensmittel“, Fisch und die Frage: kann man die Ausführungen von mehl.) Steak laufen unter „proteinreichen Lebens- Jacob und Weis anders interpretieren als mitteln“. Wie man sich fast denken kann, eine bewusste Irreführung der Leser?“ Insulinsekretion – ein HelmutSchmidt-Effekt? handelt es sich um Extreme, um Ausreißer Joghurt und Milch sind insulinogen aus dem Durchschnitt jeder Gruppe (pikan- und in Kombination mit Zucker durch- terweise haben Bohnen, auch gelistet unter wegs hochgradig insulinogen. Das Tierpro- Insulin und insulinähnliche Wachstums- „proteinreich“, einen mehr als doppelt so tein im Joghurt (19 g, also ein Drittel des faktoren sind ein wichtiger Faktor in der hohen Index wie Fisch und Steak, aber ganzen Tagesbedarfs) erhöht deutlich die Krebsentwicklung, das behauptet nicht Bohnen sind ja kein „tierisches Protein“). Insulinausschüttung über die blutzucker- nur Frau Prof. Kämmerer, sondern ist all- Was haben wir hier vor uns? Ausreißer aus induzierte, natürlicherweise zu erwarten- Jacob LM, Weis N. Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? FORSCHUNG " und Obst sowie 25 g Ballaststoffe Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44: 154–161 157 FORSCHUNG 158 de Insulinwirkung hinaus. Einen wesent- „Proteine sind insulinogen. Bei Milch wirkt reicht, ohne Berücksichtigung der Nähr- lichen Beitrag liefert natürlich auch der das Protein sogar insulinogener als die stoffverhältnisse zueinander. hohe Gehalt an schnell verfügbaren Koh- Laktose. Je fettärmer die Milch, desto hö- Die Gründe für die Korrelation sind lenhydraten (90 g). Diese Mahlzeit er- her der Proteinanteil (in Bezug auf die unter anderem: 1. Proteine sind an sich reichte einen Insulin-Index von 116. 1000 kJ) und die insulinogene Wirkung.“ weniger insulinogen als schnell verfügbare Weißbrot mit ebenfalls 19 g Protein (aber Besonders hohe Insulinausschüttun- Kohlenhydrate (hoher glykämischer Index) aus Pflanzen) und 93 g Kohlenhydraten gen provoziert immer die Kombination und der Bezugspunkt für den Insulin-In- diente hier übrigens als Referenz für den von schnell verfügbaren Kohlenhydraten dex ist immer 1000 kJ, es werden also an- Insulin-Index mit teilsmäßig Kohlenhydrate durch Proteine 100. Bei den Mahlzeiten Protein, insbesondere Um dies zu Milch und wurden 2000 kJ reines Weißbrot als Re- Rindfleisch. vermeiden, ferenz für den Insulin-Index 100 verwen- braucht man nicht auf eine potenziell un- pflanzliches Protein ist weniger insulino- det. oder Fett ersetzt. 2. Naturbelassenes, gesunde, extreme Ernährungsweise umzu- gen als Milch und Fleisch. Die Statistik Besonders interessant ist auch: Pasta steigen, sondern sich einfach vollwertig zu trifft diesen Unterschied nicht. 3. Bei gan- mit Linsen (auch 2000 kJ) hat zwar 27 g ernähren – entsprechend der im Artikel zen Mahlzeiten ist sogar die schwache ne- Protein und 63 g Kohlenhydrate, aber nur aufgeführten gative Korrelation zwischen Protein und einen Insulin-Index von 45. Dagegen er- Kohlenhydrate nicht als universalen „Sün- reicht Steak mit Kartoffeln (auch 2000 kJ) denbock“ brandmarkt, sondern Kohlen- Die Kombination der Nährstoffe in mit nur 40 g Kohlenhydraten und 52 g hydrate, Fette und Proteine differenziert einer Mahlzeit ist ausschlaggebend für Protein einen fast doppelt so hohen Insu- betrachtet. den Gesamt-Blutzucker- und Insulin-Ef- lin-Index von 88. Das alles passt jedoch Ernährungspyramide, die Insulin komplett verschwunden. Kämmerer behauptet, Protein korrelie- fekt, nicht der Effekt eines einzelnen Nähr- re „auch höchst signifikant negativ“ mit stoffs/eines einzelnen Lebensmittels. In Zu „Ausrutscher in insulinogener Wir- der Insulinantwort. Tatsächlich ist das Bezug auf die Effekte des Proteingehalts kung“: Nein, dies ist kein Helmut-Schmidt- Ergebnis statistisch signifikant: p = 0,005. von Mahlzeiten auf die postprandialen Effekt im Insulin-Index [3]. Proteine wir- Viel wichtiger jedoch ist der Korrelations- Blutglukosespiegel und Insulinaussschüt- ken bekanntermaßen glukogen und insuli- koeffizient r, auf den sich die statistische tung konnte keine negative Korrelation nogen (je nach Aminosäuren-Muster und Signifikanz bezieht. r gibt an, ob die Mess- festgestellt werden. Die Statistik zur Insu- Anflutungsgeschwindigkeit unterschied- punkte eine lineare Verbindung haben. In linwirkung von Mahlzeiten zeigte eine po- lich stark). Dies ist bio-logisch, da Insulin der Studie ergibt sich nur ein leicht ne- sitive Korrelation zur glykämischen Last, auch die zelluläre Aufnahme von Amino- gativer Korrelationskoeffizient zwischen überraschenderweise nur eine sehr gerin- säuren fördert. Insulinantwort und Protein von r = –0,26. ge Korrelation zum Gesamtkohlenhydrat- Nicht nur schnell verfügbare Kohlen- (r = 0 heißt zufällige, nicht lineare Vertei- gehalt – den Hauptübeltäter laut ketoge- hydrate, sondern insbesondere Milch und lung, r = 1 bedeutet, sie liegen exakt auf ner Diät – und keinerlei Korrelation zum Rindfleisch führen zu einer hohen Insulin- einer Linie.) Beim energiedichten Fett ist Proteingehalt. Fett war negativ korreliert, ausschüttung. Der insulinogene Effekt von r = –0,54 mit einer statistisch deutlich hö- weil es insulinogene Makronährstoffe wie Fleisch ist bei nicht insulinpflichtigen Dia- heren Signifikanz von p < 0,001. Kohlenhydrate und Aminosäuren kalo- nicht in das ketogene Weltbild. betikern so groß, dass der Verzehr von In der Statistik ist allgemein bekannt, rienmäßig ersetzt. Insbesondere verur- 50 g Fleischprotein die Insulinspiegel ähn- dass der Korrelationskoeffizient kein Indiz sachte die Kombination von Kohlenhydra- lich stark erhöhen wie 50 g Glukose [18]. eines ursächlichen (d.h. kausalen) Zusam- ten mit hohem glykämischen Index und Wenn nun bei Krebspatienten – wie Käm- menhangs zwischen den beiden korrelie- Protein, insbesondere Fleisch und Milch, merer argumentiert – bereits eine Insulin- renden Merkmalen ist. Klassisches Bei- die höchsten Insulinausschüttungen. Diese resistenz analog zu nicht insulinpflichtigen spiel: Die Besiedlung durch Störche im Ergebnisse zeigen deutlich, dass der Effekt Diabetikern vorliegt, ist der Verzehr von Süd-Burgenland korreliert zwar positiv auf den postprandialen Blutzucker- und großen Mengen Protein und Fett zusätz- mit der Geburtenzahl der dortigen Ein- Insulinspiegel durch weit mehr Einfluss- lich kontraindiziert. wohner, doch das bedeutet noch keinen faktoren bestimmt wird als die einzelnen Wir zitieren aus der ersten Studie zum „kausalen Zusammenhang“, trotzdem ist Makronährstoffe. Die Kombination der Insulin-Index von [10]: „Proteinreiche Le- ein „statistischer Zusammenhang“ gege- Makronährstoffe, die Zubereitung, der Zu- bensmittel und Backwaren (fettreich, reich ben. Diese Kausalität suggeriert Kämmerer stand (fest, flüssig), die Geschwindigkeit an raffinierten Kohlehydraten) riefen eine auf ihrer Laien-Homepage: „Das heißt: je der Anflutung im Blut sowie deren Ver- stärkere Insulinantwort hervor, als ihre mehr Protein in der Nahrung ist, desto ge- hältnis zueinander in einer Mahlzeit sind glykämische ringer fällt die Insulinantwort aus.“ Variablen, die in der Studie von Bao et al. Antwort erwarten ließ.“ Auch wenn die Zusammenhänge offen- Bei der Auswertung der von Bao et al. sichtlich sind, hat es Prof. Brand-Miller [3] durchgeführten Tests (Einzel-Lebens- Die bei weitem stärkste negative Kor- auch schriftlich bestätigt. Aus unserem mittel á 1000 kJ oder Mahlzeit á 2000 kJ) relation zeigte das energiereiche Fett, weil E-Mail-Verkehr wurden isokalorische Test-Essen verab- dadurch im Bezug auf 1000 kJ der Gehalt sei sinngemäß zitiert: Jacob LM, Weis N. Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44: 154–161 [3] jedoch nicht untersucht wurden. insgesamt 442.101 Teilnehmern erhöhte eine 7,3 Jahre höhere Lebenserwartung im Protein niedriger ist und die Magenentlee- rotes Fleisch das Diabetesrisiko am stärks- Vergleich zur kalifornischen Bevölkerung. rung verlangsamt wird. Das bedeutet nun ten [19]. Selbst nachdem bekannte Risiko- Dies wurde jetzt noch deutlich übertrof- keineswegs, dass viel Fett gesund ist, wie faktoren (Alter, BMI und andere Lebens- fen. Seit 2002 läuft die unabhängige Ad- bereits im Artikel ausführlich thematisiert stil- und Ernährungsfaktoren) statistisch ventist Health Study-2, welche vom Na- wurde. Ein Hauptdiagnosekriterium für berücksichtigt worden waren, führten täg- tional Cancer Institute, National Institutes metabolisches Syndrom sind erhöhte Tri- lich 100 g rotes, unverarbeitetes Fleisch zu for Health, US-Landwirtschaftministerium glyzeride, die auch ein klassischer Begleit- einem 19 % höheren Risiko. Bereits täglich und World Cancer Research Fund finan- faktor bei Diabetes mellitus Typ 2 sind. 50 g verarbeitetes Fleisch erhöhte das Dia- ziert wird. Die Kausalitäten sind aber komplexer und betesrisiko um 51 %. Wer dagegen Fleisch Am 7. Oktober 2012 präsentierte der nicht linear. Ebenso wenig empfehlens- mit Nüssen ersetzte, senkte sein Diabetes- leitende Wissenschaftler und Arzt, Gary E. wert ist der Ersatz von Kohlenhydraten risiko um 21 %; wer es mit Vollkornproduk- Fraser, die Zwischenergebnisse der Studie durch tierisches Protein, bei dem bereits ten ersetzte, sogar um 23 %. Einem Krebs- auf der Konferenz & Expo für Lebensmittel in Deutschland eine deutliche Überversor- patienten zu „unbegrenzt“ Fleisch und und Ernährung an der Akademie für Er- gung vorliegt (vgl. Nationale Verzehrsstu- Wurstwaren zu raten, fördert nicht nur nährung und Diätetik: Die männlichen die II). Krebs, sondern auch die Entwicklung einer Vegetarier der Adventisten werden durch- Insulinresistenz und Hyperinsulinämie. schnittlich 83,3 Jahre alt und die vege- Was sind die wesentlichen Ursachen von Hyperinsulinämie, Insulinresistenz und Diabetes? Betrachten wir zum Vergleich das tarisch-lebenden Frauen 85,7 Jahre – das komplette Gegenteil zu den Empfehlungen sind 9,5 beziehungsweise 6 Jahre länger der ketogenen Diät auf der Basis von gro- als die restliche kalifornische Bevölkerung, ßen Langzeitstudien: Pflanzenköstler ha- erklärte Fraser. In der Adventist Health In dem kritisierten Buch von Frau Prof. ben ein deutlich geringeres Risiko, eine In- Study 2 [24] mit 15.200 Männern und Kämmerer heißt es (S. 33): „Die Parallelen sulinresistenz zu entwickeln [11, 15, 25]. 26.187 Frauen hatten sogar gesundheits- zwischen Diabetikern und Krebskranken Die pflanzliche Ernährungsweise führt ins- bewussten Mischköstler im Vergleich zu fielen Medizinern schon vor über 100 Jah- gesamt zur Downregulation der Insulin- reinen Pflanzenköstlern (Veganern) ein ren auf.“ Das stimmt, nur die Schlussfolge- sekretion und senkt die frei verfügbaren noch vierfach höheres Diabetesrisiko. Bei rung ist falsch. Insgesamt wird im Buch IGFs (Insulin-like Growth Factor = insulin- den untersuchten Adventisten, die insge- behauptet, man könne durch eine protein- ähnliche Wachstumsfaktoren) deutlich ab. samt großen Wert auf eine gesunde Er- und fettreiche sowie kohlenhydratarme Pflanzliche Proteine haben zwar günsti- nährung legen, ergab sich bereits nach Ernährung Hyperinsulinämie und Insulin- gere Effekte in Bezug auf Insulinaus- zwei Jahren folgendes Bild: Diabetes wur- resistenz als Vorstufe von Diabetes ver- schüttung und freie IGFs, jedoch fällt de von nur 0,54 % der Veganer, von 1,08 % meiden. Die Epidemiologie spricht jedoch beim Studium der Ältesten von Okinawa der Ovolaktovegetarier, von 0,92 % der eine andere Sprache: deren insgesamt relativ proteinarme Er- Menschen mit sehr geringem Fleischkon- Fälschlicherweise werden Kohlenhyd- nährung (39 g Gesamtprotein, davon ext- sum, von 1,29 % der Fisch essenden Vege- rate für die Insulinresistenz, Hyperinsulin- rem wenig Tierprotein) auf. Allen et al. tarier sowie von 2,12 % der Nicht-Vegeta- ämie und deren Endstadium Diabetes mel- fanden in zwei Studien mit Veganern, rier entwickelt. litus Typ 2 verantwortlich gemacht. Diese Vegetariern und Normalköstlern heraus, Weitere spielen jedoch im Vergleich mit tierischem dass Veganer über deutlich niedrigere Health Study 2: Protein und Fett eine untergeordnete Rol- IGF-1-Konzentrationen " le. In der EPIC-Studie mit 38.094 nieder- verfügen [1, 2]. als Mischköstler Ergebnisse der FORSCHUNG an insulinogenen Kohlenhydraten und Adventist Veganer (reine Pflanzenköstler) sind im Durchschnitt 13,6 kg leichter als ländischen Teilnehmern [23] wurden in Die neusten Ergebnisse der Adventis- einem Follow-up von 10 Jahren die Risiken ten-Gesundheitsstudie 2 (Adventist Health einer Diabeteserkrankung bestimmt: Tier- Study-2) mit 96.000 Teilnehmern aus den protein führte zu einem 118 % höheren USA und Kanada bestätigen, dass die Vege- Risiko (höchstes versus niedrigstes Quar- tarier unter den Adventisten inzwischen til), Pflanzenprotein zeigte keine Korrela- die im Durchschnitt am längsten lebende, tion. Dagegen führte eine hohe glykämi- wissenschaftlich sche Last nur zu einer Risikoerhöhung rungsgruppe der Welt darstellen. Die Ad- von 27 %, hohe GI-Werte in der Ernährung ventist Health Study ist eine Serie von untersuchte Nicht-Vegetarier. " Veganer haben einen um 5 Einheiten niedrigeren BMI als Nicht-Vegetarier. " Vegetarier und Veganer sind weniger insulinresistent als Nicht-Vegetarier. " Bevölke- Veganer haben am wenigsten Bluthochdruck und das geringste Risiko für Typ-2-Diabetes. " Die Blutwerte von C-reaktivem Prote- um 8 %. Ballaststoffe senkten sogar das Studien der Loma Linda Universität aus in, IGF-1 und Insulin waren bei Vege- Risiko um 8 %, besonders viele Kohlenhyd- Kalifornien. Bereits in den 1970er- und tariern niedriger. rate erhöhten es nur um 15 %, Stärke um 1980er-Jahren wurde gezeigt, dass Vege- 25 %. In einer anderen großen Metaanalyse tarier länger leben als Nicht-Vegetarier: Diese Aufführungen bedeuten nicht im der Harvard School of Public Health mit Frauen hatten eine 4,4 Jahre und Männer Umkehrschluss, dass eine vegane Ernäh- Jacob LM, Weis N. Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44: 154–161 159 rung für jeden Krebskranken geeignet ist. wusstsein für das Problem der Überver- So kann in der Kachexie eine anabole Er- sorgung mit Zucker und ungesunden Koh- auf Glukose-, Protein- und Fettsäurestoff- nährung mit Milchprotein und Leinöl, wie lenhydraten zu schärfen – auch wenn ihre wechsel wirklich entsprechen und gleich- sie Budwig erfand, wirkungsvoll sein. bisherigen Lösungsansätze nicht empfeh- zeitig vor allem ernährungswissenschaft- lenswert sind. lich differenziert und dauerhaft gesund Während Dean Ornish in zwei Lebens- FORSCHUNG Tumor aushungern? sind. stilinterventionsstudien auf der Basis von Frau Prof Kämmerer kritisiert den Satz: pflanzlicher Vollwertkost ordentliche kli- „Die These, eine „ketogene Diät“ könne nische Beweise vorgelegt hat, dass sich den Tumor „aushungern“ und das Überle- die komplexe Tumorgenetik bei Prostata- ben verlängern, ist wissenschaftlich nicht krebskranken in der Rebiopsie sehr güns- belegt.“ Sie verweist mit Recht auf einen tig verändert hat und das Fortschreiten Satz in ihrem Buch: „Eine ketogene Diät ist der Krebserkrankung in einer zweijährigen weder eine Anti-Krebs-Diät noch eine The- klinischen Studie über mindestens zwei Dr. med. Ludwig Manfred Jacob rapie noch »die Lösung« des Krebsproblems. Jahre verzögert worden ist, fehlt der keto- E-Mail: [email protected] Viele Konzepte zur Heilung argumentieren genen Diät die klinische Evidenz. von Besonders problematisch ist, dass sich Krebszellen. Solch ein echtes Aushungern das Laienbuch „Krebszellen lieben Zucker von Krebszellen mit einer wie auch immer – Patienten brauchen Fett“ auf die angese- gearteten Diät zu versprechen, ist nach hene Universität und Frauenklinik Würz- derzeitigem Wissensstand unseriös.“ burg bezieht, obwohl höchste wissen- mit dem »selektiven Aushungern« Wir entschuldigen uns, dass uns dieser schaftliche Gremien zu ganz anderen Satz entgangen ist, doch bezog sich unser Ratschlägen kommen und sich auch die Artikel nicht in erster Linie auf das kriti- Deutsche Krebsgesellschaft kritisch dazu sierte Buch, sondern auf die Auswirkun- äußert. Auch scheinen die in der Würzbur- gen der ketogenen Diät bei Krebskranken. ger Studie involvierten Hausärzte mit der Leider ist genau dieser Glaube bei den Pa- Betreuung von ketogen ernährten Krebs- tienten weit verbreitet, weil er jahrelang kranken suggeriert worden ist. Wir finden es sehr Hb1Ac-Werte und 40 % der Triglyzeride überfordert, wenn 40 % der gut, dass sich Kämmerer, Knoll und Schlat- nicht auswertbar sind, weil der Eingangs- terer davon ändert oder Endwert fehlt. Dies ist besonders nichts an ihren ungesunden Ernährungs- ungünstig, weil die Trigylzeride in nur empfehlungen und an dem Gesamtein- drei Monaten im Schnitt um 55 % anstie- druck, den das Buch ergibt. Wir setzen gen. distanzieren. Das das Zitat von Frau Prof. Kämmerer aus ih- Es sei die Frage erlaubt: Wo sind nach rem Buch direkt fort (S. 184): „Warum all diesen Jahren die klinischen Beweise, dann eine ketogene Diät? Weil diese Er- die eine ausreichende Evidenz hätten, sol- nährung unterstützende che Behauptungen und Ernährungsvor- Maßnahme ist. Sie stärkt Ihren Körper und schläge gegenüber Laien zu rechtfertigen kann eventuell sogar das Krebswachstum und zu propagieren? Dafür sind mindes- verhindern.“ Dieser Satz ist eine pure Be- tens Laufzeiten von 1–2 Jahren notwendig, hauptung. nicht drei Monate. Es wird Zeit nach der eine wichtige Seit Jahren wird nun die ketogene Diät Evidenz zu schauen, nicht nach der Be- propagiert, und nicht erst durch Prof. hauptung, die am lautesten verkündet Kämmerer, die den klinischen Beweis für wird. Es wird Zeit, Ernährungsvorschläge diese Behauptung schuldig bleibt. Eine zu entwickeln, die Tumorart und Tumor- Vorreiterrolle kommt hierbei Dr. Johannes Coy zu, der durch die Entdeckung von TKTL1 einen echten wissenschaftlichen Beitrag leistete. Der Titel seines Buches lautet: „Die neue Anti-Krebs-Ernährung: Wie Sie das Krebs-Gen stoppen“ [7]. Gleichzeitig sind die Bemühungen von Weitere ausführliche Informationen zur Bedeutung von Fetten zur Energiegewinnung und Kritik an der Würzburger Studie finden Sie unter www.drjacobsweg.eu unter dem Menüpunkt „Ketogene Diät“. Kämmerer und Coy zu begrüßen, das Be- 160 stoffwechsel multidimensional in Bezug Jacob LM, Weis N. Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen? Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44: 154–161 online: http://dx.doi.org/10.1055/s-0032–1314729 Korrespondenzadressen Dr. med. Nicole Weis E-Mail: [email protected] Literatur [1] Allen N E, Appleby PN, Davey GK, Key TJ. Hormones and diet: low insulin-like growth factor I but normal bioavailable androgens in vegan men. Br J Cancer 2000; 83: 95–7 [2] Allen NE, Appleby PN, Davey GK, Kaaks R, Rinaldi S, Key TJ. The associations of diet with serum insulin-like growth factor I and its main binding proteins in 292 women meateaters, vegetarians, and vegans. 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