Semyon Bychkov Julian Rachlin Mittwoch, 10. September 2014, 20 Uhr '14 '15 mphil.de Genießen Sie bewegende Konzertabende mit brillanten Juwelen Der Ring mit dem Dre h von Juwelier Fridrich... Fragen Sie nach unseren brillanten limitierten Jubiläums-Editionen! TRAURINGHAUS · SCHMUCK · JUWELEN · UHREN · MEISTERWERKSTÄTTEN J. B. FRIDRICH GMBH & CO. KG · SENDLINGER STRASSE 15 · 80331 MÜNCHEN TELEFON: 089 260 80 38 · WWW.FRIDRICH.DE Dmitrij Schostakowitsch Konzer t für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77 1. Nocturno: Moderato 2. Scherzo: Allegro – Poco più mosso 3. Passacaglia: Andante 4. Burleske: Allegro con brio Johannes Brahms Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98 1. Allegro non troppo 2. Andante moderato 3. Allegretto giocoso 4. Allegro energico e passionato Semyon Bychkov, Dirigent Julian Rachlin, Violine Mittwoch, 10. September 2014, 20 Uhr 1. Abonnementkonzert a Spielzeit 2014/2015 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant 2 Dmitrij Schostakowitsch: 1. Violinkonzert a-Moll Tanzen gegen den Tod Sigrid Neef Dmitrij Schostakowitsch Lebensdaten des Komponisten (1906–1975) Geboren am 25. (12.) September 1906 in St. Petersburg; gestorben am 9. August 1975 in Moskau. Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77 1. Nocturno: Moderato 2. Scherzo: Allegro – Poco più mosso 3. Passacaglia: Andante 4. Burleske: Allegro con brio Entstehung Das am 21. Juli 1947 begonnene Violinkonzert wurde am 24. März 1948 vollendet und bekam die Opuszahl 77. Erst nach dem Tod Stalins (1953) kam es zur verspäteten Uraufführung, wobei das Konzert, gegen Schostakowitschs Willen, die neue Opuszahl 99 erhielt, um die zeitliche Kluft zwischen Entstehung und Uraufführung zu verschleiern. Widmung Seinem Freund David Oistrach (1908–1974), dem Geiger und Solisten der Uraufführung. Uraufführung Am 29. Oktober 1955 in Leningrad (Leningrader Philharmoniker unter Leitung von Jewgenij Mrawinskij; Solist: David Oistrach). Dmitrij Schostakowitsch: 1. Violinkonzert a-Moll Eigentlich hätte er glücklich sein müssen Schostakowitsch skizzierte sein 1. Violinkonzert im Juli 1947 in der kurzen Zeit von nur fünf Tagen und hatte es im Januar 1948 im Wesentlichen abgeschlossen. Als dann im Februar 1948 vom Zentralkomitée der KPdSU wegen angeblicher „formalistischer, volksfremder Musik“ ein Verdikt über Schostakowitsch verhängt wurde, hatte das keinen grundlegenden Einfluss mehr auf die Komposition, wohl aber auf das Leben des Komponisten. Er verlor seine Lehrämter, und seine Werke wurden in Sowjetrussland vorerst nicht mehr aufgeführt. Woher also der konflikthafte Gestus und das auffällige Wesen dieses Konzerts, das mit seinen vier Sätzen und seinem höchst virtuosen Solopart häufig als „Symphonie mit obligater Violine“ bezeichnet wird ? Eigentlich hätte Schostakowitsch glücklich sein müssen. Der Sommer 1947 in Komarowo war heiter, und der kleine Ort in der Nähe von Leningrad war ihm durch die dort verbrachten Vorkriegssommer bekannt und angenehm. Allerdings: Dieser Ort hatte nicht immer Komarowo geheißen. Schostakowitsch selbst hatte ihn noch als finnisches Kellomaeki kennen gelernt, bis die Sowjetarmee 1939/40 in einem nicht erklärten und tabuisierten Raubkrieg einige finnische, nordwestlich Leningrads gelegene Gebiete annektierte. Und einen ähnlich tabuisierten Krieg führte Stalin gegen die russische jüdische Minderheit in seinem Staat. Konnte Schostakowitsch, wie andere nichtjüdische Bürger seines Landes, davor die Augen verschließen ? 3 1. Satz: Schattenhafte Nocturne... Schostakowitsch hatte keine Wahl, er musste sich äußern. Sein Schicksal war es, fremden Leid nicht davonlaufen zu können. Davon legte sein Sohn Maxim Zeugnis ab: „Er komponierte nicht, sondern schrieb auf, was sein inneres Ohr hörte.“ Wollte er komponieren, konnte Schostakowitsch sein inneres Ohr nicht verschließen... In diesem Konzert gibt es keine hell schmetternden Blechbläser, keine Trompeten und Posaunen, dafür eine erweiterte Holzbläserbesetzung, durch vier Hörner ergänzt: Alles zielt auf eine dunkle Grundstimmung. Schattenhaft, wie von weit her und schon seit langem erklingend, setzt das Motto-Thema in den tiefen Streichern ein, dessen Ton und Melodie von der Solovioline aufgegriffen und fortgesungen wird. Vorerst nur. Denn der Sinn des musikalischen Geschehens liegt in dem Versuch des musikalischen Protagonisten, sich dem dunklen Sog zu entwinden, mit abwehrender Gestik und weit ausgreifenden melodischen Bögen. Doch je mehr er sich dabei exponiert, desto mehr verstrickt er sich. Wenn dann im gläsernen Klang von Celesta und Harfe das Thema quasi erstarrt, gibt es kein Ausweichen mehr. ...und „Symphonie mit obligater Violine“ Tatsächlich hat das, was sich hier zwischen Orchester und Violine abspielt, kaum noch etwas mit dem ursprünglichen Begriff des Konzertierens zu tun. Es geht nicht um ein Wetteifern, nicht um gegenseitiges Übertrumpfen oder Kontrastieren. Opus 77 hat auch nichts mehr zu tun mit 4 Dmitrij Schostakowitsch: 1. Violinkonzert a-Moll einem episch berichtenden oder dramatischkonflikthaften Symphonie-Typus. Nicht mehr steht der Einzelne einer Welt gegenüber, sondern die Welt dringt in den Einzelnen ein. Schemenhaft und in verschiedenen Kombina­ tionen ist die Notenfolge d-es-c-h angedeutet. Diese für Schostakowitschs Namen stehenden Initialen (D-S-C-H) zeigen an, dass der Komponist nicht von außen, mit einem distanzierten Beobachterblick auf seine musikalischen Akteure schaut, sondern sich am Geschehen selbst unmittelbar beteiligt. 2. Satz: Scherzo als Tanz... „Der 2. Satz (Allegro b-Moll) ist bedeutend mehr als das traditionelle Scherzo in einem symphonischen Zyklus, obwohl Tempo und Charakter des Themas eindeutig die eines Scherzos sind. Die intensive und ungewöhnlich scharfe Dynamik, die komplizierte polyphone Faktur, die farbenprächtige Instrumentierung, die Fuge im Mittelpunkt der Durchführung – das alles geht sowohl in der Weite des Gehalts als auch in der Bedeutung weit über den Rahmen eines ‚Zwischensatzes‘ hinaus“ – so äußerte sich Widmungsträger David Oistrach. Das Scherzo ist in der Tat ein Meisterstück der Ambivalenz, ein Tanzstück, bei dem man nicht weiß, ob da mit der Gewalt oder gegen die Gewalt getanzt wird. Hetzende Motivketten; das Hauptthema gebärdet sich immer kesser und aufsässiger, grenzt ans Geräuschhafte. Dann ein Ruck von b-Moll nach H-Dur, das D-S-C-H kommt ins Spiel, dann mit einem erneuten Ruck zurück nach b-Moll. Es wird immer wilder, auf dem Höhepunkt erfolgt ein Riss nach e-Moll. Anstelle des traditionellen Trios setzt nun ein Thema in jüdischem Tonfall ein, die Melodien werden fortgetrieben und finden sich wieder – in einer Fuge. In der B-DurReprise vereinen sich alle Themen, das D-S-C-H eingeschlossen. Rätselhaft, meisterlich, geheimnisvoll ! Was ist gemeint ? ...und Tanz als Chiffre Russland im Bürgerkrieg der 1920er Jahre. Ein Kellerversteck: Drinnen Vater, Mutter, Großmutter und Kinder, draußen Not und Gefahr – Angst. Der Vater beginnt zu tanzen, animiert die Kinder. Sie heben die Füße, strecken die Arme empor und öffnen die Hände zum Blütenkranz. Sie tanzen gegen die Angst, gegen den Tod ! Immer schneller, immer kesser. Greisenhände und Kinderfinger wie ein Blütenreigen, wie schimmernde Kerzen in der Dunkelheit. Dann färbt ein fahler gelber Stern die Nacht ! Noch immer dieser Blumenkranz tanzender Hände, nein – schwankend jetzt, dann wieder tanzend, wie Kerzen, in der Dunkelheit aufflackernd. Es ist die gleiche Familie, es sind viele Familien, eine endlose Kolonne von Menschen. Auf ihre gelben Sterne sind Gewehre gerichtet. Noch immer diese tanzenden Hände – nun auf dem Weg nach Auschwitz, nach Ber­ ditschew. Diese Sequenz aus Alexander Askoldows Film „Die Kommissarin“ machte Filmgeschichte, wird doch hier auf geniale Weise der Tanz der Chassidim, der ostjüdischen Mystiker, zur Chiffre für ein Leben mit offenen Händen. Und dies inmitten geballter Fäuste, also inmitten von Hass und Gewalt. Askoldows Film ist das Gegenstück zu Schostakowitschs Violinkonzert. Film wie Kon- 5 Dmitrij Schostakowitsch mit seiner ersten Frau Nina Wasiljewa (um 1945) 6 Dmitrij Schostakowitsch: 1. Violinkonzert a-Moll zert konnten zum Zeitpunkt ihres Entstehens nicht aufgeführt werden. Alskoldows Film wurde 1967 gedreht und durfte erst 1987 gezeigt werden, Schostakowitschs Konzert entstand 1947/48 und wurde erst 1955 uraufgeführt. Dem Filmregisseur hängte man den Makel eines „psychisch Kranken“ an, der Komponist wurde zum „Volksfeind“ erklärt. 3. Satz: Passacaglia als „dynamische Ruhe“ Kann die Menschheit noch frei darüber entscheiden, ob sie den eingeschlagenen Weg weitergeht oder nicht ? Eine Frage von allgemeiner Bedeutung, die nicht allein auf das russische oder das jüdische Volk zielt, sondern auf das Geheimnis mensch­licher Willensfreiheit überhaupt. Für die musikalische Problematisierung dieses Rätsels menschlicher Existenz wählte Schostakowitsch die alte Form der Passacaglia, eine Variationenfolge über ein „ostinates“, gleichbleibendes Thema. Die Passa­ caglia ist eine Form „dynamischer Ruhe“, denn die Ostinato-Technik imaginiert Objektivität und Unausweichlichkeit, die Technik der Variation hingegen Subjektivität und Freiheit. Dynamische Ruhe vom ersten Takt an. Ruhig schreitet das Passacaglia-Thema in Pauken, Violoncelli und Kontrabässen 17 Takte voran, und gleichzeitig blasen die Hörner zur Jagd, zum Marsch. Der Prota­ gonist versucht sich dieser Alternative zu entziehen; „piano espressivo“ stimmt er ein Klagelied an, dessen kleinteilige Motivbildungen an traditionelle Synagogalmusiken erinnert. Ist es Zahlenmystik, wenn das Passacaglia-Thema beim siebten Mal seines Erklingens die Violine erfasst ? Auch das Hornthema wird von der Violine übernommen, wird befragt, nachdenklich hin und her gewendet. Es handelt sich um eine Analogie zum 1. Satz: Hier wie dort erfasst ein Allgemeines den Einzelnen. Wie auch immer man sich dreht und wendet, man kommt nicht unbeschädigt aus der Welt heraus. Kadenz: Nachdenklichkeit und Atemholen Die nachfolgende Kadenz stellt sich diesem Vorgang, hält Überschau über alle Themen, ordnet sie neu, hört sie ab, wendet sie um und um. „Hier leben Nachklänge“ – so Oistrach – „der Stimmungen und Bilder von der Nocturne, vom Scherzo und von der Passacaglia wieder auf“; doch findet kein Rückzug in die Innerlichkeit und kein Einspruch gegen das äußere Geschehen statt, vielmehr handelt es sich um eine Art Atemholen. Aber welche Kraft und Größe gehört dazu, sich diese Freiheit zum Nachdenken zu bewahren in einer Welt der sichtbaren wie unsichtbaren Gewalten ! In dieser weltanschaulichen Größe wurzelt die Ausgedehntheit, Spannung und Virtuosität dieser Kadenz, die in der Weite und Bedeutsamkeit ihrer Gedanken fast den Raum eines eigenen (Konzert-) Satzes einnimmt. 4. Satz: Burleske Fröhlichkeit... „In Schostakowitschs Schaffen gibt es viele großartige Beispiele für festliche, fröhliche, lebensbejahende Musik (...) Das Einzige, worin ich dem Autor dieser herrlichen, sprühenden, ihrem Geist nach volkstümlichen Musik nicht beistimmen kann, ist die Bezeichnung ‚Burleske‘. Sie scheint mir dem festlichen Charakter und 7 Dmitrij Schostakowitsch mit seiner Tochter Galina (um 1950) 8 Dmitrij Schostakowitsch: 1. Violinkonzert a-Moll dem nationalrussischen Kolorit der Musik wenig zu entsprechen.“ Diese Anmerkung Oistrachs ist selbst eine Burleske, und vom Widmungsträger auch so gemeint. Schostakowitsch ist ein Meister des Tragischen und der Groteske, aber kein Meister „festlicher, fröhlicher, lebensbejahender Musik“. Mit seiner provokanten Verdrehung macht Oistrach klar, das zwischen dem tatsächlichen und dem vorgeblichen Inhalt der Musik eine Divergenz besteht, deren Bedeutung jeder Interpret und Hörer selbst herauszufinden hat. 7. Symphonie. Dort ist es ein Tanzen für das Leben, hier ein Tanzen gegen den Tod. Auf dieser Ebene hat Schostakowitschs Violinkonzert von 1947/48 eine kammermusikalische Entsprechung im Klaviertrio e-Moll op. 67 von 1944: Auch dort eine langsame Einleitung mit Motto-Thema im 4/4 Takt, als 2. Satz ein Scherzo, gefolgt von einer Passacaglia, an die sich ebenfalls ein tanzinspiriertes Finale mit „jüdischer Färbung“ anschließt. In beiden Fällen ein Tanzen gegen den Tod in der Tradition der Chassidim. Wieder ist es ein Tanzsatz, ein Allegro con brio in a-Moll. Erstmals wehrt sich die Solovioline gegen das vorgegebene Thema nicht, sondern stimmt in die befohlene, offizielle Lustigkeit mit ein. Dann kommt es zu einer Art Gegentanz im 3/4-Takt: Das Passacaglia-Thema erscheint in Engführung, und „con tutta forza“ hat die Solovioline dagegen anzuspielen. Oistrachs Verdienste um das Werk Im Finalsatz sind jeweils zwei musikalische und geistige Schichten angelegt. Es handelt sich um kein nostalgisch verklärtes Volksfest, sondern um eine offiziöse Feierlichkeit. Und trotzdem ist es auch ein Fest des Volkes. Oistrach hörte hier die Skomorochen spielen, die alten tanzenden Wandermusikanten und Narren. Gemeint ist ein Tanzen, bei dem die anbefohlene Festlichkeit von innen her umgedeutet wird. Tanzen wird hier zu einer Modalität, der Welt zu widerstehen, sich in Harmonie zu bringen und um sich selbst kreisend einen eigenen Mittelpunkt zu setzen. Schostakowitschs 1. Violinkonzert verdankt seine Uraufführung dem Widmungsträger David Oistrach. Als dieser das Konzert im Frühjahr 1948 erhielt, reagierte er anfangs verstört; unangemessen hoch erschienen ihm die spieltechnischen Schwierigkeiten, zu rätselvoll und unvertraut die geistigen Anforderungen: „Es ist durchaus nicht einfach, das Konzert von Schostakowitsch zu ‚meistern‘. Ich erinnere mich, wie langsam und nicht ohne Schwierigkeiten meine Interpretation heranreifte, wie ich mich von Tag zu Tag immer lebhafter für das Werk interessierte und schließlich hell begeistert war. Und dann kam der Tag, an dem diese Musik alle meine Gedanken und Gefühle gepackt hatte. Je mehr ich mich in das Konzert vertiefte, je aufmerksamer ich seinen Klängen lauschte, um so besser gefiel es mir, und mit um so größerem Eifer studierte ich es ein, um so stärker fesselte es meine Gedanken und ergriff Besitz von meinem ganzen Fühlen.“ Dieses Finale ist folglich eine „Apotheose des Tanzes“, aber ganz anderer Art als in Beethovens An eine Aufführung war 1948 allerdings nicht zu denken. Aber auch Stalins Tod 1953 gab den ...und „Apotheose des Tanzes“ 9 Schostakowitsch (Bildmitte) auf einer von Parteifunktionär Tichon Chrennikow geleiteten Sitzung des sowjetischen Komponistenverbandes (1955) Weg für das Werk (noch) nicht frei. Da erhielt David Oistrach 1955 eine Einladung zu einem Gastspiel in New York, die mit der Aufforderung verbunden war, das unbekannte, geheimnisumwitterte 1. Violinkonzert von Schostakowitsch aufzuführen. Einem ungeschriebenen Gesetz zufolge musste aber jedes sowjetische Werk innerhalb der Grenzen der Sowjetunion uraufgeführt werden, bevor es im Ausland nachgespielt werden konnte; und da die Behörden auf die Devisen aus Oistrachs Auftritt in den USA nicht verzichten wollten, war plötzlich der Weg zur Uraufführung frei. Vom Regime totgeschwiegen Isaak Glikman, der Freund Schostakowitschs, berichtete: „Am 18. Oktober 1955 kam Schostakowitsch zusammen mit David Oistrach nach Leningrad, um das Konzert Mrawinskij zu zeigen, der sofort begann, mit dem Orchester zu arbeiten, akribisch und gewissenhaft, wie es diesem bemerkenswerten Dirigenten eigen war. Am 25. Oktober fand der erste Durchlauf statt. Dmitrij Dmitrijew nahm daran teil. Oistrach spielte einzigartig. Der Eindruck war erschütternd. (...) Am 29. Oktober 1955 fand das lang erwartete Konzert statt und hatte einen gigantischen Erfolg. Das Finale wurde auf Verlangen des Publikums wiederholt.“ Bereits am 29. Dezember 1955 spielte David Oistrach „sein“ Violinkonzert in der Carnegie Hall in New York mit den New Yorker Philharmonikern unter Leitung von Dimitri Mitropoulos. Trotz des enormen Erfolgs schwieg die sowjetische Presse bis auf wenige Ausnahmen das Werk tot, bis im Juli 1956 in der Zeitschrift „Sowjetskaja musyka“ aus der Feder Oistrachs zu lesen war: „Seit der Uraufführung des neuen Violinkonzerts von Schostakowitsch ist bereits ein halbes Jahr vergangen, aber bis heute ist noch kein Artikel, keine Besprechung dieses hervorragenden Werkes erschienen. Gewiss, Totschweigen ist auch eine Art von Kritik.“ 10 Johannes Brahms: 4. Symphonie e-Moll 15 Ein Leben für die Variation Thomas Leibnitz Johannes Brahms Lebensdaten des Komponisten (1833–1897) Geboren am 7. Mai 1833 in Hamburg; gestorben am 3. April 1897 in Wien. Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98 Entstehung 1. Allegro non troppo 2. Andante moderato 3. Allegretto giocoso 4. Allegro energico e passionato Der Charakter der vierten (und damit letzten) Symphonie von Johannes Brahms, die in den Sommermonaten 1884 und 1885 in Mürzzuschlag / Steiermark auf der Südseite des Semmering entstand, wurde vom Komponisten in einem Brief an Elisabet von Herzogenberg auf das eher raue Klima dieses Mittelgebirgszugs im Südosten von Wien bezogen: „Im Allgemeinen sind ja leider die Stücke von mir angenehmer als ich, und findet man weniger daran zu korrigieren ?! Aber in hiesiger Gegend werden die Kirschen nicht süß und essbar...“ Uraufführung Am 25. Oktober 1885 in Meiningen / Thü rin gen im Großherzoglichen Hoftheater (Großherzogliche Hofkapelle Meiningen unter Leitung von Johannes Brahms). Sieben Tage später wurde das Werk unter Hans von Bülow erneut aufgeführt und anschließend auf einer Tournee des Meininger Orchesters durch Westdeutschland und Holland, deren Leitung sich Brahms und Bülow teilten, einem breiteren Publikum vorgestellt. 11 Johannes Brahms (1889) 1216 JohannesBrahms: Brahms:4.4.Symphonie Symphoniee-Moll e-Moll Johannes Anverwandlung als Kunst- und Lebensprinzip Unbeirrbarer Wille und Mut zur Einsamkeit Der Versuch, das Schaffen eines Komponisten unter ein charakteristisches Motto zu setzen, wird immer fragwürdig bleiben. Weder geht das Komponieren Arnold Schönbergs völlig im Begriff der „revolutionären Neugestaltung“ auf, noch sind die Beiträge Wagners und Verdis zur Musikgeschichte ausschließlich auf die Opernbühne zu beschränken. Aber dennoch haben solche Kurzcharakteristiken – vorausgesetzt, dass ihnen die nötige Differenzierung folgt – ihre Berechtigung und ihren Sinn: Der Blick richtet sich auf das Wesentliche, innerhalb der zahllosen biographischen und werkanalytischen Fakten wird „Struktur“ geschaffen. Und so sollte es erlaubt sein, im Falle Johannes Brahms’ den Begriff der „Variation“ als Schlüsselbegriff anzusetzen, und dies gleich in mehrfacher Hinsicht. „In diesem Genre liegt ganz entschieden die starke Seite dieses Componisten; denn er ist von Hause aus eigentlich arm an Erfindung, aber er hat viel gelernt und hat eine edle, dem Gemeinen fernab liegende Richtung…“ So charakterisierte 1873 der Rezensent des „Vaterlands“, einer österreichischen Tageszeitung, die soeben uraufgeführten „Varia tionen über ein Thema von Joseph Haydn“, Brahms’ letztes „Vorbereitungswerk“ auf dem Weg zur Symphonie. Das zitierte Lob hat einen etwas schalen Beigeschmack und formuliert den ständig wiederkehrenden Hauptvorbehalt aller Brahms-Kritiker: Am professionellen Können des Komponisten sei nicht zu zweifeln, aber es fehle der schöpferische Funke, das Unverwechselbare der eigenen Aussage. Hier hat die Rezeptionsgeschichte allerdings klar zu Gunsten des Komponisten entschieden. Unübersehbar ist die Neigung des Komponisten zu Anverwandlung und Neubeleuchtung des bereits Gegebenen; dies spiegelt sich wider in der großen Zahl von Werken, die explizit als „Variationen über…“ betitelt sind, wie auch in der Kunst der permanenten Variantenbildung, die sein gesamtes Schaffen durchzieht. Darüber hinaus ist das Gesamtwerk von Johannes Brahms – lobend und tadelnd – von vielen Zeitgenossen als großangelegte Variation über das Grundthema der „Klassik“ angesehen worden, wobei manche den schöpferisch-individuellen Aspekt innerhalb der retrospektiven Grund haltung übersahen. Alle Klischeevorstellungen und Vorbehalte der Mitwelt fokussieren in der Aufnahme von Brahms’ 4. Symphonie, seinem letzten Beitrag als symphonischer Komponist. Ganz entschieden hat hier Brahms dem Element des Variativen größtes Gewicht gegeben – mehr als in den vorangegangenen Sympho nien. Vor allem der letzte Satz, in dem der Komponist auf das historische Modell der Passacaglia zurückgreift, scheint das filigrane Variationsprinzip ins Extrem zu treiben – auf Kosten des großräumigen symphonischen Entwicklungsprinzips nach dem Vorbild Beethovens, dem Brahms etwa in seiner 1. Symphonie durchaus gefolgt war. Kein Wunder, dass auch unter seinen treuesten Anhängern Zweifel aufkamen, ob dem Meister hier vielleicht nicht doch 13 Der Beginn des 1. Satzes (oben) und der Beginn des 3. Satzes (unten) in der Handschrift des Komponisten 1418 JohannesBrahms: Brahms:4.4.Symphonie Symphoniee-Moll e-Moll Johannes ein Missgriff unterlaufen sei. In wenigen Fällen war Brahms in so hohem Maß auf sich allein gestellt, musste er gegen den Rat seiner wohlmeinenden und gegen die Schelte seiner übelwollenden Mitwelt so sehr seiner inneren Stimme vertrauen und an einer Kon zeption festhalten, die von der Nachwelt schließlich als überzeugend und authentisch gewertet wurde. „Auf das Auge des Mikroskopikers berechnet“ Die 4. Symphonie entstand innerhalb zweier Sommeraufenthalte Brahms’ in Mürzzuschlag (Steiermark), und zwar in den Sommern 1884 (1. und 2. Satz) und 1885 (3. und 4. Satz). Wie immer hatte Brahms den Plan zu einem neuen symphonischen Werk in der für ihn typischen Neigung zum „Understatement“ nur in kryptischen Andeutungen kundgetan; in seinem Brief an den Verleger Simrock vom 19. August 1884 bemerkte er lediglich am Rande, er wolle nun „besseres Papier mit mehr Systemen“ nehmen, woraus Informierte schließen konnten, dass er wieder an einem Orchesterwerk arbeitete. Rasch verbreitete sich die Nachricht von einer neuen Symphonie unter den Freunden, und bereits am 26. Oktober 1884 fragte Elisabet von Herzogenberg gezielt nach dem Werk. Brahms wollte jedoch die zwei vollendeten Sätze noch nicht aus der Hand geben, und so musste sich der Freundeskreis bis zum September 1885 gedulden. Das mit Brahms befreundete Ehepaar Herzogenberg erhielt das Manuskript zuerst – die Reaktion war indessen Enttäuschung. Die Partitur wurde kommentarlos zurückgeschickt, und auch Wochen danach teilten weder Herzogenbergs noch Clara Schumann dem Komponisten ihre Eindrücke mit, was diesen veranlasste, in seinem Brief vom 30. September 1885 an Heinrich von Herzogenberg etwas kleinlaut und missmutig zu bemerken: „Meine neuliche Attacke ist ja gründlich misslungen (und eine Symphonie dazu).“ Nun folgte doch ein ausführlicher Brief von Frau Herzogenberg, in dem sie für das neue Werk bewundernde und begeisterte Worte fand: „Man wird nicht müde, hineinzuhorchen und zu schauen auf die Fülle der über dieses Stück ausgestreuten geistreichen Züge, seltsamen Beleuchtungen rhythmischer, harmonischer und klanglicher Natur, und Ihren feinen Meißel zu bewundern, der so wunderbar bestimmt und zart zugleich zu bilden vermag.“ Aber ein gewisser Vorbehalt konnte nicht verschwiegen werden: „Es ist mir, als wenn eben diese Schöpfung zu sehr auf das Auge des Mikroskopikers berechnet wäre, als wenn nicht für jeden einfachen Liebhaber die Schönheiten alle offen dalägen, und als wäre es eine kleine Welt für die Klugen und Wissenden, an der das Volk, das im Dunkeln wandelt, nur einen schwachen Anteil haben könnte.“ Mit anderen Worten: Das Werk sei zu subtil konzipiert, es fehle der „impact“, die unmittelbar zündende Wirkung. Prügelstrafe für geistlose Kritiker ? Ende September 1885 spielte Brahms, seiner Gepflogenheit gemäß, das neue Werk den Wiener Freunden in Friedrich Ehrbars Klaviersalon in einer Fassung für zwei Klaviere vor; sein Partner war Ignaz Brüll. Prominente Vertreter des zeitgenössischen Musiklebens hatten sich eingefunden: Hans Richter, Eduard Hanslick, 15 Johannes Brahms (1896) 1620 JohannesBrahms: Brahms:4.4.Symphonie Symphoniee-Moll e-Moll Johannes Theodor Billroth, auch der Musikkritiker und Brahms-Biograph Max Kalbeck. Kalbeck schildert seine Eindrücke: Nach dem „wundervollen Allegro“ sei eine „ziemlich lähmende Stille“ eingetreten. „Endlich gab Brahms mit einem knurrigen: ‚Na, denn man weiter !‘ das Zeichen zur Fortsetzung; da platzte Hanslick nach einem schweren Seufzer, als ob er sich erleichtern müsste und doch fürchtete, zu spät zu kommen, noch schnell heraus: ‚Den ganzen Satz über hatte ich die Empfindung, als ob ich von zwei schrecklich geistreichen Leuten durchgeprügelt würde.‘ Alles lachte, und die beiden spielten fort.“ Hanslicks Bonmot hatte die drückende Stimmung durchbrochen, nicht aber die Zweifel ausgeräumt. Insbesondere der Finalsatz erschien Kalbeck zwar als „die Krone aller Brahms‘schen Variationensätze“, jedoch nicht als geeigneter Abschluss einer Symphonie. Getrieben von der ernsthaften Befürchtung, dem verehrten Freund drohe ein „eklatanter Misserfolg“, suchte er Brahms am nächsten Morgen auf, trug ihm seine Bedenken vor und machte ihm den ungewöhnlichen Vorschlag, er solle die Symphonie zurückziehen und tiefgreifend umarbeiten. Brahms reagierte weder beleidigt noch empört, sondern argumentierte mit dem Vorbild Beethovens: Auch dieser hätte, in seiner „Eroica“ nämlich, eine Symphonie mit einem Vari ationen satz abgeschlossen. Er sei Kalbeck für dessen freimütige Kritik dankbar, bleibe aber dennoch bei seiner Konzeption. Verschleierter Bauplan, imponierende Architektur Ohne Umschweife beginnt der Kopfsatz mit dem sanft fließenden, etwas melancholischen Hauptthema, das sogleich dem Variationsprinzip unterworfen wird; in der Wieder holung erscheint das Thema in der Achtelbewegung, Begleitfiguren und Instrumen tation sorgen für neue Beleuchtung. In der Weiterführung tritt ein Charakteristikum von Brahms’ Komponieren zutage: Der rhythmische Fluss der Geradtaktigkeit wird unterbrochen, scheinbar ungeradtaktige Bildungen schieben sich ein. All diese Elemente verschleiern und verfremden das Bild des klassischen Sonatensatzes, der jedoch auch diesem Kopfsatz als Grundstruktur unzweideutig zugrunde liegt. Da von Anfang an das Prinzip der variativen Umformung und Neufärbung vorherrscht, fällt es nicht leicht, den klassischen Bauplan der Sonatenform – Exposition, Durchführung, Reprise – hörend nachzuvollziehen. Entgegen dem „Traditionalismus“, den man Brahms nur zu gern unterstellt, hält der Komponist stets neue Überraschungen bereit – etwa in der höchst originell gestalteten Re prise, die die erste Hälfte des Hauptthemas zwar notengetreu, aber mit weiter Dehnung der Notenwerte über einem zart bewegten Streicherteppich präsentiert; erst die zweite Hälfte des Themas, nunmehr in der Originalgestalt, erleichtert das Wiedererkennen. Johannes Brahms: 4. Symphonie e-Moll Das Prinzip der Variation konzentriert sich im nun folgenden langsamen Satz auf harmonische Subtilität und vielschichtige Klangfärbungen. Grundtonart ist E-Dur; doch Brahms modifiziert die harmonische Struktur durch Rückgriff auf gleichsam archaische Wendungen, durch Einschub kirchentonaler Elemente, insbesondere der „phrygischen Sekunde“. Sie gibt dem rhythmisch gleichförmig einher schreitenden Holzbläserthema das charakteristische Gepräge und zeigt, wie durch Rückgriff auf historisch längst „überholte“ Wendungen überraschend innovative Wirkungen erzielt werden können. Formal lässt sich der Satz in seiner großräumigen Zweiteiligkeit leicht überblicken; jeder der beiden Teile ist durch die Dualität des vorrangig bläserdominierten Hauptthemas und des auf Streicherklang basierenden Seitenthemas bestimmt. Züge grimmig-grotesker Heiterkeit trägt der 3. Satz, der die Tradition des Menuett- bzw. Scherzo-Satzes auf sehr individuelle Weise fortsetzt. Grundtonart ist C-Dur, doch will sich keineswegs die mit dieser Tonart gemeinhin verbundene Feierstimmung einstellen; dies verhindert bereits das rhythmisch „gegen den Strich gebürstete“ Hauptthema, das an einen stampfenden Tanz denken lässt. Immer wieder lässt Brahms Akkordblöcke lapidar aufeinanderprallen, die durch den Einsatz des Triangels geradezu unheimlichen Klangcharakter annehmen. Das für ein Scherzo unabdingbare Trio ist auf wenige Bläserphrasen reduziert. 21 17 Als Krönung des symphonischen Baus gilt der Schlusssatz , als reiner Variationensatz ein Novum in Brahms’ Symphonien. Er greift auf das barocke Modell der Passacaglia zurück, deren Eigenheit in der unablässigen Wiederholung eines achttaktigen Bassthemas besteht. Fast scheint es, als wollte Brahms beweisen, mit welch rudimentären Mitteln große Wirkungen zu erzielen sind: Das Thema ist von größter Einfachheit, tonleiterartig schreitet es in lapidaren Sekundschritten voran, nur im fünften und siebten Takt durch chromatische Schärfung verfärbt. Es folgen nun 30 Variationen über das Thema, das zunächst – entgegen dem Prinzip der historischen Passacaglia – in der Oberstimme auftritt, ab der vierten Variation jedoch „regelgemäß“ in den Bass verlegt wird. Seine Linie ist vorerst klar nachvollziehbar, wird jedoch im Verlauf der Entwicklung durch die stets komplexer werdende Stimmenstruktur in den Hintergrund gedrängt. Brahms legt über die strenge Form der Passacaglia umrissartig die Züge der Sonatensatzform, wodurch die in Variation 16 wieder klar erkennbare Linie des Passacaglia-Themas den Charakter einer „Reprise“ bekommt. In monumen taler Steigerung schließt das Werk. 22 18 Die Die Künstler Künstler Semyon Bychkov Dirigent ersten Gastdirigenten bei den St. Petersburger Philharmonikern (1990–1994) sowie beim Orchester des Maggio Musicale Fiorentino (1993– 2000). 1998 wurde Semyon Bychkov Chefdirigent der Sächsischen Staatsoper Dresden, wo er bis 2003 Neuinszenierungen von Wagners „Rheingold“ und „Walküre“, Strauss’ „Rosenkavalier“ und Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ dirigierte. Zu Bychkovs Repertoire zählen darüber hinaus zahlreiche weitere Opern von Verdi, Wagner, Strauss, Mussorgskij und Schostakowitsch; im Rahmen der Salzburger Festspiele dirigierte er 2004 Strauss’ „Rosenkavalier“ mit den Wiener Philharmonikern. In seiner Heimatstadt St. Petersburg besuchte Semyon Bychkov das staatliche Musikkonservatorium, wo er in die Dirigierklasse Ilya Musins aufgenommen wurde; 1975 emigrierte er in die USA. Dort war er von 1980 bis 1985 Musikdirektor des Grand Rapids Symphony Orchestra und von 1985 bis 1989 des Buffalo Philharmonic Orchestra. Anschließend übersiedelte Semyon Bychkov nach Europa, wo er Chefdirigent des renommierten Orchestre de Paris wurde, das er bis 1998 leitete; daneben übernahm er die Position eines Zuletzt war Semyon Bychkov Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters Köln (1997–2010), mit dem er zahlreiche Tourneen durch Nord- und Südamerika, Russland, Japan und Europa unternommen hat. Regelmäßig leitet Semyon Bychkov die großen Orchester der USA; in Europa gastierte er u. a. bei den Berliner und Wiener Philharmonikern, beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und beim Orchester der Mailänder Scala. Die Künstler 19 Julian Rachlin Violine Konzert, das Riccardo Muti dirigierte, war Julian Rachlin der jüngste Solist, der je zusammen mit den Wiener Philharmonikern auftrat. Seither war Julian Rachlin bei den wichtigsten Orchestern der Welt zu Gast, wo er unter Dirigenten wie Kurt Sanderling, Lorin Maazel, Bernard Hai­ tink, Mariss Jansons, Vladimir Ashkenazy und Esa-Pekka Salonen spielte. 1998 wurde Julian Rachlin mit dem „Classical Musician of the Year Award“ geehrt, und im Jahr 2000 erhielt er den begehrten internationalen Musikpreis der Accademia Musicale Chigiana di Siena. Julian Rachlin spielt die Violine „ex-Carrodus“ von Guanerius del Gesù aus dem Jahr 1741, die ihm von der Österreichischen Nationalbank als Leihgabe zur Verfügung gestellt wurde. Julian Rachlin wurde in Litauen geboren und wanderte 1978 mit seinen Eltern nach Österreich aus. Nur 6-jährig hatte er mit dem Studium der Violine begonnen (der sich später die nicht minder virtuos beherrschte Bratsche hinzugesellte), um mit 13 bereits den „Young Musician of the Year“-Preis zu gewinnen. Lorin Maazel lud ihn daraufhin zu seinem Berlin-Debüt mit dem Orchestre National de France sowie zu einer Tournee mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra durch Europa und Japan ein. In einem e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 20 Auftakt Dirigenten Die Kolumne von Elke Heidenreich Meine erste Kolumne für diese Programmhefte schrieb ich vor genau zwei Jahren über den Antritt von Lorin Maazel als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, und ich hörte sein grandioses Antrittskonzert mit Mahlers Symphonie Nr. 9. Was für ein Meister stand da am Pult, und wie leuchtete das Orchester! Nun ist Lorin Maazel im Juni gestorben und hinterlässt eine Lücke, die andere Dirigenten natürlich füllen können, aber seinen ganz speziellen Stil, seine immense Erfahrung kann so schnell keiner ersetzen, denn jeder Dirigent ist einzigartig – darum haben wir ja alle unsere Vorlieben und Abneigungen bei diesem Thema. Das zeigt letztlich nur, wie lebendig die Musikszene ist, was alles möglich ist. „Um einem Missverständnis vorzubeugen: aus der Spitze des Taktstockes ist noch nie ein Ton herausgekommen.“ Mit diesem Satz leitet der Musikkritiker Wolfgang Schreiber sein Buch über Große Dirigenten ein. Wenn aber aus dem Taktstock nichts herauskommt – wie machen die das dann, fragt er. Hypnotisieren sie das Orchester? Haben sie alles im Kopf und in den Händen? Wozu das magische Stöckchen? Und was genau ist das Geheimnis eines großen Dirigenten? Dasselbe, was auch das Geheimnis aller großer Komponisten, Maler, Schriftsteller ist: die Mischung aus Talent und Kraft, Charisma, Zielstrebigkeit, Fleiß, Disziplin. Zuallererst aber: Talent. Und dann gibt es die Klangmagier, die Perfektionisten, die Genießer, es gibt die Exzentriker, die Schweigsamen, die Kommunikationsgenies, die kleinen Diktatoren. Der italienische Filmregisseur Federico Fellini, der Musik so liebte, setzte dem Maestro in seinem Film „Orchesterprobe“ von 1979 ein Denkmal und sagte augenzwinkernd: „Hochgewachsen soll er sein, der ideale Dirigent, bleich, schön, gebieterisch, geheimnisvoll, magnetisch, das Antlitz geprägt von edlem Leid.“ Ein Dirigent wie Lorin Maazel, der dirigierte, seit er 11 Jahre alt war, kannte alle Musik, und er kannte sie in allen denkbaren Variationen. Dazwischen noch den eigenen Stil, das eigene Tempo, die eigene Handschrift zu finden, ist etwas, das ich immer wieder zutiefst bewundere und auch an ihm bewundert habe. Auch Toscanini, Sanderling, Karajan standen oder saßen noch mit über 80 Jahren am Pult und leisteten Grandioses. Und man kann den Stil einzelner Dirigenten noch so sehr analysieren, ein Orchester noch so sehr unter die Lupe nehmen – letztlich ist das Zusammenwirken von Dirigent und Orchester ein Mysterium, ein Rest unbegreiflicher Rätselhaftigkeit, die das Glück der Zuhörer ausmacht. Wir werden dieses großartige Orchester in dieser Saison unter fast dreißig verschiedenen Dirigenten erleben, von denen der älteste 1935 und der jüngste 1984 geboren wurde – und wir werden hören, wie bekannte Klänge sich verändern und verwandeln. Auch Maazel hätte es so gewollt: dass wir der Musik treu bleiben und auch offen gegenüber allen möglichen Interpretationen. Ph Eine Broschüre mit den neuen Konzertprogrammen für die Spielzeit 2014/15 ist ab sofort in den Auslagen im Foyer des Gasteigs erhältlich. Allen Abonnenten wurde im Vorfeld der Saison eine Broschüre mit den Programmen nach Abo-Reihen zugeschickt. Sollten Sie kein Exemplar erhalten haben, bedienen Sie sich bitte an den Auslagen oder wenden Sie sich bitte an unser Abo-Büro. Abschied (I) Unsere Hornistin Maria Teiwes wechselt zu den Bamberger Symphonikern und tritt dort die Stelle als Solohornistin an. Abschied (II) Barbara Kehrig hat die Stelle als Kontrafagottistin beim Konzerthausorchester Berlin gewonnen, die sie zum Start der Saison 2014/15 antreten wird. Herzlich willkommen (I) Wir begrüßen bei den Philharmonikern Floris Mijnders (Solo-Cello), Fora Baltacigil (SoloKontrabass), Teresa Zimmermann (Solo-Harfe) und Mia Aselmeyer (Horn). Sie treten zum Beginn der neuen Spielzeit ihre Stellen und das damit verbundene Probejahr an. Ein Kurzportrait finden Sie auf den Seiten 22–23. Herzlich willkommen (II) Ebenso herzlich heißen wir Sigrid Berwanger, Jiweon Moon und Laura Mead (2. Violinen), Christa Jardine und Julie Risbet (Bratschen), 21 Johannes Hofbauer (Fagott) sowie Thiemo Besch (Horn) willkommen. Sie haben einen Zeitvertrag für die Saison 2014/15 erhalten. Kampala, Uganda Zu Gast in der Kampala Music School in Uganda. Im August reisten zum ersten Mal Mitglieder des Orchesters in die ugandische Hauptstadt Kampala, um dort mit Kindern und Musikern der Musikschule in Workshops gemeinsam zu musizieren und Konzerte zu geben. Die Eindrücke in diesem tollen ostafrikanischen Land mit unglaublichen Menschen, die Shengni Guo, Traudl Reich und Maria Teiwes dort erlebten, können Sie in unserem Blog nachlesen bei facebook. com/spielfeldklassik. Fußball Eine höchst unglückliche Niederlage beim Fußballspiel gegen das Team des Bayerischen Staatsorchesters musste der FC Philharmoniker verzeichnen. Stark ersatzgeschwächt – sechs Stammkräfte mussten verletzungsbedingt kurzfristig absagen – und trotz drückender spielerischer Überlegenheit mit ansehnlichen Ballstaffetten nutzten selbst klarste Elfmeterchancen nicht: das Spiel ging mit 0:1 verloren. Wir gratulieren dem Staatsorchester und freuen uns auf das nächste Match. Wie es noch besser geht, erlebten dann beide Mannschaften beim WM-Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich – das Spiel schauten sich alle in kollegialer Eintracht beim gemeinsamen Grillen an. e Konzertübersicht 2014/15 ch is on m er ar ätt ilh Bl Philharmonische Notizen e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph Wir begrüßen... 22 Mia Aselmeyer Teresa Zimmermann Instrument: Horn Instrument: Harfe Mia Aselmeyer wuchs in ihrem Geburtsort Bonn auf und war Jungstudentin an der Kölner Musikhochschule bei Paul van Zelm. Während des Studiums an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bei Ab Koster war sie Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie und Stipendiatin der Orchesterakademien des Schleswig Holstein Musikfestivals und der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Für die vergangene Saison erhielt sie bereits einen Zeitvertrag bei den Münchner Philharmonikern, nach ihrem erfolgreichem Probespiel tritt sie nun ihr Probejahr zur festen Stelle an. „Mit der Stelle bei den Münchner Philharmonikern erfüllt sich mir ein Lebenstraum. Ich bin gespannt darauf mit dem Orchester an die unterschiedlichsten Orte zu reisen und der Welt somit die Stadt München ein Stück näher zu bringen“, bekennt Mia Aselmeyer, die in ihrer Freizeit gerne München und das Umland entdeckt und ihre Häkel- und Backtechniken verfeinert. Teresa Zimmermann erhielt ihren ersten Harfenunterricht in ihrer Heimatstadt Hannover mit sechs Jahren. 2008 schloss sie ihr Studium bei Maria Graf an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin mit Auszeichnung in der Solistenklasse ab. Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen bei allen bedeutenden internationalen Wettbewerben für Harfe. Seit Jahren konzertiert sie als Gast bei renommierten europäischen Orchestern und war seit 2013 Solo-Harfenistin des Philharmonia Orchestra London. Solokonzerte gab sie unter anderem mit den Duisburger Philharmonikern, dem Warschauer Sinfonieorchester und dem Konzerthausorchester Berlin. 2011 wurde sie von ARTE unter der Moderation von Rolando Villàzon für die Sendung „Stars von morgen“ aufgenommen. Seit Dezember 2011 unterrichtet sie als Dozentin für Harfe eine Hauptfachklasse an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. „Ich habe noch nie in Süddeutschland gelebt und bin gespannt, was mich erwartet“, erzählt sie. „Als begeisterte Sportlerin freue ich mich sehr auf die viele Natur und die gute Luft!“ Ph ch is on m er ar ätt ilh Bl 23 Fora Baltacigil Floris Mijnders Instrument: Bass Instrument: Cello Fora Baltacigil, geboren in Istanbul, erhielt ab dem Alter von neun Jahren Bass-Unterricht von seinem Vater, dem Solo-Kontrabassisten des Istanbul State Symphony Orchestra. Später studierte er bis zum Jahr 2002 am Istanbul University Conservatory und erhielt 2006 sein künstlerisches Diplom am Curtis Institute of Music in Philadelphia, wo er Schüler Hal Robinsons und Edgar Meyers war. Fora Baltacigil war Mitglied der Berliner Philharmoniker und Solo-Bassist des Minnesota Orchestra und des New York Philharmonic Orchestras. Als Solist spielte er mit dem Minnesota Orchestra John Harbisons „Concerto for Bass Viol“ und trat zusammen mit seinem Bruder Efe, dem Solo-Cellisten des Seattle Symphony Orchestras, mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle auf (Programm: Giovanni Bottesinis „Grand Duo Concertante“). Seine Freizeit verbringt Fora Baltacigil – wenn er nicht gerade als Hobby-Koch am Herd steht und neue Rezepte ausprobiert – gerne als begeisterter Segler und Taucher in bzw. auf dem Wasser. Floris Mijnders, geboren in Den Haag, bekam als Achtjähriger den ersten Cellounterricht von seinem Vater. Ab 1984 studierte er bei Jean Decroos am Royal Conservatory Den Haag. Während seines Studiums spielte er im European Youth Orchestra und besuchte Meisterklassen bei Heinrich Schiff und Mstislav Rostropovich. Mijnders wurde 1990, kurz nach Studienende, 1. Solocellist im Gelders Orkest in Arnhem. Nicht viel später wechselte er in gleicher Position zum Radio Filharmonisch Orkest. Seit 2001 war er 1. Solocellist des Rotterdam Philharmonic Orchestra und spielte als Solocellist zu Gast bei zahlreichen renommierten europäischen Orchestern. Als Solist trat er mit vielen europäischen Orchestern auf, unter anderem mehrmals mit dem Concertgebouw Orchestra Amsterdam und dem Radio Filharmonisch Orkest. Floris Mijnders is Professor für Violoncello am Sweelinck Concervatorium Amsterdam. Neben der Musik ist Kochen Floris Mijnders Leidenschaft. Er freut sich auf die Zeit in München und darauf, die schöne Natur Bayerns genießen und im Winter Schlittschuhlaufen gehen zu können. e Wir begrüßen... e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 24 Über die Schulter geschaut Im Dienste der Musik – die Notenarchivare der Münchner Philharmoniker Christian Beuke Gefragt nach einem typigerne arbeiten die beiden schen Arbeitstag, fällt ihre Archivare für den EhrenAntwort kurz, prägnant und dirigenten, Zubin Mehta. mit einem Schmunzeln aus: Denn pünktlicher als er ist „Den gibt es nicht.“ Thomas niemand. „Von ihm kommt Lang und Georg Haider ardie Quinte mindestens drei beiten seit zehn bzw. fünf Monate vor der ersten ProJahren als Notenachivare be. Mehr als ausreichend bei den Münchner PhilharZeit, damit wir die fertigen monikern. Vor allem sind sie Stimmen pünktlich an die dafür verantwortlich, dass Thomas Lang und Georg Haider (von links auf dem Foto) Orchestermusiker überdie Striche – die Auf- und arbeiten seit zehn bzw. fünf Jahren als Notenachivare geben und sie die ProAbstriche der Streicher – gramme vorbereiten könkorrekt in jede Stimme und nach den Wünschen des nen. Unser Anspruch ist es, immer zwei bis drei Dirigenten eingetragen sind. „Manche Maestri Projekte voraus zu sein“, erläutert Georg Haider. schicken uns eine sogenannte „Quinte“ – die ein„Treten Programmänderungen auf, hat die Aktualigerichteten Striche von je einer 1. und 2. Geige, tät natürlich immer Vorrang.“ Bratsche, Cello und Bass“, erklärt Georg Haider. Was sich auf den ersten Blick simpel anhört, ist Durch ihre Hände wandern mitunter wahre Schätbei genauerem Hinsehen wesentlich komplexer. ze. Gustavo Dudamel war sofort Feuer und Flamme Jeder Maestro hat unterschiedliche Erwartungen: als er hörte, dass es bei den Münchner Philharmoder eine bevorzugt das Notenmaterial eines benikern noch alte Noten gebe, die von Celibidache stimmten Verlags, weil er mit diesen Noten schon eingerichtet wurden und aus denen er dirigiert hat. seit Jahren arbeitet. „Lorin Maazel hat dank seines „Er fragte, ob er nach einer Probe kurz bei uns vorfotografischen Gedächtnisses sofort erkannt, ob es bei kommen dürfe, um sich Partituren genauer an„sein“ Material war“, erinnert sich Thomas Lang. zusehen“, berichtet Thomas Lang. „Fast eine Stun„Diese Stelle war doch bisher immer oben links auf de war er da“ – eine Ausnahme, wie er gerne offen zugibt. „Mit offenem Mund hat er zugehört als dieser Seite. Es ist ein wenig ungewohnt, wenn sie auf einmal woanders auftaucht“, so der Kommentar ich ihm sagte, dass die Münchner Philharmoniker des Maestros. Andere Dirigenten sind dagegen fast alle Orchesterwerke Richard Strauss’ vom sehr an den neuesten Ausgaben interessiert, die Komponisten selbst geschenkt bekommen haben.“ erst ganz frisch herausgekommen sind. Besonders In der Tat eine absolute Besonderheit. Ph Auch ein guter Draht zu den Musikern des Orchesters ist für Thomas Lang und Georg Haider selbstverständlich. Wünsche einzelner Kollegen werden sofort erfüllt, sei es die Vergrößerung von Stimmen, das Übertragen kurzer Passagen in einen anderen Notenschlüssel oder die Bereitstellung von Stimmen auch mal früher als normalerweise üblich. Wolfgang Berg, Bratscher und Erfinder des 25 Odeonjugendorchesters, fragt regelmäßig für das Patenorchester nach einer Quinte, damit die jungen Musiker die Striche in ihr gekauftes Material übertragen können. Gleiches gilt für das Abonnentenorchester. Und unlesbare Stimmen, im letzten Falle waren das zwei Soloviolinen, die in einem Notensystem – „für das menschliche Augen kaum mehr wahrnehmbar“ – zusammenfasst waren, werden fein säuberlich getrennt neu notiert. Für das beste künstlerische Ergebnis. Georg Haider hat u.a. Komposition studiert. Bevor er bei den Münchner Philharmonikern anfing, war er als freischaffender Komponist tätig. Erst kürzlich hat er mit einem außergewöhnlichen Projekt von sich Reden gemacht: dem Klangbuch „Der Dritte Mann“, nach dem Roman von Orson Welles. Die Musik für vier Zithern, Posaune und Schlagzeug hat er ursprünglich für ein Zitherfestival komponiert. Gemeinsam mit dem Sprecher Norbert Gastell, mit verstellter Stimme als Synchronstimme von Homer Simpson bekannt, ist ein Melodram entstanden, das der Mandelbaumverlag herausgebracht hat. Deutschlandradio Kultur rezensiert: „Dieser „Dritte Mann“ ist kein Futter für das Autoradio, kein Unterhaltungskrimi, kein Auffrischen einer bereits bekannten Erzählung. Georg Haiders „Der Dritte Mann – Orson Welles’ Schatten“ ist uneasy listening, faszinierend-verstörende Hörkunst, die bewusstes Hören erfordert. Und nachdem man diesen Stoff mit anderen Ohren gehört hat, wird man vermutlich auch den Film mit anderen Augen sehen.“ Stets im Dienste der Musik eben. e In der Regel aber wird das Notenmaterial eingekauft. Bedingung für den Erwerb ist, dass die Rechte der Komponisten an den Werken freigeworden sind. In Deutschland ist das 70 Jahre nach dem Tod des Komponisten der Fall. Richard Strauss zum Beispiel ist also noch bis zum 1.1.2020 geschützt. In Asien oder auch in Amerika gelten hingegen andere Regeln. So war in den USA bis vor kurzem jedes Werk 50 Jahre nach dem Erscheinen des jeweiligen Erstabdrucks geschützt. Wann werden welche Werke frei? Welche neuen Urtexte gibt es? Fragen, die die beiden Archivare aus dem Stand beantworten können. Ein guter Draht zu den Musikverlagen ist dabei mehr als hilfreich, ja geradezu Voraussetzung. Thomas Lang hat viele Jahre in einem großen Notenverlag gearbeitet, er kennt auch die andere Seite bestens und hat schon die eine oder andere kritische Situation still und einvernehmlich gelöst. Vorher war er als Dramaturg an verschiedenen Theatern in Deutschland tätig. Kein Wunder, dass seine große Liebe der Oper gilt, genauer gesagt der unentdeckten Oper. Mehr als 600 verschiedene Operproduktionen hat er bereits besucht, dafür reist er durch ganz Deutschland, wann immer es die Zeit zulässt. Besonders angetan ist er von den zahlreichen Raritäten, die das Stadttheater Gießen schon seit Jahren ausgräbt. ch is on m er ar ätt ilh Bl Über die Schulter geschaut e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 26 Orchestergeschichte Ein außergewöhnliches Konzert mit Gustav Mahlers nachgelassenem Adagiosatz Gabriele E. Meyer Am 17. Dezember 1931 stellte der Konzertverein in Verbindung mit der 1927 von Fritz Büchtger gegründeten „Vereinigung für zeitgenössische Musik“ vier für München ganz neue und „gegensätzliche“ Werke vor. Am Pult der Münchner Philharmoniker stand Hermann Scherchen, zeit seines Lebens unbeirrbarer Förderer der neuen Musik und Freund vieler Komponisten. Mit Feuereifer erarbeiteten die Musiker Gustav Mahlers Adagio aus dessen unvollendet gebliebener zehnten Symphonie sowie Paul Hindemiths 1930 für das Bostoner Symphonieorchester komponierte „Konzertmusik für Streichorchester und Bläser“ op. 50, Arthur Honeggers Symphonie Nr. 1 (1930) und Wladimir Vogels „Zwei Orchester-Etüden“, ebenfalls aus dem Jahre 1930. Schon in der Ankündigung zu dem Konzert machten die „Münchner Neuesten Nachrichten“ auf die schwierige musikgeschichtliche Stellung des damals noch kontrovers diskutierten österreichischen Komponisten aufmerksam. „Mahler ist oft als einer der Väter der sogenannten neuen Musik bezeichnet worden, wenn auch diese Beziehung sehr problematisch ist und man eher ihn als den Ausklang der Romantik bezeichnen kann.“ Das Echo auf diesen Konzertabend aber war enorm, wobei gerade Mahlers Adagiosatz den größten Eindruck hinterließ. So wurden die „innere Konzentration“ und die „ergreifende Ausdruckskraft des breit in schmerzlicher Schönheit hinströmenden Gesanges“ ebenso vermerkt wie die „Spannung weiter Intervalle“. Ein anderer Rezensent sah den Satz als „erschütternden Ausklang einer um die letzten Dinge wissenden Seele“. Interessant, notabene, ist hier auch der Hinweis auf Brucknersche Gedankengänge. Es scheint, als ob die Logik des Zerfalls, das musikalische Bild des Todes, das Mahler hier komponiert hat, geradezu hervorragend getroffen wurde. Wie nun Hermann Scherchen die Werke des ganzen Abends „musikalisch und geistig, aber auch dirigiertechnisch vermittelt hat, war“, nach übereinstimmender Meinung, „wieder im höchsten Grade bewunderungswürdig. Aber auch die Münchner Philharmoniker zeigten sich an diesem Abend auf der vollen Höhe ihrer Leistungsfähigkeit. Sie spielten glänzend.“ Ein besonderes Lob erhielten die Blechbläser, die wahrlich keinen leichten Abend hatten. Der schönste Dank aber kam von Scherchen selbst. In einem offenen Brief an die Philharmoniker würdigte er deren großartigen Einsatz. „Nicht nur, daß Sie ein exzeptionell schwieriges Programm virtuos bewältigten, haben Sie auch vermocht, vier ganz gegensätzliche Stile scharf profiliert darzustellen und dies auf Grund von relativ knappster Probenarbeit. Ich habe bewundert, mit welch persönlichem Interesse Sie sich schnell zu den Ihnen ganz fremden Werken in Beziehung zu bringen vermocht haben und ich war glücklich und Ihnen restlos dankbar, daß Ihr künstlerisches Verantwortungsgefühl es mir ermöglicht hat, noch am Abend unmittelbar vorm Konzert zu probieren und so in hohem Maße der Kunst dienen zu können.“ Ph ch is on m er ar ätt ilh Bl 27 Ehrenamt in Kampala Jutta Sistemich, über 10 Jahre tätig im „Spielfeld Klassik“-Team und Gründerin des Mädchenheims SUNRISE HOME OF KAMPALA in Uganda Uganda zählt zu den kinderreichsten, ärmsten Ländern Afrikas. 2 Millionen Waisen sind dort registriert, ca. die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 16 Jahre. Für viele Kinder dort bedeutet dies keine vielversprechenden Zukunftsaussichten, wenig Hoffnung auf eine gute Schulausbildung und ausreichende medizinische Versorgung. Gleich bei meinem ersten Aufenthalt in Kampala im April 2011 entstand die Idee, ein Heim für Mädchen einzurichten, die dort ein neues zu Hause bekommen und die Chance auf eine gute Ausbildung erhalten. Im September 2012 gründete ich gemeinsam mit meiner Tochter Viola und meiner Freundin Leilah Nassozi (siehe Foto), das SUNRISE HOME OF KAMPALA, das heute 20 Kinder beherbergt. Unsere Projekte sollen vielen Kindern helfen – sei es z.B. durch unsere Tanzgruppe, in der auch viele Kinder der Nachbarschaft mittanzen und einige Schulgelder von uns erhalten. Oder die geplante Nähschule, um Bewohnern der Dorfgemeinschaft eine Ausbildungsmöglichkeit zu geben. Da auch die klassische musikalische Förderung einen Schwerpunkt bildet, lag es nahe, den Kontakt zur Kampala Music School (KMS), dem Zentrum für klassische Musik und Jazz in Uganda, zu suchen und die Idee der Kooperation anzuregen. Fred Kiggundu Musoke, Leiter der KMS, war direkt begeistert und so entwickelten wir verschiedene Szenarien, von denen wir den ersten Schritt im Juli diesen Jahres realisierten. Die Musikerinnen Traudel Reich, Maria Teiwes und Shengni Guo reisten zusammen mit Simone Siwek (Leitung „Spielfeld Klassik“) nach Kampala. Workshops mit Lehrern und Schülern standen auf dem Programm, gemeinsames Musizieren und ein Konzert. Der gegenseitige Austausch stand im Vordergrund, wobei Schüler und Lehrer der Musikschule mit großer Begeisterung dabei waren. Natürlich sind die Gegebenheiten vor Ort nicht mit denen in Deutschland zu vergleichen. Kurzfristige Änderungen von Plänen sind üblich und lange Wartezeiten keine Seltenheit. Dennoch: Dank gutem Willen, Improvisationstalent und viel Enthusiasmus aller Beteiligten wurde der erste Besuch der MPhil-Delegation ein voller Erfolg. Wenn auch Sie unsere Arbeit unterstützen möchten – Ihre Hilfe erreicht unsere Kinder direkt. Alle wichtigen Informationen erhalten Sie unter www.empologoma.org. e Das letzte Wort hat... 28 Do. 18.09.2014, 20:00 1. Abo b Fr. 19.09.2014, 20:00 1. Abo c Öffentliche Generalprobe Mi. 17.09.2014, 19:00 Antonín Dvořák Konzertouvertüre „Karneval“ op. 92 Richard Strauss Konzert für Horn und Orchester Nr. 2 Es-Dur AV 132 Vorschau Do. 25.09.2014, 20:00 1. Abo d Fr. 26.09.2014, 20:00 1. Abo f So. 28.09.2014, 19:00 1. Abo g5 Franz Schubert Symphonie Nr. 5 B-Dur D 485 Anton Bruckner Symphonie Nr. 7 E-Dur Asher Fisch, Dirigent Fr. 03.10.2014, 19:00 1. Abo h5 Franz Schubert Ouvertüre zu „Rosamunde, Fürstin von Zypern“ D 797 Symphonie Nr. 7 h-Moll D 759 „Die Unvollendete“ Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 „Die Große“ Zubin Mehta, Dirigent Antonín Dvořák Symphonie Nr. 9 e-Moll op. 95 „Aus der Neuen Welt“ Semyon Bychkov, Dirigent Jörg Brückner, Horn Impressum Herausgeber Direktion der Münchner ­P hilharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4, 81667 München Lektorat: Stephan Kohler Corporate Design: Graphik: dm druckmedien gmbh, München Druck: Color Offset GmbH, Geretsrieder Str. 10, 81379 München Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt. Textnachweise Sigrid Neef, Thomas Leibnitz, Elke Heidenreich, Jutta Sistemich und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Die lexikalischen Angaben und Kurzkommentare zu den aufgeführten Werken verfasste Stephan Kohler. Künstlerbiographien: Agenturtexte (Bychkov, Rachlin). Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig. Bildnachweise Abbildungen zu Dmitrij Schostakowitsch: Jürgen Fromme (Hrsg.), Dmitri Schostakowitsch und seine Zeit – Mensch und Werk (Ausstellungskatalog), Duisburg 1984. Abbildungen zu Johannes Brahms: Christian Martin Schmidt, Johan­nes Brahms und seine Zeit, Laaber 1998; Christiane Jacobsen (Hrsg.), Johannes Brahms – Leben und Werk, Wiesbaden / Hamburg 1983; Franz Grasberger, Johannes Brahms – Variationen um sein Wesen, Wien 1952. Künstlerphotographien: Sheila Rock (Bychkov); Julia Wesely (Rachlin); Leonie von Kleist (Heidenreich); Simone Siwek (Sistemich); privat (Aselmeyer, Zimmermann, Baltacigil, Mijnders) Zubin Mehta Dirigent Franz Schubert Ouvertüre zu „Rosamunde“ C-Dur D 644 Symphonie Nr. 7 h-Moll D 759 „Unvollendete“ Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 „Große“ Freitag, 03.10.2014, 19 Uhr Philharmonie im Gasteig Karten € 85,50 / 71,50 / 62,70 / 51,50 / 45,10 / 26,20 / 17,40 Informationen und Karten über München Ticket KlassikLine 089 / 54 81 81 400 und unter mphil.de '14 '15 mphil.de 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant