-.... N HAU PTSTADTDRAMATU RGI E? OFFENSIVE DRAMATURGIE DRAMATURGIE IM FERNSEHUND KINOFILM - GIBT ES DIE NOCH? UND WIE? ·Foto Akad~mie 30.11.- 3.12.00 JAHRESTAGUNG DER DRAMATURGISCHEN GESELLSCHAFT IN DER BERLINER AKADEMIE DER KÜNSTE DRAMATURGIE IM SPANNUNGSFELD ZWISCHEN AUTOR, VERLAG ·UND THEATER VIER WORKSHOPS MIT AUTOREN WIE GEWINNT DAS THEATER DAUERHAFT NEUE AUTOREN? EDITORIAL ZUR BERLINER TAGUNG als Dramaturg über ein Jahrzehnt hin eines der ehrgeizigsten und schwierigsten FernsehfilmUnternehmungen begleitet: die schließlich vierteilige Filmnacherzählung von Uwe Johnsons Endlich wieder in Berlin. Im Brennpunkt? "Jahrestagen", Regie Margarete von Trotta. Gesendet Was denn Hauptstadtdramaturgie sei werden die vierTeile am 15., 16., 22. und 23. (oder nicht) wird zweimal, einmal mit Dramaturgen November, jeweils 21 Uhr im Ersten.Programm. aus Schauspieltheatern, einmal mit Repräsentanten der drei Opernhäuser, erörtert, nächtens am 30.10. Andreas Dresen ist Autor und Regisseur des erfolg- und am 1.11. Dabei soll es diesmal nicht um Geld, des Fernsehfilms .,Die Polizistin" (Sendung am 25. Sparzwänge, Finanzierungspläne gehen, sondern Oktober bei der ARD). Gunther Witte leitete lange reic~en Kinofilms "Nachtgestalten" und neuerdings ums Inhaltliche, um das, was die großen Opern- eine der erfolgreichsten Fernsehfilmabteilungen häuser künstle'risch, im Spielplan und der Spielweise innerhalb der ARD, nämlich die des WDR, in der wollen (und für welches Publikum) - wie sie sich noch immer Joachim von Mengershausen als ~arf voneinander im "Profil" unterscheiden, gegeneinan- Dramaturg arbeitet. Bei der Diskussion der absetzen. Autor nicht fehlen: Wolfgang Kohlhaase, in der DDR auch der Offensive Dramaturgie heißt das Thema am Freitag Vormjttag. Viele Theater greifen über den u. a. Autor der beiden Filme )eh war achtzehn" und .,Solo Sunny" (beide mit dem Regisseur Konrad Wolf) bisherigen Kanon -die Inszenierung· dramatischer und zule~zt in diesem Jahr von .. Die Sti"lle nach dem Texte- hinaus. Romane, Filme, erzählende und Schuss", Regie: Volker Schlöndorff. Reportage-Prosa wird für die Bühne adaptiert. Neue Spielräume werden aufgesucht. Andere Medien- . Projektion, Film, Video, DJs etc. - werden eingesetzt. . Der Vorschlag, über das Spannungsfeld zu handeln, in welchem sich Dramaturgen bew~gen {müssen) bei der Zusammenarbeit mit Autoren und Das alles ist nicht neu, tritt aber häufiger auf. Es deren Verlagen einerseits und andererseits dem kann dabei nicht um Formalien gehen. Warum und Theaterproduktionsprozess, insbesondere -mit dessen wie wird das Theater, seine Dramaturgie offener, Protagonisten, den Regisseuren -dieser Vorschlag offensiver? wurde auf der Dresdner Tagung vorgebracht und Über Dramaturgie im Film (Fernseh- akklamiert. Das Thema wird jetzt einmal auf seine und Kinofilm) ist allzu lange in unserer Gesellschaft juristischen Aspekte hin - im Streitgespräch - nicht gehandelt worden. Jetzt steht's im Programm, untersucht und zum zweiten - notwendige am Freitag· Nachmittag. Knut Hickethier, in den Ergänzung - auf seine ästhetischen Aspekte hin achtziger Jahren Geschäftsfü.hrer der Dramatur- debattiert- am Samstag, 2.12. vormittags. gischen Gesellschaft, hat sich intensiv um die Vorbereitung gekülT]mert und einen ausgiebigen . Materialien- und Problemkatalog für dieses Heft Das weitere Wochenende gehört den Workshops mit Stücken der Autoren Mare Becker, Klaus Chatten, Andreas Sauter/Bernhard Studlar und geschrieben. Zu Beiträgen zum Thema haben wir Soeren Voima,·dann der gemeinsamen Auswertung eingeladen: zwei jüngere Producerinnen aus priva- der Workshops und - ganz am Schluss der Tagung, ten Produktionsfirmen (welche immer mehr Fern- Sonntag am frühen Nachmittag - einem Gespräch sehfilme im Auftrag der öffentlich-rechtlichen mit dem Thema: .. Wie gewinnt das Theater dauer- Anstalten, aber auch der privaten herstellen); haft neue Autoren?- wobei im Worte "dauerhaft" Annette Kaufmann von Aspekt Telefilm will handeln enthalten sein soll die Frage nach der Qualität. ja, über den Umgang auch mit trivialen Stoffen und der Repertoirefäh.igkeit neuer Stücke. Genres; Julia Gerdes vonteamworksarbeitet als Die Tagung findet statt- wie die letzte Dramaturg in mit dem Regisseur N!co Hofmann an. in Berlin 1996- in den Clubräumen einem dreistufigen Unternehmen: Es liegt schon vor der Berliner Akademie der Künste~ Hanseatenweg 2 ein Dokumentarfilm (1999} über den spektakulären (S-Bahn Bellevue, U-Bahn Hansa platz). Sie ist- bis .,Tunnel", den Ostberliner 1962 unter der Mauer auf die Mitgliederversammlung -öffentlich . durchgruben; demnächst gibt es einen zweiteiligen Fernsehspielfilm darüber- und anschließend wird Wir hoffen auf lebhafte, kontroverse und erhellende Debatten. Bis bald in Berlin! daraus ein Anderthalbstunden-Kinospielfilm kondensiert. Wie verändert sich in den drei Präsen- Für Vorstand und Geschäftsführung tationen des gleichen Themas die Dramaturgie? Manfred Beilharz, Henning Rischbieter heißt das Thema für Julia Gerdes. Martin Wiebel hat Öffentliche Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft in de.r Akademie der Künste Berlin vom 30.11.- 03.12.2000 PROGRAMM Do. 30.11. 22.30 Uhr Regisseuren gestärktwerden? Streitgespräch zwischen Dr. Ralf Bolwin (Deutscher Bühnen. vereinl. Dr. Jan Ehrhardt (Verband deutscher Bühnenverleger Berlin) und Dr. Peter Raue (Rechtsanwalt Berlin) Einleitung und Moderation: Manfred Beilharz Sa. 2.12. 12.30-14 Uhr Hauptstadtdramaturgie? (1: Schauspiel) Soll die Inszenierung dem dramatischen Werk Debatte mit Hermann Beil (BE), Carl G. Hege- treulich dienen oder ist der Text ein Material mann (Volksbühne), Jens Hillje (Schaubühne), unter anderen für das theatralische Kunst- Oliver Reese (Maxim Gorki Theater/ab 2001 DT), werk? Der Regisseur Adolf Dresen über seine An nette Reber (DT/ab 2001 Maxim Gorki .. Werktreue" und im Gespräch mit Ralph Theater) Hammerthaler (Süddeutsche Zeitung) und · Einleitung und Moderation: Henning Hischbieter Michael Merschmeier (Theater heute) Sa. 2.12. Fr. 1.12. 10-13 Uhr 14.30-17 Uhr Vorstellung der Stücke der vier Workshops: Offensive Dramaturgie im Theater und über Mare Becker .,U.S.-AmoK", dessen traditionelle Grenzen (Medien, Formen, Klaus Chatten .,Deutschland ruft", Räume) hinaus. Warum und Wie? Mit Beiträgen Andreas Sauter und Bernhard Studlar ·von: Ann-Marie Arioli (Dramaturg in, Luzerner ,.A. ist eine Andere", Theater), Tom Blockdjk (Dramaturg, Theater Soeren Voima .,Das Kontingent" Groep Hollandia), Dagmar Sarimann (Chefdra- - Beginn der Workshops maturgin, Schauspiel Leipzig). Werner Feig (Intendant, Junges Theater Göttingen), Regina Sa. 2.12. 17-18.30 Uhr Guhl (Chefdramaturgin, Schauspiel Hannover), Mitgliederversammlung der Dramaturgischen Mathias Günther (Dramaturg, Theater Basel) Gesellschaft mit Vorstandswahlen Moderation: Anne Schäfer und Horst Busch (nicht öffentlich) Fr. 1.12. Sa. 2.12. 15-18 Uhr Wie funktioniert Dramaturgie im Fernseh- und ab 22.30 Uhr Empfang der Theaterverlage Kinofilm? Gibt es sie heute noch? Und wie? Debatte mit Beiträgen von Andreas Dresen So. 3.12. (Regisseur), Julia Gerdes (teamworks), Armelle Vier Workshops mit den Autoren 10-12 Uhr Kaufmann (Producerin, Aspekt Telefilm). Wolfgang Kohlhaase (Autor). Joachim von So. 3.12. Mengershausen (WDR). Martin Wiebel Gemeinsames Abschlussgespräch der Workshops ·(Dramaturg, zuletzt .,Jahrestage"), Gunther Witte mit den Autoren, Moderation: Jens Groß 13-14 Uhr (früher Fernsehfilmchef WDR) . Moderation: Knut Hickethier und Henning Rischbieter So.3.12. 14-16Uhr Wie gewinnt das Theater dauerhaft neue Autoren? Fr.1.12: 22.30 Uhr Gespräch zwischen Sirnone Schneider (Autorin), Hauptstadtdramaturgie? (II: Oper) Jürgen Hofmann (Studiengang Szenisches mit Repräsentanten der Berliner Opernhäuser Schreiben an der HdK Berlin). Bernd Schmidt Einleitung und Moderation: (IÖepenheuer Verlag), Bernd Feuchtner (Opernwelt) Oliver Bukowski (Autor) Sa. 2.12. 10-12 Uhr Peter Spuhler Moderation: Heike Müller-Merlen und . Dramaturgie im Spannungsfeld zwischen Autor, Verlag und Regisseur: die juristischen Aspekte. · Müssen die Rechte von Autoren oder die von .' DRAMATURG 2/2000 1 Seite 1 OFFENSIVE DRAMATURGIE? von Dagmar Borrmann Dr. Dagmar Borrmann, die Chefdramaturg in des Schauspiels Leipzig, nimmt an der Debatte mit dem -zugegeben vollmundige~ -Titel "Off~nsive Dramaturgie" am Freitag, 1. Dezem- . ber vorm.ittags, teil und stellt hier erstmal deren Überschrift infrage. Offensiv zu sein, ist keine besondere Leistung der Dramaturgie I des Theaters, sondern eine Notwendigkeit. Ein Zwang. Seit das Theater für sich reklamiert, gesellschaftliche Veränderungen kritisch zu reflektieren und also teilzunehmen an gesellschaftlicher Praxis, ist es in ständiger Not, entsprechende Stücke zu finden. Und seither ist es eine große Materiai-Verwurstungsmaschine. Je schneller Realität sich verändert, desto gieriger schlingt sie. Wir befinden uns gerade wieder in so einer Turbo-Zeit, aber es ist bei weitem nicht die erste. Die bekannte Alternative heißt: sich dieser Beschleunigung verweigern, auf die Langsamkeit und Gravität des Theaters setzen, den Autoren die Zeit geben, die sie brauchen, und «Aktualität» jenen Medien überlassen, die dafür erfunden wurden. Das klingt verführerisch, aber da gucken eben auch schon Beschaulichkeit und Harmlosigkeit um die Ecke- der Tod des Theaters. Also bleiben wir lieber dabei, d.ie Brocken, die uns die Wirklichkeit mit wachsender Geschwindigkeit vor die Portale schmeißt, auf die Bühnen zu holen. Buchstäblich mit allen Mitteln. Und .immer häufiger haben Stücke, wenn sie auf den Tischen der Dramaturgen landen, ihr Verfallsdatum schon erreicht. Also nehmen wir, die offensiven Dramaturgen, was wir kriegen können: Filmszenarien, Romane, Interviews, Essays, Politikerreden, Tagebücher, die Zeitung. Es gibt nichts, was vor dem Theater sicher wäre. Nicht mal das Telefonbuch. Warum auch. Was, einem Literaturkritiker in den Mund gelegt, nur ein öder Werbe-Scherz ist, könnte doch unter den Händen eines Marthaler oder eines Häusermann wunderbare theatralische Realität werden: ein Abend voller spannender tisch, berührend. Warum also nicht das Telefon. buch? Längst hantiert das Theater mit einem Text-Begriff, der viel mehr meint als dramatische Literatur. Und längst gehört es zur Praxis jedes kreuzbraven Stadttheaters, Projekte zu entwickeln, Filme und Romane zu adaptieren usw. Man kann schon nicht einmal mehr von Experi" ment oder Grenzgängerei reden; weil es sie . schon lange nicht mehr gibt, die erkennbare .Grenze zwischen .. herkömmlicher" und .,offensive(' Dramaturgie. Und das Theater hat von diesen Fremdgehereien· profitiert: Es hat seine Ausdrucksmittel erweitert - um manchen Blödsinn, aber eben auch um viele nützliche Dinge, die es geschickter, geschmeidiger, artistischer machen. Wenn Piscalor nicht hätte grübeln müssen, wie er den epischen Schwejk durch die Weit kommen lässt, ohne sich von der Stelle zu bewegen - wer weiß, ob es das Laufband im Theater gäbe. Aber, könnte man dagegen halten, hat nicht gerade in den letzten Jahren eine Wiederentdeckung des Autors- und damit äie Renaissance der Dramatik im Theater- stattgefunden? Sind nicht die vielen Ehen zwischen ·Theatern und Autoren ein gutes Zeichen für deren Gebrauchtwerden? Ich bin mir durchaus nicht sicher, ob da wirklich immer der Autor als künstlerisches Subjekt gemeint ist, dessen Blick, dessen «Handschrift,;, dessen geistige und emotionale Fa~on unverzichtbar für das Theater sind. Oder ob er nicht auch nur ein Lieferant (unter anderen) für und melancholischer Menschengeschichten, ein Abend.über.Einsamkeit und Sehnsucht, vo.n zar-. die Verw.urstungsmaschine ist. Und man lediglich die Transfer-Wege zwischen Autor und Bühne verkürzt, wenn man ihn ans Theater bindet. Bös gesagt: als effizientere Text-Legebatterie. Seid auf der Hut, Autoren. Haltet Sicherheitsabstand. ter verzweifelter Komik. Realitätsnah, authenc Im beiderseitigen Interesse. DRAMATURG 2/2000 I Seite 2 Das Problem, um darauf zurückzu- . kommen, scheint mir nicht zu sein, zwischen offensiver und "herkömmlicher" ·Dramaturgie wählen zu können, sondern zur offensiven Dramaturgie verdammt zu sein. Wenn Theater im öffentlichen Diskurs noch eine Rolle spielen soll und sich nicht der trügerischen Hoffnung hingibt, der Satz "Theater muss sein" sei mehrheitsfähig, dann muss es seine Fähigkeit, menschliche Beziehungen zu zeigen und Sinn zu produzieren, mit Klauen und Zähnen verteidigen. Ob das auf der Basis von dramatischer Literatur, von ·Gebrauchsanweisungen für Küchengeräte oder wortlos passiert, ist absolut sekundär. Auf-zu den Rändern! Kunst, Literatur, Theater beschreiben und versenden radikale Lebensentwürfe zwischen Schmerz und Verzweiflung einerseits, Se:hnsucht und Glücksverheißung andererseits. Beides kann unverSchämter, forde~nder, widersprüchlicher, verschwenderischer, verantwort.ungsloser fOrmuliert werden ~ls im Pragmatismus' des täglichen Überlebenskampfes, in dem man sich vor vielen Gedanken und Gefühlen schützt, um alltags- tauglich zu bleiben. Kunst in ihren vielfältigen Spielarten Und Genres kann l;lis ans Ende gehen - in welche ~ichtung auch immer. Das Theater war von jeher den Extremen verbunden: der großen Stille und dem lauten Schrei, dem befreienden Lachen und den Tränen des Mitl~ids, dem wilden Denken ·und der voyeuristischen Lust, der Abstraktion und dem Ritual, der Seelenerforschung und der mikrokosmischen Beobachtung, der politischen Polemik und der Flucht in fremde Weiten, · der sozialen Intervention und der Poetik des Traumes. Ohne Dogma und immer auf der Suche. Das einzige, was Theater nie darf, ist zwischen alldiesem die ver. nünftige Mifte zu behaupten. Im Alltag und Geschäft bedarf es oft. der !!Vermittlung)), und in· der Politik. führte in den letzten Jahren das Buhlen um die Mitte zu einer gewissen Überfüllung dieses Platzes; in der Kunst ist die Mitte schlichtweg der dümmste und langweiligste Ort. Auf zu den Rändern! Der neue Wilfried hannovers~he Sch~lz Schauspielintendant zur Spielzeiteröffnung FERNSEH Fl LM? TV- MOVIE? REALITY-SOAP? Gibt es noch eine Dramaturqie des deutschen Fernsehfilms! von Knut Hickethier Knut Hickethier, geb. 1945, Prof. für Medienwissenschaft an der Universität . Hamburg: 1975-1989 Wiss.. Mitarbeiter, Universi tätsassis te nt und Privatdozent am ·Institut für Theater- wissenschaft der· FU Bedin. 1979 Promotion über das Fernseh- spiel, 1982 Habilitation. Seit Ül82 Radio-, Fernseh- und Filmkritiken vor allem in epd medien, epd Film und verschiedenen TageszeitUngen. . 1984-1989 Geschäftsführer der Dramatur- gischen Gesellschaft. Veröffentlichungen über Medientheorie, Film, Fernsehen und Radio, Zuletzt: Filmund Fernsehanalyse, Stuttgart/Weimar 1993; Geschichte der Fern- sehkritik, Berlin 1994; Der Film in der Ge- schichte, Berlin 1997; Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart/Weimar 1998; Medienku lturwissen- schaft, Harnburg 2000. ln Vorbereitung: Medium Film (vorauss. 2001). 1. ARD-Papier ,,Optimierung der Produktionen" Im Sommer dieses Jahres sorgte ein ARD-internes Acht-Punkte-Papier "Optimierung der Produktionen" für öffentliches Aufsehen, weil anhand seiner Vorgaben die Redaktionen ihre Filme auf ihre Quotenträchtigkeit einschätzenmüssen, um für einen zuschauerattraktiven Sendetermin im Ersten Programm eine Empfehlung der sogenannten Kleinen Kommission zu erhalten. Diese Kommission besteht aus den Fernsehspielchefinnen des SWR (Susan Schulte), BR (Gabriele Sperl), HR (Liane Jessen) und des NDR (Doris Heinze). (Spiegel 34/2000, S. 105 f.) Die Geschichten und Stoffe sollten "attraktiv, unterhaltsam und/oder interessant/ relevant (möglichst Generationen übergreifend)" sein. Die Erzählweise solle durchgängig verständlich und "unkompliziert, einfach, klar, auf keinen Fall verwirrend" sein, dabei "an den Menschen" und "nicht nur an den Themen orientiert': Zumindest eine Figur müsse "Träger von Sympathie und/oder Mitleid der Zuschauer" sein. Es sollten Hauptdarsteller "mit möglichst hohem Bekanntheitsgrad" gewählt werden. Das Milieu muss nach diesen Erfolgsvorgaben "attraktiv, zumindest interessant, nicht abstoßend" sein. Gefordert wird auch die "Vermeidung von Negativ-Kriterien': Dazu zählt das Papier exemplarisch "exzessive Gewaltdarstellungen, Lehrhaftigkeit, vermeintlicher und verquaster Tiefsinn, Unverständlichkeit, übertriebene formale Spielereien, Untertitelungen, komplizierte, unverständliche und unattraktive Anfänge". Die Titel sollen "einladend, anziehend, mit attraktivem und interessantem Assoziationsfeld" gestaltet werden (epd medien Nr. 43-44, 3.6.2000). Ziel dieses bürokratischen Weges von Selbsteinschätzung und Beurteilung von Fernsehkunstsoll die Optimierung des fiktionalen Fernsehfilms sein, damit dieser auf seinen Sendeplätzen - vor allem am Mittwochabend zur besten Sendezeit-. wenigstens den Marktanteil . erreicht, den die ARD mit dem Ersten Programm derzeit hält, also über 14 Prozent. DRAMATURG 2{2000 I Seite 4 Reaktion der Öffentlichkeit auf das Papier; "Komprimierte Klischees" (Uwe Kammann von epd medien), "Süßstoff-Offensive" (RiehiHeyse in der Süddeutschen Zeitung), "Freie Fahrt. für Pilcher" (FAZ), "Klippschule total" (Der Spie, gel), "künstlerische Bankrotterklärung" (Regisseur Jo Baier). Also; Die Trivialisierung des Fernsehfilms und die Bevormundung der Regisseure und Autoren wurden befürchtet und kritisiert. Die ARD wiegelte ab; Jürgen Kellermeier, NDRProgrammdirektor und Fernsehfilm-Koordinator erklärte: "Das Wort Quote ist ein anderer Begriff für Zuschauer." Und: "Die Verachtung der Quote, die ja in manchen Beiträgen der Diskussion an Abscheu grenzt, halte ich für einen Ausdruck elitärer Arroganz." Und; "Es wird nach wie vor bei der inhaltlichen und formalen Vielfalt der· ARD-Angebote bleiben." [Interview in epd medien Nr. 67, 23.8.00) Richtig ist, dass es auch weiterhin ·anspruchsvolle Fernsehfilme im öffentlich-rechtlichen und auch im privatrechtliehen Fernsehen gibt und geben wird. Edgar Reitz' Fernsehfilm "Heimat 1.11". Heinrich Breloers Film"Die Manns", zeitkritische Filme der ARD wie "Stunde des Wolfs", "Schande", die Verfilmung von Uwe Johnsons "Jahrestage", ;,Axel Springer", "Willy Brandt" usf. stehen als gern zitierte Beispiele dafür. Und es gibt die nachdrücklich auf Qualität setzende Fernsehfilmproduktion des ZDF unter Hans Janke, die jedoch wenig öffentlich diskutiert wird, weil sie eher zurückhaltend und wenig vön eigenen öffentlichen Statements begleitet stattfindet. Gleichwohl verweist die Diskussion um das ARD-Papier aufTendenzen der Fernsehfilmentwicklung, die aufTrivialisierung u·nd Standardisierung abzielen, auf eine Akkumulation von Effekten und inszenatorischen Reizen sowie auf völlig neue dramaturgische Konzepte. Das öffentliche Erstaunen über dieses interne Papier der Programmplanung fällt vor allem deshalb so auf, weil es seit Jahren keine öffentliche Debatte über den Fernsehfilm, seine Dramaturgie, seine Erzählweisen, sein Weltbild, seine Zielsetzungen gegeben hat, die über die Tageskritik einzelner Sendungen hinaus gelangt ist. Eine grundsätzliche Erörterung der Ästhetik des Fernsehfilm findet seit langem nicht mehr statt. Dabei hat sich in den letzten zehn Jahren der Fernsehfilm in seiner Gestaltung grundlegend verändert,. verändert haben sich seine Produktionsweisen, verändert hat sich das Fernsehen insgesamt in seinen Prinzipien. 2. Der Verlust des Kunstanspruchs Lange Zeit, im Grunde seit Beginn des Fernsehens, gehörte es für das Fernsehen zum medialen Selbstverständnis, in seinem Programm weltumfassend zu repräsentieren, und dazu gehörte auch die Vermittlung und Herstellung von Kunst. Der Fernsehfilm (als Fernsehspiel) beanspruchte Eigenständigkeit, und dies bedeutete Eigensinn, Widerspruch gegen das restliche Prog~amm ... Das Fernsehspiel ist nicht Fernsehen", meinte z.B. der damalige WDR-Fernsehspielchef Günter Rohrbach, und damit meinte er, der Fernsehfilm habe sich den schnellen Konventionen des Fernsehprogramms insgesamt zu verweigern, sollte bewusst das P.ublikum irritieren, ihm etwas Unerwartetes vorsetzen. Denn nur damit könne der Fernsehfilm seinen künstlerisch.enAnspruch behaupten. Denn .Kunst ist Vor wurden, um damit auf das wachsende Unterhaltungsbedürfniseines breiten Publikums zu reagieren. Neben dem Fernsehfilm als Einzelfilm etablierte sich die Serie als immer stärker genutzte Form sowie die Film-Fernseh-Koprodukc tion, die durch das Film-Fernseh-Abkommen zwischen den Anstalten und der Filmwirtschaft entstand: Filme, die zuerst im Kino laufen und· anderthalb Jahre später im Fernsehen. Sie werden ha~ptsächlich durch Fernsehgelder finanziert, vom Publikum aber als Kinospielfilme wahrgenommen, weil sie im Kino ihre marktbestimmende Aufmerksamkeit erfahren. Im Fernsehen erscheinen sie dann als Zweitabspiel eines Kinofilms und nicht als eigenständiger Fernsehfilm. Wegen der größeren Publizität zog es deshalb zwangsläufig fast alle wichtigen Regisseure - wenn sie nicht ohnehin wie Wenders, Schlöndorff, Dörrie und andere vom Kino kamen - nun zur Koproduktion. Künstlerisch anspruchsvolle . Fernsehfilme, die nur im Fernsehen zu seheri waren, wurden immer weniger produziert. Gleichzeitig verlor der Diskurs über den Fernsehfilm an Bedeutung, die Erörterung des Fernsehfilms ging weitgehend )n der allgemeinen Kinofilmdiskussion auf (vgl. Hickethier 1994). 3. Ausdifferenzierung des Fernsehfilms: statt Gattungen und Genres jetzt .. Formate" .liehen Anstalten bis Ende der achtziger Jahre die Eigenständigkeil des fiktionalen Fernsehfilms zu erhalten, Autoren zu interessieren und zu binden und Regisseuren Raum für die Entwicklung einer eigenen Handschrift zu geben. Fernsehspielredaktionen wie .. D~s kleine Fernsehspiel" des ZDF ermöglichten vielen jungen Regisseuren, ihren ersten Film zu produzieren. Ungeachtet oft niedriger Einschaltquoten (die immer noch ein größeres Publikum als im Kino bedeuten) wurde damit für viele Filmemacher das Fernsehen zum Serialisierung des Fernsehfilms auf dereinen und die Verbindung mit dem Kinospielfilm auf der anderen Seite haben ein Geflecht unterschiedlicher dramaturgischer Formen der fiktionalen Unterhaltung im Fernsehen entstehen lassen. Es gibt heute nicht mehr .,den Fernsehfilm", sondern statt dessen eine Palette unterschiedlicher fiktionaler Formen: den Kinospielfilm, der mit Fernsehgeld'finanziert wird, die Film-Fernseh-Koproduktion, den Fernsehfilm (der nur im Fernsehen und nicht im Kino zu sehen ist), die Staffelserie (meist B Folgen, einmal in der Woche gesendet, Fortsetzungen sind möglich). die Daily Soap (die auf Unendlichkeit Ort künstlerischer Gestaltung. Unterminiert wurde dieses Selbstverständnis des künstler.ischen Fernsehfilms von den Fernsehspielredaktionen der öffentlich- angelegte täglich gesendete Serie wie .. Gute Zeiten, schlechte Zeiten"), die Doku-Serie (wie z. B. .,Die Fußbroichs") und die neue Form der Reality Soap (z. B. .,Big Brother"). Alle haben ihre eige- rechtlichen Anstalten selbst, als mit dem quantitativen Ausbau der Programme auch die Formen der fiktionalen Fernsehunterhaltungvielfältiger nen dramaturgischen Konzepte. Diese Formen werden nicht mehr .. Genres" genannt (weil damit eine inhaltlich 'allem Widerspruch. ..· Mit dieser Pö.51tion gelang es den Fernseh'spklredaktionen der öffentlich-recht- DRAMATURG 2/2000! Seite 5 RENATE AHRENS-KRAMER WOODY ALLEN BRIGITTE ATHEA MARTIN BAUCKS FOLKER BOHNET DANIEL CALL JIM CARTWRIGHT ALEXANDER DJETKOW XENIJA DRAGUNSKAJA XAVIER DURRINGER CURTH FLATOW ANTON GLOBOSCHÜTZ STEPHEN GREENHORN JELENA GREMINA BEATE HEINE PEGGY HOHMANN ISRAEL HOROVITZ THOMAS JONIGK PETER KOPER STEFFEN KOPETZKY GUIDO KOSTER JEAN-LUC LAGARCE Hardenbergstraße 6 VOLKER LÜDECKE HERBEAT MEIER UWE MENGEL CONOR MCPHERSON MARGARETH OBEXER RALPH OEHME WILFRIED OSCHISCHNIG HORST PILLAU DOROTHEA RENCKHOFF EUGEN RUGE THEODOR SCHÜBEL ALEXANDER SEPLJARSKIJ NICKY SILVER LIONEL SPYCHER EDWARD THOMAS MICHAlL UGAROW STEFAN VÖGEL ENDA WALSH ALEXIJ WARLAMOW ANDREIJ WISCHNJEWSKIJ . FELICIA ZELLER (wird fortgesetzt) !':~.1;\~ Jfi!:?.S!l .§~!!!'!'!' 10623 Bcrhn Fon (030) 313 90 28 Fax (03.0) 312 93 34 www.felix-bloch-erben.de theater-verlag desch gmbh Klugstraße 47a, 80638 München Telefon (089) 15 30 11/12, Telefax (089) 157 81 04 . Fernando Arrabal * Peter Bichsel * Mattbias Bock * Oliver Bukowski * Klaus Chatten * David Edgar * Dominik Finkeide * Thomas Fritz * Gabriel Garcia Marquez * Sven Gesse * Melanie Gieschen * Lotbar Gitzel * Günter Grass * Christian Haller * Kai Hensel * Judith Herzberg * Silvio Huonder * Markus Köbeli * Felicien Marceau * Margaret Mazzantini * Willfgang Mennel * David Scott Milton * Jean-Michel Räber * Tadeusz Rozewicz * Kristo Sagor * Lutz Schäfer* Murray Schisgal *·SiDJ.one Schneider·* Slobodali. Snajder * Christili.e Sohn* David Spencer * George Tabori * Erik Uddenberg * Markus Weber* Lida Winiewicz * Christa Wolf* Mattbias Zschokke [email protected] bestimmte Gruppe von Produktionen gemeint ist konsequent sie erzählt wird, wie überzeugend wie z. B. der Krimi, den es in allen diesen Formen die Schauspieler sind, sondern darum, welche geben kann), sondern statt dessen ist die Rede Versatzstücke gebraucht werden, um eine von "Formaten". Dieser Begriff stammt aus dem bestimmte Zielgruppe anzusprechen, und wie sie Lizenzeinkauf von Sendekonzepten (z. B. "Glücks- zu kombinieren sind. Die Folge ist eine synthe- rad"), bei dem die Rechtebesitzer Wert darauf tische, nur auf die Einschaltquoten, also nach legen, dass diese Sendung auch in ihrer lnsze- ökonomischen Gesichtspunkten, ausgerichtete nierungspraxis und ihren Themen und Inhalten Dramaturgie. nach dem geriau vorgegebenen Muster durchgeführt wird. Damit soll eine internationale Wie- 4. TV-Movie statt Fernsehfilm dererkennbarkeit erzielt und der Erfolg garantiert werden, weil ein Misserfolg den internatioc Bis Anfang der neunziger Jahre hatte nalen Verkaufswert dieser Lizenzsendung verrin- sich der öffentlich-rechtliche Fernsehfilm noch gert. "Glücksrad" ist also ein "Format': Im fiktio- dem Glauben hingeben können, er bleibe als nalen Bereich ist der Begriff etwas unscharf und Fernsehkunst eine originäre Leistung dem wird vor allem bei Reihen und Serien ange- öffentlich-rechtlichen System vorbehalten, weil wandt. Der Begriff greift aber weiter um sich sich i:lie privatrechtliChen Sender aus Kommerz- und wird inzwischen ziemlich allgemein syno- gründen Fernsehfilme und Serien doch nur auf nym für "Sendeformen" verwendet. dem amerikanischen Markt besorgten und nie ln einer Marktübersicht unterscheidet z. B. die Ufa Film und Fernsehen GmbH zwischen selbstteure Eigenproduktionen herstellen würden. Ab 1992/93 wurden si_e durch RTL und bald folgenden "Formaten" im fiktionalen Bereich: darauf auch von SAT.1 und Pro7 eines Besseren anthologies (z. B. "Tatort", "Polizei ruf 110"), belehrt. ln diesen Jahren hatte der erfolgreichste cinema movies (Kinospielfilme im Fernsehen), privatrechtliche Sender RTL gerade mit Sexsen- TV movies (Fernsehfilme neuerer Art, unterschie- dungen wie "Tutti Frutti", Konfrontationsshows den nach: comedy, crime, drama, literature/novel, wie "Einspruch" und Sensationsprodukten wie melodrama, thriller), mini series (mehrteilige den Reality-TV-Reihen (..Notruf", "Lebensretter") Fernsehfilme), series (in der Folgenzahl begrenz- die Marktführerschaft vor den öffentlich-recht- te Serien, die noch unterschieden werden in Iichen Sendern erreicht und begann nun (um Genres: animation, crime, doctor, family, science den Marktanteil dauerhaft zu halten und weil er fiction), sitcoms/comedy (z. B. "Roseanne"), soaps dank sprudelnder Werbeeinnahmen Eigenpro- (.. Lindenstraße") und daily soaps (z. B. "Verbote- duktionen finanzieren konnte) mit der Produk- ne Liebe"). Neu ist die reality soap (z. B. "Big tion von eigenen deutschsprachigen Serien und Brother", aber auch "lnselduell" usf.). eigenen ~ernsehfilmen. Diese "Formate" werden nach Reich- Neben der Einführung neuer Serien- weite (Haushalte, Zuschauer in Altersgruppen, formate (den täglich ausgestrahlten Serien, den Marktanteil). nach Zielgruppenstrukturen (Män- "Daily Soaps") etablierten die kommerziellen ner/Frauen, Alter, Bildung, Einkommen, Beruf Sender 1993 auch eigenproduzierte Fernseh- etc.) aufgeschlüsselt und beschrieben, so dass filme, die sie - um sich von den öffentlich- für einzelne Reihen, Serien oder Einzelfilme ver- rechtlichen Fernsehspielen abzugrenzen- wertbare Profile entstehen .. "TV-Movies" nannten. Sie übernahmen damit Dramaturgie bedeutet hier also: Wie nicht nur den amerikanischen Begriff, sondern können Fernsehfilme in ihren unterschiedlichen auch die spezifischen Bestandteile der amerika- Formen Profile erhalten, so dass sie sich gegen- nischen Form des Fernsehfilms. einander absetzen und für spezifische Zielgruppen attraktiv sfnd, weil.sich dadurch wiederum Im -Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Fernsehfilm stellen sich die privatrecht- Werbung, die im Umfeld dieses "Formats" an- liehen TV-Movies als kleine Ausgabe eines Kino- gesiedelt wird, spezifisch auf diese Zielgruppen films dar, d. h. sie sind schneller geschnitten als ausrichten lässt. ein deutscher Fernsehfilm, effektvoller in der Es geht nicht mehr in erster Linie darum, wie originell eine Geschichte ist, wie DRAMATURG 2/20ÜO I Seite 7 Lichtsetzung und in der Soundgebung, vom Genre her zumeist melodramatisch angelegt und mit zusätzlichen Elementen des Kriminalfilms oder des Thrillers ausgestattet. .,Die visuellen Effekte der N-Movies recyceln das alte Erfolgsrezept des Kinos- nämlich die Wechselwirkung zwischen Effekt und Schaulust." Bleicher 1999, S. 9). Häufig wurde in der Anfangszeit - darin ähnlich der alten Tradition des Dokumentarspiels - ein realer Sensationsfall aufgegriffen, der noch nicht lange zurücklag (Kindesentführung, Amoklauf, Vergewaltigung einer Minderjährigen etc.). Weiterhin wurde wenigstens ein bekannter Schauspieler eingesetzt, um auf diese Weise eine zusätzliche Zuschauerbindung zu erzielen. Entscheidend war ein neug"1erig machender Titel (..Du hast mir meine Familie geraubt", .,Blutige Scheidung" oder .,Eine Mutter kämpft um ihren Sohn"). Denn die Maxime galt und gilt: in den ersten drei Minuten, so ein Essential der Macher, muss das Publikum .,gefesselt" sein und begierig den Ausgang der Geschichte erfahren wollen. Die daraus folgende Ausrichtung auf Trivialsteries lässt sich an den Titeln der NMovies erkennen. Das neue .,Format" betrieb deutlich eine .,Boulevardisierung" des Fernsehfilms. Zusätzlich wurden Reihentitel erfunden wie . .,Der großeTV-Roman" oder .,Der große SAT.1Film", die Erwartungen wecken sollten. Fernsehfilme werden gezielt auf ein Publikum und dessen potenzielle Bedürfnisse hin produziert. Alicia Remirez, Leiterin der Abteilung EigenproduktionlN-Movie bei SAT.1: .,Auf der Suche nach den frauenaffinen Geschichten hilft es, sich ein Bild unserer Zuschauerin zu machen: Unsere imaginäre Zuschauerin ist 25 - 45, arbeitet acht. Stunden, z. B. an der Kasse eines Supermarktes, hat zwei Kinder, die sie nach ihrem Vollzeitjob versorgen muss, und ist abends zu müde, um ins Kino zu gehen oder ein Buch zu lesen. Sie sitzt vor dem Fernseher, um sich entspannen zu können - sie will eine Geschichte erleben, die sie emotional und intellektuell erfüllt, ohne sie allzu sehr anzustrengen, denn der Alltag ist anstrengend genug. Unsere Zuschauerin wird sich nicht unbedingt für einen Film entscheiden, der das Alkoholproblem eines 60cjährigen Arbeitslosen· thematisiert. Die Geschichte einer jungen Kommissarin, die ein erotisches Verhältnis zu dem Hauptverdächtigen eingeht und dadurch selbst in Gefahr gerät, dürfte sie hingegen interessieren." (Aiicia Remirez 2000, S. 176) DRAMATURG 2/2000 I Seite 8 N-Movies sind synthetisch hergestellte Fernsehfilme, die eine Reizakkumulation betreiben. Sie operieren mit .,Ausstattungswerten" und Schaueffekten, wobei sie sich nicht die großen Ausstattungen des Kino-Biockbusters Hollywoods leisten können, aber so tun, als könnten sie es. Ein gutes N-MoviecDrehbuch .,reflektiert gewöhnlich die wirtschaftlichen Ziele eines Senders, das .heißt, es weckt und fesselt das Interesse der Zielgruppe. Das gleiche gilt für den entsprechenden Film. Ich betrachte das N-Movie als die kommerziellste Filmart, in dem das sehr starkam Kommerz orientierte Medium Fernsehen um ,Käufer' wirbt. Anders als ein Kinofilm, der verschiedenste Vermarktungs möglichkeiten im in- und Ausland besitztwie Kinoauswertung, Free- und Pay-N, Video, sequels und spin-offs, Merchandising, die Herausgabe eines Romans zum Film, die Ausstrahlung auf Langstreckenflügen :, haben N-Movies nur eine echte Chance: die Fernsehausstrahlung." (Sam Davis, ehemaliger RTL-Ressortleiter N-Movie, 2000, S. 28) Auch wenn es künstlerisch interessante N-Movies (z. B, Nico Hofmann .,Der Sandmann" bei RTL 2) gab und gibt, sind N-Movies Gebrauchsware, zum sch~ellen und rückstandslosen Verbrauch bestimmt. Sam Davis: .,Das NMovie muss dem entsprechen, was es zu sein vorgibt, nicht mehr und nicht weniger. Um dies zu erreichen, arbeiten wir vom pitch bis zur Ausstrahlung mit Themen, die sich leicht in Filmtitel, in drei bis vier Sätzen oder einem Standbild vermitteln lassen, sowie später in zehn, fünfzehn oder dreißig Sekunden langen Trailern und schließlich in einem N-Movie." (Sam Davis 2000, s. 31) N-Movies werden also vom Titel her konzipiert, diese müssen den Zuschauer neugierig machen. Danach werden sie weiterentwickelt und mit Zuschauer-bindenden Reizen verkoRpelt. Die Inszenierung setzt oft schockartig wirkende Schnitte, überraschende Umbrüche und grelle Gewaltszenen ein . .,Im Zeitalter des Zapping ersetzt dabei Kurzzeitspannung die großen spannenden Geschichten. Doch di.e bisherige Addition visueller Reize, die Wiederholung aufwendiger computersimulierter Explosionen, nutzt sich schnell ab. Da nützt es wenig, wenn dasselbe Auto oder Haus gleich viermal explo- diert (gezeigt aus unterschiedlichen Kameraper- nachhaltig durchgesetzt. dass die konventionelle spektiven) oder das Blut des Opfers in Zeitlupe Dramaturgie Grundvoraussetzung eines erfolg- spritzt. Im Vergleich zu der Fülle visuell attrak- reichen Unterhaltungsfilms sei. tiver Sex- und Gewaltakte sind stringent erzähl- Die WDR-Fernsehfilm-Lektorin Andrea te spannende Handlungen und interessante, da Hanke betont, dass solche Modelle wie die von differenzierte Charaktere, selten geworden." Syd Field -zur Überprüfung von Drehbüchern in (Bleicher 1999, S. 9) Die Geschichte selbst wird zumeist den Sende;n angewendet werden und dass .. sich gerade das weitverbreitete Drei-Akt-Modell nach linear erzählt. Die Handlung entwickelt sich Syd Field mit seinen präzisen Seitenangaben für nach sehr formalisierten Mustern, für die es die entscheidenden Wendepunkte der Geschich- _inzwischen zahlreiche, immer gleiche Drehbuch- te für eine rein mechanische Überprüfung" anweisungen gibt. Verständlichkeit des Hand- anbietet. Natürlich bleibe es nicht dabei, und es lungsgeschehens- also das Befolgen stark erscheint ihr auch nicht immer sin"nvoll, weil sie konventionalisierter dramaturgischer Muster - statt dessen eine andere Dramaturgie für besser ist durchgängig erwünscht. Ist von Dramaturgie im 1V-Movie die hält, von der sie aber auch behauptet. sie sei ähnlich grundlegend: "Differenzierter und stär- Rede, ist nur noch die aristotelische (oder auch ker inhaltlich angelegte Modelle wie die ,Hero's tektonische) Dramaturgie des formalisierten, Journey', die ein aus der Mythenforschung weitgehend linearen Handlungsaufbaus gemeint, abgeleitetes Konzept für die Entwicklung der wie sie sich in zahlreichen Varianten von Aristo- Hauptfigur anbietet, liefern. hier bessere teles bis zu Gustav Freytag durch gehalten hat Anhaltspunkte, um· über die reine Kritik hinaus und nun in den Drehbuch-ManualszurNorm auch noch zu konstruktiven Verbesserungsvor- erklärt wird. Die verbreitetste Version stammt schlägen zu gelangen." (Hanke 2000, S. 187) von Syd Field ("Das Drehbuch"), dessen deutsche Was meint Andrea Hanke mit .. Hero's Version von den Fernsehfilmdramaturgen Journey"? Im Jahr i949 schrieb Joseph Campbell Gunther Witte, Gebhard Henke und Andreas das Buch ..The Hero with a Thousand Faces", das Meyer (schon in der 7. Auflage) herausgegeben 1978 auf Deutsch unter dem Titel "Der Heros in wird. tausend Gestalten" erschien. Darin wird im Dramaturgie heißt hier im wesent- Rückgriff auf C. G. Jung die These entwickelt, lichen: Exposition, Wendepunkt, Steigerung, dass alle großen Geschichten der Menschheit Höhepunkt, erneuter Wendepunkt, Auflösung. ·letztlich einem einzigen Schema folgen, das aus Syd Field ist beliebt, weil er klare und scheinbar einer Reise eines Helden durch zwölf Stationen erfolgreiche Anweisungen gibt: Die Exposition besteht. Alle Erzählungen und Dramen ließen (setup) umfasst die ersten 30 Seiten des Dreh- sich letztlich auf dieses eine Schema zurück- buchs (die ersten zehn Minuten des Films). auf führen, da es letztlich mythischen Ursprungs Seite 2S bis 27 muss der erste Wendepunkt sei. (plotpoint) eintreten. Die Steigerung oder Schür- Weil hier der Anspruch erhoben wird, zung des Knotens (confrontation) findet auf den ein universales Modell für alle Geschichten Seiten 30 bis 90 statt, der Höhepunkt wird zum gefunden zu haben, hat es vor allem in der midpoint, die Lösung durchbricht ein retardie- Drehbuch-Branche Hollywoods Aufsehen erregt, rendes Moment (plot point II), und die Katastro- ließ sich doch damit auch eine Dramaturgie für phe wird bei ihm zur Auflösung, die von Seite den Film schaffen, die versprach, geradezu 90 bis 120zu dauern hat und als Untergang zwangsläufig weltweit erfolgreich zu sein. oder Happy Ending vor sich zu gehen hat. Das Der Drehbuchberater Christopher Modell ist stark schematisiert; Syd Field behaup- Vageier hat aus Campbeils Ansatz ein Anwei- tet apodiktisch: "Alle Drehbücher folgen dieser sungsbuch für Drehbuchautoren gemacht: "The gradlinigen Struktur." (Syd Field 2000, S. 13) Writer's Journey. Mythic Structures for Writers", Natürlich gibt es zahlreiche Beispiele das 1997 auch auf Deutsch erschien: "Die Odys- namhafter Filme, die Film- und Fernsehgeschich- see des Drehbuchschreibers. Über die mythologi- te gemacht haben und nicht diesem Muster schen Grundmuster des amerikanischen Erfolgs- folgen. Gleichwohl hat sich die Auffassung kinos" (2. Aufl. 1998). DRAMATURG 1/2000 I Seite 9 Das Konzept kann hier nur angedeutet werden: Der Held wird von einem Herold zum Abenteuer aufgefordert und von einem Mentor unterstützt; er trifft bei seiner aben- wenig Wert gelegt; von diesen Konzepten grenzt sich gerade der Fernsehfilm als TV-Movie entschieden ab. teuerlichen Reise (Vorbild: das Abenteuer, die Aventiure) auf einen Schwellenhüter, der ihm den Zugang zu einem Geheimnis verwehrt. Er wird von einer Schattenfigur, einem Gegenspie- 5. TV~Movie: Genrefilm statt Autorenkonzept Das TV-Movie ist vor allem ein Genrefilm. Es setzt auf .,Genreklarheit". (Remirez). was einen Mix von Genreelementen nicht aus- ler, herausgefordert, den er besiegt. Als weitere Figuren gibt es den Gestaltwandler, der ihn in Zweifel stürzt, und den Trickster, der den Helden schließt, wenn sie als Reizakkumulation auftreten . .,Erotikthriller oder Thriller mit stark melo- begleitet und oft komische Aspekte einbringt. Die Stationen der Reise (die als Dramaturgie von Episoden zu denken ist, aber auch dramatischen Momenten sind wesentlich erfolgreicher als kalte ,Serienkiller-Thriller:" (Remirez 2000, s. 178) in einer Handlungsführung nach aristotelischem .,Da es jede Woche ein neues Movie Muster enthalten sein kann) sind: geben und keine anhaltende Beziehung zwiAusgang ist(1) die gewohnteWelt, · schen Zuschauer und Darstellern entstehen aus der der Held stammt. Er erhält (2) einen Ruf würde, wie beispielsweise bei Serien, mussten zum Abenteuer; der (3) meist mit einer Weigewir in den Köpfen der Zuschauer verankern, dass rung des Helden beantwortet wird. Der Held sich ein roter Faden. durch alle unsere Movies begegnet (4) einem Mentor, der ihn berät und ziehen würde: eine vorprogrammierte, positive zur Reise rät. Die Reise beginnt, und es findet (5) emotionale Erfahrung." (Sam Davis 2000, S. 33) ein Überschreiten der ersten Schwelle statt, hinDer RTL-Ressortchef Sam Davis unter. ·scheidet folgende Genres der TV-Movies, die RTL ter der es kein Zurück mehr gibt. Nun ereignen sich (6) Bewährungsproben, der Held trifft auf seit Mitte der neunziger Jahre im deutschen Verbündete und Feinde. Er dringt dann (7) zur Fernsehen etabliert und benutzt hat: Women in tiefsten Höhle vor, in der er auf den Gegner Jeopardy (Frauen in Gefahr) handelt von ganz trifft; dort kommt es (8) zur entscheidenden Prünormalen Frauen, die in extreme Situationen fung in der Konfrontation und Überwindung des geraten (.,Du hast mir meine Familie geraubt", Gegners. Der Held wird (9) belohnt (indem erz. B. .,Blutige Scheidung"); das Melodrama: Eine das Schwert ergreift, den Schatz oder das Elixier Person versucht vergeblich, etwas Bestimmtes raubt). Er macht sich (10) auf den Rückweg; zu erreichen oder erkrankt tödlich usf. (.,Das dabei kommt es zur Auferstehung des Helden Schicksal der Lilian H."; .,Zwei Leben hat die (11), da er durch das Abenteuer zu einerneuen Liebe"); Disease of the Week (Krankheit der Persönlichkeit gereift ist. Danach findet (12) eine Woche), wozu Filme wie z. B. .,Das Baby der Rückkehr mit dem Elixier statt (Vogeler 1998). schwangeren Toten" oder .. Schlag weiter, kleines Über den Kinofilm sind solche DramaKinderherz" gehören. Dieses Genre ist sicherlich turgie-Rezepte auch zum Fernsehfilm gelangt, das am meisten produzierte und erfolgreichste wie Andrea Henkes Hinweis zeigt. Sicherlich lasGenre. Das Gesellschaftsdrama erörtert stärker sen si~h zahlreiche filmische Geschichten auf ein die sozialen Konflikte nach einem Schicksalssolches Schema beziehen, doch ist zu bezweischlag (..Vergewaltigt -·eine Frau schlägt feln, ob damit wirklich alle .,guten" Filme, wie zurück"). Der Thriller ist ebenfalls stark vertreten behauptet wird, zu erfassen sind. Ganz sicher und wird von Davis in den Kriminal-Thriller, den gilt eine solche Dramaturgie nur für den unterFamilien-Thriller, den Erotik-Thriller und den haltenden Mainstream-Film. Doch schon die Science-Fiction-Thriller unterteilt. Weitere Gengroßen Filme des europäischen Kinos lassen sich res sind der Actionfilm und der Katastrophendamit nicht erklären. Filme von Kluge, Godard, film, die in der TV-Movie-Produktion aufgrund Fellini, Bergman verweigern sieh einer solchen der beträchtlichen Produktionskosten eher randc ständig sind; Dramaturgie. Aber auf derartige Autorenfilme des europäischen Kinos und die in ihnen enthaltenen Dramaturgiekonzepte wird auch heute . DRAMATURG 2/2000' I Seite ·10 Deutlich lässt sich an den von Davis für RTL aufgezählten Genres erkennen, dass sie Deutscher Bühnenverein . . . · Bundesverband Deutscher Theater • gegr. 1846 Zwar weiß i(h.viel, doch möcht' ich ·alles wissen. Goethe Faust f Berufe am Theater . Die Broschüre beschreibt über 40 Berufsbilder am Theater mit Voraussetzungen, Ausbildungswegen und Kontaktadressen. Kostenlos Die Deutsche Bühne. Das spartenübergreifende Theatermagazin veröffentlicht jeden Monat Portraits, Berichte, Interviews, Nachrichten und Termine über Kultur und Politik, Kunst und Management. Einzelheft 9, 50 Mark Theaterstatistik Das Jahrbuch mit allen statistischen Daten der Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Besucher, Personal, Veranstaltungen, Preise, Einnahmen, Ausgaben, Zuweisungen. 45 Mark Wer spielte was? Die jährliche Werkstatistik resümmiert die letzte Spielzeit und nennt die meistgespielten Werke und Autoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aufgeschlüsselt nach Sparten nennt sie alle gespielten Stücke und berichtet über die Häufigkeit qer Inszenierungen und die Zahl der Zuschauer. 48 Mark · Theater muss sein. Postfach 29 01 53 50523 Köln www.buehnenverein.de Frauen im Film- urid · Fernsehgewerbe sind massiven Vorurteilen ausgesetzt: "Produktionsfirmen und Fernsehsender trauen· es Frauen oft nicht zu, sich am DrehOrt gegenüber Schauspielern und anderen Mitarbeitern durchzusetzen", heißt es in einer Studie des nordrheinwestfälischen Kulturministeriums und der Filmstiftung NRW. Deshalb könne nur bei jeder fünften Produktion eine Frau Regie führen. Dagegen werde jede zweite Redaktions- oder Pro- · ·duktionsaufgabe von Frauen erfüllt. Auch suche man.an der Spitze von Produktionsfirmen und· Fernsehsendern Frauen meist vergeblich. Vierzig Prozent der Drehbücher für Kino- und Fernsehfilme sowie fiktionale Serien würden mittlerweile von Frauen geschrieben. Darin gehe es verstärkt um .. Frauenstoffe", weil die Hauptzielgruppe von Fernsehfilmen weiblich sei. AP so grundsätzlich nicht auseinander liegen, sondern sich auch sehr gut unter das Stichwort .,Sex and Crime" bündeln lassen. Entscheidender ist, dass sich mit dem N-Movie überhaupt das Genreprinzip nachhaltig durchgesetzt hat Darin liegt vor allem die Differenz zum Fernsehfilm älterer und vor allem öffentlich-rechtlicher Provenienz, dass das Autorenkonzept, das eben auch im deutschen Fernsehfilm lange Zeit dominant und von der Kritik immer wieder in der Forderung nach erkennbaren stilistischen .,Handschriften" der Regisseure eingeklagt worden war, jetzt durch die GenreDominanz abgelöst wurde. Hierin liegt der konzeptionelle Bruch, der sich in den neunziger Jahren vollzogen hat Deshalb Jassen sich auch so schwer Traditionslinien zurück zum Fernsehfilm ziehen. Und dass für viele Funktionen und Formen inzwischen englische Begriffe verwendet werden, hat seinen Grund nicht nur darin, dass diese modischer und dynamischer klingen als vergleichbare deutsche Begriffe, sondern vor allem auch darin, dass sich das Genreprinzip mit seinen in den USA vorher bereits deutlich herausgebildeten Formen durchgesetzt hat Sicherlich gibt es auch heute noch Regisseure, die eigenwillige Handschriften zeigen. Sie haben sich kraft ihres Kunstwillens trotz der Genre-Orientierung durchgesetzt Sie wird es auch weiterhin geben. Uwe Kammann von epd medien zum Fernsehfilm: .,Gegen befürchtete Simplizität ?tehen, damals wie heute, Namen. Von Verantwortlichen, von Machern. Auf allen Ebenen. Nehmen wir heutige Regisseure: Hartmut Schoen, Adolf Winkelmann, Wolfgang Becker, Uwe Frießner, Hermine Huntgeburth, Bernd Schadewald, Christian Görlitz, Jo Baier, Ralf Huettner, Yüksel Yavuz, Heinrich Breloer, Max Färberböck, Andreas Dresen, Nico Hofmann, Dominik Graf- ein paar Nall)en in lockerer Reihe, so wie sie mir gerade einfallen." (Kammann 2000) .. Bei ·den N-Movies lässt sich auch eine inhaltliche Verschiebung gegenüber den Fernsehfilmen öffentlich-rechtlicher Herkunft erkennen, und die öffentlich-rechtlichen AnstiJIten sind inzwischen auch zu Teilen auf das NMovie-Konzept umgestiegen: Grundsätzlich hat sich auch die Haltung des Fernsehfilms gegenüber seinen Figuren und seinen Sujets gewanDRAMATURG 2/2000 I Seite 12 delt Das Fernsehspiel der sechziger Jahre mit seiner Erkundung der bundesdeutschen Realität hat sich· noch vor allem auf ctie Seite der kleinen Leute geschlagen, hat den Benachteiligten des Lebens und den in der Gesellschaft zu kurz" Gekommenen seine ganze Anteilnahme und Aufmerksamkeit geschenkt Der Kritik der Karrieremacher stand die Sympathie für die Looser gegenüber. in den neunziger Jahren gilt das Interesse den Erfolgreichen, denen, die sich irgendwie durchschlagen, die sich gegen bessere Einsicht frech behaupten, die auf Normen pfeifen, aber dennoch oben auf sind. Die poetische Gerechtigkeit gilt den Jungen und Aufbruchbereiten, gilt den ganz schrägen Figuren und denen der gehobenen Mittelklasse, die sich als Trendsetter verstehen. Die kleinen Verkäuferinnen und Angestellten sind dem Fernsehfilm heute eher wieder suspekt Graue Mäuse sind im . Fernsehfilm - schon gar im N-Movie der kommerziellen Anbieti"- unbeliebt Der Fernsehfilm ist schon längst eingeschwenkt in die schöne neue Konsumwelt der Giltzerfassaden und Großstadt-Highways. Als unterhaltsam gilt nicht der Alltag in der Bergarbeitersiedlung, sondern das Surfen durch die Szenerien der Passagen, der Fernsehstudios, das Leben in den Urlaubswelten ·und in den exotischen Kreuzfahrtmilieus." (Hickethier 1996, S. 26) Problemgeschichten mit Autoren-· handschriftsind-zumindest als Tendenz- in den Sendern weniger gefragt, statt dessen mehr Genregeschichten mit Neugier weckenden Sensationsan reizen. 6. Struktuelle Verschiebungen: vom Dramaturgen zum Producer Das Berufsbild des Dramaturgen im Fernsehen (Fernsehspiel/Fernsehfilm) war immer schon umstritten. Der Fernsehkritiker Claudius Seid I 1991: .,Überhebliche Regisseure, größenwahnsinnige Pieduzenten und selbstgefällige Kritiker haben das Kino zur Strecke gebracht (. .. ) in den Spielfilmredaktionen des Fernsehens hocken die Schreibtischtäter. Könnten sie inszenieren, wären sie Regisseure geworden. Könnten sie schreiben, hätten sie sich als Drehbuchautoren oder Journalisten versucht Könnten sie reden, hätten sie längst ihre eigene Talkshow. Immerhin: Das Leben des Fernsehredakteurs hat einen Sinn, wenn er einem Autor erklären kann, warum sein Drehbuch nichts taugt. Wenn er am Set herumstolzieren und dem Regisseur ins Handwerk pfuschen kann. Wenn er in langen Briefen erläutern darf, warum dieser oder jener Aspekt <noch klarer herausgearbeitet werden> muss. Und wenn er schließlich ein Filmprojekt von allen provokanten und leidenschaftlichen Momenten befreit hat, braucht er auch nicht zu befürchten, dass der Vorgesetzte zürnen .könnte. Schließlich will er ja selbst Abteilungsleiter werden. Die Korrespondenzen junger deutscher Filmemacher mit den zuständigen Fernsehredakteuren lesen sich wie Protokolle des galoppierenden Schwachsinns." (Ciaudius Seid I: Tödliche Kicks. ln: Tempo 1991) Solche Kritik an Dramaturgen. hat es immer schon gegeben, sie stößt sich nicht zuletzt daran, dass der Dramaturg gegenüber Autor und Regisseur auch das Interesse des produzierenden und Geld gebenden Senders und des Gesamtprogramms vertreten muss. Die Dramaturgen in den Fernsehfilmredaktionen der Fernsehanstalten und der Sendeunternehmen nennen sich häufig Redakteure, weil sie ähnliche Aufgaben erfüllen wie die Redakteure, die für nichtfiktionale Programmbereiche, also für Dokumentationen, Nachrichten, Sportsendungen, Kindersendungen, Ratgeber, Shows usf. zuständig sind. Sie betreuen Sendeplätze, organisieren die Produktion von Sendungen, engagieren Regisseure und Autoren, reden beim Casting mit, begleiten die Herstellung des Films, setzen diese intern für einzelne Sendepl~tze durch, schreiben Presseankündigungen, organisieren "Making of..."-Sendungen und vieles mehr. Gebhard Henke, heute Fernsehfilmchef des WDR, schätzte die Zahl der für den Fernsehfilm zuständigen Dramaturgen/Dramaturginnen auf 90 bis 100. Eine Umfrage unter 30 von ihnen ergab, dass sie fast alle Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaft studiert haben und zwischen 31 und 63 Jahre (im Durchschnitt 45 Jahre) alt sind. Henke: "Das hohe Durchschnittsalter überrascht und verweist auf die hoh.e lmmobilität des ,Dramaturgenstandes:" (Henke 1991, S. 9) Henkes Bild stammt aus der Zeit, bevor die privatrechtliehen Sender wie RTL, SAT.1 und Pro7 anfingen, selbst Fernsehfilme DRAMATURG 2/2000 I Seite 13 herzustellen. Inzwischen hat sich das Bild des Berufsstands verschoben. Viele - vor allem jüngere - Fernsehfilm-Dramaturgen sind aus den Sendeanstalten zu kommerziellen Fernsehfilmproduzenten abgewandert. Die Ursache liegt darin, dass die Sendeunternehmen (öffentlich-rechtlich und privatrechtlich) die Produktion von nicht-aktualitätsbezogenen Sendungen aus ihren Häusern ausgelagert und an privatrechtliche Produktionsfirmen abgegeben haben, die diese dann eigenverantwortlich herstellen. Dieses aus der industriellen Produktion bekannte "Outsourcing" hat auch in den Medien Platz ergriffen und dient der Ökonomisierung der Programmplanung und -produktion. (Die öffentlich-rechtlichen Anstalten kennen dieses Verfahren ansatzweise und ·weniger radikal seit den sechziger Jahren mit der sogenannten Auftragsproduktion). Diese Entwicklung folgt einem generellen Trend, deutlicher zwischen den programmproduzierenden und den programmausstrahlend.en Unternehmen zu unterscheiden. Die Programmproduzenten sind zwar ebenso wie die Sender häufig in ein Konglomerat von Firmen eingebunden, die einer Konzerngruppe angec hören, dennoch wirtschaften sie jeweils auf eigene Rechnung und werden dadurch zu einem konzerninternen Wettbewerb angeregt. Auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehunternehmen haben sich auf diese Weise in ein.e Vielzahl einzelner Firmen aufgespalten, die von Holdings wiederum zusammengehalten werden (so z. B. bei Studio Hamburg, Bavaria, aber auch bei Studio Babelsberg). Die Fernsehfilmproduzenten entwickeln jetzt selbst Stoffe und Geschichten, die sie dann den einzelnen Redaktionen sowohl den öffentlich-rechtlichen als auch den privatrechtliehen -anbieten. Das führt dazu, dass sich die traditionelle Dramaturgenrolle im Fernsehfilm verändert: Sie spaltet sich auf zwischen dem Redakteur im Sender, der nun mehr Produktionen digen, tritt mit dem Outsourcing auseinander: Der Sender-Redakteur vertritt gegenüber dem · Firmen-Producer die Senderinteressen und der Producer gegenüber dem Redakteur die Firmeninteressen. Dramaturgie droht damit, zum Verkaufsgespräch zu werden. "Produzent und Redakteur sind wie zwei Schiffe in der Nacht. Der Produzent hat eine ganze Ladung Geschichten an Bord, und der Redakteur ist der Freibeuter. Wenn sie zueinan. derfinden, beginnt eine seltsame, eiriem Tan·go nicht unähnliche Beziehung mit fatalistischen, ·romantischen Gesten. (... ) in etwa 99 Prozent der Fälle versenkt der Redakteur das Schiff des Produzenten und segelt weiter, auf der Suche nach einem anderen Schiff, dessen Ladung ihn wirklich interessiert. in dem besagten einen Prozent der Fälle, in dem ein Projekt akzeptiert wird, wird der Tango hitzig und schweißtreibend ... und dennoch ist zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs sicher, ob auch tatsächlich ein Film aus dieser Verbindung entsteht." (Sam Davis "2000, S. 77) Die Dramaturgen, die im Auftrag des Produzenten arbeiten, heißen jetzt Producer und sind .für die Entwicklung von Stoffen und ihre Konzeptionierung (developmentL aber auch für die Realisierung 'durch Drehbuchautoren und Regisseure zuständig. Die Exposes werden den Redaktionen angeboten und dann in deren Auftrag weiter realisiert. Die Verlagerung der Dramaturgie ·zu den Filmproduktionsfirmen führte auch dazu, dass die Dramaturgien (bzw. die Filmproduzenten'mit ihren Producern) zueinander.in Konkurrenz treten, um von den Sendern Aufträge zu erhalten. Dadurch wird zwangsläufig auch eine Tendenz zum Spektakulären in der Gestaltung der Filme gefördert, die Reizakkumulation wird durch den Kampf um den Auftrag .noch erhöht. in der Entwicklung von Stoffen, die in den· Filmproduktionsfirmen stattfindet, richten sich die Producer und die Filmproduzenten duktionsfirllla, der den Stoff entwickelt, ihn zur "Produktreife" bringt und auch seine Realisierung überwacht. Die früher einmal vom Drama- schon auf die jeweiligen Progra.inme aus, orientieren sich an deren Sendeplätzen und den hier anvisierten Zuschauergruppen. Dennoch bieten sie ihre Projekte grundsätzlich sowohl den öffentlich-rechtlichen als auch den privatrechtliehen Redaktionen an. Von der Kritik wird viel- turgen verkörperte Doppelfunktion, dem Autor gegenüber die Senderinteressen zu vertreten und im Sender die Autoreninteressen zu vertei- fach davon gesprochen, dass hier eine "Konvergenz" zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privatrechtliehen Sendern stattfinile. Die "betreut", weil sich sein Aufgabenbereich reduziert, und dem Producer bei der Fernsehfilmpro- DRAMATURG 2/2000 I Seite 14 Theater Rundschau THEATER, MUSIK, LITERATUR · · Ur- und Ers.tautfOhrungen Dramatiker-und Komponistenportrats Ankündigung aller im deutschspfllchigim Raum stattfindenden Theaterpremieren Bestellungen und Probeexemplare über Buchhandel und Vertriebsabteilung (Einzelausgaben DM 4,50, im Abonnement DM 3,00) ... wenn Sie Neues entdec:ken wollen in alten Texten, z.B. in EIN MmsoMMERNACHTSTRAUM von S/takespeale, DON jUAN, AMPHITRYON, DER GEIZIGE, Mo/iere. Denn neue, präzise Übersetzungen von Kennern zeigen, was wirklich drinsteht in den Klassikern . . . . wenn Sie brandaktuelle Stücke sud1en über Fremdenfeindlichkeit: nämlich FEUER UND fLAMME von Murot Yeginer und jACARANDAS ODER DIE BELAGERUNG von Fred liptow. ... wenn Sie bekannre MäJdten der Brüder Grimm spielen wollen - gutEn Gewissens aus dem Geist der Originale und nicht in der hagwürdigen Tradition der Weihnachtsmärd!en: AscHENPUTTEL, DER GESllEitLTE KATER, DORNRÖSCHEN, PRINZESSIN MJIUSEHAUT, RAPUNZEL, HÄNSEL UND GRETEL: Theater-Rundschau-Verlag ~!&"':"':'>. Bonner Talweg 1~. 53113 Bonn ~ Tel (0228) 91 50 31, Fax (0228) 91 50 345 DER EINGEBILDET KRANKE, GEORGE DANDIN u.a. von ßrimm mit Grips! Yerlaa Johannes Hertel * lilienmattstr.l8a 76530 Baden Baden fon: 07221/32353 fax: 07221/32356 Theaterheute Das Jahrbuch 2ooo: Das Deutsche Schauspielhaus Harnburg Am Ende einer Ära ... Mathias Greffrath über Alter und Illusio!)en Diedrich Dlederichsen über die hippe Biederkeit der Berliner Hauptdarsteller Die Stücke, Inszenierungen und Spieler der Saison Das Theaterbuch des Jahres DM 36,- in allen guten Buchhandlungen oder direkt beim FRIEDRICH BERLIN VERLAG Im Brande 19 II 30926 Seelze II Fax: 0511- 40004170 II e-mail: redaktion@th~aterheute.de Gegenposition formulierte der ehemalige NDR. Programmdirektor Dietrich Schwarzkopf: Gerade der Fernsehfilm sei "systemneutral" (also nicht entweder dem öffentlich-rechtlichen oder dem privatrechtliehen Rundfunksystem zuzurechnen). weil er eben doch noch von Autoren und Regisseuren geprägt werde. Das wiederum zeigt, dass der Trend zum TV-Movie eben kein rein privatrechtlicher ist, sondern mit der allgemeinen Entwicklung des Mediums Fernseher> zusammenhängt. . 7. Daily Soap statt Serie Das Überangebot amerikanischer Kinofilme und Serien in den Kommerzsendern wie RTL, SAT.l, Pro7 u. a. hatte Anfang der neunziger Jahre Überdruss bei den Zuschauern erzeugt. 'Die durchschnittlichen Einschaltquoten für .amerikanische Serien und Filmproduktionen lagen unter denen deutschsprachiger Produktionen, so dass sich RTL zur Eigenproduktion entschloss. RTL konnte auch nicht wie der KirrhSender SAT.l auf einen Lagerbestand preiswerter Produktionen zurückgreifen. so dass RTL neue Programmideen produzieren musste, um die Marktführerschaft längerfristig zu erhalten. Mit der Produktion der ersten deutschen täglich ausgestrahlten Serie, einer so genannten Daily Soap, gelang es RTL, ein neues Format im Angebotsmarkt zu etablieren. "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" erwies sich als dauerhaft erfolgreiche Serienform. Wie unterschieden sich die Daily · Soaps von den bis dahin staffelweise produzierten öffentlich-rechtlichen Serien? Eine für das deutsche Fernsehen völlig neue Form der Dramaturgie entstand. Es gab nicht mehr eine durchkonzipierte Handlung. deren Ende schon zu Beginn bekannt war und die kunstvoll längerfristig angelegte Handlungsformen entfaltete, sondern jetzt wurden Erfolgsmotive synthetisch zusammengefügt und aktuell - nach Bedarf der Quotenentwicklung -variiert. Zwar wendeten dieses Prinzip schon die ZDF"Schwarzwaldklinik" und auch die "Lindenstraße" erfolgreich an, aber die Daily Soaps radikalisierten das Verfahren, weil es der Produktionsweise eines täglich neu (wenn auch zeitlich versetzt mit der Ausstrahlung) produzierenden Apparats entsprach. DRAMATURG 2/2000 I Seite 16 Dramaturgisches Modell ist die sogenannte Zopfdramaturgie: ln einer halbstündigen Folge werden drei verschiedene Handlungsstränge zusammengeführt und- zopfartig- miteinander verflochten. Dabei ist in der Regel ein Handlungsstrang dominant, ein anderer wird beende! oder auch ein neuer angefangen. Diese Handlungsstränge werden in. 20 bis-22 Sequenzen unterteilt, so dass eine Sequenz kaum zwei Minuten dauert (vgl. Geißendörfer 1990). Der ständige Wechsel erzeugt ein rasches Erzähltempo und den Eindruck ständigen Geschehens. Damit wird gleichzeitigverdeckt, dass sich zumeist keine Handlungen wirklich ereignen, sondern nur über sie gesprochen wird. Diese Dramaturgie ist aufgrundder dann komplexen Verflechtung artifiziell, weil sie auf Anschlüsse und glaubwürdige Parallelführungen achten muss und (so bei der "Lindenstraße") oft noch . in der einzelnen Folge eine thematische Verklammerung der verschiedenen Handlungs·stränge kennt. Von der Genregestaltung her dientvor allem in den privatrechtliehen Daily Soapszumeist eine melodramatische Grundstruktur als Basis. Sie wird· mit Krimi-Elementen angereichert, die Handlung zum einem durch kurzfristige Höhepunkte beschleunigt, zum anderen aber auch zerdehnt, weil in den Folgen von Tag zu Tag ständig alles noch einmal beredet werden muss. Die "Zopfdramaturgie" aus mehreren parallel geführten Handlungssträngen schafft eine sehr kleinteilige Episodenstruktur mit pointenhaft gesetzten Kleinsthöhepunkten, wobei sich die Episoden b_eliebig oft durch Werbung unterbrechen lassen. Von langer Hand vorbereitete Entwicklungen sind hier nicht angesagt und auch bei den meist jugendlichen Zuschauern nicht erwünscht: Es ging und geht um schnelles Reagieren auf alle möglichen neuen Einfälle und Überraschungen. Wird "Lindenstraße" einmal wöchentlich (Weekly Soap)·ausgestrahlt, so erscheint eine DailySoap fünfmal die Woche. Das aus dem angelsächsischen Raum übernommene Konzept dieser Serienform wurde abgewandelt: Richteten sich die Daily Soaps in den USA, Australien und Großbritannien vornehmlich an Hausfrauen, so wandte sich die deutsche Version vor allem an Jugendliche, indem die Geschichten in jugendliche Milieus gelegt und von jugendlichen Laien- darsiellern gespielt wurden. Die erste Soap .,Gute zepte (etwa im Sinne von Treatments) fertig, Zeiten, schlechte Zeiten" handelt von einer werden sie an einen Scripteditor weitergegeben, Gruppe von Jugendlichen auf dem Wege zum der an Autoren diese Treatments weiterreicht; Erwachsensein, ein Teil hatte gerade das Abitur sie stellen daraus fertige Drehbücher (..Dialog- hingeworfen und laviert sich nun durch eine bücher") her, die wiederum von einem Head- undurchsichtige Welt, mit viel Intrigen, Kata- .writer überwacht werden, er stimmt die Bücher strophen und ständigem Sichdurchschlagen. Das init den Redakteuren ab, gibt Änderungswün- traf offenbar die Weltsicht der damaligen sche weiter und sorgt für eine möglichst genaue Jugendlichen und hatte einen entsprechend Abstimmung zwischen der Senderseite und dem großen Erfolg. Dabei ergab sich ein paradoxer produzierenden Unternehmen. Der Autor (rich- Effekt: Die zumeist aufgrund fehlender Ausbil- tiger die Autoren) der Serie sind nun ·die mehr dung laienhaft gespielte Darstellung wurde von oder weniger ausführenden Hilfskräfte einer vielen Zuschauern als lebensecht empfunden, redaktionell bis in Details vorstrukturierten ebenso auch die oft unverhofften Wendungen Gesamt- und Folgenkonzeption. Das einmal der Handlung. Die Ballung der Sensationen und bestehende Gegenüber von Dramaturg und Katastrophen gab vielen jugendlichen Zuschau- Autor hat sich zu einer arbeitsteiligen Textpro- ern das Gefühl von Realitätsnähe, weil ihnen duktion entwickelt, die zahlreiche Zwischen- auch die Wirklichkeit als zunehmend wider- schritte·enthält. .. Bei einem logistischen Wun- sprüchlich, unberechenbar und bedrohlich derwerk einer Soap Opera kann es nicht anders erschien. sein, als dass auch die Herstell~ng der Dreh.,Gute Zeiten, schlechte· Zeiten" wurde bücher einer streng geordneten und zu befol- zum dramaturgischen Erfolgsmodell, nicht genden Logistik unterliegt." (Michael Esser, zuletzt auch, weil es sich sehr viel kostengüns- Soap-Autor 2000, S. 155) tiger als eine normale Staffelserie produzieren Eine durchkomponierte Geschichte, lässt. Zwar sind die Einstandsinvestitionen durch einen im Kunstraum aufscheinenden, in allen die Schaffung eines kontinuierlich nur für die seinen Teilen aufeinander bezögenen Kosmos Soap genutzten Studios hoch, doch zahlt sich· gibt es hier nicht mehr, weil eine in sich von die Investition rasch aus, weil dann kaum noch Anfang bis Ende gestaltete Geschichte, die vor Veränderungen vorgenommen werden müssen. Das quotenorientierte Produzieren Drehbeginn im Drehbuch vorliegt, nicht existiert. Dramaturgie versteht sich hier als.Konstruktion von Soaps hat das dram,aturgische Denken in einer Parallelwelt, die sich neben der Realität den Sendern nachhaltig verändert, denn auch der Zuschauer befindet, mit diesen altert, viele die Öffentlich-Rechtlichen zogen bald mit eige- Zufälligkeiten, Brüche und Ungereimtheiten nen Soaps (..Marienhof", .,Verbotene Liebe") besitzt, die sich zwangsläufig einstellen. So wie nach. Entwickelt wird dabei eine Gesamtkonzep- auch das Leben ist bzw. zu sein vorgibt. Für ein- tion (storyline), innerhalb der die einzelnen Fol- zelne Zuschauergruppen wird diese Parallelwelt gen sich zu bewegen haben. Die fortlaufende häufig zum Teil der eigenen Welt, weil sie mit Produktion der Geschichten führt dazu, dass· den Figuren so umgehen, als seien sie reale Figuren und Konflikte auch quotenorientiert Nachbarn im gleichen Mietshaus. weiterentwickelt werden, d. h. über Fan-Clubs, Hier hat sich also eine völlig neue Fanzines, Befragungen der Zuschauer etc. wird Dramaturgie entwickelt, die aufregelmäßige erkundet, welche Darsteller ankommen und wel- Produktion und Präsentation einer Abfolge che nicht, und danach wird die weitere Produk- unterschiedlicher Episoden angelegt ist. Es· tion gesteuert handelt sich um ein ständig weiter laufendes Damit hat sich auch das Tätigkeitsfeld Geschichtenband, das .,die" einmalige und des Dramaturgen verändert und mit dem der . begrenzte Geschichte eines Fernsehfilms in zahl- Autoren vermischt. Denn ·zum einen gibt es den lose Szenen auflöst. Die Szenen streben immer Storyeditor und die Storyliner, die die einzelnen wieder neuen Höhepunkten zu, bewältigen diese Folgen konzipieren und entwerfen, die Figuren- aber o'ft nicht, sondern setzen wieder. neu an entwicklung planen und mit dem Gesamtkon- und streben neuen Höhepunkten zu. Für den zept der Serie abstimmen. Sind die Folgenkon- Zuschauer ergibt sich daraus eine ständig neue DRAMATURG 2{2000 I Seite 17 Stimulation durch Situationen, unerwartete Begebenheiten,' Konflikte etc. (Ein solches ästhetisches Konzept ist Literatur Joan ·Kristin Bleicher: TV-Movies - What's natürlich nicht wirklich neu -Vergleichbares gab es schon bei der in Fortsetzung erscheinen- the Difference. den Kolportageliteratur und ihrer Lektüre durch Dienstmädchen, Verkäuferinnen und Hausfrauen der Jahrhundertwende, jetzt hat sich dieses Muster auf alle Bevölkerungsschichten ausgedehnt). Der zunehmende Zwang zum Realitätsanschein (Realität als das, was der Zuschauer als solche ansieht) bedeutet nicht. dass auf die traditionellen Konstellationen und Erzählmuster, die das Gebrauchsdrama schon längst entwickelt hat, verzichtet wird. Ihr Einsatz und die Verwendung zahlreicher Darstellungsstereotypen ermöglicht ja erst das beschleunigte Erzeugen von Konflikten und ihren Lösungen. Beziehungskonflikte, Dreieckssituationen, Verzögerungen von Lösungen, unerwartete Begegnungen - das dramaturgische Repertoire wird auch hier heftig geplündert. Der Realitätsanschein wird dadurch erzeugt, dass man für das Spiel Laiendarsteller einsetzt. oft Bezüge zu aktuellen Themen in die Drehbücher einbaut und dass der Gegenwartsalltag der Großstädte und ihrer Szenen nachgeahmt und auf wenige Handlungserle reduziert wird Uür jeden von uns ist es sicher so, dass ein großer Teil dieses Alltags sich eben genau so abspielt: als eine Geschichte mit immer wiederkehrenden Orten, an denen· ln: epd medien v. 5.4,1997, 3-4. s. Joan Kristin Bleicher: Das kleine Kino. Deutsche TV-Movies der neunziger Jahre. ln: epd medi.en Nr. 89 V. 13.11.1999, S. 5-10. Joan Kristin Bleicher: Zwischen Menschenzoo, Panopticon und Dauerthe<iter. Inszenie- rungsstrategien im "Big Brother"-Haus und ihre gesellschaftliche Funktionen. ln: Medien und Kom- munikationswissen- schaft 48. Jg. (2000) H. 4 (hier im Manuskript zitiert). Joseph CampbeH: The Hero with a Thousand Faces. New York 1949 (deutsch: Der Heros in tausend Gestalten, Frankfurt/M. 1978). Sam Davis: Quotenfieber. Das Geheimnis erfolgreicher TV-Movies. Bergisch-Giadbach 2000. ,.Ein bisschen Kerstin ist in jedem_ von uns". "Big Brother" -·ein Talk: Sighard Necke!, Detlef Kuhlbrodt, Peter Körte und HarryNuttim Gespräch. ln: Frankfurter Rundschau v. 8.6.2000, S. 20. Michael Esser: Die Daily Sriap. ln: Syd Field u. a.: Drehbuchschreiben für Film und Fernsehen. München 2000, S. 152-162. Muster einer fiktionalen Serie inszeniert, war das Ergebnis: die WDR-Serie "Die Fußbroichs" - und von hier war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Erfindung des neuen Formats: der Reality Soap. Das erfolgreichste Beispiel in Deutschland ist bislang (aber inzwischen auch in zahlreichen anderen Ländern, deren Fernsehsender dieses "Format" von der Produktionsfirma Endemol in 'Lizenz erworben haben) "Big Brother': Eine Gruppe von Menschen wird in einen Container gesperrt und von einer Vielzahl von Kameras 24 Stunden am Tag beobachtet. Aus den Aufnahmen wird eine tägliche Folge von einer Stunde zusammengeschnitten. Die Figuren sind nicht mehr nur Ergebnis der Inszenierung der Urheber der Serie, sondern inszenieren selbst mit- und das Publikum entscheidet am Ende, wer sich am besten gehalten hat. Für die Dramaturgie und den Beruf des Dramaturgen bedeutet ein solches Fernseh'formal eine grundsätzliche Veränderung: Nicht mehr .eine vorher konzipierte Geschichte wird in Szene gesetzt und damit eine fn sich stimmige eine begrenzte Anzahl von Figuren in immer wieder neuen Varianten ähnl.iche Geschichten erlebt." Michael Esser, Soap-Autor 2000, S. 155). Das anhaltende Publikumsinteresse legt nahe, dass es dafür offenbar einen Bedorf gibt. c 8. Das neue Format: die Reality Soap (.,Big Brother") Der rasche "Verbrauch" von Geschich-. ten in den Serien und Soaps erzeugte bei den Sendern einen lnnovationsdruck, der zur Suche nach neuen Ideen führte. Weil das Publikum durch den großen Output an immer neuen Folgen und Geschichten nach und nach um die Konstruktion solcher Muster weiß, wächst der Druck auf die Erzeugung eines noch größeren Realitätsanscheins. Eine Serie, die das reale . Leben einer Familie zeigte, natürlich nach dem .DRAMATURG 2/2000 I Seite 18 c und kohärente Gestaltung erzeugt, es wird auch keine Endlos-Fortsetzungsgeschichtevon Storylinern, Skriptautoren etc. in Handlungsführung und Dialogen erfunden, sondern die Figuren, die sich selbst spielen, erfinden ihre Dialoge selbst, die Handlung ergibt sich aus dem, was die Figuren innerhalb des Arrangements selbst tun. Der Realitätsanschein hat sich gegenüber den Soaps noch einmal verstärkt. Denn auch hier geht es um Alltag, der dargestellt und inszeniert wird, wie in zahlreichen Fernsehserien und Fernsehfilmen zuvor. Der erhöhte Realitätsanschein lässt das hier Gezeigte als Natur, als "bloßen Selbstlauf des Alltäglichen" (Sighard Necke!) erscheinen, obwohl die Mehrzahl der Zuschauer weiß, dass dies inszeniert ist und sich die Figuren auch selbst inszenieren. Vorgegeben ist wieder eine GesamtkonLerLiün, in der die ~us einer Vielzahl von Bewerbern ausgewählten Darsteller sehr genau in ihren gewünschten Eigenschaften festgelegt werden. Außerdem gibt es Vorgaben, was die Figuren in den Tagen und Wochen zu tun haben, sie erhalten Aufgaben, es wird auch schon eingegriffen, wenn sich das Geschehen nicht wie gewünscht entwickelt. Die Gesamtkonzeption L I Iag Ulrike Dietmann ·RICHARD Theater~ . und Musikverlag GmbH An derGete 25 ~ 28211 Bremen reL: (0421) 231885 Fax: (0421) 490687 BÜHNEN- UND MUSIKVERLAG Burth I Dietrich BLUEJEANS LET'SPOP Film Fernsehen Hörfunk Thomas Gassner LILLY&DAN RAFFL Luigs I Warrender DASBARBECUE Susanne Giebeler DIE STALINGRADMADONNA Mathias C. Kose( THEVOICE Verena Kanaan ALLERGIE Oswald Lipfert HOPE wie Hoffnung DREIRAFF THOMAS SESSLER STANDORT WIEN Lund l Zaufke BABYTALK TRADITION UND ZUKUNFT PeterLund ZARAH47 Matschoß I Lingau MOVIESTAR Bernd Späth Uwe Nielsen DIE HINRICHTUNG FIFTY-FIFTY. Stefanie Taschinski MATAHARI SUSID-GIRLS A-1 01 OWIEN JOHANNESGASSE 12 Slivo & Monte DIE ANGEL LA PERLA SHOW TEL ++43-1-512 32 84 FAX ++43-1-513 39 07 E-MAIL: [email protected] NTDeCKeR PeterStamm DIE PlANUNG DES .PlANS Was die Welt im Innersten zusammenhält Ronnith Neumann Lutz Hübner DIE FRANKLIN-EXPEDITION Über die Eitelkeit des Fortschritts STÜRMISCHER SONNTAG Wie man sich vor der Welt schützt UA: zooo/2001. Schauspielhaus Zürich (1 Schauspieler) UA: 6.to.zooo, Westf. Kammerspiele Paderborn (tD ·tH) UA: 15.9.2000, Theater Sielefeld (zD· 2H) tukas Bärfuss Carl Djerassi I Roald Hoffmann OXYGEN Über das Wesen der Erfindung Noch frei zur DEA! (40- 2H) REISEVON KlAUS UND EDITH DURCH DEN SCHACHT ZUM MITTELPUNKT DER ERDE Dfe Ökonomie und menschliche Beziehungen UA: 7.1.2001, Bochumer Schauspielhaus (30 • 3H) Lee Hall SPOONFACE STEINBERG Ein Mädchen und ein anderer Blick auf die Weit DEA: 13.10.2000, Staatstheater Stuttgart (10) Roland Spranger LEBEN ÜBER WASSERVOLL DICKROHR Eine Reai-Life-Soap Noch frei zur UA! (2D • SH) Verlag für Bühne, Film, Funk und Fernsehen · D·so672 Köln · Bismarckstraße 36 Telefon (02 21) 48 53 86 ·Fax (o2 21) 5154 02 ·e-mail: [email protected] ·Internet: http://www.hsverlag.com HARTMANN & STAUFFACH ER Syd Field, Andreas Meyer, Bunther Witte, Gebhard Henke u. a.: Drehbuchschreiben für Film und Fernsehen. München 2000 (7. Aufl.). Hans W. Geißendörfer: Wie Kunstfiguren zum Leben erwachen - zur Dramaturgie der "Lindenstraße': ln: Rundfunk und Fernsehen 38. Jg. (1990) Nr. 1, 5. 48-66. Andrea Hanke: Der Lektor. · ln: Syd Field u. a.: Drehbuchschreiben für Film und Fernsehen. München 2000, 5. 183-187. Gebhard Henke: Geheime Figur. Der Dramaturg ein Ständebild. ln: epd Kirche und Rundfunk Nr. 35 v. 8.5.1991, 5. 7-10. Knut Hickethier (1994): Das Fernsehspiel oder Der Kunstanspruch der Erzählmaschinc; Fernsehen. ln: Helmut Schanze/ Bernhard Zimmermann (Hrsg): Das Fernsehen und die Künste. (Geschichte des Fernsehens der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Helmut Kreuzer und Christian W. Thomsen, Bd. 2) München, Fink Verlag 1994, 5. 303-348. Knut Hickethier: Das Fernsehspiel zwischen lV-Movie und Fernsehdramatik. Zur Situation einer Proar;~mmsparte Mitte der neunziger Jahre. ln: Birgit Peulings/ Rainer Maria Jacobs- stellt eine Art Versuchsanordnung dar, in der sich die Figuren zu bewegen haben. Autoren im eigentlichen Sinne gibt es nicht mehr (weil keine Dialoge geschrieben und Handlungen entwickelt werden), aber es gibt . den Konzeptionisten: Er ist Dramaturg im vorgeführt wurden und Höhepunkte, Konflikte, Katastrophen erlebten, jetzt über inzwischen schon mehr als 15 Jahre hinweg. Ihre Urheber: ein Regisseur als Produ.zent, Storyliner, Story- eigentlichen Sinne. Hinzu kommen zusätzliche Betreuer wie Psychologen etc., die den Verlauf der Reality Soap begleiten. Sie geben offen und verdeckt neue Impulse in das Geschehen, um die Figuren· zu mehr Intensität, zu unerwartetem Verhalten etc. zu stimulieren. So wurde z. B. in ..Big Brother" (I) Sabrina als neue Figur eingeschleust •. um mehr Sexverhalten bei einzelnen Figuren zu provozieren, oder Verona Feldbusch bekam einen Auftritt, um die öffentliche Aufmerksamkeit wieder stärker auf diese Reality Soap zu richten. Der Dramaturg braucht Fähigkeiten wie ein Show-Redakteur. Wichtiger ist" ein .. feeling" dafür, was das Publikum an überraschenden Aktionen, an Sexdarstellung und Konfliktmanagement erwartet und wie diese Erwartung innerhalb der Versuchsanordnung zu bedienen ist. Literarische Kenntnisse - einst Voraussetzungen für die Dramaturgentätigkeit sind hier eher störend. .. Der. Thrill von ,Big Brother' lag (. ..) in der Inszenierung einer banalen sozialen Norma- autoren, Dramaturgen. ln .. Big Brother" erleben · wir heute eine mit dramaturgischem Kalkül ausgewählte Darstellermannschaft. die zusammen-.· gesperrt wird, dort Lebensgemeinschaft spielt und dabei Höhepunkte, Konflikte und Katastrophen erlebt. ..,Big Brother' führt uns das soziale Miteinander als einen einzigen großen Ausscheidungskampf vor." (Neckel 2000) Szenen und Szenengefüge folgen letztlich - wenn auch nicht so beziehungsreich ineinandergefügt-im Grundmuster der Erzählstruktur der Serie. Aus den Aufnahmen täglichen . Zusammenlebens der Selbstdarsteller im Container werden noch am gleichen Tag Szenen herausgeschnitten, digital gespeichert und zu einer Folge zusammengebunden. Die Szenen werden in der abendlichen Sendung (Dauer: eine Stunde inklusive Werbung) jeweils durch einen Jingle voneinander getrennt und miteinander verbunden. Dadurch entsteht eine komprimierte Handlungsabfolge, wie sie aus der Fiktion dem Publi- lität begründet. Den Zuschauern bot mandabei die gottähnliche Position an, von außen alles durchschauen zu dürfen, die Schachzüge der Akteure wie ein Analytiker mit gleichschwebender Aufmerksamkeit zu verfolgen. Aber eben mit dem Webfehler, dass sich die Dramaturgen selbst viel zu stark sichtbar gemacht haben." (Sighard Neckel in .. Ein bisschen Kerstin ... " 2000) Auch hier gibt es also·eine Dramaturgie, weil die jeweiligen eine Stunde dauernden Zusammenschnitte der Aufnahmen des Tages, .die am Abend gesendet werden, dem traditionellen Soap-Muster der Aneinanderreihung von Szenen entsprechen. Hier wird das Konzept des Fernsehfilms, die Realität der Zuschauer zu thematisieren und zu reflektieren, öufyeyriffen und erneut radikalisiert. .. Die Unverbesserlichen", eine NDR- Ende der Euphorie. Das deutsche Fernsehspiel nach der Einigung. Harnburg 1996, Serie mit jährlich nur einer Folge, zeigte in den sechziger Jahren den Alltag einer Familie, von einem Drehbuchautor genau komponiert, mit Höhepunkten, Konflikten, Katastrophen. Bei 5. .. Lindenstraße" in den achtziger Jahren war es Peulings (Hrsg.): Das 11-28. ein ähnliches Konzept (die Mietshausgeschich.te), bei der Familien und Lebensgemeinschaften .DRAMATURG 2{2000 I Seite 20 kum vertraut ist. .. Die Sendungsfolgen kennzeichnet die gleichbleibende Handlungsabfolgen: Gespräche, Essen, Garten, Tagesaufgabe, Haushalt, Körperpflege" (Bleicher 2000). Es wird viel Alltag gezeigt, aber der Zuschauer erwartet, dass ständig etwas passiert- und·irgendwann passiert es auch. Es ist die Erwartung, dass aus dem Alltag herallseine Katastrophe entsteht, dass es ·zu .,hautnahen" Konflikten und Streitereien kommt, und vor allem: dass sich zwei zusammenfinden, miteinander ins Bett steigen (wie ·Kerstin und Alex in ,,Big Brother") und dabei von einer Infrarot-Kamera gefilmt werden. Die Alltagsdarstellung wird dadurch beschleunigt, dass das Geschehen mit ShowPrinzipien verbunden wird: Die Zuschauer können einzelne Mitglieder herauswählen, bis am Ende ein Mitglied der Gruppe übrig bleibt, das dann den ausgelobten Preis (250 000 DM) erhält. Das schafft Konkurrenz zwischen den Figuren, Span.nung und für die Zuschauer eine finale Struktur der 100 Folgen. Das neue .. Format" ist also Resultat einer Mischung vorhandener Programmgattungen (Serie und Show), und Uwe Kammann: Der Quoten-Jäger. Wer verachtet das Publikum: und wie? · ln: epd medien Nr. 70 v. 2.9.2000. Harald Keller (1995): Spielwiese der Stars. TV-Movies - ein gattu ngsgesch ich tl ieher Streifzug. ln: Jah.rbuch Fernsehen 1994/95,5.9-18. Jürgen Kellermeier: "Stimmungsmac~e". epd-lnterview. ln: epd medien Nr. 67, 23.8.2000. Fred Kogel: Fernsehen als Puppenstube. Zum Erfolg von "Big Brother". Interview. ln: Der Tagesspiegel 15.7.2000. Egon Netenjakob: Vom Fernsehspiel zum TV-Movie. Kritischer · Rückblick auf die Karriere eines Genres. ln: Tilmann P. Gangloff/ Stephan Abarbanell (Hrsg.): liebe, Tod und lottozahlen. Fernsehen in Deutschland. Hamburg/5tuttgart 1994, 5. 359-368. Alicia Remirez: Schreiben für die Privaten. 'ln: Syd Field u. a.: Drehbuchschreiben für Fe"rnsehen und Film. München 2000,5. 174-183. Claudius Seid!: Tödliche Kicks. ln: Tempo 1991. · Christopher Vogeler: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über di~ mythologischen Grundmuster d.es amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt/M. 1998. es kennt im Hintergrund die Praxis der im Internet vorhandenen Webcams, die das Alltagsverhalten beliebiger Menschen 24 Stunden lang täglich im Netz präsentieren, weil diese sich auf diese Weise .. aufmerksamkeitsgeil" selbst präsentieren. Dass damit die Zuschauer zu einem Voyeurismus angehalten werden, liegt auf der Hand und ist in der öffentlichen Debatte ein anhaltendes Thema. Mit der Reality Soap ist also ein neues .. Format" entwickelt worden, das ganz offensichtlich (sieht man auf die Nachfolgeproduktionen und die Zuschauerzahlen) sehr erfolgreich ist. Hier ist eine neue Form des Fernseherzählens gefunden worden. Eine, die sowohl narrativ ist, als auch als Show funktioniert: Das macht ihre Bedeutung aus, so dass sie auch von den Sendern so aufmerksam beobachtet wird, aber auch deshalb weil diese Form der Fernsehunterhaltung in der Herstellung außerordentlich preiswert ist. Mehr als 120 Stunden Programm (wenn man die Begleitsendungen dazu rechnet) werden hier für den Preis von vier bis sechs Fernsehfilmen mit maximal 12 Stunden Programmumfang produziert. So billig sind auf anderem Wege kaum publikumsattraktive neue Sendungen zu bekommen. SAT.1-Chef Fred Kogel: .. Der Erfolg von ,Big Brother' hat nicht nur mit der Trivialisierung des Fernsehens zu tun. Das hatten wir in den Talk- und Gameshows auch schon. Möglicherweise hängt es mit einer völlig neuen Einstellung des Zuschauers zum Medium Fernsehen zusammen." Und: .. ,Big Brother' zeigt den Wandel des Fernsehens zum absoluten Begleitmedium: Fernsehen läuft immer. Es ist reiner Konsum. Wichtig ist dann nur; dass irgendetwas möglichst Entspannendes läuft. Im Gegensatz zur fiktionalen Reizüberflut~ng, wo du jeden Arzt, jeden Kommissar dieser Weit schon gesehen hast, hat man hier das Einfache. Sich vor dem Fernsehen nicht konzentrieren zu müssen, das boomt jetzt." (Tagesspiegel15.7.00) 9. Die Dramaturgie des Fernsehfi.lms am Ende? Die Ausdifferenzierung der Dramaturgie des Fernsehfilms zwischen Soap-Dramaturgie und Kinofilmdramaturgie hat nicht dazu geführt, dass der Fernsehfilm nicht mehr exisDRAMATURG 2{2000 I Seite·21 tiert und er auch nicht durch das TV-Movie restlos ersetzt wurde: Sicherlich hat er an Bedeutung verloren, weil der Fernsehfilm nicht mehr die einzige fiktionale Form des Fernsehens ist. Die anderen Fiktionsformen mit ihren unterschiedlichen dramaturgischen Konzepten sind im öffentlichen Bild vom Fernsehen dominanter, weil sie selbst- aus der Ökonomie heraus geboren - marktschreierischer und plakativer wirken. Den Fernsehfilm, der mit anspruchsvollen, sorgfältigen Inszenierungen eine individuelle Geschichte außerhalb von Genre-Normierungen erzählen will, gibt es aber weiterhin. Und er findet auch sein Publikum. Denn .es ist nicht so, dass anspruchsvolle Fernsehfilme - man denke nur an den Mehrteiler .. Der Laden" 1999 - nicht auch ein breites Publikum finden. Die Dramaturgie des Fernsehfilms ist deshalb nicht am Ende, es wird die spezifische Form des Erzählens von Geschichten im Fernsehen in einer langsameren, einfühlsamen und kunstvollen Dramaturgie und Komposition weiterhin geben. Doch sie ist nicht gratis zu haben, sie muss auch gewollt. gefördert und entwickelt werden. Fernsehfilme wie sie z. B. Heinrich Breloer (.. Die Staatskanzlei", .. Wehner" und demnächst .. Die Manns") dreht, sind Highlights des deutschen Fernsehens. Breloer. hat eine spezifische Form gefunden, auf eine ganz fernseheigene Weise große Filme zu drehen. Mit derartigen Highlights kann das Fernsehen in ganz anderer Weise sein Image pflegen als mit der täglichen Verbrauchsware der Soaps und TV-Movies. . Breloer ist aber letztlich singulär im deutschen Fernsehen. Das Fernsehen - und hier besonders die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen auch andere Regisseure in der Entwicklung derartiger eigener Stile und Dramaturgien ermutigen und fördern. Ansätze sind dazu vorhanden, Namen wurden schon genannt. · Die Fernsehfilmredaktionen müssen ihre Leistungen und ihre Erfolge auch offensiver und deutlicher herausstellen. Dass.heute mehr vom TV-Movie als vom Fernsehfilm in der Öffentlichkeit geredet wird, hängt vor allem damit zusammen, dass die privatrechtliehen Sender für ihre Produktionen ein besseres Marketing entwickeln. Davon jedenfalls .könnten auch die Öffentlich-Rechtlichen lernen. Das Forum junge Dramaturgie und die Workshops mit Autoren Seit Januar 1997 gibt es innerhalb Aufnahme in den Adressverteiler des Forums junge Dramaturgie per t-buck@web"de der Dramaturgischen" Gesellschaft das Forum junge Dramaturgie" Die Idee war, einen Gesprächsraum zu schaffen, der jungen Dramaturgen und anderen Interessierten die Gelegenheit bietet, jenseits von pragmatischen Entscheidungen des Theaterbetriebs neue Stücke zu " lesen und diese gemeinsam mit den Autoren zu" diskutieren. Inzwischen kommen Verlags- und Schauspieldramaturgen, Regisseure und Studierende aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den Gesprächen, die alle acht Wochen stattfinden (Termine kann man erfragen unter 0171/803 87 08). Die Auswahl eines Autors bzw. eines Stücks folgt dem Vorschlag eines Forumsmitglieds. Einziges Kriterium ist dabei das eigene Interesse für einen Text und die Bereitschaft, diesen in der Diskussion als "Pate" zu vertreten. Offenheit für erste, für experimentelle oder schwierige Stücke ist dabei ausdrücklich erwünscht. Folgende Autorinnen und Autoren waren bisher eingeladen: Martin Baucks, Klaus Chatten, Gesine Danckwart, Werner Fritsch, Katharina Gericke, Jens Groß, Lutz Hübner; Christoph Klimke, Jörg-Michael Koerbl, Andreas Laudert, Anna Momber, Albert Ostermaier, Arm in Petras, Thilo Reffert, Falk Richter, R.obert Schimmelpfennig, Sirnone Schneider, Roland Spranger, Ulrich Zieger. Auf der Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft in Basel 1998 stellten wir darüber hinaus Stücke von Wolfgang-Maria Bauer, Katharina Gericke (Kreist-Förderpreis 1998) und Tim Staffel vor. 1999 entschieden wir uns für Werke von John von Düffel, Uwe Gössel und - erstmals eines nicht-deutschsprachigen Autors - Tim Etchells. Hinzu kam der Träger des Kreist-Förderpreises 1999, Dirk Dobbrow."Auch die Workshops auf der diesjährigen Jahrestagung werden wieder von uns gestaltet (weitere Informationen s. u.). Das Forum junge Dramaturgie ist durch Mitglieder im Vorstand der Dramaturgischen Gesellschaft vertreten. Wir arbeiten darüber hinaus mit dem TNT (Theater neuen Typs) Berlin, dem Uraufführungstheater Dresden, der Banner Biennale und dem Volkstheater Raslock zusammen. DRAMATURG 2/2000 l Seite 22 Die diesjährige Auswahl des Forums für die Workshops der Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft lässt sich erstmals unter einem Überbegriff zusammenfassen: politisches Theater. Einen solchen passenden Überbegriff zu finden, war von uns erhofft, aber nicht Voraussetzung oder gar Auswahlkriterium, als sich im Mai 2000 eine Arbeitsgruppe des Forums erstmals zusammensetzte, um aus ungefähr zwanzig Vorschlägen auszuwählen. Es galt vielmehr, Texte herauszufinden, die in besonderem Maße diskussionswürdig sein würden. Diskussionswürdig darunter verstehen wir: Stücke," die entweder aufgrund ihres Themas, ihrer Form oder ihrer Sprache auf hoherri Niveau Verstörung, Erstaunen und Widerspruch auslösen und zur Auseinandersetzung anregen. Alle drei ausgewählten Texte erfüllen diese Voraussetzung. Darüber hinaus sind wir über die sich damit ergebende Autorenauswahl glücklich: ein noch eher unbekannter, junger Autor, ein vergleichsweise etablierter (..junger") Dramatiker und ein Autorenkollektiv, das sich gemeinsam hinter einem erfundenen Namen "versteckt': Und drei völlig verschiedene formale Ansätze ... Ebenfalls vorgestellt wird, wie jedes Jahr, der (bzw. hier die) Träger des Kreist-Förderpreises für junge Dramatik, Andreas Sauter und Bernhard Studlar. Der Preisjury gehörten neben Manfred Weber (Kieistfesttage und Vorstand der DG) und Alexander Suckel (Städtische Bühnen Chemnitz) auch zwei Mitglieder des Forums junge Dramaturgie, Petra Thöring (Vereinigte Bühnen Krefeld-Mönchengladbach) und Florian Vogel (Staatstheater Stuttgart). an. Die jeweiligen Texte werden bei der Jahrestagung jeweils von zwei Workshop-Leitern vorgestellt. Es gibt zwei Veranstaltungsteile an zwei Tagen (s. Veranstaltungsübersicht), beim zweiten wird dann aucil uer Aulur (luw. ein Vertreter der Autoren im Fall "Soeren Voima") zur Diskussion zur Verfügung stehen. Da die Workshops zeitgleich stattfinden, ist es notwendig, sich für einen Workshop zu entscheiden. Die Texte können über die jeweiligen Bühnenverlage bezogen werden; wir bitten sehr, sie vor der Workshop-Teilnahme zu lesen. Workshop 1, vorgestellt von Anne-Sylvie bleiben. Sie stellen sich uns vor und König, Schleswig-Holsteinisches Landestheater berichten in einzelnen Ausschnitten von I Marianne Wendt. ihrem Leben, ihrer momentanen Gefühls- Deutsches Theater Berlin: lage, ihren Zukunftswünschen. Mare Becker .,U.S.AmoK" Fragmente und Probleme artikuliert werden und Obwohl Sehnsüchte formuliert obwohl die Figuren die neuralgischen Punkte ihrer Zeit vermeintlich erkennen, scheinen ihre Aussagen den Antworten Im Theater werden immer noch auf Fragen in einer Talkshow oder einem tröstlich. Also gibt es doch einen konsta- Mare Becker wurde am 7.12.1969 in Bremen geboren. Nach dem Zivildienst verschlug ihn tierbaren Zusammenhang, eine sinnstif- sein Studium bis auf weiteres in den Faden des ganzen Textes ist der Bomben-. tende Einheit, die auf die Bühne gebracht Süden Deutschlands, nach Erlangen, wo er heute noch lebt. Hi'er studierte leger. Er ist der Einzige, der mit einer werden muss? Mare Becker erzählt in sei- Mare Becker Theaterwissenschaften, inneren Logik Kontinuität gewährleistet. nem Stück .. U.S.-AmoK" auch Geschich- Politikwissenschaften, Neuere deutsche Literaturgeschichte und schloss 1997 · mit dem "Magister Artium" ab. Seine praktische Theatererfahrung sammelte Mare Becker seit 1991 im studentischen Rahmen als freier Regisseur, mit der Theatergruppe "Theater der geringfügigen Kultiviertheit", wo er "Leonce und Lena" (Büchner), "Edmond" und "Sexual Perversity in Chicago" (Mamet) inszenierte. Sein erstes eigenes Stück entstand während des Proben"prozesses: .. N!e wieder Sex" (1996). Es folgten weitere Regiearbeiten eigener .Stücke/Texte: "Das linke und das rechte Ei Gottes" (1997) und .,Jazzcafe" (1998). 1998 war Mare Becker zunächst Regieassistent dann freier Regisseur am .,ensemble theater erlangen': Hier entstanden seine Inszenierungen "Bier und Sex und Bier. Ein netter Abend", .,U.S.-AmoK" (11/99) von Mare Becker und ,.Don Gil von den grünen Hosen" von Tirso de Molina (05/00). Er bereitet gerade seine nächste Regiearbeit "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" von Werner Schwab vor (Premiere: 01/01). Er scheint sich die Sehnsucht zu erfüllen, und wieder Geschichten erzählt, das ist ten, doch in Schlaglichtern und Auszügen, kurz: .in Form einer Materialsammlung (..Material Koma Rückwärts"), die er als .. Fragmente" verstanden wissen will. Der Text besteht aus personenbezogenen Passagen und biographisch notierten Lebensstationen von .. ER" sowie Sequenzen, di.e Nachrichten, Gedanken, Songtexte und Feststellungen umfassen. in der Summe erreicht Mare Becker damit die Abbildung eines gesellschaftlichen Zustandes. Angelehnt an das .. Una-Bomber-Manifest" von Theodore Kaczynski, des 1996 in den USA gefassten Bombenattentäters, nummeriert Mare Becker die einzelnen Textpassagen von 1 bis 198 (232) durch und betont damit ihre Gleichwertigkeit. Als .,Anhang" bezeichnet, setzt er, der Nummerierung folgend, einen Fragen-/Umfragekatalog nach, der . den Figuren auch als Folie für ihre Antworten im Vorfeld vorgelegt hätte sein können. Während die Biographie des Amokläufers dokumentarisch notiert wird, konstruiert sich das Leben der Protagonisten anhand kleiner eingestreuter Monologe. Betty (Studentin, 26), Dave (Gärtner, 30), Eve (Unternehmerin, 29) und Jim (Hilfskellner, 25) bedienen sich einer Alltagssprache, in der die möglichen Figuren trotzder Aussagen über sich selbst merkwürdig amorph und fleischlos "U.S.-AmoK" wurde Anfang 2000 ins Programm des Vertags der Autoren aufgenommen. Die Uraufführung fand im Frühjahr 1999 unter dem Titel. "Unabombing" (Regie: Michael Bandt) in Harnburg auf Kampnaget. statt. Die zweite Inszenierung erfolgte 03/00 in Groningen, Holland, Regie führte Koos Terpstra. Lesungen des Stückes wurden 05/00 am Renaissance.Theater, Bertin und 06/00 im Theater Oberhausen, eingerichtet. Mare Becker überarbeitet gerade sein Stück ,.Die Spassmacher", welches im UAT in Dresden. 05/00 szenisch geiesen wurde. DRAMATURG 2/2000 I Seite 23 Zeitungsinterview zu gleichen. Die Klammer und der vitale Sprengkraft im wahrsten Sinne des Wortes zu entwickeln, ein Handeln zu sichern. Die vier Figuren beziehen sich immer wieder auf die Geschichte des Amokläufers. Sie reflektieren über mögliche Motivationen, vergleichen den Täter mit der eigenen Haltung und Bereitschaft zu Radikalität und Gewalt und b·eurteilen den moralischen Stellenwert der Amokaktion. Parallel zum unaufhörlich voranschreitenden Radikalisierungsprozess des Attentäters lassen sie die Hülle ihrer political correctness sukzessive fallen. Eve berichtet vom lustvollen Biss in einen Kaninchennacken bis das Blut spritzt, Dave reflektiert über die treibende Kraft des Hasses und zertrümmert sein Mobiliar, Betty pumpt sich mit Tabletten voll, und Jim ,.muss extremer werden·: Sie selbst allerdings befinden sich in einer Art Lähmung innerhalb. eines durch das Absterben von moralischen Maßgaben und metaphysischen Werten entstandenen Vakuums. Sie treten nicht in Beziehung zueinander, aber alle sind durch die Medien über die Attentate informiert. Sie r~flektieren auf der Folie des gleichen gesellschaftlichen Systems: Momentaufnahmen einer Generation, deren Beschäftigung um die gleichen Konflikte und Sehnsüchte kreist. Das merkantile Postulat der Leistungsgesellschaft bestimmt ihrer aller Leben: Die .. Angst davor, dass das Leben Theodore Kaczynski: Das UnabomberManifestDie industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft 1. Die Folgen der Industriellen Revolution haben sich für die Menschheit als eine Katastrophe erwiesen. Unsere Lebenserwartung ist dadurch in den "fortgeschrittenen Ländern" bedeutend gestiegen, gleichzeitig aber trat infolgedessen eine Destabilisie- rung der Gesellschaft ein, das Leben wurde unerfüllt, die Menschen gerieten in ·eine Unwürdige Abhängig- nichts weiter ist als die Sorge ums Geld': Allen gemeinsam ist ein tiefgreifender Sinnverlust, eine .,Angst vor dem Hungertod ohne hungrig zu sein", deren Kompensation jedoch schon ausreichend durch die Beschäftigung mit dem Phänomen des Amokläufers gewährleistet zu sein scheint. Mare Beckers Form ist die adialogische. Wenn Peter Handke seiner .,Publikumsbeschimpfung" voranstellte: .,Wir erzählen Ihnen nichts, kein Dialog bahnt·sich an. Wir stehen nicht im Dialog", so kann dies auch für Mare Beckers Protagonisten gelten. Doch während vor dreißig Jahren die dramatische Form politisches Manifest war, bildet Mare Becker in .,U.S.-AmoK" mit seiner Aneinanderreihung von Textblöcken heutige Kommunikationsmuster ab. Oder ironisiert er sie? Das Sprechen in Klischees, ohne noch wirkliche Mitteilung und Kommunikation zu erreichen, wird zum Klischee seiner selbst. Aus dem Text: keit. ... Die kontinuierliche Entwicklung der Tech- 47. HERHÖREN Helfersyndrom und Verantwortungslosigkeit wechseln· sich ab, und unter der Oberfläche des .,sensiblen Gärtners" liegt ein großes Potentia_l an Gewaltbereitschaft Durch die Attentate erinnert er sich, dass er als Fünfzehnjähriger Terrorist werden wollte. 72. DAVE Ich bin gegen Ausbeutung. Ich bin gegen Gewalt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das zusammenpasst. Aber gegen Ausbeutung und gegen Gewalt bin ich trotzdem. ·Ich bin gegen Atomkraft. Es ist ein erhabenes Gefühl vor einem Atomtransporter zu liegen und diesen am Transport radioaktiven Abfalls zu hindern. Einsatz. Symbolisches Opfer. Betty definiert sich über ihr Äußeres; lebt aber in ihrem Mikrokosmos der studentischen Weit mit Prüfungsängsten, Beziehungsalltag und Konfrontation mit Professoren. Große Angst hat sie vor Einsamkeit und davor, von anderen nicht mehr gesehen zu werden. Sie fragt sich nach der Motivation des Bomben Iegers. nologie wird die Lage weiter verschlimmern. Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche! So bleiben Sie konzentriert beim Wesentlichen. Strengen Sie sich an! Strengen Sie sich wenigstens on! Haben Sie Erfolg! Denn nur Erfolg hat 4. Deshalb treten wir für eine Revolution gegen das industrielle System ein. Diese Erfolg ... Die Geschichte des Attentäters wird als einziges in indirekter Rede erzählt: Urteilslos werden Tat- "ich habe keine Angst vor der Zukunft. sachen hintereinandergereiht 89. ER Er bombte und er bombte weiter. Jim ist der klassische Verlierer und erklärt: .,Das Leben ist schön': Doch dieser Satz drückt keine Empfindung aus, sondern wird von einer Produktpackung abgelesen. Jims Traum ist es, sich der .,Normalität" des Jetzt zu entziehen, und Dass ich übersehen werde. Dassmich niemand mehr wahrnimmt, egal was ich mache. Dass niemand mehr da ist. Dass alle mich vergessen haben. Dass ich ganz allein bin. Um ihr Leben zu hinterfragen, fehlt Eve die Zeit, und ihre materielle Situation gibt keinen Anlass zu klagen. Sie ist sich bewusst, wie deckungsgleich sie mit dem Bild der jungen, erfolgreichen Generation ist, und versucht sich mit dem Satz .,ein Klischee bin ich aber nicht" davor zu schützen. Eve ist sich sicher: .,Wenn es überhaupt so Revolution kann mit oder ohne Gewalt durchgeführt werden, sie kann plötzlich auftreten oder sich in einem längeren Prozess über mehrere Jahrzehnte vollziehen ... Es handelt sich dabei nicht um eine POLITISCHE Revolution. Das Ziel wird nicht darin bestehen, Regierungen zu stürzen, sondern die wirt- schaftliche und technologische Basis der geg~nwärtigen Gesellschaft zerstören. umso größer ist seine Faszination an den Taten des Amokläufers. 63. JIM Neulich früh morgens aufgewacht Und den ersten Gedanken gehabt So kunn dus niehl weilergehen So eine kleine Wohnung Keinen festen Job Du bist nicht glücklich ... Dave erscheint als verspätetes Exemplar der engagierten Alt-68er-Generation. Er hat von allem ein wenig: politisches Engagement, Umweltbewusstsein und Verständnis für Frauen. DRAMATURG 2/2000 I Seite 24 69. BETTY Außer vielleicht, dass ich eines Morgens. aufwache und mich keiner mehr kennt. etwas wie einen Sinn für das Leben gibt, so muss er in der Durchsetzung persönlicher Bedürfnisse "liegen." 70. EVE Ich bin immer ein einzelnes Kind gewesen. Ein Einzelkind. Der Text ist beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main, zu beziehen. boten sein sollte, erotisiert. Dann -gehe Workshop 2, vorgestellt von lnge·Zeppenfeld, Städtische Bühnen Osnabrück I ich dem einfach nach, indem ich .ein Peter Spuhler, Volkstheater Rostock:. Stück erfinde, wo Figuren mir zeigen, Klaus Chatten .,Deutschland ruft", ein pornographisches Märchen von Gut und Böse ein krankhafter Impuls in mir? Oder, ob erotisiert mich.das wirklich oder ist das dieser krankhafte Impuls mitteilenswert ist. Oder, ob noch viele andere Leute diesen krankhaften Impuls haben und dann, wenn es ausgesprochen ist. vielleicht Den schlepp ich durch das wilde Leben. Goethe Klaus Chatten geboren 30.4.1963 in.lennestadt /NRW 1982 Abitur 1982/83 Studium an der FU Berlin 1983/84 Studium Schauspiel- Max- 1997 zitiert Klaus Völker im Vorwort zum Programm des von ihm etwas damit anfangen können. Das ist für mich eigentlich die Hauptmotivation . beim Schreiben." Ebenfalls in dieser Zeit beginnt die Arbeit an .. Deutschland ruft", einem Reinhardt-Seminar Wien 1984/85 Studium Schauspiel, Regie und Text, an dem man nicht vorbei kann, Szenisches Schreiben- HB Studio New ohne an der einen oder anderen Stelle York 1985/92 Schauspieler- Schiller-Thea- von Ekel gepackt-zu werden, ohne sich verantworteten Stückemarkts des Ber- ter, Theater am Kurfürstendamm, innerlich oder anderen öffentlich zu ver- liner Theatertreffens de Chirico: .. Das Stadttheater Würzburg, Theater der sichern, dass man sich von ihm distan- mittelmäßige Kunstwerk läuft kein Risiko Dramatischen Kunst Moskau, Kampnagelfabrik Hamburg, Winterhuder Fährhaus Harnburg 1989/91 Arbeit mit Anatolij Wassiljew Moskau 1991 Erwähnung als Nachwuchsschauspieler der Saison - Jahrbuc~ Theater heute 1992/93 Theaterregisseur- Freie Volksbühne Berlin, Kampnagelfabrik Harnburg 1993 .. Unser Dorfsoll schöner werden",· 23 Inszenierungen 1994 Mehrfache Erwähnung als Nachwuchsdramatiker der Saison Jahrbuch Theater heute Erster Preisträger des Wettbewerbs Sze'nisches Schreiben am Literarischen Co!!oquium Ber!in 1995 Drehbuch .. Stille Nacht" - Deutscher Wettbewerbsbeitrag Berlinale 1996 - Alfred-Bauer-Preis 1995 Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin 1995 "Wir lagen vor Madagaskar", 2 Inszenierungen 1996 "Sugar Dollies", 18 Inszenierungen 1997 Erwähnung als Nachwuchsdramatiker der Saison -Jahrbuch Theater heute 1997/98 Fernsehserie "Pension Silo Ranch" WDR 1998199 Drehbuch .. Sonne" mit Wolfgang Becker 1999 "Muttis Liste!- Ein Volksstück mit Musik", 1 Inszenierung 2000 "Hause of Shame - A private moment", 1 Inszenierung 2000 Playwright-in-residence in der · Villa Aurora Los Angeles 2000 "Deutschland ruft", UA frei 200ci "Klassentreffen", UA frei mehr. Den Künstlern ging die echte Leidenschaft verloren." und schreibt dann . weiter: .. Der Eifer, mit dem die ewig ,jungen' Künstler von 20-55 einander den Rang ablaufen, kennt nur ein Ziel, sie wollen originell sein, eine Persönlichkeit vorstellen und sich einen Namen -machen ... Offenbar sind Stücke a Ia ,Mordslust', ,Sugar Dollies' oder ,Gärten des Grauens' auf der Höhe der Zeit und geeignet, zur Standortbestimmung junger Dramatik beizutragen. Mir sind. die diffizilen, sensibleren, weniger kopflosen und vor allem weniger herzlosen Versuche von so unterschiedlichen Autoren wie zum Beispiel Werner Fritsch, Albert Ostermeier, Roland Schimmelpfennig oder Matthias Zschokke lieber." Die Autoren der zuerst erwähnten Texte, Wilfried Happel, Klaus Chatten und Daniel Call, verschweigt Völker. Im gleichen Jahr äußert Klaus Chatten in einem Interview in der Zeitschrift des Stuttgarter Theaters .. Die Rampe": .. Ich will eine eigene Position herausbekommen. Eine Haltung zu Themen. Es ist bei mir oft so, dass ein Gefühl vorhanden ist, das mir sagt, ich habe eine amoralischere Position zu einer Sache als die allgemeine Öffentlichkeit. Ich merke zum Beispiel, dass mich etwas, das ver- DRAMATURG 2/2000 J Seite 25 ziert oder, bestenfalls, dass man ihm mit distanziertem Interesse folgen könne. Und der krankhafte Impuls? Inwiefern trifft er hier die Allgemeinheit? Eben zur gleichen Zeit. als .. Deutschland ruft" fertiggestellt, vom Verlag angenommen "nd damit einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird, häufen sich- einmal wieder - die Ausschreitungen Deutscher gegen Ausländer, werden Verbote rechter Gruppierungen diskutiert, wetteifern die öffentlichen Medien mit Analysen, war~m das so (und vor allem im Osten so) ist, und befleißigen sich die Theater in Veranstaltungen a Ia .. Es geht schon wieder los!': Was gehtschon wieder los? Was ist schon immer da? .. Ich heiße Tom Hansen", sagt der Mann und stellt, während er von sechs deutschen Polizisten mit Clownsnasen brutal zusammengeschlagen ;vird, klar, dass wir ihn und seinen Anteil ander,Geschichte nicht mögen werden und dass wir vor allen Dingen kein.Mitleid mit ihm haben müssen, denn er ist bereits tot. Sein Anliegen ist es, uns die .,Initiation" seines Bruders Frank zu erzählen. Frank, der ein Jahr jünger als Tom ist und ihm-verblüffend ähnlich sieht, ist ein kühler norddeutscher Geschäftsmann, der gemeinsam mit der den darf dabei nicht, dass schon sein Erfolgs- Großmutter Charlotte das vom Großvater auf- stück "Sugar Dollies", inzwischen 18-mal insze- gebaute Firmenimperium für Märchenkassetten niert und damit eines der erfolgreichsten zeit- leitet. Charlotte, die graue Eminenz im Hinter- genössischen deutschen Stücke, mehrere Jahre grund, will, dass Frank seinen verschollenen gemieden wurde und sich erst nach der Urauf- Bruder Tom ausfindig macht, der von seinem führung im Ausland in. Deutschland durchsetzte Erbteil zurücktreten soll. Tom war als der (mit durch Zeitablauf deutlich gemilderter Ver- "bekannteste Neo-Nazi Deutschlands" unter letzungskraft). Schon dieser Text ist eine unge- anderem wegen gestandener (aber nicht began- wöhnliche, interessante Faschismus-Analyse, die gener) Lustmorde an Kindern und wegen · "Gewaltverherrlichung und Anstachdung zum ursprünglich den Untertitel "Regieanweisungen für Hitler" trug. Und'dass die Berührung mit der Rassenhass" zu vier Jahren Gefängnis verurteilt Fortsetzung "Muttis Liste!", nach heftigen Dis- worden, hatte-sich jedoch während der Haft kussionen 1999 uraufgeführt, weiterhin vermie- von der "Bewegung" losgesagt und war nach . den wird. seiner Entlassung untergetaucht. Frank nimmt Chattens jüngster Text ist vergleich- Toms Spur auf, er trifft sich mit dessen letzter bar mit Pasolinis "Die 120 Tage von Sodom". Die Freundin Angie. Obwohl schrill und durchge- voraussehbaren und bereits geäußerten Vorbe- • knallt, beeindruckt sie Frank und gibt ihm vor allen Dingen den entscheidenden Tipp, Tom sei halte gegen den Text legen vermutlich mehr über die Lebenslügen, Verklemmungen und Vor- in der New Yorker Schwulenszene zu finden. urteile der Lesenden offen als über den Text Frank fliegt in die Metropole, begegnet SAM (.,S selbst. and M"), Toms neuer und letzter Liebe. Sam Um den Bogen zu Völker und dessen zwingt Frank, in eine ihm zutiefst fremde Weit fatalem Missverständnis zu schlagen: Chatten sexueller Exzesse einzutauchen, in der er sich setzt seine Linie, die einfachen Wege zu vermei- völlig verliert. Schließlich erfährt er in einem den, verschärft fort. Diese hatte mit "Wir lagen von Tom effektvoll-größenwahnsinnig insze- vor Madagaskar" und "Unser Dorf soll schöner nierten Finale- das in seiner faschistoid-porno- werden" bereits recht kompromisslos begonnen graphischen Brutalität und seiner.Bedingungs- und führte zuletzt, im Januar und September losigkeit dem Leben gegenüber kaum zu über- 2000, konsequenterweise dazu, dass er sich treffen ist - die eigentlichen Hintergründe von seinem eigenen Text "Hause of Shame" im Toms Existenz. Chatten versucht eine eigene Faschis- . Maxim-Gorki-Theater und im Deutschen Theater Berlin auch als Darsteller zur Verfügung mus-Analyse. Da ist zuerst das erwähnte Hin- steli'te und·damit unmittelbar angreifbar mach- einhören in sich, da ist dann die intellektuelle te. Der Vorwurf der mangelnden persönlichen Ausdeutung, die jedem Leser als "Anmerkungen" Investition- von "Herz und Kopf'- trifft auf mit dem Text zur Verfügung gestellt wird, ver- ihn nicht zu, Chatten weigert sich, sich hinter mutlich auch, um Missverständnissen vorzubeu- Künstlerturn und Künstlichkeil zu verstecken: gen: "ln der Definition des Stückes ist Faschis- "Ich versuche, in dieser Arbeit kollektive Dämo- mus zum Religiösen hin stilisierte und subli- nen zu veröffentlichen und in Liebe zu verab- mierte homophob-homosexuelle Gewaltporno- schieden ... Faschismus ist meiner Meinung nach graphie", heißt es dort. Und in einer früheren nicht durch Dämonisierung, sondern nur durch Variante: "Ziel meiner Auseinandersetzung mit Identifikation und einem Grenze ziehenden Mit- Faschismus ist nicht der Wunsch zu schockieren gefühl beizukommen." (Aus nicht publizierten oder zu provozieren, sondern dem schockieren- Anmerkungen zum Text) den Aspekt dieses Themas gerecht zu werden." (Aus nicht publizierten Anmerkungen zum Text) Die Theater könnten sich jetzt eigentlich auf den Chatten-Text stürzen- und werden dies vermutlich nicht tun, trotz des derzeitigen Uraufführungs-Booms und der vergleichsweise hohen Bekanntheil des Autors. Vergessen wer- DRAMATURG 2/2000 l Seite 26 Die Herausforderung dieser Behauptung verlangt nach einer Antwort, auch auf der Bühne. Workshop 3, vorgestellt von Berit Schuck, DER DEUTSCHE POLIZIST ohrfeigt ihn links und rechts TOM locht Der POLIZIST will abtreten kommt zurück und ohrfeigt TOM noch einmal Diesmal heftiger TOM rührt sich nicht und sieht ins Publikum DER POLIZIST tritt ab Stille TOM Es gibt Schäferhunde und Schäferhundhalter Pause Es gibt Schauspieler und ihre Rollen Pause Es gibt Tollwütige und es gibt Anarchisten Pause Es gibt gute Schauspieler die halten ihre Rolle an der Leine wie ein Schäferhundhalter seinen Hund Mal kurz mal lang Der Hund ist die Rolle und der Schäferhundhalter ist der Schauspieler Sie spielen Bei schlechten Schauspielern sitzt der Schäferhund auf dem Kopf des Schauspielers Pause Es gibt tollwütige Menschen und es gibt Anarchisten 98 Prozent aller Menschen sind tollwütig Weil sie glauben sie sind sie selbst und nicht ihre Seele die sie spielt Anarchie ist gespielter Missbrauch Es kommen sechs DEUTSCHE POLIZISTEN mit Clownsnasen und mit Gummiknüppeln auf die Bühneundschlagen TOM ins Gesicht Studentin und frei.e Dramaturgin I Jan Linders, freier Dramaturg und Regisseur: ,.Das Kontingent" von Soeren Voima (Text) /Matteo Fargion (Musik) . "Das Kontingent" ist kein Drama, sondern ein Lehrstück. ln einem Vorspiel stellen zehn .. Spieler" zehn Menschen im ~lter von 30 bis 40 Jahren vor, die ihre individuelle und nationale Identität für eine besondere Aufgabe· aufgegeben haben. Sie haben sich - wir schreiben das Jahr 2035 - einer militärischen Elitetruppe angeschlossen, dem Kontingent, das die Menschenrechte durchsetzt. Doch sie stehen nun vor einem Kontrollorgan, dargestellt von einem Chor. Denn bei einem "humanitären Einsatz" im Kaukasus hat eine Soldatin des Kontingents einen Mitkämpfer getötet, einen jungen Amerikaner. ln Form einer Befragung zeigt und schildert das Stück, wie der Amerikaner aus Mitleid mit den Opfern des Krieges viermal die Einsatzregeln des Kontingents brach. Wie er, um für Gerechtigkeit zu kämpfen, gegen das internationale Recht verstieß. Wie er die Politik der Weltbank bloßstellte, statt auf sie zu bauen. Wie er die Bilder der Presse verdammte und deren Macht nicht nutzen wollte. Wie er die Kultur eines Volkes über das Völkerrecht stellte. Wie er aus Menschlichkeit das Prinzip der Nichteinmischung schließlich verletzte und wie die Soldatin ihn tötete, als Sicherheit und Ansehen des Kontingents gefährdet waren. Der junge Amerikaner: Wusstet ihr keinen anderen Weg? Oie Soldotin: Hilflos Ohne Hass Und ohne Reue, Voll Sympathie für sein Gefühl Doch wissenll um die Forderung des Rechts. Antworteten wir: Oie Soldatin: Nein. Oie Soldotin: Dann starb er, und wir Gingen zurück auf unsere Posten am Fluss DRAMATURG 2{2000 I Seite 27 Soeren Voima wurde Mitte der 90er Jahre. bekannt als kollektives Pseudonym einer Gruppe von Autoren und Dramaturgen aus dem Umfeld des Regieteams Tom Kühnei/Robert Schuster. Neben verschiedenen, sehr unterschiedlich geschriebenen Stücken publii1erte er zu Beginn der ersten Spielzeit des neuen TAT [1999/2000) ein Manifest gegen das ,.kritische Theater·: Voima ist der-· zeitdurchschnittlich 30 Jahre alt und arbeitet überwiegend in Frankfurt am Main. Stücke und Übertragungen: "Der Drache" [1996)• von Yevgenij Schwarz, Bearbeitung von Soeren Voima .. Aiice im Wunderland" (1997)• von lewis Carroll, Bühnenfassung von Soeren Voima unter del)l Titel "Aiice's Adventures Underground" ,,Antigone" (1997)" von Sophokles, aus dem ·Griechischen von Soeren Voima "Die jammervollste römische Tragödie von Titus Andronicus" [1998)•von William Shakespeare, Übersetzung und Bearbeitung von Soeren Voima ,.Deutsch für Ausländer" [1999) "Das Kontingent" [1999)• .. Welttheater" [1999/2000) Teil1 und 2 "Vertreten durch henschel SCHAUSPIEL Theaterverla·g Berlin Chor: Und euren Auftrag erfülltet ihr gilt. Die nicht gemeinsam leben konnten, Trenntet ihr glücklich. Sein Tod füllte mit Leben Erst euer Gesetz. Vorbehaltlos gegen jeden Setztet ihr es durch für alle. Langsam trat, doch unaufhaltsam An Steile von Gewalt und Willkür Das eine Menschenrecht. "Das Kontingent" erprobt nach fast siebzig Jahren noch einmal Form und Sprache von Brechts umstrittenstem Lehrstück, der jungen Mitkämpfer die nationale Identität eines Amerikaners. Schlussfolgerungen aus diesen Unterschieden zu ziehen, bleibt dem Zuschauer überlassen. · Brechts "Maßnahme" entwirft eine Form politischen Theaters, die "Das Kontingent", eine Wiederaufnahme, ein Laborexperiment, nur simuliert. Brechts Stück ruft nicht zu politischen Handlungen auf, sondern diskutiert politische Überzeugungen. "Das Kontingent" stellt diesen Entwurf politischen Theaters. zur Debatte. 7. Glauben Sie, dass eine solche Veranstaltung politischen Lehrwert für den Zuschauer hat? 2. Glauben Sie, dass eine solche Veranstaltung "Maßnahme" aus dem Jahr 1930/31. Dieser Bezug war für die Zuschauer und Kritiker der Uraufführung leicht erkennbar, auch wenn das Stück selbst ihn nicht ausweist. Nun ist die politischen Lehrwert für den Ausführenden Übermalung, Bearbeitung, Übertragung eines älteren Stücks eine schon erprobte Schreibstrategie Soeren Voimas. Bei diesem Verfahren ist nicht so sehr der Vorläufer, sondern die Bedeu- 4. Glauben Sie, dass die Form unserer Veranstal- tung interessant, die ein Stück durch den dramen-und theatergeschichtlichen Bezug gewinnt. Im Fall des "Kontingents" erzwingt er einen Vergleich der titelgebenden Militäreinheit, die den Blauhelmtruppen der UNO nachempfunden ist, mit der kommunistischen Partei der Zeit des Stalinismus. Dieser Vergleich wirft Fragen auf: Erfüllt das Kontingent eine ähnliche Funktion wie die kommunistische Partei? Ist die Erklärung der Menschenrechte das Kommunistische Manifest von heute? Doch "Das Kontingent" ist keine "Maßnahme': Breclits Lehrstück ist 1930 entstanden und nimmt zu dieser Zeit Stellung, "Das Kontingent" wurde im Jahr 1999 geschrieben und imaginiert die Zukunft. Die "Maßnahme" beginnt mit dem Auftritt der vier Agitatoren und des Chores, "Das Kontingent" inszeniert ein Vorspiel, das die Mitglieder des Kontingents einzeln vorstellt. Brecht rückt die Entscheidung für die Maßnahme ins Zentrum, Voima lenkt das Augenmerk auf das Wesen des Kontingents. Brecht lässt die Agitatoren gemeinsam töten, · Voima eine einzelne Soldatin des Kontingents den Mord begehen. ln der "Maßnahme" stirrimt ·das Opfer dem Mord selbst zu, im "Kontingent" stirbt der junge Amerikaner als Deserteur. Brecht entwirft den jungen Genossen als herkunftslosen bürgerlichen Intellektuellen, Voima verleiht dem DRAMATURG 2/2000.~ Seite 28 (also Spieler und Chor) hat? 3. Gegen welche in der "Maßnahme" enthaltenen Lehrtendenzen haberi Sie politische Einwände? tung für ihren politischen Zweck die richtige ist? Könnten Sie uns noch andere Formen vorschlagen? Bertolt Brecht, 1931 "Das Kontingent" wurde in der vergangenen Saison in·der Regie von Tom Kühne! und Robert Schuster uraufgeführt, als vierte und letzte Premiere der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin. Die Aufführung war eino Koproduktion der Schaubühne und des TATFrankfurt am Main, acht Schauspieler und Schauspielerinnen des TAT sowie zwei des Schaubühnen-Ensembles standen gemeinsam auf der Bühne. Von 26. bis 29. Oktober 2000 ist die Inszenierung nochmals am TAT in Frankfurt zu sehen. Außerdem gastiert sie am 12. November in New York- im Hauptgebäude der UNO. 8.5. Der Text ist über den henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin zu beziehen. wig, genannt Bongo, Anfang 30, Gerds Workshop 4, vorgestellt von Petra Thöring, Vereinigte Städtische Bühnen best.er Freund; Nina.-A:s beste Freundin, Mitte 20, Medizinstudentin und Joseph Pheres, A:S Vater, Anfang 60, Bonsai- Krefeld und Mönchengladbach, und Florian Vogel, Schauspiel Staatstheater Stu.ttgart: spezialist. Liest man das Personenver- ,.A. ist eine Andere" von Andreas Sauter und Bernhard Studlar zeichnis, dann taucht man mit einer Kenntnis über die Personen in das Stück ein, als ob man sie schon irgendwo einmal kennen gelernt hat, man glaubt es jedenfalls zu meinen. Sie reden in der Vergangenheit über den Tod von A. Wie sieht es eigentlich mit dem Begräbnis aus? Wie werden diese vier Personen sich einig über eine gemei!1same Trauerfeier? Je ne t'aime plus mon amour Je ne t'aime plus tous les jours Manu Chao Die Verse ..Je ne t'aime plus mon amour. Je ne t'aime plus tous les jours" wurden von den Preisträgern des diesjährigen Kleist-Förderpreises für junge Dramatik, dem Autorenteam Andreas Sauter und Bernhard Studlar, quasi als Assoziationszitat ihrem Stück .. A. ist eine Andere" vorangestellt. Die Verse verweisen in ihrer Schlichtheit schon thematisch und formal auf die besonderen Qualitäten des Stückes. Das Zitat ist simpel und eindringlich und wirkt keineswegs chic ... Je ne t'aime plus mon amour. Je ne t'aime plus tous Ies jours. /Ich liebe dich nicht mehr, mein Liebster. Ich liebe dich nicht mehr jeden Tag." Obwohl der kausale Bezug zwischen den beiden Versen - nämlich .. weil" unausgesprochen bleibt, erzählen diese zwei Verse etwas sehr Heutiges, sehr Einfaches: Es ist die Angst vor dem Nachlassen und Scheitern großer Gefühle. Die Angst vor dem Alltag, die Angst, keine Illusionen mehr zu haben, die Angst vor dem Verlust. Oder wie es im Stück heißt: ..Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir alle nur zwei Stunden leben, wie im Kino". Ihren sichersten und lebendigsten Platz haben Illusionen in Geschichten, im Glauben an Geschichten, im Erzählen von Geschichten. Die 5 Personen in .. A. ist eine Andere" sind solche Geschichtenerzähler: Es sind A., eine Frau, Ende 20; Gerd, ihr Mann, Ende 20, Architekt; Her- Andreas Sauterund Bernhard Studfor Foto Koroline Botinger Andreas Sauter geboren am 19. August 1974 in Zürich 1995 Grundschullehrerdiplom Danach freischaffend im Theater als Autor, Schauspieler und Regisseur 1997 ein Semester SChauspiel Akademie Zürich Seit April 1998 Studium ar1 der Hochschule der Künste Berlin ,.Szenisches Schreiben" Lebt in Berlin Gerd: Wir waren zusammen beim Bestattungsinstitut. Bongo hat sogar eine neue Krawatte gekauft. Grün mit Blumen. Irgendwelche weißen. Scheußlich. Der Bestotter war nett wie am Telefon. Hat sich gleich an mich erinnert. ..Ah, Herr Pides. Sie kommen wegen Ihrer Frau . Ich erinnere mich." Herwig: Für die ist das ganz normal; Gerd: Er wollte am liebsten alles im Stehen abwickeln. Dann haben wir uns doch gesetzt. Bongo hat geredet. Ganz feierlich. Bernhard Studlar geboren am 27. November 1972 in Wien 1991-96 Studium an der Universität Wien (Theaterwissenschaft, Philosophie, Germanistik, Publizistik) 1995-9_8 Dramaturg und Regieassistent am Theater der Jugend in Wien Seit April1998 Studium an der Hochschule der Künste Berlin "Szenisches Schreiben" Lebt in Berlin Werkbiographie Sauter a: Studlar "Zimmer im Pa_radies", Stück 1998 "Veronika oder die Tragödie einer Jungfrau", Groschenlibretto 1999 "A. ist eine Andere", Stück 1999 .. Büffelgras", Stück 199912000 ,.ALLABOUT MARY LONG", Trashlibretto 199912000 DRAMATURG 2/2000 l Seite 29 Herwig: Unglaublich was das kostet. 10.000. Für ein Durchschnittsbegräbnis. Es war nicht einfach. Wir hatten beide keine Ahnung. Die hinter der Trennwand haben den Text für die Todesanzeige besprochen. Parte heißt das .. Also haben wir damit angefangen. Sag ich: Was kommt da so drauf. Sagt er: Das ist ganz individuell. Gerd: Und schaut mich an. Ich wusste ja nicht. Sollte man das mit dem Selbstmord erwähnen? Herwig: .. Haben Sie eine Vorlage?" Gabs nicht. Wir schauten uns die Beispiele in der Auslage an ... "Nar:h langem schwerem Leiden." Gerd: Das kann man nicht nehmen. Herwig·: "Sanft entschlafen" geht auch nicht. Gerd sah Scheiße aus. Ganz .bleich. Ich hab mich dann für "Völlig unerwartet qus dem Leben gegangen" entschieden. Das fand der Bestotter auch gut." Nur nicht die Wahrheit erzählen. Dieses Thema ist uns irgendwie vertraut und gleichzeitig sehr fremd und nicht wirklich in unserer Gesellschaft- der Tod. wird meist versteckt. Aber dann passiert etwas sehr Merkwürdiges im Stück: Das eigentliche Vertrautsein mit den Figuren, diese fast zärtliche Nähe, löst sich in eine Art Kriminalfall auf: Man ist einerseits A. auf der Spur, verfolgt andererseits Lebensspuren derer, die A. kannten -ihr Freundeskreis. Und so ist A. immer da, immer präsent, in den Köpfen und im Stück. Die wohl merkwürdigsten Spuren, die A. im Stück hinterlässt, sind ihre Briefversuche an ihren Mann Gerd. Das Stück ist durchwoben von diesen Briefversuchen - sind es Rückblenden?- sie kommen immer wieder, und in ihrer Skizzenhaftigkeit verunsichern sie uns- es ist unmöglich, A. zu durchschauen: Briefversuch 7 A.: Liebster Gerd. Ich weiß, wie blöd sich diese Anrede in unserem Alter anhört. Aber es ist so. Gerd. Ich habe heute kapiert, dass ich dich nie mehr so lieben werde wie jetzt. Scheißdreck. Briefversuch 2 A:. Ich machs aus Liebe. Wie soll ich das alles sogen, Gerd? Gerd. Gerd. Gerd. Gerd: Wir haben uns zufällig auf der Straße getroffen. Ich dachte; sie kommt nicht mehr. Problem arabesque. Den ganzen Abend redeten wir darüber. A.: Weißt du, wie sein Klang. Arabesque. Gerd: Ist das ein Spiel? A.: Nein mehr. Die Suche nach dem Schlüssel, den niemand hat. Aber da ist ein Spiegel dazwischen. Du siehst dich und willst zu dir. Briefversuch 6 A.: Ich liebe dich nicht mehr mein Liebster. Ich liebe dich .nicht mehr jeden Tag. Manchmal möchte ich sterben, um nichts mehr zu haben. Die Angst, Dich nie mehr wieder zu sehen. Ich liebe Dich. Manchmal möchte ich sterben, um nichts mehr · zu wissen. Durch diese Erzählstruktur entsteht e.ine Kriminalistik des Erzählens, die durch die Bruchstückhaftigkeit der Erinnerungen Lust zur Kombination, zur Vervollständigung und Ergänzung in uns weckt. Jede Figur befindet sich in ihrem ganz eigenen Erzählkosmos und erscheint zunächst als ein isoliertes Individuum, unfähig, in direkten Kontakt mit seinem Gegenüber zu treten. Singles. Aber nicht einsam, denn die besondere Qualität des Stückes liegt darin, Geschichten und Bruchstücke von Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven· miteinander zu vernetzen, dabei ein kausallogisches Netz zu spannen, das aber selbst unausgesprochen bleibt und "in. den Köpfen der Zuschauer entstehen kann . .Das Netz als virtuelle Größe. Die dialogische Form Ist weitgehend ausgespart, statt dessen werden die einzelnen Geschichten und Erinnerungen der Figuren auf eine raffinierte und subtile Art gegenüber gestellt oder in scheinbar dialogische Beziehung gesetzt. Einzelne Geschichten beg·mnen dann miteinander in einen Dialog zu treten und DRAMATURG 2/2000 I Seite 30 trösten~ führen in ihrer Vernetzung eben zu jenem Trugschluss, A. habe sich das Leben genommen Das Bild, das sich aus den unterschiedlichen alle sind schließlich irgendwie miteinander vernetzt (Rede von Petra Thöring und Florian Vogel perspektivischen Erzählsplittern, aus den Erinnerungen der Figuren zusammengesetzt hat, ist falsch, die Frau, die sie beerdigt haben, ist eine Andere, und "A. ist eine Ani:lere" - A. hat überlebt, sie spriCht zu uns, uns Zuschauern, und erzählt am Ende des Stückes, was wirklich geschah. ·Bei allden Erinnerungen tritt.bei den Figuren immer mehr zum Vorschein, d'ass A. in ihrem Leben uns· einen ganz bestimmten Ausschnitt beschreibt. Es gibt ein Leben vor A., und es wird auch ohne A. weiter gehen. Das Stück ist ein bestimmter Ausschnitt aus einer bestimmten Zeit, behauptet nicht mehr. Und das macht die Qualität des Stückes aus. Es ist kein formales Herumspielen mit Ästhetikeh und Zeitäußerungen. Es ist ein Stück Anatomie, oder wie es die Autoren Sauter und Studlar im Stück selbst beschreiben, in einer der wenigen wirklich dialogischen Passagen: an lässlich der Verleihung der Kleist-Förderpreises am 29. Juli 2000 in Frankfurt/Oder) Gerd: Fischschnitt Man schneidet ein Trapez in den Oberkörper, um den Brustkorb anzuheben. Herwig: . Wie bei einer Motorhaube. Nina: Das kann man nicht vergleichen. Herwig: Sicher. Die Zylinder sind die Organe. Und das Herz ist die Batterie. Logisch. Durch die ganz eigene Erzählform, die in ihrer Struktur an die moperne irische Dramatik erinnert, wie etwa Conor McPherson, erzeugen die beiden Autoren Sauter und Studlar eine besondere Spannung durch Auslassung von Bindegliedern zwischen den einzelnen Geschichten. Es ist die kriminalistische Lust, Mosaiksteine zu einem Bild zusammenzusetzen. Die Geschichten verbinden sich, scheinen auch ein Stück weit über den Verlust der totgeglaubten A. hinweg zu DRAMATU~G 2/2000 I Seite 31 Die Uraufführung findet am 10. März 2001 im Städtischen Theater Chemnitz statt. Der Text kann über den henschel SCHAUSPIEL Theat.erV~rlag Berlin bezogen werden. V 0 N DER SZ ~.N I SCH EN LES U N G ZUR URAUFFUHRUNG: DAS UAT IN DRESDEN von Heike Müller-Merten Dr. Heike Müller-Merten, Chefdramaturg in des Staatsschauspiels Dresden und Vorstandsmitglied der Dramaturgischen Gesellschaft, berichtet hier in eigener Sache -. und zur Vorbereitung der Schlussveranstaltung unserer Jahrestagung am Sonntag, 3,12. ab 14 Uhr: "Wie gewinnt das Theater dauerhaft neue Autoren?" Auch die darauffolgenden Hinweise auf vier weitere Unternehmungen zur Autorentindung und -förderung gehören zum Thema.' UAT- Das Kürzel ist schnell erklärt: Ura uffüh ru ngstheater. Dahinter verbirgt sich ein Modell, das bereits in den sechziger Jahren in England erfunden wurde und insbesondere seit den Neunzigern Blüten getrieben hat. Viele bemerkenswerte neue Stücke aus der Feder bis dato unbekannter englischer und irischer Autoren eroberten die Bühnen, zunächst in den Vereinigten Königreichen, dann in anderen Ländern Europas. "Write A Play!" -so schallte der Aufruf des Royal Court-Theaters in die Industriemetropolen und Kleinstädte, flatterte per Flyer ebenso in Kneipen wie in Schulen und Universitäten. Und es fanden sich Leute, die dem Ruf folgten. Sie schrieben Stücke mit einer Perspektive auf die Weit, die sich von jener der (Literatur-)lnsider erheblich unterschied. Manche dieser Autoren haben noch nie in ihrem Leben ein Theater von innen gesehen; nie ein Stück gelesen. Sie leben anders und sehen folglich anders und Anderes; sie haben neben ihren eigenen, uns fremden Denksystemen eine andere Sprache und Schreibe. Als die Wellen der New British Plays über den Teich geschwappt kamen, war da plötzlich eine Dramatik "in", die von den Rändern der Gesellschaft kam und von eben diesen erzählte. Die Stücke von Connor McPherson, Sarah Kane oder Mark Ravenhill wurden auch in Deutschland viel gespielt. Begabte Theaterautoren, die sich abseits der gängigen Schreibmuster bewegen und deren Talentproben noch nicht mal den Weg in die Schubladen de"r Theater finden, gibt es, wenngleich unter wesentli.ch anderen Vorzeichen, auch in Deutschland. Das behauptete eine Gruppe von Künstlern um den bereits "durchgesetzten" und viel gespielten ostdeutschen Dramatiker Oliver Bukowski und den Regisseur Harald Siebler. Im Jahre 98 unternahmen DRAMATURG 2/2000 I Seite 32 Bukowski Et Co. den Versuch, das englische Modellkleid nachzuschneidern bzw. es deutschen Verhältnissen anzupassen. Noch vor einem Jahr behauptete Bukowski: "Anders als in gegenwärtigen Pressetendenzen beschrieben (vor allem Ostermeier im ,Jahrbuch Theater heute'), gibt es keine Konjunktur neuer deutscher Dramatik an den Schauspielhäus-ern des Landes. Nach der Mode, vor allem britische Autoren landauf landab zu spielen, widersetzen sich bundesweit eine Reihe von Initiativen dem Pauschalvorwurf, der neuen deutschen Dramatik mangele es an Bühnenfahigkeit. Wie die Spielpläne beweisen, scheiterten diese Interessenverbände fast ausnahmslos noch vor den Türen des Theaters. Wenn überhaupt, hat neue deutsche Gegenwartsdramatik weiterhin nur eine Feigenblattfunktion gegenüber Subventionsgebern und Presse. Oftmals durch unerfahrene Regisseure mit ,Notfallbesetzungen' (welche/r Schauspieler/in ist denn noch frei?) schnell und billig auf Nebenbühnen inszeniert, spärlich beworben und bald wieder abgesetzt, sollen neue Autoren und Stücke vor allem nicht stören, nicht die feuilletonträchtige Klassikerinterpretation, schon gar nicht den Binnenbetrieb des Theaters selbst. Wiewohl alle anderen Theaterschaffenden von öffentlichen- Mitteln leben und arbeiten, bleibt der Autor auf die Erlöse des Kartenverkaufs angewiesen und zudem noch ohne Stim~e; der eigentliche Urheber des Gegenstandes allen Bühnengeschehens ist, wie Enzensberger scharfsinnig bemerkte, der ,überflüssigste aller Außenseiter. Er hat im Thenter nichts zu sagen; man nimmt an, dass er das Seinige schon gesagt hat. Er ist das fünfte Rad am Wagen und wird nur aus Gutmütigkeit geduldet, auch wenn die meisten Regisseure zu höflich sind, um ihm diese Tatsache unter die Nase zu reiben:" Inzwischen ist der Stellenwert der Gegenwartsdramatik in Deutschland zwar im Die letzte Herbst- Wachsen begriffen, und ein paar Bühnen halten turgin und ein Journalist beurteilen die ein- kollektion des UAT sich sogar wieder ihren "Hausautor", der seinen gesandten Texte. fand in Dresden am 28./29. Oktober statt. Im März 2001 startet die neue 'Frühjahrskollektion. Einsendungen werden permanent Brötchengeber exklusiv mit zeitgenössischen Circa acht Autoren werden pro Jahr Stücken versorgt. (Womit sich eine neue Proble- mit ihren Texten ausgewählt für eine szenische matik verknüpft, auf die hier nicht näher einge- Lesung am Dresdner StaatsschauspieL Im Diskurs gangen werden kann, nämlich schreiben für mit Schauspielern, einem Mentor und einem einen Auftraggeber.) erfahrenen Regisseur können diese Autoren ihre Aber im Großen und Ganzen be- entgegen.genommen. Stücke weiterentwickeln. Schließlich werden die schränkt sich Autorenförderung in Deutschland im Ergebnis eines mehrtägigen konzentrierten nach wie vor auf wenig mehr als Preis- und Sti- Arbeitsprozesses überarbeiteten Texte einem Szenisches Schreiben, pendienvergaben ohne Anbindung an das Thea- Publikum, bestehend aus Theatermachern, Ver- Oliver Bukowski, ter oder reduziert sich.auf eben jene Hausauto- legern, der Fachpresse und den interessierten renschaften, welche Theater und Autor wechsel- Zuschauern präsentiert: Jeweils im Frühjahr und seitig nur auf die eine "Ehe" festlegen. im Herbst gibt es Uraufführungen in Form von Kontaktadressen: HdK Berlin I Ernst-Reuter.,.Piatz 10, 10587 Berlin; Heike Müller-Merten, Postfach 120752, 01008 Dresden, Tel.: 0351-49 13 936, Fax:'0351-49 13 951. Es braucht neue Anstrengungen, Autoren zu suchen, zu finden und zu fördern. knapp geschnittenen szenischen Lesungen: Bei bewusstem Verzicht auf das Vorführen von Und es braücht neue Vermittlungstechniken, um großer Theatermaschinerie und bei Vermeidung die Stücke auf ökonomisch vertretbare und den- von Regie-Arabesken soll die Sprache bzw. die noch wirkungsvolle Weise einem interessierten Dramaturgie, also die klare Linienführung, die. Publikum vorzustellen bzw. langfristig ein Publi- Aufmerksamkeit bestimmen. Es gilt das Werk- kum zu i'nteressieren. Hier setzten 1998 die praktischen statt-, nicht das Premierenprinzip. Szenisch gele.sen wird folglich ein Text im weiter fortgeschrit- Bemühungen der Berliner um das UAT an. Ins tenen Arbeitsstadium, nur selten die Endfassung. Zentrum der Aufmerksamkeit rückte der unbe- Wie die erfolgreiche Erprobung des Modells kannte zeitgenössische deutsche bzw. deutsch- durch das UAT in Berlin und Dresden bewies, ist sprachige Autor, der noch nicht im großen Lite- dazu ein hohes Maß an Streitkultur und Kompe- raturbetrieb verankert ist und weder über einen tenz vonnöten, vor allem jedoch das Bewusst- Verlag noch über die Option einer Bühne ver- sein,.im Dienste des Autors zu stehen. Jede Art fügt. Profilierungsambition Einzelner gefährdet das Über den zunächst erfolgversprechen- Ergebnis. Die zeitliche Konzentration der Proben den Transfer der Royal-Court-Methode institu- wirkt bewusst allen verständlichen Neigungen tionalisierte sich das UAT in Berlin; Es gab eine zur "Über"-lnszenierung entgegen. Dem Autor erste Serie von Uraufführungen in Berliner hingegen sind während der Arbeitsproben jeder- Spielstätten; Autoren machten mobil, Verlage zeit verbindliche Änderungen seiner Vorlage und Theater begannen zu reagieren. Dann gestattet; er erläutert diese, berät und probt mit jedoch scheiterte das Projekt am Geld bzw. an dem Regisseur und Darstellern möglicherweise der Kulturpolitik der Metropole. auch Versionen und wird dabei von einem Men- 1999 bot das Staatsschauspiel Dres- tor unterstützt [ein erfahrener Dramatiker, Dra- den dem UAT eine neue Heimstatt an. Ein sub- maturg, Fachdozent oder Regisseur). Während ventionierter Staatsbetrieb übernahm die finan- die Darsteller sich vor allem aus der Perspektive zielle und künstlerische Mitverantwortung für ihrer jeweiligen Rolle äußern, hat der Regisseur die kontinuierliche Entwicklung neuer Dramatik. darüber hinaus den gesamten Meinungsbil- Permanent werden junge Schreiber dungsprozess so theaterpraktisch wie ergebnis- ermuntert, ihre Texte einzusenden. (Einzugs- orientiert zu lenken; er inszeniert nicht im her- bereich für neue Texte ist der gesamte deutsch- kömmlichen Sinne, er richtet beratend ein. sprachige Raum. Aus diesem sollen auch die Autoren stammen.) Sie übergeben ihre dramati- (Die Szenische Lesung als· eigenständige Form der Bühnenkunst ist in Deutschland schen Arbeiten einer Fach-Jury zur Lektüre. Die noch kaum entwickelt. Sie als solche zu etablie- Jury zur Lesereihe setzt sich aus Vertretern eines ren, könnte ein lohnender Nebeneffekt dieser breiten Spektrums zusammen: Zwei Dramatiker, Veranstaltungsreihe werden. Dazu hat Jörg zwei Regisseure, ein Schauspieler, eine Drama- Mihan auf dem Ende September stattfindenden DRAMATURG 2/2000 I S!!ite 33 Berliner Symposium "Die SZENISCHE LESUNG Wie kann weniger mehr sein?" ein interessantes Nina Achminow arbei- Statement abgegeben.) Die Präsentation in einer szenischen Lesung,von Schauspielern getragen, hatte in Dresden großen Erfolg. Drei der fünf vorgestell- Theater als lnspizienti.n ten Autoren sind mit ihren Stücken bei Theaterverlagen, und alle drei werden bereits gespielt. Eine Bilanz, die positiv stimmt. Aber erst Kontinuität ermöglicht es, gemachte Erfahrungen umzusetzen. Deshalb setzen die UAT-Veranstalter auf mehrjährige Zusammenarbeit mit. der Theaterinstitution. Die Initiative UAT Berlin-Dresden bleibt dabei offen und flexibel genug, um mit vielen verschiedenen Autoren zu arbeiten, und sie ist so ausgerichtet, dass sie dem einzelnen Dramatiker ein intensives und ausdauerndes Zusammenwirken mit dem Theater garantiert. Das Staatsschauspiel Dresden und das UAT Berlin planen ab dem zweiten Jahr ihrer Zusammena.rbeit auch eine Kooperation bei jährlich mindestens einer Uraufführung am Haus. Für die Zeit der Inszenierung ist der Autor wieder mitproduzierendes Ensemblemitglied. Bei dieser Arbeit werden sich Regisseur tet am Renaissanceund organisiert die lunatischen· Lesungen. Ihr Stück "Pawelke", erschienen 1999 im BERLINER LUNATISCHE LESUNGEN von Nina Achminow Per H. Lauke Verlag, wurde für den LenzPreis 2000 nominiert . . und Darsteller in vergleichbarer Weise wie bei der Vorbereitung einer Szenischen Lesung mit dem Autor auseinandersetzen, aber dessen Einflussmöglichkeiten beschränken sich verständlicherweise. Ein Beistand von Sponsoren und· Mäzenen (Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank und der mit 10 000 DM dotierte Förderpreis für Autoren der Jürgen Ponto-Stiftung) ist nahezu unverzichtbar. Nur so kann beispielsweise die Anwesenheit von Mentoren, Schauspielern, Regisseuren und vor allem Autoren im künstlerischen Erarbeitungsprozess finanziert werden. Seit 1998 veranstaltet die Autoreninitiative Theater Neuen Typs im RenaissanceTheater ihre Lunatischen Lesungen. ln VollmondNächten zeigt das TNT in szenischen Lesungen auf der Bühne und im Studio des RenaissanceTheaters Texte junger deutschsprachiger Theaterautoren und -autorinnen. Als vor zwei Jahren beinahe zeitgleich zwei Autoreninitiativen, das Theater Neuen Typs unter der Leitung von Daniel Ca II, Sirnone Schneider und Thomas Oberender und das Uraufführungstheater unter der Leitung von Oliver Bukowski und Harald Siebier mit Lesungen zeitgenössischer deutscher Theatertexte, an die Öffentlichkeit traten, freute sich Petra Kohse in der taz über "Leute, die Augen im Kopf haben und schreiben können" und konstatierte: "Die Figur des Jahres im deutschsprachigen Theater ist der Dramatiker. (... ) Wo früher mit Strauß Handke - Müller - Jelinek alles angedeutet war, weiß man jetzt gar nicht, wohin man sich wenden soll. (...) schiere Masse ist über)Vältigend." Während damals der Blick auf neue deutsche Theatertexte noch die Ausnahme schien, gehören mittlerweile szenische Lesungen zeitgenössischer Theatertexte zum Programm vieler· Bühnen. Die Form reicht dabei von der schlichten Lesung am Tisch bis zur Autorennacht mit Event-Charakter. Die Lunatischen Lesungen des TNT im . Renaissance-Theater, das uns den Raum zur Verfügung stellt und uns, soweit möglich, durch Sachmittel unterstützt, sind in diesen zwei Jahren zu einem festen Begriff geworden. Unter den Autoren, deren Texte hier vorgestellt wurden, stehen neben bekannteren Namen wie Theresia Walser, Moritz Rinke, Lutz Hübner, Beate Heine, Jenny Erpenbeck, Alexej Schipenko, Daniel Ca II und Sirnone Schneider auch Newcomer wie Gesine Danckwart, Melanie Gieschen und Mare Becker, die inzwischen ihren Weg in die Spielpläne zahlreicher Theater gefunden haben. DRAMATURG 2/2000 I Seite 34 Um die Sensation der Uraufführung geht es uns bei unserer Auswahl nicht. in erster Linie teilen wir unsere Lust am Theatertext Die Beschränkung auf einfache szenische Mittel ist dabei pragmatische Notwendigkeit und programmatischer Anspruch zugleich, und die Auswahl der Projekte bleibt subjektiv begeistert statt objektiv abgesichert. Die Lunatische Lesung im Juli 2000 zum Beispiel, die AlexejSchipenko mit seinen Studenten des Studiengangs Szenisches Schreiben an der HdK gestaltete, knüpfte an den ursprünglichen Gedanken eines Labors an, in dem Texte. sich im Austausch der Autoren mit Regisseuren, Schauspielern und Musikern entwickeln. Herausgekommen ist dabei keine Lesung, sondern ein dichter, sinnlicher Theaterabend. Und wie geht es weiter? Das Theater Neuen Typs, ein virtuelles Autorentheater, ein Netzwerk Theaterschaffender? Viele Ideen und Entwürfe lassen sich ohne finanzielle Absicherung nichfweiterentwickeln .. Mit den Lunatischen Lesungen jedoch, als von einem von Autoren organisierten Forum für Autoren, geht es weiter- diesmal mit einem brandneuen Text: Interesseriten an der Dra matiker-Werkstat( ·die nichtälter als 35 · sein sollten, bewerben GOTTINGER DRAMATIKER WERKSTATT sich mit einem noch nicht aufgef.ührten Text (keine Monologe!) bis zum 15. November 2000 am Deutschen Theater in Göttingen, . Stichwort cc Dra mati kerwerksta ttll, Theaterplatz 11, 37073 Gött!ngen. Rückfragen und weitere Informationen: Bernhard GloCksin, Chefdramaturg Deutsches Theater in Göttingen, Theaterplatz 11, 37073 Göttingen, Tel.: 0551-496934,. Fax: 0551-496958 Am ~0. November stellen wir das neue .Stück von Thomas Oberender vor. DER KLEIST -FÖRDERPREIS FÜR JUNGE DRAMATIK 2001 Im Jahr 2001 wird der Kielst-Förderpreis für junge Dramatik zum 6. Mal von der . Dramaturgischen Gesellschaft Berlin und der Kleist-Stadt Frankfurt (Oder) vergeben. Der Preis ist mit 15 000 DM dotiert. Mit diesem Preis ist eine Uraufführungsverpflichtung verbunden. Theater, die an der Übernahme der Uraufführung interessiert sind, melden sich bitte bis Ende November bei der Dramaturgischen Gesellschaft. Über die Vergabe der Uraufführung entscheidet die Mitgliederversammlung am 2. Dezember 2000. Das prämierte Stück "A. ist eine Andere" der Kleist-Förderpreisträger 2000 Sauter und Studlar wird vom Theater Chemnitz am 10. März 2001 uraufgeführt. DRAMAT~RG. .. 2{2000 I Seite 35 Sie lädt "zwei Generationen" von Dramatikern zur Zusammenarbeit und Praxiserkundung ins Deutsche Theater Göttingen (DT) ein: einen bereits "durchgesetzten" sowie zwei junge Autoren zu Beginn ihrer Laufbahn. Die Werkstatt umfasst zwei Phasen. ln der ersten schreibt der "arrivierte" Autor als Auftragswerk ein StUck, das sich thematisch auf den Ort Göttingen und/oder das DT-Ensemble bezieht. Mit di~sem Stück, dilS das DT umgehend aufführt, ist er als Autor im Spielplan präsent. ln der zweiten, anschließenden Phase wählt er als Mentor zwei junge Kollegen aus und ·erarbeitet in verschiedenen Phasen eine szenische Präsentation der Texte. Die erste Göttinger Dramatiker Werkstatt wurde wesentlich durch John von .Düffel geprägt. Als Auftragswerk schrieb er über den "ewigen Studenten" die Farce "Das lOOste Semester oder Shooting Sense': .Für die Spielzeit 2000/2001 wird Lutz Hübner, ausgehend von intensiven Recherchen, einen Theatertext über den Tod der Göttinger Studentin Conny W. im Jahre 1989 verfassen. Das bis heute hochbrisante Thema lädt zur öffentlichen Diskussion nicht .. nur der Göttinger Lokalgeschichte (politische "Krawalle" verwandeln die Stadt in den Ausnahmezustand), es wirft zugleich einen Blick auf deutsche Verhältnisse am Ende der 80er Jahre. Im zweiten Teil der Göttinger Dramatiker Werkstatt stehen die jungen Autoren im Zentrum. Aus den Bewerbungen einer bundesweite~ Ausschreibung wählt Hübner zwei Dramatikerinnen aus, die als Gäste am DT in mehreren Arbeitsphasen ihre Texte mit Schauspielern szenisch überprüfen und abschließend der Öffentlichkeit in einer Werkstatt-Inszenierung vorstellen. Geplant ist diese Präsentation für Anfang Juni 2001. Lutz Hübner, Jahrgang 1961, ist als Autor des Stückes "Das Herz eines Boxers" sowie · der oben genannten Auftragsarbeit mit dem Titel "Ausnahmezustand" in unterschiedlichen Genresam DT zu Gast. DIE LESUNG am Volkstheater Rostock ln der Spielzeit 1998/99 initiierte und gestaltete der freie Dramaturg und Autor Axel Preusz am Volkstheater Rostock DIE LESUNG. Mittlerweile geht die Reihe szenischer Lesungen in ihre 3. Spielzeit. Vorgestellt werden unbekannte wie schon namhafte Autorlnnen, deren Stücke zum Zeitpunkt der Lesung noch nicht zur· Uraufführung gekommen sind. Gelesen werden die Texte vom Ensemble des Volkstheaters und Studenten der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Die öffentliche Premiere eines noch frischen Textes sowie die Möglichkeit für Ensemble, Autorln und Publikum, nach jeder Lesung miteinander zu diskutieren, schaffen einen Laborcharakter, der Anregung mit Kritik und Diskussion mit Unterhaltung verbindet. Merlin Verlag 21397 Gifkendorf Nr. 38 fon 04137·7207 fax 04137-7948 www.merlin-verlag.de "Wir haben die Wirklichkeit,. brauchen wir denn die Gegenwart auf der Bühne?"; "Ist dieses Theaterstück mehr als nur ein künstlerisches Experiment?"; ",nteressiert dieses Stück überhaupt genügend Zuschauer?" - unter Fragestellungen wie diesen sind bisher folgende Autorinnen vorgestellt worden: Axel Preusz, Beate Heine, Uwe Gössel, Klaus Chatten, Kajetan Dyrlich, Daniel Ca II, Thilo Reffert, David Gieselmann, Klaus Pohleder, Torsten Buchstein er, Andreas Laudert, Margareth Obexer, Katharina Schlender, Oliver Hohlfeld, Marjo Eick und Kristo Sagor. Seit der Spielzeit 1999/2000 bringt das Volkstheater jährlich mindestens einen der vorgestellten Texte zur Uraufführung. So hob sich bisher der Premierenvorhang für "CRASH" von Klaus Rohleder in der Volkstheater-Werkstatt sowie für Uwe Gössels "Kutteln" im Ateliertheater. ln der Kritik beider Uraufführungen schrieb "Theater der Zeit" (9/2000): ",Kutteln. Gericht. Vier Gänge' von Uwe Gössel in der Regie von Uli Jäckle ist in gewisser Weise ein Gegenentwurf zu ,CRASH: Hier erzeugt der Text nicht ein abstraktes Gebilde zur assoziativen Antizipation einer individuellen Geschichte, sondern thematisiert eine reale Begebenheit als dramatische Voriage ... Die Texte markieren in ihrer Unter- schiedlichkeit die Spannbreite der deutschen Studiengang Szenisches Schreiben der Berliner Gegenwartsdramatik." DIE LESUNG kooperiert mit dem Forum Junge Dramaturgie der Dramaturgischen Gesellschaft, dem Uraufführungstheater (UAT) am Staatsschauspiel Dresden, dem Theater Neuen Typs (TNT), Berlin, und dem Hochschule der Künste. Interessierte Autoren und Dramaturgen wenden sich bitte an Peter Spuhler oder Uwe Gössel. Volkstheater Rostock: [email protected] AUS DER REGELSAMMLUNG: Zum Aufführungsvertrag zwischen Verlagen und Theatern Der Deutsche Bühnenverein und der Ver- band deutscher Bühnenverleger haben sich auf eihe Regelsammlung verständigt, die allerd.ings - schon aus kartellrechtlichen Gründen - keine Ver- bindlichkeit besitzt. sonqern nur. eine Art Handreichung darstellt. Wir drucken hier ·Auszüge daraus- als Material zur Debatte am Samstag, 2. Dezember vormittags. Diese Sammlung enthält unverbindliche Feststellungen darüber, wie sich zur Zeit die·geschäft- Annahme des Vertragsangebotes im Besitz des Verlages befindet. Wenn von der Bühne Ände- lichen Beziehungen zwischen den Theatern und Verlegern abwickeln, ohne dass eine Verpflichtung bestünde, diese Regeln allgemein oder im Einzelfall anzuwenden. [...] Es ist die Sache jedes einzelnen Theaters und jedes einzelnen Verlages, ·ob und inwieweit bei Vertragsabschlüssen, etwa aus Gründen der Geschäftsvereinfachung und zur Vermeidung umfangreichen Schriftwechsels, die Regelsammlung oder Teile davon zum Gegenstand der Einzelvereinbarung gemacht werden sollen. [,,,] rungen an dem Vertragsangebot des Verlages angebracht werden, wird der Vertrag erst wirksam, wenn der Verlag entweder die von ihm unterzeichnete geänderte Vertragsfassung zurückgesandt oder sich innerhalb einer Frist von 14 Tagen nicht geäußert hat. 2.2 Der Verlag steht der Bühne gegenüber für die Aufführungsrechte ein und stellt sie von berechtigten Ansprüchen Dritter frei. 2.3 Der Verlag haftet nicht für Nachteile der Bühne aus unberechtigten Aufführungen. Er wird jedoch gegen von ihm nicht genehmigte Aufführungen Dritter vorgehen, falls erforderlich auch gerichtlich. 2 AUFFÜHRUNGSVERTRAG · 2.1 Über die Vergabe und den Erwerb von Aufführungsrechten an dramatischen Werken wird ein Aufführungsvertrag geschlossen. 2.1.1 Der Verlag übersendet derBühne ein 2.4 Im Aufführungsvertrag soll ferner geregelt werden, 2.4.1 bis zu welchem Termin sich die Bühne späC testens zur Aufführung des Werkes verpflichtet, 2.4.2 zu welchem frühesten Termin die Bühne zur Aufführung des Werkes berechtigt ist, Vertragsangebot 2.1.2 Mit Übersendungdes Vertragsangebots teilt der Verlag der Bühne eine angemessene Frist mit, während der er sich an sein Vertragsangebot gebunden hält. 2, 1.3 Abgeschlossen ist_ der Aufführungsvertrag, wenn sich die mit der Unterschrift der Bühne versehene Vertragsausfertigung oder eine ·schriftliche (auch telegrafische) Bestätigung der DRAMATURG 2/2000 I Seite 37 2.4.3 welche Laufzeit der Vertrag hat, 2.4.4 welcher Gerichtsstand für das Vertragsverhältnis zwischen Verlag und Bühne Gültigkeit hat. 2.5 Die Bühne ist verpflichtet, das Werk in den vertraglich vereinbarten Spielstätten und Gastspielorten sowie innerhalb der vertraglich festgelegten Fristen zur Aufführung zu bringen. 2.6 Der Verlag kann der Bühne unentgeltlich ein Broschur. DM 22,-/öS 161,- /sfr 20,-.ISDN 3-88661-228-1 Das Gipfeltreffen der beiden deutschen Diven Marlene Dietrich Und Leni Riefenstahl: Ein nächtlicher Ringkampfwird zu einem Vexierspiel zwischen Hausfrau und Amazone, androgynem Vamp und asexuellem Naturkind. LANGE NICHT MEHR Broschur. DM 22,~/0S There~ia 161,~/sFr 20,~. ISBN 3-88661-231-7 Walsers neues Stück fängt mit Witz und Feinsinn ein Lebensgefühl ein, das in der glitzernden Warenweit keinen Platz hat. Zwei S/ück11. Broschur. DM 26,~/öS 190,~ /sFr 24,~./S~N 3-88661-229-5 Arne Sierens ist einer der bedeutendsten Theatermacher der jüngeren Generation in Belgien. Die beiden Stücke dieses Bandes stehen exemplarisch für sein Werk . PER H. LAUKE VERLAG Neue Stücke - Eine Auswahl . NEUE STÜCKE- EINE AUSWAHL Peter Ackerman . SAG'S NICHT NACH MITTERNACHT Deutsch von Udo Schürmer 20,4HI1 Oek. Claude d'Anna/Laure Bonin EIN ECHTER ROSSINI 2 0, 5 H I 1 Oek. Jean Barbier MEINE FRAU IST VERRÜCKT 40,4HI1 Oek. Sam Bobrick KENNST OU MICH NOCH? Deutsch von Wolfgang Spier 20,2HI1 Oek. Ben Elton BLAST FROM THE PAST Deutsch Von Frank-Themas· Mende 1 D, 1 H I 1 Dek. Heinz-Dieter Herbig EIN KLITZEKLEINER TANTENMORD 2D,3H/1 Dek. William Link/Richard Levinson COLUMBO: MORD AUF REZEPT Deutsch von Wolfgang Spier 3D, 4 H 12 Dek. Horst Pillau DIE ANDERE SEITE 2 D. 6 H I 1 Dek. Paul Rudnik DIE TOLLSTE GESCHICHTE ALLER ZEITEN Deutsch von Herbert Schäfer 4 D, 5 H I 1 Dek. Lawrence Roman HEIRAT WIDER WILLEN Deutsch von Wolfgang Spier 2D,3HI1 Dek. Pierre Sauvil EINMAL SONNE FÜR ZWEI Deutsch von Manfred Langner 1 D, 1 Hl1 Dek. James Sherman VON HAUS ZU HAUS Deutsch von Manfred Langner 3D I var. Di3k.· Bernard Slade VIELLEICHT, VIELLEICHT AUCH NICHT Deutsch von Herbart Bötticher 2D,2HI2Dek. Gerold Theobalt BELAMI 4 D, 4 Hlvar. Dek. kll Baron M UTI'Eim\ (; Dl'ubch von Ingl' Grl'iffcnhagl'n und lktliJl:l nm Lt'tljll\.'chting 6 IJ. I H I var. DcL Brian Friel EIN MONAT AUF DEM LANDE Dl'utsdl von Frank (ilimher 5 D. 7 H /2 Dek. Janust. Glowad:i DIE VIERTE SCHWESTER D..:ub..:h '<"HI) Birg.ill Woitg.l' -J. D. 10 H (i'vkhrfachhesert.g.J I var. Dek. AR. Gurney LABOR DAY Deu!Sdt von H:ms \Vehl'r 2 D, :1 H I I Dt:k. C.Jthl'rine Jolmson SHANG~A~l.ANG Deutsch vun ivlichad Raah 3 D. .l I1/ I Dek. -~ -r:--- D:lgtlbertl.indlau Kl!liiiENI'LAGE 2 D. 3 II/ I Dl'k. Craig Lut':ls \\'\\'W.Erzcngc].t'OIII Dt:urseh von Frank-Thtllllas ivknde I D. .lll/ Grumldl'k. 'i!:IT!.!Ilt:t' i\.'il"N:JIJy CORPUS CHRISTI Dt•t!lseh von Jngt' Cin:illenlwgen \'Hn Lcnprc(h\ing l.l H I I IJek. um\ lktlinu Alfrcd Uhry DIE LETZTE NACHT DES BALLYHOO Deutsch von ln~rid Rend1cr 4 D.] H /l Cirunddek. Chc Walkl'r l.ANG IS'I''S HEl{ IJcu!Sch VI)]] lain Galhraith ~ D. 3 H I l lkk. --J>ERH:-LAtiKEVERI;AG J);:uncnstiftstral.k 7 · XOJ3J München (0~9) 26 60 29 ·Fax (0X9) 260 45 14 Tel. befristetes Optionsrecht für weitere zu benen- rung und unberechnet einzusenden; nende Gastspielorte einräumen. Die Option ist 3,6 dem Urheber und dem Verlag auf Verlangen innerhalb der festgelegten Frist schriftlich aus- je zwei gute Plätze zu jeder Aufführung unent- zuüben. geltlich zur Verfügung zu stellen. Die Anforde- 2.7 Die Bühne ist nicht berechtigt, die Auffüh- rung soll bis spätestens 12 Uhr mittags des rung des Werkes durch Bildschirm, Lautsprecher Aufführungstages bei der.Bühne eingegangen oder ähnliche technische Einrichtungen öffent- sein. Das Recht auf Freikarten entfällt für Frei- lich wahrnehmbar zu machen. Gestattet ist der tag, Sonnabend und alle gesetzlichen Feiertage, Bühne jedoch die Wahrnehmbarmachung der nicht aber bei Voraufführungen und Premieren. Aufführung des Werkes für betriebsinterne Die Plätze dürfen von dem Urheber und dem Zwecke, einschließlich der Wahrnehmbarma- Verlag nicht missbräuchlich, insbesondere nicht chung für zu spät kommende Besucher, die im Besitz einer gültigen Eintrittskarte sind. Dies ist jedoch stets nur innerhalb des Theaters zulässig. ·Soweit hierbei Rechte in Anspruch genommen · gegen Entgelt weitergegeben werden; 3.7das Bühnenwerk rechtzeitig anzukündigen und angemessen zu propagieren. in Programmheften/ aufTheaterzetteln, Ankündigungen und werden, die nicht in der Verfügungsbefugnis des bei sonstiger Werbung ist das Werk mit vollem Verlages liegen oder die den Rahmen des Aufc Titel unter Nennung aller Urheber, ggf. des/der führungsvertrages überschreiten, werden sie Bearbeiters, zu bezeichen, sofern nicht von durch diese, Regel nicht berührt. Einzelangaben, auch der mitwirkenden Personen, ganz oder überwiegend abgesehen wird. Im Pro- 3 BESONDERE PFLICHTEN DER BÜHNE grammheft bzw. auf dem Theaterzettel ist auch der Verlag zu nennen. Die Bühne ist verpflichtet, 3.8 Ankündigungen der Aufführung eines Büh- 3.1 die Aufführung angemessen vorzubereiten nenwerkes sollen vorher dem Verlag mitgeteilt und das Werk angemessen im Spielpfan auszu- werden. nutzen; 3.2 Änderungen des Werkes und seines Titels · 4 BESONDERE PFLICHTEN DES VERLAGES ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages zu unterlassen, es sei denn, dass der Verlag Der Verlag ist verpflichtet, seine Einwilligung dazu nach Treu und Glauben 4.1 das Werk aufführungsreif zur Verfügung zu nicht versagen kann. in Zweifelsfällen hat die stellen, sofern nicht anders vereinbart; Bühne die Änderung dem Verlag mitzuteilen; 4.2 auf Änderungsvorschläge der Bühne unver- 3.3 die geplante Besetzung der Hauptrollen und züglich zu antworten. den Namen des Regisseurs und des Dirigenten [...] auf Wunsch dem Verlag mitzuteilen; bei Urund wichtigen Erstaufführungen sind etwaige Gegenvorschläge nach Möglichkeit in Betracht zu ziehen; 3.4 dem/den Urheber/n, dem Verlag oder deren Vertreter/n die Teilnahme an den Proben in angemessenem Umfang und in angemessener Weise zu ermöglichen und ihnen zu diesem Zweck auf Wunsch den Probenplan mitzuteilen; 3.5 dem Verlag den Termi~ der ersten Aufführung, sobald er angesetzt ist, rl)öglichst aber acht Tage vor der ersten Aufführung, mitzuteilen und am Aufführungsorterscheinende Tageszeitungen einzuladen und deren Berichte über die Aufführung mit Quellenangaben sowie drei Programmhefte und -soweit vereinbart- zwei Plakate unverzü~lich ohne besondere Aufforde- DRAMATURG 2/2000 I Seite 39 IN HALT EDITORIAL/ ZUR TAGUNG 2. Umschlagseite DRAMATURGIE IM SPANNUNGSFELD ZWISCHEN AUTOR, VERLAG UND THEATER Material: Aus det Regelsammlung PROGRAMM DER BERLINER TAGUNG Seite 1 zum Aufführungsvertrag Seite 37 OFFENSIVE DRAMATURGIE? von Dagmar Borrmann Seite 2 FERNSEHFILM? TV-MOVIE? REALITY-SOAP? Gibt es noch eine Dramaturgie des deutschen Fernsehfilms? von Knut Hickethier Seite 4 DASFORUM JUNGE DRAMATURGIE UND DIE WORKSHOPS MIT AUTOREN Seite 22 Mare Becker .,U.S.-AmoK" Klaus Chatten .,Deutschland ruft" EINLADUNG ZUR MITGLIEDERVERSAMMLUNG Seite 25 der Dramaturgischen Gesellschaft Soeren Voima .,Das Kontingent" Samstag, 2. Dezember, 17 Uhr, . Seite 27 in den Clubräumen der Akademie der Künste Andreas Sauter und Bernhard Studlar Berlin, Hanseatenweg 2 Seite 23 IMPRESSUM Dramaturgische Gesellschaft (OG) Geschäftsstelle: Tempelherrenstraße 4 10961 Berlin Telefon: 030-693 24 82 Telefax: 030-693 26 54 Geschäftsführung: Henning Rischbieter Vorstand: Manfred Beilharz (Vorsitzender) Anne Schöfer (stel!ver- . tretende Vorsitzende) Dr. Heike Müller-Merten Wolf Bunge Horst Busch Peter Spuhler Manfrcd WcbciRedaktion: Henning Rischbieter .,A. ist eine Andere" Seite 29 WIE GEWINNT DAS THEATER DAUERHAFT NEUE STÜCKE? Tagesordnung: 1) Berichte von Vorstand und Geschäftsführung Hinweis auffünf Initiativen: 2) Bericht der Kassenprüfer · Von der szenischen Lesung zur 3) Entlastung des Vorstands Uraufführung: das UAT in Dresden 4) Entlastung der Geschäftsführung von Heike Müller-Merten 5) Kleist-Förderpreis für junge Dramatik- Seite 32 Ausschreibung für 2001, Berliner Lunatische Lesungen Ort der Uraufführung Seite 34 Kleist-Förderpreis für junge Dramatik 6) Was sollte die Dramaturgische Gesellschaft tun? Pläne und Initiativen . Seite 35 7) Ort der nächsten Jahrestagung Grafische Gestaltung: Marion Meyer, Büro für Gestaltung, Berlin Göttinger Dramatiker Werkstatt 8) Mitgliedsbeiträge Seite 35 9) Wahl des Vorsitzenden ISSN Nr. 1432-3966 Seite 36 Die Lesung am Volkstheater Rostock DRAMATURG 2/2000 I Seite 40 1O) Wahl der übrigen Vorstandsmitglieder Zielsetzungen Dramaturgische Gesellschaft Die Dramaturgische Gesellschaft (dg) ist ein Zusammenschluss der im Bereich der Darstellenden Künste und ihrer Medien Theater, Film, Fernsehen, Hörfunk u. a. Tätigen und Interessierten. Ihre Aufgabe ist die Diskussion und Formulierung künstlerischer und gesellschaftspolitischer Vor- · stellunge~ und die Wahrung und Durchsetzung beruflicher Interessen. Sie versucht, möglichst viele der in diesem Bereich arbeitenden und interessierten Personen und Gruppen zu sammeln, ihren Austausch untereinander zu fördern und ihre Arbeit zu dokumentieren. Arbeitsweisen Die Zielsetzung der Dramaturgischen Gesellschaft soll erreicht werden u. a. durch: -die Förderung des Erfahrungsaustausches und des Zusammenwirkens der Mitglieder und anderer Interessierter: - durch die Veranstaltung von Jahrestagungen, die abwechselnd in verschiedenen Theaterstädten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stattfinden, -durch die Veranstaltung von Dramaturgischen Tagen, die jeweils unter einem bestimmten Thema stehen, -durch Diskussions- und Vortrags- veranstaltungerl zu grundsätzlichen und aktuellen Problemen, - durch die Heraus~abe der Zeitschrift "Dramaturg" (Nachrichtenbrief der dg) und durch die Herausgabe der Schriftenreihe der Dramaturgischen Gesellschaft; -sowie durch: die Bildung von Arbeitsgruppen, in denen Mitglied_er und andere lntere.ssierte dramaturgische Teilbereiche bearbeiten; - die Veröffentlichung von Stellungnahmen zu kulturpolitischen und dramaturgischen Entwicklungen; - die Vermittlung von Auskünften Die Dramaturgische Gesellschaft versteht Dramaturgie im weitesten Sinne des Wortes als Vermittlung zwischen .Darstellender Kunst und ihren Produktionsformen. Sie befasst sich mit dramatischer Literatur, mit Theater- und Medientheorie, mit Publikum und Öffentlichkeit. Die Darstellenden Künste und ihre Medien unterliegen einem Veränderungsprozess. Neue technologisch bedingte lnfo(mations- und Kommunikationssysteme etablieren sich und treten in Konkurrenz zu den bisherigen. Die ökonomischen und k_ulturpolitischen Bedingungen für die Darstellenden Künste ver- zu dramaturgischen Fragen; -die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Verbänden. Arbeitsgruppen Zu einzelnen Fragen und Problemfeldern können von den Mitgliedern Arbeitsgruppen gebildet werden, die sowohl ad hoc als auch langfristig Themen erarbeiten und öffentlich wirksam machen. Forum Junge Dral!'aturgie Seit Januar 1997 gibt es innerhalb der Dramaturgischen Gesellschaft Schärfen sich. Zugleich fordern neue, teilweise alternative Formen der Theater-, Film-, Videoproduktion die Künste und i~re bestehenden Institutionen heraus. ln der ästhetischen und kulturpolitischen Diskussion stehen jedoch dramaturgische, ästhetisch-konzeptionelle und künstlerisch-ges~llschafts­ pOiitische Fragen bislang noc~ allzu oft im Hintergrund und Werden von technischen und parteipolitischen Interessen überdeckt Die Dramaturgische Gesellschaft will sie stärker- ins öffentliche Bewusstsein· rücken. das Forum junge Dramaturgie. Die Idee war, einen ?esprächsraum zu schaffen, der jungen Dramaturgen und anderen -Interessierten die Gelegenheit b.ietet, jenseits von pragmatischen Entscheidungen des Theaterbetriebs neue Stücke zu 1eser1 und diese gemeinsam mit den Autoren zu diskutieren. Inzwischen kommen Verlags- und Schauspieldramaturgen, Regisseure und Studierende aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den Gesprächen, die alle acht Wochen stattfinden (Termine kann man erfragen unter 0171/803 87 08). Dramatu1g1sclle Gesellschaft Antrag auf Mitgliedschaft Einzugsermächtigung Ich möchte der Dramaturgischen Gesellschaft beitreten. lcll ermächtige die Dramaturgische Gesellschaft widerruflich, den von mir zu entrichtenden Jahresbeitrag in Höhe von :_:__ ··-.. __ 'bei Fälligkeit zu Lasten meines KontOs eillZuziellen. Weist mein Konto die erforderliche Deckung nicht auf, bestellt seitens des kontoführenden Instituts keine Verpflichtung zur Einlösung. Name, Vorname Mitgliedsbeitrag Der Jahresbeitrag beträgt seit dem 16.11.1993: Alte Bundesländer persönliche Mitglieder DM 120,(ermäßigt 42,-) korporative Mitglieder DM 415,Neue Bundesländer persönliche Mitglieder DM 72,(ermäßigt 36,-) korporative Mitglieder DM 249,- Telefon/Telefax Österreich persönliche Mitglieder öS 842,(ermäßigt 295,-) E-mail korporative Mitglieder ÖS 2919,Schweiz persönliche Mitglieder- SFr 143,(ermäßigt 50,-) korporative Mitglieder SFr 494,- Bitte in Druckschrift ausfüllen . • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • -:.•.• •. :o . :o. ·~-~ ": ......... "'- .............. •.• •:• •••• -"'-"' .• 'f'_ •,• "',• •.• -·. -~ !". Dram~turgische Gesellschaft •"' -:-.-.• .... -: ·-~- "·" •.• .. _.._. •.:-.•. '!.• .•. -:-·-"'- ••••• "'. '!"'. '":.•. •. Mitglieder Vorstand (seit November 1998): Dr. Manfred Beilharz, Bann (Vorsitzender)· Anne Schäfer, Leipzig {stellv. Vorsitzende) Dr. Heike Müller-Merten, Dresden Wolf Bunge, Magdeburg Horst Busch, Münster Peter Spuhler, Rostock Manfred Weber, Frankfurt/Oder Geschäftsführung: Henning Rischbieter_ Geschäftsstelle: Dramaturgische Gesellschaft Tempelherrenstraße 4, D- 10961 Berlin Telefon 030/693 24 82 Telefax 030/693 26 54 Postbank Berlin BlZ 100 100 10 Kto Nr. 7769 100 Die Dramaturgische Gesellschaft ging 1956 aus dem 1953 entstandenen Dramaturgischen Arbeitskreis hervor. Von der Gründung an vesteh(sie sich als eine Gesellschaft, die keine parteipolitischen und gewerblichen Ziele verfolgt. Waren in ihr zunächst nur die auf dem Gebiet der Dramaturgie tätigen Personen vereinigt, so versteht sich die Gesellschaft seit ihrer Satzungsänderung im Jahr 1972 als eine Vereinigung von Praktikern und Theoretikern und versucht verstärkt, nicht nur diejenigen anzusprechen, die aus beruflicher Tätigkeit, sondern auch die, die aus persönlichen Gründen an Fragen der Dramaturgie interessiert sind. Die Gesellschaft hat gegenwärtig ca. 400 persönliche und 50 korporative Mitglieder. Mitglied kann jede natürliche oder juristische Person werden, die im Sinne der Gesellschaft tätig ist. Die Mitgliedschaft sollte schriftlich beantragt werden. ············································································~··········!························································ Lieferbare Publikationen Schriften ci DM 70,t-:s Tournee-Theater, 1975 Frredrich Schultze, 1975 , Steuerreform und Theaterfinanzierung, 1976 !'~·:J 25 Jahre Dramaturgische Gesellschaft, 1978 Theater von heute - Räume von gestern, 1979 ;;:.:; Sprache und Sprechen, 1979 ?;\;' Ist das Theater noch zu retten?- Politische Wende""' Theaterwende?, 1984 Unlust ~n Erstarrung - Lust auf Veränderung (Schauspiel Musiktheater), 1985 i~~J Bestellung i';:~ Brauchen Fernsehspiel und Hörspiel eine neUe Dramaturgie?, 1986 Deutsche Dramaturgieals Beispiel?, 1986 Hfinrr Miillf'r /I Jnterh::~ltuna im Theater, 1987 ::\1 Tanztheater I MOrdsweiber I Koltes, 1990 e.: Sturz vom Sockel? Künstlerische Arbeit in den Medien der DDR, 1991 Theaterarbeit Ost/West, 1994 Dramaturgie heute, 1996/97 Herausforderungen zu Grenzüberschreitungen, 1998 :::·:i Jahrestagung Dresden 1999 · · Einzelveröffentlichungen ci DM 8,Theater in Berlin nach 1945, 1984 Frauen im Theater {FiT): J)okumentation 1984 Frauen im Theater (FiT): Dokumentation 1985 ·c:'} Frauen im Theater (FiT): Bitte schicken Sie mir die angekreuztein Veröffentlichung/en zuzüglich Versandkosten an folgende Adresse: Anschrift Dokumentation 1986/87 Nachrichtenblatt i5 DRAMATURG lieferbar ab 1985 Einzelheft ci DM 5,Doppelheft ci DM 70,- Ort, Datum Unterschrift Bitte in Druckschrift ausfüllen.