Die Behandlung von Jugendlichen mit Leistungs

Werbung
Originalarbeit · Original Article
Verhaltenstherapie
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
DOI: 10.1159/000095553DOI: 10.1159/000095553
Online publiziert: 5. Oktober 2006
Die Behandlung von Jugendlichen mit Leistungsstörungen mit dem SELBST-Programm – Kurzzeiteffekte
Daniel Walter
Manfred Döpfner
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Universität zu Köln, Deutschland
Schlüsselwörter
Verhaltenstherapie · Adoleszenz · Selbstmanagement ·
Leistungsstörungen · Multimodale Therapie
Key Words
Cognitive-behavioral therapy · Adolescence · Self-management · Academic underachievement · Multimodal treatment
Zusammenfassung
Hintergrund: Schulleistungsstörungen sind im Jugendalter
weit verbreitet und stellen eine erhebliche Gefährdung für
die weitere psychosoziale Entwicklung dar. Schulprobleme,
die nicht ausschließlich durch Begabungsdefizite oder Teilleistungsstörungen erklärbar sind, nehmen hierbei eine herausragende Stellung ein. Patienten und Methoden: Zur effizienten Behandlung dieser Zielgruppe wurde ein multimodales, kognitiv-behaviorales Behandlungskonzept in Form
eines Therapeutenmanuals entwickelt, das Bestandteil des
Therapieprogramms für Jugendliche mit Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen SELBST ist. Das Modul zu
Leistungsstörungen besteht aus verschiedenen Bausteinen
und integriert jugendlichen-, eltern- und lehrerzentrierte
Interventionen. Die Therapiebausteine wurden an einer
Stichprobe von 8 Jungen und 2 Mädchen im Alter zwischen
13 und 16 Jahren erprobt. Die einzelfallanalytische Evaluation des Behandlungsprogramms erfolgte als Statusdiagnostik zu Behandlungsbeginn und -ende sowie in Form wöchentlicher Verlaufserhebungen über den gesamten Behandlungsverlauf. Ergebnisse: Zu Beginn der Behandlung
zeigten die untersuchten Jugendlichen neben schulischen
Problemen häufig expansive Auffälligkeiten, zum Teil auch
ängstlich-unsichere Verhaltensanteile. Sowohl die deskriptive, einzelfallanalytische als auch die gruppenstatistische
Analyse verweisen auf eine deutliche Reduktion der Schulleistungsstörungen sowie komorbider Probleme unter der
Behandlung im Selbst-, Eltern- und Lehrerurteil. Schlussfolgerungen: Ein auf die individuelle Problematik der Jugendlichen zugeschnittenes multimodales Vorgehen unter Einbezug der Bezugspersonen scheint für eine zufriedenstellende
Behandlung erforderlich. Einschränkungen der Aussagekraft
der Studie resultieren vor allem aus der kleinen Stichprobe,
einer fehlenden experimentellen Kontrolle sowie dem Mangel an unabhängigen Beurteilern. Zur Absicherung der hier
gewonnenen ersten Hinweise auf die potentielle Wirksamkeit des Behandlungsmanuals ist eine Replikation der Untersuchung erforderlich und wünschenswert.
Summary
Treatment of Adolescents with Academic Underachievement using the SELBST Program – Short Term Effects
Background: Academic underachievement is wide spread in
adolescence and constitutes a considerable risk for further
psychosocial development. Achievement problems that are
not caused by general intellectual impairment or specific
learning disorders such as reading disorders are particularly
relevant. Patients and Methods: For an efficient treatment of
these youngsters a multimodal, cognitive-behavioral treatment approach was developed which is part of the treatment program for adolescents with disturbed self esteem,
achievement and relationships (SELBST). The modul
‘achievement problems’ comprises several parts and integrates adolescent-, parent- and teacher-focused interventions. Within a case-series study 10 adolescents, 8 boys and
2 girls aged 13 to 16 years, were included. Pre- to postchanges and weekly assessed ratings by youngsters, parents and teachers were analyzed. Results: At pre-treatment,
considerable achievement problems as well as comorbid
externalizing behavior and, to a lesser degree, also internalizing problem behavior were found. At post-treatment, a
considerable reduction of achievement problems as well as
comorbid externalizing and internalizing symptoms as rated
by youngsters, parents and teachers were found. Conclusions: A multimodal treatment approach that is individually
tailored to the demands of each youngster and includes parents and teachers is necessary to achieve satisfying treatment results. The validity of the present study is limited because of the small sample size, the lack of a control group
and the lack of independent ratings. Further research using
a randomized controlled design is necessary to confirm the
promising results of our study.
© 2006 S. Karger GmbH, Freiburg
Fax +49 761 4 52 07 14
E-mail [email protected]
www.karger.com
Accessible online at:
www.karger.com/ver
Dipl.-Psych. Dr. Daniel Walter
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie des Kindes- und
Jugendalters der Universität zu Köln
Robert-Koch-Str. 10, 50931 Köln, Deutschland
Tel. +49 221 478-6439, Fax -3962, E-mail [email protected]
Leistungsstörungen bei Jugendlichen
Der Begriff «Leistungsstörung» wird in der Literatur uneinheitlich verwendet. Folgt man einer Definition und Einteilung
von Lauth [1999], so äußern sich Lern- und Leistungsstörungen als Minderleistungen beim zielgerichteten, absichtsvollen
Lernen. Die gewünschten Fertigkeiten wie z.B. Lesen oder
Rechnen werden trotz angemessener Lernangebote nicht in
ausreichender Qualität, mit ausreichender Sicherheit oder in
der dafür vorgesehenen Zeit erworben. Es lassen sich vier
Formen von Leistungsstörungen unterscheiden: (1) globale
Lernstörungen, z.B. geistige Behinderung; (2) inhaltlich umschriebene Leistungsstörungen, z.B. Lese-RechtschreibSchwäche (LRS); (3) Lernstörungen infolge situativer Umstände, z.B. Leistungsabfall nach Trennung der Eltern; (4)
Minderleistungen, die nicht ausschließlich durch Begabungsdefizite oder situative Umstände erklärbar sind, z.B. unzureichende schulische Leistungen trotz angemessener Beschulung
und durchschnittlicher Intelligenz. Diese vier Gruppen schließen sich nicht gegenseitig aus, häufig lassen sich Überschneidungen feststellen.
Schulleistungsstörungen sind bei Jugendlichen weit verbreitet.
So wiederholten in Deutschland im Schuljahr 2004/2005 insgesamt mehr als 170 000 Schüler (2,9%) an weiterführenden
Schulen, größtenteils aufgrund unzureichender Leistungen die
Klasse [Statistisches Bundesamt Deutschland, 2005]. Immer
mehr Schüler verlassen nach 10 Pflichtschuljahren die Schule,
darunter immer mehr Schüler ohne Hauptschulabschluss [Statistisches Bundesamt Deutschland, 2002; BMBF, 2001]. Über
ein Drittel der 15-Jährigen in Deutschland weist eine Schulkarriere auf, die durch Zurückstellungen, Klassenwiederholungen oder Rückläufe gekennzeichnet ist. Wie die PISA-Studie zeigte, liegt Deutschland im internationalen Vergleich in
allen untersuchten Bereichen unterhalb des Durchschnitts.
Hierbei fand sich eine überdurchschnittlich hohe Streuung,
die auf einen hohen Anteil von schwachen Schülern hinweist,
denen ein relativ hoher Anteil von leistungsstarken Schülern
gegenübersteht. Besonders bei Kindern aus sozial schwachen
Schichten ist der Anteil leistungsschwacher Schüler hoch
[Baumert et al., 2001].
Schulleistungsstörungen bei Jugendlichen bedeuten eine erhebliche Gefährdung der weiteren Entwicklung. So zeigt z.B.
die Kurpfalzerhebung, die fast 400 Kinder ab einem Alter von
8 Jahren bis zum Alter von 25 Jahren begleitete, eindrucksvoll
auf, dass Leistungsstörungen des Jugendalters ihren Beginn
häufig bereits im Kindesalter nehmen, eine hohe Persistenz
aufweisen und mit erhöhten Komorbiditätsraten, vor allem im
expansiven Bereich einhergehen. Kinder und Jugendliche mit
Schulleistungsstörungen (vor allem LRS) waren mit 25 Jahren
häufiger ohne Berufsabschluss bzw. arbeitslos und wiesen eine
hohe psychiatrische Gesamtauffälligkeit auf, vor allem im dissozialen und Suchtbereich [Esser et al., 2000, 2002]. Schulleistungsstörungen scheinen jedoch auch die Wahrscheinlichkeit
für internalisierende Störungen zu erhöhen [Resch, 1999;
258
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
Groen und Petermann, 2002] und die Beziehung zu den Eltern sowie das Selbstwertgefühl deutlich zu beeinträchtigen
[Münchmeier, 2001].
Neben hohen persönlichen Belastungen verursachen Schulleistungsstörungen auch erhebliche Kosten für die Gesellschaft. Betrachtet man die Gruppe der Klassenwiederholer,
so investiert beispielsweise Nordrhein-Westfalen pro Jahr und
Sitzenbleiber etwa EUR 4140,– [Verband Bildung und Erziehung – Landesverband NRW, 2001]. Nimmt man diesen Wert
als Grundlage für eine Gesamtkalkulation auf Bundesebene,
so resultiert ein Kostenaufwand von etwa EUR 703 800 000,–
für das Schuljahr 2004/2005. Die Folgen für den Arbeitsmarkt
dürften ebenfalls erheblich sein, da die Wiederholer ein Jahr
später in den Arbeitsmarkt eingebunden werden und somit
dem Sozialsystem wichtige Beitragszahler entgehen. Darüber
hinaus stellen Schulprobleme einen erheblichen Kostenfaktor
im Gesundheitssystem dar, sind sie doch häufig Vorstellungsanlass in kinder- und jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Einrichtungen.
Diesen alarmierenden Befunden steht eine fast unüberschaubare Anzahl an Trainings, Förder- und Coachingprogrammen,
Lernratgebern usw. gegenüber, die im weitesten Sinne schulbezogene Interventionen mit einbeziehen. Einige richten sich
an Lehrkräfte zur Verbesserung der Unterrichtsmodalitäten
oder als Ratgeber an Eltern, in der Hauptsache richten sich
diese Maßnahmen jedoch an Schüler jeder Alters- und Klassengruppe. Ein großes Manko dieser Fördermaßnahmen besteht in der unzureichenden Indikationsstellung sowie im Fehlen geeigneter diagnostischer Instrumente [Holz-Ebeling,
2001]. Außerdem bleiben dabei vielfach der Aufbau von Leistungsmotivation, der Transfer in den Alltag, die Stabilisierung
der erreichten Effekte sowie der Miteinbezug von Eltern und
Lehrern unberücksichtigt. Eine weitere Schwäche liegt in der
fehlenden theoretischen Fundierung, darüber hinaus sind die
meisten Interventionsprogramme nicht oder unzureichend
evaluiert.
Für globale, inhaltlich umschriebene sowie Lern- und Leistungsstörungen infolge situativer Umstände liegen zumindest
teilweise evidenzbasierte Interventionen vor [vgl. Leitlinien
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 2003]. Für die große, heterogene
Gruppe der Jugendlichen mit Schulleistungsstörungen, die
nicht allein durch Begabungsdefizite oder situative Umstände
erklärbar scheinen, sind bislang keine geeigneten Interventionen publiziert bzw. evaluiert worden. Die betroffenen Jugendlichen zeigen trotz angemessener Beschulung unzureichende
schulische Leistungen, wodurch die Versetzung, mitunter der
Verbleib auf der weiterführenden Schule insgesamt gefährdet
sind. Häufig zeigen sie mangelnde Anstrengungsbereitschaft
bzw. Leistungsmotivation, mitunter leistungsbezogene Ängste.
Weitere Auffälligkeiten bestehen sich im organisatorisch-planerischen Bereich. So gelingt es ihnen z.B. nicht, den schulischen Stoff angemessen nachzuarbeiten oder sich auf Prüfungen hinreichend vorzubereiten. Auch zeigen sich gehäuft man-
Walter/Döpfner
1
Screening der Eingangsbeschwerden,
Informationsvermittlung Ablauf
2
Multimodale Diagnostik: Erfassung
individueller Probleme/ Kompetenzen
sowie Belastungen/ Ressourcen im Umfeld
3
Erhebung der Problemdefinitionen und
Störungskonzepte aller Beteiligten,
Behandlungsindikation
4
Ziel- u. Verhaltensanalyse, Stärkung von
Änderungsmotivation, Konsens über
Störungskonzept und Zieldefinition,
Interventionsplanung
5
Durchführung von Interventionen
6
Zwischenevaluation, Zielerreichung
7
Stabilisierung, Rückfallprävention
Abb. 1. Die 7 Behandlungsphasen des Therapieprogramms SELBST
[modifiziert nach Rademacher et al., 2002].
gelnde Mitarbeit oder unangemessenes Störverhalten im
Unterricht. Lang andauernde schulische Misserfolge führen
darüber hinaus nicht selten zu ausgeprägten fachspezifischen
Wissenslücken, die die schulische Entwicklung zusätzlich beeinträchtigen.
Das Therapieprogramm SELBST
Die verhaltenstherapeutische Behandlung von Jugendlichen
nimmt in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie eine
Sonderstellung ein [Döpfner und Walter, 2002]. Dies ist zurückzuführen auf die vielfältigen körperlichen und psychischen Veränderungen sowie Veränderungen der Sozialbeziehungen von Jugendlichen. Jugendliche sind mit wichtigen Entwicklungsaufgaben konfrontiert, die es in nur wenigen Jahren
zu bewältigen gilt. Häufig findet sich bei Jugendlichen ein
Konglomerat von Symptomen aus unterschiedlichen Störungsbereichen, die sich mit Hilfe der ICD-10 nur unzureichend abbilden lassen. Die Vielfältigkeit der Symptome hat
zur Folge, dass störungsspezifische Interventionen in der
Regel nicht die gewünschten Erfolge zeigen. Aufgrund von
SELBST-Programm für Jugendliche mit
Leistungsstörungen
bereits lange andauernden Misserfolgen in unterschiedlichen
Lebensbereichen sowie von Erwartungsängsten in Bezug auf
die Behandlung zeigen Jugendliche zu Beginn meistens eine
unzureichende Behandlungsmotivation. Ohne aktive Mitarbeit der Jugendlichen sind hinreichende Therapieerfolge jedoch kaum zu erzielen. Auch die Arbeit mit Bezugspersonen
wie Eltern oder Lehrer ist von großer Wichtigkeit.
Das multimodale Therapieprogramm SELBST – ein Therapieprogramm zur Behandlung von Jugendlichen mit Selbstwert-,
Leistungs- und Beziehungsstörungen [Döpfner und Walter,
2002; Rademacher et al., 2002; Walter et al., 2006] trägt den
genannten Besonderheiten Rechnung. Es ist störungsübergreifend, modular aufgebaut, problem-, lösungs- und ressourcenorientiert und integriert jugendlichen-, eltern- und lehrerzentrierte Interventionen. Ein Schwerpunkt wird auf die Herstellung von Behandlungsmotivation sowie die Abstimmung
der Behandlungsziele aller Beteiligten gelegt. Für die Behandlung werden etwa 20–50 Sitzungen veranschlagt.
Vertikale Ebene
SELBST besteht in Anlehnung an den von Kanfer und Mitarbeitern [2000] beschriebenen Ansatz aus 7 Behandlungsphasen, die für die Arbeit mit Jugendlichen adaptiert wurden
(vertikale Ebene, Abb. 1). Diese werden im Normalfall nacheinander durchlaufen, die rekursive Struktur des Modells ermöglicht jedoch jederzeit eine Rückkehr zu früheren Behandlungsphasen.
Phase 1: Ziele der Eingangsphase sind der Aufbau initialer
Behandlungsmotivation und Kooperationsbereitschaft des Jugendlichen und wichtiger Bezugspersonen, das Sammeln und
Bereitstellen von Informationen sowie das Herstellen von
Transparenz. Die Beteiligten werden zum Vorstellungsgrund
befragt, darüber hinaus werden wichtige Informationen zum
Ablauf der Behandlung gegeben und die nächsten Schritte abgestimmt. Den Wünschen des Jugendlichen wird besonders
Rechnung getragen.
Phase 2: Im Zentrum der zweiten Behandlungsphase steht
das Erheben problemrelevanter Informationen. Hierzu werden die Beteiligten (in der Regel Jugendlicher und Eltern)
gemeinsam und getrennt exploriert; neben Problemen werden Kompetenzen und Ressourcen des Jugendlichen und weiterer wichtiger Bezugspersonen erhoben. Es werden auch
standardisierte Leistungs-, psycho- und familiendiagnostische
Verfahren einschließlich Selbst- und Fremdbeurteilungsskalen eingesetzt.
Phase 3: In diesem Behandlungsstadium werden die subjektiv
relevanten Probleme weiter eingegrenzt. Wieder steht die Arbeit mit dem Jugendlichen im Zentrum. Es wird viel Wert auf
eine differenzierte Problemanalyse mit Erfassung der auslösenden Bedingungen, des konkreten Verhaltens sowie der
kurz- und langfristigen Konsequenzen gelegt; zudem werden
subjektive Störungskonzepte erhoben. Abschließend wird die
Indikation von SELBST und weiteren Maßnahmen (z.B.
Psychotherapie eines Elternteils) überprüft.
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
259
Phase 4: Ausgehend von den zuvor definierten Problemen
werden realistische, angemessene Behandlungsziele mit dem
Jugendlichen und seinen Bezugspersonen erarbeitet. Das
Gegenüberstellen von aktuellen Problemen und erreichbaren
Behandlungszielen sowie das Aufzeigen von möglichen Schritten zur Lösung stärkt die Änderungsmotivation. In einem
weiteren Schritt werden in gemeinsamen Sitzungen subjektive
Störungskonzepte mit dem Jugendlichem, seinen Eltern und
gegebenenfalls weiteren Bezugspersonen wie Lehrern zusammengeführt und erste Therapieziele festgelegt. Dies ermöglicht es dem Therapeuten, kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen auszuwählen, die auf die individuelle Problematik des Jugendlichen und seiner Bezugspersonen zugeschnitten sind.
Phase 5: Im Zentrum der fünften Phase stehen kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen im engeren Sinne. Auf
der Basis der Ergebnisse von Phase 4 führt der Therapeut
Bausteine aus den drei Problembereichen von SELBST durch
(vgl. horizontale Ebene).
Phase 6: In regelmäßigen Abständen wird mit den Beteiligten
eine Zwischenbilanz gezogen. Es wird eruiert, inwieweit Verhaltensänderungen realisiert und Behandlungsziele erreicht
wurden. Gegebenenfalls werden Faktoren bearbeitet, die der
Zielerreichung im Wege stehen. Wurden Teilziele erreicht,
kann zu Phase 4 zurückgekehrt werden und neue Ziele können definiert werden.
Phase 7: Zur Überprüfung der Stabilität der Effekte wird die
Unterstützung des Therapeuten schrittweise ausgeblendet.
Mögliche Problemsituationen oder Rückfälle in alte Verhaltensprobleme werden thematisiert und geeignete Bewältigungsstrategien eingeübt. In Auffrischungssitzungen (BoosterSitzungen), die in regelmäßigen niederfrequenten Abständen
(z.B. alle 3 Monate) oder bei Bedarf angesetzt werden, können die erworbenen Verhaltenskompetenzen zur Bewältigung
aktueller Probleme genutzt werden.
Horizontale Ebene
Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen von
SELBST fokussieren 3 Problembereiche (horizontale Ebene,
Abb. 2).
Selbstwert, Aktivität und Affekt: Im Zentrum stehen Interventionen zur Stärkung des Selbstwertes, zur Erhöhung des Aktivitätsniveaus sowie zur Verbesserung der Affektregulation.
Hierzu werden Fehleinschätzungen der eigenen Person, der
Umwelt und der Zukunft korrigiert, positive Aktivitäten aufgebaut und mit Selbstbelohnungsverfahren kombiniert sowie
ein selbstwertstützender Umgang mit Problemen eingeübt.
Bei Indikation wird eine verbesserte Kontrolle von affektiven
und Verhaltensimpulsen erarbeitet.
Beziehungsstörungen: Bei Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Jugendlichen werden ungünstige Familienstrukturen
und dysfunktionale Einstellungen bearbeitet sowie Problemlöse- und Kommunikationsfertigkeiten eingeübt. Interventionen bei Beziehungsstörungen mit Gleichaltrigen beinhalten
260
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
Selbstwert,
Aktivität & Affekt
• Aufbau positiver
Aktivitäten
• kognitive
Umstrukturierung
• Problemmanagement
• Affekt- und
Ärgerkontrolltraining
Leistung
Beziehung
• Problemlösetraining
• Selbstsicherheitstraining
• Konfliktlösetraining
• Kommunikationstraining
• Verminderung von
kognitiven Verzerrungen bzgl.
Leistungen
• Vermittlung von
organisatorischen
Fertigkeiten
• Verbesserung der
Mitarbeit im Unterricht
• Verminderung von
Leistungsdefiziten
• Expositionen
• Selbstbelohnung
Abb. 2. Die drei Interventionsbereiche des Therapieprogramms
SELBST.
die Verbesserung von Problemlösestrategien und sozialen Fertigkeiten in Gleichaltrigenbeziehungen.
Leistungsstörungen: Hier stehen Interventionen im Vordergrund, die jene Leistungsstörungen vermindern, welche nicht in
erster Linie auf Begabungsdefizite zurückgeführt werden können. Diese werden im nächsten Abschnitt näher beschrieben.
Das Modul SELBST-Leistungsstörungen
SELBST-Leistungsstörungen (Abb. 3) ist in Phase 5 angesiedelt und integriert jugendlichen-, eltern- und lehrerzentrierte
Interventionen, die eine mehrdimensionale Diagnostik und
die Erarbeitung eines für alle Beteiligten transparenten Störungskonzeptes voraussetzen (Phasen 1–4).
Interventionen beim Jugendlichen: Beim Vorliegen von Leistungsstörungen ist zunächst zu überprüfen, ob der Jugendliche angemessen beschult ist, sich also nicht in einer chronischen Über- oder Unterforderungssituation befindet. Ergibt
eine differenzierte, mehrdimensionale Leistungsdiagnostik
[z.B. HAWIK-III, Tewes et al., 1999], dass eine adäquate Beschulung nicht gewährleistet ist, werden Maßnahmen wie die
Umschulung auf eine den kognitiven Fähigkeiten des Jugendlichen entsprechende Schulform eingeleitet. Weiter wird überprüft, ob inhaltlich umschriebene Leistungsausfälle wie eine
LRS bestehen, die angemessenes Lern- und Arbeitsverhalten
erschweren. Gegebenenfalls werden Fördermaßnahmen implementiert. Manifestieren sich kognitive Dysfunktionen, die
zu mangelnder Anstrengungsbereitschaft, fehlender Leistungsmotivation oder Leistungsängsten führen, sind verhaltenstherapeutische Maßnahmen der kognitiven Umstrukturierung indiziert. Ziel dieser Interventionen ist es, eine angemessene Leistungsmotivation und Anstrengungsbereitschaft zu
entwickeln oder leistungsmindernde prüfungsbezogene Ängste zu verringern, wodurch der Jugendliche zu angemessenem
Lern- und Arbeitsverhalten befähigt werden soll. Finden sich
Defizite bei der Arbeitsorganisation und bei Lernstrategien,
so sind Interventionen zur Optimierung von organisatorischen
Walter/Döpfner
Leistungsprobleme
ja
angemessene
Schulform
nein
Empfehlung entsprechender Maßnahmen
ja
Einleitung von
Fördermaßnahmen
ja
Korrektur kognitiver
Verzerrungen
ja
Teilleistungsschwächen
nein/ja
dysfunktionale
Kognitionen
nein/ja
Probleme in
Organisation/
Lernverhalten
nein/ja
defizitäre schulische
Mitarbeit/Störverhalten im nein
Unterricht
nein/ja
fachbezogene
Wissenslücken
ja
ja
ja
Vermittlung von planerischen Fertigkeiten/
Lernstrategien
Verbesserung der Mitarbeit
im Unterricht/
Abbau von Störverhalten
Interventionen zum
Aufholen verpasster
Stoffinhalte
Abb. 3. Entscheidungsbaum SELBST-Leistungsstörungen.
Fertigkeiten, planerischen Strategien und Lernstrategien (z.B.
effektive Internalisierung von Fachwissen) angezeigt. Weist
der Jugendliche unangemessenes Verhalten im Unterricht auf,
werden Strategien zur Steigerung der mündlichen Mitarbeit
und zum Abbau von Störverhalten in den Unterricht implementiert. Schließlich werden fachbezogene Wissenslücken fokussiert. Hierbei wird von Fall zu Fall abgewogen, ob diese
durch den Jugendlichen allein, mit Hilfe von Bezugspersonen
oder durch externe Nachhilfe verringert werden können. Sind
die Wissenslücken zu groß, muss auch das Wiederholen einer
Klassenstufe in Erwägung gezogen werden.
Interventionen auf Elternebene sind unverzichtbarer Bestandteil des multimodalen Vorgehens. So wird überprüft, ob die
Bezugspersonen dysfunktionale kognitive Annahmen aufweisen, die zu unangemessenem schulbezogenem Erziehungsverhalten führen. Dies kann von Vernachlässigung/Indifferenz
(z.B. unzureichende Unterstützung) bis hin zu deutlich überprotektivem Verhalten reichen (z.B. tägliche Hausaufgabenkorrektur auf Fehler und Ordentlichkeit bei einem 16 Jahre
alten Jugendlichen). In diesen Fällen wird auf der kognitiven
Ebene der Eltern interveniert, um entsprechende Grundannahmen positiv zu beeinflussen. Auf behavioraler Ebene wird
elterliches Verhalten analysiert und bei Indikation modifiziert.
So werden ungünstige Modelllernprozesse, Verstärkungs- und
Bestrafungskontingenzen verändert mit dem Ziel, die Jugend-
SELBST-Programm für Jugendliche mit
Leistungsstörungen
lichen bei schulbezogenem Verhalten angemessen zu unterstützen.
Interventionen auf Lehrerebene: Um Verhaltensänderungen in
der Schule anstoßen zu können, ist es hilfreich, jugendliche
Verhaltensweisen konsistent unter anderem über eine Modulation der Konsequenzen im Klassenkontext zu verändern,
z.B. durch gezielte Rückmeldungen des Lehrpersonals. Es hat
sich als günstig erwiesen, denjenigen Fachlehrer zur Kooperation auszuwählen, der den Jugendlichen am häufigsten sieht
und bei dem die Probleme auftauchen. Aufgrund der hohen
Inanspruchnahme der Fachlehrer an weiterführenden Schulen
erscheint es hierbei sinnvoll, dem betreffenden Lehrer in erster Linie die Rolle eines Beobachters zuzuweisen, der konkrete Problemverhaltensweisen, die aktuell Gegenstand der
Interventionen sind, differenziert erfasst und dem Therapeuten und nach Möglichkeit dem Jugendlichen selbst direkt zurückmeldet. Bei vorhandenen Kapazitäten und Interesse des
betreffenden Lehrers ist es in jedem Fall günstig, diesen verstärkt in die schulbezogenen Interventionen mit einzubinden.
Welche Interventionen zur Anwendung kommen, ist jeweils
im Einzelfall zu überlegen. Die Entscheidung erfolgt vor dem
Hintergrund der mehrdimensionalen Diagnostik und richtet
sich nach der Indikation (Abb. 3).
Konzept und Design der Studie
Ziel der vorliegenden Studie war es, die Praktikabilität des entwickelten
Therapiemanuals zu überprüfen und anhand von Einzelfallanalysen erste
Hinweise auf seine Wirksamkeit zu erhalten. An dieser Stelle soll die
erste Phase der Evaluation dargestellt werden, in der das kognitiv-behaviorale Manual an einer Stichprobe von N = 10 Jugendlichen erprobt
wurde [Walter, 2004].
Jugendliche, die in die Studie aufgenommen wurden, mussten folgende
Bedingungen erfüllen:
– Alter zwischen 13 und 18 Jahren;
– mindestens durchschnittliche Intelligenz (SW ≥ 85);
– Beschulung entsprechend der intellektuellen Leistungsfähigkeit;
– Schulnoten deutlich unter den intellektuellen Möglichkeiten;
– Leistungsprobleme im Eltern- oder Jugendlichenurteil;
– Schulprobleme im Vordergrund der Problematik;
– keine der folgenden Diagnosen: Psychose, Anorexia/Bulimia nervosa,
schwere primäre Angststörungen (Agoraphobie, chronifizierte Trennungsängste), Persönlichkeitsstörung, schwerer Substanzabusus (Alkohol, illegale psychotrope Substanzen).
Das Studiendesign (Eigenkontrollgruppendesign) war folgendermaßen
angelegt (Abb. 4): Zunächst wurden die Patienten bei einem Screeningtermin auf ihre Geeignetheit für die Studie überprüft. Es folgte die Eingangsmessung (M1). Alle Probanden durchliefen anschließend eine 4-wöchige kontaktfreie Baselinephase. Im Rahmen von vier diagnostischen
Terminen wurden die Phasen 1–4 von SELBST durchlaufen, um die Behandlungsziele der nachfolgenden Interventionen abzustimmen. In Interventionsblöcken zu vier Terminen wurden die kognitiv-behavioralen
Interventionen von SELBST-Leistungsstörungen eingesetzt, anschließend
erfolgte die Abschlussmessung (M9). Die mittlere Behandlungsdauer betrug M = 25,4 Sitzungen (SD = 6,8; Range 15–38) über durchschnittlich
10,7 Monate (SD = 2,4; Range 8–16).
Die Datenerhebung erfolgte als Statusdiagnostik zu Beginn und zum Abschluss der Behandlung und als Prozessdiagnostik über den gesamten Be-
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
261
Die erhobenen Daten wurden parameterfrei mit Hilfe des Wilcoxontests
(Statusdiagnostik) sowie der Friedman Rangvarianzanalyse (Prozessdiagnostik) auf statistisch bedeutsame Veränderungen überprüft. Zusätzlich
wurden Effektstärken für abhängige Stichproben nach Cohen berechnet,
um Hinweise auf das Ausmaß der Veränderungen zu erhalten.
Screening: n = 10
Eingangsmessung (M1)
Baseline kontaktfrei:
4 Wochen
Baseline Diagnostikphase:
4 Termine
Phasen 1− 4
Interventionsblöcke:
je 4 Termine
Phasen 5 −7
Abschlussmessung (M9)
Abb. 4. SELBST-Leistungsstörungen: Studiendesign.
handlungszeitraum (Verlaufsmessung) im Selbst-, Eltern-, Lehrer- und
klinischen Urteil. Selbst- und klinisches Urteil wurde jede Sitzung erhoben, Eltern- und Lehrerurteil nach jeder vierten Sitzung. An standardisierten Messinstrumenten kamen neben publizierten auch eigens entwickelte Fragebögen und Checklisten zum Einsatz. Neben der deutschen
Fassung der Child Behavior Checklist, dem Elternfragebogen über das
Verhalten von Kindern und Jugendlichen CBCL/4–18 [Arbeitsgruppe
Deutsche Child Behavior Checklist, 1998a] wurden der davon abgeleitete
Lehrerfragebogen [Teacher Report Form TRF; Arbeitsgruppe Deutsche
Child Behavior Checklist, 1993] sowie der Fragebogen für Jugendliche
[Youth Self Report YSR; Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998b] eingesetzt. Darüber hinaus kamen das Depressionsinventar
für Kinder und Jugendliche [DIKJ; Stiensmeier-Pelster et al., 2000] sowie
das Lern- und Arbeitsverhaltensinventar [LAVI; Keller und Thiel, 1998]
zum Einsatz. Diese Instrumente haben sich als ausreichend valide und reliabel erwiesen, für die meisten liegen deutsche Normen vor [vgl. Döpfner
et al., 2000]. Der SELBST-Bogen wurde neu entwickelt und umfasst die
drei Skalen Selbstwert-, Leistungs-, Beziehungsprobleme sowie einen Gesamtscore. Alle Skalen haben sich in einer Pilotstudie psychometrisch als
zufriedenstellend erwiesen [Feldkötter, 2003], eine Normierung ist in
Vorbereitung.
Als Hauptinstrument zur Abbildung individueller Veränderungen über
den Behandlungsverlauf diente eine individuelle Problemliste [Problembeurteilungsbogen PROBO; Döpfner et al., 2000]. Hierbei werden die
Hauptprobleme, die Gegenstand der nachfolgenden Interventionen sind,
hinsichtlich Häufigkeit und Belastung in der vergangenen Woche beurteilt (z.B. macht seine Hausaufgaben nur unvollständig, meldet sich nicht
im Unterricht, bereitet sich unzureichend auf Arbeiten/Tests vor). Das Instrument liegt für alle Patienten ab dem 6. Termin (Beginn erster Interventionsblock) im Jugendlichen-, Eltern- und Lehrerurteil vor.
262
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
Stichprobenbeschreibung
Es wurden insgesamt n = 13 Jugendliche an der Klinik und Poliklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Universität zu Köln hinsichtlich der Einschlusskriterien gescreent. 12 Jugendliche wurden in die Studie aufgenommen, ein Proband schied während
der kontaktfreien Baseline aus, da die Eltern berichteten, dass sich die Situation inzwischen hinreichend geklärt habe. Ein weiterer Proband musste aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse der Eltern (die eine
Durchführung elternzentrierter Interventionen unmöglich gemacht hätten) aus der Untersuchung ausscheiden und wurde außerhalb der Studie
weiterbehandelt. Das mittlere Lebensalter der verbleibenden 10 Jugendlichen zwischen 13;1 und 16;4 Jahren betrug 15;0 Jahre (SD = 0,88), 8 Probanden waren männlich. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit, erhoben
mit dem HAWIK-III [Tewes et al., 1999] betrug SW = 101,1 (SD = 10,16;
Range 85–120). 4 Jugendliche besuchten das Gymnasium, 3 die Real- und
3 die Hauptschule. 7 Jugendliche hatten mindestens einmal die Klasse
aufgrund unzureichender Leistungen wiederholt, 1 Probandin musste aufgrund unzureichender Leistungen vom Gymnasium auf die Realschule
wechseln. Der Notendurchschnitt im letzten Zeugnis betrug im Durchschnitt 3,83 (SD = 0,52; Range 3,2–4,9).
Auf der Basis des klinischen Urteils wurden folgende Diagnosen auf der
1. Achse des Multiaxialen Klassifikationsschemas nach ICD-10 [Remschmidt et al., 2001] vergeben: 6 Probanden erfüllten das Vollbild einer
Hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens (F90.1), 2 Jugendliche
zeigten eine Sonstige kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der
Emotionen (F92.8), jeweils 1 Jugendlicher wies eine Kombinierte Störung
des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Beziehungen (F91.2) bzw.
eine Sonstige emotionale Störung des Kindesalters (F93.8) auf. Bei 1 Probanden konnte auf der 2. Achse eine LRS (F81.0) diagnostiziert werden.
4 Jugendliche hatten früher bereits Psychostimulanzien erhalten, 5 Probanden hatten an übenden Verfahren wie Logopädie oder Ergotherapie
teilgenommen, 5 Jugendliche hatten mindestens eine ambulante Vorbehandlung abgeschlossen. Zum Zeitpunkt des Studienbeginns waren alle
genannten Behandlungen beendet.
Ergebnisse
Tabelle 1 zeigt Mittelwerte, Standardabweichungen, Signifikanzniveaus, Effektstärken und den Anteil klinisch auffälliger
Jugendlicher (T ≥ 63) in YSR, CBCL und TRF zu Behandlungsbeginn und –ende. Hierbei werden nur die Syndromskalen 2. Ordnung (Skala internaler/externaler Auffälligkeiten,
Gesamtskala) dargestellt. Für das Lehrerurteil liegen nur sieben Fragebögen für Eingangs- und Abschlussmessung vor,
drei Lehrer weigerten sich, die Fragebögen auszufüllen. Da
für den deutschsprachigen Raum bislang keine deutschen
Normen vorliegen, wurden hierfür die amerikanischen Normen herangezogen. Die Berechnung der Effektstärken erbrachte im Elternurteil durchweg große Effekte zwischen
d = 1,2 und d = 1,5. Auch mit dem Wilcoxontest konnten statistisch signifikante Verminderungen auf allen Skalen mit
p < 0,05 bzw. p < 0,01 abgesichert werden. Im Lehrerurteil
fand sich für die Skala internaler Auffälligkeiten mit d = 0,4
Walter/Döpfner
Tab. 1. Prä-/ Postveränderungen in CBCL,
TRF und YSR
Beurteiler und Messzeitpunkt
CBCL (n = 10), Eltern
Therapiebeginn (M1)
Therapieende (M9)
Signifikanzniveau
Effektstärke
TRF (n = 7), Lehrer
Therapiebeginn (M1)
Therapieende (M9)
Signifikanzniveau
Effektstärke
YSR (n = 10), Jugendliche
Therapiebeginn (M1)
Therapieende (M9)
Signifikanzniveau
Effektstärke
Tab. 2. Prä-/ Postveränderungen LAVI und
DIKJ
Skala
⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯
Internal
External
Gesamt
T-Wert, M
SD
klin. auffällig
T-Wert, M
SD
klin. auffällig
p
Cohens d
64,7
9,5
6
57,8
5,0
2
<0,05
1,2
69,4
8,1
9
62,4
10,2
5
<0,05
1,2
69,0
6,8
9
61,3
17,9
5
<0,01
1,5
T-Wert, M
SD
klin. auffällig
T-Wert, M
SD
klin. auffällig
p
Cohens d
59,0
12,0
1
52,5
5,9
1
<0,05
0,4
62,1
6,5
3
54,0
3,4
0
n.s.
1,0
62,9
8,9
2
54,5
7,5
0
n.s.
0,8
T-Wert, M
SD
klin. auffällig
T-Wert, M
SD
klin. auffällig
p
Cohens d
59,1
10,3
2
52,0
6,5
1
n.s.
0,5
61,4
8,8
5
57,4
7,4
4
n.s.
0,5
60,6
25,6
3
55,2
16,1
1
n.s.
0,5
Messzeitpunkt
Therapiebeginn (M1)
Therapieende (M9)
Signifikanzniveau
Effektstärke
T-Wert, M
SD
klin. auffällig
T-Wert, M
SD
klin. auffällig
p
Cohens d
LAVI
⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯
ArbeitsStressbeLernhaltung
wältigung
techniken
DIKJ
35,9
10,3
6
45,7
13,7
2
<0,01
1,4
59,0
7,8
4
50,5
8,2
1
<0,05
1,0
44,8
11,5
4
50,6
11,6
0
<0,05
1,0
40,9
12,0
4
45,2
13,1
2
n.s.
0,4
ein kleiner, statistisch abzusichernder Effekt (p < 0,05). Auf
der Skala externaler Störungen und der Gesamtskala fanden
sich zwar nach Cohen große Effekte, die sich jedoch mit dem
Wilcoxontest statistisch nicht gegen den Zufall absichern ließen, da dieses parameterfreie Verfahren das Ausmaß der Veränderungen nicht berücksichtigt. Im Jugendlichenurteil lagen
die Veränderungen mit d = 0,5 im mittleren Bereich, ließen
sich statistisch aber nicht absichern.
Tabelle 2 zeigt gemittelte T-Werte, Standardabweichungen,
den Anteil klinisch auffälliger Jugendlicher zu Behandlungsbeginn und –ende sowie Effektstärken und Signifikanzniveaus für die drei Skalen des LAVI und die Skala des DIKJ. Bei
Arbeitshaltung und Stressbewältigung zeigten sich große, bei
den Lernstrategien ein kleiner Effekt, letzterer ließ sich statistisch nicht absichern, während die Veränderungen auf den
Skalen Arbeitshaltung (p < 0,01) und Stressbewältigung (p <
SELBST-Programm für Jugendliche mit
Leistungsstörungen
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
263
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
Abb. 5. SELBST-Leistungsstörungen:
Behandlungverlauf im Selbst- und Fremdurteil
(Eltern: d = 1,7, p < 0,01; Lehrer: d = 1,3,
p < 0,001; Jugendliche d = 0,8, p < 0,001).
Jugendliche
0,05) statistisch abgesichert werden konnten. Im DIKJ zeigte
sich ein großer Effekt, der sich auf einem 95%-Niveau statistisch absichern ließ.
Tabelle 3 zeigt gemittelte Rohwertsummen, Standardabweichungen, Signifikanzniveaus und Effektstärken des SELBSTBogens im Eltern-, Lehrer- und Jugendlichenurteil. Hierbei
werden nur die Skala Leistungsstörungen und die Gesamtskala dargestellt. Es zeigen sich im Eltern-, Lehrer- und Jugendlichenurteil mittlere bis hohe Effekte (d = 0,7 bis d = 2,1),
die sich allesamt auf einem 95%- bzw. 99%-Niveau statistisch
absichern lassen.
Abbildung 5 zeigt die Veränderungen der schulbezogenen
Hauptprobleme (gemittelte Problembelastung) über den Behandlungsverlauf von der 6. Sitzung bis zum Behandlungsende im Selbst-, Eltern- und Lehrerurteil anhand des PROBO.
Aus allen drei Perspektiven zeigt sich eine deutliche Verringerung der schulbezogenen Hauptprobleme. Diese Veränderungen weisen durchweg große Effekte zwischen d = 0,8 und
d = 1,7 auf, die sich mit einem p < 0,01 bzw. p < 0,001 statistisch absichern lassen. Die Ergebnisse zur Häufigkeit der Probleme zeigen vergleichbare Effekte [vgl. Walter, 2004].
Eltern
Tab. 3. Prä-/ Postveränderungen SELBST-Bogen (Eltern-, Lehrer- und
Selbsturteil)
Beurteiler und Messzeitpunkt
Eltern (n = 9)
Therapiebeginn (M1)
Therapieende (M9)
Signifikanzniveau
Effektstärke
Lehrer (n = 8)
Therapiebeginn (M1)
Therapieende (M9)
Signifikanzniveau
Effektstärke
Jugendliche (n = 10)
Therapiebeginn (M1)
Therapieende (M9)
Signifikanzniveau
Effektstärke
Diskussion
Ziel der vorliegenden Studie war es, das Therapiemanual
SELBST-Leistungsstörungen an einer Stichprobe von 10 Jugendlichen mit Schulleistungsstörungen, die nicht in erster
Linie auf Begabungsdefizite zurückzuführen sind, zu evaluieren und erste Hinweise auf die potentielle Wirksamkeit des
entwickelten Behandlungsmanuals zu gewinnen.
Aus der Stichprobenbeschreibung ergibt sich, dass es sich bei
den untersuchten Jugendlichen um ein klinisch auffälliges Pa-
264
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
Lehrer
Skala
⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯
Leistung
Gesamt
Rohwertsumme
SD
Rohwertsumme
SD
p
Cohens d
11,3
1,3
5,8
2,5
<0,01
1,7
29
6,2
16,8
3,3
<0,01
2,1
Rohwertsumme
SD
Rohwertsumme
SD
p
Cohens d
10,1
2,3
7,9
2,0
<0,05
0,7
28,5
7,6
19,1
2,9
<0,05
1,0
Rohwertsumme
SD
Rohwertsumme
SD
p
Cohens d
9,1
2,3
5,5
3,9
<0,05
1,3
21,0
6,1
14,5
6,9
<0,05
1,3
tientenkollektiv mit hohem Chronifizierungsgrad handelt, die
in ihrer weiteren Entwicklung deutlich gefährdet waren. Ein
hoher Anteil der Jugendlichen wies externalisierte Verhaltensstörungen (z.B. hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens) auf und hatte eine Schulkarriere von jahrelangen Schulproblemen, Zurückstellungen, Rückläufen und Klassen-
Walter/Döpfner
wiederholungen. Neben externalisierenden Auffälligkeiten
fand sich komorbid ein hoher Anteil introversiver Störungsanteile, wie insbesondere Eltern-, Lehrer- und Jugendlichenurteil der deutschen Fassung der Child Behavior Checklist zu
Behandlungsbeginn zeigen.
Die Ergebnisse verweisen insgesamt auf gute Erfolge während der Behandlung. So konnten in vielen Parametern im
Selbst- und Fremdurteil mittlere bis große Effekte erzielt werden, die mehrheitlich signifikant bis hoch signifikant ausfielen. Neben schulbezogenen Problemen konnten introversive
Auffälligkeiten (Eltern- und Lehrerurteil) und expansive Verhaltensanteile (Elternurteil) verringert werden. Dem klinischem Eindruck nach zeigte sich allerdings bei 2 Jugendlichen
eine Zunahme der Problematik, die in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass die Schulprobleme der betreffenden
Jugendlichen Ausdruck einer umfassenderen psychischen Störung sowie ungünstiger psychosozialer Bedingungen waren,
die mit Hilfe der eingesetzten Interventionen nicht umfassend
aufgegriffen werden konnte. Die Behandlungszufriedenheit,
auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann,
war sowohl im Jugendlichen-, als auch im Eltern- und Lehrerurteil hoch [vgl. Walter, 2004]. Weitere Untersuchungen
zur Stabilität der Ergebnisse werden aktuell durchgeführt.
Die Ergebnisse der statistischen Analysen und der klinische
Eindruck bescheinigen dem Manual SELBST-Leistungsstörungen insgesamt eine gute Anwendbarkeit. Allerdings können die Ergebnisse nicht mit Sicherheit auf die Behandlung
zurückgeführt werden. Sie machen jedoch Mut, weiterführende Studien unter Einsatz einer Kontrollgruppe, unterschiedlicher Therapeuten und Beurteiler durchzuführen, um abschließend ein multimodales, störungsübergreifendes Behandlungsprogramm für Jugendliche mit Leistungsstörungen zur
Verfügung stellen zu können. Weiter wird zukünftig zu überprüfen sein, ob sich zu Behandlungsbeginn Faktoren extrahieren lassen, die Jugendliche, die von den Interventionen profitieren, unterscheiden von Probanden, bei denen sich mittels
SELBST-Leistungsstörungen nicht die gewünschten Effekte
erzielen lassen (differenzielle Wirksamkeit).
Literatur
Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist: Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und
Jugendlichen: Deutsche Bearbeitung der Child Behavior Checklist (CBCL 4–18). Einführung und Anleitung zur Handauswertung, ed 2. Köln, Arbeitsgruppe
Kinder-, Jugend- und Familiendiagnostik, 1998a.
Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist:
Fragebogen für Jugendliche: Deutsche Bearbeitung
der Youth Self Report Form der Child Behavior
Checklist (YSR). Einführung und Anleitung zur
Handauswertung, ed 2. Köln, Arbeitsgruppe Kinder-,
Jugend- und Familiendiagnostik, 1998b.
Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist:
Lehrerfragebogen über das Verhalten von Kindern
und Jugendlichen: Deutsche Bearbeitung der Teacher’s Report Form der Child Behavior Checklist
(TRF). Einführung und Anleitung zur Handauswertung. Köln, Arbeitsgruppe Kinder-, Jugend- und Familiendiagnostik, 1993.
Baumert J, Klieme E, Neubrand M, Prenzel M, Schiefele U, Schneider W, Stanat P, Tillmann KJ, Weiß M:
PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und
Schülern im internationalen Vergleich. Opladen,
Leske und Budrich, 2001.
Bundesministerium für Bildung und Forschung:
Grund- und Strukturdaten 2000/2001. www.bmbf.de/
pub/GuS2001_ges_dt.pdf (14.05.02).
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Berufsverband der Ärzte für
Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in
Deutschland, Bundesarbeitsgemeinschaft der leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
Psychotherapie: Leitlinien zu Diagnostik und Therapie
von psychiatrischen Störungen im Säuglings-, Kindesund Jugendalter, ed 2. Köln, Deutscher Ärzteverlag,
2003.
Döpfner M, Walter D: Verhaltenstherapeutische Zugänge in der Adoleszenz. Psychother Dialog 2002;3(4):
345–352.
SELBST-Programm für Jugendliche mit
Leistungsstörungen
Döpfner M, Lehmkuhl G, Heubrock D, Petermann F:
Diagnostik psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter. Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie, vol 2. Göttingen, Hogrefe, 2000.
Esser G, Ihle W, Schmidt MH, Blanz B: Der Verlauf
psychischer Störungen vom Kindes- zum Erwachsenenalter. Z Klin Psychol Psychother 2000;29(4):
276–283.
Esser G, Wyschkon A, Schmidt MH: Was wird aus
Achtjährigen mit einer Lese- und Rechtschreibstörung
– Ergebnisse im Alter von 25 Jahren. Z Klin Psychol
Psychother 2002;31(4):235–242.
Feldkötter D: Evaluation eines Sceeninginstrumentes
zur Erfassung adoleszentenspezifischer Probleme. Diplomarbeit, Universität zu Münster, 2003.
Groen G, Petermann F: Depressive Kinder und Jugendliche. Göttingen, Hogrefe, 2002.
Holz-Ebeling F: Arbeitsverhalten und Arbeitsprobleme; in Rost D (Hrsg): Handwörterbuch Pädagogische
Psychologie, ed 2. Weinheim, Beltz, 2001, pp 22–28.
Kanfer FH, Reinecker H, Schmelzer D: Selbstmanagement-Therapie, ed 3. Berlin, Springer, 2000.
Keller G, Thiel RD: Lern- und Arbeitsverhaltensinventar LAVI. Göttingen, Hogrefe, 1998.
Lauth G: Lernstörungen; in Steinhausen HC, von
Aster M (Hrsg): Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin bei Kindern und Jugendlichen, ed 2. Weinheim, Beltz, 1999, pp 76–93.
Münchmeier R: Aufwachsen unter veränderten Bedingungen – Zum Strukturwandel von Kindheit und
Jugend. Prax Kinderpsychol Kinderpsychiatr 2001;50:
119–134.
Rademacher C, Walter D, Döpfner M: SELBST – ein
Therapieprogramm zur Behandlung von Jugendlichen
mit Selbstwert-, Aktivitäts- und Affekt-, Leistungsund Beziehungsstörungen. Kindheit Entwicklung
2002;11(2):107–118.
Remschmidt H, Schmidt MH, Poustka F (Hrsg): Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der
WHO, ed 4. Bern, Huber, 2001.
Resch F: Entwicklungspsychopathologie des Kindesund Jugendalters, ed 2. Weinheim, Beltz, 1999.
Statistisches Bundesamt Deutschland: Fachserie 11,
Bildung und Kultur, Reihe 1. Allgemeinbildende Schulen, 2002.
Statistisches Bundesamt Deutschland: Fachserie 11,
Bildung und Kultur, Reihe 1. Allgemein bildende
Schulen, 2005.
Stiensmeier-Pelster J, Schürmann M, Duda K: Depressions-Inventar für Kinder und Jugendliche (DIKJ), ed
2. Göttingen, Hogrefe, 2000.
Tewes U, Rossmann P, Schallberger U: HamburgWechsler-Intelligenztest für Kinder HAWIK-III. Bern,
Huber, 1999.
Verband Bildung und Erziehung – Landesverband
NRW: Immer mehr Schüler drehen eine «Ehrenrunde». www.vbe-nrw.de/content_id/776.html (26.09.06).
Walter D: Entwurf und Evaluation eines kognitiv-behavioralen Manuals zur Behandlung von Leistungsstörungen bei Jugendlichen. Dissertation, Universität zu
Köln, 2004.
Walter D, Rademacher C, Schürmann S, Döpfner M:
SELBST – Ein Therapieprogramm zur Behandlung
von Jugendlichen mit Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen, vol 1: Grundlagen der Selbstmanagementtherapie; in Döpfner M, Walter D, Rademacher
C, Schürmann S (Hrsg): SELBST – Ein Therapieprogramm für Jugendliche mit Selbstwert-, Leistungs- und
Beziehungsstörungen. Göttingen, Hogrefe, 2006.
Verhaltenstherapie 2006;16:257–265
265
Herunterladen