Die „Depressions-Monitoring-Liste (DeMoL)“ mit integriertem PHQ-D – Rationale und Entwicklung eines Instruments für das hausärztliche Case Management bei Depression Schwerpunkt Jochen Gensichen1, Monika Peitz1, Marion Torge1, Jutta Mosig-Frey1, Heike Wendt-Hermainski1, Thomas Rosemann2, Ferdinand M. Gerlach1 und Bernd Löwe3 1 Institut für Allgemeinmedizin, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg 3 Klinik für Psychosomatische und Allgemeine Klinische Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg 2 Zusammenfassung Hintergrund: Strukturiertes und regelmäßiges Monitoring bzw. Case Management unterstützt die Behandlungskontinuität für Patienten mit Depression in der hausärztlichen Praxis. Fragebögen mit stratifizierten Handlungsanweisungen sind zentrale Instrumente. Fragen sollen sich an der Behandlungsrelevanz in der hausärztlichen Situation orientieren; klinische Parameter reliabel, valide und rechtzeitig erfassen. Stratifizierte Informationsweitergaben an den Hausarzt sollten durchführungsobjektiv sein, um die patientenbezogene Kommunikation im Praxisteam zu sichern. Methode: Entwicklung eines Erstentwurfs für ein Instrument auf der Grundlage evidenzbasierter Leitlinien, Prätest durch Experten, Praxistest durch Anwender. Ergebnis: Die vorgestellte Depressions-Monitoring-Liste mit integriertem PHQ-D für die Befragung von Patienten mit Depression durch Praxismitarbeiter erhebt 1) den „klinischen Befund“, 2) die „Patientenadherence“ und steuert 3) über ein „Ampelschema“ den praxisinternen Informationsfluss. Das Instrument wird von den Anwendern (Arzt und Arzthelferin) als praktikabel und relevant für die hausärztliche Patientenbetreuung bewertet. Die gewonnenen Erfahrungen können auch für die Behandlung anderer chronischer Erkrankungen genutzt werden. Summary depression in primary care. Central tools are questionnaires with stratified operating instructions. Questions should be geared towards treatment relevance in primary care and identify clinical parameters in a reliable and valid manner and in due time. Stratified information transfer to the general practitioner should be objective to ensure patient-related communication in the practice team. Method: Development of a draft tool based on evidence-based guidelines, peer-reviewed pre-test, practice test among users. Result: The Depression Monitoring List (DeMoL) with integrated PHQ-D for interviews with depressive patients to be conducted by practice assistants assesses 1.) ‘clinical diagnosis’ and 2.) ‘patient adherence’ and 3.) governs the information flow in the practice via a ‘robot scheme’. Users (doctors and practice assistants) evaluated the tool as practicable and relevant for patient care in family practices. Experiences gained can also be used for the treatment of other chronic diseases. Background: Structured and regular monitoring and/or case management support treatment continuity of patients with Key words: chronic illness – mental health – depression – case management – disease management – family practice Sachwörter: Chronische Krankheiten – Depression – Case Management – Disease Management – Allgemeinmedizin The “Depression Monitoring List” (DeMoL) with integrated PHQ-D – Rationale and design of a tool for the case management for depression in primary care Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes. (2006) 100; 375–382 http://www.elsevier.de/zaefq ZaeFQ 375 Hintergrund und Rationale Die depressive Störung ist die häufigste psychische Erkrankung bei Erwachsenen. So nimmt seit Jahren die Häufigkeit der depressiven Störung als Ursache von Arbeitsunfähigkeit in Deutschland zu [1]. Die Patientenversorgung erfolgt in erster Linie ambulant, wobei die Mehrheit der Patienten allgemeinmedizinisch versorgt wird [2]. Ein Kernproblem in der medizinischen Versorgung ist – neben der Diagnosesicherung – ein diskontinuierlicher und unkoordinierter Behandlungsverlauf [3]. Bei solchen Versorgungsproblemen greifen innovative Versorgungsformen auf der Grundlage des „Chronic CareModells“ [4] (Gerlach et al. und Gensichen et al. in diesem Heft). Demnach können „aktivierte“ Patienten und „vorausschauende“ Praxisteams die gesundheitlichen Ergebnisse der Patienten nur gemeinsam verbessern. „Case Management“ ist dabei ein Ansatz auch für die hausärztliche Praxis. Mittels eines strukturierten und regelmäßigen Monitorings sichert es die Kontinuität der medizinischen Behandlung. Verschlechterungen der Patientensituation sollen so frühzeitig erkannt bzw. verhindert werden [5]. In einer Metaanalyse zu den Effekten von Case Management für Patienten mit Major Depression wurden moderate Effekte auf die Symptomentwicklung und die Therapietreue nachgewiesen [6]. Derzeit werden die Effekte in hessischen Hausarztpraxen untersucht (www.PRoMPT-Projekt.de) [7]. Hier nimmt eine geschulte Arzthelferin regelmäßig telefonischen Kontakt zum Patienten auf und erfragt den aktuellen Zustand. Aufgrund eines Kurzberichtes von ihr kann der Hausarzt die notwendigen therapeutischen Maßnahmen veranlassen. Schließlich erhält die Arzthelferin wiederum ein aktuelles Feedback vom Arzt. Dieses Zusammenwirken nennen wir „Case ManagementKreislauf“. Innerhalb eines solchen Konzepts sind Fragebögen mit gekoppelten Handlungsanweisungen als zentrale Arbeitsinstrumente anzusehen. In der hausärztlichen Praxis sind unserer Ansicht nach hierfür besondere Anforderungen 376 ZaeFQ an ein entsprechendes Instrument zu stellen: 1) Die Auswahl der Fragen soll sich an der Behandlungsrelevanz für die hausärztliche Situation orientieren [8]. 2) Die genaue und ausreichend änderungssensitive Erfassung klinischer Parameter soll eine klinisch auffällige Entwicklung reliabel in einem Stadium erfassen, in dem noch das gesamte Spektrum der hausärztlichen Interventionen wirksam werden kann [9]. Instrumente, deren Parameter auf der Grundlage von Diagnosen bei Krankenhauseinweisungen beruhen, setzen in der Primärversorgung in der Regel zu spät ein. 3) Mit einer kontinuierlichen und regelmäßigen Beobachtung der Patientensituation (Follow-up) soll der aktuelle Befund bzw. Entwicklungen valide abgebildet werden [10, 11]. Dies entspricht auch einem psychotherapeutischen Grundprinzip, demnach kann die Behandlung durch ständigen Informationsgewinn optimiert werden [12]. 4) Erst die sichere Anwendung des Instrumentes durch geschulte Praxismitarbeiter (Durchführungsobjektivität) erlaubt das Delegieren an nichtärztliche Mitarbeiter [13]. Die Verknüpfung der aktuellen Ergebnisse zur Patientensituation mit einer nach Dringlichkeit stratifizierten Information des Hausarztes soll eine verantwortliche Befunderhebung durch nichtärztliche Praxismitarbeiter, z. B. Arzthelferinnen, ermöglichen. Die Cutpoints für die Dringlichkeit relevanter Befunde sind an der klinischen Gefahr für den Patienten zu orientieren. 5) Das Instrument sollte die patientenbezogene Kommunikation im Praxisteam zuverlässig über ein Feedback-System zwischen den Akteuren strukturieren („Case Management-Kreislauf“), um einer weiteren Fragmentierung der Behandlung vorzubeugen [14]. Im folgenden stellen wir die Entwicklung eines Instrumentes vor, das diesen praxisrelevanten Anforderungen gerecht werden soll. Die Entwicklung der „Depressions-MonitoringListe“ mit integriertem PHQ-D Methode Das Instrument wurde in drei methodisch unterschiedlichen Schritten entwickelt: 1. Erstentwurf: Auf der Grundlage einer Literaturrecherche zu evidenzbasierten Leitlinien der Depressionsbehandlung [15] wurden von einem interdisziplinären Team (Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Psychologie, Sozialpädagogik, Arzthelferin) relevante Items für einen Erstentwurf identifiziert. 2. Peer Review durch Experten: Eine Expertenbefragung von 7 erfahrenen Arzthelferinnen aus verschiedenen Praxen analysierte die Praktikabilität des Instrumentes. Die so überarbeiteten Entwürfe flossen in das Anwendungstraining ein. 3. Praxistests: Im Rahmen einer Machbarkeitsprüfung wurde das Instrument in 8 zufällig bestimmten Hausarztpraxen zum Case Management bei 64 Patienten mit Major Depression eingesetzt. Die Arzthelferinnen wurden zuvor in einer interaktiven Fortbildung zum Instrument geschult, u. a. zu Grundlagen der Gesprächsführung und zur Durchführung von Probeinterviews (Schulungsmodul ca. 4 h), sowie mit einem begleitenden Handbuch ausgestattet. Eine anschließende Befragung der Ärzte und Arzthelferinnen zur Praktikabilität in der Hausarztpraxis wurde qualitativ ausgewertet. Ergebnis Die „Depressions-Monitoring-Liste“ mit integriertem PHQ-D ist ein Instrument, das drei Bereiche erfasst. Der erste entspricht dem Depressionsmodul des validierten „Patient Health Questionnaire (PHQ)“ [16] und dient der sicheren Symptomerfassung („klinischer Befund“), daran schließt sich ein Interview zur „Adherence/Therapietreue“ an. Ein sogenanntes „Ampelschema“ Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes. (2006) 100; 375–382 http://www.elsevier.de/zaefq steuert den Informationsfluss zum Arzt bzw. strukturiert die patientenbezogene Praxiskommunikation. Der „klinische Befund“ Die Fragen 1 bis 9 des DeMoL mit integriertem PHQ-D sind dem Depressionsmodul des „Gesundheitsfragebogens für Patienten (PHQ-D)“ entnommen [17]. Dieser Fragebogen wurde herangezogen, weil er in Kombination mit dem ärztlichen Gespräch eine valide Depressionsdiagnostik ermöglicht [18]. Die Fragen beziehen sich auf die vergangenen zwei Wochen und werden vom Patienten 4-stufig von „überhaupt nicht“ bis „beinahe jeden Tag“ eingestuft. Mit einer Sensitivität von 83% und einer Spezifität von 90% weist er ausgezeichnete testdiagnostische Werte auf [19]. Über Summenwerte können Schweregrade der Depression abgebildet werden und als Grundlage einer Verlaufsbeobachtung dienen. Eine sehr gute Änderungssensitivität des Instruments bei Verwendung des Summenwertes wurde in mehreren unabhängigen Stichproben nachgewiesen [20, 21]. Der Fragebogen ist in seiner deutschsprachigen Fassung auch im hausärztlichen Setting validiert [17]. Das Depressionsmodul des PHQ-D – aufgrund seiner 9 Items auch als PHQ-9 bezeichnet – ist auch als Telefoninterview validiert [22, 23]. Als Bestandteil des DeMoL wird er von geschulten Arzthelferinnen genutzt. Ein Vorteil gegenüber anderen Depressionsfragebögen besteht in der ökonomischen Durchführung. So hat der „Fragebogen zur Depressionsdiagnostik“ [24] 18 Items, die „Allgemeine Depressionsskala“ [25], die ebenfalls für Screening-Zwecke entwickelt wurden, weist 20 Items auf. Der WHO (Fünf)-Fragebogen zum Wohlbefinden (Version 1998) umfasst lediglich 5 Items, die auf einer 6-stufigen Skala beantwortet werden. Dieser Fragebogen ist validiert für die Aufdeckung irgendeiner psychischen Erkrankung (besonders bei Älteren), nicht jedoch speziell für depressive Erkrankungen [18]. Im folgenden wird die Bedeutung der PHQ-D-Fragen und weiterer Items für die kontinuierliche Betreuung von Pa- tienten mit Depression durch die Hausarztpraxis bzw. für die DeMoL erläutert. Item 1: Wenig Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten Dies ist eines der Hauptsymptome der Depression. Auch wenn der Betroffene nicht darüber klagt, werden Außenstehende einen Rückzug beschreiben. Patienten sind nur schwer zu Aktivitäten zu motivieren, was unmittelbar behandlungsrelevant ist. Item 2: Niedergeschlagenheit, Schwermut oder Hoffnungslosigkeit Dieser Zustand ist häufig an nonverbalen Signalen (u. a. Mimik und Prosodie) zu erkennen. Tagesschwankungen bedeuten in den meisten Fällen, dass die Stimmung morgens nach dem Erwachen besonders schlecht ist [26]. Depressive in der Allgemeinarztpraxis berichten seltener direkt dieses Symptom, so dass die gezielte Nachfrage sinnvoll ist [27]. Item 3: Schlafschwierigkeiten oder vermehrter Schlaf Über dieses Problem klagt der Großteil der Patienten. Möglich ist eine Einschlaf- oder Durchschlafstörung oder vorzeitiges Erwachen (Früherwachen). Letzteres ist oft mit Grübeleien verbunden. Eher selten ist vermehrter Schlaf. Insbesondere zu Beginn der Erkrankung sollte der Hausarzt darauf achten, da Schlafstörungen hier gehäuft auftreten. Item 4: Müdigkeit oder Gefühl, keine Energie zu haben Die Alltagsaktivitäten können sehr reduziert sein, im Extremfall ist die Selbstversorgung gefährdet. Dieses Symptom scheint auch für Patienten, die zugleich an einer chronischen körperlichen Erkrankung leiden, ein valides Zeichen zu sein [28]. Dabei spielen chronische Erkrankungen in bis zu 80% aller hausärztlichen Beratungen eine Rolle [29]. Item 5: Verminderter Appetit oder übermäßiges Bedürfnis zu essen Ca. 70% der Patienten erfahren während der depressiven Episode einen er- Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes. (2006) 100; 375–382 http://www.elsevier.de/zaefq heblichen Appetitmangel, manche Patienten beschreiben das Essen als geschmacksarm [30]. Seltener ist ein vermehrter Appetit und eine Gewichtszunahme. Auch die Nebenwirkungen einer antidepressiven Medikation können sich hier kritisch auswirken [31]. Item 6: Schlechte Meinung von sich selbst (Gefühl der Wertlosigkeit) Eigene Fähigkeiten werden unterschätzt. Schuldgefühle zeigen sich auch als Reaktionen auf vermeintliche Fehler oder als nicht gerechtfertigte Verantwortungsübernahme für negative Ereignisse. Umfassende Kenntnisse zu diesen lebensweltlichen Zusammenhängen des Patienten sind für das hausarztärztliche Handeln konstituierend und können genutzt werden [32]. Item 7: Konzentrationsschwierigkeiten Dieses Problem macht sich u. a. bei Alltagsaktivitäten wie Zeitungslesen bemerkbar. In der ärztlichen Behandlungssituation kann es dem Patienten schwer fallen, den Ausführungen zu folgen. Bei Patienten höheren Alters kann manchmal der Eindruck entstehen, dass sie an einer Demenz leiden. Item 8: Verlangsamung in Bewegung und Sprache oder Ruhelosigkeit (psychomotorische Gehemmtheit oder Agitiertheit) Gespräche gestalten sich mühsam, da sie verzögert und stockend Fragen beantworten, die Sprechmenge ist insgesamt verringert (Redearmut). Dies kann diagnostische und therapeutische Gespräche erschweren und auch eine Belastung für die Angehörigen darstellen. Veränderungen können hier unter Umständen gut in der Fremdwahrnehmung beobachtet werden. Item 9: Gedanken an den Tod Bei vollendeten Suiziden sind mit 50% die Depressionen die häufigste Ursache [32], eine starke Suizidgefahr besteht oft noch bei abklingenden Depressionen. Eine Untersuchung an Hausarztpatienten erbrachte, dass vor allem Patienten mit mittlerer und schwerer Depression Suizidversuche unternehmen [33]. ZaeFQ 377 Fragen 1–9: Depressionsmodul des PHQ-D ©2002 Pfizer GmbH; Übersetz./Validierung: Löwe, Zipfel, Herzog; Original: Spitzer, Kroenke, Williams 1999 Fragen 10–15 u. Ampelschema: DeMoL ©2006 Gensichen, Torge, Peitz, Mosig Frey, Universität Frankfurt a. M. Abb. 1. Die „Depressions-Monitoring-Liste“ mit integriertem PHQ-D ( 378 ZaeFQ = rot; = orange; = gelb; = grün) Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes. (2006) 100; 375–382 http://www.elsevier.de/zaefq Fragen 1–9: Depressionsmodul des PHQ-D ©2002 Pfizer GmbH; Übersetz./Validierung: Löwe, Zipfel, Herzog; Original: Spitzer, Kroenke, Williams 1999 Fragen 10–15 u. Ampelschema: DeMoL ©2006 Gensichen, Torge, Peitz, Mosig Frey, Universität Frankfurt a. M. Abb. 1. (Fortsetzung). Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes. (2006) 100; 375–382 http://www.elsevier.de/zaefq ZaeFQ 379 Die „Adherence/Therapietreue“ Im zweiten Bereich des Instruments werden zusätzliche behandlungsrelevante Informationen in einem Interview erhoben. Item 10: Medikamenteneinnahme Unregelmäßige Medikamenteneinnahme oder vorzeitige Therapiebeendigung sind ein häufiges Problem in der Depressionsbehandlung: 52% der Studienpatienten setzten die verordneten TCAs oder SSRIs innerhalb von 12 Wochen ab [34]. Unerwünschte Nebenwirkungen oder Informationsdefizite hinsichtlich der Erkrankung und der Wirkungsweise der Psychopharmaka sind häufig Gründe für die Noncompliance. Item 11: Zielvereinbarung In der Psychotherapie der Depression hat sich die Aktivitätsförderung als ein wirksames Behandlungselement erwiesen [35]. Dabei werden u. a. mit dem Patienten Aktivitäten zusammengestellt, die helfen, das Rückzugsverhalten zu reduzieren [36]. Die Frage im Instrument nimmt Bezug auf die als Therapieziel vereinbarte Aktivität. Die Praxiskommunikation Item 12: Zusatzinformationen zur Weitergabe an den Arzt Hier gibt eine offene Frage als Ergänzung zu den geschlossenen Fragen die Möglichkeit, Wünsche an die Praxis oder Probleme, die bislang nicht erfasst werden konnten, zu äußern. Diese Frage knüpft somit besonders an die bestehende Arzt-Patienten-Beziehung an. Item 13: Persönliche Einschätzung der Case Managerin Die persönliche Einschätzung der in kommunikativen Kompetenzen geschulten Case Managerin soll hier mögliche Diskrepanzen zwischen verbal geäußerten Aussagen und dem Eindruck im Gesamtverhalten des Patienten erfassen. Item 14: Terminplanung mit dem Patienten und Item 15: Informationen 380 ZaeFQ des Arztes an die Case Managerin. Hier wird der „Case Management-Kreislauf“ geschlossen: Der Arzt teilt der Case Managerin etwaige Behandlungsänderungen mit. Der Fragebogen wird von beiden unterzeichnet. Im DeMoL mit integriertem PHQ-D steuert ein handlungsorientiertes sogenanntes „Ampelschema“ den Informationsfluss zum Hausarzt. Hierbei wird jeder Antwort eine klinische Gefahreinschätzung zugeordnet – ähnlich den Erfahrungen aus der Asthmapatientenschulung (www.patientenleitlinien.de). Analog der Verkehrsampel wird hohe Gefahr mit einem dringlichen Arztkontakt (rot) und geringe Gefahr mit einem nicht dringlichen Arztkontakt (grün) verknüpft. Die Ampel bietet eine gute optische Orientierung, ist eindeutig in ihrer Strukturierung, als Gefahrenregulation weithin etabliert und damit allen Akteuren vertraut (siehe Textbox und Abb. 1). Das Ampelschema weicht vom Auswertungsalgorithmus des OriginalPHQ-D insofern ab, als im DeMol einige Symptome früher dem Hausarzt als auffällig gemeldet werden. Wenn der Patient bei Beantwortung der Frage nach Todesgedanken bzw. Suizidalität angibt, dass er Todeswünsche oder Suizidphantasien „an einzelnen Tagen“ oder häufiger hat, gilt dies aber bereits als auffällig, und der behandelnde Arzt muss eine sorgfältige Abklärung der Suizidalität ohne Zeitverzögerung durchführen. Experten-Peer Review (ArzthelferinnenBefragung): Von sieben vorab befragten Arzthelferinnen wurde u. a. die Befürchtung geäußert, dass vor allem die Frage nach der Verlangsamung (Item 8) für die Patienten nicht verständlich sein könnte. Weiterhin hatten die Arzthelferinnen Bedenken, eine mögliche Suizidalität anzusprechen (Item 9), da sie befürchteten, damit die Patienten erst auf den Gedanken zu bringen. Sie vermuteten, dass die Patienten nicht von ihnen auf das im ärztlichen Gespräch vereinbarte Ziel (Item 11) angesprochen werden wollten. Bei sechs der sieben befragten Arzthelferinnen löste der Fragebogen insgesamt Zustimmung aus. Praxistest: Bezüglich der Kommunikation mit dem Patienten gaben sieben der acht befragten Case Manager an, dass alle Patienten die Fragen gut verstanden hätten und die Fragen eindeutig beantworteten. Das Ampelschema sei eindeutig. Die Dauer des Telefonats schwankte von 5 bis 30 Minuten (abhängig von Patientenmerkmalen). Die von den Expertinnen erwartete und in der Literatur genannte Schwierigkeit, die Suizidalität anzusprechen, hat sich im Praxistest nicht bestätigt. In einem Fall konnte vom Hausarzt die Krankenhauseinweisung eingeleitet werden. Die Informationsweitergabe an den Arzt konnte in fast allen Fällen in der vorhergesehenen Art und Weise umgesetzt werden, der umgekehrte Informationsfluss funktionierte immer. Weiter- Das Ampelschema im DeMoL Rot – Es besteht eine bedrohliche Gefahrensituation. Der Patient muss sofort mit dem Arzt verbunden werden, da die unmittelbare ärztliche Abklärung erforderlich ist. Der Arzt entscheidet, ob das Interview weitergeführt werden kann. Diese Kategorie wurde im DeMoL mit integriertem PHQ-D nur für die Beantwortung einer möglichen Suizidalität mit „beinahe jeden Tag“ vergeben. Orange – Es besteht eine starke Auffälligkeit. Die Informationen sollten unverzüglich an den Arzt persönlich weitergegeben werden, also z. B. wenn er das nächste Mal das Sprechzimmer verlässt. Er entscheidet dann über das weitere Vorgehen, z. B. das Vorziehen eines Sprechstundentermins. Diese Kategorie wurde für die höchste Symptomausprägung bei fast allen depressionsbezogenen Fragen verwendet. Bei Todesgedanken/Suizidalität wurden diese schon ab „an einzelnen Tagen“ eingestuft, da auch hier eine ärztliche Abklärung dringlich ist. Gelb – Es besteht eine deutliche Auffälligkeit, d. h. eine Belastung „an einzelnen“ oder „an mehr als der Hälfte der Tage“. Nach dem Telefonat mit dem Patienten sollte der Arzt angesprochen und über das Telefonat informiert werden. Grün – Der Befund ist unauffällig, die Situation ist stabil, d.h. das Symptom ist überhaupt nicht oder „nur an einzelnen Tagen“ vorhanden. Der Fragebogen kann dem Arzt ins Postfach oder in die Postmappe gelegt werden. Hier besteht kein akuter Handlungsbedarf. Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes. (2006) 100; 375–382 http://www.elsevier.de/zaefq hin wurden „lebensweltliche“ Zusatzinformationen gewonnen (Scheidung, Trennung, geplanter Umzug). Bezüglich der Integration in den Praxisablauf wurden von sechs Case Managern und vier Ärzten zeitweilige Zeit- und Raumprobleme angegeben. Die Gesamtbewertung auf einer 6-stufigen Skala entsprechend der Schulnoten ergab bei den befragten Case Managern einen Mittelwert von 1,9 und bei den Ärzten von 1,8. Das Ampelschema wurde von allen Befragten als nützlich für die Patientenbehandlung bewertet. Die Fragen zu den Hauptsymptomen der Depression, zur Suizidalität, zur Zielvereinbarung und zur Medikamenteneinnahme wurden von den Hausärzten als besonders hilfreich empfunden. Die zeitnahe und eindeutige Informationsübermittlung („Case Management-Kreislauf“) funktionierte in allen Praxisteams. Diskussion Mit dem DeMoL mit integriertem PHQD soll sich die Hausarztpraxis auf die besonderen Herausforderungen bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen besser vorbereiten können. Die methodische Entwicklung des Instrumentes unterliegt u. a. folgenden Beschränkungen: Manche Patienten mit affektiven Störungen sind zeitweise nicht in der Lage, valide Selbstauskünfte zu geben. Dies wird in Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmungen deutlich [37]. Das vorgestellte Instrument wurde noch nicht mit einer face-to-face-Anwendung verglichen. Bezüglich dieser Vergleichbarkeit ist bei anderen Depressionsinstrumenten eine ähnliche Validität belegt worden [38]. Auch bezüglich der Itemselektion kann diskutiert werden, ob die Abfrage der Psychotherapie-Compliance oder von Items bezüglich komorbider Erkrankungen aufgenommen werden sollte. Das Ampelschema in der DeMoL weicht vom Diagnose-Algorithmus des PHQ-D ab – obwohl sie damit auf wichtige Informationen für den behandelnden Hausarzt verzichtet. Innerhalb der DeMoL dient es nicht der Diagnosestellung, sondern der handlungsorientier- ten Gefahreinschätzung durch die Arzthelferin bei bereits diagnostizierten Patienten. Ein Gesamtpunktwert für die PHQ-D-Fragen für die Schwere der depressiven Symptomatik oder ein Algorithmus für die Diagnose von depressiven Störungen ist im DeMoL nicht vorgesehen. Ggf. muss das Ampelschema modifiziert werden, wenn durch relativ scharfe Cutpoints möglicherweise unnötige ärztliche Kontakte induziert werden könnten. Ob die „Depressions-Monitoring-Liste“ mit integriertem PHQ-D eine ebenso gute Änderungssensitivität wie der Original-PHQ-D [20, 21] aufweist, sollte ebenfalls in Folgestudien untersucht werden. Die Zieldiagnose des Instrumentes beschränkt sich auf Major Depression und andere depressive Störungen, obwohl in der hausärztlichen Versorgung auch andere psychische Syndrome (z. B. die Angststörungen) einen hohen Stellenwert haben [39]. Das Instrument dient dem kontinuierlichen Monitoring einer chronischen Erkrankung. Im DeMoL mit integriertem PHQ-D kommen u. a. standardisierte und geschlossene Fragen zum Einsatz, die auf der Depressionsdefinition des DSM IV beruhen, also letztendlich nur einzelne Symptome eines komplexen und vielgestaltigen Erkrankungsbilds erfragen. Im Sinne der verantwortlichen Delegation soll sich die DeMoL mit integriertem PHQ-D auf die spezifisch deskriptiven Kriterien der Major Depression beschränken und somit der Case Managerin keine überfordernden psychodiagnostischen Aufgaben zumuten. Letztlich bleibt der behandelnde Arzt für alle Aspekte der Depressionsdiagnose und -behandlung verantwortlich. Perspektiven Ein Hauptziel von Forschung im hausärztlichen Sektor muss letztlich die Prüfung und Einführung von praktikablen Lösungen für die Krankenversorgung sein. Die Behandlung von chronischen Erkrankungen ist im wesentlichen durch die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung bestimmt, dennoch können übergreifende Behandlungsprinzipien für die Versorgung von Pa- Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes. (2006) 100; 375–382 http://www.elsevier.de/zaefq tienten mit chronischen Erkrankungen beschrieben werden, z. B. das systematische Follow-up im Behandlungsverlauf durch Case Management. Eine effektive Nutzung von Case Management in der Hausarztpraxis gelingt nur, wenn es sich realistisch in die alltäglichen Praxisabläufe integriert. Die ersten Erfahrungen mit der DeMoL mit integriertem PHQ-D innerhalb des PRoMPT-Projektes mit über 300 Patienten sind hinsichtlich klinischer Relevanz und Praktikabilität vielversprechend. Die bei der Entwicklung gewonnenen Erfahrungen können teilweise auch für die Behandlung weiterer chronischer Erkrankungen genutzt werden. Derzeitig sind weitere Monitoring-Instrumente für die Hausarztpraxis in Entwicklung. Literatur [1] Grobe T, Dörning H. Schwerpunkt: Depressive Erkrankungen. Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse mit Daten und Fakten zur Arbeitsunfähigkeit und Arzneimittelverordnung 2002. Hamburg: Techniker Krankenkasse, 2003. [2] Jacobi F, Höfler W, Wittchen H. Prävalenz, Erkennens- und Verschreibungsverhalten bei depressiven Syndromen. Eine bundesdeutsche Hausarztstudie. Nervenarzt 2002;73:651–8. [3] Linden M. 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