Das Rätsel rationalistischer Erkenntnis Beginnen möchte ich mit zwei Beobachtungen, die die Methode der Philosophie betreffen. Die erste: Es gibt gegenwärtig sicher kein allgemeines Einvernehmen in der Frage Was Philosophie eigentlich ist. Die einen sehen den Philosophen primär in der Rolle eines Interpreten und Dolmetschers seiner eigenen Tradition und Geschichte, der stets darum bemüht ist, verloren gegangene Orientierung und Identität aufs Neue wiederherzustellen. Andere betonen den therapeutischen Aspekt der Philosophie, die uns den Ausweg aus dem Fliegenglas falsch gestellter Fragen und hausgemachter Scheinprobleme eröffnet. Von diesen beiden Philosophiebegriffen möchte ich eine stärker kognitivistische Konzeption der Philosophie unterscheiden. Aus ihrer Perspektive liefert uns die Philosophie wirkliche Erkenntnis über die Welt. Man könnte auch vom Modell der Philosophie als Wissenschaft sprechen. Hier nun scheiden sich die Geister. Für die sogenannten Naturalisten gilt es als ausgemacht, dass die Philosophie, wenn sie uns denn zu Erkenntnissen verhilft, dies nur mit Hilfe empirischer Methoden leisten kann. Letzten Endes fällt dann die Philosophie mit den empirischen Wissenschaften zusammen. Es gibt jedoch auch die Auffassung, dass es eine der Philosophie eigentümliche Erkenntnis gibt, die selbstständig gegenüber der empirischen Forschung ist. Die Grundlage der Philosophie wäre demnach eine erfahrungsunabhängige oder apriorische Erkenntnis. Diese Auffassung hat über lange Zeit hinweg das Selbstverständnis der Philosophie bestimmt. Strittig war nicht, ob wir durch reines Denken Erkenntnis gewinnen können, sondern nur, wie weit diese Erkenntnis reicht. Darüber waren Rationalisten, Transzendentalphilosophen und Empiristen sehr unterschiedlicher Auffassung. Die Rationalisten glaubten, durch reines Denken eine abstrakte Welt ewiger Wahrheiten erfassen zu können. Für Kant waren es dagegen nur die notwendigen Rahmenbedingungen jeder möglichen Erfahrung. Und der Empirismus in seiner klassischen Form beschränkte den Bereich des a priori Erkennbaren auf die rein begrifflichen Wahrheiten der Logik, Mathematik und Semantik. Wenn man an der Philosophie als eigenständiger Wissenschaft festhalten möchte, dann kann man nicht umhin, von der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis in irgendeinem Sinne auszugehen. Und nun die zweite Beobachtung: Wenn wir den Philosophen, also uns selbst, bei ihrer Arbeit auf die Finger sehen, dann kommen wir, wenn wir ehrlich sind, nicht darum herum zuzugestehen, dass die Berufung auf rationale Intuitionen, Gedankenexperimente und Begriffsanalyse im philosophischen Alltag eine überwältigende Rolle spielt. Was wäre, um 1 nur ein Beispiel zu nennen, die Erkenntnistheorie oder die Philosophie des Geistes ohne unsere Intuitionen über Gehirne im Tank, Zwillingserden oder Gettier-Fälle? Nur mit ihrer Hilfe können wir herausfinden, welches die Natur einer bestimmten Sache wie Wissen, Rechtfertigung, Wahrheit oder Bedeutung wirklich ist. Wenn wir uns in unserer philosophischen Arbeit jedoch auf rationale Intuitionen, Gedankenexperimente und Begriffsanalyse stützen, dann verwenden wir offensichtlich apriorische Methoden, denn die Frage, ob eine kontrafaktische Situation ein Fall der Sache X wäre, lässt sich anhand unserer Erfahrung nicht entscheiden. Was lässt sich aus diesen beiden Beobachtungen lernen? Dass es zwischen der Philosophie und der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis einen sehr engen Zusammenhang gibt. Die Frage, ob es eine Erkenntnis ganz unabhängig von aller empirischen Forschung allein aufgrund apriorischer Methoden gibt, ist deshalb nicht eine der Philosophie äußerliche erkenntnistheoretische Spezialfrage, sondern eine Frage, die für die Philosophie von vitaler Bedeutung ist. Sollte die Antwort negativ ausfallen, dann müssten wir die Philosophie vielleicht nicht aufgeben, wohl aber einer grundlegenden Revision unterziehen. Gleichwohl sind es die Philosophen selbst gewesen, die das Vertrauen in apriorische Methoden vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in eine tiefe Krise gestürzt haben. In meinem Vortrag heute werde ich zunächst kurz die Position des klassischen Rationalismus skizzieren. Ich werde sodann auf wichtige Einwände eingehen, die von Quine und im Gefolge von Kripke gegen apriorische Erkenntnis vorgebracht wurden. M.E. lassen sich diese Einwände relativ leicht zurückweisen. Sie können nicht zeigen, dass es keine apriorische Erkenntnis gibt. Sie zeigen jedoch, dass viele herkömmliche Auffassungen über die Leistungsfähigkeit und Funktion apriorischer Erkenntnis falsch sind. Schließlich möchte ich zeigen, dass sich ein wirklich ernstzunehmendes Problem für die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis nur ergibt, wenn man wie die Rationalisten den Gegenstandsbereich apriorischer Erkenntnis, also den Bereich möglicher Welten, realistisch versteht. Dieser Mögliche-WeltenRealismus ist jedoch als Interpretation unserer modalen Aussagen außerordentlich plausibel. Es ist dieser Realismus des Rationalisten, der die apriorische Erkenntnis ganz und gar rätselhaft macht. Ich werde zu zeigen versuchen, dass sich das Rätsel rationalistischer Erkenntnis auflöst, wenn wir einige lieb gewonnene, aber dennoch falsche Hintergrundsannahmen aufgeben. Mein Vortrag lässt sich deshalb auch als eine Verteidigung des klassischen Rationalismus verstehen. 2 I Beginnen wir also mit dem klassischen Rationalismus. Wenn man etwa an Leibniz oder Wolff denkt, lässt es sich durch die folgenden vier Thesen charakterisieren: Erstens: Es gibt eine apriorische Quelle der Rechtfertigung, die ich in Anlehnung an Descartes ‚rationale Intuition’ nennen möchte. Dies ist kurz die These des Apriorismus. Zweitens: Rationale Intuition liefert uns Wissen über notwendige Wahrheiten. Dies ist die These des Modalismus. Drittens: Notwendige Wahrheiten sind objektiv und vom mentalen Leben des Subjekts unabhängig. Dies ist die These des Modalen Realismus. Viertens: Die Quelle rationaler Intuition ist das Verstehen unserer mentalen Begriffe. Das bezeichne ich als These der exklusiv analytischen Natur apriorischer Erkenntnis. Vor diesem Hintergrund ist es leicht, den Rationalismus von anderen Positionen abzugrenzen, die ebenfalls die Existenz apriorischer Erkenntnis akzeptieren. Empiristen geben den Modalen Realismus (also These 3) auf. Für sie können wir auf analytischem Wege kein Wissen über die Welt gewinnen, sondern nur Wissen über die Beziehung unserer Begriffe. Kant gibt sowohl den Modalen Realismus als auch die These der exklusiv analytischen Natur apriorischer Erkenntnis (also Thesen 3 und 4) auf. Ihm zufolge können wir notwendige Tatsachen in der Welt nur erkennen, wenn wir die Welt selbst transzendental subjektivieren. Erkenntnis über die Welt ist jedoch niemals rein analytisch-begrifflich, sondern immer synthetisch. Es muss also für Kant synthetische Erkenntnis a priori geben. II Alle klassischen Anhänger apriorischer Erkenntnis (also Rationalisten, Kantianer und Empiristen) sind davon ausgegangen, dass a priori gerechtfertigte Überzeugungen unfehlbar und unangreifbar sind. Wenn man berücksichtigt, dass die empirische Rechtfertigung für sie fehlbar und anfechtbar ist, folgt daraus außerdem, dass die apriorische Methode der empirischen überlegen ist. Kurz: Man nahm an, dass die apriorische Rechtfertigung eine maximale Stärke hat. In Two Dogmas of Empiricism machte nun Quine Anfang der 50er Jahre darauf aufmerksam, dass sich im Prinzip jede gerechtfertigte Meinung als falsch herausstellen 3 kann und sogar durch empirische Gründe angefochten werden kann. Auch wenn Quine die universelle Fehlbarkeit und empirische Anfechtbarkeit in seinem Aufsatz nicht bewiesen hat, scheint mir diese Annahme doch sehr plausibel. Selbst in den Wissenschaften, die geradezu als Paradigma eines Höchstmaßes an Gewissheit gelten, nämlich der Logik und der Mathematik, findet offenbar so etwas wie ein Erkenntnisfortschritt statt, in dem veraltete und überholte Theorien durch neue, bessere ersetzt werden. Und auch ein ehernes Axiom der Euklidischen Geometrie, das Parallelenaxiom, konnte durch Einstein empirisch widerlegt werden. Wenn jedoch keine gerechtfertigte Meinung irrtumsimmun und vor empirischer Anfechtung sicher ist, dann – so folgerte Quine – kann es keine Rechtfertigung a priori geben. Dabei übersah er jedoch, dass die klassischen Anhänger apriorischer Erkenntnis zwar allesamt der Meinung waren, dass die apriorische Methode eine maximale Stärke hat, dass sie die apriorische Methode jedoch nicht durch diese Eigenschaft maximaler Stärke definiert haben. Sieht man sich die klassischen Texte einmal genauer an, dann wird die apriorische Methode der Erkenntnisgewinnung durch die Angabe ihrer Quelle definiert. Descartes sagt beispielsweise, dass die rationale Intuition eine unmittelbare Vernunfteinsicht sei.1 Er definiert die apriorische Erkenntnis also durch die Art und Weise, wie wir zu ihr kommen, nicht durch ihre Stärke. Ähnlich auch Kant. Er gibt in seiner Definition zwar die Quelle zwar nicht genau an, sagt aber immerhin negativ, dass man „ein von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängiges Erkenntnis … a priori“ nennt (B2). Auch systematische Gründe sprechen für eine solche Quellendefinition apriorischer Erkenntnis. Erstens klassifizieren wir Erkenntnis- und Wissensarten auch sonst anhand ihrer Quellen. Empirisches Wissen beruht auf Wahrnehmung. Selbstwissen beruht auf Introspektion. Und Erinnerungswissen auf Erinnerung. Warum sollte man bei Erkenntnis a priori zu einem anderen Klassifikationsmerkmal greifen? Zweitens wäre die Eigenschaft maximaler Stärke der Rechtfertigung unter Umständen kein hinreichendes Merkmal für apriorische Erkenntnis. Es gibt nicht wenige Anhänger der These, dass Selbstwissen (beispielsweise das Wissen, dass ich jetzt einen Schmerz empfinde) unfehlbar und empirisch unanfechtbar ist. Wenn ich glaube, dass ich einen Schmerz empfinde, dann muss das wahr sein. Und es könnte keinen empirischen Befund geben, etwa das Ergebnis irgendwelcher ärztlichen Untersuchungen, der es für mich rational machen würde, diese Überzeugung Vgl. Descartes, Regulae ad directionem ingenii, Regel 3, § 5: „Unter Intuition verstehe ich … ein … müheloses und deutlich bestimmtes Begreifen des reinen und aufmerksamen Geistes …“ 1 4 aufzugeben. Dennoch möchte man aus diesem Grunde nicht unbedingt dazu gezwungen sein, Selbstwissen als a priori zu klassifizieren.2 Ich komme also zu folgendem Ergebnis: Wenn apriorische Erkenntnis durch die Quelle oder Methode der Meinungsbildung definiert wird, die wir vielleicht zunächst einmal ganz vorsichtig mit Kant als „erfahrungsunabhängig“ bezeichnen können, dann kann aus Quines These, dass keine Rechtfertigung eine maximale Stärke hat, nicht folgen, dass es eine apriorische (d.h. erfahrungsunabhängige) Erkenntnis nicht gibt. Es ergibt sich aber durch Quines Kritik ein völlig neues Bild apriorischer Erkenntnis: Demnach kann es in diesem Bereich, genau wie im empirischen Wissen, einen rationalen Wandel und Fortschritt geben, und zwar nicht nur aufgrund immanenter Kritik (so wie eben mathematische Einsichten durch andere mathematische Einsichten korrigiert werden können), sondern auch durch Kritik von Seiten der empirischen Wissenschaften. Die apriorische Erkenntnis kann sich also nicht einfach vor anderen Erkenntnisarten abschotten. Quines Einsicht hat aber noch eine weitere wichtige Konsequenz. Wenn nämlich apriorische Methoden empirischen Methoden nicht prinzipiell an Stärke überlegen sind, dann muss auch die alte Idee einer apriorischen Grundlegung allen empirischen Wissens aufgegeben werden. Ich komme damit zu einem zweiten wichtigen Einwand gegen apriorische Erkenntnis. Die empirischen Quellen der Rechtfertigung sind sehr gut erforscht. Dass so etwas wie Wahrnehmungsprozesse existieren wird niemand ernsthaft bezweifeln. Genauso wenig, dass sie über Sinneserfahrungen zu Meinungen über unsere Umwelt führen. Ganz anders sieht es im Fall apriorischer Rechtfertigung aus. Wir wissen bislang wenig, zu wenig über die relevanten Prozesse. Das ist der tiefere Grund dafür, warum die meisten Anhänger des Apriorismus die Quelle mit Kant rein negativ als „erfahrungsunabhängig“ charakterisieren. Doch warum sollte man dann nicht mit demselben Recht einfach daran zweifeln können, dass es so etwas wie genuin apriorische Methoden überhaupt gibt? Der Verdacht lässt sich nicht leicht von der Hand weisen, dass so genannte apriorische Methoden am Ende doch von der Erfahrung abhängen könnten. In diesem Fall liegt die Beweislast eindeutig beim Aprioristen. 2 Es ist auch vorgeschlagen worden, Erkenntnis a priori als Erkenntnis über notwendige Tatsachen zu definieren. Dieser Vorschlag wirft jedoch verschiedene Probleme auf. Erstens wäre damit „a priori“ keine epistemische, sondern nur noch eine metaphysische Eigenschaft. Zweitens könnten dann im Prinzip auch empirische Erkenntnisse a priori sein (zumindest wenn Kripke mit seiner These der Existenz metaphysischer Notwendigekeiten a posteriori Recht hätte), was absurd scheint. Und drittens werden Erkenntnisarten generell nicht nach ihren Gegenstandsbereichen klassifiziert. Es ist sehr wohl möglich, dass ein und derselbe Gegenstandsbereich (sagen wir psychische Zustände) für verschiedene Erkenntnisarten zugänglich ist (durch äußere Beobachtung des Verhaltens empirisch, aber auch introspektiv). 5 Solange er nicht zeigen kann, dass die apriorische Erkenntnis eine natürliche erkenntnistheoretische Art bildet, sollte er aus Sparsamkeitsgründen auf die Annahme apriorischer Erkenntnis verzichten. Doch an dieser Stelle kann sich der Apriorist einer Strategie bedienen, die bereits Leibniz und Kant vor ihm zur Verteidigung apriorischer Erkenntnis verwendet haben.3 Auch wenn wir nicht genau wissen, wie wir erfahrungsunabhängige Erkenntnis gewinnen, können wir dennoch beweisen, dass wir über erfahrungsunabhängige Erkenntnisquellen verfügen müssen. Es genügt dafür der Nachweis, dass wir offensichtlich über Erkenntnisse von Gegenstandsbereichen verfügen, die wir auf empirischem Wege nicht erworben haben können. Das wäre ein indirekter Beweis dafür, dass es irgendwelche erfahrungsunabhängigen Erkenntnisquellen geben muss, wie auch immer sie genauer aussehen mögen. Doch über welche Erkenntnis verfügen wir, die wir keinesfalls durch Erfahrung erworben haben können? Kant hatte die Mathematik sowie allgemeine Gesetze der Erfahrung und das Prinzip der kausalen Determiniertheit der Natur im Sinn. Doch die Versuche einer empiristischen Rekonstruktion der Mathematik halten an. Und von Gesetzen und kausaler Determination wissen wir am Ende doch durch empirische Theoriebildung mit Hilfe von Induktion und explanatorischen Schlüssen. Saul Kripke hat zudem zeigen können, dass unser modales Wissen aufgrund von Erfahrung sogar noch erheblich weiter reicht. Wir können selbst von Notwendigkeiten im stärksten Sinne, also von metaphysischen Notwendigkeiten, die in einschränkungslos jeder möglichen Welt gelten, durch Erfahrung wissen, und zwar deshalb, weil bestimmte Tatsachen, die in jeder möglichen Welt bestehen, durch die aktuale Welt festgelegt werden. Das gilt etwa für die Identität zweier Dinge oder die Substanz einer natürlichen Art. Wie die aktuale Welt beschaffen ist, lässt sich aber unschwer empirisch herausfinden. Hat das empirische Wissen also keine Grenzen? Es ist überraschenderweise Kripke selbst gewesen, der an einer leicht zu überlesenden Stelle in Name und Notwendigkeit darauf hinweist, dass sich keineswegs alles modale Wissen auf Vgl. Leibniz, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, Band I, Vorwort, S. XI: „Daraus entsteht eine andere Frage, ob nämlich alle Wahrheiten von der Erfahrung, d.h. von der Induktion und von Beispielen abhängen, oder ob es solche gibt, die noch einen anderen Grund haben. … Die Sinne sind zwar für alle unsere wirklichen Erkenntnisse notwendig, aber doch nicht hinreichend, um uns diese Erkenntnisse ganz zu geben, weil sie stets nur Beispiele, d.h. besondere oder individuelle Wahrheiten geben. Nun genügen aber alle Beispiele, die eine allgemeine Wahrheit bestätigen, mögen sie noch so zahlreich sein, nicht, um die allgemeine Notwendigkeit eben dieser Wahrheit festzustellen …“. Vgl. Kant zum Kriterium apriorischer Erkenntnis Krv, Einleitung, B3B5. 3 6 empirische Quellen zurückführen lässt: „Bestimmte Aussagen – und meiner Ansicht nach ist die Identitätsaussage ein Paradigma einer solchen Aussage – müssen, wenn sie überhaupt wahr sind, notwendigerweise wahr sein. (Ob sie wahr sind, finden wir empirisch heraus.) Man weiß (jedoch nur) a priori, aufgrund philosophischer Analyse, dass eine solche Identitätsaussage, wenn sie wahr ist, notwendigerweise wahr ist.“ (NN 126) Wir können also laut Kripke von allen Tatsachen, einschließlich der metaphysisch notwendigen Tatsachen, auf empirischem Wege Wissen erwerben. Was wir jedoch nicht empirisch wissen können ist die Tatsache, dass es sich um metaphysische Notwendigkeiten handelt. Wissen davon, dass etwas metaphysisch (also im stärksten Sinne) notwendig ist, können wir nur a priori bekommen. Damit haben wir nun die Möglichkeit, das indirekte Argument für die Existenz apriorischer Erkenntnis neu zu formulieren: Wir können offenbar erkennen, dass bestimmte Tatsachen im höchsten Grade notwendig sind. Wir erkennen, dass Identitätssätze, die Eigennamen enthalten, notwendig sind. Wir erkennen, dass „2+2=4“ notwendig wahr ist. Oder dass es unmöglich ist, dass etwas zugleich eine bestimmte Eigenschaft hat und nicht hat. Oder dass Wissen notwendigerweise eine nicht-zufällig wahre Überzeugung ist. Alles das und noch sehr viele ähnliche Dinge können wir nicht auf empirischem Wege wissen. Also muss es erfahrungsunabhängige, d.h. apriorische, Erkenntnis geben. So lautet das reformulierte Argument. Ich möchte nicht behaupten, dass apriorische Erkenntnis sich nur auf Wissen über den notwendigen Status von Tatsachen beschränkt. Wichtig ist nur, dass zumindest in Bezug auf dieses Wissen der apriorische Status unstrittig ist. Ich möchte auch nicht behaupten, dass dieses Argument unangreifbar ist. Sicher ist es im Prinzip möglich, jede der beiden Prämissen zu bestreiten. Man könnte leugnen, dass wir wirklich Wissen vom modalen Status der Tatsachen hat. Oder man könnte versuchen, dieses Wissen gegen den ersten Anschein doch empirisch zu erklären. Wichtig ist allein, dass das Argument die Annahme der Existenz apriorischer Erkenntnis bis zum Beweis des Gegenteils zunächst einmal plausibilisiert. Lassen Sie mich ein kurzes Zwischenresümee ziehen. Die These, dass es apriorische Erkenntnis gibt, hat sich bislang gegen Einwände gut behaupten können. Allerdings hat sich auch herausgestellt, dass die apriorische Erkenntnis genau wie alle andere Erkenntnis fehlbar und anfechtbar ist und deshalb kein sicheres Fundament der empirischen Erkenntnis bilden kann. Sie ermöglicht uns jedoch offensichtlich einen eigenen Zugriff auf metaphysische 7 Notwendigkeiten. Apriorische Erkenntnis erweist sich als die Methode philosophischer Metaphysik. III Ein wirklich gravierendes Problem für die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis ergibt sich erst, wenn man eine bestimmte Annahme über die Natur der Gegenstände dieser Erkenntnis macht, eine Annahme die auch der Rationalist teilt. Er vertritt einen modalen Realismus, glaubt also, dass die apriorische Erkenntnis sich auf eine im robusten Sinne unabhängige Realität möglicher Welten und möglicher Gegenstände in diesen Welten bezieht. Vor einem solchen Realismus sind andere Aprioristen zurückgeschreckt. Die Empiristen leugnen jeden substantiellen Weltbezug apriorischer Erkenntnis. Für sie sind apriorische Erkenntnisse ohne jeden Tatsachengehalt. Sie handeln nur von unseren Begriffen und ihren Beziehungen. Und Kant hat die Modalität ebenfalls auf subjektive Vorstellungsformen zurückgeführt. Wir wissen dann von dem, was notwendig und möglich ist, nur weil unser Vorstellen die Notwendigkeiten und Möglichkeiten konstituiert. Wir erkennen nach Kant nur das von den Dingen a priori, was wir in sie hineinlegen. Doch wenn man unsere modalen Aussagen für wahrheitsfähig hält und ihre logischen Beziehungen auf ihre Gültigkeit hin bewerten will, dann kommt man nicht umhin, die reale Existenz möglicher Welten und möglicher Gegenstände für bare Münze zu nehmen. Das ist, soweit ich sehe, Konsens unter den gegenwärtigen Modaltheoretikern. modelltheoretischen Interpretation Technisch über gesprochen mögliche Welten müssen und wir mögliche in der Objekte quantifizieren und sind deshalb auf die Annahme der Existenz von Entitäten verpflichtet, die abstrakt sind, weil sie sich nicht einfach in unsere natürliche Welt einquartieren lassen. Hier wird nun endlich das wirkliche Rätsel rationalistischer Erkenntnis greifbar. Es ist völlig unerklärlich und mysteriös wie irgendein erkenntnistheoretischer Zugang zu solchen abstrakten Entitäten möglich sein soll. Eine Analogie kann das verdeutlichen. Stellen Sie sich ein Gehirn in einer Nährlösung vor, dessen Nervenenden nicht mit funktionsfähigen Sinnesorganen verbunden sind, die Informationen von der Umwelt aufnehmen, sondern in einen Computer münden, der unter der Kontrolle eines bösartigen Neurowissenschaftlers das gesamte mentale Leben dieses Gehirns simuliert. Wie sollte dieses Gehirn im Tank die wirkliche, es umgebende Außenwelt erkennen, zu der es doch überhaupt keinen Kontakt hat? Ein ganz ähnliches Problem scheint die Erkennbarkeit notwendiger Tatsachen für den 8 Rationalisten aufzuwerfen. Wie kann unser bloßes Denken Welten entdecken, die in keinem direkten oder indirekten Kontakt zu ihm stehen? Wir befinden uns gegenüber der modalen Realität in der Position eines Gehirns im Tank. Genau genommen hat das sich abzeichnende Rätsel zwei Aspekte. Erstens: Wenn die modale Realität ganz unabhängig von unserem Denken und Vorstellen ist, wie kommen wir dann überhaupt zu Urteilen über diese Realität? Auf welche Gründe stützten wir uns in diesen Urteilen? Und zweitens: Wenn es tatsächlich solche Gründe geben sollte, wie können wir dann erklären, dass sie zuverlässig sind, obwohl es doch keinerlei Beziehung zwischen der modalen Realität und unseren Vorstellungen von ihr gibt? Der erste Aspekt des Rätsels lässt sich in einem Dilemma zuspitzen: Entweder die Gründe für unsere Notwendigkeitsaussagen sind quasi perzeptueller Natur. Wir würden dann über ein Vermögen der Ideenschau oder intellektuellen Wahrnehmung bezüglich der modalen Realität verfügen. Oder wir stützen unsere Notwendigkeitsurteile auf unser Begriffswissen, wie der klassische Rationalist meint. Beides ist jedoch unmöglich. Wir können notwendige Tatsachen nicht auf intellektuelle Weise wahrnehmen, weil jede Wahrnehmung eine kausale Einwirkung auf uns einschließt. Notwendige Tatsachen können jedoch nicht kausal auf uns einwirken. Eine Kausalrelation liegt nämlich nur dann vor, wenn gilt, dass das bewirkte Ereignis nicht eingetreten wäre, wenn das verursachende Ereignis nicht stattgefunden hätte. Diese Bedingung kann von notwendigen Tatsachen prinzipiell nicht erfüllt werden, weil sie aufgrund ihres notwendigen Charakters nicht hätten ausbleiben können. Aber auch unsere Begriffe können keine Quelle unserer Aussagen über die objektive modale Realität sein, denn unser Begriffsverständnis ermöglicht bestenfalls die Bildung analytischer Aussagen, und die handeln ja bekanntlich nicht von der Welt, sondern nur von den semantischen Relationen unserer Begriffe. Wie sollte man auf dieser Grundlage metaphysische Notwendigkeiten erfassen können? Diese Zwickmühle sieht zunächst unentrinnbar aus, und doch gibt es m. E. einen Ausweg. Wir müssen einfach das Dogma aufgeben, dass analytische Urteile allein wahr aufgrund der Bedeutung unserer Begriffe sind und damit nichts über die Welt aussagen. Alternativ zu dieser herkömmlichen Auffassung könnte man Analytizität erkenntnistheoretisch charakterisieren. Analytische Erkenntnisse wären dann dadurch ausgezeichnet, dass wir allein aufgrund unseres Verstehens der beteiligten Begriffe die durch diese Begriffe charakterisierte 9 Tatsache für notwendig wahr halten. Analytische Urteile wären also allein durch unser Begriffsverständnis gerechtfertigt. Diese erkenntnistheoretische Charakterisierung würde die Frage zunächst ganz offen lassen, was für die Wahrheit dieser Urteile verantwortlich ist. Es gibt nun einige gute Gründe, die für die Annahme sprechen, dass analytisch gerechtfertigte Aussagen entgegen der herkömmlichen Auffassung von der Welt handeln. Betrachten wir beispielsweise das Standardbeispiel „Junggesellen sind nichts anderes als unverheiratete Männer“.4 Zu diesem Urteil kommen wir, da wir in jeder vorstellbaren Situation einen unverheirateten Mann als Junggesellen bezeichnen würden und umgekehrt. Dabei stützen wir uns auf unser Begriffsverständnis, d.h. unsere Fähigkeit, diese Begriffe anzuwenden. Das Urteil handelt offensichtlich nicht von Begriffen, sondern von Junggesellen und unverheirateten Männern. Aber könnte es nicht trotzdem wahr allein aufgrund von Bedeutung sein? Nein! Denn was den Satz wahr macht, ist nicht nur die Identität der Bedeutungen der Begriffe „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“, sondern auch die Tatsache der Welt, dass alles, was ein unverheirateter Mann ist, ein unverheirateter Mann ist. Diese Tatsache mag trivial sein, aber hinter ihr verbirgt sich die Selbstidentität aller Gegenstände und das ist sicher keine reine Sache der Bedeutung. Der entscheidende Grund dafür, dass analytische Urteile nicht wahr aufgrund von Bedeutung sind, ist folgender: Für die Wahrheit von Urteilen ist die Extension unserer Begriffe verantwortlich, also das, worauf sie zutreffen. Was wir kognitiv durch unser Verstehen von Begriffen erfassen, ist jedoch die kognitive Intension. Sie steuert unsere Verwendung der Begriffe. Zwei Begriffe haben dann dieselbe kognitive Intension, wenn wir sie allein aufgrund unseres Verstehens in allen möglichen Situationen auf dieselben Gegenstände anwenden würden. Aus der Intensionsgleichheit zweier Begriffe folgt jedoch nicht automatisch, dass alles, was unter den einen Begriff fällt, notwendigerweise auch unter den anderen Begriff fällt. Das gilt nur unter der zusätzlichen Annahme, dass die kognitiv erfasste Intension die Extension in allen möglichen Welten bestimmt. Dieser Grundsatz der klassischen Fregeschen Semantik ist in den letzten Jahrzehnten jedoch zunehmend fragwürdig geworden, und zwar insbesondere deshalb, weil man die versteckte Indexikalität und Umweltabhängigkeit der Extension unserer Begriffe durchschaut hat. Wenn man den Grundsatz Die Intension bestimmt 4 Streng genommen ist dieser Satz falsch, denn unverheiratete Männer im Alter von 2 Jahren sind sicher keine Junggesellen. Aber Probleme dieser Art kann man schnell durch einige kleine Qualifikationen beheben. Gemeint ist natürlich „unverheiratete Männer im heiratsfähigen Alter“. Auf ähnliche Weise lassen sich alle vergleichbaren Probleme beheben. 10 die Extension aufgibt, dann ist kein Urteil mehr wahr allein aufgrund der intensionalen Bedeutung unserer Begriffe, die wir a priori erfassen, gleichwohl kann die Einsicht in die Beziehungen der Intensionen unserer Begriffe eine zuverlässige Methode der Entdeckung notwendiger Wahrheiten sein. Dazu muss die modale Realität einfach nur mit den für uns a priori erfassbaren Intensionen übereinstimmen. Kurz: Es ist nicht unplausibel anzunehmen, dass wir auf der Grundlage des Verstehens unserer Begriffe notwendige Wahrheiten erfassen, die nicht einfach nur durch die verstandenen Intensionen wahr gemacht werden, sondern den Status metaphysischer Notwendigkeiten haben. Damit komme ich zum zweiten Aspekt des Rätsels rationalistischer Erkenntnis. Unser Begriffsverständnis kann eine echte Quelle apriorischer Erkenntnis natürlich nur dann sein, wenn unsere auf dieses Verständnis gestützten Urteile zuverlässig sind. Dass es sich so verhält, lässt sich kaum mit Hilfe unabhängiger Gründe zeigen. Wenn es darum geht zu erkennen, dass Notwendigkeit im stärksten Sinne vorliegt, dann gibt es eben keinen anderen Weg als die apriorische Methode selbst. Das macht ja gerade ihren unverzichtbaren Charakter aus. Aber dieselbe Eigenschaft haben auch alle anderen basalen Quellen unserer Erkenntnis (wie die Wahrnehmung, die Erinnerung, die Induktion usw.). In all diesen Fällen können wir die Zuverlässigkeit einer Quelle nicht beweisen, ohne uns auf diese Quelle selbst zu berufen. Solange wir dies nicht als Argument für einen generellen Skeptizismus akzeptieren, sollten wir daraus auch der Rechtfertigung a priori keinen Strick drehen. Nun mag es ja sein, dass Methoden allein aufgrund ihrer tatsächlichen Zuverlässigkeit erkenntnistheoretische Autorität haben. Aus dieser Perspektive könnten empirische und rationalistische Erkenntnisse gleich gut dastehen. Der Empirist wird jedoch darauf beharren, dass eine prinzipielle Asymmetrie zwischen beiden Methoden besteht. Wir können nämlich erklären, warum die Sinneswahrnehmung eine zuverlässige Quelle von Erkenntnissen über unsere Umwelt ist. Die Umwelt drückt der Sinneswahrnehmung durch ihre kausale Einwirkung auf unsere Sinnesorgane einfach ihren Stempel auf. Und dass es dabei nicht zu allzu großen Verzerrungen kommt, wird durch die Evolution garantiert. Wir hätten als biologische Art kaum überlebt, wenn wir uns bei der Nahrungssuche und Fortpflanzung nicht zuverlässig mit Hilfe der Wahrnehmung in unserer Umwelt hätten orientieren können. Eine solche Erklärung der Zuverlässigkeit rationaler Intuitionen kann nur derjenige geben, der notwendige Tatsachen einfach wie der Empirist oder transzendentale Idealist auf unsere subjektiven Vorstellungen und Begriffe reduziert. Aus der realistischen Perspektive des 11 Rationalismus bleibt die Zuverlässigkeit rationaler Intuitionen dagegen „eine geheimnisvoll unerklärliche Tatsache“, wie Alfred Ayer es einmal genannt hat. Was in aller Welt könnte die Übereinstimmung unseres Denkens mit einer von ihm völlig unabhängigen Realität erklären? Notwendigkeiten wirken, wie gesagt, nicht kausal auf unser Denken ein. Und eine evolutionäre Erklärung der Zuverlässigkeit unserer rationalen Intuition ist nicht in Sicht. Notwendigkeiten sind nicht das Brot, das uns ernährt. Es besteht also für den Rationalisten eine Erklärungslücke bezüglich dieser Zuverlässigkeit. Doch was ist so schlimm daran? Der New Yorker Philosoph Hartry Field hat die Sache unlängst auf den Punkt gebracht: „Die Herausforderung (an die Adresse des Rationalisten) … besteht darin, die Mechanismen offen zu legen, die erklären können, warum unsere Meinungen so weit entlegene Tatsachen so gut abbilden können. Der Grundgedanke ist, dass wenn es im Prinzip unmöglich erscheint, eine solche Erklärung zu geben, dadurch der Glaube an solche Entitäten unterminiert wird …“ (1989, 26) Sobald man also entdeckt, dass man die Zuverlässigkeit einer Erkenntnisquelle nicht erklären kann, raubt diese Entdeckung der Quelle ihre erkenntnistheoretische Autorität. Denken Sie etwa an folgenden Fall: Jemand vertraut auf die hellseherischen Fähigkeiten einer bestimmten Person, weil er festgestellt hat, dass diese Person wiederholt mit ihren Prognosen über die Zukunft richtig gelegen hat. Sobald er sich jedoch klar macht, dass Hellseherei im Rahmen unseres wissenschaftlichen Weltbildes keinerlei mögliche Erklärung findet, genügt das, um dieser Quelle trotz der bisherigen positiven Bilanz ihre Glaubwürdigkeit zu rauben. Gleiches sollte auch für rationale Intuitionen gelten. Sobald wir erkennen, dass sie unerklärlich sind, verlieren sie automatisch ihre Rechtfertigungskraft. Ist der Rationalismus angesichts dieses Problems überhaupt zu retten? Eines ist sicher. Die offenkundige Erklärungslücke rationalistischer Erkenntnis stellt nur dann die Legitimität rationaler Intuition als Erkenntnisquelle in Frage, wenn sie ein Erklärungsdefizit benennt. Dafür müsste aber die Suche nach einer Erklärung im gegebenen Fall überhaupt sinnvoll sein. Genau das möchte ich bestreiten. Es liegt in der Logik des Erklärens, dass nur kontingente Tatsachen erklärt werden können. Wenn wir nach der Erklärung eines Faktums suchen, dann wollen wir herausfinden, warum es sich so und nicht anders verhält. Wenn eine Tatsache jedoch notwendig ist, d.h. wenn es keine möglichen Alternativen zu ihr gibt, dann ist sie auch nicht erklärbar. Ich muss also nur nachweisen, dass die rationale Intuition, wenn sie eine zuverlässige Quelle ist, dies auch notwendigerweise ist. Dann wäre die Zuverlässigkeit 12 rationaler Intuitionen nicht einmal erklärungsbedürftig und das Fehlen einer Erklärung wäre kein Defizit. Dieser Nachweis fällt gar nicht so schwer. Tatsächlich zuverlässige Gründe könnten nur dann unzuverlässig sein, wenn die Tatsachen, von denen die auf sie gestützten Urteile handeln, anders wären, als sie es tatsächlich sind. Das ist bei kontingenten Tatsachen natürlich möglich. Etwas, das tatsächlich so ist, könnte auch anders sein. Bei notwendigen Tatsachen ist es jedoch per definitionem ausgeschlossen. Sie sind notwendigerweise so wie sie sind. Die rationale Intuition ist also, wenn sie zuverlässig ist, notwendigerweise zuverlässig. Wenn die Notwendigkeitsurteile, die sie hervorbringt, zuverlässig sind, dann wären diese es auch in jeder anderen Welt, in der sie hervorgebracht würden. Und deshalb ist die Suche nach einer Erklärung ihrer Zuverlässigkeit sinnlos. Wer überhaupt nach einer Erklärung der Zuverlässigkeit rationaler Intuition sucht, hat bereits einen Kategorienfehler begangen, weil er notwendige Wahrheiten wie kontingente Wahrheiten behandelt. Lassen Sie mich zum Schluss die Ergebnisse noch einmal kurz zusammenfassen. Das Rätsel des Rationalismus, wie man denn die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis mit einem robusten modalen Realismus vereinbaren kann, löst sich in nichts auf, wenn man dem besonderen Charakter notwendiger Tatsachen gebührend Rechnung trägt. Dann erweist sich das Problem der Erklärungslücke als ein reines Scheinproblem. Wenn man außerdem das Dogma aufgibt, dass analytische Erkenntnis uns nichts über die Welt verraten kann, dann entpuppt sich die apriorische Begriffsanalyse als die Methode der philosophischen Metaphysik par excellence. Wir können durch die Bewertung kontrafaktischer Fälle notwendige (und sogar hinreichende) Bedingungen für das Vorliegen einer bestimmten Sache herausfinden. Damit haben wir den Schlüssel zur Natur philosophisch interessanter Phänomene wie Wissen, Wahrheit, Bedeutung oder Freiheit in der Hand. Allerdings ist der Erkenntnisprozess in der philosophischen Metaphysik den empirischen Wissenschaften sehr viel ähnlicher als man lange wahrhaben wollte. Wir müssen stets damit rechnen, dass wir unsere vorläufigen Ergebnisse im Lichte neuer Daten revidieren müssen. Und wir können auch nicht ausschließen, dass empirische Daten in diesem Zusammenhang relevant sind, denn Aussagen über notwendige Tatsachen können bereits dadurch falsifiziert werden, dass sich die empirisch erforschbare aktuale Welt als anders herausstellt, auch wenn umgekehrt Aussagen über die aktuale Welt Notwendigkeitsurteile niemals implizieren. Hier gilt dieselbe Asymmetrie wie bei singulären 13 und generellen Sätzen. Singuläre Sätze können generelle Sätze nicht logisch implizieren, wohl aber falsifizieren. 14