herzinsuffizienz

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Kardiolo
Hausarzt Medizin
DROHT EINE
HERZINSUFFIZIENZEPIDEMIE?
Die Herzinsuffizienz ist ein klinisches Syndrom, das Symptome und klinische ­Zeichen
struktureller oder funktioneller Veränderungen des Herzens vereint. Nach den
aktuellen Leitlinien der Europäischen
Gesellschaft für Kardiologie wird die Herzinsuffizienz nach der linksventrikulären Auswurfleistung (LVEF) eingeteilt (Tab. 1).
Prinzipiell wird dabei die H
­ erzinsuffizienz
mit reduzierter Auswurfleistung (Heart
­failure with reduced ejection fraction, HFrEF,
früher systolische Herzinsuffizienz) von der
Herzinsuffizienz mit erhaltender Auswurfleistung (Heart failure with preserved ejection fraction, HFpEF, früher diastolische
Herzinsuffizienz) unterschieden. Die HFpEF
hat eine ähnlich schlechte Prognose wie die
HFrEF.
Werden lediglich strukturelle oder funktionelle Veränderungen des Herzens ohne begleitende Symptomatik oder klinische Zeichen festgestellt (meist echokardiographisch
diagnostiziert), spricht man von asymptomatischer Herzinsuffizienz oder von
­diastolischer, systolischer oder kombinierter
­diastolisch-systolischer kardialer Dysfunktion. Unklar ist, ob die asymptomatische
kardiale Dysfunktion als Entität der Herzinsuffizienz oder als Vorstufe dieser zu bezeichnen sind.
Die Herzinsuffizienz ist in Deutschland
der häufigste Grund für ­stationäre Aufnahmen ins Krankenhaus. Angesichts des
demographischen Wandels und der zunehmenden Lebenserwartung stellt sich
daher die Frage, ob in den nächsten Jahren eine „Epidemie der Herzinsuffizienz“
zu erwarten ist.
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Bei der Herzinsuffizienz ist ein Anstieg der
Prävalenz und Inzidenz zu verzeichnen, der
viele Ursachen hat. Schätzungen zufolge leiden aktuell weltweit etwa 23 Millionen Erwachsene an einer Herzinsuffizienz. In den
USA sind zwei bis drei Prozent der Bevölkerung betroffen (5,8 Millionen), während die
Prävalenz in Europa mit 0,4 bis 2 Prozent (6,5
Millionen) berichtet wird. Die zunehmende
Alterung der Bevölkerung und die steigende
Lebenserwartung in Deutschland spielen eine entscheidende Rolle bei der Zunahme der
Prävalenz der Herzinsuffizienz.
Auch die Inzidenz der Herzinsuffizienz steigt
mit dem Alter an. Sie beträgt 4,7 pro 1.000
Personenjahre bei 65- bis 74-jährigen Männern und steigt auf 30,7 pro 1.000 PersonenDer Hausarzt 03/2017
Illustration: MHJ - iStockphoto.com
Prävalenz und Inzidenz
ogie
jahre bei den über 85-jährigen Männern. Bei
den Frauen steigt der Anteil in diesen Altersgruppen von 9,2 auf 43 pro 1.000 Personenjahre an [1]. Ergebnisse der bevölkerungsbasierten Framingham Heart Study aus den
USA zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, im
weiteren Leben die Diagnose Herzinsuffizienz zu erhalten, im Alter von 40 Jahren bei 20
Prozent liegt [2]. Aktuell leidet bereits jeder
10. Erwachsene über 80 Jahren an einer Herzinsuffizienz (12 Prozent). In den nächsten
Jahren ist vor allem in der Altersgruppe der
über 80-Jährigen ein Anstieg von 66 Prozent
der Herzinsuffizienzfälle zu erwarten [4].
Risikofaktoren
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infarkte als auch deren Schwergrad ab.
­Allerdings führen ein längeres Überleben
mit KHK und nach Herzinfarkten langfristig
zu einer Zunahme der Herzinsuffizienzfälle.
Die Herzinsuffizienz selbst hat mit einer­
Fünf-Jahres-Mortalität von 41 Prozent ­eine
schlechte Prognose [6], jedoch zeigen Vergleiche zwischen 1950 und 1999 einen Anstieg der Überlebensrate [7]. Ursächlich
hierfür sind u. a. die positiven Effekte der
medikamentösen Therapie mit Betablockern und ACE-Hemmern sowie ein verbessertes Management der KHK und ein
längeres Überleben mit Risikofaktoren wie
Hypertonie, Diabetes mellitus und Adipositas. Abzuwarten bleibt zudem, wie sich die
Einführung von neuen Präparaten, z. B. zur
Neprilysin-Inhibition, auf die Mortalität der
Herzinsuffizienz auswirken.
Vor allem die Zunahme des Diabetes mellitus und der Adipositas trägt zur epidemischen Bedrohung der Herzinsuffizienz bei.
Mit ca. sechs Millionen Erkrankten liegt die
Mehr HFpEF-Fälle
Prävalenz des Typ-2-Diabetes in Deutschland heute schon bei ca. neun Prozent. Die
Auch das zunehmende diagnostische BeBedeutung des Diabetes für die Herzinsuffiwusstsein wirkt sich auf die epidemiolozienz ist immens: Bei Mängischen Maßzahlen aus.
nern erhöht sich das Risiko,
Wurde die HerzinsuffiziTab. 1: Einteilung der
an einer Herzinsuffizienz
enz bis vor einigen Jahren
Herzinsuffizienz
zu erkranken, um das Zweinoch vor allem als ein rein
fache, bei Frauen sogar um
linksventrikuläres Pump▪▪ Herzinsuffizienz mit redudas Fünffache [17]. Zwar
versagen verstanden, wurzierter Auswurfleistung
(HFrEF),
früher
systolische
ist auch eine positive Entde die Bedeutung der HerzHerzinsuffizienz
wicklung hinsichtlich der
insuffizienz mit erhaltener
▪▪ Herzinsuffizienz mit erPrävalenz protektiver FakAuswurfleistung (HFpEF)
haltener Auswurfleistung
toren wie Nikotinverzicht
­inzwischen erkannt und
(HFpEF), früher diastound körperliche Aktivität
folglich auch häufiger diaglische Herzinsuffizienz
zu verzeichnen, diese wird
nostiziert. Wesentlich trägt
jedoch durch den stetigen
hierzu die Entwicklung
Anstieg anderer Faktoren
neuerer echokardiographiu. a. Übergewicht, aufgewogen [4].
scher Methoden wie z.B. die GewebsdopplerAls sehr bedeutender, wenn nicht als bedeuechokardiographie (Tissue doppler) bei. In
tendster ­Risikofaktor für die Herzinsuffiaktuellen großen bevölkerungsbasierten Unzienz mit eingeschränkter Pumpfunktion
tersuchungen macht die HFpEF mehr als die
gilt weiterhin die koronare ­Herzkrankheit
Hälfte (54 Prozent) aller Herzinsuffizienz­
(KHK). Etwa ein Drittel aller Patienten entfälle aus [8]. Insgesamt ist davon a­ uszugehen,
wickelt innerhalb von sieben bis acht ­Jahren
dass 1,1 bis 5,5 Prozent der Gesamtbevölkenach einem Herzinfarkt eine Herzinsufrung eine HFpEF aufweisen. Die Prävalenz
fizienz [5]. Zwar nimmt durch ­verbesserte
der HFpEF ist ebenfalls altersabhängig und
Präventionsmaßnahmen der KHK und ein
steigt von ein Prozent in der Gruppe der 25verbessertes Management des akuten Myobis 49-Jährigen auf vier bis zehn Prozent in
kardinfarkts sowohl die Anzahl der Herzder Gruppe der über 80-Jährigen an [3]. Es
Der Hausarzt 03/2017
Prof. Dr. med.
­Philipp Sebastian
Wild, MSc
Präventive Kardiologie und ­Präventive
Medizin, Johannes
Gutenberg-Universität Mainz
E-Mail: philipp.wild@
unimedizin-mainz.de
Dr. med. Sören
­Schwuchow
Zentrum für Kardiologie, Johannes Gutenberg-Universität
Mainz
Dr. med. Sven Tröbs
Zentrum für Kardiologie, Forschungszentrum für Translationale Vaskuläre
Biologie (CTVB),
Johannes Gutenberg-Universität
Mainz
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Abb. 2: Ursachen einer Herzinsuffizienz-Epidemie
Zunahme Fallvolumen
Demographischer
Wandel
Diabetes und
Übergewicht
Überleben bei
KHK und Bluthochdruck
Awareness,
diagnostische
Technologie,
Definition
Inzidenz der
Herzinsuffizienz
Modifikatoren
Inzidenz
akuter
Myokardinfarkt
Bessere Behandlung KHK
und Bluthochdruck
Schweregrad
Myokardinfarkt
Abnahme Fallvolumen
Prävalente
Fälle
Hospitalisierung mit
Diagnose Herzinsuffizienz
Überleben
Tod
Die Inzidenz und Prävalenz d­ er Herzinsuffizienz werden voraussichtlich weiter ansteigen. Verantwortlich hierfür sind mehrere Faktoren (modifiziert nach [18]).
wird angenommen, dass die HFpEF mit
einer Zunahme von ca. ein Prozent pro
Jahr die HFrEF als dominierenden Phänotyp der Herzinsuffizienz in einigen
Jahren ablösen wird [9].
Folgen einer Epidemie
Die Herzinsuffizienz war 2014 mit
432.398 Patienten die häufigste
Hauptdia­gnose bei stationären Behandlungsfällen in Deutschland. ­Dabei
kam es zwischen den Jahren 2000 bis
2013 zu einem Anstieg um 28,4 Prozent
bei den herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierungen [10]. Knapp 75 Prozent
der im ambulanten Bereich diagnostizierten Patienten mit Herzinsuffizienz
müssen ca. 1,7 Jahre nach Diagnosestellung stationär aufgenommen werden [12]. Es muss festgestellt werden,
dass ein großer Teil der Patienten innerhalb kürzester Zeit nach der Entlassung
erneut aufgenommen werden muss.
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Hinsichtlich der ­Hospitalisierungsraten
spielt die zunehmende Alterung der Bevölkerung und die damit einhergehende Multimorbidität eine große Rolle.
Etwa 40 Prozent aller Patienten ­weisen
mehr als fünf Komorbiditäten auf. Dabei fallen 80 Prozent aller Krankenhaustage auf die Patientengruppe mit
Multimorbidität [15].
Kardiovaskuläre Ereignisse sind als Todesursache bei Patienten mit Herzinsuffizienz rückläufig. Dies gilt vor allem
für Patienten mit HFpEF. Hier zeigt
sich eine Abnahme kardiovaskulärer
Todesursachen von 69 Prozent in den
1980er-Jahren auf 40 Prozent zu Beginn des 21. Jahrhunderts [16]. Durch
das längere Überleben mit Herzinsuffizienz rücken die nichtkardiovaskulären Komorbiditäten zunehmend in
den Vordergrund.
Die Zunahme der Patienten mit Herzinsuffizienz stellt das Gesundheitssystem nicht nur vor Probleme hinsichtlich der Gewährleistung einer
qualitativ hochwertigen ­ambulanten
und stationären Versorgung, sie fordert es auch ökonomisch ­heraus.
­Zwischen 2002 und 2008 stiegen die
Kosten der Herzinsuffizienz von 2,37
auf 3,23 ­Milliarden Euro. Dies entspricht einem Anstieg von 36 Prozent
und nimmt damit Platz 1 unter den
Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein. Die
Kosten entstehen zum einen direkt
durch die Aufwendungen für die medizinische Versorgung, zum anderen
indirekt durch Produktivitätsausfälle.
Schätzungen zufolge wird sich die Höhe der direkten Kosten bis 2030 annähernd verdreifachen [1].
Literatur unter http://www.derhausarzt.eu
Mögliche Interessenkonflikte: Philipp S. Wild erhielt Forschungsförderung von Boehringer Ingelheim, Philips Medical Systems, Sanofi-Aventis,
Bayer Vital, Daiichi Sankyo, IMO Institut, Portavita
B. V., Roche Diagnostics, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), der Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz; dem
Ministerium­für Soziales, Arbeit, Gesundheit und
Demografie Rheinland-Pfalz (MSAGD) sowie der
Stiftung Mainzer Herz. Weiterhin erhielt er Honorare für Vorträge oder Beratungstätigkeiten für
AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheim sowie
Sanofi-Aventis. Phi­lipp S. Wild wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert
(BMBF 01E01503).
FAZIT
Vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung wird die Prävalenz der Herzinsuffizienz in den nächsten Jahren weiter steigen. Die Zunahme von Risikofaktoren für die
Herzinsuffizienz wie Diabetes mellitus und Adipositas, aber auch das längere Überleben mit
Erkrankungen wie KHK und Hypertonie, die eine Herzinsuffizienz zur Folge haben können,
tragen zu einer steigenden Inzidenz bei. Vor diesem Hintergrund kann von einer zu erwartenden Epidemie der Herzinsuffizienz gesprochen werden. Vermutlich wird in den kommenden
Jahren die HFpEF der bedeutendste Phänotyp der Herzinsuffizienz sein.
Der Hausarzt 03/2017
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