Resümee zur 1

Werbung
Resümee zur 1. Sitzung Übung „Körpersprache“ – SoSe 2009
(pk-ss-2009-ue-ks-1, Wolfgang Boettcher)
Zur Rolle der Körpersprache im Rahmen von face-to-face-Kommunikation:
„Im unmittelbaren kommunikativen Austausch mit anderen ist der Körper auf geradezu aufdringliche
Weise präsent. Während die gesprochenen Wörter eins nach dem andern produziert, aufgereiht,
serialisiert und durch das Nadelöhr des Nacheinander gezwängt werden müssen, ist der Körper einfach da
und hat dazu noch die Möglichkeit, mit vielem zugleich an der Kommunikation teilzuhaben. Die
mimischen Vorgänge und das Blickverhalten, die Gestik und Pantomimik, die Haltung, Position und
Orientierung des Körpers, sein Territorial- und Distanzverhalten – beinahe alle diese Komponenten
können gleichzeitig an einer Kommunikation beteiligt sein. Diese Simultankapazität des Körpers lässt
ahnen, welch vielfältige Funktionen er im interaktiven Austausch mit anderen übernehmen kann“
(Bergmann, J.: Editorial zu „Psychotherapie und Sozialwissenschaft 1/2002, 1)
Anmerkungen zur Geschichte Der Körpersprachforschung:
Seit Ende der 60er Jahre wurde in der Linguistik in Deutschland zunehmend Gesprochene Sprache, also
mündlicher Sprachgebrauch, untersucht; und dabei wurden zunehmend Gespräche - als der vorrangige
Rahmen für mündlichen Gebrauch von Sprache - in den Mittelpunkt gerückt. Da in Gesprächen die
Beteiligten in komplexer Weise auch Stimm- und Körpersignale verwenden zur Steuerung ihrer
Kommunikation, wird schrittweise auch für die Linguistik klar, dass sie ohne Einbezug dieser nicht-verbalen
Dimension der Kommunikation Gesprächsverläufe und ihre Steuerungsmechanismen nicht angemessen
modellieren kann. Für die Linguistik war dies zunächst bedrohlich, weil sie mit dem Einbezug nonverbaler
Verhaltensweisen den Bereich konsistenter und wohlstrukturierter Zeichen verlassen würde und zudem im
Bereich der Erforschung körpersprachlicher Verhaltensweisen in die Konkurrenz zu Psychologie,
Sozialpsychologie, Verhaltensforschung usw. geriet.
Inzwischen hält der Einbezug von Analysen des körpersprachlichen Verhaltens bei den Studien zur mündlichen Kommunikation einen
Siegeszug, und zwar unter dem Begriff „Multimodalität“. Gerade auch in Gruppensituationen verständigen sich nicht-sprechende
Teilnehmende untereinander, und auch der gerade sprechende Mensch muss permanent seine sprachlichen und nonverbalen Handlungen
koordinieren. Insofern ist dieser Gesichtspunkt der Koordination – und zwar die Koordination der Handlungen zwischen Personen (=
interpersonelle K.) und die Koordination der Teilhandlungen einer Person (= intrapersonelle K.) eine wichtige Fragestellung der
Multimodalität.
Unter bestimmten Perspektiven wurde Körperverhalten freilich schon früh und immer wieder thematisiert: In
der antiken Rhetorik (insbesondere auch bei Quintilian 35-ca.100) unter dem Aspekt der `Zubereitung des
Körpers´ für die maximale Erzeugung des gewünschten kommunikativen Eindrucks; bei Engel (1741-1802)
im Rahmen seiner Befassung mit der Schauspielkunst (insbesondere in seiner briefförmigen Abhandlung
„Ideen zu einer Mimik“ von 1804); empirisch dann erstmalig bei Darwin in seiner berühmt gewordenen
Abhandlung von 1872 „Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei den Menschen und den Thieren“.
Vor dem ersten gesprochenen Wort eines Gesprächs arbeiten wir längst mit unserem Körper.
Z. B. benutzten wir im folgenden Wegauskunftsgespräch in der Rolle des Auskunfts-Suchenden
folgende körpersprachlichen Aktionen:
Wir werden langsamer,
wir orientieren uns erkennbar auf den zu Fragenden: Wir wenden uns in seine Richtung, ohne ihm (da
dies ein unhöflich druckvolles Verhalten wäre) `den Weg zu verstellen´,
wir suchen Blickkontakt (indem wir ihn anblicken, bis er auch uns anblickt),
wir nehmen eine erkennbar ihm zugewandte `interessierte´ Körper- und Kopfhaltung an,
wir lächeln
und dann sprechen wir:
1
2
3
4
5
6
7
8
10
11
12
13
Entschuldigung, wissen Sie, wo die
Einsiedelstraße ist?
Einsiedelstraße, ja?
Ja
Ja
Hm, hm, da müssen Sie hier die nächste Straße links
reingehen, dann halten Sie sich wieder links, kommen
Se da unter de Unterführung durch, und dann auf der
rechten Seite kommt die Einsiedelstraße, ja?
Ja.
Also links, nochmals links, unter de Brücke durch, die
Querstraße is die Einsiedelstraße.
Gut. Dankeschön
Konfiguration:
Unter Konfiguration kann man zwei Blickrichtungen einnehmen: 1. Wie Menschen sich in Beziehung
zueinander positionieren, 2. wie sie sich in Beziehung zu nicht Beteiligten und zur (räumlichen) Umgebung
positionieren:
(1) Wie Menschen in der Interaktion sich in Beziehung zueinander stellen/setzen, hängt von dem
Zusammenspiel von 3 Faktoren ab:
Körperabstand: Messpunkt ist der Augenabstand; wird die Nähe als zu groß empfunden, macht man
Ausgleichsbewegungen (zumindest mit dem Oberkörper zurücklehnen).
Nach Birdwhistell wird die Untersuchung des Näheverhaltens auch als „proxemics“ bezeichnet (gegenüber „kinesics“ für
Bewegungsverhalten)
-
(Körper-) Orientierung: Je frontaler man einander zugewandt ist, desto höher ist der BeziehungsDruck.
Blickkontakt: Sich gegenseitig Anblicken erhöht den Beziehungs-Druck
Eine zusätzliche Rolle spielt das Oben-Unten (erhöhte Stand- oder Sitzorte)
Analysegesichtspunkte:
Bedeutungsstatus: interaktiv (= Anzeichen) oder symbolisch (= Zeichen)?
Variation: universell – kulturgebunden – gruppenspezifisch – individualspezifisch
Kontextbindung von Bedeutungen
Methodische Verfahren:
Man erkundet die Bedingungen nonverbaler Kommunikation durch sog. „Laborforschung“ (=
Experimentieren mit kontrollierten Variablen in nicht-realen Situationen) oder durch sog. „Feldforschung“
(= Beobachtungen in echten Situationszusammenhängen, man nutzt allerdings auch Krisenexperimente
(indem man z.B. Räume anderer gezielt verletzt, `übervölkert´ usw.)
(2) Für die Untersuchung, wie Menschen sich gegenüber nicht Beteiligten positionieren, sind vor allem
Studien zum Verhalten im `beengten´ Raum interessant:
Beobachtungen zum Fahrstuhlverhalten:
Der – grundsätzlich zu enge – Raum im Fahrstuhl wird untereinander aufgeteilt unter einer Reihe von
Kriterien: (1) maximaler Abstand von einander, (2) `Rücken frei´ haben, (3) Blickkontrolle über den Raum
und insbesondere den Eingang, (4) Vermeidung von Blickkontakt (weil es den Nähe-Druck erhöhen würden),
(5) Vermeidung frontaler Ausrichtung (weil es den Nähe-Druck erhöhen würde), (6) Freihalten des
Innenraums, wenn die Umstehenden im Gespräch miteinander sind.
Beobachtungen zum Verhalten in Fluren:
Wer mit andern als Gesprächs-Gruppe einen engen Flur `blockiert´, hat auf Dauer die Pflicht, ihn
freizugeben.
Zunächst aber haben einzelne Personen, die nur durch die Mitte dieser Gesprächsgruppe laufen können,
offenbar die `Pflicht´, ihr Stören zu minimieren (= demonstriert durch Kopf-Einziehen, Kleinmachen, zügig
Durchgehen) und sich zu entschuldigen (mit Blicken oder mit Worten).
Lesehinweise zur heutigen Thematik „Konfiguration“:
Ein Klassiker:
Scherer, K. R. / Wallbott, H. G.: Nonverbale Kommunikation. Forschungsberichte zum Interaktionsverhalten.
Weinheim 1979. Darin insbesondere:
Kendon, A.: Die Rolle sichtbaren Verhaltens in der Organisation sozialer Interaktion, 202-225
weitere `Oldies´:
Schweizer, H. (Hg.): Sprache und Raum. Stuttgart 1985. Darin insbesondere:
Wegner, D.: Der persönliche Raum als Modell nonverbaler Proxemik, 162-182
Schweizer, H.: Ein-Leitung: Was bedeutet dem Menschen der Raum? 1-15
Streufert, S. / Nogami, G. V.: Der Mensch im beengten Raum. Praxis der Sozialpsychologie. Darmstadt 1979
Krege, W.: Kommunikationskulisse, synchrones und turbulentes Kollektivverhalten in
Gruppenzusammenkünften. In: Gruppendynamik, H. 4/1976, 284-300
eine neue(re) Studie:
Wrobel, Ulrike: Raum als kommunikative Ressource. Frankfurt/M. (Lang Verlag) 2007
Herunterladen