Der Reichsgründer Bismarck Mit den Erfolgen seit 1864 wurde ihm Anerkennung zuteil. Der Sieg über Österreich und die bewilligte Indemnität brachten ihm 400.000 Talern ein. Er kaufte sich davon das Gut Varzin in Hinterpommern. Daran hing Bismarcks Herz: Ich habe mir dort mit den Bäumen mehr zu sagen als mit Menschen. Nach 1866 war er aus der Politik einfach nicht mehr wegzudenken. Er ließ keinen Zweifel daran, dass die Mainlinie keinen Endzustand markierte. Es war lediglich die Zwischenstufe auf dem Weg zur deutschen Einheit. Bismarcks Ziel war die Vereinigung des norddeutschen Bundes mit den süddeutschen Staaten. Dabei kalkulierte er den Widerstand Napoleons III. ein, da durch den Krieg das europäische Gleichgewicht zugunsten Frankeichs verschoben war. Frankreich forderte das Gebiet Luxemburg, wie es durch Bismarck versprochen wurde. Bismarck verwies auf die Verhandlung mit dem König Wilhelm III. der Niederlande. Gleichzeitig tat Bismarck alles, die Pläne Frankreichs zu durchkreuzen. Er veröffentlichte die Schutz- und Trutzbündnisse zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten. Das heizte die antifranzösische Stimmung an. Luxemburg war indes ein neutraler Staat (Festlegung in der Konferenz von London) und die preußische Garnison wurde abgezogen. Napoleon III. war brüskiert und entschlossen jeder preußischen Machtexpansion einen Riegel vorzuschieben. Es gab einen unerwartet heftigen Widerstand der süddeutschen Staaten. Die Hoffnung, der Norddeutsche Bund wirke als Magnet, wurde nicht erfüllt. Grund dafür waren die Gesetze der Freizügigkeit, die umfassende Gewerbeordnung, die Einführung einheitlicher Maße und Gewichte und die Verabschiedung eines Strafgesetzbuches im Norddeutschen Bund. Die süddeutsche Regierungen fürchteten sich vor einer Verpreußung. Die Hoffnung das Zollparlament als Kern und Keim für die Anschlußentwicklung zu nutzen war hinfällig. Bei der Wahl zum Zollparlament hatte Bayern und Württemberg eine deutliche Mehrheit, gefolgt von Preußen. Dies war eine Enttäuschung für Bismarck. Er musste nun versuchen, sich in Geduld zu üben. Die Stagnation der deutschen Frage wurde überwunden, als eine Bedrohung von außen (Frankreich) kam. Grund hierfür war 1870 die Suche eines Thronfolgers für Spanien. Dem Erbprinzen des Hauses der Hohenzollern-Sigmaringen Prinz Leopold wurde der spanische Titel angetragen. Bismarck wusste, dass die Kanditatur des Prinzen Leopold eine heftige Reaktion Frankreichs zur Folge hätte. Er erkannte sofort die Chance, einen militärischen Konflikt zu provozieren und war entschlossen, das darin liegende Konfliktpotenzial voll auszuschöpfen. Dazu sollte Frankreich in eine Situation manövriert werden, dass es den Anschein hatte, dass Frankreich als Angreifer und Preußen als Angegriffener dastand. Bismarck hatte dann die Hoffnung, dass die süddeutschen Staaten sich dem Norddeutschen Bund anschlossen. Sollte Preußen die Darstellung als Opfer gelingen, würden sich die übrigen Mächte aus dem Konflikt raushalten. Der Erbprinz Leopold und Wilhelm I. stimmten dem spanischen Thron zu. Bismarck hielt sich in dieser Zeit in Varzin auf, so dass es den Anschein haben sollte, er hätte nichts damit zu tun. In Paris platzte die „spanische Bombe“, als die Thronkandidatur verbreitet wurde. Paris ließ sich nicht von der rein dynastischen Angelegenheit ohne Beteiligung der preußischen Regierung täuschen. Frankreich duldete keinen Hohenzollern auf dem spanischen Thron, da das die Gefährdung des europäischen Gleichgewichts zur Folge hätte. Bismarck war hochzufrieden: Das sieht ja aus wie der Krieg. Er wollte die Kriegsauslösung unter möglich günstigen Bedingungen. Frankreich verlangte von Wilhelm I., dass für alle Zeit ein Verzicht auf den spanischen Thron ausgesprochen wurde. Er wies die Sache entschieden zurück und schickte daraufhin ein Telegramm an Bismarck (Emser Depesche). Bismarck nutzte dies und schrieb die Depesche um. Damit forderte er eine Kriegserklärung von Frankreich heraus. Die kam prompt am 19.7.1870. Frankreich stand als Störenfried da und Bismarck in der Rolle verfolgter Unschuld. Die deutsche Öffentlichkeit stand hinter Preußen. Für die süddeutschen Staaten traten nun die Schutz- und Trutzbündnisse ein. Frankreich war gänzlich isoliert und bekam keine Hilfe von europäischen Großmächten. Preußen hatte sich die Neutralität Englands zugesichert, indem Bismarck der „Times“ einen Vertragsentwurf Benedettis (1866) zuspielte, welcher als Beweis für die Beabsichtigung der gewaltsamen Annexion Belgiens und Luxemburgs an Frankreich dienen sollte. Nach erfolgreichen Eröffnungsschlachten, wurde Mitte August die französische Hauptarmee auf der Festung Metz eingeschlossen, die zu Hilfe herbeigeeilte Armee im September bei Sedan einkesselt und geschlagen. Napoleon III. geriet in Kriegsgefangenschaft (wurde nach Kassel-Wilhelmshöhe gebracht) und das französische Regime brach zusammen. Die preußischen Truppen bildeten einen Belagerungsring um Paris und lieferten sich einen verlustreichen Kleinkrieg mit französischen Freischärlern. Bismarck war sehr wütend darüber und forderte härteste Vergeltungsmaßnahmen gegen die Freischärler: Man sollte alle Dörfer, wo Vorrat vorkommt, sofort ausbrennen und alle männlichen Einwohner hängen. Bismarck hegte eine tiefe Abneigung gegen Frankreich: Frankreich ist eine Nation voller Nullen [...]. Der Krieg verlängerte sich durch die Forderung der Annexion von Elsass und Teilen Lothringens an Preußen. Dies war Bismarck unverzichtbar und ein schwerer Fehler, eventuell der schwerste in Bismarcks Laufbahn. Zum einen wurde der Widerstand der französischen Bevölkerung angefacht, zum anderen die Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich über den Krieg hinaus dauerhaft gefestigt. Preußen verzeichnete erste Erfolge in den süddeutsche Staaten: am 15.11. traten Baden und Hessen-Darmstadt dem norddeutschen Bund bei. Bayern folgte am 23.11. Bismarck war begeistert: Die deutsche Einheit ist gemacht, und der Kaiser auch. Wilhelm I. sträubte sich aber gegen den Kaisertitel. Der Brief, in dem der bayrische König Ludwig II. ihm die Kaiserwürde antrug, war von Bismarck entworfen und mit Bestechungsgeldern aus den Welfenfonds erkauft. Am 18.01.1871 war die Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles. Bismarck war an diesem Tag „stark verstimmt und ungewöhnlich reizbar“. Kurz danach kapitulierte Paris und am 10.05. kam es zu einem Friedensschluss. Dies war für Bismarck der Gipfelpunkt seiner politischen Karriere. Er wurde in den Fürstenstand erhoben und erhielt als Geschenk von Wilhelm I. Sachsenwald bei Hamburg. Er hatte nun das Ziel, das Erreichte zu bewahren. Die Gründung des kleindeutschen-großpreußischen Nationalstaates löste eine Unruhe in Europa aus, denn das traditionelle europäische Gleichgewicht war gestört. Bismarck zerstreute aber die Befürchtungen, indem er weiteren territorialen Ansprüchen entsagte. Die Rolle der Selbstbeschränkung war unangenehm für ihn und stellte einen Lernprozess dar. Er knüpfte die Kontakte mit dem Zarenreich enger, um Frankreich zu schwächen und zu isolieren. Ein weiteres Ziel war es, das Verhältnis zu Österreich zu normalisieren. Im Oktober 1873 wurde ein Dreikaiserabkommen (Österreich, Russland, Preußen) abgeschlossen. Darin ging es um die gemeinsame Friedenswahrung in Europa. Es war jedoch eine brüchige Vereinbarung, zu sehen bei der „Krieg-in-Sicht“ Krise im Frühjahr 1875. Diese war von Bismarck provoziert worden. Frankreich hatte sich mittlerweile von den Kriegsfolgen erholt und konnte bei den Großmächten wieder ein kräftiges Wort mitreden. Bismarck versuchte einen Kontakt zu Russland herzustellen und war mit einer Koalition Russland – Frankreich konfrontiert. Er wollte jedoch keinen Krieg vom Zaun brechen. Frankreich wurde im April 1875 durch eine Pressekampagne eingeschüchtert und gleichzeitig konnte Bismarck testen, wie groß der Manövrierraum der deutschen Politik war. Damit überreizte er das Spiel. England und Russland schlossen sich zu konzentrierten Aktionen zusammen, da sie keine erneute Veränderung des Machtverhältnisses zugunsten Preußens duldeten. Das war eine Schlappe für Bismarck. Er erkannte, welche Grenzen er nicht überschreiten durfte, wenn er keine Gefährdung des Reiches haben möchte und es war eine wichtige Lehre für ihn. Er möchte nun die exponierte Stellung durch eine defensive Politik sichern. Das Grundprinzip dabei war die Förderung und die Kontrolle machtpolitischer Rivalitäten, ohne dass sich das Deutsche Reich selbst exponieren musste. Bismarck wendete dafür den Krieg zwischen Russland und der Türkei an. Russland fühlte sich um die Früchte des Sieges über die Türkei betrogen, verantwortlich dafür war Bismarck. Hier begann die Entfremdung des deutschen russischen Verhältnisses. Im „Ohrfeigenbrief“ vom Zar Alexander II. an Wilhelm I. schrieb Alexander eine Beschwerde, keine angemessene Honorierung für die Neutralität im Krieg 1870/71 bekommen zu haben. Das Dreikaiserabkommen war damit hinfällig. Nun drohte, dass sich Russland und Frankreich annäherten. Bismarck sah das Gespenst eines Zweifrontenkrieges und bemühte sich um eine engere Verbindung mit Österreich. Das Deutsche Reich und Österreich schlossen einen Zweibundvertrag, in dem sie sich gegenseitigen Beistand im Fall eines russischen Angriffs zusicherten. Dies war eine Dauerallianz und war erst mit dem Ende des 1. Weltkrieges beendet. Der Zweibund war ein Fundament für einen weiteren Aufbau von Bündnissystemen. Die Rechnung, Russland näher an Deutsche Reich heranzuziehen, ging auf. 1881 wurde ein Dreikaiservertrag (Russland, Österreich, Deutsches Reich) geschlossen und die drei Länder verpflichteten sich darin zur wohlwollende Neutralität, falls einer von ihnen in einen Krieg mit einer vierten Macht verwickelt werden würde. Im Mai 1882 wurde der Zweibund zum Dreibund, indem Italien mitaufgenommen wurde. Damit wurde eine übermächtige Koalition gegen das Deutsche Reich verhindert. Das Deutsche Reich verbürgte sich zudem für den europäischen Frieden. Eine neue Epoche brach an: der Imperialismus und der Ruf in den 80er nach Kolonien wurde immer lauter. Bismarck: Solange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik. 1884 /85 gibt er jedoch das Prinzip auf und es werden Gebiete in Afrika und in der Südsee unter deutschen Schutz gestellt. Bismarck hoffte dadurch das Verhältnis zu Frankreich entspannen und die Reibungsflächen mit Groß Britannien erhöhen zu können. 1885 starb der französische Ministerpräsident, welcher gegenüber Bismarck kompromissbereit war. Bismarck musste die Hoffnung begraben und legte nun mehr Wert auf die englischen Beziehungen. Er verlor das Interesse an den Kolonien. Unter Bismarck blieb die Kolonialpolitik eine Episode – eine Folgenreiche. Aus den Schutzgebieten in Übersee wurden staatlich verwaltete Kolonien und der Grundstein für ein deutsches Kolonialimperium wurde gelegt, welches eine eigene Dynamik gewann. In der Innenpolitik nach 1871 erließ Bismarck am 14. April 1871 eine neue Verfassung im Reichstag. Er behielt weiterhin seine vier Ämter: Ministerpräsident, Reichskanzler, Außenminister, Bundesratsvorsitzender. Manche Zeitgenossen sprachen von einer „Kanzlerdiktatur“. Trotz der Machtfülle war er von Ängsten geplagt. Ausgelöst wurde dies durch den Börsenkrach 1873, der den lang anhaltenden, konjunkturellen Aufschwung der Reichsgründungsära beendete. Aktienkurse verfielen und eine Welle von Konkursen folgte. Bismarck wurde in dem Glauben an das freie Spiel der Marktkräfte und den unbegrenzten Wachstum erschüttert. Verantwortlich dafür waren Juden. Bismarcks dunkelste Seite in seinem Politikerleben war, dass er seinen jüdischen Privatbankier öffentlich nicht in Schutz nahm, obwohl Gerson Bleichröder viele gute Dienste Bismarck gegenüber leistete. Die Wachstumsstörung nach 1873 nutzte Bismarck, um seine politischen Gegner zu „Reichsfeinden“ zu erklären. Als erstes traf es die Katholiken. Preußen war mehr protestantisch und sie fanden sich in einer konfessionellen Minderheit wieder. Die Katholiken gründeten eine neue Partei: Das Zentrum, welche die zweitstärkste Kraft in den Reichstagswahlen 1871 war. Bismarck erließ repressive Gesetze gegen sie, verschärfte die Gesetze ständig und wollte den Katholizismus als politische Kraft entscheidend treffen. Er unterschätzte die Widerstandskraft der Katholiken, sie rückten immer enger zusammen. Bismarck tritt daraufhin den Rückzug an und hob nach 1878 schrittweise die Kampfgesetze auf. Sein neuer Gegner sollten die Sozialdemokraten werden. Er verfolgte eine Doppelstrategie gegenüber der schwachen in zwei Parteien gespalteten, sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und wollte die Organisation unterdrücken und die Arbeiterfrage durch eine fortschrittliche Sozialpolitik lösen. Zuerst kam die repressive Variante. Er lastete der Sozialdemokratie die zwei Attentate auf Wilhelm I. an und wollte einen Vernichtungskrieg gegen die Sozialdemokratie führen. Im Oktober 1871 erließ er das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (Sozialistengesetze). Dieses übertraf die „Kulturkampfgesetze“. Die Sozialdemokratie formierte sich zur Massenbewegung. Von 1883 bis 1889 wurden die Gesetze zur Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung erlassen und waren für die damalige Zeit fortschrittlich. Der Feldzug gegen die Sozialdemokratie fiel in eine Phase der konservativen Wende in der Innenpolitik 1878/1879. Es kam zum Bruch mit den Nationalliberalen, die den Preis für die erwiesenen Dienste Bismarck gegenüber verlangten. Sie verlangten eine Weiterentwicklung der Reichsverfassung im parlamentarischen Sinne. Bismarck ließ sie einfach fallen und wandte sich den konservativen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen zu. Ihm lagen die Interessen der Agrarier am Herzen und ging auf die wirtschaftspolitischen Wünsche der neuen informellen Allianz aus „Roggen und Eisen“ ein. Das Ziel Bismarcks dabei war, dass sie sich zur Erhaltung der bestehenden Ordnung verpflichteten, die konservative Grundlage befestigten und dies eine dauerhafte Stärkung der eigenen Machtbasis zur Folge hätte. Der Liberalismus zerfiel nach und nach, was Bismarck höchst willkommen war. Sein Hass konzentrierte sich nun auf die Linksliberalen, da sie von der Perspektive einer demokratisch- parlamentarischen Entwicklung nicht lassen konnten. Es war jedoch ein Trugschluss, dass in der Innenpolitik bestehende System vor allen Veränderungen abschirmen zu können. Der gesellschaftliche Stillstand ließ sich nicht herbeizwingen. Die Kohle-, Eisen- und Stahlproduktion hatte ungeahnte Zuwachsraten bekommen und die Menschen aus den Agrarregionen im Osten wanderten in die Industriegebiete im Westen ab.