Rechtsgeschäft, Willenserklärung, Vertrag

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Fallbesprechung Zivilrecht I
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Wiss. Ass. Joachim Müller
Rechtsgeschäft, Willenserklärung, Vertrag
Fall 7:
In der Sportgaststätte des Andreas bestellt der Holger für sich und seinen Freund Pantani zwei
„Big Shot“ (Jägermeister, 4cl, eiskalt). Auf der mit Kreide beschrifteten Preistafel hatte ein
Scherzkeks am Abend zuvor den Preis von 3,90 € auf 1,90 € „ermäßigt“. Als Andreas von
Holger 7,80 € verlangt ist dieser empört, er will nur 3,80 € bezahlen.
Wie ist die Rechtslage?
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Wiss. Ass. Joachim Müller
Lösungsskizze
I.
Anspruch des Andreas (A) gegen Holger (H) auf Bezahlung von 7,80 €
1.
Vorfrage: Anspruchsgrundlage?
Hier: Bewirtungsvertrag (Vertrag sui generis)
2.
Anspruch des A gegen H auf Bezahlung aufgrund des Bewirtungsvertrag
(§§ 311 Abs. 1; 241 BGB)
Voraussetzung: zwei inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und
Annahme, §§ 145 ff. BGB)
a)
Angebot durch A
(-), Preistafel ist sog. invitatio ad offerendum
b)
Angebot durch H
-
Bestellung (+)
-
Problem: Inhalt der Erklärung; Lösung durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB;
-
Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist der objektive Erklärungswert
maßgebend, d.h. die Erklärung gilt so, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben
mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte.
Aus der Sicht des Empfängers ist der sog. objektive Empfängerhorizont maßgeblich
c)
Hier: Angebot zu 1,90 €, da Veränderung des Preises für A erkennbar
Annahme des A
-
zwar schlüssige Annahme;
-
Problem: Inhalt der Erklärung? Auslegung gem. §§ 133, 157 (objektiver
Empfängerhorizont der Gäste)
II.
Hier: Annahme für den Preis von 1,90
Ergebnis
Bewirtungsvertrag (+); Anspruch des A gegen H lediglich auf Bezahlung i.H.v. 3,80 €
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Wiss. Ass. Joachim Müller
Lösungsvorschlag
I.
Anspruch des A gegen H auf Bezahlung von 7,80 €
A könnte gegen H einen Anspruch auf Bezahlung in Höhe von 7,80 € haben.
1.
Vorfrage: Anspruchsgrundlage
Problematisch ist vorliegend die Anspruchsgrundlage für den Zahlungsanspruch des A. Das
Verhältnis, das zwischen A und H besteht, kann man als Bewirtungsverhältnis und einem
damit zusammenhängenden Vertrag als Bewirtungsvertrag bezeichnen. Eine ausdrückliche
Regelung eines solchen Vertrages findet sich im Gesetz nicht. Vielmehr sind in dem
Bewirtungsvertrag Bestandteile mehrerer (gesetzlich geregelter) Vertragstypen zu einer
Einheit verbunden (gemischter Vertrag). Der vorliegende Bewirtungsvertrag enthält Kauf(Erwerb der „Big Shots“), Dienst- (Ausschenken und Servieren) und Mietvertragselemente
(Überlassung von Glas, Raum, etc.); es handelt sich demnach um einen sog.
Typenkombinationsvertrag. Aufgrund der Vielfältigkeit eines solchen Vertrages ist
hinsichtlich der rechtlichen Behandlung grundsätzlich vom (mutmaßlichen) Parteiwillen
(§§ 133, 157 BGB) auszugehen, der nach der Interessenlage und der Verkehrssitte zu
ergänzen ist. In der Regel ist dabei für jede Leistung die Vorschrift des entsprechenden
Vertrages anzuwenden. Kollidieren diese Vorschriften ist der rechtliche und wirtschaftliche
Schwerpunkt des Vertrages ausschlaggebend (vgl. hierzu insgesamt, insbesondere zu den
anderen Ansichten (Absorptions- und Kombinationstheorie, sowie Theorie der analogen
Rechtsanwendung), Palandt/Heinrichs, Überl v § 311 Rn. 19 ff.; weiteres Beispiel: Leasing,
vgl. Palandt/Weidenkaff, Einf v § 535 BGB Rn. 27 ff.).
2.
Anspruch des A gegen H auf Bezahlung aufgrund des Bewirtungsvertrages
(§§ 311 Abs. 1, 241 BGB)
A könnte gegen H einen Anspruch auf Zahlung von 7,80 € aus einem Bewirtungsvertrag
(§§ 311 Abs. 1, 241 BGB) haben. Dann müßte ein Bewirtungsvertrag über die Lieferung von
zwei
„Big
Shot“
zustande
gekommen
sein.
Voraussetzung
für
das
wirksame
Zustandekommen sind auch bei einem solchen Vertrag eigener Art (sui generis) zwei
inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme, §§ 145 ff. BGB).
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Wiss. Ass. Joachim Müller
a)
Angebot durch A
Ein Angebot des A könnte in der Preistafel zu sehen sein. Da sich der A jedoch vorbehalten
dürfte, das Servieren – z.B. wenn die Getränke ausgegangen sind – abzulehnen, fehlt insoweit
noch
der
Wille
des
A,
sich
rechtlich
zu
binden.
Aufgrund
des
fehlenden
Rechtsbindungswillens des A handelt es sich bei der Preistafel lediglich um eine sog.
„invitatio ad offerendum“.
b)
Angebot durch H
Ein Angebot iS der §§ 145 ff. BGB liegt jedoch durch die Bestellung des H vor.
Fraglich ist allerdings, welchen Inhalt die Erklärung des H aufwies. Denn H hat nicht
ausdrücklich erklärt, zu welchem Preis er einen „Big Shot“ erwerben wollte. Die Erklärung
des H war lediglich dahingehend zu verstehen, daß er einen „Big Shot“ zu dem auf der
Preistafel angegebenen Preis bestellen wollte. Welcher der nach der Preistafel maßgebliche
Preis ist, ist durch sachgerechte Auslegung zu ermitteln.
Gem. § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille des
Erklärenden maßgeblich. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß bei empfangsbedürftigen
Willenserklärungen auch der Rechtskreis des Adressaten berührt ist. Mit der Funktion der
empfangsbedürftigen Willenserklärung wäre es unvereinbar, würde man nur den Sinn als
maßgeblich gelten lassen, den der Erklärende damit verbunden hat. Andernfalls wäre auch die
Regelung der Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB) weitgehend entbehrlich. Zu berücksichtigen
ist
bei
empfangsbedürftigen
Willenserklärungen
auch
der
Standpunkt
des
Erklärungsempfängers (§ 157 BGB); die §§ 133, 157 BGB kommen demnach ergänzend
zur Anwendung. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte stellt die hM auf den
objektiven (normativen) Erklärungswert ab: die Erklärung gilt so, wie sie der Empfänger
nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte. Bei der
Auslegung ist demnach vom sog. Empfängerhorizont auszugehen. Hinter der hM steht der
Gedanken einer gerechten Interessenabwägung und Risikozuteilung: einerseits wird vom
Erklärenden gefordert, daß er bei Äußerung seines Willens auf die Verständnismöglichkeit
des Empfängers Rücksicht nimmt; andererseits wird vom Empfänger verlangt, die Erklärung
zu interpretieren und dabei die jeweiligen Umstände zu berücksichtigen. Der Empfänger ist
wie ein objektiver Dritter zu behandeln, der Erklärung ist der Inhalt beizumessen, wie ihn
ein solche umsichtiger und unbefangener dritter Beobachter, der mit den äußeren Umständen
der Erklärung vertraut ist, im konkreten Fall verstanden hätte (sog. objektiver
Empfängerhorizont).
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Wiss. Ass. Joachim Müller
Vorliegend war für A erkennbar, daß sich das Angebot des H nach der Preistafel richtete. Der
A hätte auch erkennen können, daß auf dem Preisschild ein Preis von nur 1,90 € angegeben
war, zumal die Veränderung des Preises bereits am Abend zuvor stattgefunden hatte. Unter
Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizontes hätte A erkennen können, daß H für
1,90 € bestellen wollte.
Der H hat demnach dem A ein Angebot von 1,90 € gemacht.
c)
Annahme durch A
Fraglich ist jedoch, ob der A ein solches Angebot zu 1,90 € angenommen hat. Die Annahme
könnte in dem Servieren der „Big Shots“ liegen. Das Verhalten des A läßt den Schluß zu, daß
dieser das Angebot des H annehme; er erklärt demnach in Form schlüssigen Verhaltens die
Annahme. Zwar wollte A nur zu einem Preis von 3,90 € annehmen. Dieser Wille des A ist in
seiner objektiven Erklärung nicht zu Ausdruck gefunden. Geht man vom verobjektivierten
Empfängerhorizont aus, so mußte und durfte ein objektiver Betrachter in der Person des H
die Annahmeerklärung dahin verstehen, daß zu dem auf der Preistafel genannten und von ihm
zugrundegelegten Preis von 1,90 € angenommen werden sollte.
II.
Ergebnis
Es ist demnach ein Bewirtungsvertrag über die Lieferung von zwei „Big Shots“ zu je 1,90 €
geschlossen worden. A hat gegen H lediglich einen Anspruch auf Zahlung von 3,80 € - und
nicht von 7,80 € - aus einen Bewirtungsvertrag gem. § 241 BGB.
A ist jedoch nicht schutzlos. Er kann seine Erklärung gem. § 119 Abs. 1 BGB anfechten. Die
Anfechtung führt zur (rückwirkenden) Nichtigkeit des Bewirtungsvertrages gem. § 142 Abs. 1
BGB. Dem A steht dann ein möglicher Anspruch gegen H auf Wertersatz nach § 812 Abs. 1
S. 1 Alt. 1 i.V.m. § 818 Abs. 2 zu, wenn die „Big Shots“ mehr als je 1,90 € wert waren. Bei
einer Anfechtung ist aber stets zu beachten, daß möglicherweise ein – hier nicht vorliegender
– Vertrauensschaden gem. § 122 BGB zu ersetzen ist.
Weitere Hinweise zur Auslegung: Köhler § 9 Rn. 1 ff.; Medicus, BGB AT, Rn. 307 ff.;
Rüthers/Stadler § 18 Rn. 1 ff.
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