„Selektion“ in Bezug auf ethische Fragen am Lebensbeginn

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Thesenpapier zum Arbeitskreis: Medizin: Ethik und Recht – Wertewandel?
Aurenque
Dr. phil. Diana
Thema: Zur Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Begriff „Selektion“ in
Bezug auf ethische Fragen am Lebensbeginn und Lebensende
Thesen:
1. Fragestellung: Mit einem Blick auf die unterschiedlichen Argumente gegen eine
begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) lässt sich feststellen, dass das
Argument der „Selektion“ als ein zentrales Argument für ein Verbot der PID
fungiert. So wurde im Votum des Ethikrats (03.2011) für ein Verbot der PID
festgestellt, dass nur bei der PID – im Unterschied zu anderen Technik der
Pränataldiagnostik (PND) – ein „selektiver Blick“ im Vordergrund steht. Auch in der
Stellungnahme der Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz zum Thema
PID (04.2011), die sich ebenfalls für ein Verbot der PID aussprach, wurde festgestellt,
dass „PID […] im Ergebnis zu einer Selektion von Leben [führt]“, welche „nichtbehindertem Leben einen Vorrang vor behindertem Leben ein[räumt].“ Insofern die
medizinische Anwendung und die ethische Vertretbarkeit der PID mit dem
Selektionsargument nicht nur kritisiert wird, sondern dieses Argument auch zur
Begründung eines rechtlichen Verbots dienen soll, ist dieses Argument ernst zu
nehmen.
2. In Anbetracht der bisherigen Entwicklung der PID-Debatte in Deutschland lässt sich
jedoch feststellen, dass eine Auseinandersetzung mit dem ethischen Status der
Selektion, die im Kontext der PID mit der Frage nach der ethischen Zulässigkeit der
Selektion von Nachkommen einhergeht, streng genommen nicht geführt wird. Da
das Selektionsargument darauf abzielt, eine ethische Begründung für ein rechtliches
Verbot der PID anzubieten, ist eine Auseinandersetzung mit dem ethischen Status
der Selektion erforderlich. Hierin liegt die Annahme, dass ein ethisches Argument
gegen die Selektion mit historischen und intuitiven Vorbehalten nicht hinreichend
begründet werden kann.
3. Da das Thema „Selektion von Nachkommen“ sich eng mit der Frage nach einem
„lebensunwerten Leben“ verbunden ist, und diese Wendung wiederum an die
Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert, lässt sich von hier aus verstehen, dass der
Begriff „Selektion“ intuitiv als ein negativer Begriff aufgenommen wird und dieser in
der deutschen Öffentlichkeit stark abgelehnt wird.
4.
Eine Auseinandersetzung mit dem ethischen Status der Selektion
bedeutet also, sich mit der sensiblen Frage nach der Möglichkeit eines
„lebensunwerten Lebens“ zu beschäftigen. In einer ethischen Überlegung zur
Beurteilung des Lebenswerts muss zwischen a) Urteilen über bereits geborene
Menschen und b) Urteilen über noch nicht geborene Menschen unterschieden
werden. Gleichwohl muss man weiterhin zwischen c) der Fremdbeurteilung des
Lebenswerts eines Anderen und d) der subjektiven, wertenden Beurteilung des
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eigenen Lebens differenzieren. Dabei ist der zuletzt genannte Aspekt zentral: In der
Aktualität wird immer deutlicher, dass einige Menschen eine klare Vorstellung davon
haben, dass ihr eigenes Leben eventuell nicht mehr lebenswert sein könnte (was
derzeit z. B. mit dem Selbstmord Gunter Sachs´ in der Presse diskutiert wird).
5.
Die Notwendigkeit einer solchen Debatte in Deutschland wird also im
Hinblick auf ethische Fragen am Lebensbeginn und Lebensende ersichtlich. Eine
Auseinandersetzung mit dem Thema „lebensunwertes Leben“ bezieht sich also nicht
primär und nicht einzig mit nationalsozialistischen Gedanken, sondern auf die Frage,
ob der Tod stets als ein Übel anzusehen ist, und ob Selbstmord rational begründet
werden kann (hierzu sollen die Positionen von Jonas, Habermas, Singer und Birnbacher
betrachtet werden). Diese Möglichkeit zu bedenken, ist eine der größten
Herausforderungen der modernen Medizin, was ihr Selbst- und Werteverständnis
betrifft.
6. In Bezug auf die Auseinandersetzung mit der ethischen Vertretbarkeit der Selektion
von Nachkommen sollen zum einen die Argumente, die für eine ethische Legitimität
der Selektion von Nachkommen sprechen (sogenannte procreative beneficence),
behandelt und bewertet werden. Zum anderen sollen auch die Argumente der
Position, die die ethische Unhaltbarkeit der Selektion von Nachkommen vertreten,
thematisiert und diskutiert werden. Erst nachdem beide Positionen analysiert und
beurteilt wurden, kann man a) beide Positionen miteinander vergleichen und b) eine
begründete Beurteilung für oder gegen die Selektion von Nachkommen anbieten.
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