Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen komplexer PTBS und BorderlinePersönlichkeitsstörungen - Implikationen für die Milieutherapie 3. Kinder- und Jugendpsychiatriekongress Innsbruck «Traumabezogene Störungen und Persönlichkeit im Kindes- und Jugendalter» Marc Schmid, Innsbruck, 27. Januar 2017 Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 1 Gliederung Was möchte ich heute vermitteln? › Überlappungsbereich der Diagnosen › Diagnose der BPS im Jugendalter › Bedeutung der Traumatisierung für den Verlauf der Störung › Mein Verständnis von drei wichtigen Symptombereichen › Emotionsregulation › Soziale Informationsverarbeitung › Beziehungsgestaltung, Idealisierung und Entwertung › Warum ist die Behandlung der Traumafolgestörung so bedeutsam? › Implikationen für die Milieutherapie › Traumapädagogische Konzepte › Umgang mit Selbstverletzungen › Krisenpläne › Zusammenfassung und Diskussion Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 2 Komplextrauma und Borderline Welche Schnittmengen gibt es? PTBS Borderlinepersönlichkeitsstörung Komplexe Traumafolgestörungen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 3 Komplextrauma und Borderline Welche Schnittmengen gibt es? PTBS Borderlinepersönlichkeitsstörung Komplexe Traumafolgestörungen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 4 Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung Vorschlag für ICD-11 Lassen sich diese Kriterien eindeutig von einer Borderlinestörung abgrenzen? Emotionsregulation PTBS Selbstwert/bild Interaktionsprobleme Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 5 Diagnose in der Adoleszenz Pro: › Einleitung einer suffizienten, symptomspezifischen Behandlung nur bei richtiger Diagnose möglich. › Stabilität der PD vergleichbar mit anderen psychischen Störungen. › Sinnvolles Erklärungsmodell auch für Patienten. › Prävention bzw. Vermeidung von Chronifizierung. › Empirie (vgl. z.B. Jerschke et al. 1998, Chanen et al. 2007). › Forschung ist ohne die Einführung einheitlicher Diagnosestandards nicht möglich. › Genetische Prädisposition. › Diagnosekriterien sind mit minimalen Veränderungen anzuwenden. Contra: › Identitätsdiffusion und Beziehungsinstabilität sind in der Adoleszenz weit verbreitet. › Gefahr des Festschreibens von Symptomen (Labeling). › Größere Bedeutung des pathologischen Umfeldes und der psychosozialen Belastungen in der Adoleszenz. › Höhere Komorbidität in der Adoleszenz. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 6 Nochmals nachlesen? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 7 Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter Gefahr der unklaren Diagnose Die Vergabe der Diagnose wird mit einer Prognose verknüpft und beschreibt leider häufig nicht nur rein deskriptiv die Symptomatik. Bei Behandlungsbeginn steht v.a. Borderlinestörung im Cadex. Erfolgreicher Verlauf……v.a. BPS streichen. Schwieriger Verlauf………..BPS doppelt unterstreichen. Nur schlechte Verläufe und besonders schwer zu Behandelnde erhalten eine PD-Diagnose – dies schürt Ängste und untergräbt die Selbstwirksamkeit der Behandlungsteams. „Diagnosen sind die Grabsteine für die Frustration des Therapeuten.“ W. Kempler Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 8 Vergleich der Symptomkriterien von BorderlinePersönlichkeitsstörung und Komplexer Posttraumatischer Belastungsstörung BorderlinePersönlichkeitsstörung Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung • Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen • Störung der Affektregulation mit impulsiven und risikoreichen Verhaltensweisen • Wiederholte suizidale Handlungen, Suiziddrohungen • Selbstverletzendes und suizidales Verhalten • Affektive Instabilität und Stimmungsschwankungen • Störung der Affektregulation, Impulsivität und autodestruktives oder risikoreiches Verhalten • Chronisches Gefühl der Leere • Dissoziative Symptome • Unangemessene heftige Wut • Schwierigkeiten, Ärger zu modellieren • Ausgeprägte Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung • Selbstvorwürfe, Schuldgefühle, Scham, Gefühl, isoliert von anderen Menschen zu sein Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 9 Vergleich der Symptomkriterien von BorderlinePersönlichkeitsstörung und Komplexer Posttraumatischer Belastungsstörung BorderlinePersönlichkeitsstörung Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung • Vorübergehende paranoide oder dissoziative Symptome • Dissoziative Symptome • Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen (Idealisierung und Entwertung) • Extremes Misstrauen, Tendenz, erneut zum Opfer zu werden • Somatoforme Körperbeschwerden • Verzweifeltes Bemühen, Verlassenwerden zu vermeiden • Angst vor dem Alleinsein • Identitätsdiffusion rascher Wechsel von Werthaltungen und Zielen • Fehlende Zukunftsperspektive, Verlust von persönlichen Grundüberzeugungen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 10 Prävalenz traumaassoziierter bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung N % Borderline-Persönlichkeitsstörung 148 100 Posttraumatische Belastungsstörung 119 80.4 Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung 118 79.7 Vernachlässigung 130 87.7 Psychische Gewalt 123 83.1 Körperliche Gewalt 97 65.5 Sexuelle Gewalt 63 42.6 Irgendein Trauma 142 95.9 Diagnosen (Interviewdiagnostik) Traumatisierungen (TAQ) Sack, Dulz, Sachsse 2010 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 11 Komorbidität und Differentialdiagnose Borderlinestörung und komplexe PTBS › Zwischen den Diagnosen Borderline-Persönlichkeitsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung besteht eine ausgesprochen hohe Überschneidung mit Komorbiditätsraten von über 60% (Yen, Shea et al., 2002; Zanarini, Frankenburg et al., 1998). › Die Nähe dieser beiden Störungsbilder legen auch neurobiologische Befunde nahe (Irle, Lange et al., 2009; Weniger, Lange et al., 2009). › Die extrem hohe Komorbiditätsraten zeigen wie herausfordernd es ist diese Krankheitsbildern zu unterscheiden (vgl. Cloitre et al. 2010, 2014, Sack et al. 2010, 2015, Steil et al. 2010). › Braucht es die Differenzierung dann überhaupt? Studie von Cloitre et al. 2014 an 280 weiblichen Patienten einer Spezialstation für die Behandlung von schweren Traumafolgestörungen. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 12 Aus Perspektive der ICD-11 Komplextrauma Studie in Traumaklinik von Cloitre et al. 2014 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 13 Komorbidität und Differentialdiagnose Warum ist die Unterscheidung wichtig? › Die Traumafolgestörung sollte bei der Behandlungsplanung und therapeutischen Beziehungsgestaltung adäquat berücksichtigt werden. › Durch die PTBS können viele gemeinsame Symptome im Rahmen einer Psychoedukation sehr gut und ressourcenorientiert erklärt werden. › Patienten mit der Symptomatik einer komorbiden posttraumatischen Belastungsstörung sind offenkundig schwerer zu behandeln als solche ohne diese Komorbidität, da diese zusätzlich evidenzbasierte traumatherapeutische Interventionen benötigen. › Stärker traumatisierte Patienten mit einer BorderlinePersönlichkeitsstörung weisen schlechtere Verläufe auf (Zanarini, Frankenburg et al., 2006). Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 14 Prädiktoren für guten Verlauf Zanarini et al. (2006) Resultate II: › 16 Prädiktoren für eine kürzere Remissionszeit (kontrolliert für Schweregrad zu Beginn und Zeit): › jüngeres Alter (≤ 25 Jahre) › keine vorausgegangene psychiatrische Hospitalisierung › kein sexueller Missbrauch in der Kindheit › weniger verbaler, emotionaler oder körperlicher Missbrauch in der Kindheit › weniger starke Vernachlässigung in der Kindheit › weniger Zeuge von Gewalt als Kind › höherer Grad an Kindheits-Kompetenzen › keine Stimmungs- oder Substanzstörungen in der Familie › keine PTSD oder ängstliche Persönlichkeitsstörung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 15 Verlauf von Persönlichkeitsstörungen Zanarini et al. (2006) › Längsschnittstudie 10 Jahre Follow-Up nach Behandlung. › 88 Prozent „remittieren“ nach zehn Jahren, d.h. erfüllen kategorialen Diagnosekriterien nicht mehr, › wobei die stärksten Veränderungen in den ersten zwei (39%) bzw. vier (22%) Jahren erfolgt. › Frühe spezifische Behandlung ist dringend indiziert, wenn man die Prädiktoren für den Verlauf betrachtet. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 16 Modell der Affektregulation Stimulus Wahrnehmung Emotionale Sensibilität Amygdala Arousal Initiale emotionale Reaktion Stressachse Implizite Regulation Bewertung Attentionaler Bias Antizipation von ReizReaktionsKontingenzen Explizite Regulation int. Unterdrückung Finale emotionale Reaktion Neubewertung Lerngeschichte Herpertz, 2009 Verhalten Deshalb braucht es eine spezifische Behandlung Kombination aus drei unterschiedlichen Therapiebausteinen Cloitre et al. 2010 Supportive Therapie STAIR-Skilltraining Emotionsregulation Soziale Kompetenz Soziales Problemlösen Stresstoleranz Prolongierte Expositionsbehandlung STAIR / Support STAIR/ Exposure Support/ Exposure Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 18 Ergebnisse – Vergleich der drei Behandlungsgruppen Interpersonelle Probleme Effektstärke = 0.74 - 1.36 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 19 Ergebnisse – Vergleich der drei Behandlungsgruppen Therapieabbruchrate 40 35 30 25 Support/Exposure Support/STAIR STAIR/Exposure 20 15 10 5 0 Drop-Out Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 20 Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Schmid (2008) Störung der Emotionsregulation Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen | 21 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 21 Emotionsregulationsmodell «Emotionsphobie» Selbstverletzung Parasuizid Dissoziation Aggression Substanzkonsum Weglaufen Stimulus Emotion negiert Reaktion inadäquat Spannungsanstieg Das Dilemma ist, dass diese Patienten entweder zu viel oder zu wenig von ihren Gefühlen wahrnehmen! (van der Hart) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 22 Biologische/genetische Disposition zu heftigen Gefühlen Negative Lerngeschichte mit Emotionen Schwierigkeiten im Umgang und bei der Wahrnehmung mit Emotionen, „Angst“ vor Gefühlen Bei niederem Erregungsniveau viele Verhaltensalternativen Gefühle werden bedrohlich unangenehm erlebt und nicht wahrgenommen oder unterdrückt In-Albon & Schmid 2012, 2013 Schmid, 2014 Emotion wird als Überforderung erlebt: Gefühl der Leere, Taubheit Selbstverletzung, Aggression, Substanzkonsum, Suizidversuch Fazit: Normale emotionale Reaktionen im Alltag sollten bemerkt und für eine gute Beziehungsgestaltung nutzbar gemacht werden! Verhaltensmöglichkeiten sind scheinbar blockiert Bei höchstem Erregungsniveau Anspannungsniveau wird werden automatisierte unerträglich Lösungsmechanismen eingesetzt Die Signale die Gefühle für die Verhaltenssteuerung geben werden nicht bemerkt und Verhalten wird nicht danach ausgerichtet Situation bleibt ungeklärt Gefühle werden stärker unangenehm belastende Je höher Erregungsniveau desto Anspannungsgefühle weniger Verhaltensalternativen treten auf andere Personen reagieren dann oft ebenfalls emotionaler Emotionsregulation «Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.» Aristoteles Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 24 Evaluativer Bias bei BPS Thin-Slice-Paradigma (Ambady et al., 2001) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 25 Evaluativer Bias bei BPS Evaluationsbias ist bei aggressiven Eigenschaften am stärksten ausgeprägt. Barnow et al. (2009), Behavior Research and Therapy Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 26 Pollak et al. 2003, …… Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 27 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 28 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 29 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 30 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 31 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 32 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 33 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 34 Halt Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 35 Ärger / Wut Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 36 Strategien, um belastende Bindungen eingehen zu können Das Kind muss den Anteil in sich unterdrücken, der das Böse im Elternteil entdecken könnte. J. Freyd 1996 Die Kinder zeigen Anzeichen von Dissoziation, Freeze und Fragmentierung, wenn sie mit ihren Eltern unter Stress interagieren. Downing (2007), Liotti (2005) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 37 Teufelskreis im Team Narzissmusfalle Mitarbeiter zieht sich zurück oder reagiert über. Auftreten der Symptomatik, Entwertung des Mitarbeiters. Mitarbeiter fühlt sich unwohl, überfordert, emotional stark involviert. Jugendliche/r «testet» Beziehung aus, Reinszenierung von Abbrüchen, Beziehungserfahrungen. Narzissmusfalle Jugendlicher macht «besonderes» Beziehungsangebot. Jugendlicher fordert Beziehung immer stärker und intensiver ein. Hält diese intensive Beziehungen kaum aus. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 38 Mittlerer Abstand in der Beziehungsgestaltung «Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen. Aber das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen.» Joseph Joubert Emotionales Engagement Reflektierende/ professionelle Distanz Dammann 2006, Schmid 2007 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 39 Traumapädagogische Beziehungsgestaltung Arbeitsgruppen: Schwierige Balancen http://images.easyart.com/i/prints/rw/lg/3/3/Maxi-Posters-Balance-is-the-key-to-life--Elephant-on-ball--331158.jpg Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 40 Arbeiten mit der Spaltung › Vielen Menschen mit Persönlichkeitsstörungen fällt es sehr schwer, Ambivalenzen in anderen Personen adäquat zu reflektieren. Sind Sie nun der „gute“ oder der „böse“ Bulle? › Sie teilen die Welt vorsichtshalber in Menschen, die gut und Menschen, die ganz gefährlich sind, ein. › Wenn eine „gute Vertrauensperson“ Böses tut…….. › Es kann daher bei Entscheidungen und Aushandlungsprozessen mit Patienten sinnvoll sein, diese Spaltung zu externalisieren und Rollen vor dem Gespräch aufzuteilen. Aufgrund der angespannten Personalsituation zur Zeit beides Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 41 Bedeutung von Bindungen Die besondere Bedeutung von Interaktionen «Du glaubst, weil du «eins» verstehst, verstehst du auch «zwei», weil eins und eins gleich zwei ist. Aber du verstehst «zwei» erst wirklich, wenn du «und» verstanden hast.» Sufi-Weisheit https://messiahschool.files.wordpress.com/2014/04/eba994ec8b9cec9584eab5adeca09ced9599eab590_ea b8b0ebb680.jpg Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 42 Bedeutung von Beziehung - Entwicklungspsychologie Wie Kinder lernen, mit ihren Emotionen umzugehen » Anfangs werden die Gefühle von der primären Bezugsperson organisiert. » Dann werden die Gefühle mit Hilfe der Bezugsperson organisiert. » Und schliesslich kann das Kind seine Gefühle selbst organisieren. (Cooper, Hoffman & Powell, 2001) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 43 Resonanz mit einem negativen Gefühl und Einstimmung darauf (Cooper, Hoffman & Powell, 2009) Leidvolle Gefühle des Kindes Kind Eltern organisieren die innere Unruhe ihre Kindes Eltern Mit-Sein › Bereitschaft der Eltern zum Mit-Sein mit den Gefühlen ihres Kindes vermittelt ihm das Gefühl sicher und verbunden zu sein, während es seine Emotionen kennenlernt. › Zu wissen, dass jemand bei ihm ist, macht das unangenehme Gefühl etwas erträglicher und ermöglicht dem Kind, aus dem problematischen Gefühl wieder herauszufinden. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 44 Kind wird gedrängt, sich den elterlichen Vorstellungen seiner Emotionen anzupassen (Cooper, Hoffman & Powell, 2009) Leidvolle Gefühle des Kindes Kind Eltern greifen Gefühl des Kindes an Eltern Ohne-Sein › Eltern versuchen, ihr Kind abzulenken oder drängen es, etwas zu fühlen, was es nicht fühlt. › Wirkt wie ein emotionaler Kampf, bei dem die Eltern etwas zu erzwingen versuchen. › Das Kind wird noch unruhiger. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 45 Bindung und Selbstregulation bei psychisch hoch belasteten Kindern Ein pädagogisches Dilemma Gehen kaum Beziehungen ein Brauchen Unterstützung bei der Selbstregulation Dilemma: Klienten brauchen Beziehung, um Selbstregulation erlernen zu können – können aber noch keine „normalen“ Beziehungen eingehen. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 46 Bindung und Selbstregulation bei psychisch hoch belasteten Kindern Ein Lösungsversuch – «Pädagogik des sicheren Ortes» Gehen kaum Beziehungen ein Lösungsidee: Brauchen Unterstützung bei der Selbstregulation „Sicherer Ort“ mit verlässlichen Beziehungsangeboten und korrigierenden Beziehungserfahrungen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 47 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir – Überspitzt das klassische Modell Erziehungsmaßnahmen zur Veränderung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 48 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir – Überspitzt das klassische Modell Kind muss sich verändern Erziehungsmaßnahmen zur Veränderung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 49 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Interaktion pädagogische Begegnung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 50 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Die Beziehungsfähigkeit des Kindes soll sich verbessern? Wie können wir gemeinsam unsere Ziele erreichen und die Entwicklungsaufgaben des Kindes erfüllen? Interaktion pädagogische Begegnung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 51 Neue Beziehungserfahrungen führen zu Veränderung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 52 Fazit: Kooperation muss pädagogische Fachkräfte stärken Es braucht Konzepte, welche die Selbstwirksamkeit in Interaktionen stärken »Wir behandeln unsere Patienten nicht, um sie von etwas zu heilen, das ihnen in der Vergangenheit angetan worden ist; vielmehr versuchen wir, sie von dem zu heilen, was sie immer noch sich selbst und anderen antun, um mit dem, was ihnen in der Vergangenheit angetan wurde, fertig zu werden.« Philip M. Bromberg (1998), US-Psychologe und Psychoanalytiker Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 53 Traumapädagogik: Korrigierende Beziehungserfahrung Traumapädagogische Haltung Traumatisierendes Umfeld Traumapädagogisches Milieu › Unberechenbarkeit › Transparenz /Berechenbarkeit › Einsamkeit › Beziehungsangebote/ Anwaltschaft › Nicht gesehen/gehört werden › Beachtet werden/wichtig sein › Geringschätzung › Wertschätzung (Besonderheit) › Entmutigung › Ermutigung › Bedürfnisse missachtet › Bedürfnisorientierung › Ausgeliefert sein - andere bestimmen absolut über mich › Mitbestimmen können - Partizipation › Freude › Leid Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 54 Verstärkung von Anspannung in Interaktionen Anspannung Kind Anspannung Bezugsperson „Wer in sich selbst beruhigt ist, der beunruhigt auch den Anderen nicht.“ Epikur Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 55 Haltung Sicherer Ort Sicherer Ort = Äussere Sicherheit + Innere Sicherheit Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 56 Ethischer Diskurs in der Versorgungskette Fallreflektion Leitung „Versorger„ „Fachdienst“ Fallreflektion „Gruppenpädagogen“ Kind Handlungssicherheit durch gemeinsame ethische Überlegungen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 57 Traumapädagogische Krisenanalyse «Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es aber vorwärts.» Sören Kierkegaard Drei Ebenen der Unterstützung: › Administrative Ebene (eher Fachdienst) › Abläufe › Fachliche Weisungen › Rechtliche Rahmenbedingungen › Edukative Ebene › Vermittlung von Wissen, Techniken › Fallverstehen › Supportive Ebene › Emotionale Unterstützung/Entlastung http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Kier kegaard.jpg › Verständnis Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 58 Sprache und Beziehung in kritischen Situationen Manchmal kommt es doch sehr auf das richtige Wort an «Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen Wort ist derselbe Unterschied wie der zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.» Mark Twain Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 59 Sprache in psychosozialen Beziehungen Vier-Ohren-Prinzip von Schulz von Thun (I) Selbstoffenbarungsohr Was sagt der Sprecher über sich aus? Sachohr Was ist der Sachverhalt? / Beziehungsohr Was hält der andere von mir? Wie redet er mit mir? Appellohr Was soll ich tun, denken, fühlen? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 60 Sprache in psychosozialen Beziehungen Vier-Ohren-Prinzip von Schulz von Thun (II) Selbstoffenbarungsohr Was sagt der Sprecher über sich aus? Wird im Alltag oft vernachlässigt – Sicherer Ort? Sachohr Was ist der Sachverhalt? Gleiche Definition? Beziehungsohr Was hält der andere von mir? Wie redet er mit mir? Zwiegespräche / Begründung Appellohr Was soll ich tun, denken, fühlen? Wunsch, Erwartung, Befehl? / Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 61 Sprache in psychosozialen Beziehungen Beispiel Selbstoffenbarungsohr „Ich bin völlig erledigt und koche jetzt auch noch, ich brauche Entlastung.“ „Schatz, der Mülleimer in der Küche ist schon wieder voll.“ Beziehungsohr „Ich wünsche mir mehr Unterstützung von Dir.“ Sachohr Der Mülleimer ist so voll, dass nichts mehr drin Platz hat. Appellohr „Schwing deinen A. in die Küche und trag den Mülleimer runter.“ Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 62 Sprache in psychosozialen Beziehungen Eine pädagogische Situation – Ämtli nicht gemacht Selbstoffenbarungsohr «?» „Du gehst heute nicht in Ausgang/mit zum Fussball - Du hast dein Ämtli noch nicht gemacht.“ Beziehungsohr «?» Sachohr Das Ämtli ist noch nicht gemacht. Appellohr «Spüre, wie wichtig es ist, Dein Ämtli zu machen.» Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 63 Unsere Kommunikation – stets eine Herausforderung Unachtsamkeit führt oft zu Missverständnissen › Wir hören stets mit vier Ohren! › Sprechen aber bewusst oft nur zu einem oder zwei Ohren. › Eine Ansprache an das „Appellohr“ alleine führt oft - eigentlich fast immer - zu Widerstand und Reaktanz. › Es macht Sinn, Wünsche und Erwartungen auch mit Selbstaussagen und Beziehungsaussagen zu untermauern. › Menschen mit sehr belastenden und/oder traumatisierenden Beziehungserfahrungen, ergänzen und vervollständigen Aussagen auf dem Beziehungsohr mit ihren eigenen maladaptiven Sätzen. › Bei Menschen mit belasteten Bindungs- und Beziehungserfahrungen ist es daher sehr wichtig, immer auch das Beziehungsohr bewusst zu adressieren - „Wir-Sprache“. › Das eigene Beziehungsohr sollte manchmal leiser gestellt werden. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 64 Schwierige Balance bei der Beachtung von SVV Zu starke Beachtung: Verstärkung von SVV / Suizidalität Zu geringe Beachtung: Vermeintlich zu wenig Empathie, therapeutische Beziehung und Patient ist gefährdet Transparenz und Strukturierung des therapeutischen Vorgehens Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 65 Teufelskreis von Selbstverletzung in stationären Settings Selbstverletzung Dritter Emotionaler Auslöser für meine Selbstverletzung Emotionale Belastung für Dritte Selbstverletzung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 66 Haltung zu «Ritzepidemien» › Verstärkerbedingungen greifen natürlich auch in stationären Settings, diese sind den Betroffenen/Handelndenaber in der Regel nicht bewusst (Settingbedingungen optimieren, Psychoedukation, Teamschulung). › Selbstverletzungen lösen heftige Emotionen bei Selbstverletzern aus, so dass viele und häufige Selbstverletzungen im milieutherapeutischen Setting die Wahrscheinlichkeit von eigenen Selbstverletzungen massiv erhöhen (Therapie). › Kommunikationsregeln über Selbstverletzungen immer wieder gemeinsam mit Patienten zu erarbeiten, ist eine sehr wichtige herausfordernde Aufgabe der Milieutherapie. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 67 Milieutherapeutische Grundsätze 1. Antizipiere Problemverhalten und arbeite entsprechende Krisenpläne im Team und mit den Jugendlichen aus. 2. Verstärke selbstverletzendes Verhalten so wenig wie möglich. 3. Gebe so viel Aufmerksamkeit wie möglich für alternative Lösungsversuche. 4. Stabilisiere im Hier und Jetzt - keine problemorientierten Interventionen in Spannungssituationen. 5. Überprüfe, ob Deine Hilfsangebote auch angenommen werden können - mache „Trockenübungen“. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 68 Milieutherapeutische Grundsätze 6. Skaliere den „Ritzdruck“, um eine gemeinsame Sprache zu finden und für Veränderungen zu sensibilisieren. 7. Packe einen Notfallkoffer für verschiedene Schweregrade. 8. Identifiziere auslösende Bedürfnisse (in der Regel Autonomie und Bindungsbedürfnisse) und versuche diese im Alltag gut zu versorgen. 9. Klare Regeln - „gleicher aber individualisierter“ Umgang aller Mitarbeitenden. 10. Mache eine detaillierte Verhaltensanalyse, einmal, zweimal, dreimal……………… - lasse diese möglichst zuerst vom Patienten schreiben. Sorge dafür, dass diese Verhaltensanalysen regelmäßig gemeinsam mit den Jugendlichen reflektiert und genutzt werden. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 69 Milieutherapeutische Grundsätze 11. Verbiete Dir und dem Team Anmerkungen zu zwischen-menschlichen Motiven - arbeite mit intrapersonalen Motiven und ihren interpersonellen Auslösern. 12. Etabliere klare Kommunikationsregeln über Selbstverletzendes Verhalten unter den Mitpatienten. 13. Arbeite mit der Spaltung - stelle bei Kritik und Konfrontationen immer ein Beziehungsangebot sicher. 14. Gebe eine klare Tagesstruktur vor - sorge für einen „sicheren Ort“. 15. Guter Teamgeist - hüte Dich vor unreflektierten Schuldzuweisungen im Team. Psychohygiene, Intervision, Supervision, resilienzfördernde Teamtage. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 70 Resilienzfaktoren in Ihren Teams Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 71 Fazit Wer diesen Heranwachsenden eine professionelle, reflektierte und emotional engagierte Bindungsperson sein möchte, braucht ausreichende persönliche, soziale, institutionelle Unterstützung, und die Träger benötigen ausreichende gesellschaftliche Anerkennung, Ausstattung und personelle Ressourcen! Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 72 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Auf die Haltung kommt es an! „Haltung ist eine kleine Sache, die einen großen Unterschied macht.“ Sir Winston Churchill Slides unter www.equals.ch http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Churchill_V_sign_H U_55521.jpg&filetimestamp=20080414235020 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 73 Literatur Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 74 Kontakt Marc Schmid Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik Schanzenstrasse 13 CH-4056 Basel +41 61 265 89 74 [email protected] www.equals.ch www.ipkj.ch http://www.upkbs.ch Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 09.02.2017 75