r i! Preis: 20.- r \. 'L m :1 ...........111""') ....:::.;.,:::::~::::::::::::::::::~::: .... .ZEITSCHRIFT FÜR PHILOSOPHIE 1. Jahrgang, Nr. 1 1991 rI I t,; f INHALT: HERWIG GOlTWALD: Fragen an die Gegenwartsphilosophie ALEXANDER HIEKE: Oratio pro Philosophia Analytica et Scientifica WOLFGANG SCHREMPF: Philosoph - ein geschützter Berufsstand? PETER KALIBA: Prosätze BERNHARD SAMS: Donnellans Kennzeichnungstheorie MARC-OLIVER SCHUSTER: Über Heimito von Doderers philosophische Theorie CHRISTOPH LANDERER: Kurze Bemerkungen- zum Begriff der Handlung EDITORIAL Die Zeitschriftfür Philosophie KIRITERION will kein Spezialgebietder Philosophie abdecken, keine spezielle philosophische Strömung vertreten, sondern ein Diskussionsforum schaffen. Alle an Philosophie Interessierten sind eingeladen,einen bisher noch unveröffentlichten Artikelals Beitragan die Redaktion zu senden. Den Beiträgen sollen die folgenden Beschränkungen auferlegtwerden: (1) Sie müssen sich mit Philosophie befassen. (2) Sie müssen argumentativ (im weitesten Sinne) sein - die Argumentation muß inhaltlich nachvollziehbar sein. (3) Die Sprache muß allgemeinverständlich sein. Die Länge der Artikel sollte im Normalfall zehn maschingeschriebene Seiten mit 1~- zeitigem Zeilenabstand nicht überschreiten. Veröffentlicht werdennur Artikelin deutscheroder englischer Sprache. INHALT WOLFGANG HUEMER Vorwort . HERWIG GOTIWALD Fragen an die Gegenwartsphilosophie aus der Sichteines Zaungastes ALEXANDER HIEKE Oratio pro Philosophia Analytica et Scientifica WOLFGANG SCHREMPF Philosoph- ein geschützterBerufsstand? PE1ERKALffiA 2 3 7 10 14 Prosätze BERNHARDSAMS Donnellans Kennzeichnungstheorie MARC-QLIVERSCHUSTER Über Heimito von Daderers philosophische Theorie CHRISTOPHLANDERER KurzeBemerkungen zum Handlungsbegriff 23 29 36 IMPRESSUM VERLEGER: Die Mitgliederder Redaktion. HERAUSGEBER: sm V-Philosophieder Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. REDAKTION: AIexander Hieke, Wolfgang Huemer, Christoph Landerer, Mafia Maier, Bemhard Sams, MarcOliver Schuster - alle: Franziskanergasse 1, A-5020 Salzburg,Österreich(Austria). VERVIELFÄLTIGUNG: Eigenvervielfältigung durch den Herausgeber. 1K1RH"lElRaON ist ein Forum für wissenschaftlicheBeiträge aus dem Gebiet der Philosophie. Die in namentlich gekennzeichneten Beiträgen ausgedrückten Auffassungen müssennicht notwendigerweise mit denen der Redaktion übereinstimmen. Das Copyright bleibt bei den Autorinnen bzw. Autoren. 1 KRITERION VORWORT Am Anfangjeder (aktiven) Beschäftigung mit Philosophie sollten Fragen nach dem Sinn dieser Disziplin. ihrenProblemen und den Methoden. mit Hilfederer sie diese Probleme lösen kann. sowie eine Einschätzung der philosophischen Traditionen stehen. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen. der erstenNummer dieser Zeitschriftden Themenschwerpunkt Metaphilosophie zu geben. Herwig Gottwald, Alexander Hieke undWolfgang Schrempfhabenin ihrenBeiträgen diese Thematik aufgegriffen. Dennoch sind die einzelnen Fragestellungen sehr verschieden, den individuellen Interessen und Überzeugungen der Autoren entsprechend Während Herwig Gottwald in seinem Artikel ''Fragen an die Gegenwartsphilosophie aus der Sicht eines Zaungastes" ganz allgemein aktuelle Probleme aufwirft. mit denen sich die zeitgenössische Philosophie auseinandersetzen sollte. bezieht Alexander Hieke in dem Beitrag "Oratio pro Philosophia Analytica et Scientifica" Stellung für eine ganz bestimmte philosophische Tradition. nämlich für die der analytischen Philosophie. Wolfgang Schrempf versucht in seinem Artikel "Philosoph- ein geschützterBerufsstand?" zu begründen. warum 'Philosoph' eine geschützte Berufsbezeichnung sein sollte. An den Unterschieden zwischen diesenArtikeln kann man schon eines der Hauptzieleerkennen,die wir mit der Gründungdieser Zeitschriftverfolgen: Wir wollen ein Diskussionsforum schaffen. in dem die unterschiedlichsten philosophischen Problemeaus den verschiedensten Blickrichtungen dargestellt werden können. Alle, die ihre philosophische Meinung zur Diskussion stellen wollen. haben die Möglichkeit. sich in diesemForumauszudrücken. sofernder jeweilige Artikel den minimalen Anforderungen. die wir im Editorial festgelegt haben, entspricht Diese Anforderungen beziehensich im wesentlichen auf eine klare Spracheund Argumentation, die - wie wir meinen - eine notwendige Voraussetzung für jede vernünftige Diskussion darstellen; eine inhaltlicheBeschränkung dürfte damit kaum gegeben sein. Darüberhinaus erscheint es uns wichtig festzustellen, daß der Verfasserbzw. die Verfasserin eines Artikels nicht unbedingt aus dem Bereich der Fachphilosophie sein muß. Ebenso kann ein Artikel ein Thema aus dem Grenzbereich zwischen Philosophie und anderen Wissenschaftsdisziplinen behandeln. Ein zweiterThemenschwerpunkt dieserNummerbefaßt sich mit Sprachphilosophie: Peter Kaliba schreibt in seinem Artikel über Prosätze; das sind sprachliche Ausdrücke. mit deren Hilfe man sich auf Sätze beziehen kann. Und Bernhard Sams nimmt in seinem Beitrag eine Kritik an der Kennzeichnungstheorie von Donnellan vor. Mare-Oliver Schuster stellt in seiner Arbeit die philosophischen Positionen des Schriftstellers Heimito von Doderer dar und Christoph Landerer unternimmt einigeÜberlegungen zum Terminus 'Handlung'. Die Idee zu dieserZeitschrift hatte eine kleineGruppe von Studenten, die eine Möglichkeit suchten. ihre philosophischen Überzeugungen zu diskutieren und dabei genauerdarzustellen als dies im Gesprächmöglich ist An zwei offenen Abenden. zu denen alle Kolleginnen und Kollegen sowie Interessierten eingeladen waren. wurden die grundsätzlichen Richtlinien für diese Zeitschrift festgelegt. Um den laufenden Arbeitsaufwand besser bewältigen zu können, wurde schließlich eine sechsköpfige Redaktion einberufen. die die Verantwortung für die weitere Entwicklung dieser Zeitschrift trägt Die Zeitschrift wird voraussichtlich zwei- bis dreimal jährlich erscheinen. Wir werden versuchen.jeder Nummer einen Themenschwerpunkt zu geben. Wir bittenalle Interessenten, ihre Artikelan KR-ITlElRmON Franziskanergasse 1 A-5020 Salzburg zu schicken. Weiters bitten wir Sie, uns - der Redaktion - zu schreiben. wenn Ihnen die Zeitschrift gefallen hat. wenn Sie Kritik haben oder wenn wir sie Ihnen regelmäßigzusenden sollen. WolfgangHuemer Im Namender Redaktion 2 FRAGEN AN DIE GEGENWARTSPHILOSOPHIE Herwig Gottwald FRAGEN AN DIE GEGENWARTSPIDLOSOPHIE AUS DER SICHT EINES ZAUNGASTES i I 1 Ist die Philosophie damit am Ende, wie dies Sloterdijk in der "Kritik der zynischen Vernunft" annimmt? Fest steht, daß die sog. analytische Philosophie (deren Traditionen zwar ins 19. Jahrhundert zurückreichen. aber kaum beachtet wurden; man las lieber Hegel und Schopenhauer als Balzano) eine schwere Krise der Philosophie ausgelöst hat, die nicht nur die Methode, sondern vor allem den Gegenstandsbereich betraf: Es kam zu einer Selbstbeschneidung der Philosophie angesichts ihres eigenen kläglichen Versagens in der Vergangenheit und der gleichzeitig überwältigenden Erfolge der Einzelwissenschaften, wodurch jede Form von systematischer philosophischer Großtheorie für immer unmöglich gemacht schien. Bedeutet diese Selbstbeschränkung nach Wittgenstein und dem Wiener Kreis notwendig eine Selbstkastration, eine Reduktion der Philosophie auf Sprachkritik und Wissenschaftstheorie, wird damit den populären Essay-Philosophen der Freibrief für ihre großtheoretischen Absichten ausgestellt? Fest steht, daß die schon in den zwanziger Jahren vor dem Hintergrund der ersten Heidegger-Rezeptionswelle totgesagte, widerlegte metaphysische Philosophie heute durch die Hintertür eines Essayismus mit zum Teil wissenschaftlichem Anspruch (an primär ästhetisch-legitimierenden Fußnoten erkennbar) wiederauflebt und großen Anklang gerade bei von den Theorien "wissenschaftlicher" Philosophie enttäuschten Studenten findet Trotz und gerade wegen der zunehmenden Spezialisierung in den Einzelwissenschaften und dem unaufhaltsamen Vordringen der empirischen Methoden auch in den Geisteswissenschaften üben Groß-Theorien über historische Vorgänge (Foucault, Elias•... ). den menschlichen Geist (Levi-Strauss), die menschliche Kultur (Elias, Sloterdijk) eine ungebrochene Faszination aus, aufgrund der alten Sehnsucht nach Totalität, damit auch nach Metaphysik. Es ist gewiß kein Zufall, daß etwa Levi-Strauss sich stets beharrlich weigerte, seine Arbeit als die Begründung einer neuen Philosophie anzusehen; hier kommt deutlich die Angst des im Grunde doch empirisch arbeitenden Wissenschaftlers zum Ausdruck, mit Metaphysik in Zusammenhang gebracht zu werden. Die Hauptprobleme der Gegenwartsphilosophie können heute m.E. nicht mehr nur die wissenschaftlichen Probleme betreffen wie zu Camaps Zeiten. Daß daran vor dem Hintergrund des kritischen Rationalismus und Nach seiner ersten Begegnung mit Jürgen Habermas, kurz vor seinem Tod, bemerkte Michel Foucault, vieles in seinen Büchern wäre anders geschrieben worden, hätte er den derzeit (bei uns) vielleicht bekanntesten deutschen Philosophen eher kennengelernt. Man stelle sich vor: Werner Heisenberg bekennt am Ende seines Lebens, er hätte einiges anders gemacht, hätte er Schrödinger früher kennengelernt! Die in dieser Anekdote sichtbar werdende wissenschaftliche Fragwürdigkeit zumindest wesentlicher Strömungen der Gegenwartsphilosophie beruht primär auf einer Kommunikationslosigkeit zwischen den Hauptströmungen sowie auf prinzipiellen Auffas. sungsunterschieden darüber, was denn die Aufgabe von Philosophie überhaupt sei, worauf Stegmüller schon vor Jahren hingewiesen hat Nicht nur eine "neue Unübersichtlichkeit" ist die Folge dieser Entwicklung, sondern auch die zunehmende Fragwürdigkeit "der" Philosophie im gesamtgesellschaftlichen Rahmen. Wer nimmt heute selbst innerhalb des einzelwissenschaftlichen Betriebs noch ernsthaft Notiz von den Vorgängen innerhalb dieser ehemaligen "Königsdisziplin''? Einzelne Geisteswissenschaftler beanspruchen als "theoretische" Grundlage für ihre Interpretationen philosophische Modelle einzelner Schulen (von Adomo, Habermas oder Apel, Popper bis zu Foucault, Derrida, Lyotard oder Blumenberg und Marquard). . Nicht nur in den Einzelwissenschaften, sondern auch in der Philosophie selber ist man zunehmend nicht mehr um die Ausbildung eines philosophischen Paradigmas im Kuhnschen Sinn interessiert, sondern kocht sein eigenes theoretisches Süppchen, unabhängig von dem, was sonst noch an Theorien entwickelt wird. Philosophie heute: Das ist stärker denn je eine Frage der Rezeptionsform, welche wiederum von den bekannten soziologisch feststellbaren Rezeptionsfaktoren abhängig ist; diese Philosophie in ihrer gesellschaftlichkulturellen Erscheinungsform erlangt damit - rezeptionsästhetisch gesehen - den Status der ("schönen") Literatur; die Herausbildung einer philosophischen Theorie hängt damit weniger von der Erarbeitung einer wissenschaftlichen Bibliographie, sondern von dem Zufall ab, der entscheidet, ob man etwa die Frankfurter Schule oder den Neostrukturalismus oder aber den Kanon an Philosophien, den Stegmüller in seinem Standardwerk angibt, für wissenschaftlich vertretbar bzw. diskutierbar hält 3 KRITERION Empirismus weiter gearbeitet werden muß, erscheint selbstverständlich. Es geht aber auch um den Gegenstand der Philosophie überhaupt, der von den Gebieten der Einzelwissenschaften abgegrenzt werden muß. Die letzte bedeutende Groß-Theorie, die eine Metatheorie aller Einzelwissenschaften zu sein beanspruchte, die marxistische, befindet sich heute in einer schweren Krise, viele haben sie schon seit längerer Zeit überhaupt totgesagt. Einige Punkte seien diesbezüglich kurz angedeutet: Der im klassischen Marxismusvertretene Humanismus und Anthropozentrismus erscheint heute nicht nur aufgrund des Scheiterns des "real existierenden Sozialismus" zutiefst fragwürdig: Dasselbe kulturelle System, das das Christentum, den Humanismus und den Marxismus hervorgebracht hat, führt heute zur Zerstörung unserer Welt, es entpuppt sich immer deutlicher als tödliches System. Die prinzipielle Schwierigkeit, heute Marxismus zu betreiben, hängt auch damit zusammen, daß ein wesentlicher Zug marxistischer Weltbetrachtung seine Kraft und Legitimation heutzutage aus der Geschichte beziehen muß, aus einer oft nostalgisch anmutenden Solidarisierung mit gesellschaftlichen Schichten, die es längst nicht mehr gibt, die im Einheitsbrei der westlichen Konsumgesellschaft aufgegangen sind. Dieser grundsätzlich atavistische Zug des gegenwärtigen Marxismus untergräbt natürlich permanent dessen philosophische und gesellschaftlicheRelevanz. Bücher wie "Die Ästhetik des Widerstandes" sind in erster Linie historische Werke, leisten Trauerarbeit in bezug auf die Vergangenheit. Der Untergang der marxistischen Philosophien in den Köpfen der Intelligenz hängt offensichtlich auch damit zusammen, daß wesentliche Grundlagen marxistischerAnthropologieund Kulturtheorie in negativer Form an das Paradigma christlich-platonischer Weltausdeutungssysteme gebunden sind: Man denke nur an die anthropozentrischen Grundlagen oder an den Geschichtsoptimismus innerhalb des Marxismus, welche frappant an jene verderblichen Auffassungenvom Menschenals Krone der "Schöpfung" oder von der Errichtung des ("paradiesisehen") "Gottesreichs" auf Erden erinnern ("historizistisch" im Sinne Poppers ist natürlich nicht nur die marxistische Geschichtsphilosophie, sondern auch das christlich-abendländische Geschichtsbild in der Nachfolge von Augustinus). Hier endlich die Verbindungslinien empirisch offenzulegen (und zu interpretieren), wäre gewiß eine ehrenvolle Aufgabe für kritische Theologen oder Marxisten. Oder sollte man das doch lieber den HistorikernFrankreichsüberlassen? Jedes Zeitalter einer Kultur hat diejenige Philosophie, die es verdient Wie Vemant die Zusammenhänge zwischen der Entstehung der griechischen Philosophie und dem Aufkommen urbaner Kulturen, der Geldwirtschaft und der Begründung der Polis aufgedeckt hat, muß man heute nach den Zusammenhängen zwischen der Zerstörung der sog. "Umwelt" und der Beliebtheit einer Philosophie fragen, die (in negativer Form immer noch an das Paradigma der idealistischen Philosophie des 19.Jh. gebunden)den "Tod des Subjekts" verkündet Dies erscheint mirähnlich fatal wie das geradezu methodische Schweigen eines Großteils der analytischen Philosophieder Gegenwart zu den drängendsten Fragen dieses Jahrhunderts. Welcher Zynismus ist vonnöten,angesichtsder schwerstenökologischen Krise, die auch eine des Anthropozentrismus ist, sich einerseits mit ontologischer"Differenz" oder einer abgewirtschafteten Form heideggerisierenden oder freudianisierenden Theoretisierens und andererseits mit Gegenstandstheorie,formaler Ethik oder Fragen reiner Logik ausschließlich zu befassen? Die durch die marxistische Philosophie ehemals geleistete (und zweifellos in vielem fragwürdige, aber dennoch auch philosophisch bedeutende) Rückkopplung des Philosophierens an gesellschaftliche Probleme, Entwicklungen und an die Kulturproblematik überhaupt sollte auf andere Weise erneuert werden. Vielleicht brauchen wir einen "Marx der Ökologie"? Soll die Philosophie der Zukunft einem neuen Holismus huldigenoder interdisziplinäreTheorien ausbilden, die den Bezug zu zentralen gesellschaftlichenund kulturellen Entwicklungen nicht verlieren? Soll Philosophie normativ sein oder nur deskriptiv? (Gelegentlich scheint ein gewisser "philosophischer Aktionismus" vonnöten, nicht als Selbstzweck, sondern um aus der vorherrschenden interpretativ-deskriptiven Haltung gerade auch im Hinblick auf Wirkung herauszukommen). Wie stark soll sie an der philosophischen Tradition orientiert sein, worin soll sie sich total erneuern? Eine Ethik z.B. nach rein formalistisch-rationalistischen Kriterien zu entwickeln, ohne soziologische, historische, anthropologische Kriterien einzubeziehen, erscheint mir daher zutiefst fragwürdig. Fragestellungen und Ergebnisse einzel wissenschaftlicher Forschungen (Geschichtswissenschaft, Soziologie, Ethnologie, Anthropologie, Ökologie, aber auch Biologie, Chemie, Physik) in eine nicht mehr lediglich an methodischenProblemenorientierte Wissenschaftstheorie einzubinden, könnte vielleicht dabei helfen, die sog. wissenschaftlichePhilosophie aus ihrem gesellschaftlichen Abseits herauszuführen. Die beiden kürzlich erschienenenBücher "Eurotaoismus" von Sloterdijk und "Vernunft, Wahrheit und Geschichte" von Putnam scheinen mir in diese Richtung zu weisen, in die auch 4 FRAGEN AN DIE GEGENWARTSPHILOSOPHIE I haben scheinen), in dem bedenkenlos Genmanipulationen vorgenommen werden und Ungeheuerliches sich gerade diesbezüglich vorbereitet, in dem im Namen eines verwilderten (pseudo-) "Feminismus" bzw. "Sozialismus" hemmungslos Abtreibungen "legalisiert"· werden (zynischerweise von sog. "Linken", deren okkupierte Ahnen einst zur Befreiung von Unterdrückung antraten), in einer solchen heruntergekommenen "Kultur" erscheint mir einer der bedeutendsten Beiträge zur Gegenwartsphilosophie in dem großartigen Film "Koyaanisqatsi" zu liegen, der das kulturelle Grundparadigma der europäisch-nordamerikanischen Zivilisation auf wahrhaft philosophische Weise in Frage stellt In diesem Kontext wird man sich auch die Frage stellen müssen, welche Zusammenhänge es zwischen der offensichtlich mörderischen (und selbstmörderischen) Tendenz dieser Kultur und ihren bedeutendsten kulturellen Leistungen (zu denen neben der christlichjüdischen Religion auch die Philosophie gehört) gibt. Es wäre sicherlich wichtig, etwa die Frage empirisch (in der Diktion Max Webers z.B.) zu untersuchen, inwieweit die philosophische Aufklärungskultur und deren Eurozentrismus das geistige Vorfeld von Kolonialismus, Umweltzerstörung und Mißachtung des Lebens überhaupt im 20. Jahrhundert mitgeprägt haben. Diesbezüglich haben wir eine empirisch zu erarbeitende System theorie der Kultur nötig, die scheinbar heterogene Bereiche wie Philosophie bzw. Rationalimus und Christentum und Kolonialismus/Faschismus/Umweltzerstörung in ein Modell von Kultur einzugliedern versucht. Möglicherweise könnten sich aufgrund der dabei entstehenden (unbequemen) neuen Nachbarschaften neue Einsichten über bislang verschüttete Zusammenhänge ergeben ("Spuren"?). Auf diese Weise wäre etwa auch der Eurozentrismus "der" abendländischen Philosophie auf seine Bedeutung für Entstehung und Entwicklung bestimmter Fragestellungen und Methoden der Philosophie hin zu überprüfen (z.B. nach der Methode Vemants). Vielleicht ergäben sich überraschende Einsichten in Beziehungen zwischen der idealistischen Philosophie des 18./19. Jh, und der Entstehung des Kolonialismus, zwischen der Geschichtsphilosophie Hegels und dem selbstbewußten Auftreten der weißen Rasse in den Ländern der sog. "Dritten Welt''? Die Zukunft der Philosophie wird auch davon abhängen, wieweit sie es schafft, zu den immer bedrängenderen Fragen und Problemen einer sich selbst zusehends fragwürdiger erscheinenden Kultur (nicht nur theoretisch, sondern auch gesellschaftlich) glaubwürdig Stellungnahme zu beziehen. Popper (mit zweifellos wechselndem Erfolg) bereits geblickt hat. Man sollte die gesamte Problematik des "Projekts der Modeme", die derzeit von bestimmter ("postmodern" sich gebender) Seite eifrigst diskutiert wird, auch in der wissenschaftlich-empirischen Philosophie ernstnehmen und entsprechend bearbeiten. In dieser Hinsicht stehen zweifellos das Problem der (anthropozentrischen) Moral und - damit zusammenhängend - das ihrer Legitimation im Brennpunkt eines philosophischen Fragens, das schon längst traditionelle Barrieren wie (kollektive) Ideologien hinter sich gelassen hat und das anthropologische und kulturtheoretische Pr0blem erkennt, wie denn innerhalb einer kulturellen Entwicklung, die offensichtlich auf die Zerstörung der sog. Umwelt (ein Begriff, der leider nicht im Sinne von Heideggers "In-der-Welt-sein" zu verstehen ist) und damit auch der menschlichen Kultur hinausläuft, weiterhin Philosophie mit traditionellem (christlichplatonisch-marxistischem oder zumindest abendländisch-anthropozentristischem - z.B. in den sog. "Subjekttheorien") Hintergrund getrieben werden kann, ohne daß man dabei schamrot wird? In bezug auf "Moral" mutet die Polemik Christoph Heins gegen Peter Sloterdijk, die ganz offensichtlich im Zeichen von Moral herkömmlich-humanistischer Prägung geführt wird, elegisch an. Besonders schmerzvoll ist es, hier den Untergangskampf einer humanistisch-marxistischen Ethik gegenüber der (post-)modernen, zynischen, westlichen "Kultur" mitansehen zu müssen. Die Philosophie muß durch die von Nietzsches "Genealogie der Moral" initiierte, seither nur ungenügend vertiefte bzw. hinterfragte Relativitätsgeschichte der moralischen Begriffe, Werte, Wertsysteme "hindurchmarschieren", empirisch und unerschrocken. Diese Aufgabe ist zweifellos (v.a. aus psychologischen Gründen) eine der schwersten überhaupt Philosophie etwa "wertfrei" oder unpolitisch betreiben zu wollen, erscheint heute naiv und politisch gefährlich. Paul Veyne hat gezeigt, daß es im Lauf der Geschichte unterschiedliche Wahrheitskonzeptionen und Glaubensmodalitäten gab, die von unterschiedlichen sozialen, politischen und historischen Voraussetzungen abhängig waren. Auf diesem Stand des Wissens kann man also nur unter einer gewissen Selbstverleugnung gleichzeitig eine antike Religion wie das Christentum "praktizieren" und analytische Philosophie treiben. Im Zeitalter des rapide zunehmenden Verlustes von "Ehrfurcht" vor allem und jedem (wie weit es mit uns inzwischen gekommen ist, ist auch daran erkennbar, daß man einen Begriff wie "Ehrfurcht" unter Anführungszeichen schreiben muß, um gewisse Leute nicht zu vergrämen, die die sog. Progressivität gepachtet zu 5 KRITERION Popper, K.., Das Elend des Historizissmus, Tübingen, 19795. Putnam, H., Vernunft. Wahrheit und Geschichte, Frankfurt am Main, 1983. Sloterdijk, P., Eurotaoismus. Frankfurt am Main, 1989. Sloterdijk, P., Kritik der zynischen Vernunft, Frankfurt am Main, 1983. Stegmüller. W., Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. I, Stuttgart, 19786• Vemant, ].-P., Die Entstehung des griechischen Denkens, Frankfurt am Main, 1982. Veyne, P.: Glaubten die Griechen an ihre Mythen?, Frankfurt am Main, 1987. Weiss, P., Die Ästhetik des Widerstands, Frankfurt am Main, 198()2. LITERATIJR Bloch. E.• Spuren. Frankfurt am Main, 1969. Elias, N•• Der Prozeß der Zivilisation. Frankfurt am Main, 1969. Foucault, M., Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main,1971. Habermas, I.,pie Neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt am Main, 1985 Habennas, I., Interview in: Die Zeit, 10.8.1984. Heidegger, M., Sein und Zeit, Tübingen, 198616 • Hein, C., Schlötel oder Was soll' s, Dannstadt-Neuried, 1986. [Darin befindet sich ein Essay über 510terdijk.] Levi-Strauss, C., Mythos und Bedeutung, Frankfurt am Main, 1980. Nietzsehe, F., Zur Genealogie der Moral, Stuttgart, 1988. L 6 ORATIO PRO PHILOSOPHIA ANALYTICA ET SCIENTIFICA AlexanderHieke I I i ORATIO PRO PHILOSOPIDA ANALYTICA ET SCIENTIFICA , Landläufig herrscht die Meinung vor, die sogenannte analytische Philosophie sei nicht mehr als eine philosophische Richtung, die neben vielen anderen besteht und von der Philosophiegeschichte dereinst als eine unter vielen betrachtet werden wird. Dieser Meinung soll hier entgegengetreten werden. Die Bezeichnung 'analytische Philosophie' ist heutzutage nur mehr insofern eine glückliche, als diejenigen Wissenschafter. welche sich als analytische Philosophen verstehen. die Analyse der Sprache als wichtige philosophische Aufgabe bzw. Methode erachten, und im allgemeinen philosophische Probleme eher in Einzelprobleme zerlegen und erst danach versuchen, auf diese "kleinen" Fragen eine Antwort zu geben oder zumindest die Fragen so zu formulieren, daß überhaupt eine Antwort darauf gegeben werden kann. Der analytische Philosoph wird sich nicht der Illusion hingeben, daß die Forschergemeinschaft - oder gar ein einzelner Wissenschafter sozusagen auf einen Schlag eine Antwort auf einen Großteil der "wichtigen" philosophischen Probleme geben kann. Statt 'analytische Philosophie' könnte man auch die Termini 'wissenschaftliche Philosophie' oder 'exakte Philosophie' verwenden, Ich werde jedoch den Terminus 'analytische Philosophie' cum grano salis weiterhin verwenden, da er weit verbreitet ist und andere Bezeichnungen auch nicht treffender sind _Obwohl es in der abendländischen philosophischen Tradition sehr wohl hervorragende Philosophen gegeben hat, die Bedeutendes in ihrer Disziplin geleistet haben.! so konnte sich die Philosophie als Wissenschaft erst in diesem Jahrhundert etablieren. Einige der geistigen Eltern der analytischen Philosophen können tatsächlich als zugehörig zu philosophischen Richtungen oder Strömungen betrachtet werden, nämlich zum Neopositivismus bzw. logischen Empirismus. Die Mitglieder des Wiener Kreises, die maßgeblich daran beteiligt waren, die analytische Philosophie zu dem zu machen, was sie heute ist, hatten jedoch in mancher Hinsicht viel extremere Ansichten als die heutigen, wissenschaftlich arbeitenden Philosophen - insbesondere in Bezug auf den Gegenstand der Philosophie; ich möchte hier nur ihre radikale Metaphysik- und Ethikkritik erwähnen. Teilweise aus dieser gerechtfertigten Ablehnung gegenüber "schlechter Philosophie" heraus entstand die Hinwendung zur Sprachanalyse - um sich erst einmal klar zu werden, was überhaupt gesagt werden kann - einerseits, und zur modernen (mathemati- sehen) Logik - welche ein exaktes Mittel zur Analyse philosophischer Probleme zur Verfügung stellt - andererseits. Dabei konnte freilich zu einem großen Teil bereits auf die Arbeiten von Gottlob Frege, Bertrand Russell und anderen zurückgegriffen werden. Hier wird deutlich. daß man folgende Unterscheidung treffen muß - nämlich zwischen: (i) dem Gegenstand: dem. was eine Wissenschaft behandelt, und (H) der Methode: wie eine Wissenschaft ihren Gegenstand behandelt . Diejenigen nun, die die analytische Philosophie angreifen, weil sie angeblich die Thematik einschränkt (und schon alleine deswegen nur eine Richtung unter vielen sein kann), haben die Entwicklung der wissenschaftlichen Philosophie der letzten sechzig Jahre zur Gänze übersehen. In der analytischen Philosophie gibt es keine thematische Beschränkung apriori: Jede Frage, die klar gestellt werden kann, ist es auch "wert" beantwortet zu werden. Dadurch ist ebenfalls gewährleistet, daß Probleme, die bisher noch keiner wissenschaftlichen Klärung unterzogen wurden - sich einer solchen aber auch nicht völlig widersetzen -, philosophisch, also wissenschaftlich, behandelbar sind. Es gilt jedoch auch folgendes: Jede Frage, die sich nicht klar stellen läßt, kann nicht beantwortet werden.2 Hier wird 'antworten' verstanden als 'sinnvoll und klar antworten'. Fragen, die prinzipiell irreparabel sind, da ihnen auch beim besten Willen kein Sinn zu entlocken ist, entziehen sich der wissenschaftlichen Behandlung. Dabei ist es selbstverständlich, daß auch die analytischen Philosophen keine Fragen stellen und beantworten werden, die offensichtlich nicht in ihre Disziplin fallen. Wenn man meint, daß sich ein Philosoph gleich auch um die Beantwortung von Fragen aus anderen Wissenschaften (politologie, Soziologie, Ge2Wer sich hier an den Tractatus logico-philosophicus von Wittgenstein erinnert fühlt, der geht freilich nicht fehl. Doch Wittgensteins Forderung geht über unsere hinaus; er sagt in Satz 6.5: "Zu einer Antwort, die man nicht aussprechen kann, kann man auch die Frage nicht aussprechen. [... ] Wenn sich eine Frage überhaupt stellen läßt, so kann sie auch beantwortet werden." Dieser Standpunkt hängt natürlich eng mit Wittgensteins Auffassung bezüglich der Sprache zusammen. 1Eigentlich sollte man auch diese als 'analytische Philosophen' bezeichnen. 7 KRITERION (2) 'Ex(g)' (bzw. 'Ob(g)' oder 'E!(g)') in dem von dem polnischen Philosophen Stanislaw Lesniewski erstellten logischen System Ontologie. schichtswissenschaft, Physik, etc.) bemühen sollte, so ist dies bereits aus rein praktischen Gründen abzulehnen. Dies heißt jedoch nicht, daß Philosophen die Ergebnisse aus anderen Wissenschaften mißachten sollen. Die bereits angedeutete Forderung nach Klarheit in Frage und Antwort ist eine unabdingbare Forderung für die Methode der Philosophie und jeder Wissenschaft Das bedeutet' zwar nicht, daß ein jeder "Laie" ohne Vorbildung Einblick in eine Wissenschaft haben kann, doch es soll für jeden möglich sein, die Mittel zu erlernen, mit denen er die von den Wissenschaften gestellten Probleme und gegebenen Antworten verstehen kann, und auch befähigt ist, selbst zu fragen und zu antworten. Die logischen Empiristen des Wiener Kreises schütteten wohl das Kind mit dem Bade aus, als sie mit der in der deutschen Tradition des 19. Jahrhunderts üblichen "schlechten Metaphysik" ('schlecht' im Sinne von 'verworren', 'unklar', etc.) die Metaphysik als Ganze verdammten. So stempelt etwa Rudolf Carnap in seinem berühmten programmatischen Aufsatz "Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache"? den Satz 'Gott ist' als Scheinsatz ab, weil er in dieser Form nicht in der von Frege und RusseIl entwickelten modernen Logik darstellbar ist Der Terminus 'existieren' wird hier nämlich nicht als Prädikatsausdruck sondern als Quantor betrachtet; sei 'g' eine Abkürzung für 'Gott': so versucht man 'Gott ist' als '3g' darzustellen. Diese Zeichenreihe ist in den besagten logischen Systemen jedoch (syntaktisch) nicht wohlgeformt und muß somit bereits aus diesem Grunde als sinnlos verworfen werden. Carnap versucht hier gar nicht, den natürlichsprachlichen Satz 'Gott ist' auf eine andere Art zu analysieren, was auch in den ihm bekannten logischen Systemen möglich gewesen wäre: man könnte den Terminus 'Gott' etwa nicht als singulären Term, d.h. als Namen, auffassen, sondern als Prädikatsausdruck - abgekürzt: 'G'. Dann läßt sich 'Gott ist' darstellen als '3xG(x)' (bzw. als '3!xG(x)') und kann als sinnvoll betrachtet werden. Heute weiß man, daß es auch noch andere Möglichkeiten der Analyse gibt. Zwei Beispiele dafür sind. Somit ist gemäß der modemen wissenschaftlichen Philosophie die Frage nach der Existenz Gottes nicht Schon al1eine deswegen aus der Philosophie zu verbannen, weil das Problem sprachlich nicht ausdrückbar ist - denn es ist (syntaktisch) fonnulierbar. Dies gibt nicht nur dem Theisten die Möglichkeit, die Existenz Gottes zu bejahen, sondern es ermöglicht auch dem Atheisten, diese abzulehnen. Um das Problem der Existenz Gottes wissenschaftlich zu behandeln, ist freilich nicht nur erforderlich, daß wir eine Sprache finden, in der das Problem ausgedrückt werden kann, sondern auch, daß dem Terminus 'Gott' auf irgendeine Weise ein kognitiver Gehalt zugesprochen werden kann, wie etwa 'Ikarus' oder 'Stephen Dedalus', nicht aber 'Bubu' oder 'Znurf'.4 Anders verhält es sich bei dem ebenfalls von Carnap analysierten Satz von Heidegger: 'Das Nichts [...] nichtet'5 Auch wenn wir hier eine Möglichkeit zum sprachlichen Ausdruck finden sollten, so stellt sich doch immer die Frage, ob den Termen 'das Nichts' und 'nichten' auch nur irgendeine Bedeutung zugesprochen werden kann; und selbst wenn dies möglich ist: Wird dann das getroffen, was Heidegger damit gemeint hat? - wobei ich mich hier dem Wagnis unterziehe, zu unterstellen, daß er damit etwas gemeint hat 6 Gemäß der Forderung nach Klarheit muß auch verlangt werden, daß die literarische Qualität der wissenschaftlichen Texte nur so weit gesteigert werden darf, daß der Verständlichkeit kein Abbruch getan wird..Vorbildlich in klarer Verwendung der natürlichen Sprache sind - um nur zwei berühmte Beispiele zu nennen Gottlob Frege und Rudolf Carnap. Daneben werden in der analytischen Philosophie jedoch noch andere Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit der Methode gestellt, von denen ich noch einige wichtige herausgreifen will. Zum einen sollte der Aufbau philosophischer Theorien zu semantischer Geschlossenheit und Axiomatik neigen. D.h.: 4Diese Behauptungen beziehen sich freilich auf die deutsche Sprache. 5Der Satz heißt vollständig: 'Das Nichts selbst nichtet' und ist zu finden in: Heidegger, M., Was ist Metaphysik, Frankfurt am Main, 198112 , p.34. 6Wir könnten freilich auch dem Terminus 'Nichts' die Extension Mars und dem Terminus 'nichten' die Extension die Menge aller Himmelskörper zuordnen. Dann wäre 'Das Nichts nichtet' ein sinnvoller und sogar wahrer Satz. Interpretationen solcher Art scheinen jedoch nicht zielführend zu sein - alleine deswegen schon, weil sie nicht versuchen, den Text mit einem höchstmöglichen Maß an gutem Willen zu deuten. (1) '3x x = s' (bzw. '3!x x = g') - in der vor allem von dem amerikanischen Philosophen Karel Lambert entwickelten Free Logic (existenzannahmenfreien Logik), in der dieser Satz nicht allgemeingültig, mithin nicht trivialerweise wahr, ist, was in den klassischen Standardsystemen der Fall ist. 3Erkenntnis, Bd. 2,1931, p.219-241. 8 'I '! ORATIO PRO PHILOSOPHIA ANALYTICA ET SCIENTIFICA und habe betont, daß keine thematische, sehr wohl jedoch eine methodische Beschränkung gefordert wird. Sodann habe ich einige wichtige Forderungen für diese Methode aufgezeigt, bis jetzt aber noch nicht gesagt, warum denn gerade diese Methode die alleine zielführende sein soll. Die Antwort darauf ist unmittelbar evident: (i) Es sollen keine Terme verwendet werden, die nicht entweder von vornherein klar in ihrer Bedeutung sind (Primitivterme) oder aber auf Primitivtenne zurückgeführt werden können (etwa durch Definitionsketten). Beispielsweise sollte ein philosophisch so schwer vorbelasteter Term wie 'Substanz' entweder definiert werden oder aber doch implizit (durch Postulate, in denen der Tenn vorkommt) ausreichendfestgelegt werden. Die rationalste und dem modernen wissenschaftlichen Standard angemessenste Methode. die uns zur Verfügung steht. ist die der analytischen Philoso- (H) Man sollte danach trachten, eine philosophische phie. Theorie rund um Axiome (Postulate), Definitionen und die daraus abgeleiteten Theoreme aufzubauen. So werden die Primitivtenne in den Axiomen eingeführt und die nicht-primitiven Tenne werden in den Definitionen festgelegt. Der modeme wissenschaftliche Standard, von dem hier gesprochen wird, darf freilich in erster Linie als naturwissenschaftlicher Standardbetrachtetwerden,denn die Naturwissenschaften haben vorgezeigt, wie man (wissenschaftlichen) Erkenntnisfortschritt erzielen kann. Und tatsächlich ist es auch Aufgabe der Philosophie, einen Erkenntnisfortschritt zu erzielen, und nicht, subjektive, emotionaleWeltbilder zu entwerfen, und dabei in unklaren und verworrenen Worten zu schwelgen. Man muß nach einer rationalen Diskussion in der Philosophie (und allgemein in allen Wissenschaften) trachten, und gerade die Forderungen, die oben an die Methode der Philosophie gestellt wurden, scheinen u.a. Forderungen nach Rationalität zu sein, d.h, sie sind notwendige Bedingungen für eine rationale Diskussion in der Philosophie. Es mag hier als Mangel erscheinen, daß die Forderungen nach Rationalität und Wissenschaftlichkeit mehr oder weniger dogmatisch gestellt werden. Doch: Diese Forderungen sollten - wie bereits gesagt - in eine Richtung weisen, d.h.: nicht jeder gute philosophische Text wird diese Bedingungen vollständigerfüllen. Mit all dem hängt die allgemeine Betonung der Sprachanalyse zusammen, welche mit einem semantischen Aufstieg7 verbunden ist. Dies bedeutet, daß in der Philosophie oftmals von Fragen der Fonn: 'Was ist ein X?' zu Fragen der Fonn: 'Was bedeutet 'X'?' übergegangen wird, was u.a. auch auf den hohen Abstraktheitsgrad der in der Philosophie behandelten Gegenständezurückgeführt werdenkann, daneben aber fiir sich genommen einen Wert besitzt, denn - wie bereits oben erwähnt - Sprachanalyse ist eine Methode, uns darüberklar zu werden,was wir überhauptsagen. Weitere Forderungensind die nach Verwendung moderner wissenschaftlicher Mittel, d.h, die Anwendung logischerund quantifizierender Methoden der Mathematik in der Philosophie, und jene nach Bevorzugungder systematischen gegenüber der historischen Betrachtung. Keine Wissenschaft ist so eifrig im Betrachten ihrer eigenen Geschichte wie die Philosophie. Dies darf jedoch nicht zum Selbstzweck werden. Es sollen hier zwar keineswegs die Meriten der Philosophiegeschichte im allgemeinen geschmälert werden, doch man muß betonen, daß die Betrachtung und Heranziehung früherer Problemanalysen nur insofern von Belang sein sollte, als man diese in einen modemen Problemzusammenhang bringen bzw. zumindest mit modemen Methoden erneut behandeln kann - denn sonst bleibt die Philosophie in ihrer eigenen Geschichte stecken. Bisher habe ich die analytische Philosophie nur gegen den ungerechtfertigten Angriff verteidigt, sie schließe genuin philosophische Problemkreise aus, Philosophie ist Wissenschaft und Wissenschaft ist rational. Somit verbleibe ich in der Hoffnung, daß dereinst - in nicht allzu ferner Zukunft - die Bezeichnung 'analytische Philosophie' zum Pleonasmus geworden sein wird.s P.S. Der vorangegange Text erfüllt keineswegs die in ihm erhobenen Forderungen an eine wissenschaftliche Arbeit und ist demgemäß nicht als 'wissenschaftlich', mithin auch nicht als 'philosophisch' zu bezeichnen. SIn meiner "Privatsprache" ist dies bereits der Fall - ich hoffe nur, daß die Sprechergemeinschaft sich meinem Sprachgebrauch im Laufe der Zeit anschließt. 7Vgl. Quine, W.V.O., Wort und Gegenstand. Stuttgart, 1980, p.465-475. 9 KRITERION Wolfgang Schrempf PHILOSOPH - EIN GESCHÜlZTER BERUFSSTAND? GEDANKEN ZU EINER MODERNEN PROBLEMATIK IM GEISlESWISSENSCHAFfLICHEN BERUFSWESEN 1. Erörterung des Problems reich. Leicht vorstellbar ist jedoch, daß gerade diese Referenzen in der Bevölkerung, die sich verständlicherVorfälle, welche sich im Jahre 1989 rund um die Stadt weise nicht mit universitätsinternen ZuordnungsproSalzburg häuften, mögen mir hier die entscheidende Motivation gewesen sein. Dabei handelt es sich vor- blemen beschäftigen kann, auf fruchtenden Boden wiegend um Ereignisse, welche vermutlichnur von je- stößt. Einerseits ist der Umstand nicht sehr bekannt, nen Leuten als provokativ und als diskriminierendem- daß die Bezeichnung 'Dr. phil.' nicht bedeutet, daß die pfunden wurden, die sich eine präzise und stark abge- bezeichnete Person tatsächlich das Fach Philosophie grenzte Art zu philosophieren (philosophie zu betrei- studiert haben muß, sondern nur ein absolviertes Stuben) als die ihre auserkorenhaben. Ich möchte mich zu dium an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät bediesemSchlagbekennen undanbandfolgenderAusfüh- zeugt'. Weiterszeigt ein Studienaufenthaltim Ausland rungen zeigen, daß die Forderung nach einer juristisch schnell, wie offensichtlich ein Interesse am Fach voranerkanntenDefinitiondes Begriffs 'Philosoph' durch- handen ist, auch wenn selbiges nicht immer einen Bürgen für hohe Qualität stellt. Dennoch scheint das Enwegs gerechtfertigtist. Leicht bietet sich für jemanden die Möglichkeit, gagement in der Öffentlichkeit die versuchte Herstelmittels Inseraten in Magazinen und Zeitungen sowie lung eines Praxisbezugs seines Fachgebiets widerauf Anschlagtafeln von Universitäten und ähnlichen zuspiegeln, und auch dieser Umstand kann philosoInstitutionen dafür zu werben, rat- oder Entspannung phiefremde Kreise leicht entzücken. Kurz, unter Leusuchende Personen philosophisch zu betreuen, womit ten, die von Philosophie noch kaum etwas wissen gemeint ist, daß sich Interessenten in einem bestimm- wirkt ein Vermittler mit angeführten Referenze~ ten Wirtshaus treffen mögen, ihre privaten oder beruf- äußerst sympathisch. Nachdem über die Arbeit dieses Philosophie-Praktilichen Probleme vortragen können, und selbige durch kantenein entsprechendesMedienechopublik wurde, eine vielleicht rhetorisch geschulte Person scheinbar erfuhr er von einer Einladung in ein Gymnasium, in geklärt oder auch verklärt werden, in dem Sinne, daß leicht verständliche Sätze transformiert werdenin einen welchem er die Möglichkeit hatte, junge Leute über das Fach Philosophie zu informieren, bevor sie sich für die Allgemeinheitnicht mehr verständlichen "Satzauf die Suche nach dem für sie geeignetenStudiumbeUrwald". Solch ein Fall ereignete sich in einer Hintergeben. Die Vorstellung über Philosophen, welche in stube eines örtlichen Wirtshauses, wo ein sich selbst so bezeichnender Philosoph seiner Arbeit nachging, solchen Informationsstunden geprägt werden kann, deckt sich keinesfalls mit jener, die von Studenten, für welcheer in Inseratenwarb; der Betätigungsbereich wurde als 'Philosophische Praxis' bezeichnet. Ziel war Assistenten und Professoren vertreten wird, welche die Beratung über im Alltag anfallende Probleme wie . sich hauptberuflich und entsprechend vorgebildet an inauch nur die vermeintliche Darstellungsolcher Proble- stituten diesesFachgebietesbetätigen und bestätigen. me im philosophischen Sprach- und Fachbereich. Ho2. Estrellas "Mißbildungen" noriert werden sollte diese Leistung nach einer Stunde Jorge Estrella schreibt in einem Artikel in Conceptus mit ca. ÖS 700.- für seIbigen Zeitraum. Durch seine Werbeanschläge auch auf den Informa- über die Philosophie und ihre etwaigen Mißbilduntionstafeln der Universität aufmerksamgeworden, war gen", Hier möchte Estrella auf die Folgen des Mißes möglich zu erkennen, daß es sich bei dem selbster- brauchs vom Philosophie-Begriff aufmerksam machen, nannten Berufsphilosophen nicht um jemanden han- nicht ohne zusätzlich durch Vergleiche Parallelen in delt, welcher ein ordentliches Philosophiestudium absolvierte. Vielmehr stellte sich heraus, daß seine Dissertation in den Sprachwissenschaften eingereichtwurde, wo sie auch gemäß ihres Inhaltesleichter einzuordnen war. Was ihm von einer philosophischen Laufbahn blieb, war lediglich der erstandene Titel 'Dr. phil.' sowie die Kenntnisse von einigen Semestern Studium der Philosophie bei Jacques Derrida in Frank- 1Es sei angemerkt, daß diese Verwechslung aus früheren Jahren stammt, wo die Fakultäten der Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften in der philosophischen Fakultät zusammengefaßt waren. ZIeh wähle diese Bezeichnung, da das Betätigungswnfeld von ihm selbst, wie ich bereits anmerkte, "Philosophische Praxis" genannt wurde. 3Estrella (1990), p.3-16. 10 ~ II ! PHILOSOPH- EIN GESCHüTZER BERUFSSTAND? Erwägung zu ziehen. So könnte es sich nach ihm analog zum Kodex des Hammurabbi verhalten, und auch die wichtige Differenzierung zwischen Medizin und Kurpfuscherei sollte vor unsachgemäßer Vermengung von Volksweisheit und Wissenschaft warnen. Nach Estrella gibt es eine Vielzahl von philosophischen Mißbildungen; er sucht nur vier für ihn gravierende aus und behandelt in seinem Artikeldie Belehrsamkeit, die Verwirrungskunst, die Zitierwut und den Ideologisierungswahnmit den vorangehenden Worten, daß jene wohl am gefährlichstenseien," Was ich nun zeigen möchte, ist, daß sich das Verhältnis von Medizin und Kurpfuschereizu Philosophie und Estrellas Mißbildungen analog verhalten kann, jedoch nur, wenn bestimmte Kriterien gegeben sind. Damit werde ich andeuten, wie komplex der Beurteilungsbereich wird, sollte jemand versuchen,den Begriff Philosoph mit solchen Mitteln abzugrenzen. i. die philosophische Vulgärtätigkeit Einfluß auf das WohlergehenDritter nimmt, ii. die Ursachen des Einflusses intersubjektiv nachvollziehbarsind, iii. die Tätigkeit vorsätzlich vorgenommen wurde! wird 2.1 Kriterien des Analogons I'i weniger direkt auf das Wohlergehen oder die Gesundheit der Umwelt Einfluß genommen wird. Dies mögen Umstände sein, welche für den Aktionsbereich vieler Philosophen nicht in Frage kommen. Zumindest konnte ich noch keinen hauptberuflichen Philosophenfinden,welcher in den Körper eines anderen unter Ausübung seines "Amtes" eingednmgen ist; ebensowenig ist mir bekannt, daß ein solcher an den Sicherheitsvorkehrungen irgendwelcher architektonischer Leistungen maßgeblich beteiligt gewesen ist Es bleibt mir nur, darauf hinzuweisen, daß die oben angeführte Analogie ausschließlich dann korreke' sein dürfte wenn: Nach dem Kleinen Brockhaus ist der Begriff 'Medizin' synonym mit dem Begriff 'Heilkunde', und dies wird als Lehre vom, ich zitiere wörtlich, "gesunden und kranken Lebewesen, von Ursachen,Erscheinungen und Auswirkungen ihrer Krankheiten [...], deren Erkennung [... ] und Behandlung [...] und Verhütung [... l" (Brockhaus, Bd 12 (1984), p.11) verstanden. Um Dinge dieser Art verrichten zu können, wird entsprechendes Wissen, sowie auch etwas Glück, vorausgesetzt, • legitimiertdurch diverse Staatsexamen desselbenFachgebietes -letzteres vermutlich schon wegen des hohen Berufsrisikos. Hierbei ist leicht zu sehen, daß Personen ohne entsprechendesFachwissenandere durch ihre Handlungen bis aufs Leben gefährden. Medizinische Handlungen von inkompetentenLeuten vorsätzlichbegangen, möchte ich als 'Kurpfuscherei' bezeichnen. Ähnlich verhält es sich auch bei dem von Estrella angeführten Baumeister, welcher durch den Einsturz des von ihm errichteten Hauses den Tod der Insassen verschuldete (Estrella (1990), p.3). Bei all diesen Vorfällen dürfen wir davon ausgehen, daß Dritte unverschuldet Opfer von Dilettanten dieser Art werden können. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß es sich bei den angeführten ("mißbrauchten'')Wissenschaften um eben solche handelt, bei denen in der Praxis mehr oder Nur unter diesen Umständen möchte ich von einer gewissenRelevanz sprechen, und demnach bezeichne ich das Kriteriwn als 'Relevanzkriterium'. 2.2 Folgendes Relevanzkriteriums Bis jetzt scheint unsere Bearbeitung noch keine plausiblen Gründe für die Forderung nach Bedeutungseingrenzung des Begriffs 'Philosoph' zu liefern. Wir sind nun soweit, nach genauer Untersuchung festzustellen, ob wir davon ausgehen dürfen, daß es sich bei den Konsequenzen der Kurpfuscherei ähnlich verhalten mag wie bei jenen der Vulgärphilosophie. Ist diese Frage mit 'Ja' zu beantworten, fiele uns ein Urteil vermutlich leicht, gebietet es schließlich bereits unsere humanistische Einstellung, unseresgleichen zu schützen. Anders verhält es sich bei der Beantwortung der Frage mit 'Nein'. Deutet dies letztlich nur auf die sachliche Inadäquatheit hin, oder reicht es aus, die Frage vom Diskussionstisch zu fegen? Was für unsere Mitmenschen alles von negativem Einfluß sein kann, läßt sich kaum ermitteln, leichter wird es schon bei Hinzunahme der zweiten Voraussetzung, welche schließlich eine Art Eingrenzung darstellen mag. Doch bei jener dürfte die Problematik durch den jeweiligen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis deutlich erschwert werden. Speziell bei psychologischen Ursachen wird die Möglichkeitder Intersubjektivität eingeschränkt. Es bleibt uns nur, gemäß der Vor- 4Was ich bis jetzt über Estrellas Artikel schrieb, findet sich teils sinngemäß in: Estrella (1990), p.3, der Rest ist meine Interpretation selbiger Seite. Ich werde nicht näher auf die Einzelheiten seiner Bearbeitung eingehen, da sie für meine Darstellung nicht direkt relevant sind, vielmehr liegt mir die Prüfung der Analogie von Medizin und Kurpfuscherei mit Philosophie und Estrellas Mißbildungen am Herzen. 5Unter 'korrekt' verstehe ich hier, daß der Kern der Aussage, nämlich die vermeintliche Gleichheit, einer Mehrheit von Personen evident erscheinen mag. 11 L KRITERION sätzlichkeit eine Einigung zu erzielen, sodaß die Ausübung einer von selbiger Person als 'philosophisch' deklarierten Tätigkeit, verbunden mit einer dafür vorgesehenen Entlohnung, infolge von Planung und Absicht als 'vorsätzlich' bezeichnet werden darf6. Nichts anderes werde ich im folgenden unter 'vorsätzlich' verstehen. Wird das Relevanzkriterium nicht erfüllt, erscheint der Vergleich von Philosophie und Medizin inadäquat Vulgärphilosophie wäre demnach nicht eine Art Kurpfuscherei auf ein anderes Fach angewandt. den Vulgärphilosophen könnte seine Art, "Philosophie" zu betreiben, stark an Popularität zunehmen. Durch die Verbreitung seiner Thesen in den Schulen wünle sich auch unter den Folgegenerationen ein Mißverständnis breitmachen, welches den konstruktiven Einstieg in das an der Universität praktizierte Philosophieren empfindlich stören würde", Weniger Leute würden Philosophie als ihr Studium erkennen, wenn sie noch nie damit konfrontiert wurden, mehr Studenten würden das Studium an diesem Fach abbrechen, nachdem sie erkannten, daß sie aufgrund der in den Schulen propagierten und in der erstarkten Volksmeinung vertretenen Art und Weise selbiger Tätigkeit bitter enttäuscht wurden. Unschuldigerweise sind sie unter völlig falschen Voraussetzungen an die Universität gekommen, und es möge bedacht werden, daß dieser Umstand auch jetzt schon viele Hörer in den ersten Semestern wegnimmt. Auch wäre vorstellbar, daß das in Politikern gefestigte Bild von philosophischer Arbeit sich auf die entsprechende Subventionierung diverser Projekte ebenso auswirken kann, wie die damit verbundene räumliche Einschränkung (bzgl. Diensträumen, Büros, Hörsälen) an den Instituten als Nachwirkungen der fallenden Studentenzahlen verstanden werden könnte. Wer würde als Fachfremder einer Studienrichtung, die kaum studentische Nachfrage erzielt, entsprechende Hörsäle gewährent? Ganz zu schweigen über die privaten Finanzierungen für diverse Forschungsprojekte. Viele Eltern würden sich nicht mehr bereit erklären, ihren Sprößlingen ein Studium zu gönnen, in welchem es vielleicht nur mehr darum geht, allgemein verständliche Sätze in unerkennbare Phrasen zu verwandeln. Die von mir angeführte Vorstellung über die Zukunft einer Philosophie ohne konkrete Begriffseinschränkung mag glücklicherweise nicht mit der Realität übereinstimmen, soll aber einen Denkanstoß liefern, wie sich die Dinge diesbezüglich verhalten könnten. Es soll nicht vergessen werden, welch geringen Stellenwert philosophische Forschung in der Geschichte bezüglich der Akzeptanz in der Bevölkerung schon erfahren durfte. Wird die Betätigung des Philo- 3. Wiederbelebung desAnfangsproblems Wie in den vorherigen Kapiteln bemerkt wurde, läßt sich schwer erkennen, ob bei unausbildungsgemäßer philosophischer Tätigkeit Personen von den Folgen derart getroffen werden können, daß auf ihr Wohlergehen Einfluß ausgeübt wird. Wir haben uns bei dieser Untersuchung jedoch stets, veranlaßt durch die vermeintliche Analogie zur Medizin, auf Folgen für Dritte beschränkt. Zu sehr dürften wir uns in den Arbeitsbereich eines Arztes vertieft haben, in welchem eine Wechselbeziehung zwischen Arzt, Patient und Kurpfuscher entstehen kann. Der Einfluß des Kurpfuschers erscheint uns deshalb gefährlich, weil er die Gesundheit eines womöglich unwissenden Patienten beeinträchtigt. Wir haben nicht in Erwägung gezogen, wie sich seine Arbeit auf seriöse Ärzte auswirken kann. Hier dürfte der Punkt sein, wo wir bei der Arbeit des Philosophen einhaken müssen. Meines Erachtens schlägt sich hier die Konsequenz von unsachgemäßer philosophischer Arbeit nieder. In Kapitel 1 wollte ich zeigen, daß sich Reichweite und Popularität eines Wirtshausphilosophen rasch ausdehnen können. Als Folge dieser Ausdehnung kann in der Öffentlichkeit ein Bild entstehen, welches unter anderem auch im Toleranzspektrum diverser Politiker (nicht nur der Regionalpolitiker) einen beträchtlichen Raum einnimmt. Durch entsprechende Rhetorik und vor allem durch die "Volksnähe" eines derart agieren6Hier möchte ich den Begriff 'Vorsatz' als stipulativ definiert sehen, um mich nicht der Gefahr einer Kritik aus juristischer Sicht auszusetzen. Unterschieden wird im Strafgesetz zwischen direktem und bedingtem Vorsatz; weiters wird die Situation auf die Möglichkeit des wissentlichen Handeins ausgedehnt. Meine Erklärung soll nur eine sanfte Anlehnung daran sein, speziell an den Absatz 2, der da lautet: "Der Täter handelt absichtlich. wenn es ihm darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen, für den das Gesetz Absichtliches voraussetzt." (StGB, §5, pA). Ich sehe den Begriff nicht im Sinne der alten Strafordnung, in welcher speziell vom bösen Vorsatz die Rede ist tÖsterreichische Gesetzeskunde Band 11, 1913, §l, p.1S). 7Hierbei ist noch erwähnenswert, daß die Informationen über das Fach Philosophie an den Schulen ohnehin nicht immer sachgemäß sein dürften, was vermutlich eine Folge der Überlastung der Lehramtskandidaten mit anderen Fächern sein kann. Die Folgeerscheinungen davon sind wahrscheinlich jene verdutzten Studenten, welche sich im ersten Semester des Philosophiestudiums kaum zurechtfinden können. 8Wobei die geringe Nachfrage im vorliegenden Fall eine direkte Folgeerscheinung der außeruniversitären Fehlinformation sein soll. 12 PHILOSOPH - EIN GESCHüTzER BERUFSSTAND? i i I I i I~ "[•••] 1. a) jemand, der nach dem letzten Sinn. den Ursophen als altmodisch und schrullig eingestuft. könnte spr1lngen des Denkens und Seins, dem Wesen der Welt, sich die Darstellung der Relevanz als präzise wissender StellWlg des Menschen im Universum fragt; schaftliche Forschung äußerst schwierig erweisen. Sob) Begründer einer Denkmethode, einer Philosophie. mit möge dies als Aufforderung dienen. exakte Ausbil2. WISsenschaftler auf dem Gebiet der Philosophie. dung auf dem Gebiet der Philosophie zu fördern und 3. Jemand, der gerne philosophiert. über etwas nachdenkt, grübelt." jede Art von Mißbrauch dieses Begriffs als solchen zu Was mit einem Bedeklarieren und zu griff dieser Art Kuunterbinden, Selbst rioses passieren wenn nur Philosokann, verdeutlicht phen primär die sich unter anderem Leidtragenden sind, auch in der Werbeda durch die schwer branche. Mein Beierkennbaren Konsequenzen auf andere DEr.... PHIlOSOPH mI demoGslilIdee ÄSKAI..ON·, spiel aus Spierling (1987), p.434 (man Bereiche die ÄhnPergellllgro&tfec:I'lrG deehellen Bch IlIIIkalrees, betrachte die nebenlichkeit zur KurpfuOlrFeW-elldee~ Olm~SItnetU. c • stehende Abbilscherei nicht unmitOlred1lll PHllOSOPH \I1IIlrden Gettti<Bn, dung) soll den Auftelbar gegeben ist, DwPHllOSOPHlIlenePrcbe-U satz beenden, welerscheint es mir als chen Sie bitte als wesentlicher und erster Schritt, den Begriff 'Philosoph' nur gemäß stark metaphilosophischen, doch bloß populärwissenschaftlichen Text ohne jeden wissenschaftlichen Anspruch abgrenzender Bestimmungen zuzulassen. betrachten mögen. 4.Schlußbemerkungen LIlERATUR Wie immer ein Streit um die Einschränkungen des Begriffs ausgehen mag, wann immer ein solcher beginnen mag und wie lange es auch dauern wird, bis sich die Neuerungen durchsetzen werden, noch dürfen sich alle beliebigen Personen als Philosophen bezeichnen, spiegelt sich schließlich die gängige Meinung darüber auch im Duden für Fremdwörter wieder, in welchem steht: Estrella, J., "Die Philosophie und ihre Mißbildungen", Conceptus XXIV, Nr. 61, 1990, p.3-16. Spierling, V., Lust an der Erkenntnis: Die Philosophie des 20. Jahrhunderts, München, 1987. dtv Brockhaus Lexikon, 20 Bände, Wiesbaden-Münehen, 1984. Duden Fremdwörterbuch, Duden Band 5, Mannheim, 1982. Duden Herkunftswörterbuch, Duden Band 7, Mannheim, 1963. 13 KRITERION Peter Kaliba PROSÄlZE* 1. WassindProsäize? Quine hatte in Quine (1970) argumentiert, daß gebundene Aussagen-Variablen als Pronomina ins Englische/Deutseheübersetzt werden müßten, daß sich Pronominaauf Gegenständebezögen,daß daher Aussagen als Namenvon Gegenständen aufgefaßt werdenmüßten und daß somit die Verwendungvon Aussagen-Quantoren die metaphysischeTodsünde der Reifizierungvon Universalien mit sich brächte. Grover(1972) verteidigt die Quantifikation über Aussagen gegen diesen Vorwurf. Sie argumentiert, daß gebundeneAussagen-Variablen nicht als Pro-Nomina übersetzt werden müßten, sondern als Pro-Sätze, womit Quines Argument der Boden entzogen wird. Im Englischen/Deutschen gäbe es zwar bisher keine Prosätze. aber man könne sie ja hinzufügen. In Grover/Camp/Belnap (1975) wird hingegen argumentiert, daß 'that is true'l'das ist wahr' ein bereits vorhandenerProsatz des Englischen/Deutschen ist. Mehr noch: Phrasen, in denen 'is true'l'ist wahr' vorkommt, schreiben im allgemeinen nicht einer Proposition oder einem Satz die Eigenschaftder Wahrheit oder Falschheit zu, sondern enthalten einfach einen Prosatz. Das ist die Haupt-These der Prosatz-Theorie der Wahrheit Grover nennt drei notwendige Bedingungen dafür, daß ein sprachlicher Ausdruck als Proform einer bestimmten Kategorie gelten kann: (Prol) Er stellt anaphorische Bezüge her. (Pro2) Er ist von der selben syntaktischen Kategorie wie sein Antezedens. (Pro3) Er ist von derselben semantischen Kategorie wie sein Antezedens. Hans liebt Maria nicht, er gibt es nur vor, sie will das aber nicht glauben. Diesel'Satz enthält weitere anaphorische Bezüge: 'es' beziehtsich auf 'Hans liebt Maria' und 'das' auf 'Hans liebt Maria nicht, er gibt es nur vor'. Es handelt sich jedoch bei 'es' und 'das' nicht um Proformen im Sinn der obigen Definition, da die syntaktischenKategorien von 'es' (Nominal-Phrase) und 'Hans liebt Maria' (Satz) bzw. von 'das' (Nominal-Phrase) und 'Hans liebt Maria nicht, er gibt es nur vor' (Satz) nicht übereinstimmen. Was also sind Prosätze? Grover/Camp/Be1nap (1975) geben viele Beispiele für Prosätzeder Art 'das ist wahr'. Sehen wir uns einige davonan. Zuerstdie WiederJwlungen: a: Schnee ist weiß. b: Das ist wahr. In diesem Beispiel bestätigt b nur, was a sagt. Wenn wir nur am Aussage-Gehaltinteressiert sind, dann ist dieserText äquivalent mit a: Schnee ist weiß. b: Schnee ist weiß. F .P. Ramsey hat mit seiner Redundanz-Theorie der Wahrheitein solches Eliminations-Programm vor Augen, doch nach Grover/Camp/Belnap wird dadurchder eigentliche semantische Punkt verschleiert. Denn die Äquivalenz der letzten beiden Sätze zeigt eigentlich nur, daß 'das ist wahr' im ersten Satz ein Prosatz ist, und der zweiteso etwas wie eineEinsetzungs-Instanz. Früher einmal war Schnee weiß, aber wegen der vielen Düsenflugzeuge ist das nicht mehr wahr. Alle diese Bedingungen sind Verallgemeinerung elementarerEigenschaften von Pronomina.In der Linguistik versteht man unter anaphorischem Bezug die Art des Bezugs auf Gegenstände, die typischfür Pronomina ist (vgl. Lyons (1977». Pronomina sind Platzhalter oder Variablen für Ausdrücke der Kategorie Nomen oder Nominal. Sie wiederholen, oder erinnern an, ein an anderer Stelle im Text stehendes Nomen oder Nominal, ihr Antezedens, wie im folgenden Beispiel: In diesem Satz ist die das-ist-wahr-Phrase durch 'nicht mehr' modifiziert, aber mit etwas gutem Willen kann die Modifikation herausgehoben werden: Früher einmal galt: Schnee ist weiß, aber wegen der vielen Düsenflugzeuge gilt nicht mehr: das ist wahr. Und dann ist der folgende Satz wieder so etwas wie eine Instanz: Hans liebt Maria nicht, er verachtet sie. Früher einmal galt: Schnee ist weiß, aber wegen der vielen Düsenflugzeuge gilt nicht mehr: Schnee ist weiß. Daß die Phrase 'ist wahr' in Zusammenhang mit Quamoren-Phrasen als Bestandteil eines Prosatzesgesehen werden kann, sollte jetzt nicht mehr überraschen: *Dieser Aufsatz ist eine überarbeitete und gekürzte Version von zwei Kapiteln meiner Dissertation Logische Untersuchungen über Prosatze. Salzburg 1988. L Dieser Satz enthältfolgende anaphorische Bezüge: 'er' hat 'Hans' als Antezedens, 'sie' hat 'Maria' als Antezedens. 14 __ 11 PROSÄTZE a: Maria glaubt, daß sie die Stelle nur bekommen hat, weil ich den Personalchef gut kenne. b: Das glaube ich nicht. a: Es ist wahrl Alles, was Hans behauptet, ist wahr. Dieser Satz kann in Logiker-Deutsch mit einem expliziten Prosatzdargestelltwerden: ~ Für alle Aussagen gilt: wenn: Hans behauptet: das ist wahr, dann: dasist wahr. a: Maria glaubt: P weil Q Im Folgenden wollen wir uns jedoch ausschließlich mit nieht-quantitizierten Prosätzenbefassen. ~ 2. Diagramme 'I 'I a: Maria glaubt: P weil Q Ein einfaches Diagramm erklärt manchmal mehr als mehrere Seiten Text. So ist es mit den Venn-Diagrammen der Mengen-Theorie,die Mengen als Flächen repräsentieren, mit den Hasse-Diagrammen der Ordnungs-Theorie, die Ordnungs-Verhältnisse in Mengen durch topologische Verhältnisse repräsentieren, etc. Für unsere Diagramme repräsentieren wir Vorkommnisse von Proslitzendurch Löcher, behelfsweisedurch das Zeichen_, und den anaphorischen Bezugeines Prosatzes durch einen Pfeil vom Loch zu seinem Antezedens. Der Text t a: Maria glaubt: P weil Q a, Maria JbC P weil 1J ~nl b: a:S,,-,_ b:-,S,,-,_ Die anschaulichegraphische Darstellungder anaphorischen Bezüge in einem Text kann als Basis einer mengentheoretischen Struktur dienen, die ich in Analogie ebenfallsDiagramm nenne. Früher einmal war Schnee weiß, aber wegen der vielen Düsenflugzeuge ist das nicht mehr wahr. I DEFINITION Ein Diagramm D = (T, s) ist ein Paar, bestehend aus (1) dem Text T, einer Menge von Sätzen. und (2) dem anaphorischen Bezug s, einer Abbildung der Prosätze in TinTeilsätze von Sätzen in T. Früher einmal: S " (wegen: P nicht mehr: ..) a: Es muß etwas geschehen. (die anderen haben davon zwar nichts mitbekommen, sie haben sich unterhalten oder in der Nase gebohrt, sind aber gezwungen sich zu äußern) b: Das ist sehr, sehr wahr. c: Es ist so, wie b gesagt hat. d: Ich schließe mich meinem Vorredner an. Die Teilsätze von Sätzen in T werden noch häufig vorkommen, deshalb nennen wir sie einfacher Sätze über D. Bei dieser mengentheoretischen Version von Diagrammen können die Prosätze leider nicht als Löcher bzw. als vielfache Vorkommnisse des einen Loches dargestellt werden, wir wählen stattdessen dieKleinbuchstaben p, q und rund p mit Indizes. Wir stellen uns diese Prosätze geordnet vor, sodaß man vom ersten, zweiten, nächsten, usw. sprechen kann. Auch in der Diskussion von graphischen Diagrammen werden wir oft Prosätze mit Namen belegen müssen, wir stellen dann einen Unterstrichvoran, also z.B. .». nnn c: b: Ich glaube nicht; nicht wahr. b: Schnee ist nicht weiß und was du gerade gesagt hast, ist nicht wahr. Auch kompliziertere anaphorische Verhältnisse lassen sich ganz übersichtlich darstellen, einige weitere Beispiele: b: i a: Schnee ist weiß und was immer du jetzt dazu sagst, ist n a:P b: Ich glaube nicht: _ a:_ Auch selbst-bezügliche Formulierungen sind in Diagrammendarstellbar, wie dieser Streit zeigt wirddann also folgendermaßen als Diagramm repräsentiert + b: Ich glaube nicht: _ a:_ Es kann auch Mißverständnisse zwischen a und b geben, wie etwa folgendes: . a: Schnee ist weiß. b: Das ist wahr. a:S n n n b: Ich glaube nicht: _ a:_ d: Wenn der Pfeil auf einen molekularen Satz zeigen soll, dann richten wir ihn auf sein Haupt-Verknüpfungszeichen. Ein Beispiel,das anaphorisch mehrdeutig ist, zumindest in der schriftlichen Version: 15 KRITERION Graphische und mengentheoretische Diagramme. die nur endlich viele Sätze enthalten.sind ineinanderüberführbar. wie das folgende Argument zeigt Beginnen wieder, die Verdopplung der Namen ist sogar unnatürlich. Eine andere Abweichung zeigt D mit T = (p, q, R), s(P) =Rund s(q) =R. Die Übersetzung wir mit der Überführung eines mengentheoretischen Diagramms in ein graphisches: Zuerst werden die Sätze von T nebeneinander niedergeschrieben. Dann wird der so angeordnete Text von links nach rechts auf Prosätze durchsucht Ist einer gefunden, p etwa, dann wird p durch ein Loch ersetzt Dann wird der Text nach einem Vorkommnis von s(P) in einem Satz durchsucht. Ist das erste gefunden, so wird ein Pfeil vom eben eingesetzten Loch zum Haupt-Verknüpfungs-Zeichen von s(P) gezogen. Das wird wiederholt. bis jeder Prosatz p des Textes durch Löcher mit Pfeilen zu s(P) ersetzt ist. Nun die umgekehrte Richtung: Der angeordnete Text wird von links nach rechts auf Löcher durchsucht Ist eines gefunden, so wird über den Pfeil sein Antezedens ermittelt. etwa A. Sei p der erste Prosatz, der noch nicht im Text vorkommt Jedes Loch im Text, dessen Pfeil zu einem Vorkommnis von A führt. wird durch p ersetzt und definiert: s(P) = A. Das wird wiederholt, bis alle Löcher aus dem Text verschwunden sind. Der solchermaßen umgeschriebene Text wird in Taufgesammelt Ein paar Erläuterungen zu den Verfahren: Man überprüft leicht, daß die Resultate der Verfahren jeweils Diagramme sind, die allen Bedingungen entsprechen. Das Verfahren garantiert nicht, daß die Rück-Übersetzung einer Übersetzung von D wieder zu D führt. Angenommen T = {r -4 P} und s(r) =P, dann lautet die Übersetzung: m R Die Rück-Übersetzung der Übersetzung führt zu (p, R) und s(P) =R. Das Phänomen ist ähnlich wie vorhin, nur betrifft es in diesem Fall auch den Text Den beiden vorangehenden Punkten läßt sich eine sehr positive Seite abgewinnen, nämlich ein IdentitätsKriteriumfÜT Prosätze: p q ~ s(P) s(q), wenn sie sich also auf dasselbe Antezedens beziehen (= steht für Identität. nicht für Äquivalenz). Die RÜCk-Übersetzung D' einer Übersetzung eines (mengentheoretischen) Diagramms D hat nach den vorangegangenen Bemerkungen also die Eigenschaft, daß die Prosätze ein lexikographisches Anfangsstück der Folge der Prosätze darstellen, und daß Prosätze, die dasselbe Antezedens besitzen, identifiziert werden. Die letzte Bedingung besagt. daß s(P) s(P) ~ p q, daß s also injektiv ist. Nennen wir Diagramme, die diese beiden Eigenschaften haben, normal. Es ist nun klar, daß jede Übersetzung eines graphischen Diagramms zu einem normalen Diagramm führt, und damit auch die Rück-Übersetzung einer Übersetzung eines mengentheoretischen Diagramms. Zwei Diagramme, deren normalisierte Versionen isomorph sind, sollen schwach isomorph heißen. Wenn wir von dem Diagramm mit der Eigenschaft soundso sprechen, dann meinen wir das unter Identifizierung schwach isomorpher Diagramme. Aus der letzten Bemerkung ergibt sich unter anderem, daß wir damit auch graphische und mengentheoretische Diagramme nicht zu unterscheiden brauchen, da sie sich nur in der Präsentation unterscheiden. Wir reden daher auch einfach nur von Diagrammen. Ein wichtiger Spezialfall von Diagrammen ist der, daß T die Menge aller Sätze ist. Dann ist s eine Abbildung aller Prosätze in Sätze. In einer formaleren Darstellung könnten wir diesen Spezialfall im formalen Teil ausnutzen, damit wir nicht immer über ganze Diagramme sprechen und alle Aussagen über Sätze auf Teilsätze von Sätzen in T relativieren müssen. Stattdessen könnten wir dann die anaphorischen Bezüge s für das Diagramm nehmen. Genau genommen sind übrigens die Diagramme, in denen Dialog-Situationen dargestellt werden, gar keine Diagramme, weil die Vermerke 'a:' oder 'b:' für die Sprecher nichts in einem Diagramm zu suchen haben. Durch eine Übersetzung gehen sie auch verloren. Aber = = = n -+P Die Rück-Übersetzung aber führt zu D' mit T' = (p -4 P) und s'(P) =P. Allerdings ist die Abweichung hier nur unwesentlich, sie besteht nur in einer Umbe- nennung der Prosäue. Eine stärkere Abweichung weist das folgende mengentheoretische Diagramm D auf: T = (p ~ P, q -4 Q, R), s(P) =Rund s(q) =R. Die Übersetzung liefert Eine Rück-Übersetzung ergibt D' mit T' = {p ~ P, ~ Q, R} und s'(P) = R. Hier scheint ein Prosatz verloren gegangen zu sein. Das scheint jedoch nur so. Der Prosatz q kommt nur unwesentlich in D vor, da er ja denselben anaphorischen Bezug hat wie p. Das graphische Diagramm gibt die Situation genau richtig p 16 = PROSÄ1ZE nnn wir können uns vorstellen. daß diese Vermerke für die Sprecher Ornamente auf dem Untergrund sind. auf dem a: P wir unseren Text ausbreiten. Abschließend sollte man vielleicht noch erwähnen. daß Diagramme und alles. was noch gesagt werden wird. natürlich auf beliebige anaphorische Phrasen zutrifft, Als Beispiel ein Satz mit Diagramm. in dem es hauptsächlich um Pronomina gehe 11 r b: -p c: _q d:._r Der erste Schritt der Auflösung, bei dem simultan jeder Prosatz durch sein Antezedens ersetzt wird, erzeugt also folgenden Text: ~ Hans lieht Maria nicht. er gibt es nur vor. aber sie will das nicht glauben. a:Pb:Pc: Im nächsten Schritt entsteht ~ a:P b:P c:P d:.J und zuletzt a:P Wir wollen uns nun mit dem Problem beschäftigen. wie die anaphorischen Bezüge innerhalb eines Diagramms aufgelöst werden können. Wenn alle anaphorischen Bezüge in einem Satz aufgelöst sind. so enthält er keinerlei anaphorische Phrasen mehr. ist also ein klassischer Satz und wir können dann die klassische Semantik verwenden. Betrachten wir wieder das einfache Beispiel d:.P = » n b:_ Wird der anaphorische Bezug aufgelöst, so entsteht folgendes Diagramm: a: S c:P Es ist übrigens auch eine andere Methode zur Auflösung des anaphorischen Bezugs eines Satzes möglich, sie wird in Grover (1977) verwendet Statt der Ersetzung jedes Prosatzes durch sein Antezedens könnte man auch den anaphorischen Bezug verfeinern. Dazu würde man die Abbildung s zu einer Substitution erweitern. etwa durch die Bedingungen. daß s(P) P für Konstanten P. und durch s($(Alo .... All» $(s(A1) ••••• s(A II für Aussagen-Operatoren $. Dann wäre eine Verfeinerung s' von s gegeben durch s'(P) = s(s(P». Die Interpretationen, die wir im nächsten Abschnitt betrachten werden, funktionieren im Prinzip so. Im Kontrast zu vorhin ergäben sich nun die einzelnen Schritte wie folge 3. Auflösung von Diagrammen a: S 1r.P b: S Wie geht das jedoch vor sich? Einfach durch Ersetzung des Prosatzes durch sein Antezedens. nnn , n d: r Fll d: r a: P b: _p c: _q d: J DEFINITION Ein anaphorischer Auflösungs-Schritt für ein Diagramm besteht aus der simultanen Ersetzung aller im Text vorkommenden Prosätze durch ihr Antezedens. Ein Satz ist anaphorisch auflösbar über einem Diagramm gdw. er durch eine Folge von Auflösungsschritten für das Diagramm in einen Satz ohne Prosätze überführt werden kann. a: P b: _p c: _q Auch wenn die Pfeile nicht nur auf Aussagen-Konstanten zeigen. sondern wieder auf Prosätze, ist eine substitutionelle Auflösung des anaphorischen Bezugs möglich. allerdings sind mehrere Schritte nötig, wie im Ketten-Beispiel. Nehmen wir zur VeranschaulichungLöcher mit Namen .», _q, _r. a: P b: _p c: _q = Während anaphorische Bezüge auf Prosätze oder auf Sätze, in denen Prosätze vorkommen, also im Prinzip 17 KRITERION noch kein Problem darstellen müssen, können ernste Komplikationen eintreten, wenn Selbst-Bezug vorliegt Daß ein Diagramm selbstbezüglich ist, ist daran zu erkennen, daß die Pfeile in gewissem Sinn einen Zirkel bilden. Einige Beispiele für selbst-bezügliche Diagmmme: a (-._ 1\ -.-J rn 1\ P b: _ c:_ t1 I (Aufrichtiger) Diese Aussage ist wahr. Die selbst-bezüglichen Sätze sind sicher problematisch, denn ihre anaphorischen Bezüge können nie vollständig durch Substitution aufgelöst werden. Am Lügner-Beispiel 'Diese Aussage ist nicht wahr' kann man das sehr schön zeigen. Das Ausgangs-Diagramm (die kritischen Teile sind zur besseren Verdeutlichung gerahmt): (Lügner) Diese Aussage ist nicht wahr. Man beachte, daß das Antezedens von _ wiederanaphorische Bezüge aufweist, diese Bezüge müssen bei der Ersetzung "mitgenommen" werden, d.h. die Pfeile bleiben erhalten. Im Beispiel äußert sich das so: Der Pfeil zeigt von _ auf -, _, wobei in -, _ wieder ein Pfeil für _ enthalten ist, nämlich von _ auf -'_. Diese Ersetzung kann dann wie folgt beschrieben werden: (Abtausch) Die folgende Aussage ist wahr. Die vorhergehende Aussage ist nicht wahr. n u (Abschwächung) Schnee ist weiß oder Schnee ist nicht weiß, oder dieser Satz ist falsch. L r (Sv-.S) v -._ Durch Ausführung der Ersetzung entsteht (Flip-Flop) a: Schnee ist weiß, und was immer du jetzt dazu sagst. ist nicht wahr. b: Schnee ist nicht weiß, und was du gerade gesagt hast, ist nicht wahr. L a: S 1\ -. b: -.S 1\ -. Nun kann der gesamte Vorgang mit dem AusgangsDiagramm (Unfall) Getrenntes Verhör, ein Mitarbeiter soll das Auto seines Chefs gerammt haben, ein anderer Mitarbeiter hat es beobachtet. a: Was meine Mitarbeiter sagen. ist erstunken und erlogen, sie wollen sich nur an mir rächen. b (der Unglücksrabe, demütig): Was der Chef sagt. ist wahr. c (der Zeuge, überzeugt): Es ist genau so, wie es der Chef sagt. L 18 ~~~~~~__ I I PROSÄTZE -P ~t --. --. DEFINITION Der vom SatzA über dem Diagramm D erzeugte anaphorische Graph ist der kleinste gerichtete Graph, für den gilt: (1) für jeden Prosatz P in A gibt es eine Kante A -+ s(P» (2) wenn es eine Kante B -+ C gibt und p ein Prosatz in C ist, dann gibt es auch eine Kante C -+ I J I l wiederholt werden, es entsteht: s(p». q ,i -, -, DEFINITION Ein Satz ist selbst-bezüglich im Diagramm D gdw. der von ihm über dem Diagramm D erzeugte anaphorische Graph einen Kreis enthält. -,- L Ein Baum ist ein zusammenhängender Kreis-loser gerichteter Graph. Da unsere anaphorischen Graphen von einem einzigen Satz erzeugt werden, sind sie immer zusammenhängend. Also kann man sagen, daß ein Satz nicht selbst-bezüglich ist, wenn sein anaphorischer Graph ein Baum ist Nicht alle problematischen Sätze jedoch sind solche, in denen der anaphorische Graph einen Kreis bildet. Betrachten wir einmal das Diagramm mit T = (Po, Pt>•••) und S(Pi+l) = Pi. Das Anfangs-Stück des anaphorischen Graphen für Po ist dann eine Kette: Und so weiter. Es sollte an dieser Stelle vielleicht betont werden, daß Selbst-Bezug im allgemeinen weder schädlich noch vermeidbar ist In der Arithmetik sind selbst-bezügliche Sätze formulierbar, wie Gödel, Rosser, Löb, Kreisel und andere gezeigt haben (siehe dazu die Diskussion in Smorynski (1984», der Beweis des FixpunktSatzes in Churchs Lambda-Kalkül verwendet SelbstBezug, und diese Liste könnten um alle Diagonalisierungs-Argumente erweitert werden. Und wie das Unfall-Beispiel zeigt, hängt es oft von den Umständen, von ZufiUligkeitenab, ob eine anaphorische Bezugnahme zu einer Antinomie führt oder nicht. Anaphorische Bezugnahme ist eben riskant Wir wollen zunächst präzisieren, was es heißt, daß ein Satz selbst-bezüglich ist. Dazu betrachten wir gerichtete Graphen, deren Kanten von einem Satz A zu einem Satz B führen, wenn B das Antezedens eines Prosatzes von A ist. Dazu das Ketten-Beispiel. Der Graph für _ r sieht wie folgt aus: Po ~ PI ~ P2 ~ Es bildet sich hier im anaphorischen Graphen zwar kein Kreis, dafür aber ein unendlich langer Weg über paarweise verschiedene Kanten. Durch einen solchen Weg können natürlich nie alle anaphorischen Bezüge eines Satzes aufgelöst werden, jeder Satz in diesem Weg enthält ja noch Prosätze. Alle unendlichen Wege in einem anaphorischen Graphen sind entweder Wege mit einem Kreis am Schluß, oder aber unendliche Ketten. Denn einerseits ist klar, daß Wege, die einen Kreis enthalten, ein Sonderfall unendlich langer Wege sind. Umgekehrt gilt: Wenn ein Weg unendlich lang ist und alle in ihm vorkommenden Knoten paarweise verschieden sind, so stellt er eine Kette dar. Sind aber' nicht alle Kanten paarweise verschieden, so kommt eine Kante zweimal im Weg vor, es gibt also einen Weg A ~Bl ~ ... Bk~Bk+l ~ .,. ~Bk+n ~Bk ~ Bhl ~ ... , und das ist ein Weg mit einem Kreis r Im Unterschied dazu hat z.B, der Graph für _P im Abtausch-Beispiel, wenn wir _P und _q als Prosätze verwenden, einen Kreis: 19 KRITERION am Schluß. So ein Kreis kann auch nicht durch noch so viele anaphorischeAuflösungs-Schritte wiederverlassenwerden. nnn- a: P c: _q d: 11 11 11 /(P) '1 '1 /(P) I(P} '1 '1 '1 11 DEFINITION Ein Satz ist anaphorisch grund in einem Diagramm gdw. der von ihm über dem Diagramm erzeugte anaphorische Graph keinen unendlich langen Weg enthält. b: -P r In diesemSchrittwurdenübernommen: Die Forderung, daß der anaphorische Graph eines Satzes ein endlicher Baum ist. besagt dasselbe. Ein Satz kann außerdem genau dann vollständiganaphorischaufgelöstwerden, wenner anaphorisch grundist. Dann kann er auch ohne die Hilfe von anaphorischen Bezügen dargestellt werden. also mit klassischen Mitteln. 4. Interpretation vonDiagrammen nnn c: b: d: 11 11 11 11 I(P) ? ? ? Weitere Schritte führen zu folgender Kette von Interpretationen: nnn- a: P Unser nächstes Ziel ist eine Semantik anaphorischer Sätze.Dazu betrachten wir Interpretationen vonSätzen über einem Diagramm. Die hier betrachteten Interpretationensollen dem Fregeschen Kompositions-Prinzip genügen, nämlich dem Prinzip, daß die Interpretation eines Satzes in einem Diagramm eine Funktion der Interpretation seiner direkten Teilsätze im Diagramm ist Nehmen wir an, daß eine Belegung der Operatoren und Konstanten vorgegeben ist Die Aufgabe besteht nun darin, aus diesen Belegungen für beliebige Sätze A über einem Diagramm eine Interpretation I(A), im einfachsten Fall einen Wahrheits-Wert, zu bestimmen. Der Fall, der uns also interessieren muß, ist der, daß der zu interpretierende Satz ein Prosatzist Dazu gehen wir wie bei der substitutionellen Auflösung des anaphorischen Bezugs wiederin Schrittenvor. Sei anfänglieh die Interpretation aller Prosätze undefiniert, wir markieren das durch T, und betrachten die Kette als Beispiel: a:P /'0) = I(s{-IJ) =/(P) /'Lq) =/(sLq) =/<-p) ='1 /'Lr) =/(sCr) =/Lq) ='t Wie erhalten die Prosätze eine Interpretation? Einfach durchÜbernahme der Interpretation ihres Antezedens. DEFINITION Sei D =(T, s) ein Diagramm. Die Interpretation I' geht durch einen anaphorischen Interpretations-Schritt über D aus der Interpretation I hervor gdw. I' sich von I nur soweit unterscheidet, daß für jeden Prosatz p des Diagramms gilt: /"(P) = l(s(P». Sehen wir nun nach, wie die Interpretations-Schritte das I in unserem Beispiel vervollständigen: 20 b: -p c: -q d: 11 11 11 11 I(P) '/ '/ r I(P) I(P) '/ I(P) /(P) /(P) '1 '1 '/ /(P) I(P) /(P) /(P) I(P) /(P) I(P) I(P) Wir sehen, daß beim letztenSchritt keine weitergehende Vervollständigung mehr erreicht werdenkonnte, da bereits alle Prosätze interpretiert waren. DEFINITION Eine Interpretation / ist adäquat für einen Satz A gdw./(A) =/(s(A». Wegen des FregeschenKompositions-Prinzips bedeutet die Aussage, daß A adäquat interpretiertist, daß jeder Prosatz in A adäquat interpretiertist Adäquate Interpretationen habenalso die interessante Eigenschaft, daß ein weiterer Interpretations-Schritt keine noch vollständigere Interpretation mehrerzeugen kann. Wir ersehen aus dem Beispiel auch, daß die Werte, die ein Prosatz einmal erwirbt, auf späteren Stufen erhalten bleiben. Das ist immer so, wenn wir von einer Interpretation ausgehen, in der alle Prosätzeundefiniert sind, es muß jedoch nicht in jeder Interpretation so sein, wie folgende Gegenüberstellung zweier Interpretations-Ketten für den Prosatz im Lügner-Diagramm zeigt: PROSÄlZE . ~ einer adäquaten Interpretation von A führt, und in der A interpretiert ist, Ein Satz A ist grund in einem Diagramm gdw. A in dem Diagranun unter jeder Interpretation grund ist. Ein Satz A ist antinomisch in einem Diagramm gdw. A unter keiner Interpretation grund im Diagramm ist, Kette über IU = '! I I 1 I Das folgende Resultat charakterisiert die auflösbaren Sätze semantisch: Ein Satz ist anaphorisch auflösbar gdw. grundist. Denn jeder Interpretations-Schritt für eine beliebige Interpretation I entspricht genau einem Auflösungs-Schritt, da I'(A) = I(s(A». Sei 1° das Resultat des Interpretations-Schritts, der dem AuflösungsSchritt zu Prosatz-freiern AO entspricht Wenn A auflösbar ist, dann ist JO(A 0) jedenfalls definiert und adäqual Wenn umgekehrtA grund ist, dann ist/O(AO) definiert und kann daher keinen undefinierten Teilsatz enthalten. Würde A ° jedoch einen Prosatz enthalten, dann wäre seineInterpretation aufgrunddes erweiterten Kompositions-Prinzips noch immer undefiniert, wenn wir die Interpretations-Kette mit einer Interpretation begonnen hätten, in der er undefiniert ist. Also muß A auflösbarsein. Der Lügner-Satz ist ein typisches Beispiel für einen antinomischen Satz. Er hat auch die Eigenschaft, daß seine Länge im Verlauf des Prozesses der Auflösung seiner anaphorischen Bezüge monoton wächst. Man kann zeigen, daß das für alle antinomischen Sätze gilt Dazu zeigen wir, daß ein Satz, dessen Länge nicht monoton wächst, nicht antinomisch ist. Angenommen die Länge von A wächst nicht monoton im Auflösungs-Prozeß. Das heißt, daß ab einer bestimmten Stufe die Länge der entstehenden Sätze gleich bleibt Das kann erstens daran liegen, daß A anaphorisch auflösbar ist Dann ist A aber grund und somit nicht antinomisch. Oder zweitens kann das daran liegen, daß jeder noch in A' enthalteneProsatz eine Konstanteoder einen Prosatz als Antezedens hat. Einige Schritte weiter entsteht ein Satz AU, der nur mehr Prosätze enthält, die einen Prosatzals Antezedenshaben. Die Interpretation wäreadäquat, wenn alle diese Prosätzedenselben Wert hätten. Wählen wir also eine entsprechende Interpretation I für A. Damit ist A grund in I und somit nicht antinomisch. Beispiele für Sätze, die weder grund noch antinomisch sind, sind der Aufrichtige, die Abschwächung oder der Flip-Flop. er 11 ru 7 denn = I(sC) = I(->-J = -JU =...,7 = 7 ? dem I"U = /'(sC) = /'(-..J = -J'U =...,'] = ? Kette über IU = 0 11 o 1 denn /'U = I(sU) = I(...,.J = -JU =...,0 = 1 Odem I"U = r(sC) = I'(-..J = -J'U =...,1 = 0 1 dem I"'U = ["(sC» = I"(...,-> =-J"U = -.0 = 1 o denn [""U = I"'(sU) =I"'(-..J =-J"'U =...,1 =0 In der zweiten Kette wurde ein klassisches Verhalten der Negation angenommen. Man sieht jedoch an den nebender ersten Ketteangegebenen Begründungen, daß gewisse weitere Annahmenüber die Interpretation von Sätzen nötig sind, die direkte Teilsätzeenthalten,deren Interpretation undefiniertist. Das bedeutet, daß wir das Fregesche Kompositions-Prinzip auf den Fall nur teilweise interpretierter direkter Teilsätze fortsetzen müssen. Die einfachste Fortsetzung ist die, daß die Interpretation eines Satzes undefiniert ist, wenn die Interpretation eines seiner direkten Teile undefiniert ist Das entspricht der Vorstellung. die hinter den schwachen Aussagen-Qperatoren aus Kleene(1952)steckt Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt. der sich aus diesem Beispiel ergibt, ist der, daß es sogarfür extreme Sätze, wie den Prosatz im Lügner-Diagramm, adäquate Interpretationen gibt,allerdings nurpartielle Interpretationen. Wir wollen nun in Analogie zu Kripke (1975) einige Eigenschaften von Sätzen definieren, die den Grad ihres Wohlverhaltens in unsererSemantikausdrücken. DEFINmON Ein Satz A über einem Diagranun ist grund unter einer Interpretation I gdw. es, ausgehend von I, eine Kette von Interpretations-Schritten gibt, die zu 21 1 ----- KRITERION LITERATUR Gabbay, D., Guenthner, F. (Hrsg.), Handbook 0/ Philosophical Logic, 4 Vols., Dordrecht, 1983/1984/ 1986/1989. Grover, DL., "Inheritors and Paradox", in: Journal 0/ Philosophy 74, 1977, p.59G-604. Grover, DL., "Propositional Quantifiers", in: Journal 0/ Philosophical Logic 2, 1972, p.l11-136. Grover, D.L., Camp, J.L., Belnap, N.D., "A Prosentential Theory of Truth", in: Philosophical Studies 27, 1975, p.73-125. Kleene, S.C., Introduction to Metamathemattes. New York,1952. L 22 Kripke, S.A., "Outline of a Theory of Truth", in: Journal 0/ Philosophy 72, 1975, p.6~716. Lyons, J., Semantics, 2 Vols., Cambridge, 1977. Quine, W.V.O. Philosophy 0/ Logic, Englewood cum, 1970. Ramsey, F.P., "Facts and Propositions", in: Proceedings 0/ the Aristotelian Society, Supplementary Volume 7, 1922, p.157-159. Smorynski, C., "Modal Logic and Self Reference", in: Gabbay, D., Guenthner, F. (Hrsg.), Handbook 0/ Philosophical Logic, Vol. 2, Dordrecht (1984), p.441-495. DONNELLANS KENNZEICHNUNGSTIffiORIE Bernhard Sams DONNELLANSKENNZEICHNUNGSTHEORffi 1. Einleitung Das Verhältnis von Sprache, Welt und Mensch gehört zweifellos zu den wichtigsten und interessantestenFragestellungen in der Philosphie. Es bedurfte einer langen Zeit des Denkens, bis den Menschen klar wurde, daß zwischen den Dingen der Welt und ihren Namen keine untrennbare Beziehung besteht, Dinge ihre Namen nicht gleichsam "eingebrannt" - ein für allemaltragen. Bereits Odysseus dürfte dies geahnt haben, als er sich den Namen 'Niemand' gab. Seine List bestand darin, sich einen Namen zu geben, dessen Bedeutung verschleiern sollte, daß es sich um einen Namen handelt, denn Polyphems Freunde glaubten, daß niemand das Referenzobjekt von 'Niemand' ist. Viele Probleme der modemen Sprachphilosphie beschäftigen sich mit dem umgekehrten Fall: Es gibt Ausdrücke, die offensichtlich Namen sind und dennoch kein Denotat aufweisen. Eine Klasse von Namen, bei denen dieses Problem auftritt, sind Kennzeichnungen, also Ausdrücke der Form derldietdas X, wobei wir uns für X eine Menge von Beschreibungen denken können. 'Der Präsident der USA', 'das geflügelte Pferd', 'der dritte Mann', a11 dies sind Kennzeichnungen. Damit Kennzeichnungen richtig "funktionieren", wird normalerweise verlangt, daß es einen einzigen Gegenstand gibt, der jene Eigenschaften aufweist, die ihm durch die Kennzeichnung zugeschrieben wird. Wir wollen uns als nächstes kurz mit Russells und Strawsons Kennzeichnungstheorien beschäftigen, bevor wir uns den Problemen zuwenden, die bei Donnellan auftauchen. RusselI: Bei Russell sind Kennzeichungen keine genuin referierenden Ausdrücke, d.h. alle Kennzeichnungen sind im Satz-Kontext "übersetzbar" in andere Ausdrucksformen, die keine Kennzeichnungen mehr enthalten. 'Der Präsident der USA ist Protestant' wird übersetzt in: 'Es gibt einen Gegenstand z, sodaß für alle Gegenstände y gilt: y ist genau dann Präsident der USA, wenn x =y und x ist Protestant'. In dieser Darstellungsform kommt keine Kennzeichnung mehr vor, die einen bestimmten Einzelgegenstand bezeichnet, sondern sie stellt eine Existenzbehauptung dar. Auch Eigennamen werden von Russell auf diese Art und Weise analysiert Zuerst werden die Eigennamen durch eine Kennzeichnung ersetzt - bei Russell sind Namen nur "verborgene" Kennzeichnungen; die Kennzeichnungen werden dann wieder nach obigem Muster analysiert. 23 Strawson: Nach Strawson ist die Verwendung von Eigennamen nur dann sinnvoll, wenn der Sprecher in der Lage ist, mit jedem Namen eine Menge von "Beschreibungen" zu liefern, die den Referenten des Namens bestimmen. Diese "Beschreibungen" werden in Form einer Kennzeichnung gegeben. Im Gegensatz zu Russell haben bei Strawson Kennzeichnungen und Eigennamen jedoch eine genuin referierende Funktion, bezeichnen also einen bestimmten Gegenstand. Strawson und Russell stimmen darin überein, daß Kennzeichnungen in dem Sinne kontextunabhängig funktionieren, daß sie ihre Funktion in Sätzen unabhängig von der Situation, in der der Satz geäußert wird, erfüllen. Beide sind sich auch einig darüber, daß eine Kennzeichnung nur dann "funktioniert", wenn es einen Gegenstand gibt, der als einziger die Eigenschaften aufweist, die ihm in der Kennzeichnung zugeschriebenwerden. 2. Donnellans Kennzeichnungstheorie Donnellan versucht zu zeigen, daß es zwei verschiedene Arten von Kennzeichnungen gibt, abhängig davon, wie man Kennzeichnungen gebraucht. So kann man beispielsweise die Kennzeichnung 'der Mörder von Hans' in dem Satz: (K) DerMörder vonHans muß verrückt sein. so gebrauchen, daß man sich auf eine ganz bestimmte Person beziehen möchte, auf Herrn Moser etwa. In diesem Fall verwendet man die Kennzeichnung referentiell, und wir könnten (K) auch ersetzen durch: HerrMoser mußverrückt sein. Hat man keine bestimmte Person in Verdacht, verwendet man die Kennzeichnung attributiv. In diesem Fall sagt man mit (K) soviel wie: Wer auch immer Hans umgebracht hat, muß verrückt sein. Kennzeichnungen in referentiellen Gebrauch (im folgenden als 'referentielle Kennzeichnungen' bezeichnet) haben folgende Eigenschaften: 1) Sie bezeichnen einen bestimmten Gegenstand. 2) Sie sind "erfolgreich", wenn alle Gesprächsteilnehmer wissen, wer/was der bezeichnete Gegenstand ist. KRITERION 3) ReferentielleKennzeichnungen sind austauschbar, solange gewährleistet ist, daß auch nach der Substitution derselbe Gegenstandbezeichnetwird. 4) Der bezeichnete Gegenstand ist nicht unbedingt identisch mit dem Gegenstand, der die Beschreibung, die in der Kennzeichnung enthalten ist, erfüllt, So könnte es durchaus sein, daß Herr Moser zwar,verrückt ist, daß er aber nicht der Mörda" von Hans ist, 5) Ob eine Kennzeichnung referentiell gebraucht wird, hängt von der Intentiondes Sprechers ab. Kennzeichnungen mit attributiven Gebrauch (attributive Kennzeichnungen) haben folgende Merkmale: 1) Mit einer attributiv verwendeten Kennzeichnung bezieht man sich nicht auf einen bestimmten Gegenstand, sondern auf irgendein Objekt, mit dem man vielleicht nicht unmittelbar bekannt ist, das allerdingsdie in der Kennzeichnung enthaltene Beschreibung erfüllt. 2) Wenn es keinen Gegenstand gibt, der die Beschreibung in der attributiven Kennzeichnung erfüllt, ist der Satz, in dem diese Kennzeichnung auftritt, entweder falsch (nach Russell) oder sinnlos (nach Strawson). 3) Attributive Kennzeichnungen sind nicht gegeneinanderaustauschbar. (4) Es gibt genau ein Ding x, das die Eigenschaften P WldQhat. (5) Es gibt mindestens ein Ding x, das die Eigenschaften P und Q hat. (6) Alle Dinge, die die Eigenschaft P haben, haben auch die Eigenschaft Q. (7) Es gibt mindestens ein Ding x, das die Eigenschaft P hat, und alle Dinge, die die Eigenschaft P haben, haben auch die Eigenschaft Q. Satz (4): Betrachtenwir den Satz (8) Der Sieger des Rennens von Monte Christo fuhr einen Turbo. und nehmenwir an, die Kennzeichnung 'der Siegerdes Rennens von Monte Christo' sei attributiv gebraucht. Dementsprechend ist Satz (8) in den folgenden Satz überführbar: (9) Wer auch immer das Rennen von Monte Christo gewonnen hat. fuhr einen Turbo. Nehmen wir nun an, daß in diesem Rennen zwei Wagen gleichzeitigdie Ziellinie als Erster passierten. Wir würden kaum geneigt sein, Satz (9) als falsch zu betrachten, solange beide Siegerautos mit Turbos bestückt wären, denn dieser Satz besagt nichts über einen einzelnen Gegenstand, sondern verbindet die Eigenschaftdes "Sieger-Seins" mit der Eigenschaftdes "Turbo-Fahrens". Satz (4) wäre allerdings falsch, wenn es mehr als einen Sieger geben sollte. Aus diesem Grund stellt (4) keine geeigneteParaphrasevon (9) dar. Satz (5): Angenommen, das Rennen von Monte Christo hat nicht stattgefunden,weil es z.B, die Witterungsverhältnisse nicht zugelassen haben. Wäre in diesem Fall Satz (9) falsch? Satz (9) ist nur dann falsch, wenn es einen Sieger des Rennens gibt und dieser keinen Turbo gefahren hat. Aus einer Übersetzung von (9) in die Form (5) läßt sich folgender Satz ableiten: 'Es gibt einen Sieger von Monte Christo.'. Während also Satz (9) mit dem Satz 'Es gibt keinen Sieger von Monte Christo' verträglich ist, trifft dies auf Satz (5) nicht zu. Somit kann (5) keine geeignete Paraphrase sein. Satz (6): Ein Satz der Form (6) ist wahr, wenn es keinen Gegenstandgibt, der die Eigenschaft P hat (6) kann aber auch dann wahr sein, wenn es mehrere Gegenständegibt, die die EigenschaftP haben, vorrausgesetzt, daß sie auch alle die Eigenschaft Q besitzen. Auf unser Beispiel angewandt hieße dies, daß (6) sowohl wahr sein kann, wenn es mehr als einen Sieger gibt - 3. Kritik an Donnellan Wenden wir uns zuerst den attributiven Kennzeichnungen zu. Der attributive Gebrauch einer Kennzeichnung liegt nach Donnellan dann vor, wenn der Sprechersich mit der Benutztung einer Kennzeichnung nicht auf einen bestimmten Gegenstand beziehen möchte. Man könnte auch sagen, daß der Sprecherkeinerlei Kenntnis darüberbesitzt,welcherGegenstand die Kennzeichnung erfüllt. In einem Satz der Form: (1) Der/die/das P ist ein Q. erfolgt von Seiten des Sprechers keine Bezugnahme auf einen bestimmten Gegenstand, vielmehr wird eine Relation zwischen Eigenschaftenbehauptet. Der obige Satz könnte also auch lauten: (2) Derjenige Gegenstand, der die Eigenschaft P hat. hat auch die Eigenschaft Q. Entsprechenddem attributiven Gebrauch kann (I) auch so wiedergegeben werden: (3) Was auch immer die Eigenschaft P hat, hat auch die Eigenschaft Q. In diesem Satz erfolgtkeine Bezugnahmeauf einen bestimmten Gegenstand; er enthält auch keine Kenn- 24 [, zeichnung mehr, und wir können uns überlegen, welcher der vier folgenden Sätze eine geeignete Paraphrase eines Satzes der Form (I) darstellt, der sich auf einen attributiven Gebrauch der Kennzeichnung in (1) bezieht OONNELLANS KENNZEICHNUNGSTHEORIE wobei alle Sieger einen Turbo gefahren haben müssen -, als auch dann, wenn es gar keinen Sieger gibt Dies scheint der Intention von (9) am nächsten zu kommen. Satz (7): Satz (9) in der Form von (7) wäre falsch, wenn es kein Rennen gegeben hätte. (7) hat gegenüber (5) den entscheidenden Vorteil, näher an der Intention von (9) zu sein. Die Phrase 'wer auch immer' besagt offenbar nicht, daß es mindestens einen Sieger des Rennens gibt der einen Turbo fährt. Würde (9) in die Form (5) überführtwerden,so würdedies die Möglichkeit offenlassen. daß es zwei Sieger gibt, von denen der eine einen Turbo gefahrenhat, der anderehingegen nicht Die oben durchgeführtenParaphrasiemngenwurden mit dem Ziel durchgeführt, Umschreibungen zu finden, die möglichst genau das wiedergeben,was in der Alltagssprache gemeint ist. Offensichtlich werden Sätze, in denen Kennzeichnungen attributiv verwendet werden, in Sätze übersetzt, die keine Kennzeichnungen mehr enthalten, sondern quantifizierte Sätze sind. Als Ergebnis können wir festhalten, daß Sätze, in denen attributive Kennzeichnungen vorkommen, auch dann wahr sein können, wenn kein oder mehrereGegenstände die Kennzeichnungen erfüllen. Somit kann es sich allerdings gar nicht um Kennzeichnungen handeln. denn Kennzeichnungen werden den singulärenTermen zugerechnet, sie müßten also genau einen Gegenstand benennen. Somit sind attributiv verwendete Kennzeichnungen gar keine Kennzeichnungen. Sehen wir uns nun die referentiellenKennzeichnungen an. Hier gilt, daß einer Kennzeichnung ein Referenzobjekt zugeschrieben werden kann, obwohl dieses die Eigenschaft, mittels derer die Kennzeichnung ihre Referenz bestimmen soll, nicht besitzt. Betrachten wir zunächst einmal die Eigenheiten und den Sinn von "normalen" Kennzeichnungen. Um sich auf Einzelgegenständebeziehen zu können, liefert uns die Spracheim wesentlichen drei Werkzeuge: (i) Eigennamen (ü) Kennzeichnungen . (iii) Demonstrativ-Konstruktionen Bezüglich der Eigennamen gibt es intensive Diskussionen darüber, wie sie "funktionieren". Ob sie mittels eines "Sinnes", der in Form von Kennzeichnungen mit dem Namen gegeben ist, ihre Referenz bestimmen, oder ob sie mittels einer einmal stattgefundenen Taufe ihre Referenzobjekte benennen. Wenn Eigennamen ein "Sinn" abgesprochen wird, dann ist der Gegensatz zu den Kennzeichnungen offensichtlich. DemonstrativKonstruktionen erfordern hingegen die unmittelbare Anwesenheit der Refurenz 25 Kennzeichnungen bestimmen ihre Referenz mittels der Eigenschaften, die in ihnen ausgedrückt werden. Eine Kennzeichnung liefert sozusagen das Instrument mit, mit dem festgestellt werden kann, auf wen oder was sich ein Sprecher beziehen möchte. Selbst wenn man nun der Ansicht sein sollte, daß Eigennamen über einen mit ihnen verbundenen Sinn ihre Referenz bestimmen, steht doch außer Zweifel, daß dieser Sinn nicht in jener Art und Weise objektiv-intersubjektiv gegeben ist, wie dies bei Kennzeichnungen der Fall ist Es ist ein schwieriges Unternehmen festzustellen, welche Konnotation mit einem Eigennamen gegeben ist und wie diese zustandekommt Es ist allerdings eine noch viel schwierigere Aufgabe, Kriterien zu finden, die erfüllt sein müssen, um klar beurteilen zu können, ob sich ein Sprecher mit Hilfe eines Eigennamens überhaupt auf einen Gegenstandbezogen hat Um dieser Problematik zu entfliehen,ist es die Aufgabe von Kennzeichnungen, sich auf Gegenstände beziehen zu können, ohne deren Eigennamen zu kennen, mittels derer innerhalb einer bestimmten Sprachgemeinschaft eine Bezugnahme auf diesenGegenstand erfolgt Welcher Ansicht man auch immer über Eigennamen ist, es steht doch eines fest: Gegenständen ist ihr Name nicht von Anbeginn der Zeiten an "eingraviert". Somit müssen den Gegenständen ihre Namen mittels einer "Taufe" zugeschriebenworden sein. Dies ist völlig unabhängig davon, ob man Eigennamen als rigide Designatoren betrachtet oder nicht - diese Frage ist ohnehin nur im Zusammenhang mit Gedankenspielen bezüglich möglicher Welten von Bedeutung. Ebenso ist es gleichgültig, ob wir uns mittels Eigennamen wie zum Beispiel 'Aristoteles' - auf Gegenstände beziehen,die einmalauf dieser Erde existierten, und diese Bezugnahmeauf einer im Prinzip konstruierbaren kausalen Yerknüpfungskette basieren lassen, so daß ein solcherTerm ein für allemal diesen realenoder irrealen Gegenstand benennt; oder ob wir der Meinung sind, daß es notwendig ist, mit einem Gegenstand bekannt zu sein, um sich auf ihn beziehen zu können. Da Gegenstände nicht von vorneherein im "Genuß" des Besitzes von Eigennamen sind, gilt jedenfalls, daß ihnen diese verliehen werden müssen. Dies unterscheidetEigennamen auch von Kennzeichnungen, oder sollte es zumindesttun! Kennzeichnungen dienen also dazu, eine Bezugnahme auf Gegenstände zu erlauben, ohne daß ein Sprecher die ihnen verliehenenEigennamenkennt Dies ist deswegen möglich, weil Kennzeichnungen uns durch Beschreibungen angeben,welcherGegenstandbezeichnet werden soll. Die referentielle Verwendungsweise von Kennzeichnungen soll genau jenem Umstand KRITERION Rechnung tragen, daß wir uns mit Hilfe dieser Ausdrücke auf konkrete Gegenstände beziehen können. DonnelIan liefert uns allerdings Beispiele, in denen scheinbarmittelseiner Kennzeichnung eine Bezugnahme auf einen Gegenstand erfolgt, der die in ihr enthaltenen Beschreibungen nicht erfüllt. Bei näherer Betrachumg sehen wir allerdings, daß es sich dabei nicht um eine Kennzeichnung handeln kann: Bei allen' unrichtigen Kennzeichnungen (also Kennzeichnungen, die in der jetzigen Betrachtungreferentiell verwendet werden, deren Beschreibungen jedoch nicht auf einen Gegenstand zutreffen) ist es unumgänglich, daß eine unmittelbare Bekanntschaft der Sprecher mit dem bezeichneten Gegenstand vorliegt. Wenn zum Beispielauf jemanden,der ein Glas Wasser trinkt, mit der Kennzeichnung 'der Mann,der Whisky trinkt', Bezug genommen wird,ist es notwendig, diese Person mit jener Kennzeichnung zu "taufen". Unabhängig von der Absicht,diesePersondurcheine Kennzeichnung zu benennen, stellt die Verwendung dieser referentielIen Kennzeichnung eine Übereinkunft zwischenden Sprechern dar, die die Kennzeichnung in diesem Fall benutzen. Eine der vielen Fragen, die sich aus der DarstelIung Donnellans ergibt,betrifft das Kriterium für die erfolgreiche referentielle Verwendung einer referentiellen Kennzeichnung. In einer Situation, in der sich zwei Sprecherauf eine dritte Personmittelseiner referentiellen Kennzeichnung beziehen, wobeibeide wissen,daß diese Kennzeichnung nicht auf die bezeichnete Person zutrifft(z.B die "zynische"Kennzeichnung 'der Nobelpreisträgerfür Metaphysik'), sehen wir, daß keinerder folgenden Punkteeine notwendige Bedingung für eine erfolgreiche referentielle Verwendung einer referentiellen Kennzeichnung sein kann: (A) Der Sprechermuß glauben,daß die in der Kennzeichnung verwendete Beschreibung auf den Gegenstand, auf den er sich beziehen möchte, zutrifft. (B) Die Zuhörermüssen glauben, daß die Kennzeichnung auf den zu bezeichnenden Gegenstand zutrifft. (C) Der Sprechermuß von seinenZuhörern glauben, daß diese annehmen, die Kennzeichnung trifft auf den zu bezeichnenden Gegenstand zu. (D) Die Zuhörer müssen vom Sprecherglauben, daß dieser annimmt, die Kennzeichnung trifft auf den zu bezeichnenden Gegenstand zu. Es ist unbefriedigend, daß sich durch kein Kriterium, das den Inhalt der Kennzeichnung oder die Intentionen der beteiligten Personen betrifft, bestimmen läßt, wanneine referentielle Kennzeichnung erfolgreich ver- wendet wird. Denn gerade ein solches Kriterium ist erforderlich, wenn es möglich sein soll, daß sich jemand durch die Verwendung einerKennzeichnung - also eines Ausdruckes, der aufgrund inhaltlicher Bestimmungen seine Referenz bestimmen soll - auf einen Gegenstand beziehen kann, obwohl dieserGegenstand die gegebenen Beschreibungen nichterfüllt. Wie kann es also möglich sein, daß sich zwei oder mehrereSprechermittelseiner unrichtigen Kennzeichnung auf einen Gegenstand beziehen? Um diese Frage zu beantworten,ist es erforderlich, Situationen näher zu untersuchen, in denen es der Fall zu sein scheint, daß eine Bezugnahme auf einen konkreten Gegenstand erfolgt- und dies mittelseiner unrichtigen Kennzeichnung. Es bieten sich zwei sehr unterschiedliche Fälle an: Fall 1: Aufgrund einer Fehlinformation, die auf physiologischen Fehlleistungen oder auf einem Fehler im Kommunikationsprozeß beruhenkann, benutztjemand eine unrichtige Kennzeichnung referentiell, um sich auf einen bestimmten Gegenstand zu beziehen. Die Zuhörerschaft weißjedoch von dieser Fehlleistung und kann somit feststellen, worübergesprochen wird. Fall 2: Die Fehlinformation betrifft nicht einen einzelnen,sonderneine ganze Gruppe von Menschen, die sich jedoch untereinander problemlos - mittels einer durchdiese Fehlinformation bedingten Kennzeichnung - über einen bestimmten Gegenstand unterhalten können. In beidenFällen scheintes also der Fall zu sein, daß mittels eines komplexen Ausdruckes, der die Gestalt einer Kennzeichnung hat, eine Bezugnahme auf einen Gegenstand erfolgt. Nun stellt sich allerdings die Frage, ob die Form eines Ausruckes allein ausreicht,diesen Ausdruck zu klassifizieren, oder ob es nicht notwendig ist, die Verwendungsweise und das ''Funktionieren"diesesAusdruckes in die Betrachtung mit.einzubeziehen. Wie bereits bei der Unterscheidung der beiden verschiedenen Fälle angedeutet, ist es nicht der Ausdruck alleine, der isoliert vom Kontext eine bestimmte Funktion erfüllt, sondern der Ausdruck übernimmt eine bestimmte Funktion erst im Zusammenhang eines größeren Kontextes. In den beiden obigen Fällen sind es ganz spezifische Bedingungen, die dazu führen, daß mittels einer falschen Kennzeichnung die Bezugnahmeauf einen Gegenstand möglich ist. Nun gibt es eine ganze Gruppe von Ausdrücken, deren Referenz nur in einem Kontext bestimmt werden kann: die indexikalischen Ausdrücke. Man kann indexikalische Ausdrücke als eine Art "unvollständiger" singulärer Termeauffassen. Diesdeswegen, da ihre Bezeichnungsfunktion für einen bestimmten Gegenstand 26 b s OONNELLANS KENNZEICHNUNGSTHEORIE l, r I raum-zeitlich relativiert ist. Der gleiche indexikalische Ausdruck kann eine Vielzahl verschiedener Gegenstände benennen, wenn von der raum-zeitlichen Relativierung seiner Bezeichnungsfunktion abgesehen wird. Wichtig ist lediglich, daß in der betreffenden Situation klar ersichtlich ist, welcher Gegenstand bezeichnet werden soll. In einer Situation, in der auf etwas hingewiesen wird, das in unmittelbarer Umgebung der Sprechenden liegt, kann eine Kennzeichnung als indexikalischer Ausdruck aufgefaßt werden, der anstelle eines Demonstrativpronomens benutzt wird. Die Kennzeichnung 'der Mann mit dem Whisky-Glas' dient in einer ganz bestimmten Situation dazu, sich auf eine bestimmte Person zu beziehen. In einer anderen Situation wäre dieses sprachliche Mittel nicht mehr dazu geeignet. gerade diese Person herauszugreifen, ebenso wie.'dieser da' in verschiedenen Situationen Verschiedenes benennen kann. Wenden wir uns zunächst einmal Falll zu. Jemand benutzt eine Kennzeichnung k, um sich auf einen bestimmten Gegenstand zu beziehen. Seine Gesprächspartner wissen allerdings, daß der Betreffende einer bestimmten Fehlinformation zum Opfer gefallen ist. Alle wissen also, welchen Gegenstand er bezeichnen möchte, obwohl k unrichtig ist. Nach Donnellan handelt es sich in diesem Fall eindeutig um einen referentiellen Gebrauch von k, In diesem Falle ist es nach Donnellan nicht notwendig, daß die in der Kennzeichnung enthaltene Beschreibung tatsächlich auf den Gegenstand zutrifft, um diesen bezeichnen zu können. Ist es allerdings tatsächlich die Kennzeichnung k, die sich auf den betreffenden Gegenstand bezieht, oder ist es nicht vielmehr eine Variante k'? Ist es nicht so, daß die Zuhörerschaft k entsprechend ihrem Wissen von den Fehlern des Sprechers "bereinigt" und daraus die Kennzeichnung k' gewinnt und mittels k' die Referenz bestimmt? Es muß so sein, denn jemand, der über das korrigierende Wissen nicht verfügt, ist nicht in der Lage, jenes Objekt identifizieren zu können, auf das sich der Sprecher beziehen möchte. k' unterscheidet sich von k nicht dadurch, daß in k' lediglich den Ausdrükken von k eine andere Bedeutung zukommt, sondern k' ist vielmehr jene Variante von k, die der Sprecher eigentlich "gemeint" hat. Die Version k' unterliegt dann wieder den Regeln einer "regulären" Kennzeichnung: es muß genau ein Objekt geben, daß k' erfüllt; sonst ist der Versuch, auf etwas zu referieren, fehlgeschlagenunter der Voraussetzung, daß k' jene Variante von k ist, die der Sprecher eigentlich äußern wollte. In Fall 2, in dem eine ganze Gruppe eine unrichtige Kennzeichnung benutzt und die Bezugnahme auf einen Gegenstand dennoch erfolgreich verläuft, ist die Situa- 27 tion noch etwas komplizierter. Nehmen wir an, eine Gruppe von Personen auf einer Party bezieht sich auf einen Anwesenden mit der Kennzeichnung 'der Mann, der Whisky trinkt'. Die meisten Gäste trinken aus Milchgläsern Fruchtsäfte, nur einer der Gäste trinkt Whisky, und zwar ebenfalls aus einem Milchglas. Bei der zu bezeichnenden Person handelt es sich jedoch nicht um den wirklichen Whisky-Trinker, sondern um jemanden, der seinen Fruchtsaft aus einem WhiskyGlas trinkt. Die Gruppe bezieht sich in ihrem Gespräch erfolgreich auf dieselbe Person - nämlich diejenige, die scheinbar Whisky trinkt. Wie ist es also möglich, daß sie sich mit der unrichtigen Kennzeichnung 'der Mann, der Whisky trinkt' (im folgenden durch 'w' abgekürzt) kollektiv auf eine bestimmte Person beziehen können? Donnellan würde dies kein Kopfzerbrechen bereiten. Für ihn wäre dies lediglich ein weiteres Beispiel für die referentielle Verwendungsweise einer Kennzeichnung. Wie kann eine solche Bezugnahme jedoch vonstatten gehen? Auch in diesem Fall ist es klar ersichtlich, daß nicht walleine zur erfolgreichen Referenz führt. Es ist notwendig, daß w in Hinsicht auf die Situation, in der w geäußert wird, analysiert wird. So wird man annehmen, daß Whisky meist aus einem Whiskyglas getrunken wird. Das Hintergrundwissen erlaubt dann Rückschlüsse auf die allgemeine Gestalt eines Whisky-Glases. Dieses Vorgehen ergibt sich vielleicht auch aus dem Umstand, daß die Person, die die Kennzeichnung geäußert hat, die ganze Zeit über direkt neben den Zuhörern stand, so daß all die Wahrnehmungen, die zur Verwendung der Kennzeichnung führten, auch den Zuhörern zugänglich sind. Weiters ist der Hinweis auf das Getränk deswegen sehr naheliegend, da die meisten Gäste aus Gläsern der gleichen Form trinken. Höchstwahrscheinlich würde in der von uns angenommenen Situation die Kennzeichnung auch noch mit einer bestimmten Zeigegeste - etwa einem kurzen Blick in die entsprechende Richtung - verbunden sein. Jede unrichtige Kennzeichnung, mit deren Hilfe eine Bezugnalune auf einen Gegenstand erfolgt, müßte auf diese Weise analysiert werden. In unserem Beispiel ist es nicht w allein, wodurch die Bezugnahme auf einen Gegenstand ermöglicht wird w stellt vielmehr nur das "Ausgangsmaterial" dar, das entsprechend dem Hintergrundwissen und den spezifischen Bedingungen der jeweiligen Situation analysiert wird, so daß eine Kennzeichnung w' das Resultat dieser Analyse ist. Aufgrund dessen kann dann tatsächlich eine Identifizierung des zu bezeichnenden Gegenstandes erfolgen. Dies zeigt sich auch darin, daß jemand, der dieses bestimmte Hintergrundwissen nicht hat, der also nichts über die Gestalt von Whiskygläsern, die Farbe von Whisky, etc. weiß, nicht in der KRITERION Lage sein wird, herauszufinden, auf wen sich die Sprechergruppe mit w bezieht Die Frage, wie es also möglich ist, unrichtige Kennzeichnungen zu benutzen, um sich erfolgreich auf einen Gegenstand beziehenzu können, führt uns zu einer "adaptierten" Kennzeichnung, die wie eine "normale" Kennzeichnung funktionieren muß, um ein erfolgreiches Referieren zu gewährleisten, Bestimmte Kennzeichnungen - wie die oben erwähnteKennzeichnung 'der Nobelpreisträger der Metaphysik' - funktionieren hingegen wie Eigennamen. Das bedeutet, daß die Referenz einer solchen Kennzeichnung mittels einer Taufe an einem bestimmten Zeitpunkt bestimmt wird. Nur wenn innerhalb einer Gruppe eine bestimmte Person einmal so bezeichnet wurde, ist es möglich, daß sich die Gruppe mit dieser Kennzeichnung auf den Betreffenden beziehen kann. Dieser Umstand macht auch verständlich, wie es möglich ist, daß die Bezugnahme auf einen Gegenstand mittels einer solchen Kennzeichnung unabhängig vom Glauben des Sprechers oder der Zuhöreroder aller von einanderist 4. Zusammenfassung Anknüpfendan die Ergebnisse von Russell und Strawson zeigt Donnellan,daß deren Resultate nicht ausreichen, die tatsächliche"Weite" der Verwendungsweise von Kennzeichnungen darzustellen. Anband einer Menge von Beispieleentwickelt Donnellanseine Hypothese, daß Kennzeichnungen nicht nur genuin referierende Ausdrücke sind, sondern daß sie in verschiedener Art undWeise verwendet werden können. Analysiert man die Ergebnisse Donnellans weiter, kommt man zu dem Schluß, daß es zwar eine Vielzahl von Ausdrücken gibt, die die grammatikalischeForm einer Kennzeichnung aufweisen, die sich jedoch - betrachtet man ihre Verwendungsweise - nicht als "normale" Kennzeichnungen herausstellen. Vielmehr funktionierensie wie Eigennamen oder wie indexikalische Ausdrücke. Aus diesem Grunde scheint die Unterteilung von Kennzeichnungen, wie Donnellan sie vornimmt, einen Schritt zu früh Halt gemacht zu haben. Donnellan stellt lediglich fest, daß grammatikalische Kennzeichnungen (dies seien, in Anlehnung an Russeils "grammatikalische Eigennamen",Ausdrücke, die lediglich die grammatikalische Form von Kennzeichnungenaufweisen, jedoch keine sind) auf verschiedene Arten verwendetwerden. Anscheinend hat Donnellan nicht gesehen, daß seine Unterteilungvon Kennzeichnungenlediglich darauf beruht, daß es viele Ausdrücke gibt, die die Gestalt von Kennzeichnungen haben, jedochnichtals solcheverwendet werden. LITERATUR Donnellan, K., "Reference and DefiniteDescriptions", in: Philosophical Review 75, 1966, p.281-304. Donnellan, K., "Putting Humpty Dumpty together again", in: Philosophical Review 77, 1968, p.203215. Donnellan, K., "Proper Names and Identifying Oescriptions", in: Davidson, D., Harman, G., Semanlies of Natural Language, Dordrecht, 1972, p.356379. Donnellan, K., "Speaking of Nothing", in: Philosophieal Review 83, 1974, p. 3-3 1. 28 1 ... _ s ÜBER HEIMITO VON DODERERS PHILOSOPHISCHE THEORIE Mare-Oliver Schuster ÜBER HEIMITO VON DODERERS PHILOSOPIDSCHE THEORIE Der österreichische Romancier Heimito von Doderer (1896-1966) hat seine philosophische Theorie im Sinne seines allgemeinsten Denkfundamentes explizit in theoretischen Schriften und in den Aufzeichnungen Tangenten. Tagebuch eines Schriftstellers 1940-1950. implizit in seinen Prosawerken entwickelt sondern um das bloße Behaupten der Bedeutsamkeit der "Analogia entis" als Leitidee wie als angewandte Lebenstorm für den idealen Romancier. 2. Drei Denkmotive Aus der Analyse von Doderers Reflexionen kann man drei dominierende Denkmotive herausdestillieren; welche seine theoretischen Überlegungen durchgehend bestimmen. Diese sind meines Erachtens: die Analogie zweier Faktoren. der Konnex sowie die Priorität eines der beiden Faktoren. Bedeutet "Analogie" soviel wie "Entsprechung. Ähnlichkeit, Übereinstimmung", so ist in diesem Zusammenhang Doderers Vorliebe für das Vergleichen zweier Dinge und das Herausheben ihres gemeinsamen Merkmals gemeint, wobei er übrigens selber des öfteren das Wort "analog" verwendet Beispiele: - die "Analogia entis" im Sinne Doderers (dazu später) - das grundsätzliche Gegensatzpaar Innen - Außen in allen möglichen Variationen der Entsprechung, z.B. Außenwelt -Innenwelt eines Individuums oder äußere und innere Lage; aufschlußreich zudem alle diesbezüglichen metaphorischen Ausbildungen dieses Gegensatzpaares - bzgl. Geschichtsbild: das Verhältnis ÖsterreichDeutschland nach 1938 wie GriechenIand-Makedonien aufgrund der machtpolitischen Einflußnahme - bzgl. Menschenbild: die Setzung einer "formalen Erheblichkeit" bei den "wichtigsten Grund-Entscheidungen den Lebens" als "ein jeder wirklichen Kunstleistung analoger Akt"l. Überhaupt ist ja das Herstellen von Analogien in sprachlicher Hinsicht die Bedingung der Möglichkeit der Metaphorik, von der Doderer ausgiebig Gebrauch macht. Der Ausdruck "Konnex" will besagen. daß zwischen zwei oder mehreren Dingen eine enge wechselseitige und kausal nicht auflösbare Verflechtung bzw. Verknüpfung besteht, ein in Wirklichkeit komplexes Beziehungsgeftecht. Beispiele: - Wirklichkeit als erstrebenswerte Deckung von Innen und Außen, jedoch nicht als Zustand des Nebeneinander, sondern als wechselseitige Entsprechung mit dem Merkmal des Überganges (fransponierbarkeit) - bzgl. Menschenbild: Irrationalität des Lebens (Verwickeltheit ohne rationale Auflösbarkeit) und Indirektheit des Lebens(ganges), der Menschwerdung 1. Heuristische Funktion . , I I t Wichtig von vorneherein ist, daß seinen abstrakteren Überlegungen hauptsächlich heuristische Funktion zukommt Es geht ihm nicht um das dogmatische Ausarbeiten und argumentative Verteidigen von philosophischen Lehrsätzen, sondern um Konstruktionshilfen und Leitideen für die schriftstellerische Arbeit sowie um Erklärungsmöglichkeiten und Bewertungskriterien für konkrete Wirklichkeitsphänomene. Ersteres wirkt sich etwa aus auf seine Romantheorie (Vorrang der Form gegenüber den Inhalten, grundsätzliche Zustimmung zum erfahrbaren Leben seitens des Autors) wie auch auf die gemäß Doderers Menschenbild strikt konstruierten Prozesse der Menschwerdung bei literarischen Figuren wie Herzka, Castiletz, Zihal und Melzer; letzteres wird darin ersichtlich. daß die philosophische Theorie wesentliche Konsequenzen für sein Wirklichkeits-, Geschichts- und Menschenbild zeitigt, sodaß seine Interpretationen (z.B, der politischen Geschichte, der nationalsozialistischen Herrschaftszeit, der österreichischen Situation nach 1945, des totalen Staates, der ''Existenz des Nichts" oder der Sexualität) letztlich in seiner philosophischen Theorie gründen und von ihr aus verständlich werden. Der heuristische Geltungsanspruch zeigt sich meiner Meinung nach in den zahlreichen selektiven Übernahmen und Eingliederungen schon gebräuchlicher Begriffe oder Termini wie "analogia entis" (Thomas von Aquin), "Apperzeption" (Leibniz, Kant, Herbart, Wundt) oder "Heniden" (0. Weininger). Hierher gehören im weiteren noch viele Anspielungen oder Zitate, v.a. von Albert Paris Gütersloh. Weiters ist die Weise der Entwicklung bzw. Darlegung seiner Gedanken in den theoretischen Schriften und in den Tagebüchern. vornehmlich der vierziger Jahre, aufschlußreich. In den letzteren sind die Eintragungen mit stichwortartigen Titelangaben thematisch gekennzeichnet, und die Kernbegriffe werden immer wieder variierend bestimmt oder ausgewertetzumeist hinsichtlich der Anwendung auf erzähltechnische Anliegen. So handelt es sich z.B. bei fast allen Vorkommnissen der "Analogia entis" in den Tangenten nicht um erläuternde oder definierende Erwägungen, Ivon Doderer (1964), p.41 7 . 29 .. KRITERION - die Metapher als Platzhalter des Indirekten in der Sprache und daher als dessen Grundbedingung. "Priorität" kommt einem Faktor zu, wenn er den zweiten beeinftußt oder bestimmt. Beispiele: - Priorität der Wirklichkeit gegenüber dem Menschen (der Mensch sucht sich der Welt mittels der freien Apperzeption uneingeschränkt zu öffnen) - Priorität der Fonn vor den Inhalten im Roman - universaler Realismus als poetologisches Postulat - bzgl, Menschenbild: Determiniertheit des menschlichen Lebens von unbeeintlußbaren äußeren Gegebenheiten - Abhängigkeit von Autoritäten bei literarischen Figuren wie auch bei Doderer selbst in seiner GüterslohVerehrung. sen zu wollen; nebenbei bemerkt bezieht Doderer, der 1940 zum Katholizismus konvertierte, in sein Denken theologische Argumente nicht ein und äußert sich wenig und nicht folgenschwer über religiöse Belange. Vielmehr führt er eine eigene "Analogia entis"-Konzeption ein: "Man könnte den Romancier ein Individuum nennen, dem eine ferne Abspiegelung der Analogia entis in besonders hervorstechender Weise als persönliche Eigenschaft innewohnt, freilich in einem verhobenen und übertragenen Verstande des Begriffes: als/ester Konnex zwischen Innen und Außen. Man könnte beinahe sagen, er sei so etwas wie ein geborener Thomist"4 Worin besteht aber die Übertragung von Thomas von Aquins Begriff? Welche Merkmale davon bleiben bei Heimito von Doderer erhalten? Mir stellt sich die Sache so dar, daß von Doderer keinesfalls der scholastische Bedeutungsgehalt übernommen wird, sondern lediglich der Terminus, Die Brauchbarkeit der These von Thomas von Aquin für Doderers Anliegen liegt wohl darin, daß schon hier andeutungsweise die drei Denkmotive enthalten sind. Die Analogie zeigt sich in der gewissen Verhältnisgleichheit aufgrund der Gemeinsamkeit des Seins; der Konnex ist gegeben, weil Gott als Urheber des Seins zugleich auch in allem Sein ist; die Priorität Gottes zeigt sich in dessen Sonderstellung, insofern Gott die Ursache allen Seins ist, außerhalb aller Gattungen steht, und weil Gott außerdem nicht den Geschöpfen ähnlich ist, obwohl das umgekehrte Verhältnis gilt. Statt "Gott" und "Schöpfung" geht es bei Doderer um "Außen" und "Innen" bzw. um "Welt" und "Mensch". Die "Analogia entis" im Sinne Doderers besagt, daß der Mensch als Teil der Welt von vorneherein auf die Welt abgestimmt ist Der Grad der stimmungsmäßigen Geborgenheit unterliegt Schwankungen und muß vom Menschen immer wieder von neuem erhalten bzw. gesteigert werden. Die Welt ist vorrangig, weil der Mensch seine Bestrebungen auf sie hin richtet und seine beschränkende Individualität ihr so wenig wie möglich trennend gegenüberstehen soll. Diese Stellung des Menschen zur Welt gilt in verstärktem Ausmaß für den Romancier (wie Doderer ihn sich vorstellt), welcher die "Analogia entis" nicht bloß theoretisch voraussetzt, sondern auch in seinem idealen erzählerischen Zustand als tatsächliche Lebensform verkörpern soll (vgl. dabei die Rolle der spontanen Erinnerung). Deshalb kann er als "geborener Thomist" bezeichnet werden. 3. "Analogia entis" Das inhaltliche Hauptaugenmerk von Doderers philosophischer Theorie gilt der Stellung und dem Verhältnis des Menschen (und im besonderen des Romanciers) zur Welt, wobei der thomistische Begriff "Analogia entis" scheinbar von der ontologischen Ebene auf die individuelle, psychologisch-erkenntnistheoretische Ebene der "dialektischen Psychologie" übertragen wird Doderers "Analogia entis"-Begriff stellt die zentrale Vorstellung seines Denkens dar 2, wird aber von ihm selbst nur unzureichend und vage bestimmt Bei Thomas von Aquin meint "Analogia entis" ("Entsprechung des Seins") eine metaphysische These, welche die ontologische Beziehung zwischen dem ewigen Sein Gottes und dem vergänglichen Sein der Schöpfung ausdrücken so1l3. Sie behauptet, daß zwischen Gott (dem Schöpfer) und der Welt (der Schöpfung) eine Ähnlichkeit - im Sinne einer Übereinstimmung (lediglich) in der Form - derart besteht, daß das von Gott geschaffene (ebenso wie Gott selbst) Sein hat. Unähnlich sind beide, weil Gott als Ursache des Seins auch über allem Sein steht. Thomas von Aquin beantwortet damit die Frage nach der Ähnlichkeit der Geschöpfe mit Gott, indem er als unvollkommenste Form der Ähnlichkeit eine gewisse Verhältnisgleichheit (Analogie) annimmt, welche bloß in der Gemeinsamkeit des Seins gründet, Doderer setzt den scholastischen Begriff voraus, ohne auf eine weitere theologische oder philosophische Erörterung einzugehen oder dessen Richtigkeit beweiZ"Daß ich beim Schreiben oder Denken immer nur die Analogia emis mit Variationen umspiele ist mir außer Zweifel; zudem, daß ich sozusagen gebürtiger Thomist bin, ohne Bedürfnis - bis jetzt - dieses mein Fundament kritisch zu prüfen." (von Doderer (1964), p.616) 3Thomas von Aquin Summa Theologica, quA, art.3; vgl. auch die von Doderer geschätzte Ausgabe von Thomas von Aquin (1965). 4von Doderer (1959), p.37f, Hervorhebung von mir. 30 ÜBER HEIMITO VON DODERERS PHILOSOPHISCHE THEORIE Ausgehend von der "Analogia entis" Doderers und seinen drei Denkmotiven lassen sich die wichtigen theoretischen Aussagen und Wertungen erklären und verstehen, was ich im folgenden für sein Wirklichkeits-, Geschichts- und Menschenbildzu zeigen versuche. 4. Doderers Wirklichkeitsbild Die "Analogia entis" bildet den Ausgangspunkt für Doderers "dialektische Psychologie'<. Als eine Art Hansgebrauchs-Disziplin für den Romancier bindet sie je nach Brauchbarkeit Erkenntnisse der empirischen Psychologie ein und stellt den Zentralbereich seiner philosophischen Theorie dar. Im Bemühen um die Präzisierung von Doderers "Analogia entis"-Konzeption erbringt sie die Zentralbegriffe und Kategorienfür sein Wirklichkeitsbild wie "Apperzeption"und "geminderte Wirklichkeit". .Die erstrebenswerte Apperzeption ist die "unio chymica zwischen Innen und Außen, die psychische Erscheinungsform der Analogiaentis'06. Sie gründet in der prinzipiellen Offenheit und Unvoreingenommenheit des Subjektes gegenüber seiner erfahrbaren Außenwelt Als eigentliche Apperzeption gilt die "existentielle Apperzeption"im Sinne einer existentiellverändernden Wahrnehmung. Im Gegensatz zur Vorstufe der distanzierten Wahrnehmung ("rein formales Kenntnis-Nehmen?") verbindet allein die existentielle Apperzeption den Menschen wirklich und "wirksam mit der Objektswelt"8. Der ersten Art von Wahrnehmungwird das bewußte Denken ("das uns wesentlich zu verändernnicht vermagtt9) zur Seite gestellt. während die existentielle Wahrnehmung bis in das unbewußte Denken dringt, wo sich unsere Geistesgeschichte mit ihren Verwandlungen abspielt. Schon hier sieht man deutlich Doderers irrationalistischeLebensvorstellung: das Denkmotiv des Konnexes zwischen Mensch und Welt gemahnt an lebensphilosophische Strömungen, der auch die Herabsetzung des bewußten vernünftigen Denkens in bestimmten Bereichen eigen ist. Der jeweils schwankende Öffnungsgrad des Individuums seiner Außenwelt gegenüber erlaubt es, "Wirklichkeit' in der Denkweise der dialektischenPsychologie nicht als statische Gegebenheit aufzufassen, sondern als dynamisches Wechselverhältnis zwischen Innen und Außen anzusehen (Motiv des Konnexes). DoSYon ihm selbst so benannt z.B. in: von Doderer (1970b), pAO. 6von Doderer (1964), p.725. 7yon Doderer (1964), p.264. 8yon Doderer (1964), p.265. 9yon Doderer (1964), p.264. derer bemüht sich stets von neuem um klärende und abstrakte Erläuterungendieses Begriffes; im folgenden sei die meines Erachtens prägnanteste Definition wiedergegeben: "Wirklichkeit ist die volle Deckung zwischen Innenwelt und Außenwelt. Geminderte (empirische) Wirklichkeit ist der jeweils vorhandene Grad solcher Deckung. Unwirklichkeit ist die vollkommene Abwesenheit jeder DeckungzwischenInnen und Außen."lO Die Wirklichkeit. die sich aus der restlosen Deckung von Innen und Außen konstituiert. sowie die Unwirklichkeit. einer leeren Schnittmenge vergleichbar, stellen heideidealeGrenzfälle dar. "Deckung" auf geistesmechanischer Ebene besagt, daß hier keine Trennung zwischen Innen und Außen spürbar wird, weil unsere Außenwelt sich in größtmöglicher Anschaulichkeit zeigt. In der Anschaulichkeit. dem Kriterium für freie und unverstellte Apperzeption, wird der enge Konnex zwischen Innen und Außen sowie die Dominanzdes Außen am deutlichsten erlebbar. Deshalb besteht die Entsprechung mit anderen Worten in der Transponierbarkeitder äußeren Fakten in innere Fakten und umgekehrt, Keineswegs verweist eine solcherartverstandeneEntsprechungauf den Analogie-Begriff des Thomas von Aquin. Die thomistische "Analogia entis" beinhaltet überhaupt nicht die Entsprechung von Innen und Außen wie Doderer sie auffaßt, sondern hat mit jener (wenn überhaupt etwas) die allgemeinen drei Denkmotive gemeinsam, welche Doderer angesprochen haben mögen. Beim fortwährenden Erstellen von anschaulicher Wirklichkeit mittels der freien Apperzeption gehen eine konservative Haltung und Ideologielosigkeit einher: Ist man unvoreingenommen, dann läßt man sich von vomeherein ohne willkürliche Beschränkungen oder Wertungen auf die Phänomene ein, welche ja von uns mitkonstituiert werden. Für unseren Zusammenhang reicht es aus, darauf hinzuweisen, daß die Ideale der Ideologielosigkeit und konservativen Haltung nicht von einer politischen Einstellung her begründet werden, sondern aus der Forderung nach freier Apperzeption ihren Sinn erhalten; was nichtsdestoweniger einen speziell politischen Konservativismus des Menschen und Schriftstellers Doderernahelegt. Das negative Gegenstück zur ersten analogischen Wirklichkeit,Apperzeption und Anschaulichkeitbildet sich in der zweiten pseudologischen Wirklichkeit aus. Der Ausgangspunktdafür ist die sog. "Apperzeptions- lOvon Doderer (1964), p.605. 31 KRITERION Verweigerung". d.h, die tendenziöse Beschränkung und Entstellung der Apperzeption. Gefährlich wird sie ("die modeme Fonn der Dummheit"ll). wenn sie als solche nicht erkannt wird und wenn die mit ihr einhergehende Unanschaulichkeit gewohnheitsmäßig geworden ist Während die erste Wirklichkeit einen Ausgleich zwischen dem Individuum und seiner Außenwelt anstrebt. verzerrt die zweite Wirklichkeit das komplexe ineinander des Lebens. Sie ist phantasmagorischen Ursprungs. d.h, von Ideen und Wünschen eines Subjektes aus erstellt. beansprucht jedoch faktischen Status. Die Außenwelt wird nicht vorurteilsfrei erfahren. sondern durch eine Ideologie, eine feste Vorstellung präokkupiert Eine solchermaßen voreingenommene Außenwelt erweist sich nunmehr als direkte projizierte Verlängerung der Innenwelt Der sich etablierenden zweiten Wirklichkeit wohnt zwar faktische Geltung inne, aber ohne jegliche Anschaulichkeit und fruchtbare Konkretion von Innen und Außen; sie umgibt sich mit dem Schein eines dynamischen Weltverhältnisses, bleibt aber erstarrt Als "bis an die Grenze der Unwirklichkeit herabgeminderte Wirklichkeit"12 kann sie sich dank der Apperzeptions-Verweigerung behaupten und festigen. Zwei Beispiele für eine zweite Wirklichkeit analysiert Doderer in dem Essay "Sexualität und totaler Staat": den verbreiteteren Fall der Sexual-Ideologie und den seltenen Fall des totalen Staates. Der Sexualakt. einer der intensivsten Fälle von Apperzeption überhaupt, wird paradox. wenn "nicht aus einer Situation und Konkretion als ein Hinzu-Gegebenes unwidersprechlich erfließend, sondern in der Verlängerung einer unanschaulichen Vorstellung von der eigenen Sexualität aufgesucht und hinzu genommen "Nichts". worauf ich später noch zurückkommen werde. 5. Doderers Geschichtsbild Die politische Geschichte im engeren Sinne muß von Doderer folgerichtig entwertet werden, hält man sich seine Aussagen über die Wirklichkeit, Anschaulichkeit und Entsprechung (als Transponierbarkeit der äußeren Fakten in innere und umgekehrt) vor Augen. Ist eine solche Entsprechung der Fall. dann sind äußere Fakten - wie etwa politische - bedeutsam: ansonsten bleiben sie bloB wirksam im Bereich der äußeren Faktizität, welche man zwar zur Kenntnis nehmen. aber nicht in Richtung anschaulicher Bedeutsamkeit in das eigene Leben umwandeln kann. Wie aber sieht Doderers Gegenentwurf aus? Abgehoben wird der Gegenstandsbereich der politischen Geschichte von dem "eigentlichen Leben". worunter man sich Alltagsgeschehen vorzustellen hat Als Leitidee von Doderers Alltagsgeschichte fungiert Kontinuität, im allgemeinen die fortwährende Geltung von historisch wirksamen Strukturen. Nicht gemeint ist damit das Fortdauern alter politischer Ordnungen. sondern des eigentlichen Lebens. Kontinuität gilt zunächst für den individuellen Lebensgang. dessen Indirektheit und scheinbaren Brüche bei der Menschwerdung letztlich einer ursprünglich zurückverweisenden Entwicklung dienen; letztere erst verleiht dem eigenen Leben Kontinuität und dem Träger das Bewußtsein davon (vgl. Melzers Menschwerdung). Im weiteren gelten Kontinuitätslinien für komplexere und abstraktere Gebilde wie Österreich bis hin zu Europa oder geistesgeschichtlichen Phänomenen. Die für jede Geschichtsschreibung unerläßlichen Strukturierungen und wertenden Akzentsetzungen des vergangenen Geschehens bedienen sich immer in irgendeiner Weise der geschichtlichen Zentralkategorien von "Kontinuität" und "Diskontinuität". Das ist meiner Meinung nach schon durch die Spannung zwischen dem einmaligen Gegenstandsbereich und der allgemeinbegrifflichen Erfassung desselben begründet; denn wie sollte man singuläre Ereignisse überhaupt miteinander verbinden, verstehen oder erklären, wenn nicht durch Vergleichen und Unterscheiden? Ich glaube, daß hier der zentrale Punkt liegt Er besteht darin. daß das lebensphilosophisch verklärte "eigentliche Leben" gänzlich inkommensurabel ist mit der theoretischen Beschäftigung darüber. Das Leben wird erlebt, die Theorie über dieses Leben wird aber (bloß) gedacht. Unterschwellig dominiert hier der lebensphilosophische Dualismus von Leben und Bewußtsein (Geist), zusammen mit der Überzeugung von der naturgemäßen Unvergleichbarkeit beider. Diese [••. ]".13 Man gelangt durch eine solche Pseudo-Sexualität in Situationen anstatt durch Situationen zur Sexualität (wie es Doderers Auffassung vom indirekten Leben und der Verherrlichung des Hinzu-Gegebenen "kraft der inappellablen Mechanik des äußeren Lebens"14 entspricht). Ebenso aktivistisch ins Leben eingreifen will der typische Revolutionär. welcher "in der Urianschauliehkeit habituell sich beheimatet hat"lS und seinen eigenen Verstand für den einzig wirklich gesunden hält. Die revolutionäre Haltung ist der verantwortliche Ausgangspunkt für die Errichtung des totalen Staates im dritten Reich von 1933-1945 und für die Erfahrung des llvon Doderer (197Oc), p.282. 12Weber (1963), p.186. 13Doderer (l97Oc), p.28l. 14Doderer (l97Oc), p.276. lSDoderer (l97Oc), p.284. 32 , 1Iti.. I ! _ üBER HEIMITOVON DODERERS PHILOSOPHISCHE THEORIE zwei Bereiche gilt es nun gerade bei Dodererauseinanderzuhalten: einerseits das eigentliche Leben, das Geschehen als Gegenstandsbereich der Geschichte, wirklich unvergleichbar "als noch nie dagewesene Kombination und chymische Koagulation der ewig gleichen Elemente,als ganz neuartigeVariationdes ewig selben Themas";16 andererseits die Geschichteals theoretische Rekonstruktion vergangenen Geschehens, welche allgemein-begrifflicher Kategorien, Vergleichs- und Unterscheidungsmomente bedarf. Der Kontinuitätsidee bedient sich Doderer verstärkt bei der BestimmungÖsterreichs.Wenn er die Zeit von 1938-1945 als zweite Wirklichkeit abwertet und gewissermaßen ausscheidet, dann liegt es nahe, eine p0sitive österreichischeGegenlinie zu postulieren,an die man nach dem Zweiten Weltkrieg anknüpfen kann. Zwei geschichtlicheThesen, welche durch den Roman Die Strudlhofstiege exemplifiziertwerden, finden sich in Doderers Osterreich-Bild.17 Die erste These besagt, daß die AufgabeÖsterreichs nach dem Zweiten Weltkrieg darin besteht, unmittelbar an die Legalität der Ersten Republikanzuschließen und diesen zeitlichen Anschluß zu konsolidieren; denn gerade zwischen der Ersten und späteren Zweiten Republik klafft der entscheidende Abgrund. Einem solchen zeitlichen Anschluß entspricht Melzers individuelle Leistungder Vergangenheitsaneignung. Die zweite These behauptet, "daß jener Einhieb von 1918 gewaltig überschätzt worden ist"18. Die diesbezüglichen Abweichungen - vorrangigpolitischerNatur - seien eher Äußerlichkeiten (Errichtung einer Republik; offizielle Abschaffung von Adelstiteln); zwar haderte man anfangs mit der Monarchie,ihrer politischen Verfassung und ihren gesellschaftlichen Auswüchsen, doch habe sich das Alltagsleben nicht merklich verändert. So ist der "Einhieb" - das Wort allein verrät, daß es sich hiebei um ein äußerliches, willkürlich-gewalttätigesEreignis handelt - also gar nicht so tiefgreifend gewesen. Eines dürfte indessen klar sein: Doderers skizzenhaft umrissenes Österreich-Bild entledigt sich der direkten und ethisch relevantenAntwortauf die Frage nach dem konkreten Verhalten Österreichsbzw. der Österreicher zum Nationalsozialismus,indem er die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wie einen Fremdkörper aus der Geschichte Österreichs ausscheidet Wie schon erwähnt, sind Pseudo-Sexualität und totaler Staat zwei beispielhafte Fälle von Wirklichkeit. Von vornherein verbleibt Doderer auch hier innerhalb des theoretischen Rahmens seines Wirklichkeitsbildes; der phantasmagorische Ursprung interessiert ihn, nicht andere möglicheDeutungs- oder Kritikpunkte. Der Ursprung eines totalen Staates in Deutschland zwischen 1933und 1945 als eines radikalen revolutionären (im Sinne Doderers) Auswuchses hebt diesen von anderen totalitärenHerrschaftsfonnen wie Despotie, Tyrannis, absolute Monarchie oder Diktatur ab, welche seiner Meinung nach dem positiv besetzten Kriteriumder Anschaulichkeit genügen. Die Behauptung der Unvergleichbarlceit und Andersartigkeit des zwischen 1933 und 1945 Geschehenen (trotz der zunächst verständlichen historischen Ausgangssituation) entbindet Doderer von der Verpflichtung - die ihm seine prinzipielle Offenheit zur Welt auferlegen müßte -, das Phänomen des Nationalsozialismus gründlicher und direkter zu behandeln: begünstigend wirkt da noch die Opfertheorie gegenüber ÖSterreich. Im totalen Staat wurde zudem das Nichts erfahrbar, es wurde ein Phänomen; oder in Doderers Terminologie: "Demnach wird das Nichts in der dialektischenPsychologie definiert als die Trennung zwischen Subjekt und Objekt, wobei für ersteres die reine Phantasmagorie, für letzteresdie Außenweltals angefügte mechanische Prothese ohne Spur organischer Durchwachsung dasteht"19 Von selbst drängt sich eine Assoziation zur Existenzphilosophie auf, die v.a. nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer breiten philosophischen Strömung anwuchs. Dafür wird meist der katastrophalewirtschaftliche und allgemein-menschliche Hintergrund verantwortlich gemacht; Schlagworte für diese besondere geistige Situation wären etwa "Nihilismus" oder "Brüchigkeit". In der modemen Existenzphilosophie wird nun die Stellung des Menschen zur Welt ausgehend vom aristotelisch-scholastischen Sein-Wesen-Dualismus mit den Grenzbegriffen"Sein" und "Nichts" thematisiert. Im Zusammenhang mit Doderer erscheint die Idee des erfahrbaren Phänomensdes Nichts bedeutsam, vorrangig behandelt bei Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre. Dieser eine Punkt soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Doderer von den Existenzphilosophen nichts Eigentümliches übernommen hat; er scheint von den Existenzphilosophen eher gering gedachtzu haben. Abgesehenvom Motiv der Menschwerdung werden sich wenige inhaltliche Ähnlichkeiten finden lassen; dazu ist Doderers Wirklichkeitsbild zu lebensphilosophisch und harmonisierend ausgerichtet,was exempla- 16von Doderer (1964), p.20f. 17nach Weber (1976), p.8l. 18von Doderer (1970a). p.240. 19von Doderer (1964), p.605. 33 KRITERION risch im Motiv des festen Konnexes zwischen dem Menschen und der Welt zum Ausdruckkommt 6. DoderersMenschenbild Doderers Wirklichkeitsbild beinhaltet einen lebensphilosophisch anmutenden Lebensbegrijf. Hervorgehoben wird die Abwertungdes bewußtenDenkens(Irrationalität), das positive Kriterium der Anschaulichkeit und der erlebbare feste Konnex mit der Welt Einen weiteren bedeutsamen Punkt bildet die dualistische Stufung in Leben und Theorie (darüber), zusammen mit der Überzeugung von der Unvergleichbarkeit heider. In diesem Spannungsfeld von Erleben und Individuellem gegenüber Erkennen und Allgemeinem siedelt sich der Gedanke der Indeskriptibilitätdes Individuellenan: "Zu der schon lang gehabten Erkenntnis, daß ein Charakterbild nie additiv, durch Aufzählung von Eigenschaften, dargestellt werden könne, tritt die für einen Schriftstellersozusagenobenauf schwimmendeder Indeskriptibilität(pardon, 'Unbeschreiblichkeit' hat im Deutschen einen enthusiastischen Beigeschmack) des Individuellen überhaupt durch das direkte, zerlegungsweise Wort. Wozu auch sonst brauchte ich als Naturalist Hunderte von Seiten einer erzählendenDarstellung, die als Ganzes eine einzige Metapher ist? Und liegt nicht der Sinn aller Metaphorie vielleicht schon in einem Gesetz begründet, das da etwa sagen möchte:kein Gegenstand kann auf der Ebene dargestelltwerden, auf welcher er erfahren wird - so wie kein Problem auf jener Ebene lösbar ist, auf der es sich stellt?"20 Der irrationalistische Lebensbegriff kommt im individuellen Lebensgang am anschaulichsten zur Geltung in dessen Indirektheit, welche dem Leben im allgemeinen, der Mechanik des Geistes sowie der metaphorischen Sprachverwendung eigen ist Die Indirektheitdes menschlichen Lebensweges vereint die "Kurvenhaftigkeit" des Lebens mit der Abwertung des bewußten planvollen Denkens. Wie aber soll man sich zu seinem eigenen Leben verhalten? Auf welche Weise bleibt noch Spielraum für Freiheit, individuelle Entwicklung und Veränderung, wenn man so etwas wie die Würde des Menschen - und gerade in der Wiederherstellung und Begründung einer solchen muß eine Hauptaufgabe der geistigen Erneuerung nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges liegen - nicht gänzlich aufgeben will? Zunächst gilt, daß die sog. "Menschwerdung" jedem Menschen als Verpflichtung zukommt, sei es als subtiler Anstoß oder als massives, nicht mehr zu überge- 20von Doderer (1964), p.134. , i 34 hendes Ereignis.21 Im Roman Ein Mord den jeder begehl muß z.B, Castiletz, dessen bisheriges Leben sich in starren, wohlgeordneten Bahnen bewegte, mit eindeutigen Tatsachen konfrontiert werden, um den Mord (der eigentlich ein Totschlag ist) an Louison Veik als den entscheidenden Einschnitt seines Lebens zu erkennen - darin gleicht er König Oedipus. Die Menschwerdung, ein im Frühwerk Doderers dominierendes Thema, besteht darin, den Charakter, den man hat, zugunsten der Person aus den Angeln zu heben und sich damit selbst einzuholen. Anthropologische Voraussetzung ist die negative Bewertung des Charakters, der einer Apperzeptionseinschränkung gleichkommt und der angestrebten Weltoffenheit im Wege steht22 Mit seiner Überwindung und mit der vollzogenen Menschwerdung gelangt man zu einem lebensgemäßenWeltbezug, zum ein- und zustimmenden Verhalten zur Welt und zur Beheimatung im Indirekten. Worin ist dann die erbrachte Leistung des Individuums bei der Entwicklung seines Lebensweges zu sehen? Da Entwicklung für Doderer Verwicklung voraussetzt, also im Sinne einer verspäteten Herstellung eines Normalzustandes (des gewöhnlichenPerson-Seins) zu verstehen ist und sowieso als unabdingbare Verpflichtung gilt, stellt die Menschwerdung gleichsam eine einholendeRückwärtsbewegung dar. Ihr Resultat liegt in der lebensgemäßen und nicht mehr oberflächlichenverfälschten Kenntnis seines Lebens. Wenn die Selbsterkenntnis, d.h. das Wissen von der Fallrichtung des Lebensweges, gekrönt wird von der Zustimmung zu seinem "Fall", dann ist diese Haltungeben die Würdedes Menschen. Der äußere Verlauf des Lebensweges wird dadurch nicht beeinträchtigt,ist er doch prädestiniert. Die Haltung als innere Einstellung stellt die positive Aktion des Individuumsdar und kann erst den Lebensweg bei totaler Zustimmung darin liegt die Freiheit - erheblich machen; sie kommt einem formalen, jeder wirklichen Kunstleistung anlogen Akt gleich. Zusammenfassung "Der totale Staat [in Deutschland von 1933, in Österreich von 1938bis 1945] entstand durch die Fluchtaus 21vgl. im folgenden Weber (1963), p.40f und v.a. p.46 bis 59. 22Die Auffassung Doderers über Charakter und Determination des menschlichen Handelns kommen denen Arthur Schopenhauers ziemlich nahe. dessen Traktat Über die Freiheit des Willens er gekannt hat. ÜBER HEIMITO VON OODERERS PHILOSOPHISCHE THEORIE der Analogia entis und die Etablierung einer zweiten Wirklichkeitneben dieser: und genau so lebte ich.n2J Dieses prägnanteZitat hätte als Motto für vorliegenden Aufsatzdienen können, bringtes doch die heuristische Funktion der philosophischen Theorie Doderers auf den Punkt, Deshalb möchte ich zusammenfassend noch DoderersEigentümlichkeiten anhanddieser Textstelle deutlich machen. Er verweist auf die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft sowie auf seine eigene Existenzweise.Die erstere, politisch dominierendeIdeologie und Weltgestaltung subsumiert er unter den Begriff des "totalen Staates". Die Erklärung der Entstehung und die Angabe der Eigenschaftendes totalenStaates erfolgen unter Verwendung von Doderers philosophischer Theorie mit den idealen Konstrukten der "Analogia entis" und "zweiten Wirklichkeit". Für das Verständnis seinerTagebücher und theoretischen Aussagen ist die Kenntnis dieserphilosophischen Konzeption unerläßlich, welche vorrangig heuristischen Aufgaben dient, wie etwa erzähltechnischen Anliegen (Bestimmung des Romanciers, Verhältnis Form - Inhalt. Verhältnis Wirklichkeit - Sprache..•). Die Grundlage seiner philosophischen Theorie, die "Analogia entis" in DoderersspeziellemSinn, ist harmonisierend und irrationalistisch angelegt. Die drei von ihm bevorzugten Denkmotive gehen auch aus obiger TextsteIlehervor: Analogie ("und genau so") zwischen der faktisch geltenden Außenwelt und der individuellen Existenzweise; Konnex zwischen diesen beiden sowie Priorität (der totale Staat bestimmtdie individuelleWelterfahrung; das Individuum erscheint als passiv und ausgeliefert). Das vielleicht einzige aktivistische Moment in den Reflexionen Doderers stellt das Postulat der Menschwerdung dar, doch beschränkt sich deren Aktivismus auf die innere Haltung der Würde, ohne eine entscheidende äußere Realisierung zu erfahren. Die rückbezüglich gemeinte Entwicklung von Individuen und Kollektiven gilt im besonderenim Anschluß an bedeutsame Kontinuitäten und obliegt gerade Österreich nach dem ZweitenWeltkrieg. Doderers harmonisierend-quietistische Tendenzliegt nicht nur im Inhaltlichen seiner philosophischen Theorie,sondernauch in der Art der Anwendung dieser Theorie auf außerliterarische Gegebenheiten (z.B, Erklärung und Bewertung konkreter historischer Ereignisse durch einen umwegigen Rekurs auf die philosophische Theorie) sowie in der Exemplifizierung auf literarischem Gebiet (seineWerke sind grundsätzlich inhaltlichquietistisch (Szenarium, Handlung) und formal 23von Doderer (1964), p.762. 35 indirekt-metaphorisch). Deshalb kann Heimito VQn Doderer zu Recht ob seiner harmonisierend-quietistischen Denk- und Schreibweise als typischerRepräsentant der österreichischenLiteratur der fünfziger Jahre bezüglich der Auslassung einer direkten Thematisierung des Nationalsozialismus gelten.24 Ich hoffe, durch diesen Versuch einer Rekonstruktion von Heimito von Doderers philosophischerTheorie - von spezielleren Interessenabgesehen- zu einem weiteren,beschäftigungswürdigen und sicherlich noch sinnvollen Philosophie-Verständnis anregen zu können. LIlERATUR Sehröder. HA., Apperzeption und Vorurteil. Untersuchungen zur Reflexion Heimito von Doderers, Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Folge 3, Bd. 28, Heidelberg, 1976. Thomas von Aquin, Summa Theologica. Thomas von Aquin, Über das Sein und das Wesen, Deutsch-lateinische Ausgabe, übersetztund erläutert von Rudolf Allers, Darmstadt, 1965. von Doderer, H., Athener Rede. Von der Wiederkehr Österreichs, in: von Doderer, H., Die Wiederkehr der Drachen, München, 197030 p.239-247. von Doderer, H., Der Fall Gütersloh. Ein Schicksal und seine Deutung, in: von Doderer, H., Die Wiederkehr der Drachen, München, 1970b,p.39-109. von Doderer, H., Grundlagen und Funktion des Romans, Nürnberg, 1959. von Doderer, H., "Sexualität und totaler Staat", in: von Doderer, H., Die Wiederkehr des Drachen, Münehen, 197Oc,p.273-298. von Doderer, H., Tangenten. Tagebuch eines Schriftstellers 1940-1950, München, 1964. Weber, D., Heimito von Doderer, in: Weber, D. (Hrsg.), Deutsche Literatur der Gegenwart in Einzeldarstellungen, Bd.l, Stuttgart 19763, p.70-92. Weber, D., Heimito von Doderer. Studie zu seinem Romanwerk, München, 1963. 240ie idelologiekritische Auseinandersetzung mit den Reflexionen Doderers und zugleich die Abkehr von der konservativeren Ooderer-Forschung begann erst mit Sehröder (1976). KRITERION Christoph Landerer KURZE BEMERKUNGEN ZUM BEGRIFF DER HANDLUNG Wenn der Anspruch auf subjektives Expertenturn mit größtem Nachdruck für gewöhnlich im Bereich der praktischen Philosophie erhoben wird, so gilt dies für Fragen der Handlungstheoriewohl noch in besonderer Weise. "HandeIlt" ist gewiß eine unsereralltäglichsten Erfahrungen und erscheint uns demgemäß (zumindest prima vista) auch als philosophisch wenig problemträchtige Angelegenheit. Versucht man nun aber, das Anwendungsfeld des Begriffs 'Handlung' näher zu bestimmen, so verschwimmt das anfangs vermeintlich klare Bild in der Regel rasch und gibt einen zunächst verwirrend facettenreichenBlick auf die ungeheureVielfalt der in Aufbau und äußerem Erscheinungsbildoft frappierend unterschiedlichen Vollzüge, die wir - zumindest im alltäglichen Sprechen - doch gleichermaßen unter den einheitlichen Begriff 'Handlung' zu subsumieren gewohnt sind, frei. Diese Vielfalt im Lauf der philosophischen Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren, ist für eine erfolgreiche Behandlung wesentlicher handlungstheoretischer Probleme von nicht geringerBedeutung und es ist daher nur zu bedauern, daß die gegenwärtige handlungs theoretische Diskussion sich in nicht wenigen Fällen vor allem auch durch die Konzentration auf einen bestimmtenHandlungstyp (die bei Handlungstheoretikern beliebten Beispiele einen Arm heben, ein Fenster öffnen, das Licht anschalten, gehören alle einer bestimmten Klasse besonders einfacher und äußerlich als Körperbewegung beobachtbarer Handlungen an) auszeichnet und damit naturgemäß eine wesentliche Verengung des Problemhorizonts in Kauf nimmt. Um nun einen flüchtigen Einblick in den Variantenreichtum des jeweils als 'Handlung' Bezeichneten zu vermitteln und die augenfälligsten Unterschiede zwischen verschiedenen Typen von Handlungen in einer kurzen Analyse grob herauszuschälen, seien daher nun exemplarisch folgende 5 durchaus alltägliche "Handlungen" angeführt! und nachfolgend kurz analysiert IDie Formulierung dieser Beispielsätze im Imperfekt soll dabei freilich nicht auf eine in irgendeiner Weise "privilegierte" Form der Darstellung derartiger Handlungsaussagen hinweisen; für die Wahl des Tempus war lediglich die Beobachtung ausschlaggebend, daß - v.a, bei komplexen, zusammengesetzten Handlungen - eine von einer anderen Person als dem Handelnden selbst vorgenommene Beschreibung der ausgeführten Handlung oftmals erst nach Ausführung eines oder mehrerer besonders wesentlicher Glieder der Handlungskette adäquat gegeben werden kann. (Siehe dazu v.a. auch die Erläuterungen zu Bei- 36 i ! (1) Hans hob seinen rechten Arm. (2) Hans ging Brot kaufen. (3) Hans half seiner Mutter beim Kartoffelschälen. (4) Hans half seiner Mutter nicht beim Kartoffelschälen, obwohl er sah, wie sehr sie sich dabei plagte. (5) Hans zog im Kopf die Quadratwurzel aus 144. Im alltäglichen Sprachgebrauch stimmen wir darin Uberein, daß es durchwegsHandlungen sind, die in diesen 5 Sätzen ausgedrückt werden. Diese Handlungen unterscheiden sich aber stark in Aufbau und äußerem Erscheinungsbild. Handlung (1) ist das Beispiel einer Handlung, die 'einfach' genannt werden kann; sie setzt sich nicht aus kleineren Elementen, die selbst Handlungen sind und getrennt voneinander ausgeführt werden können, zusammen. Die Handlung besteht vollständig in einer Körperbewegung. Beginn und Ende der Handlung fallen mit Beginn und Ende der zugeordneten Körperbewegung zusammen. Um die Handlung adäquat beschreiben zu können, genügt es zu sehen, daß es der Handelnde selbst ist, der die Handlung (als Körperbewegung) ausführt, d.h. die Handlung ohne sichtbare Einwirkung von außen (etwa einem Seil, das an seiner Hand befestigt ist und die Bewegungen seines Armes steuert) allein durch einen Akt, den der Handelnde selbst setzt, vollzogenwird.2 spiels atz (2).) Um nun eine einheitliche Ausgangsbasis für die Analyse der jeweiligen Beispielhandlung zu schaffen, schien es mir von Nutzen, in jedem Fall vorerst einen Betrachtungszeitpunkt zu wählen, zu dem die Handlung bereits zur Gänze vollzogen ist 2Hier wird man sich nun freilich fragen müssen, wie sich der hier verwendete Begriff der "einfachen Handlung" zu jenem (schon klassischen) der "Basis-Handlung" verhält. Für Basis-Handlungen gilt nach Danto: "Wenn eine Person M eine Basis-Handlung a vollzieht, gibt es kein von a verschiedenes Ereignis, das sich zu a wie die Ursache zur Wirkung verhält und zugleich eine von M vollzogene Handlung ist" (Danto, (1985), p.92; Hervorhebungen im Original). Mir scheint es sinnvoll zu vermuten, daß als Basis-Handlungen in diesem Sinn grundsätzlich nur einfache Handlungen in Frage kommen. Ob hingegen jede einfache Handlung zugleich auch eine Basis-Handlung sein muß, möchte ich zumindest als offen ansehen. Die Beantwortung dieser Frage ist (trivialerweise) von der Beantwortung der Frage, was 'eine eigene Handlung durch eine andere eigene Handlung verursachen' heißen kann, abhängig. Begnügt man sich dabei mit bloßem "kausalem Beitrag" (was sich in einer etwas formaleren, auf Bedingungsbegriffe rekurrierenden Darstellung als notwendiger KURZE BEMERKUNGEN ZUM HANDLUNGSBEGRIFF Als Kriterium für die Identifikation einfacher Handlungen möchte ich zunächst nicht mehr als isolierte Ausführbarkeit verlangen. Eine Handlung kann demgemäß dann als 'einfach' bezeichnet werden, wenn sie sich nicht mehr in andere, getrennt voneinander ausführbare Handlungen aufgliedern läßt. Den eigenen rechten Arm heben ist (zumindest in den meisten Fällen, d.h, in jenen Fällen, in denen man den eigenen rechten Arm riicht dadurch hebt, daß man eine andere Körperbewegung ausführt (etwa die, den eigenen linken Arm zu heben» eine einfache Handlung in diesem Sinn (bzw. kann es zumindest sein), während etwa ein Omelett kochen sich in unterschiedliche, getrennt voneinander ausführbare Handlungen (ein erstes Ei aufschlagen, ein zweites Ei aufschlagen, die Eier mit Milch und Mehl zu einem Teig verrühren, die Bratpfanne erhitzen, etc.) aufgliedern läßt und daher als komplexe Handlung anzusehen ist (d.h, in keinem Fall als einfache Handlung angesehen werden kann). Dieses Kriterium ist freilich verbesserungsbedürftig (ein Ei aufschlagen und dieses Ei mit Milch und Mehl zu einem Teig verrühren sind (bei einer bestimmten Interpretation) strenggenommen zwei logisch voneinander abhängige Handlungen; es wäre daher problematisch, ihnen isolierte Ausführbarkeit zu bescheinigen, obwohl wir sie alltäglich sehr wohl als zwei Handlungen und nicht bloß als zwei Sequenzen einer Handlung ansehen), erweist aber zumindest im Sinne einer ersten Annäherung gute theoretische Dienste. Handlung (2) könnte man eine 'komplexe Handlung' nennen. Sie setzt sich aus Elementen, die selbst Handlungensind und auch getrennt voneinander ausgeführt werden können, zusammen.' (Derartige Handlungselemente wären etwa (in Satzform): Hans band sich die Schuhe, Hans legte den Weg zur Bäckerei zurück, Hans sagte: 'Ein Weißbrot, bitte', ete.) Nicht alle diese Handlungselemente (Teilhandlungen) müssen notwendig beobachtbar sein. (Hans berechnete das Wechselgeld kann ein unbeobachtbarer Teil der Handlung Hans ging Brot kaufen sein.) Schließt man auch diese Handlungselemente in die Analyse des Aufbaus dieser Handlung mit ein, so läßt sich die komplexe Handlung Hans ging Brot kaufen nun aber freilich nicht mehr als vollständig aus einer Abfolge von Körperbewegungen bestehend auffassen. Wird uns die Kenntnisderartiger unbeobachtharer Handlungselemente vorenthalten, so werden wir - sofern wir die wesentlichen Handlungselemente beobachten konnten - aber dennoch imstande sein, die Handlung richtig zu beschreiben. (Denn alle wesentlichen Handlungselemente - diejenigen Teilhandlungen nämlich, die uns eine Handlung so und nicht anders beschreiben lassen sind beobachtbar und äußern sich als Körperbewegung.) Fehlt uns hingegen die Kenntnis wesentlicher Teil einer hinreichenden Bedingung wiedergeben ließe), so wäre etwa jene Handlung, die ich ausführe, wenn ich einen in Kopfhöhe befindlichen Gegenstand dadurch bewege, daß ich erst meinen rechten Arm hebe und dann den Gegenstand antippe, eine Folge von zwei einfachen Handlungen, wobei lediglich die erste auch als Basis-Handlung angesehen werden kann. Denkt man dabei hingegen an eine stärkere kausale Verknüpfung, dann bliebe zu klären, wie man sich eine derartige kausale Verknüpfung zweier eigener Handlungen vorzustellen hat bzw. welche Beispielhandlungen sich dafür anführen ließen. Kausale Verknüpfungen jedenfalls müssen - so scheint es mir - in irgendeiner Form in das Konzept der Basis-Handlung eingehen; es kann wohl auch kaum als Verbesserung angesehen werden, mit von Wright den "zweifelhaften Begriff' eine Handlung verursachen dadurch zu umgehen, daß man Basis-Handlungen nun schlichtweg als Handlungen, die jemand "nicht dadurch vollzieht, daß er irgendeine andere Handlung vollzieht" (von Wright (1984), p.166) zu bestimmen versucht. Ich kann etwa meine Tante dadurch erschrecken, daß ich in einer bestimmten Situation meinen rechten Arm hebe. Soll man nun sagen, die Handlung, die äußerlich im Heben meines rechten Arms besteht, wäre unter der Beschreibung 'Heben meines rechten Arms' eine Basis-Handlung, unter der Beschreibung 'Erschrecken meiner Tante' hingegen nicht? Das kann gewiß nicht im Sinne des Erfinders sein. Größerer Klarheit als der Begriff der einfachen Handlung scheint sich jener der Basis-Handlung jedenfalls nicht zu erfreuen. 3Die Unterscheidung komplexer und einfacher Handlungen stellt - wie bereits erwähnt - gewisse (wahrscheinlich schwerwiegende) Probleme. Sie ist etwa im Fall der Beispielhandlungen (1) und (2) intuitiv gut nachvollziehbar, die Formulierung klarer und (einigermaßen) trennscharfer Kriterien erweist sich jedoch als außerordentlich schwierig. Handlung (1) kann dabei wohl als Prototyp einer einfachen Handlung gelten. Wir verfügen in diesem Fall über keine Bezeichnungen, die Teilhandlungen (die man sich als die betrachtete Handlung (Arm Heben) konstituierend denken kann) gegeben werden könnten, ohne notwendigen Bezug auf eben diese Handlung zu nehmen. (Wir könnten nur etwa davon sprechen, jemand hätte erst die Handlung, den rechten Arm um 45" zu heben und dann die Handlung, sie um den Differenzbetrag von 45" und 90" zu heben, ausgeführt, was jedoch unsinnig erscheint.) Auch macht es in der Regel wenig Sinn zu sagen, die (feil)Handlung, den rechten Arm um den Differenzbetrag von 45" und 90" zu heben, sei unabhängig von der (Teil)Handlung, den rechten Arm um 45" zu heben, ausführbar. Schließlich läßt sich auch kein Kriterium finden, mit dessen Hilfe gezeigt werden könnte, daß die beiden vermeintlichen Teilhandlungen als klar ersichtlich voneinander trennbar und hinsichtlich zumindest eines für die Beschreibung von Handlungen wesentlichen Merkmals unterscheidbar angesehen werden müßten und es daher gerechtfertigt werden kann, von 2 Handlungen und nicht bloß von 2 Sequenzen (willkürlichen Unterteilungen) ein und derselben Handlung zu sprechen. 37 KRITERION Handlungselemente (sehen wir Hans etwa zwar seine Schuhe binden und sein Haus in Richtung Bäckerei verlassen. nicht aber die Bäckerei betreten und Brot verlangen). so wird es uns in der Regel schwer fallen. die Handlung adäquat zu beschreiben. (Es lassen sich freilich auch Fälle denken, in denen ein Beobachter ohne Kenntnis der wesentlichsten Handlungselemente imstande ist. eine Handlung adäquat zu beschreiben. etwa wenn das Verhalten des Handelnden eine besondere Regelmäßigkeit aufweist, die es erlaubt, von der Beobachtung bestimmter (nicht oder weniger wesentlicher) Handlungselemente auf die Ausführung wesentlicher Handlungselemente zu schließen. (Immer, wenn Hans blaue Socken an hat. geht er Brot kaufen.) Es liegt aber freilich auf der Hand. daß derartige Verallgemeinerungen nur in Ausnahmefällen möglich sind.) Fehlt uns nun aber die Kenntnis wesentlicher Handlungselemente und können wir auch nicht auf gut bestätigte Verallgemeinerungen, die eine derartige Brücke zwischen beobachteten nicht-wesentlichen Handlungselementen (bzw. einer bestimmten nicht vollständigen Menge beobachteter wesentlicher Handlungen) und noch nicht ausgeführten wesentlichen Handlungselementen schlagen könnten, zurückgreifen, so bietet sich nur mehr ein Weg an, der uns gestatten würde, eine Handlung ohne Kenntnis wesentlicher Handlungselemente adäquat zu beschreiben. Dieser Weg führt über die Kenntnis der Intentionen des Handelnden. Sehen wir Hans etwa nur sein Haus verlassen und wissen wir nun aber von seiner Intention, Brot zu kaufen. so reicht allein dieses Wissen aus, um eine zum Zeitpunkt der Beobachtung adäquate Beschreibung der von Hans ausgeführten Handlung (Hans geht Brot kaufen) zu geben. Der Gültigkeit dieser Beschreibung tut selbst etwa der Umstand, daß Hans an der Ausführung wesentlicher Handlungselemente gehindert wird oder gar seine Intentionen zu einem späteren Zeitpunkt (noch vor der Ausführung wesentlicher Handlungselemente) ändert. keinen Abbruch. Hans geht Brot kaufen muß zu einem Zeitpunkt, zu dem wesentliche Handlungsteile noch nicht ausgeführt sind, geradezu als Beschreibung der Intentionen des Handelnden betrachtet werden. während in Hans ging Brot kaufen die erfolgte Ausführung aller wesentlichen Handlungselemente als notwendige Bedingung einer adäquaten Beschreibung eingeht. Es scheint mir erwähnenswert, daß diese Möglichkeit. daß, je nachdem, ob die Handlung bereits zur Gänze ausgeführt oder erst in Teilen vollzogen ist, im einen Fall die Beobachtung der Körperbewegungen, im anderen Fall jedoch die Kenntnis der Intentionen gefordert ist, um zu einer adäquaten Beschreibung der betrachteten Handlung zu gelangen, grundsätzlich nur bei "komplexen" Handlungen besteht. Handlung (3) ist ebenfalls ein Beispiel einer komplexen. zusammengesetzten Handlung. Von Handlung (2) ist sie jedoch in einem wesentlichen Punkt unterschieden. Während im Fall von Handlung (2) für die adäquate Beschreibung der zur Gänze ausgeführten Handlung die Beobachtung aller wesentlichen Handlungselemente (als Körperbewegungen) genügt und die Kenntnis der Intentionen (bzw. derjenigen Intention. die auf das unmittelbare Handlungsziel gerichtet ist) nur in jenen Fällen gefordert ist. in denen die Ausführung wesentlicher Handlungselemente noch unterblieben ist. bieten sich hier wesentliche Handlungselemente solcherart. daß allein deren Beobachtung als Körperbewegung ausreichen würde. um zu einer adäquaten Beschreibung der Handlung zu führen. nicht an. Es gibt hier im Verlauf der Handlung keinen ausgezeichneten Punkt, der uns, allein aufgrund der in einer bestimmten Phase der Handlung ausgeführten Körperbewegungen, Aufschluß über die adäquate Beschreibung der Handlung geben könnte. (Wie wir ihn etwa erhalten. wenn wir Hans erst seine Wohnung verlassen und eine gewisse Wegstrecke zurücklegen sehen und plötzlich beobachten, wie er die Bäckerei betritt und Brot verlangt. In diesem Augenblick wissen wir nun, worauf die vorangegangenen Handlungen "abzielten" und beginnen, die unterschiedlichen von uns beobachteten Einzelhandlungen bzw. Verhaltenssequenzen als Mittel zur Erreichung dieses Zweckes und als einer komplexeren Handlung (Brot kaufen) zugehörig zu begreifen.) Beobachtbar ist lediglich, daß Hans sich zu seiner Mutter setzte und ebenfalls begann, Kartoffeln zu schälen. Nicht beobachtbar ist hingegen, daß er seiner Mutter beim Kartoffelschälen half. Die Beschreibung einer Handlung mithilfe des Verbs 'helfen' verlangt, daß wir Aussagen über die Beweggründe, die Motive des Handelnden treffen können. Für die adäquate Beschreibung der Handlung benötigen wir hier demnach in jeder Phase der Handlung zweierlei: Die Beobachtung der Körperbewegungen (Schälen) und die Kenntnis bestimmter Intentionen des Handelnden (Helfen). Handlung (4) ist ein Beispiel für einen Handlungstyp, der in der Literatur meist als 'Unterlassung' bezeichnet wird. Während im Fall der Handlungen (1)(3) die Beobachtung der (vom Handelnden selbst gesteuerten) Körperbewegungen als notwendige Bedingungeiner adäquaten Beschreibung der Handlung angesehen werden muß (im Fall von Handlung (I) sogar als notwendige und hinreichende Bedingung), kann davon bei Handlung (4) gänzlich abgesehen werden. Gefordert ist hier nun aber die Kenntnis der Intentionen des Handelnden. Der Handelnde muß die Ausführung 38 KURZE BEMERKUNGEN ZUM HANDLUNGSBEGRIFF der unterlassenen Handlung zumindest erwogen" und auf deren Vollzug bewußt (d.h. absichtlich) verzichtet haben. Allein auf diese Absicht (Intention) wird abgestellt, wenn wir von Unterlassung sprechen. Beispiel (4) liefert somit ein interessantesbeschreibungstheoretisches Gegenstück zu Beispiel (1), insofern, als bei Beispiel (1) die Beobachtung der (vom Handelnden selbst gesteuerten) Körperbewegungen als notwendige und hinreichende Bedingung für eine adäquate Beschreibung der Handlungangesehenwerdenmuß. Die Kenntnis der Intentionen des Handelnden hingegen ist dafür (zumindest dann, wenn man einen Begriff von Intention verwendet,der es zuläßt, daß eine Handlungintendiert, aber nicht ausgeführt werden könnte; dieser Begriff von 'intendieren' oder 'wollen' entsprichtdem allgemeinen Sprachgebrauchs) weder notwendig noch hinreichend. Bei Beispiel (4) ist es nun gerade umgekehrt, (Kenntnis der Intentionennotwendigund hinreichend, Beobachtung der Körperbewegungen wedernotwendig noch hinreichendj'' Unterlassungen werden (wenngleich ihre Behandlung auch große theoretische Probleme aufwirft")von Handlungstheoretikem für ge4'Erwägen' muß dabei in einem eher schwachen Sinn des Wortes verstanden werden. Es soll dafür nichts anderes verlangt werden, als daß der Handelnde sich zum Zeitpunkt der Unterlassung (oder zumindest zu jenem Zeitpunkt, zu dem er sich für die Unterlassung entschieden hat) bewußt war, daß ihm die Ausführung der Handlung zum Zeitpunkt der Unterlassung möglich war. SAlltagssprachlich sind etwa die beiden Aussagen 'Hans wollte nach Rom fahren' und 'Hans wußte. daß es, um nach Rom zu fahren, erforderlich ist, den Weg nach Rom zurückzulegen' mit 'Hans fuhr nicht nach Rom' logisch durchaus verträglich. (Zumindest dann, wenn man ergänzend hinzufügt, daß Hans damals schwer krank: war und das Risiko einer langen Reise nicht auf sich nehmen wollte.) Favorisiert man dagegen das Konzept eines rationalen Wollens, wie es etwa Mally, von Wright und Kant (vgl. etwa Kant (1983), p.46: "Wer den Zweck will, will auch das dazu unentbehrliche notwendige Mittel") vertreten, so muß, ordnet man 'Hans wollte nach Rom fahren' und 'Hans wußte, daß es, um nach Rom zu fahren, erforderlich ist, den Weg nach Rom zurückzulegen' als Prämissen in das Schema eines praktischen Syllogismus ein, 'Hans fuhr nicht nach Rom' als logisch damit unverträgliche Konklusion angesehen werden. Zur näheren Erläuterung siehe von Wright (1984), p.93ff. und von Wright (1976), p.61ff. ('wollen' und 'intendieren' werden dabei (etwa auch bei von Wright) meist gleichbedeutend verwendet.) 6Auch mit der Unterlassung einer Handlung können selbstverständlich Körperbewegungen verbunden sein. Diese Körperbewegungen (bzw. Handlungen) müssen jedoch in keinem erkennbaren Zusammenhang zur unterlassenen Handlung stehen und können mitunter auch völlig unterbleiben. 7Es stellt sich hier v.a. die Frage, welche Bedingungen Unterlassungen erfüllen müssen, um als Handlungen an- 39 ? gesehen werden zu können. Der hier gewählte Beispielsatz 'Hans half seiner Mutter nicht beim Kartoffelschälen, obwohl er sah, wie sehr sie sich dabei plagte' ist schon in einer Weise näher bestimmt, die einen Teil dieser Probleme vermeiden hilft Hans hat gesehen, daß seine Mutter sich beim Kartoffelschälen plagte. Es war ihm also durchaus bewußt, daß sie Hilfe bedurft hätte. Bei weitem nicht alle Unterlassungen (es sei denn, man schränkt den Begriff der Unterlassung auf diesen Typus ein) sind jedoch von dieser Art; es scheint aber kaum sinnvoll, jedes NichtausfOhren einer Handlung als Unterlassung und jede solche Unterlassung wiederum als Handlung zu bestimmen. Und doch wird diese Auffassung etwa von von Wright nahegelegt Bei von Wright lesen wir dazu: "Wie verhält es sich hier mit dem Wort 'nicht'? Bezeichnet 'nicht lesen' z.B. eine Handlung? Und wenn dies der Fall ist, welche Handlung? Ich würde die erste Frage bejahen [von Wright betont hier ausdrücklich, daß 'nicht lesen' eine Handlung bezeichnet (und diese nicht etwa nur bezeichnen kann), Bemerkung vom Verfasser, C.L.] und bei der zweiten Frage antworten: Die Handlung, die etwas künstlich als 'nicht lesen' bezeichnet wird, kann auf natürliche Weise als Unterlassung des Lesens in einer gegebenen Situation verstanden werden" (von Wright (1976), p.I07; Hervorhebungen im Original) Hierzu ist nun folgendes zu bemerken: Gewiß kann, wer liest, sich auch dazu entschließen, nicht zu lesen. Faßt er diesen EntschluB, d.h. richtet er sein Verhalten bewußt darauf aus, so scheint es zunächst wenig problematisch, dieses nicht lesen auch als Handlung zu deuten. (Zumindest dann, wenn man an den Begriff der Handlung nicht ausdrücklich die Bedingung beobachtbarer Handlungsfolgen knüpft; auch das wäre freilich zu diskutieren.) Nun führt man die Handlung nicht lesen aber immer dann aus, wenn man jede beliebige Alternativhandlung ausführt. In den meisten dieser Fälle faßt man aber nicht den bewußten Entschluß (bzw. bildet man nicht die Intention), nicht zu lesen, während man hingegen immer dann, wenn man liest, dies auch bewußt tun muß. Kurz gesagt: Man kann nicht unbewußt lesen, man kann jedoch sehr wohl unbewußt nicht lesen. Wollte man alle derartigen Unterlassungen nun ebenfalls zu den Handlungen rechnen, so hätte dies einen äußerst künstlichen, kontraintuitiven und praktisch kaum anwendbaren Begriff von Handlung zur Folge. der überdies auch noch zuließe, daß Handelnde in jedem Augenblick eine grundsätzlich unbegrenzte Anzahl an Handlungen gleichzeitig (!) ausführen. (Eine Redeweise, derzufolge eine grundsätzlich unbegrenzte Anzahl an Handlungen gleichzeitig ausgeführt werden kann, kann man (zumindest intuitiv) nur dann erlauben, wenn es sich dabei lediglich um unterschiedliche Beschreibungen einer Handlung handelt (etwa: 'Hans hob den rechten Arm', 'Hans erschreckte seine Tante', etc.), was in diesem Fall jedoch ausscheidet, da etwa mit 'nicht lesen' gar keine Handlung verbunden zu sein braucht. (Man kann sich - mit Watzlawick - zwar nicht nicht verhalten, man kann aber sehr wohl nicht handeln!» Ich möchte von Unterlassungen hier nur in einem engeren Sinn sprechen und dafür verlangen, daß der Handelnde die Ausführung der Handlung zumindest bewußt erwogen (und diese damit als Mittel zur Erreichung eines Zweckes) begriffen hatte. KRITERION wöhnlich zu den Handlungen gezählt (bzw. können in manchen Fällen dazu gezählt werden).Unterlassungen können (setzt man einmal voraus, daß es überhaupt Sinn macht, diesen Begriff hier anzuwenden) zu den einfachen Handlungengezählt werden, insoferndie dafür erforderlichenIntentionensich nicht wiederin Teilintentionen zergliedern lassen; sie kommen durch einen Willensentsehluß und nicht etwa durch eine Kette solcher Willensentsehlüsse zustande. Handlung (5) schließlichist der sonderbare Fall einer Handlung, die nicht in einer Körperbewegung (im Sinne einer beobachtbaren Verhaltensäußerung) besteht, für deren adäquate Beschreibung wir jedoch in einem gewissen Sinn auf die Beobachtung von Körperbewegungen in einer eher weiten Bedeutung (die etwa auch sprachliche Äußerungen mit einschließt) angewiesen sind. Die Intentionen des Handelnden liefern hier kein für eine adäquateBeschreibung der Handlung brauchbares Kriterium (denn es wäre denkbar, daß Hans die Wurzel aus 144 zwar ziehen wollte, sich des mathematischen Verfahrens des Wurzelziehens jedoch nicht mehr entsinnen konnte), obwohl die Intention, die Wurzel aus 144 zu ziehen - im Gegensatz zu Körperbewegungen - zum Ausführen der Handlung notwendig ist. (Man kann die Wurzel aus 144 gewiß nicht im Kopf ziehen, ohne das auch ausdrücklich zu wollen.) Für die adäquate Beschreibung der Handlung ist die Kenntnis einer Intention gleichwohl notwendig,jedoch erst in Verbindung mit einer (ebenfallsdafür notwendigen) Korperbewegung hinreichend'', Ob wir es hier mit einer einfachen oder eher mit einer komplexen Handlung zu tun haben, ist schwer bestimmbar. (Um diese Frage einigermaßen klar beantworten zu können, wäre es v.a, auch nötig, den Begriff der isolierten Ausführbarkeit für Operationen auf unterschiedlichem mentalen Organisationsniveau zu spezifizieren.) Läßt man die Ergebnissedieser kurzenUntersuchung noch einmal revue passieren, so fällt folgendes auf: 1) Für jede der angeführten Handlungen kann eine adäquate Beschreibung immer unter Rückgriff auf die Intentionen und/oder Körperbewegungen des Handelnden.gegebenwerden. 2) Weder Intentionen noch Körperbewegungen sind in jedem der betrachteten Fälle notwendig oder hinreichend oder notwendig und hinreichend für eine adäquate Beschreibung der Handlung. Die Kenntnis der Körper8Sagt Hans plötzlich 'zwölf', so kann ich diese Verhaltensäußerung erst dann zur Beschreibung der Handlung 'Hans zog im Kopf die Wurzel aus 144' heranziehen, wenn ich weiß, daß Hans auch intendierte, die Wurzel aus 144 zu ziehen. Ohne Kenntnis dieses intentionalen Kontexts bleibt die Verhaltensäußerung völlig unverständlich. ~ bewegungen ist einmal notwendig, dann hinreichend, dann notwendig und hinreichend. Gleiches gilt für Intentionen. 3) Handlungsmerkmale (Intentionen/Körperbewegongen; siehe dazu auch Fußnote 9), die notwendig bzw. hinreichend für die Ausführung einer Handlung sind, müssen dies nicht notwendigerweise auch für deren Beschreibung sein. (Im Fall von Handlung (5) etwa sind Körperbewegungen für die Ausführung der Handlung nichtnotwendig, eine adäquateBeschreibung dieser Handlung kann auf deren Beobachtung jedoch nicht verzichten (d.h.: nur wenn die Handlung sich in Körperbewegungen äußert, kann sie auch adäquat beschriebenwerden);im Fall von Handlung (2) hingegen ist (zumindest nach vollständigem Vollzug der Handlung) die Kenntnis der Intentionen für eine adäquate Beschreibung der Handlungverzichtbar (d.h.der Handelnde braucht mir weder seine Intentionen geoffenbart zu haben, noch bin ich auf irgendein Wissen über seine Gewohnheiten oder die Beobachtung bestimmter Verhaltensregularitäten angewiesen; allein die bloße Beobachtung der wesentlichen Handlungsmerkmale berechtigt mich, den beobachteten Verhaltensäußerungen die Beschreibung 'Brot kaufen' zu geben), während sie für deren Ausführung notwendig sind.) Gibt es nun demnach keine Handlungsmerkmale'', auf die bei jeder adäquaten Beschreibung einer Handlung zurückgegriffen werden müßte, so folgt daraus freilich nicht, daß es sich hinsichtlich der Ausführung von Handlungen ebenso verhaltenmuß. Die neuere Handlungstheorie folgt hier mehrheitlich der schon klassischen Formel Dantos: "actions imply intentions" und sieht demnach die Bildung von Intentionen als notwendige Bedingung für das Ausführen von Handlungen an. Dies scheint in den Beispielfällen (2) - (5) auch durchausunproblematisch; die unter diesen Punkten angeführten Handlungen wären ohne intentionalen Hintergrund gewiß nicht vollziehbar. Im Fall von Beispielhandlung (1) aber ist eine gewisse Skepsis durchaus angebracht. In vielen Fällen heben wir etwa unseren rechten Arm, ohne uns vorher aus9Für den hier verwendeten Begriff 'Handlungsmerkmal' soll dabei folgendes gelten: Handlungsmerkmale lassen sich, je nachdem auf welchen Handlungsaspekt jeweils abgestellt wird, in 2 Klassen unterteilen: Die erste Klasse enthält die Intentionen des Handelnden (den inneren Aspekt der Handlung nach von Wright), die zweite Klasse enthält dessen Körperbewegungen (den äußeren Aspekt). Da weder Elemente der einen noch Elemente der anderen Klasse notwendig in einer jeden adäquaten Handlungsbeschreibung vorkommen müssen, kann es keine Handlungsmerkmale geben. die allen adäquaten Handlungsbeschreibungen gemeinsam sind. 40 J KURZE BEMERKUNGEN ZUM HANDLUNGSBEGRIFF drücklieh darauf besonnen zu haben, ihn auch heben zu wollen. Will man auch diese Fälle zu den Handlungen zählen, so steht man vor der Wahl, entweder unbewußte Intentionen zuzulassen oder das Kriterium der Intentionalität überhaupt aufzugeben. Sieht man Intentionalität (bzw. Zielgerichtetheit) und Bewußtheit des intentional vollzogenen Aktes als konstitutive Eiemente des Begriffs 'Handlung' an (diese Auffassung ist wahrscheinlich auch die am weitesten verbreitete; vgl. etwa Oldemeyer (1979), p.730, Schmalt (1984), p.525ff., Dömer (1985), p.74), so fallen derartige Fälle grundsätzlich aus dem Rahmen des mit 'Handlung' Beschriebenen heraus. Die alltägliche (sieht man 'Intention' als ein Wort der "gehobenen" Alltagssprache an) und wohl auch ein großer Teil der geläufigen (etwa psychologischen) wissenschaftlichen Verwendung des Ausdrucks 'Intention' verknüpft diesen mit den Begriffen'Absichtlichkeit', 'Willentlichkeit', 'Bewußtheit' und legt damit (will man auf Intentionalität als notwendige Bedingung für die Identifikation von Handlungen nicht verzichten) eine derartige Ausgrenzung auch nahe. Es wäre aber auch denkbar, den Begriff der Intentionalität soweit abzuschwächen, daß er nur mehr die bloße Organisation des Handeins (die Wahl der Mittel in Hinblick auf die Erreichung eines bestimmten Zweckes) betrifft, ohne damit Forderungen in Hinblick auf die Art des Bewußtseinszustands des handelnden Subjekts zum Zeitpunkt des Vollzugs der Handlung zu verknüpfen (Intentionalität in diesem Sinn könnte man etwa auch den Aktivitäten von Tieren zusprechen) und das Postulat der Bewußtheitlediglich auf die Forderung, eine unbewußt vollzogene .Handlung müsse, soll sie auch wirklich als Handlung gelten, grundsätzlich bewußtgemacht werden können, einschränken. Eine große Zahl an tagtäglichausgeführten Gewohnheitshandlungen oder etwa auch anfänglich bewußt zielgerichtet begonnene komplexe Handlungen, deren eigentlichen Zweck der Handelnde im Lauf des Vollzugs der Handlung vergessen hat, sie aber dennoch, der ursprünglichen Intention folgend, fortführtl'', lOEin derartiger Fall wäre etwa dann gegeben, wenn jemand ein bestimmtes Buch sucht, im Ausführen dieser Handlung aber plötzlich vergißt, was seine Körperbewegungen bezwecken, und dennoch alle diese Körperbewegungen erkennen lassen, daß ein Buch (oder ein ähnlicher Gegenstand) vom Handelnden gesucht wird. (Etwa indem der Handelnde nur an bestimmten Orten bestimmte Gegenstände, die etwa einen anderen Gegenstand von der Größe eines Buches bedecken könnten, hochhebt, etc.) Gerät der gesuchte Gegenstand kurz danach ins Blickfeld des Handelnden, so kann sich dieser in der Regel auch darauf besinnen, welcher Intention seine Körperbewegungen folgten. 41 könnten damit noch in das Konzept 'Handlung' integriertwerden. Auch damit können nun aber freilich nicht alle menschlichen Aktivitäten des Typs Arm heben in jedem Fall zu den Handlungen gezählt werden. (Ann heben kann etwa auch eine bloße auch in diesem schwächeren Sinn von 'Intentionalität' unintentional initiierte Reflexbewegung bezeichnen; in einem derartigen Fall wäre es jedoch bestimmt völlig verfehlt, von einer Handlung, die die betreffende Person ausgeführt hätte, zu sprechen.) In vielen Fällen könnte aber eine Prüfung durchaus ergeben, daß die betrachtete Person unbewußte Intentionen gebildet hat und ihre als Arm hebenbeobachtbare Körperbewegung zu den Handlungen zu rechnen ist. Als ein wesentliches Spezifikum des Beispielsatzes (1) im Unterschied zu den Beispielsätzen (2) - (5) bleibt demnach nun aber festzuhalten. daß die in (1) gegebeneBeschreibungdie Beschreibung einer Handlung sein kann, während die in (2) - (5) gegebenenBeschreibungen Beschreibungen von Handlungen sein müssen. I 1 Der Handelnde hat hier am Beginn der Handlung eine Intention bewußt gebildet; diese Intention ist im Verlauf der Handlung jedoch ins Unbewußte abgeglinen. Die Intentionen des Handelnden waren diesem im Zeitraum des Ausführens der Handlung demnach nur zum Teil bewußt Denkbar wären nun wahrscheinlich durchaus auch Fälle, in denen ein Handelnder Intentionen schon von Anfang an unbewußt gebildet hat und diese sich erst nach Vollzug der Handlung bewußt macht. 11Diese Beobachtung scheint mir im übrigen alle Beschreibungen von einfachen Handlungen und damit auch von Basis-Handlungen, sofern deren Ausführung in einer Körperbewegung besteht, zu betreffen. Intentional sind freilich alle diese Handlungen, sofern es sich dabei auch wirklich um Handlungen handelt. Die Zweck-Mittel-Beziehung ist dabei jedoch niemals auch eine handlungsinterne Relation. (Wie dies etwa bei komplexen Handlungen, die in der koordinierten Ausführung einfacher Handlungen in Hinblick auf deren Funktion als Zwecke oder Mittel im Handlungsganzen bestehen, der Fall ist. - Die einfache Handlung die Geldbörse einstecken könnte etwa als Teil der komplexen Handlung Brot kaufen auch ein Mittel zur Erreichung des Handlungszieles, d.h. zur Erreichung des letzten Gliedes in der Kette der Einzelhandlungen sein.) Der Zweck liegt hier vielmehr ausschließlich außerhalb der Handlung selbst; die Handlung ist ein Mittel, diesen Zweck zu erreichen. (Hans bob seinen rechten Arm, um seine Tante zu erschrecken.) Stellt die Beschreibung einer einfachen Handlung nicht explizit auf den beabsichtigten Zweck ab (um... zu..• ), dann läßt sich allein dieser Beschreibung noch nicht entnehmen, ob wir es dabei auch wirklich mit einer Handlung (oder etwa bloß mit einer Reflexbewegung o.ä.) zu tun haben. Die Beschreibung komplexer Handlungen hingegen läßt diese Möglichkeit nicht offen, weil allein schon die handlungsinterne Zweck-Mittel-Relation die Bedingung der Intentionalität sichert. (Gleiches gilt freilich auch für einfache KRITERION Intentionalität soll, sofern sie als wesentliche (notwendige) Bedingung für die Identifikation von Handlungen angesehen wird, nun aber nicht nur die Einheit der Klasse der Handlungen, sondern auch die Einheit der in dieser Klasse versammelten einzelnen Handlungen selbst sichern. Eine komplexe Handlung. so wird argumentiert, wird deshalb als komplexe Handlung und nicht bloß als Aufeinanderfolge mehrerer einfacher Handlungen angesehen, weil es in allen Fällen komplexer Handlungen eine Intention gibt, welche die die jeweilige komplexe Handlung konstituierenden einfachen Handlungen als unter dieser Intention stehend begreiflich macht und die einzelnen Teile einer Handlung so zu einem organischen Ganzen zusammenschmiedeL Bei von Wright lesen wir dazu: "Zu beachten ist, daß die Einheit des äußeren Aspekts einer Handlung nicht durch die kausale Verbindung zwischen ihren verschiedenen Phasen zustandekommt. Sie kommt vielmehr durch die Subsurnption dieser Phasen unter die gleiche Intention zustande. Die vorhergehenden und die darauffolgenden Phasen werden dadurch zu Teilen des äußeren Aspekts derselben Handlung, daß man von ihnen allen sagen kann, daß sie unter den und den vorliegenden Umständen intentional getan werden." (von Wright (1984), p.8?) Was es nun aber heißen soll, die "Einheit des äußeren Aspekts einer Handlung" käme durch die "Subsumption" ihrer Phasen "unter die gleiche Intention" zustande, ist durchaus nicht klar. Bei bloß einfachen Handlungen entstehen noch keine größeren Probleme. Die Phasen solcher Handlungen (sofern man bei einfachen Handlungen von Phasen sprechen möchte) stehen zueinander nicht im Verhältnis von Zweck und dazu gewähltem Mittel, es ergibt sich daher nicht das Problem, unabhängig voneinander intendierbare Handlungsteile zu einem intendierten Ganzen zu synthetisieren. (Wenn ich etwa meinen rechten Arm um 90" heben möchte, so ist es zwar in einer bestimmten Redeweise wohl richtig zu sagen, ich müsse ihn erst um 45" gehoben haben, und somit von unterschiedlichen Phasen dieser Handlung zu sprechen. (Die Unterscheidung dieser Phasen wäre dabei freilich völlig willkürlich. - Phasen einfacher Handlungen können nicht wieder selbst einfache Handlungen sein.) Die zweite Phase könnte aber nicht unabhängig von der ersten in- tendiert werden, vielmehr wird die erste Phase in der zweiten "automatisch" mitintendiert.) Betrachtet man nun jedoch komplexe Handlungen und faßt man dabei die sie konstituierenden einfachen Handlungen als deren Phasen auf (was freilich auch mehr Sinn zu machen scheint. als von den Phasen einfacher Handlungen zu sprechen), so stellt sich bald folgendes Problem: Betrachtet man die komplexe Handlung Brot kaufen als Abfolge von einfachen Handlungen. die sich über einen bestimmten Zeitraum erstrekken (beginnend mit der ersten einfachen Handlung, die als Einsatz des ersten Mittels zur Erreichung des Handlungsendzweckes aufgefaßt werden könnte (etwa: Hans erhebt sich von seinem Stuhl, um Brot kaufen zu gehen) und endend mit der letzten einfachen Handlung, die den Handlungszweck vollständig verwirklicht (etwa: Hans nimmt in der Bäckerei das bezahlte Brot entgegen». so muß man dabei auch in Rechnung stellen, daß nicht alle Handlungen, die Hans in diesem Zeitraum ausführt (dabei kann es sich auch um komplexe Handlungen handeln, die in die komplexe Handlung Brot kaufen verschachtelt sind), unbedingt Mittel zur Erreichung des Handlungszweckes sein müssen. (Hans kann auf dem Weg etwa einen Freund treffen. Grüßt er ihn. so tut er das nicht. um Brot zu kaufen (weil er intendiert, Brot zu kaufen).) Um etwas bildhafter zu sprechen: Hat man die Vorstellung, alle eine komplexe Handlung konstituierenden Teilhandlungen müßten untereinander durch ein "intentionales Band", das die einzelnen einfachen Handlungen miteinander verknüpft und jede dieser einfachen Handlungen als in Hinblick auf eine "Generalintention" und damit auch als Mittel zur Erreichung des Handlungsendzweckes ausgeführt begreiflich werden läßt, verbunden sein, so muß man dabei zugestehen. daß dieses "intentionale Band" an manchen Stellen unterbrochen sein kann, um dann jedoch wieder aufgenommen zu werden. l 2 Stellt man 12Eine jede komplexe Handlung kann eine nicht näher bestimmbare Anzahl für die Erreichung des Handlungszieles irrelevanter (einfacher oder komplexer) Handlungen enthalten (und enthält diese in der Regel auch). Unsere Neigung, von einer einheitlichen komplexen Handlung zu sprechen, hängt wahrscheinlich wesentlich von der Anzahl dieser irrelevanten Handlungen ab. Ob eine Handlung für die Erreichung eines Handlungszieles irrelevant ist, kann leicht mithilfe der Frage: 'Kann man darauf vergessen?' bestimmt werden. So kann ich, wenn man sagen können soll, ich ginge Brot kaufen, etwa darauf vergessen, einen Freund zu grüßen. Nicht vergessen kann ich hingegen darauf, den Weg zur Bäckerei zurückzulegen, in der Bäckerei zu bekunden, daß es Brot ist, das ich kaufen möchte, oder das erhaltene Brot auch zu bezahlen. (Daß ich den Weg dorthin zurücklege, ist eine notwendige Bedingung, welches Mittel ich dafür einsetze, notwendiger Teil einer hinreichenden Bedingung.) Handlungen, deren Vollzug vollständig in der Bildung von Intentionen besteht, wie es etwa bei Unterlassungen der Fall ist. Auch die Beschreibung einer Unterlassung (i.e.S.) kann etwa nicht fälschlicherweise als Beschreibung einer Nicht-Handlung (etwa einer Reflexbewegung) genommen werden, weil der Handelnde im Fall von qualifizierten Unterlassungen (i.e.S.) den Mittel-Charakter der unterlassenen Handlung bewußt erwogen haben muß.) 42 KURZEBEMERKUNGEN ZUM HANDLUNGSBEGRIFF sich nun auf den Standpunkt. alle an diesen Bruchstellen ausgeführtenHandlungen müßtenaus dem Begriff einer einheitlichenkomplexen Handlungausgesondert werden.dann erhält man als Konsequenz einen Begriff von 'komplexe Handlung', dessen Instanzen kaum je auf von realen Menschen ausgeführte und im Alltag als 'Handlungen' bezeichnete Vollzüge angewandt werden können. Die Bedingung,die von Wrightan Handlungsphasen, sofern sie als "Teil des äußeren Aspekts derselben Handlung" aufgefaßt werden sollen, stellt, daß man "von ihnen allen sagen kann, daß sie unter den und den vorliegenden Umständen intentional getan werden". ist hier durchaus erfüllt. bloß ist es nicht immer die gleiche Intention. die für die Ausführung derartiger Teile derselben komplexen Handlung maßgeblich ist Es könnte auch nicht befriedigen. die "Subsumption dieser Phasen unter die gleiche Intention" im Sinne der Angabe eines Endzieles. das jemand innerhalb eines bestimmten Zeitraums anstrebt. zu verstehen. (Hans hat Paul zwar gegrüßt, sein Endziel aber war es, Brot zu kaufen) In diesem Sinne wäre etwa auch Studieren (d.h. das Absolvieren eines akademischen Studiums) eine Handlung; es scheintjedoch weit sinnvoller (und entspräche überdies dem alltäglichen Sprachgebrauch). Studieren nicht als Handlung,sondernals Zustand. in dem sich jemand befindet, aufzufassen. ('Hans studiert' ist alltagssprachlich äquivalent mit 'Hans ist Student'; 'Hans kauft Brot'. 'Hans hebt den Ann' kann hingegennicht durch 'Hans ist Brotkäufer', 'Hans ist Armheber' wiedergegeben werden.) Schließlich braucht das "intentionaleBand" auch kein zeitlich klar festgelegtes Ende zu haben. Brot kaufen könnte theoretisch auch 5 Jahre beanspruchen. Wenn wir die Frage. ob Brot kaufen eine Handlung ist. bejahen, so 43 tun wir dies nur aufgrund der Erfahrung, daß der dafür in Anspruchgenommene zeitliche Rahmen in der Regel überschaubar ist und das Handlungsziel daher auch (in allen wesentlichen Handlungsabschnitten) präsent bleiben kann. Eine klare Abgrenzung von (einheitlichen komplexen) Handlungen und Zuständen in diesem Sinn einer über einen längeren Zeitraum sich erstrekkenden und mit den unterschiedlichsten Tätigkeiten ausgefilllten Beschäftigung kann es aber nicht geben. LI1ERATUR Dörner, D., "Verhalten und Handeln". in: Dömer, D.; SeIg, H. (Hrsg), Psychologie. Stuttgart, 1985, p.73-86. Danto, A.C., "Basis-Handlungen". in: Meggle, G. (Hrsg), Analytische Handlungstheorie. Frankfurt a.M.• 1985. p.89-110. Kaut, 1.. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Kant-Ausgabe von Wilhelm Weischedel Bd.6, Dannstadt, 1983. Oldemeyer, E.: "Handeln und Bewußtsein". in: Lenk. H. (Hrsg), Handlungstheorien - Interdisziplinär, Bd. 2,2, München, 1979, p.729-764. Schmalt, H.-D.• "PsychologischeAspekte einer Theorie der Handlung", in: Lenk, H. (Hrsg), Handlungstheorien <Imerdissiplinär, Bd. 3,2, München. 1984. p.517-546. von Wright, G.H., "Handlungslogik", in: von Wright. G.H., Handlung, Norm und Intention, Berlin, 1976. p.l05-118. von Wright, G.H., Erklären und Verstehen. Königstein/Ts.• 1984. KRITERION DIE AUTOREN HERWIG GOTIWALD: geb. 1957; studierte Deutsche Philologie und Geschichte; Anschrift: Kreuzplatz 24, A-4820 Bad Ischl. ALEXANDER HIEKE: geb. 1964; studierte Philosophie und Geschichte; Anschrift: Franziskanergasse I, A-5020 Salzburg. WOLFGANG SCHREMPF: geb. 1963; studiert Philosophie sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaften; Anschrift: Glaserstraße 30a. A-5026 Salzburg. PETER KALmA: geb. 1958; studierte Philosophie und Sprachwissenschaft; Anschrift: Linzer Gasse 34, A-5020 Salzburg. BERNARD SAMS: geb. 1964; studiert Philosophie und Politikwissenschaft; Anschrift Alexander-Girardi Strasse 42, A-5020 Salzburg. MARC-OLIVER SCHUSlER: geb, 1968; studiert Philosophie und Deutsche Philologie; Anschrift: Kotzmannstraße I, A-4490 St, Florian. CHRISTOPH LANDERER: geh. 1966; studiert Philosophie und Psychologie; Anschrift: Gen-Arnold Straße 4, A-5020 Salzburg. I I j 44 .1