Starthilfe Das Vermächtnis von Gustave Trouvé: Die Markteinführung der Elektromobilität in einer modernen Welt 14 Performance Ausgabe 1.2011 Performance Ausgabe 1.2011 15 Foto: ampnet Wie kann das Marketing heute Elektrofahrzeuge auf dem Markt positio­nieren und wie können sie sich durchsetzen? Wer sind die Erstkäufer und wie sieht der optimale Marketing-Mix aus, um die Zielgruppe anzusprechen? In diesem Artikel wird eine Mehrphasen-Strategie zur Marktpositionierung von Elektro­ fahrzeugen erläutert. Dazu werden die Produkteigenschaften von Elektro­ fahrzeugen, die Kunden­bedürfnisse und andere Marktkräfte näher betrachtet. Foto: ampnet Die Zeichen stehen auf Elektromobilität Im vergangenen Jahr entschied die EU, dass im Jahr 2012 die CO2-Emissionen von 65 % der neuen Pkw eines europäischen Fahrzeugherstellers im Durchschnitt 130 g/km nicht übersteigen dürfen. Das gesetzte langfristige Ziel besteht darin, die durchschnittlichen CO2-Emissionen der euro­ päischen Flotte auf 95 bis 110 g/km zu reduzieren. Die Bundesregierung hat sich selbst das Ziel gesetzt, eine Million Elektrofahrzeuge bis 2020 bzw. fünf Millionen bis 2030 auf Deutschlands Straßen zu bringen. In den USA wurden bereits in großem Umfang Investitionen in Elektromobilität getätigt – dies geschah als direkte Reaktion auf das „Zero Emission Mandate“ der kalifornischen Regierung in den Neunzigerjahren. Es verlangt, dass ein wachsender Prozentsatz der Umsätze eines jeden größeren Fahrzeugherstellers in Kalifornien mit Null-Emissions-Fahrzeugen erzielt wird. Im Jahr 2008 setzte der kalifornische Autoproduzent Tesla Motors neue Maßstäbe für Elektrofahrzeuge mit der erstmaligen Produktion eines Pkw, der ausschließlich durch Energie aus Lithium-Ionen-Batterien ange- 16 Performance Ausgabe 1.2011 trieben wird. Die chinesische Regierung verkündete kürzlich aus gleichen Motiven, China binnen drei Jahren als weltweit führenden Hersteller von Elektrofahrzeugen zu positionieren; Zweiräder mit Benzinantrieb wurden schon seit den späten Neunzigerjahren in vielen chinesischen Städten verboten. Daraufhin sahen sich die führenden Fahrzeughersteller weltweit und auch potenzielle neue Marktteilnehmer wie AkkuHersteller oder Energieversorger motiviert, in innovative Fahrzeugtechnologien auf Basis alternativer Brennstoffe zu investieren und innerhalb der nächsten drei Jahre mit der Produktion elektrischer Pkw in Serie zu gehen. Es scheint fast so, als könnte sich Elektromobilität innerhalb der nächsten zehn Jahre endgültig auf dem Massenmarkt durchsetzen. Voraussetzung ist, dass die aktuellen technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen gemeistert werden, sich eine hinreichen­de Infrastruktur für Energieversorgung entwickelt und potenzielle Kunden die neuen Mobilitätsmodelle annehmen. Aus der Verbraucherperspektive betrachtet haben Elektrofahrzeuge jedoch nach wie vor Nachteile im Vergleich zu den traditionellen Verbrennungsmotoren, die mit Benzin oder Diesel angetrieben werden. Außerdem ist der Einsatz von Elektrofahrzeugen durch die unzureichende Infrastruktur zur Wiederaufladung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur eingeschränkt möglich. Zudem verunsichert die fehlende Erfahrung mit der neuen Technologie potenzielle Kunden noch. Ein technologisch anspruchsvolles Produkt ist kein Selbstläufer. Abgesehen von politischer Unterstützung ist auch ein geschicktes Marketing notwendig, damit das Produkt angenommen wird und sich auf dem Markt durchsetzt. Die Hersteller von Elektro– fahrzeugen müssen ihre Marketingstrate– gien zudem an die lokalen Marktanforderungen anpassen. Die folgende Analyse befasst sich zunächst mit dem europäischen Markt, um im Anschluss Unterschiede zu den USA und China im Detail näher zu beleuchten. / Fokus / Starthilfe Wie gewinnt man den Kunden von morgen schon heute? Europa Kundenanforderungen und Marktdurchdringung Nutzer vergleichen ein neues Produkt üb– licherweise mit ihnen bereits bekannten Produkten und wägen entsprechend ihren Anforderungen und Wünschen die Vorund Nachteile ab. Während viele Kunden bei den traditionellen Produkteigenschaften wie Leistung, Komfort und Preis wahrscheinlich keine Abstriche machen, sprechen andere auf die Umweltfreundlichkeit eines Pkw spontan an. Foto: Thinkstock Verständnis der Produkteigenschaften Um mit einem neuen Produkt auf dem Markt Erfolg zu haben, sind Produkteigenschaften und die Kundenanforderungen zu untersuchen und aufeinander abzustimmen. So ist das Wiederaufladen von Elektro­fahrzeugen in vielen europäischen Ländern relativ preisgünstig, die Lebensdauer von Elektro- wesentlich länger als die von Verbrennungsmotoren und der Aufwand für die Wartung des Motors minimal. Nachteile von Elektrofahrzeugen sind jedoch eingeschränkte Reichweiten und niedrigere Geschwindigkeit, relativ lange Wiederaufladezeiten, geringere Zuladekapazität und voraussichtlich hohe Anschaffungskosten. Ein Vorteil für die Umwelt ist der deutlich geringere Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen, besonders wenn der Lade– strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Die Emissionen von Elektrofahrzeugen hängen laut „Well-to-Wheel“-Analyse vor allem vom Energiemix am jeweiligen Standort ab und sind in Europa vergleichs­ weise gering (siehe Seite 24 Tabelle 1). Performance Ausgabe 1.2011 17 Statusorientierte Trendsetter mit hoher Kaufkraft in Cluster 1 sind in der Regel Sozialer Status/Kaufkraft hoch Potenzielle Erstkäufer ansteuern Um eine großflächige Verbreitung von Elektrofahrzeugen zu erreichen, muss das Marketing die potenziellen Erstkäufer ermitteln und seine Strategien von Anfang an auf diese Zielgruppe ausrichten. Automobilhersteller teilen potenzielle PkwKäufer auf der Grundlage von Lebensstil, Kernwerten sowie sozialem Status und Kaufkraft in verschiedene Cluster ein. gering Marktdurchdringung beginnt i. d. R. bei dem kleinen Kreis von Kunden, die sich als innovativ und visionär betrachten und als Erste an der neuen Entwicklung teil– haben wollen. Ihre Mobilitätsansprüche, Werte und ihr Lebensstil passen zu den Eigenschaften eines Elektrofahrzeugs, das für sie mehr Vorteile aufweist als ein Fahrzeug mit traditionellem Verbrennungs­ motor.1 Sobald eine stabile Basis zufriedener Kunden auf dem Markt existiert, werden Lernprozesse, bspw. durch Mundpropaganda, beschleunigt und daraufhin die Infrastruktur ausgebaut. Dies macht den Weg frei, um andere potenzielle Käufer positiv zu beeinflussen und ihnen die bestehende Unsicherheit zu nehmen. Der Nutzen, den viele anfangs zögernde Kunden vom Umstieg auf die neue Antriebstechnologie erfahren, nimmt schnell zu, wenn mehr Verbraucher ein solches Fahrzeug fahren. Daraus ergibt sich ein eigendynamischer „Nachbarschaftseffekt“. Eine kürzlich von Ernst & Young durchgeführte Verbraucherstudie ergab, dass 65 % der Befragten in Europa wahrscheinlich kein Plug-in-Hybrid-Fahrzeug oder Elektrofahrzeug kaufen, bevor es auf dem Markt etabliert ist.2 Cluster 3 Cluster 1 Verbraucher mit höherem sozialen Status, aber tradi­tio­ nelleren Werten können zu einem späteren Zeitpunkt zu potenziellen Kunden werden. Statusorientierte Trendsetter mit hoher Kaufkraft. In diesem Segment befinden sich viele Erstkäufer. Cluster 4 Cluster 2 Käufer mit traditionellen Werten und einem niedrigen sozialen Status, die wahrscheinlich das geringste Interesse am Kauf eines Elektrofahrzeugs haben. Trendbewusste, wandelorientierte, impulsive Käufer mit modernen Werten und niedrigem Einkommen sind in einer zweiten Phase der Zielgruppe zuzuordnen. traditionell Werte modern Abbildung 1: Grundeinteilung potenzieller Pkw-Käufer offen und urban und verhalten sich ökologisch und politisch korrekt. Für diese Kunden ist Konsum eine Ausdrucksform, und das Fahren eines Elektrofahrzeugs könnte als Statussymbol gelten und entspricht ihren Werten. Deshalb dürften diese Verbraucher gut auf Trend-Kampagnen ansprechen, die Elektromobilität als „MustHave“ oder als Technologie der Zukunft darstellen. Dank hoher Kaufkraft können sie auch den voraussichtlichen Mehrpreis für Elektrofahrzeuge bei Markteinführung zahlen. Dieses Cluster enthält somit wahrscheinlich viele Erstkäufer und sollte vom Marketing zuerst adressiert werden. geringerer Kaufkraft adressiert man leichter zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Herstellungskosten sinken. In der zweiten Phase ist Cluster 2 die wichtigste Zielgruppe: Dazu gehören trendbewusste, wandelorientierte, impulsive Käufer mit modernen Werten, jedoch niedrigem Einkommen. Hier sollten auch junge Verbraucher mit Werten wie Coolness, Unterhaltung, Spaß und jugendlichem Esprit angesprochen werden, da sich mit ihnen eine langfristige Kundenbeziehung aufbauen lässt. Die preisbewussteren Kunden mit Ein Alleinstellungsmerkmal schaffen Elektrofahrzeuge nehmen aufgrund des derzeitigen Energiemix in Europa (siehe Tabelle 1 Seite 24) für die Verringerung der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen eine Schlüsselrolle ein. Daraus kann sich für Elektrofahrzeuge ein Alleinstellungsmerkmal ergeben, da der Umweltaspekt zusammen mit dem geringeren Kraftstoffverbrauch ein wesent­licher Faktor Die Verbraucher in Cluster 3 haben einen höheren sozialen Status und mehr Kaufkraft, aber traditionellere Werte. Sie können aufgrund des Nachbarschaftseffekts und veränderter Wahrnehmung zu potenziellen Kunden werden. Verbraucher in Cluster 4 mit traditionellen Werten, niedrigem sozialen Status und geringer Kaufkraft haben wahrscheinlich auch längerfristig das geringste Interesse, ein Elektrofahrzeug zu erwerben. 1 Zu den Erstkäufern von Elektrofahrzeugen gehören auch öffentliche Einrichtungen und umweltbewusste Firmen. Dieser Artikel konzentriert sich jedoch auf Privatkunden. 2 Ernst & Young: Gauging interest for plug-in hybrid and electric vehicles in select markets (2010), S.6. 18 Performance Ausgabe 1.2011 Foto: Thinkstock / Perspektiven + Trends / Private Equitisierung ist, um europäische Verbraucher zum Kauf eines Elektrofahrzeugs zu bewegen.3 Die Pkw-Eigentümer in Europa sind jedoch an Leistung und Komfort fortschrittlicher Verbrennungsmotoren gewöhnt. Weiterentwickelte konventionelle Fahrzeuge, darunter die gängigen Diesel- und Hybridmotoren, sind daher eine starke Konkurrenz. Für eine erfolgreiche Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen sind technologische und infrastrukturelle Verbesserungen sowie europäische Standardisierung nötig. Aufgrund geänderter Nutzen- und Präferenzerwartungen wird sich das Mobilitätsverhalten langfristig ändern. Beispielsweise werden Erstkäufer ein Elek­trofahrzeug vermutlich als Zweitwagen akzeptieren, der zunächst Testzwecken dient. Die aktuellen Elektrofahrzeug-Modelle haben ähnliche Eigenschaften wie verbrauchsarme Kleinwagen. Folglich sollten die ersten Fahrzeuge für Kunden in Cluster 1 Kleinwagen sein, was ohnehin den derzeitigen technischen Möglichkeiten entspricht. Sobald für die Verbraucher Elektrofahrzeuge auch als Erstwagen in Betracht kommen, können größere Modelle eingeführt werden. Extras, Sonderlackierungen und ­spezielle Designs, um sich von der Masse abzuheben, bieten Erstkäufern einen zusätzlichen Anreiz. Preisfestsetzung entspricht höherem Einkommen der ersten Zielgruppe Aufgrund hoher Ausgaben für Forschung und Entwicklung für Elektroantriebe sowie hoher Akkukosten planen Automobilhersteller für ihre ersten Elektrofahrzeuge einen Preiszuschlag im Vergleich zu Fahrzeugen mit gängigen Verbrennungsmotoren. Eine effizientere Produktion wird jedoch in Zukunft die Kosten senken, sodass die Elektromodelle preislich konkurrenz­ fähig werden. Der Preiszuschlag ist mit der Zielgruppe der ersten Phase vereinbar, die statusorientierte Kunden mit höherem Einkommen umfasst. Doch hält sich das er­forderliche finanzielle Engagement der Verbraucher in Grenzen, da zu Beginn Kleinwagen für eine Markteinführung empfohlen werden. Es lassen sich jedoch auch preisliche Vorteile vermarkten, wenn man die Kosten auf die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs rechnet und nicht nur die Anschaffungskosten berücksichtigt. Es wird Zuschüsse für den Kauf und die Nutzung von Produkten geben, die als umweltfreundlich gelten. Auch sind die Betriebskosten, die vor allem vom Strompreis abhängen, für den gesamten Lebenszyklus relativ gering. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sind aufgrund der hohen Benzinpreise im Betrieb vergleichsweise teurer. Für europäische Verbraucher, die die steigenden Ölpreise im Blick haben, ist dies ein Hauptargument für den Kauf eines Elektrofahrzeugs.4 Dieses Einspar­ potenzial sollte den Verbrauchern verdeutlicht werden. Den Wert vermarkten und hervorheben Eine Werbestrategie, die auf eine Marktdurchdringung der Elektrofahrzeuge abzielt, kann Alleinstellungsmerkmale von Elektrofahrzeugen in Europa hervorheben: Vorteile für die Umwelt und relativ niedrige Betriebskosten. Gleichzeitig sind auch andere Eigenschaften der Elektrofahrzeuge 3 + 4 Ernst & Young: Gauging interest for plug-in hybrid and electric vehicles in select markets (2010), S. 10. Performance Ausgabe 1.2011 19 Unzufriedenheit führen, indem sie beim Kunden zu hohe Erwartungen weckt, die sich mit den tatsächlichen Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen nicht decken. Wenn der Kunde das Elektrofahrzeug kennenlernen und es mit seinen individuellen Anforderungen abgleichen kann, beeinflusst das sein Kaufverhalten. Testmöglichkeit und Beobachtbarkeit gehören daher zu jeder Werbestrategie, um Verbrauchern die Unsicherheit zu nehmen. Dies lässt sich etwa durch Autovermieter, Probefahrten bei Händlern oder auch ein Leasing-Angebot umsetzen. Promotionsveranstaltungen, Apps für Handhelds und die Sichtbarkeit von zugelassenen Elektrofahrzeugen im Straßenverkehr werden erste Nutzer ansprechen und sie mit dem Produkt vertrauter machen. Der Kauf eines Elektrofahrzeugs sollte so einzigartig wie das neue Produkt sein. So vermitteln gesonderte Bereiche in den Autohäusern oder die Option der OnlineBestellung ein Kauferlebnis, das sich vom Erwerben eines gewöhnlichen Pkw abhebt. Foto: Siemens darzustellen, um einen langfristigen Wettbewerbsvorteil zu entwickeln. Elektrofahrzeuge sollten als Chance für die Umwelt wahrgenommen werden, Mobilität sowohl wirtschaftlich als auch umweltfreundlich zu gestalten. Sie können uns auf dem Weg zur verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien ein gutes Stück unterstützen. Das Marketing zielt darauf ab, potenzielle Käufer ausreichend zu informieren, damit sie die Vor- und Nachteile dieser neuen Technologie richtig einschätzen können. Doch darf die Werbestrategie nicht zu 20 Performance Ausgabe 1.2011 / Fokus / Starthilfe Gönne dir und der Umwelt was. Fahr elektrisch. Foto: Thinkstock USA Der Markt für Elektrofahrzeuge in den USA hat viele Gemeinsamkeiten mit dem in Europa: Es herrscht ein zunehmender Wett­bewerb zwischen Elektrofahrzeug-Her­ stellern in einem gesättigten Markt für kon­ventionelle Fahrzeuge, und die Verbraucher befassen sich nur zögerlich mit Elektro­ mobilität. Ein besonderes Hemmnis in den USA ist jedoch, dass viele Fahrer einen Pkw mit großer Reichweite und hoher Zuladekapazität benötigen. Anders als in Europa zählt hier die Kosteneinsparung durch das Betanken mit Strom anstelle von Kraftstoff nicht, da die Benzinpreise relativ niedrig sind. Andererseits sind die USA führend im Ausbau eines Netzes von Ladestationen für Elektrofahrzeuge und fördern umfangreich Forschung und Entwicklung alternativ betriebener Fahrzeuge. Für die USA wird eine ähnliche Marketing­ strategie wie für Europa empfohlen, einschließlich der Zielmärkte und der vier Instrumente des Marketingmix (Produkt, Preis, Platzierung und Promotion). Noch wichtiger als in Europa ist es allerdings, die Einschränkungen von Elektro­ fahr­zeugen bei Leistung und Infrastruktur abzubauen, um eine gute Ausgangslage für Elektromobilität zu schaffen. Auto­ mobilhersteller mit hoher Markenbekanntheit sollten im Sinne des Umweltschutzes auf Kunden einwirken und Elektrofahr­ zeuge fördern, damit Elektromobilität keine Nischentechnologie bleibt. Performance Ausgabe 1.2011 21 Die Zukunft fahren. Einen Schritt weiter sein. China Die Mehrheit der weltweit hergestellten Elektrofahrzeuge wird derzeit in China produziert und ist hauptsächlich für den chinesischen Markt bestimmt. Das Land fördert und kontrolliert den größten Teil der knappen Bodenschätze, die bei der Herstellung von Akkus für Hybridfahrzeuge und anderen Schlüsselkomponenten heu­tiger Elektrofahrzeuge benötigt werden. Die chinesische Regierung hat kürzlich den Plan bekannt gegeben, das Land bis 2012 als einen führenden Hersteller von Elektrofahrzeugen zu etablieren. Da nur ein gerin­ger Anteil der chinesischen Bevölkerung gegenwärtig einen Pkw besitzt und der Pkw-Absatz jährlich zweis­ tellig wächst, kann China eine Vorreiterrolle bei Elek­tromobilität einnehmen. Das Land kann die Sättigung des Marktes mit konven­tionellen Technologien überspringen, obwohl auch hier der Wettbewerb in diesem Bereich zunimmt. Es existiert ein nicht ausgeschöpftes Marktpotenzial durch Käufer, die das erste Mal einen Pkw erwerben und keine Erfahrung mit tradi­ tionellen Fahrzeugen haben. Bei der Umfrage in China äußerten 60 % der Befragten – fast fünfmal mehr als in anderen Ländern, einschließlich der USA und Deutschland – großes Interesse am Kauf eines Plug-in-Hybrid-Fahrzeugs oder Elek­ trofahrzeugs. Wie in an­deren Ländern muss auch hier die LadeInfrastruktur aufgebaut werden. Der günstige politische Hintergrund und die positive Einstellung chinesischer Verbraucher zur Elektromobilität machen es den Herstellern leichter, auf dem Markt Fuß zu fassen, als dies in Europa oder den USA der Fall ist. Die neue Technologie scheint sich im Bewusstsein vieler Verbraucher bereits verankert zu haben. Dies könnte dazu führen, dass Erstkäufer die Marktdurchdringung und die Eroberung von Kundenkreisen mit traditionelleren 5 Ernst & Young: Gauging interest for plug-in hybrid and electric vehicles in select markets (2010), S. 6. 22 Performance Ausgabe 1.2011 und weniger westlich orientierten Werten beschleunigen können. Dem Marketing bieten sich viele Möglichkeiten, Wahrnehmung und Erwartungen der Kunden durch Kommunikations- und Werbemaßnahmen noch positiver zu gestalten. Um sich einen Anteil an diesen großen Marktchancen zu sichern, sollte man zunächst Verbraucher der Cluster 1 und 2 ansprechen. Dabei gilt es, den Kundenanforderungen gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass ihre tatsächlichen Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen sich mit den Erwartungen decken. Das Nutzen­versprechen muss von Anfang an realistisch sein. Vor allem ein glaubhaftes Nutzenversprechen wie etwa Umweltfreundlichkeit ist in China nicht so einfach wie in Europa, auch wenn viele Chinesen bei ihren Kaufentscheidungen ökologische Gesichtspunkte berücksichtigen. Wenn China seine traditio­nelle Abhängigkeit von Kohlekraftwerken / Fokus / Starthilfe Internationale Automobilhersteller und vor allem die deutschen haben noch einen anderen Wettbewerbsvorteil auf dem Elektrofahrzeug-Markt: Sie überzeugen mit hoher Qualität und trendigem westlichen Design, ähnlich wie auch auf dem chinesischen Markt für konventionelle Fahrzeuge. Trotz allem werden sich die einzelnen Marken oder Modelle auf in­tensiven Wettbewerb einstellen müssen. Marketing wichtig. Chinesische Verbraucher erwarten von der Werbung konkrete und nachweisbare Produktinformationen, die ihnen vor einer größeren Investition die Kaufentscheidung erleichtern. Der strategische Einsatz von Print- und Onlinemedien ist daher wichtig für eine erfolgreiche Werbekampagne. Auch Fernsehwerbespots und Anzeigen in Modema­ ga­zinen leisten in der ersten Phase gute Dienste bei der Vermarktung von west­ lichem Lebensstil und Qualität. Dasselbe gilt für individuelle Probefahrten und eine positive Mundpropaganda. Foto: ampnet bei der Stromerzeugung nicht verringert, lassen sich CO2-Emissionen durch Elektrofahrzeuge nur wenig reduzieren (siehe Tabelle Seite 24). Doch selbst beim der­ zeitigen Energiemix in China bieten Elektro­fahrzeuge eine Gelegenheit, Umwelt­ verschmutzung zu bekämpfen und Mega­ städte wie Shanghai und Peking zu ent­ lasten. In Bezug auf Kraftstoffkosten lässt sich der Vorteil der Elektrofahrzeuge gegenüber den benzinbetriebenen Pkw schwer einschätzen, da die chinesische Regierung die derzeit niedrigen Benzinpreise möglicherweise erhöht, damit Elektrofahrzeuge für Verbraucher attraktiver werden. Wie in Europa sollten zu Beginn eher Kleinwagen angeboten werden – nicht nur wegen der technischen Einschränkungen, sondern auch, um den Mobilitätsanfor­ derungen auf Chinas Straßen gerecht zu werden und Elektromobilität für Verbraucher mit mittlerem Einkommen erschwinglich zu machen. Da die Regierung den Kauf eines Elektrofahrzeugs mit hohen Zuschüssen belohnt, könnte ein verbleibender Preiszuschlag bei der Markteinführung akzeptiert werden, vor allem bei den Angeboten führender Hersteller. Glaubwürdigkeit und inhaltliche Substanz des Nutzenversprechens sind auch für das Performance Ausgabe 1.2011 23 Tabelle 1: Bedingungen für die Marktdurchdringung mit Elektrofahrzeuge in der EU, den USA und China EU USA China Infrastruktur Noch nicht vollständig standardisiert und umgesetzt. Nur einige wenige Vorreiter (wie Dänemark oder Finn­land) werden 2011 den Ausbau der Infrastruktur abgeschlossen haben. Die weltweit größte Einführung einer Elektofahrzeug-Infrastruktur mit tausenden Ladestationen wurde 2010 begonnen.5 Staatliche Energiekonzerne in China haben mit den Vorbereitungen zum Ausbau eines Netzes von Lade­stationen begonnen. Minderung des CO2-Ausstoßes durch EFs gegenüber konventionellen Verbrennungsmotoren auf Grundlage des aktuellen Energiemixes (Well-to-Wheel-Bilanz) ~ 50 %6 ~ 30 % (mehr Kohle und Gas) < 20 % (aufgrund von Chinas Ab­hängig­keit von Kohlekraftwerken bei der Stromerzeugung) Benzinpreise, Kohlendioxidsteuer Hoch Gering Sehr gering, werden vermutlich steigen Gesetzliche Regulierung • Zuschüsse für Käufer • Zuschüsse für die Herstellung • Klimaschutzvorschriften (CO2-Steuer) • EU-Richtlinie zur Senkung der durchschnittlichen CO2-Emissionen der in der EU zugelassenen Fahrzeuge • 1 Mio. Elektrofahrzeuge bis 2015 angestrebt7 Verbot benzinbetriebener Zweiräder in den Zentren verschiedener Städte • Führend in der staatlichen Förderung mit rund USD 27 Mrd. für Forschung und Entwicklung von mit alternativen Kraftstoffen betriebenen Fahrzeugen • Dasselbe Schicksal droht konventionellen Pkw, sobald Elektrofahrzeuge weithin verfügbar sind • Elektrofahrzeuge sind in einigen Ländern von verschiedenen Steuern befreit (z. B. in Dänemark) • Zuschüsse für Forschung und Entwicklung zu Elektrofahrzeugen • Zuschüsse von bis zu USD 8.800 für alle Hybridfahrzeuge oder reinen Elektrofahrzeuge Wettbewerbssituation • Ausgereifte Verbrennungsmotoren-, Diesel- und Hybridtechnologien • Ausgereifte Verbrennungsmotoren und Hybridtechnologien • Große Automobilhersteller haben eine Serienproduktion von Elektrofahrzeugen innerhalb der nächsten drei Jahre angekündigt • Elektrofahrzeuge 2010 in Serie gegangen • Nur 2 % der chinesischen Bevölkerung besitzen einen Pkw und 80 % der 2009 verkauften Pkw gingen an Erstkäufer • Die in China zugelassenen Fahrzeuge verzeichnen zurzeit zweistellige jährliche Wachstumsraten • Relativ kurze Strecken und geringe Geschwindigkeiten Kunden • Eher verwöhnt in Bezug auf Komfort und Qualität von traditionellen Pkw • Eher zögerliche Akzeptanz von Elektromobilität • Sehr großes Interesse am Kauf eines Elektrofahrzeugs • Umweltbewusstsein in bestimmten Clustern • Wenige potenzielle Erstkäufer • Bedeutender Bekanntheitsgrad der Elektrofahrzeuge • Abwartende Haltung www.voanews.com/english/news/american-life/Electric-Vehicles-Charge-Ahead-in-US-87825607.html www2.daimler.com/sustainability/optiresource/index.html 7 www.en.wikipedia.org/wiki/Electric_car_use_by_country 5 6 24 Performance Ausgabe 1.2011 / Fokus / Starthilfe Große Chancen, aber auch große Herausforderungen Als radikale Innovation bietet Elektromobilität große Chancen und Herausforder­ ungen für Pkw-Hersteller auf der ganzen Welt. In China, aber auch in der westlichen Welt, hat die Erfindung von Gustave Trouvé das Potenzial, endlich aus ihrem Nischendasein herauszutreten und Fahrt aufzunehmen, sofern die infrastrukturellen und technologischen Hemmnisse beseitigt und das Preis-Leistungs-Verhältnis verbessert werden können. Staatliche Förderungen, wie Zuschüsse oder Steuer­vorteile für Elektrofahrzeuge, sind dabei zwar nötig, reichen aber als Starthilfe für eine erfolgreiche Marktdurchdringung nicht aus. Wichtig ist auch, dass in abseh­barer Zeit keine überlegene dritte Technologie für die individuelle Mobilität ent­wickelt wird. Unter diesen Bedingungen muss das Marketing Kundenanforderungen und Nutzenverhalten genau kennen, um der Technologie zum Durchbruch zu verhelfen und sich auf dem wettbewerbsintensiven Elek­ trofahrzeug-Markt erfolgreich zu posi­tionieren. Etablierte Automobilhersteller sollten jedoch wissen, dass sie selbst unter günstigen Bedingungen und mit einer guten Marketingstrategie auf kurze Sicht kaum genug Elektrofahrzeuge verkaufen werden, um die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung, neue Produktionslinien und Akkus zu decken. Auch werden viele Unter­nehmen wegen des Kannibali­sier­ ungs­effekts innerhalb einer Produktreihe wahrscheinlich nicht den Umsatz mit Elektrofahrzeugen maximieren, sondern den profi­tabel­sten Technologiemix für eine Flotte herausfinden wollen, mit dem sich die Emissions­vorschriften erfüllen lassen. Doch gleich, ob Elektrofahrzeuge die tra­ ditionellen Verbrennungsmotoren langfristig ersetzen oder ergänzen – Elektrofahrzeuge müssen den Markt nachhaltig durchdringen, um die in der Anfangsphase unvermeidlichen Verluste auszugleichen. Es wird eine Herausforderung sein, das beste Zielverkaufsvolumen zu bestimmen – niedrig genug, um den Kannibalisierungseffekt zu kon­trollieren, und hoch genug, um den Schadstoffausstoß der Flotte ausreichend zu reduzieren, die Technologie auf dem Markt zu etablieren und Größenvorteile und Lerneffekte zu erzielen. Eine wirksame Marketingstrategie muss insgesamt auf wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit abzielen und an einer Geschäftsstrategie mit eben diesen Zielen ausgerichtet werden. Fazit Beratungsprojekt der GISMA Business School und Ernst & Young Die hier vorgestellten Empfehlungen wurden im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von der GISMA Business School und Ernst & Young für einen großen interna­ tionalen Automobilhersteller erarbeitet. Während des Projekts analysierten sechs Studenten des Vollzeit-MBA-Programms an der GISMA Business School den Markt für Elektrofahrzeuge und entwickelten Markteinführungs­strategien. Sie wurden begleitet von GISMA Univ.-Prof. Dr. Cornelia Schön sowie Jörg Hönemann, Dr. Marcel Hattendorf und Anne-Kathrin Beermann von Ernst & Young. Die Teilnehmer des Vollzeit-MBA-Programms können sich im Wahlbereich ihres Studienplans freiwillig für ein Beratungsprojekt entscheiden. Alle am Projekt beteiligten Studenten ver­ fügen bereits über einen Studienabschluss und haben durchschnittlich vier Jahre Berufserfahrung. Prof. Dr. Cornelia Schön: „Die Studenten konnten ihr theoretisches Wissen auf einen praktischen Fall anwenden und haben viel dazugelernt. Und unser Mandant profitierte von einer erstklassigen Beratungsleistung mit expliziten Handlungsempfehlungen.” Autoren MBA Studenten der GISMA Business School Hannover Tobias Fleischer Madhusudhan Goru Ali Gulsen Julia Herbst Jennifer Pflasterer Maria Sotirova Anne-Kathrin Beermann Manager, Advisory Services Ernst & Young Hannover Dr. Marcel Hattendorf Senior Manager, Advisory Services Ernst & Young Hannover Projektsponsor Univ.-Prof. Dr. Cornelia Schön Lehrstuhl für Operations Management GISMA Business School Hannover Jörg Hönemann Partner und Automotive Advisory Coordinator Deutschland, Österreich und Schweiz Ernst & Young Hannover Performance Ausgabe 1.2011 25