. Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in

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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
umgesetzt. Letzteres enthält im wesentlichen eine Zusammenstellung der bisherigen
arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente der Bundesregierung. Ein zusätzliches
Beschäftigungsprogramm auf Bundesebene oder eine Verschiebung der arbeitsmarktpolitischen Akzente wurde nicht beschlossen, vielmehr soll die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik unverändert beibehalten werden. Unzureichend sind sowohl die europäischen Beschlüsse als auch das Aktionsprogramm der Bundesregierung in bezug auf die wünschenswerte Arbeitszeitverkürzung. Die Bewältigung des
Alltags vor allem von Eltern setzt eine Neugestaltung der Aufgabenteilung innerhalb des Haushalts voraus und erfordert deshalb eine Flexibilisierung und Verkürzung der Erwerbszeiten sowohl von Frauen als auch von Männern. Wünschenswert
wäre eine Regelung, die zum Zweck der Betreuung von Kindern ein Recht auf Teilzeitarbeit und flexible Erziehungszeiten einräumt. Hierzu sollte die Europäische
Richtlinie zum Elternurlaub baldmöglichst in nationales Recht umgesetzt werden.
Überdies ist eine verbesserte Infrastrukturausstattung hinsichtlich der externen Kinderbetreuungsmöglichkeiten erforderlich. Ein flächendeckendes, qualitativ hochwertiges ganztägiges Betreuungsangebot für Kinder aller Altersgruppen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen
und Männer.
Effektivität des HandeIns führen, indem die Zielerreichung überprüft und die Wirkung in Relation zu den eingesetzten Ressourcen gesetzt wird. Wirkungen können
in diesem Sinne auch als" Effekte" bezeichnet werden. Die erzielten Wirkungen können dabei unter qualitativen oder unter quantitativen Aspekten betrachtet werden.
Unter sozialarbeiterisch-fachlicher Perspektive ist schließlich eine Bewertung des
analysierten Ergebnisses als Erfolg oder Mißerfolg möglich, die dann u. a. zur Verbesserung und Weiterentwicklung der fachlichen Arbeit führen kann. Diese Perspektive soll den vorliegenden Aufsatz bestimmen.
.Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von
Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
Von Dipl.-Soz. Päd. Flemming Hansen, Kassel
1. Einleitung
Es ist "in", Erfolge zu messen. Die soziale Arbeit schickt sich in jüngster Zeit in besonderem Maße an, ihre Wirksamkeit, die dem eigenen Selbstverständnis nach (und
wahrscheinlich auch in der Realität) immer da war, nun auch durch Messung zu beweisen. Diese Entwicklung zeigt sich in der umfangreichen Literatur und in vielen
Praxisprojekten zu den Themen Evaluationsforschung, Selbstevaluation, pädagogisches Controlling und Qualitätsmanagement. Der Begriff "Erfolg" ist dabei nur eine
Facette der im Rahmen dieser Zielsetzungen verwendeten Terminologie. Erfolge
(oder Mißerfolge) können nur dann beurteilt werden, wenn die Wirkungen des Handelns analysiert wurden. Das in einer solchen Analyse erlangte Wissen kann nun verschiedenartig genutzt werden: In Anlehnung an betriebswirtschaftliche Vorgehensweisen und der entsprechenden Begrifflichkeiten kann es z. B. zur Bestimmung der
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Hintergrund für die augenblickliche Welle von Konzepten der Wirkungsanalyse
sind die Ökonomisierung Sozialer Arbeit und insbesondere die Diskussion und Einführung Neuer Steuerungsmodelle, welche die öffentliche Verwaltung geradezu
"überrollt" (MeinekelMeyer 1997, S. 39). Wir erleben derzeit eine ökonomische und
gesellschaftliche Entwicklung, die dazu führt, daß immer mehr vormals als "öffentlich" angesehene Aufgaben privatisiert oder zumindest der Marktlogik unterworfen
werden. Auch die Soziale Arbeit wird von dieser Entwicklung berührt. Da ist von
"Produkten" die Rede, die auf.einem "Markt" sozialer Dienstleistungen dem "Kunden" angeboten werden. Das Marktgeschehen verlangt aber vorrangig nach wirtschaftlicher Effizienz, und dementsprechend bleiben die Effektivität, die qualitativen Wirkungen und Erfolge, kurz der "outcome" in der Fachdiskussion und in den
Ansätzen der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung
(KGSt) häufig noch ohne angemessene Berücksichtigung (vgl. ebd., S. 45 f. und
Brülle u. a. 1996, S. 187 f.). Vor diesem Hintergrund erfüllen die Bestrebungen der
Sozialen Arbeit, ihre Erfolge vermehrt darzustellen, eine wichtige Funktion. Verfahren der Wirkungsanalyse können zur fachpolitischen Ergänzung der Neuen
Steuerungsmodelle genutzt werden
An dieser Stelle ergeben sich jedoch einige Fragen, die einer kritischen Auseinandersetzung bedürfen: Bevor Erfolge dokumentiert werden können, muß gesichert
sein, daß sie darstellbar sind. Um sie darzustellen, ist es nötig, daß sie gemessen oder
zumindest subjektiv beurteilt werden können. Ist dies in einem so komplexen Feld
wie der Sozialen Arbeit möglich und, wenn ja, wie? Im folgenden sollen Schwierigkeiten bei der Erfolgsmessung diskutiert und einige Überlegungen zu praktischen
Lösungsansätzen dargelegt werden. Um eine Grundlage für die Diskussion der Problematik zu erhalten, ist es jedoch notwendig, sich Klarheit darüber zu verschaffen,
welche technischen Verfahrensweisen eigentlich nötig sind, um Wirkungen bzw. Erfolge zu analysieren. Zu diesem Zweck soll ein Blick in die Praxis geworfen werden.
Es soll die Frage geklärt werden, mit welchen Mitteln versucht wird, Erfolge zu messen oder meßbar zu machen. Dieses Vorgehen ist zwar problembehaftet, da einer
dafür notwendigen Schematisierung die zu diskutierende Problematik ebenso zugrunde liegt; gleichwohl ist es aus Gründen der Verständlichkeit unerläßlich.
2. Verfahren zur Wirkungsanalyse
Fast immer werden in der einen oder anderen Form sozialarbeiterischer Praxis Wirkungsanalysen durchgeführt. Die konkrete Ausgestaltung der zu diesem Zweck ver729
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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
wendeten Verfahrensweisen kann sich hierbei allerdings unterscheiden. Aber alle
Varianten basieren auf einem gemeinsamen Kern 1): Erfolge lassen sich nur anhand
eines Vergleiches zwischen einem durch sozialarbeiterische Hilfen angestrebten
Soll- und einem vorherigen Ist-Zustand bestimmen; diesem Vergleich liegt ein ZielMittel-Denken zugrunde. Das soll durch folgende Grafik verdeutlicht werden:
im Hilfeprozeß immer wieder von neuem beginnen. Die Dynamik wird durch eine
genaue Analyse und Beschreibung des Istl-Zustandes in Gang gesetzt2). Dieser
Vorgang, der als "Anamnese" oder "Diagnose" bezeichnet werden kann, zielt darauf ab, relevante Informationen nicht nur zu den Problemlagen, sondern auch zu den
Ressourcen bzw. Fähigkeiten und Interessen der Hilfesuchenden zu erhalten. Zu
diesem Zweck werden vielfältige Techniken genutzt, die durch unterschiedliche
Qualifikationen, Weiterbildungen, Fachwissen oder Berufserfahrung sozialarbeiterischer Fachkräfte bestimmt werden. Diese spezifischen Qualifikationen bieten einen Zugang zum Verständnis der Probleme der Hilfesuchenden.
Ablauf von Erfolgsbeurteilungen
Vergleich
Soll - Ist 2 und
Ist1-lst2
--------,
L.-!lIo
...,J
Beschreibung
(erreichter)
Ist-Zustand 2
Anamnese
Ist-Zustand 1
I
I
Definition SollZustand (Ziel)
Konstruktion und
Einsatz der
Hilfeleistung (Mittel)
Erfolgsbeurteilung findet in einem Prozeß statt, der aus den im Modell aufgeführten
Elementen besteht. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß diese Elemente dynamisch
1) Diese Thesen werden zum einen durch eine Betrachtung der zahlreichen innovativen Projekte bekräftigt,
die Konzepte von Selbstevaluation, Evaluationsforschung oder Qualitätsmanagement in die Praxis umzusetzen versuchen. Vgl. hierzu z. B. folgende Veröffentlichungen: Fitz-WinterlLachnit 1997, Hollenstein
1993 und insbesondere das "pädagogische Controlling" der ,,Jugendhilfe Rischbom", dokumentiert in
Kahle 1995. Zum anderen stützen sie sich auf Befunde des Projektes "Berichtswesen der Erziehungshilfen", das derzeit in Kassel realisiert wird. Ziel dieses Projektes, an dem das Landesjugendamt Hessen sowie das Jugendamt der Stadt und das Jugendamt des Kreises Kassel beteiligt sind, ist, ein Berichtswesen
für die Sozialen Dienste der beteiligten kommunalen Jugendämter (Allgemeiner Sozialer Dienst, Jugendgerichtshilfe, Jugendhelfer) zu entwickeln und einzuführen. Im Rahmen dieses Projektes wurden Interviews durchgeführt, die Aufschluß über die persönlichen Verfahren der Erfolgsbeurteilung der mit Hilfen
zur Erziehung (§§ 27-38 SGB VIII) beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben. Eine Veröffentlichung des Projektes ist noch für dieses Jahr vorgesehen.
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Auf der Grundlage dieser Informationen findet die Definition eines Soll-Zustandes
im Sinne z. B. einer angestrebten oder erwünschten Verhaltensänderung der Hilfesuchenden statt. Hierzu dienen Zielformulierungen. Weiterhin wird anhand der Definition eines angestrebten Soll-Zustandes das Mittel bzw. die Methode (z. B. eine
geeignete pädagogische Maßnahme) ausgewählt. In einem zu bestimmenden zeitlichen Abstand zur Auswahl der Mittel erfolgt eine Beobachtung des aktuellen Ist2Standes im Erziehungsprozeß. Zu diesem Zweck werden die im Soll-Zustand angesprochenen Bereiche (z. B. der Bereich "schulische Verbesserungen") betrachtet.
Im nächsten Schritt wird auf der Grundlage der Beobachtung und sinnvollerweise
möglichst genauen Dokumentation des Ist2-Standes ein Vergleich mit dem angestrebten Soll-Zustand sowie eine Kontrolle über die Art der Veränderungen (lst1Ist2-Vergleich) durchgeführt. Wird festgestellt, daß der Soll-Zustand nicht erreicht
ist, werden Zielabweichungen hinsichtlich ihrer vermuteten Ursachen analysiert.
Das führt dann zu einer Neubewertung der Problemlage und/oder (in Zusammenarbeit mit dem oder der Hilfesuchenden) zur Neuformulierung von Zielen. Auf
diese Weise unterliegt der Prozeß der Wirkungsanalyse regelhaften Wiederholungen. Da ein Vergleich zwischen Soll und Ist2 jedoch bereits eine neuerliche Betrachtung von Problemen und Ressourcen impliziert, ist eine eigenständige Anamnese unnötig, weshalb der entsprechende Kasten im obigen Modell gestrichelt gekennzeichnet ist.
Es läßt sich festhalten, daß zur Erfolgsbeurteilung eine reflektierte Ziel-Mittel-Auswahl erforderlich ist. Deshalb kann gesagt werden, daß Planung, bzw., bezogen auf
die Hilfen zur Erziehung, Hiljeplanung geboten ist. Um im folgenden Schwierigkeiten der Erfolgsbeurteilung zu diskutieren, ist es daher erforderlich, planungstheoretische Überlegungen anzustellen.
') Es ist auch denkbar und sogar wahrscheinlich, daß der Anamnese wiederum bewußte oder unbewußte
Zielvorstellungen z. B. der sozialarbeiterischen Fachkraft zugrunde liegen und diese die Analyse des IstZustandes beeinflussen. Allerdings käme meiner Ansicht nach eine genauere Betrachtung dieser Problematik einem Bemühen um die Klärung der Frage nach dem Huhn und dem Ei gleich, weil ebenso anzunehmen ist, daß diese Zielvorstellungen wiederum durch ein Vorverständnis über bestimmte soziale Problemlagen o. ä. determiniert sind. Dieses Problem kann hier nur angedeutet werden.
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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung.in der Sozialen Arbeit
3. Schwierigkeiten bei der Erfolgsmessung
a) Besonderheiten personenbezogener sozialer Dienstleistungen
Zuvor möchte ich jedoch erwähnen, daß die Schwierigkeiten bei der Wirkungsanalyse Sozialer Arbeit auch zu einem großen Teil aus den Eigenarten ihrer Tätigkeit
resultiert. Diese Eigenarten werden deutlich, wenn man davon ausgeht, daß Soziale
Arbeit (in der Regel) personenbezogene Dienstleistungen erbringt (vgl. z. B. Brülle
u. a. 1996, S. 190; Ortmann 1996, S. 63; Reis 1997, S. 320). Beleuchtet man die Besonderheiten dieser Dienstleistungen im Vergleich zur Produktion von Gütern, zeigt
sich eine Komplexität und Differenziertheit der Tätigkeit im sozialen Bereich, welche die Einschätzung von Erfolgen erschwert. Diese Besonderheiten sind in der Literatur ausführlich beschrieben worden und sollen deshalb an dieser Stelle nur
knapp und beispielhaft aufgeführt werden (vgl. Oppen 1995, S. 21 f.):
Personenbezogene soziale Dienstleistungen sind immateriell. D. h., daß sie Verrichtungen umfassen, an deren Ende kein "Produkt" steht, das sich im nachhinein durch
Anfassen, Ausprobieren usw. überprüfen läßt. Deshalb ist die Beurteilung dessen,
ob eine erbrachte Leistung gut oder schlecht ist, in den meisten Fällen der individuellen Wahrnehmung unterworfen.
"Produktion" und "Konsum" der Dienstleistung fallen zusammen. D. h., daß im sozialen Bereich ein Produkt nicht erst fertiggestellt, dann geprüft und anschließend
verkauft werden kann. (Und erst recht kann das Produkt bei Mißfallen nicht zurückgegeben werden.) Also kann eine Hilfemaßnahme schon während des "Produktionsprozesses" eine Wirkung erzielen. Daher müssen Erfolgsbeurteilungen auch
während des Hilfeprozesses stattfinden.
Die Leistung wird in Koproduktion und durch Kooperation zwischen den beteiligten
Personen erbracht.n. h., daß jede bzw. jeder (bekannte oder unbekannte) Beteiligte
Einfluß auf den Hilfeprozeß hat, weshalb schwerlich zurückzuführen ist, wer oder
was welchen Einfluß auf Erfolg oder Mißerfolg einer Maßnahme gehabt hat.
Personenbezogene soziale Dienstleistungen sind heterogen. D. h., daß die konkrete
Ausgestaltung einer Dienstleistung je nach den beteiligten Personen, die im "Produktionsprozeß" zusammenarbeiten, sowie von Situation zu Situation variiert. Anders ausgedrückt: kein Fall ist wie der andere3 ). Deshalb müssen in jedem Fall individuell neue Ziele gesetzt und der Erfolg jeweils neu beurteilt werden.
3) Dies wird an einem Zitat von A. Salomon besonders deutlich (Salomon 1927, S. 15, zit. nach Treptow 1996,
S. 7): "Häufig ähnelt ein Fall, den man zu beurteilen hat, in wesentlichen Punkten einem anderen, mit dem
man früher zu tun hatte, und man glaubt daher, dieselben Ergebnisse voraussetzen zu dürfen. Gerade die
Neigung, in einem solchen Fall die Ähnlichkeiten sehr stark zu sehen, hindert manchmal daran, eine Einsicht in die Besonderheiten des Falles zu nehmen. Was für die eine Witwe mit vier Kindern richtig war,
kann für die andere ganz falsch sein, Die Nahmng, mit der Gesunde und Kräftige sich behelfen, kann für
Zarte ganz unzweckmäßig sein."
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b) Ziel-Mittel-Problematik
Da zur Erfolgsbeurteilung Hilfeplanung nötig ist, ist es u. a. erforderlich, anhand einer Information über den Ist-Zustand das gewünschte und der Problematik entsprechende Ergebnis (Soll-Zustand bzw. Ziel) zu formulieren und im Anschluß Mittel (Hilfeleistungen) zu wählen, die es ermöglichen, ausgehend vom Ist-Zustand den
Soll-Zustand herbeizuführen.
Es existiert also ein Zusammenhang zwischen Problem, Zielen und Mitteln, denn
Zielformulierungen ergeben sich aus dem Problem, die Auswahl und Konstruktion
von Hilfeleistungen aus dem Zusammenspiel dieser beiden Faktoren. Damit nun
eine Maßnahme Erfolg haben kann, sind Informationen darüber nötig, welches Mittel welchen Zweck erfüllt: Eine "erklärende Theorie" (Ortmann 1976, S. 103) ist notwendig, die relevante gesellschaftliche Zusammenhänge beschreibt. Diese Theorie
müßte die kausalen Beziehungen zwischen verschiedenen Ereignissen des sozialen
Lebens erfassen. Die Bedeutung der Kausalbeziehung läßt sich folgendermaßen definieren: "Von zwei oder mehr Variablen oder Faktoren wird behauptet, daß sie kausal verbunden sind, wenn ihre Werte in der Regel so verbunden sind, daß die bewußte Veränderung des Werts einer Variablen den Wert der anderen Variablen auf
vorhersehbare Weise verändern wird" (Meehan 1995, S.119). Eine Theorie, die den
Anspruch, kausale Beziehungen von gesellschaftlichen Variablen zu erklären, erfüllen kann, ist zum einen zu Erklärungen für vergangene Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in der Lage, zum anderen bietet sie ein Instrument zur Kontrolle von Ereignissen, da diese bei bestimmten Bedingungen vorhergesagt werden können (vgl.
ebd. und Ortmann 1976, S. 107).
Soweit Prognosen darüber abgegeben werden können, daß der Faktor A das Ergebnis B bewirkt, kann die Theorie also handlungsanleitend sein. Zu diesem Zweck
werden die kausalen Ursache-Wirkungs-Beziehungen in finale Zweck-Mittel-Zusammenhänge transformiert (vgl. Ortmann 1994, S. 207). Genau dieses Merkmal ist
dem oben genannten Schema der Erfolgsbeurteilung immanent. Es wird vorausgesetzt, daß eine bestimmte sozialarbeiterische Handlung (konstruierte Hilfeleistung)
zu einem bestimmten Resultat (Soll-Zustand bzw. Ziel) führt. Wird ein solches Wissen über Ziel-Mittel-Zusammenhänge zur Steuerung von sozialen und pädagogischen Prozessen angewendet, kann von einem technologischen Vorgehen gesprochen werden (vgl. ebd.).
In der Sozialen Arbeit, aber auch allgemein in sozialen Prozessen, ist der Grad an
Komplexität des sozialen Geschehens nun allerdings so hoch, daß nicht für jeden Bereich Theorien existieren, die beschreiben können, ob oder wann eine bestimmte soziale Handlung ein bestimmtes Ereignis zur Folge hat. Es herrscht ein "Technologiedefizit" (Luhmann/Schorr 1982, S. 11), das strukturell in dieser Komplexität begründet liegt.
Weiterhin wird die Ziel-Mittel-Problematik dadurch genährt, daß Theorien, die soziales Geschehen "erklären", nur in Form von statistischen Gesetzen aufgestellt werden können: indem beobachtet wird, daß ein bestimmtes Ereignis auffallend häufig
auf ein anderes folgt. Z. B. ließe sich beobachten, daß sich bei vielen Kindern nach
der Integration in eine Tagesgruppe aggressive Verhaltensweisen verringern. Diese
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Beobachtungen ließen sich dokumentieren und könnten so schließlich z. B. zu der
statistischen Aussage führen, daß 80% der Kinder aufgrund des Eintrittes in die Tagesgruppe weniger aggressiv sind als zuvor. Da es allerdings die Komplexität des Untersuchungsfeldes nicht zuläßt, daß alle möglichen einflußnehmenden Faktoren bekannt sind (z. B. könnten die Eltern das Ergebnis durch vermehrte Zuwendung bewirkt haben), ist die Aufstellung solcher Gesetze nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit möglich (vgl. Ortmann 1976, S. 107). Aus diesem Grund kann aus dem
einmaligen Eintreten eines Ereignisses nicht sicher auf das Eintreten eines weiteren
geschlossen werden (vgl. ebd., S. 106 f.). Hieraus folgt, daß aus in Einzelfällen auftretenden Erfolgen keine allgemeingültigen erklärenden Theorien abgeleitet werden können.,
chung erfordern würde, gänzlich überfordert wäre. Daher müssen alternative Mittel
zur Einschätzung von Erfolgen angewandt werden.
Welche Wege führen aus dieser Problematik? Gibt es Lösungen, die sich die Soziale
Arbeit für die Erfolgsbeurteilung im Einzelfall nutzbar machen kann? Im Rahmen
der sozialwissenschaftlichen Forschungsmethodik stellen sich zwei Auswege dar. Einerseits kann eine Faktorenisolation, andererseits eine Faktorenausweitung versucht werden:
Eine Möglichkeit ist die Isolation eines sogenannten "Störfaktors" (Meehan 1995,
S. 125, vgl. auch Berger 1985, S. 34). In ihm werden alle Variablen zusammengefaßt,
die einen Einfluß auf das zu untersuchende Ereignis ausüben können, die aber nicht
für nennenswert im Hinblick auf den untersuchten Gegenstand gehalten werden.
Auf diese Weise werden sie "beseitigt", um die Kalkulierbarkeit der sozialen Situation zu erhöhen. Es findet also eine Komplexitätsreduktion statt, die zur Folge hat,
daß "störende" Variablen sozusagen außerhalb der Theorie bleiben. So können über
die Gesetzmäßigkeiten zwischen den Variablen innerhalb der Theorie verläßlichere
Aussagen getroffen werden (vgl. Meehan, S. 124-127). Abgesehen davon, daß die
Auswahl und Isolation bestimmter Variablen aufgrurrd der Komplexität und Unberechenbarkeit des sozialen Geschehens prinzipiell nur schwerlich möglich erscheint,
ist ein solches Vorgehen in der Praxis Sozialer Arbeit nicht angebracht und sogar gefährlich, da potentiell alle Einflüsse im Prozeß der Leistungserbringung einen Erfolg
oder Mißerfolg bewirken können. Isoliert die diesen Prozeß moderierende sozialpädagogische Fachkraft z. B. den Bereich "Freundeskreis der bzw. des Hilfesuchenden" bei der Beobachtung von Wirkungseinflüssen, gehen möglicherweise Erkenntnisse über wichtige Ressourcen verloren.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die erklärenden Theorien zu erweitern und
zu verbessern, indem das Wissen um die einen sozialen Prozeß beeinflussenden Faktoren und deren Zusammenhänge vergrößert wird. Dieses Vorgehen wird von Luhmann/Schorr als eine Möglichkeit angesehen, die "bereits erfaßte Komplexität der
Kausalfaktoren zu steigern. Man kann versuchen, mehr Faktoren einzubeziehen,
längere Ketten zu bilden oder sogar Wechselwirkungen einzubauen".
(Luhmann/Schorr 1982, S. 20)4). Hier drängt sich allerdings die Vermutung auf, daß
die sozialarbeiterische Praxis mit dem Aufwand, den eine entsprechende Untersu-
4) Dies ist in der Tat das Ziel vieler Evaluationsstudien. Vgl. hierzu z. B. Gehres 1997. In diesem Aufsatz zeigt
sich aber auch der enorme Arbeitsaufwand, der mit einem solchen Untersuchungsansatz verbunden ist.
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4. Ziel-Mittel-Denken in der sozialberuflichen Arbeit
Wenn Erfolge, wie oben festgestellt, auf der einen Seite nur mit Hilfe zielorientierter Hilfeplanung beurteilt werden können und auf der anderen Seite das Ziel-Mittel-Denken mit den vorhergehend geschilderten Schwierigkeiten behaftet ist, so
fragt es sich, ob Ziele und somit Erfolgsbeurteilungen in der Sozialen Arbeit überhaupt ihren Platz haben.
Eine entsprechende These würde - oberflächlich betrachtet - darin Bestätigung finden, daß Soziale Arbeit sich gerade dadurch auszeichnet, daß sie in der Praxis nicht
technologisch vorgeht. Im Vordergrund professionellen sozialarbeiterischen Handelns steht keine durch erklärende Theorien über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge genährte Technik der Steuerung des sozialen Geschehens und der Veränderung von Verhaltensweisen des Klientel. Es ist am besten mit den Worten hermeneutisch und rekonstruktiv zu beschreiben. In erster Linie werden in der konkreten
Arbeit mit dem Klientel kommunikative Prozesse in Gang gesetzt, die zum Verstehen der individuellen Problemlage führen sollen. Die Aufgabe von sozial Tätigen ist
das individuelle Nachvollziehen und die Deutung der von ihrem Klientel mit einem
individuellen Sinn belegten und durch Interaktion mit anderen konstruierten Lebensrealität. Jeder Mensch konstruiert sich seine soziale Wirklichkeit in anderer
Weise als andere Menschen und ist im Gegenzug anderen Bedingungen, Regeln und
sozialen Systemen unterworfen (vgl. JakoblWensierski 1997, S. 9 f.). Aus dieser Individualität resultiert der Auftrag an die Soziale Arbeit, sich systematisch und offen
für das Ergebnis auf die Lebenswelt der Hilfesuchenden einzulassen, damit diese Lebenswelt mit ihren Problemlagen und ihrer Sinngebung aus sich heraus nachvollzogen und somit "in der Sprache des Falles" (Gildemeister/Robert 1997, S. 35) "methodisch rekonstruiert" (ebd., S. 34) werden kann. Zu diesem Zweck bedient sie sich
der unterschiedlichsten Orientierungen und Methoden, die beim Verstehen und
Deuten der individuellen Problemlagen behilflich sind.
Auch bei einem hermeneutischen Vorgehen werden zur Deutung der Problematik
(in den Bereichen, in denen sie vorhanden sind) Theorien über soziale Gesetzmäßigkeiten angewandt. Das Handeln ist dabei jedoch weitgehend an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert, weil es von Kommunikation und Verstehensprozessen begleitet wird. Die Kenntnis solcher Gesetze wird nicht zur Steuerung z. B.
einer Verhaltensänderung verwendet, sondern in vielen Fällen dazu genutzt, einen
Bewußtseinsprozeß in Gang zu setzen, der die Klientin bzw. den Klienten selbst befähigt, seine Lage zu erkennen und zu verändern. Die Anwendung der Theorie ist
also in beiden Vorgehensweisen unterschiedlich (vgl. Ortmann 1994, S. 211 f.).
Hier deutet sich ein bemerkenswerter Widerspruch an: Einerseits ist für die Erfolgsbeurteilung ein zielorientiertes, planvolles Vorgehen nötig, andererseits folgt
die Soziale Arbeit einem Handlungsmuster, das eher durch hermeneutisches "Verstehen" zu charakterisieren ist. Ein unauflösbarer Widerspruch?
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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
Ich behaupte, daß sich in der alltäglichen sowie in der wissenschaftlichen und der
sozialberuflichen Praxis erklärende und verstehende Handlungsvollzüge automatisch verbinden und ergänzen. So ist es uns in der alltäglichen Praxis in vielerlei Situationen ein Bestreben, die Motive für menschliches Handeln zu ,;verstehen". Ein
Motiv ist jedoch als ein Wunsch zu charakterisieren, ein bestimmtes Ziel zu erreichen; und einem solchen Wunsch liegt immer ein Glaube an einen wahrscheinlichen
Verlauf von Ereignissen und damit ein naturwissenschaftliches, "erklärendes" Erkenntnisinteresse zugrunde (vgl. Ape11973, S. 49 f.). Ein solcher Glaube ist nötig,
weil wir aufgrund der Vielfalt möglicher Ereignisketten in der gesellschaftlichen
Realität darauf angewiesen sind, diese Komplexität, ob nun bewußt oder unbewußt,
zu reduzieren, um überhaupt handlungsfähig zu sein. Würden wir eine solche Reduktion nicht vornehmen, müßten wir beispielsweise vor jedem Öffnen einer Tür
darüber nachdenken, auf welche Weise wir dieses Vorhaben in die Tat umsetzen
sollten und welchen Zweck der Schlüssel hierbei erfüllt. In den Worten Luhmanns
und Schoffs (1982, S. 19) benutzen wir "rudimentäre Kausalpläne" bzw. "subjektive
Technologien".
hen"; auf diese Weise kontrollieren und verifizieren sie das "Verstandene" (vgl.
ebd., S. 63-65 und 115). Das hermeneutische "Verstehen" dagegen ergänzt das "Erklären" dadurch, daß die vorhandene Wissenslücke im Bereich der "erklärenden
Theorien" durch kommunikative Verständigung zwischen Sozialpädagogen und
Hilfesuchenden und subjektiv "verstandene" Einschätzungen zur Problematik verkleinert werden. Erst auf dieser Grundlage ist es möglich, daß im Hilfeprozeß Zielsetzungen festgelegt werden können, die in diesem Sinne die Form von subjektiven
Kausalplänen annehmen.
Auch in der wissenschaftlichen Praxis verbindet sich in vielen Fällen empirisch-analytisches "Erklären" mit hermeneutisch-rekonstruktivem "Verstehen". Subjektive
und kommunikative Vorgänge des "Verstehens" sind hierbei zugleich Grundlage
und Folge von erklärender, objektivierender Untersuchung, die in den Sozialwissenschaften meist in Form von statistischer Beobachtung durchgeführt wird. Es ist
Grundlage, weil jeder statistischen Untersuchung ein Verständnis des zu untersuchenden Gegenstandes vorausgeht. Weiterhin ist es eine Konsequenz der statistischen Datenerhebung, daß die Daten, die meist nicht für sich sprechen, der Einordnung in bekanntes Wissen sowie der meist kommunikativen Interpretation und Deutung bedürfen: "Objektive Tatsachen-Erklärung und intersubjektive Verständigung
über das, was erklärt werden soll, sind ... ,komplementäre' Erkenntnisfunktionen ...
Sie schließen einander aus und setzen einander voraus. Niemand kann nur ,verstehen', ohne dabei ein Sachwissen im Sinne potentieller ,Erklärung' vorauszusetzen.
Andererseits kann aber auch kein Naturwissenschaftler etwas "erklären", ohne dabei - als potentieller Geisteswissenschaftier - an einer intersubjektiven Verständigung teilzunehmen." (ApeI1973, S. 54)
Auch in der sozialberuflichen Praxis ist es nur schwer vorstellbar, daß das vordergründig hermeneutisch-verstehende Vorgehen ohne empirisch-analytisches ZielMittel-Denken auskommt. Sozialpädagogische Fachkräfte müssen zwingenderweise
davon ausgehen, daß eine bestimmte Handlung eine entsprechende Wirkung erzielt.
Wäre dies nicht so, gäbe es keinen Plan und somit keine leitende Orientierung. Das
durch erklärende Theorien determinierte Setzen von Zielen und der später erfolgende Soll-Ist-Vergleich erfüllt damit, auch wenn er von den beschriebenen Unsicherheiten begleitet wird, eine doppelte Funktion: Einerseits kann die Zielsetzung,
auch wenn sich die angenommene Kausalkette als falsche Vermutung herausstellt,
dennoch Anlaß und Basis für weitere Verständigung, weiteres Nachdenken und somit für "besseres" Verstehen sein (vgl. ebd., S. 58). Andererseits ermöglichen SollIst-Vergleiche die objektivierende Abstraktion vom rein hermeneutischen "Verste736
Hermeneutik und Technologie verbinden sich also - trotz theoretischer Widersprüche - im praktischen Handeln. Hierbei darf allerdings nicht unerwähnt bleiben,
daß der technologische Anteil im pädagogischen Handeln strukturell die Gefahr der
Manipulation in sich birgt. Dies könnte z. B. dann der Fall sein, wenn ein Sozialarbeiter einem Hilfesuchenden ein "falsches", d. h. der Problemlage nicht entsprechendes Ziel vorschlägt. Es ist allerdings ebenfalls möglich, daß das Einbringen von
"objektivem" Fachwissen dem Hilfesuchenden Handlungsalternativen offenbart
und so die Kommunikation voranbringt und zur Selbstbewußtmachung und -veränderung führen kann. Zu einer Lösung für diese Problematik verhilft wohl nur eine
bestimmte Berufsethik: nämlich der Respekt vor und die Förderung von autonomer
Entscheidungsfähigkeit beim Klientel. Erst auf dieser Basis kann Soziale Arbeit
emanzipativ wirken.
5. Praktische Lösungsansätze für die Erfolgsbeurteilung
Welche Bedeutung haben die vorangegangenen Überlegungen für die sozialpädagogische Praxis? Es sollte deutlich geworden sein, daß Ziel-Mittel-Denken (in
Verbindung mit hermeneutischen Verstehensprozessen) quasi "automatisch" stattfindet. Somit liegt die Vermutung nahe, daß auch Erfolgsbeurteilungen mit Hilfe
von zielorientierten Soll-1st-Vergleichen integrierter, wenn auch mehr oder weniger
latenter Bestandteil stattfindender Hilfeprozesse sind. Wenn also Erfolge in der Sozialen Arbeit beurteilt werden sollen, dürfte dazu in den meisten Fällen nur eine bessere Bewußtmachung eigener und gemeinsamer Ziele der am Hilfeprozeß Beteiligten sowie eine systematische Dokumentation und Reflexion dieser Ziele und der
Zielüberprüfung erforderlich sein. Um also den in der Einleitung geschilderten aktuellen Anforderungen an die Soziale Arbeit gerecht zu werden, bedarf es, so scheint
es, nicht mehr als z. B. im Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII und den üblichen
Hilfeplanformularen sowieso vorgesehen ist.
Sollen daher Erfolge beurteilt und dokumentiert werden, muß der Hilfeprozeß nur
in entsprechender Weise von der zuständigen pädagogischen Fachkraft ausgestaltet
werden. Um hermeneutische und technologische Anteile dieses Prozesses angemessen zu strukturieren, sind Kompetenzen im Gebiet des Fallverstehens und der sachgerechten Zie1formulierung sowie Fähigkeiten zur Moderation der Verständigung
vonnöten. Darüber hinaus ist zur fachlich sinnvollen Prozeßgestaltung m. E. die Beachtung folgender orientierender Elemente erforderlich:
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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
Das erste Element ist eine prozeßorientierte Sichtweise. Wirkungen können schon
während der Leistungserbringung eintreten und der Hilfeprozeß unterliegt ständigen Veränderungen, weshalb die koproduktiv erarbeitete Hilfe in verschiedenen Situationen eine neue Ausgestaltung annehmen kann. Aus diesem Grund sind in der
Regel keine standardisierten "Produkte" in der sozialen Arbeit möglich, die nach
dem Produktionsprozeß im "fertigen" Zustand auf ihre Güte überprüft werden können. Soll daher die Wirkung beurteilt werden, ist eine Beobachtung und Bewertung
während des "Produktionsprozesses" nötig (vgl. Meinhold 1994, S. 43).
Weiterhin müssen Wirkungsanalysen situationsspezifisch sein und kontinuierlich
stattfinden. Die Prozeßorientierung gewährleistet einen offenen Blick auf die vorliegende Problematik und den Fortgang der Hilfe. Unerwartete Veränderungen,
neue (vermutete) Einflußgrößen und neue Wünsche und Bedürfnisse der Adressatinnen und Adressaten müssen bei der Hilfeplanung einkalkuliert werden. Ziele und
Mittel haben in einem entsprechenden professionellen Vorgehen durchaus ihren
Platz, wenn der "Plan" offen genug ist, daß er nötigenfalls schon nach kurzer Zeit
wieder neu ausgestaltet werden kann.
Das zweite und dritte Element, die Kommunikation und Beteiligung, hängen eng zusammen. Erfolge sind nur in wenigen Fällen materiell nachprüfbar; sie sind in unterschiedlichen Fällen und in den Sichtweisen der Beteiligten jeweils anders zu bewerten. Zudem existieren keine eindeutigen Kausalzusammenhänge. Die Beurteilung von Erfolgen ist also nicht eindeutig, sondern nur aufgrund subjektiver Einschätzungen möglich. Daher sind im Zusammenhang mit Erfolgen und Wirkungen
in der Sozialen Arbeit die Begriffe der Beurteilung und Einschätzung angemessener
als die an rationalen Denkweisen orientierte "Messung", die eher objektive Fakten
anstrebt. Die Chance, daß Ziele und Mittel den Bedürfnissen der Hilfesuchenden
angemessen sind, erhöht sich, wenn alle am Hilfeprozeß Beteiligten bei der Auswahl
mitwirken und sich in einem diskursiven Prozeß des Aushandeins hierüber verständigen. Ebenso verhält es sich bei der nachträglichen Einschätzung dessen, welche
Mittel und sonstige Faktoren eine Zielerreichung bewirkt haben. Es ist zu vermuten,
daß ein gewisses Maß an Versachlichung der Subjektivität, also eine Annäherung an
die Realität durch einen intersubjektiven Vergleich zwischen den Einschätzungen
aller Beteiligter und die Dokumentation dieser subjektiven Relation erfolgen kann.
Subjektive Verständigung setzt Kommunikation unter gleichberechtigten Partnern
voraus. Ohne Gleichberechtigung ist kein offener Austausch von Meinungen und
Einschätzungen möglich. Aus diesem Grund ist eine weitgehende Beteiligung bzw.
Partizipation der Hilfesuchenden am Hilfeplanungsprozeß erforderlich. Thomas
ülk kommt zu einem ähnlichen Schluß: "Dies (die Planung von Einzelfallhilfe und
der sozialen Infrastruktur gelingt nur, wenn in der Interaktion zwischen Professionellem und Klient die Anerkennung der Entscheidungs- und Handlungsautonomie
des Klienten gesichert und durch ständig mitlaufende Prozesse der reflexiven Kontrolle und Selbstthematisierung ein situations gebundenes Einverständnis über Sinn,
Ziel und Art des professionellen Problembearbeitungsprozesses hergestellt wird."
(Olk 1986, S. 253, Hervorhebung i. Orig.)
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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
Allerdings muß in der praktischen Arbeit berücksichtigt werden, daß der Zusammenarbeit mit den Betroffenen Grenzen gesetzt sind. Diese Grenzen resultieren u. a.
daraus, daß die Soziale Arbeit in vielen Fällen nicht nur den Bedürftigen verpflichtet ist, sondern ebenso rechtlich-administrativen Vorgaben, welche die Sozialarbeiterin bzw. den Sozialarbeiter in den Augen der/des Betroffenen bisweilen in der doppelten Rolle sowohl eines Helfers als auch eines "Kontrolleurs" erscheinen lassen.
So kann es z. B. sein, daß über einer Sozialpädagogischen Familienhilfe das Damoklesschwert eines Sorgerechtsentzuges bei Mißerfolg der Maßnahme schwebt, was
die "Hilfesuchenden"s) eventuell zu Abwehrreaktionen oder zum Vorspiegeln
falscher Tatsachen, z. B. Harmonie in der Familie, veranlassen kann. Unter solchen
Umständen kann die Zusammenarbeit erschwert werden. Trotz dieser "Doppelheit
von Hilfe und Kontrolle" (GildemeisterlRobert 1997, S. 30) ist es notwendig, größtmögliche Beteiligung und Kommunikation zu initiieren und Offenheit für die Bedürfnisse und Vorstellungen der Betroffenen aufzubringen, wenn angemessen und
erfolgreich gehandelt werden soll.
Prozeßorientierung, Kommunikation und Beteiligung - diese drei Elemente sind
keine Patentrezepte für eine Auflösung der geschilderten Schwierigkeiten. Sie sind
nur "hermeneutische Instrumente", welche die praktische Problemsicht im individuellen Fall erweitern und das Aufstellen von subjektiv ausgehandelten Kausalplänen erlauben, indem sie die Fixierung auf einige wenige Variablen im komplexen
Netzwerk des sozialen Geschehens verhindern. Kontinuität, Offenheit und die subjektive Verständigung über Ziele, Mittel und Zielerreichung ermöglichen zwar
keine objektiv gültigen Aussagen und geben keine Garantie, zur jeweils besten Problemlösung zu gelangen; sie erweitern aber die Wissensbasis, indem sie mehr Parameter in die Überlegungen einbeziehen, als ein rein lineares Kausaldenken zuläßt.
In der Prozeßgestaltung muß weiterhin berücksichtigt werden, daß die Elemente des
rekonstruktiven Fallverstehens und der Aushandlung von Zielen Bewußtseinsprozesse bei der Fachkraft und bei den Hilfesuchenden anregen können, die fähig sind,
den Prozeß in eine unvorhersehbare Richtung zu lenken. Z. B. kann schon die Rekonstruktion der Lebenswelt der Klientinnen und Klienten bei diesen Bewußtseinsund Verhaltensänderungen in Gang setzen. Ebenso verhält es sich beim gemeinsamen Formulieren von Zielen und der Beurteilung von Ergebnissen, bei denen sich
der bzw. die Hilfesuchende nicht selten selbst bzw. das eigene Verhalten beurteilen
muß. In diesem Prozeß werden sich die Bedürftigen auch der eigenen Ressourcen
bewußt. Und mehr noch: das Erkennen der eigenen Situation einschließlich der Ressourcen kann selbst wieder eine Ressource darstellen, die sich positiv auf den Hilfeprozeß auswirkt. Solche Bewußtseinsprozesse sind Faktoren, die eine Ergebnisbeurteilung erschweren. Sie stellen Variablen im Hilfeprozeß dar, die im Sinne sozialwissenschaftlicher Forschungsmethodik als "Störfaktoren" bezeichnet werden und
"Meßfehler" bei der Erfolgsmessung verursachen können. Aber eine Berücksichtigung und Integration dieser Bewußtseinsprozesse in der Prozeßgestaltung erhöht
5) An dieser Stelle werden auch die Grenzen dieser Begriffsbildung deutlich.
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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
die Chance, erfolgreich zu handeln. Es kommt bei der Prozeßgestaltung daher auf
die Nutzung und Förderung dieser "unberechenbaren" Bewußtseinsprozesse an.
Die Aufgabe der sozialpädagogischen Fachkraft besteht darin, die Konstituierung
'von Bewußtseinsveränderungen zu begleiten und zu moderieren, aber nicht einzuschränken. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Prozeßgestaltung im Sinne der
dargestellten Prämissen doppelt sinnvoll: es ergibt sich nicht nur die Möglichkeit zur
Erfolgsbeurteilung, sondern ebenso wird die Wahrscheinlichkeit von erfolgreichem
Handeln gesteigert.
6. Schlußbetrachtung
Ziel meiner hier vorgestellten Überlegungen war es, zU zeigen, daß Erfolgsbeurteilungen in der Sozialen Arbeit durchgeführt werden können und im normalen beruflichen Handeln in der einen oder anderen Form bereits praktiziert werden. In der
Einleitung hatte ich darüber hinaus konstatiert, daß es im Bereich der Sozialen Arbeit Bestrebungen gibt, im Einzelfall erreichte Ziele und Wirkungen zu dokumentieren und zur Steuerung von sozialer Infrastruktur, insbesondere zur fachpolitischen
Ergänzung der Neuen Steuerungsmodelle in öffentlichen Verwaltungen und zur sozialpolitischen Einflußnahme zu nutzen. Hier stellen sich zwei weitere Fragen: Können Wirkungen und Erfolge dokumentiert und zur Erfüllung dieser Zwecke "nach
außen", d. h. über den Hilfeprozeß hinaus dargestellt werden?
Natürlich können die Ergebnisse der intersubjektiv ausgehandelten Ziele und Erfolgseinschätzungen abgebildet bzw. dokumentiert werden. Der Versuch, Ergebnisse sowie rekonstruierte Problemlage und Ziele schriftlich darzustellen, kann sogar Ausgangspunkt für Kommunikation und Verständigung und im Zuge dessen für
Bewußtseinsveränderungen sein, indem solange über diese möglichen Elemente einer schriftlichen Darstellung geredet wird, bis die Ergebnisse des Aushandlungsprozesses dokumentierbar sind. Umgekehrt können die dokumentierten Informationen Ausgangspunkt für die diskursive Einschätzung von Veränderungen im Hilfeverlauf und der Zielerreichung sein. Das "geschriebene Wort" und das "gesprochene Wort" können somit wechselwirksame Basis für Verständigung sein und dienen so der Selbststeuerung der beteiligten Personen im Hilfeprozeß. Welchen Nutzen und welche Aussagekraft haben die dokumentierten Erfolge aber nun über diese
Selbststeuerung hinaus?
Die z. B. in einem Berichtswesen dokumentierten Ziele und Wirkungen sind Daten
aus kommunikativen Prozessen und stammen aus je unterschiedlichen, miteinander
nicht vergleichbaren Fällen. Zudem unterliegt die Erfolgseinschätzung zumindest
partiell der subjektiven Wahrnehmung. Daraus muß der Schluß gezogen werden,
daß Einschränkungen der Aussagekraft der dokumentierten Informationen vorliegen, die eine unreflektierte Steuerung und Planung des Hilfesystems aufgrund der
im Berichtswesen vorliegenden Informationen nicht zulassen. Es erscheint in der
Praxis vielmehr erforderlich, diese Informationen in kontinuierlichen Abständen zu
ergänzen und zu validieren. Eine solche Validation kann m. E. nur in einer weiterführenden Kommunikation bestehen.
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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
Dieser Schluß läßt sich anhand eines Beispiels illustrieren. Eine Leitungsperson
könnte die dokumentierten Informationen z. B. dazu nutzen, den Grad der Zielerreichung jeder Fachkraft zu ermitteln. Hier zeigt sich, wie gefährlich verkürzte
Schlußfolgerungen sein können. Eventuell auftretende Diskrepanzen zwischen
Fachkräften können nicht als Beweise für die Güte der Arbeit der jeweiligen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verstanden werden, weil sie der weiteren Klärung
bedürfen. Sie sollten daher nur zur weiteren Kommunikation führen.
Hiermit ist ein möglicher Lösungsansatz angesprochen. Daten; die aus kommunikativen Prozessen stammen und Ergebnisse subjektiver Wahrnehmung sind, bedürfen
zur Interpretation und vor ihrer Nutzung für weitere Handlungsschritte einer weiterführenden Kommunikation, die allerdings über das übliche Maß in den meisten
Ämtern und Kommunen sicherlich hinausgehen dürfte. Ziel einer solchen Verständigung müßte es sein, wenn schon nicht objektive, dann wenigstens intersubjektiv
mit den verschiedensten Kommunikationsmitteln (z. B. persönliche Gespräche, Berichte, Konferenzen) erworbene möglichst weitgehende Klarheit in einer Sache zu
erlangen. Es ist aber zu fragen, ob eine solche umfassende Verständigung in allen
Bereichen gewährleistet werden kann. Im ASD ist dies noch denkbar, aber wie stellt
sich dieses Problem z. B. auf der Ebene der Kommunalpolitik dar? Es ist zu wünschen, daß in Einzelfällen erreichte Erfolge als Daten gesammelt werden und so als
Grundlage für sozialpolitische Entscheidungen dienen können. Aber auch diese Daten bedürften der weiteren kommunikativen Validierung und dürften nicht zu unreflektierten Steuerungszwecken mißbraucht werden. Wer sind aber die geeigneten
Gesprächspartner z. B. für die Kommunalpolitik? Wer sollte mit wem diese Daten
interpretieren und zu Schlußfolgerungen kommen? Hier stellen sich einige offene
Fragen, deren Beantwortung im Rahmen dieses Aufsatzes nicht geleistet werden
kann. Es ist lediglich möglich, einige vorläufige Ideen zu dieser Thematik stichwortartig zu umreißen:
Mögliche Lösungsansätze könnten darin bestehen, geeignete Kommunikationsgemeinschaften herzustellen, die Daten interpretieren und Entscheidungen treffen.
Vorbild könnte eventuell die Jugendhilfeplanung mit ihren Prinzipien der "Sozialraumorientierung" und "Beteiligung" sein, die hiermit versucht, möglichst kleinräumige Untersuchungseinheiten zu schaffen und möglichst weitreichende kommunikative Prozesse anzuregen6). Auch ein Element des Neuen Steuerungsmodells
scheint hierzu geeignet zu sein. Es handelt sich um die "dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung", die eine verstärkte Delegation von Entscheidungskompetenz an die fachlich zuständigen und hierarchisch bislang untergeordneten Ebenen
vorsieht, die im Fall der Sozialen Arbeit mit den Betroffenen in Interaktion stehen.
An diese Ansätze von Jugendhilfe und Verwaltungsreform sollten meiner Ansicht
nach weitere Überlegungen anknüpfen.
6) Vgl. hierzu z. B. die "Empfehlungen zur Jugendhilfeplanung in Hessen" (Landesjngendamt Hessen 1995).
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Hansen, Probleme, Möglichkeiten und Gefahren von Erfolgsbeurteilung in der Sozialen Arbeit
Rezensionen
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REZENSIONEN
Gertrud M. Backes: Alter(n) als ,gesellschaftliches Problem'? - Zur Vergesellschaftung des Alter( n)s im Kontext der Modernisierung. Opladen: Westdeutscher Verlag; 1997.
In ihrer soziologischen Analyse geht es Gertrud Backes um dem "Zusammenhang
von Alter(n) und Gesellschaftsentwicklung". Sie begreift den aktuellen Umgang der
Gesellschaft mit Alter(n) als Herausforderung an gesellschaftliche Entwicklung und
soziologische Analyse. Ausgangspunkt ihrer Analyse ist die bislang unzureichende,
eher punktuelle und unsystematische Thematisierung, nicht nur in der öffentlichen
und politischen Alltagsdiskussion, sondern auch in den mit Alter und Altern befaßten gerontologischen Teildisziplinen. Backes weist nach, daß weder die Soziale Gerontologie (siehe Kapitel 2) noch die dort oder in der Mutterdisziplin Soziologie verortete Alter(n)ssoziologie (siehe Kapitel 3) schlüssige Beschreibungen und Analysen der Vergesellschaftung des Alter(n)s als Prozeß im Kontext der Modernisierung
aufweisen. Noch immer werden Alter und Altern als primär individuelle und soziale
Probleme beschrieben. Wenn die gesellschaftliche Bedeutung thematisiert wird, geschieht dies meist in Form einer polarisierenden Diskussion von Alter als (gesellschaftliche) Last versus Ressource. Veränderungen, die im Zuge des demographischen Wandels und des Alter(n)sstrukturwandels anstehen oder bereits eingetreten
sind, werden nicht problemadäquat erlaßt. Dies kann - so die Autorin - als ein Be-
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