Distribution Dieser Begriff bezieht sich nicht nur auf morphologische Einheiten, sondern ist z.B. auch auf <Phoneme anwendbar. Exkurs über Distribution bei Allophonen Ein deutliches Beispiel für die Distribution von Allophonen bilden der ich-Laut [ç] und der ach-Laut [x] als Allophone des deutschen Phonems mit der Schreibung ch. Das Allophon [ç] (präpalatal/dorsal, stimmlos) wird gesprochen nach hellen Vokalen und Diphthongen: mächtig, riechen, Köche, räuchern, leicht nach l, m, n, r: Milch, Molch; manch; Ferch, Lurch im Anlaut vor hellen Vokalen: China, Chemie, hierzu gehört auch -chen (s.u.) Das Allophon [x] (palatal-velar/dorsal, stimmlos) wird gesprochen nach dunklen Vokalen und Diphthongen: machen, rochen, Kocher, rauchen, locht Diese Regeln haben Ausnahmen bei einigen Fremdwörtern (z.B. Cherson, da russ. [x]!) und Zweifelsfällen wie Chemie). Die dargestellten Verhältnisse sind noch etwas komplizierter durch die Umlautwirkung des Suffixes -chen: Dieses Suffix bewirkte (schon diachron) wie auch -lein eine Umlautung im vorangehenden Stamm: Hündchen, Männchen, Höschen, ...; Männlein, Fräulein, ... Das Suffix -chen 'sichert' sich somit den hellen Vokal unmittelbar vor ihm: Schühchen (das ist ein seltener Fall!) Was passiert, wenn der Umlaut ausnahmsweise nicht eintritt? Frauchen vs. fauchen (dito Pochen vs. pochen; Papachen, Mamachen vs. machen) In diesem Fall ist die morphematische Struktur unterschiedlich: Frau/chen: [ç], da Anlaut bezüglich der Morphemgrenze, der dunkle Vokal zählt nicht. fauch/en: [x], da nach dunklem Vokal, das en zählt nicht. Im Grunde sind die Verhältnisse daher wie in Rauch/ent/wickl/ung. Die Auswahl der Allophone ist durch die Morphemgrenzen und einen phonetischen/phonologischen Faktor bedingt (das letztere ist für Allophone(!) natürlich ganz normal). Ende des Exkurses Für die Definition der Distribution ist es zunächst notwendig, die Menge aller Lzulässigen (oder Lkorrekten) Ketten festzulegen. Für die Morphologie ist dies gerade die Menge der Wortformen. (In der Syntax ist es eine Menge von Sätzen.) Diese Kettenmenge sei L (und heiße im folgenden LSprache). Es sei x eine Einheit (etwa ein Morph). Die Kontexte von x bezüglich L bildet man aus der Menge aller zulässigen Ketten, die x enthalten, indem man ein Vorkommen von x streicht und es durch einen Marker (etwa '*') ersetzt, der die Leerstelle kennzeichnet. Kommt x mehrmals in einer Kette vor, so entstehen entsprechend viele Kontexte. Beispiel: Die Kette <un>*<bar><keit> ist ein Kontext von <sicht> bezüglich der Menge L der Wortformen des Deutschen. Die Distribution (im folgenden aus Gründen der Eindeutigkeit: der Kontextbereich) CL(x) von x bezüglich L ist die Menge aller Kontexte von x bezüglich L. Folglich gilt <un>*<bar><keit> 0 CL(<sicht>). Unter Verwendung von CL(x) wird es möglich, einige grundlegende Beziehungen zwischen Einheiten zu definieren. (L a 0 M, Elemente und Mengen) Zwei Einheiten x und y befinden sich in äquivalenter Distribution oder in distributioneller Äquivalenz oder sie sind distributionell äquivalent genau dann, wenn ihre Kontextbereiche gleich sind, d.h. wenn CL(x) = CL(y) gilt. Beispiel: Im Deutschen sind die Verbendungen <en>-1.pl. und <en>-3.pl. distributionell äquivalent. Dies ist nur eine andere Formulierung für den <totalen Zusammenfall (<Synkretismus) von zwei Formen im <Paradigma der Verben. Zwei Einheiten x und y befinden sich in distributioneller Inklusion genau dann, wenn der Kontextbereich von x in dem von y enthalten ist, d.h. wenn CL(x) f CL(y) gilt. Beispiele aus dem Deutschen: Die "Kasusendungen" <e>-Dat.sg. und <>-Dat.sg. stehen in distributioneller Inklusion: - Mann/Manne, aber Vater/ *Vatere und - jedes Dativ-e ist weglaßbar. Die "Verbendungen" <>-3.sg. und <>-1.sg. stehen in distributioneller Inklusion: - er/ich kam, aber er wird, ich *werd - es gibt kein Verb mit er Ve, ich V. Zwei Einheiten x und y befinden sich in komplementärer Distribution oder sie sind komplementär verteilt genau dann, wenn 1. ihre Kontextbereiche disjunkt sind, d.h. der Durchschnitt ihrer Kontextbereiche leer ist, d.h. CL(x) 1 CL(y) = Ø gilt, 2. die Vereinigung ihrer Kontextbereiche einen gewissen gegebenen Bereich CE von Kontexten erschöpft, d.h. CL(x) c CL(y) = CE gilt. Beispiele aus dem Deutschen: Die Verbendungen <en>-3.pl. und <n>-3.pl. sind komplementär verteilt: * tuen, *wanderen, *wandelen, tun, wandern, wandeln, arbeiten, arbeiteten, kamen, * arbeitn, *arbeitetn, *kamn Die "Kasusendungen" <>-Gen.sg. und <er>-Nom.pl. sind komplementär verteilt: Substantive ohne Genitiv-Endung (Frau, Bewegung) haben keinen Plural mit er. Der Normalfall ist, daß x und y zwei Allomorphe bzw. Allophone sind und CE der "Kontextbereich" des zugehörigen Morphems bzw. Phonems ist (vgl dazu obigen Exkurs über ich- und ach-Laut). Beispiele aus dem Englischen: <s>-pl. und <es>-pl. sind komplementär verteilt, wenn man von einer sehr kleinen Liste anderer Pluralformen (oxen, geese, sheep) absieht: dogs, cats, vs. boxes, bushes, kisses. <[s]>-3.sg. und <[z]>-3.sg. sind komplementär verteilte Allomorphe des entsprechenden Suffix-Morphems: asks, departs, stops vs. adds, comes, calls, leaves, moos Für die Auswahl des Allomorphs gibt es in beiden Beispielen einen phonetischen/ phonologischen Faktor. Mit dem Einschluß von <[iz]> erfaßt man alle Fälle: boxes, pushes, kisses Das letzte Beispiel legt es nahe, die Definition auf mehr als zwei Einheiten unter Beibehaltung von CE zu verallgemeinern: Die Einheiten x1, x2, ... xn befinden sich in komplementärer Distribution oder sie sind komplementär verteilt genau dann, wenn 1. ihre Kontextbereiche Lpaarweise disjunkt sind, d.h. für 1 # i < j #n CL(xi) 1 CL(xj) = Ø gilt, 2. die Vereinigung ihrer Kontextbereiche einen gewissen gegebenen Bereich CE von Kontexten erschöpft, d.h. CL(x1) c CL(x2) c ... c CL(xn) = CE gilt. Für das letzte Beispiel ist n = 3 und CE die Menge der Kontexte, die aus Verbformen mit dem betrachteten Suffix entstehen, also 'infinitiv*' ausschließlich der Modal- und Hilfsverben sowie einer sehr kleinen Liste, die Verben enthält wie quoth = vorangestelltes sagte: quoth the raven ..., obsolet). beware (= 'Achtung'): beware of imitations! Die Distribution ist (seit den 30er Jahren) Gegenstand theoretischer Verallgemeinerungen, LDistributionalismus. Sein Ziel war die Entwicklung von Methoden, mit denen Sprachen 'ohne Vorkenntnisse' rein formal auf den verschiedenen Ebenen (Phonologie, Morphologie, Syntax) beschrieben werden können. Dieses Ziel - theoretisch sehr attraktiv ist nur teilweise erreichbar, und zwar umso weniger, je weiter man in den Ebenen nach oben steigt.