Beweglichkeit und Training DEF: „Beweglichkeit ist die Fähigkeit und Eigenschaft des Sportlers, Bewegungen mit großer Schwungweite (....) in einem oder mehreren Glenken ausführen zu können“. (1) Bedeutung der Beweglichkeit ? Optimierung der qualitativen und quantitativen Bewegungsausführung ? Ohne dehnungs- und entspannungsfähigen Muskulatur keine optimale Bewegungsausführung (z.B. Turnen) ? Optimierung der koordinativen und technischen Leistungsfähigkeit sowie des motorischen Lernprozesses ? Stagnation in der Leistungsentfaltung (z.B. Hürdenlauf) ? Optimierung der konditionellen motorischen Hauptbeanspruchungsformen ? Agonisten müssen geringeren Widerstand der Antagonisten überwinden ? Verletzungsprophylaxe ? Verringerung der Anzahl elastischer Fasern ? allgemeine „Versteifung“ ? Haltungsprophylaxe/ Vermeidung muskulärer Dysbalancen ? Durch Dehnen kraft- o. schnelligkeitsbeanspruchter und damit hypotoner (= mit erhöhter Muskelspannung) Muskeln kann langfristig Muskelverkürzung verhindert werden, ? Optimierung der Wiederherstellung ? Da die Muskulatur nach Belastung eine erhöhte Muskelspannung (Muskeltonus) aufweist – besonders nach Kraft- u. Schnelligkeitsleistungen!! -, die für den Regenerationsprozess ungünstig ist, muss sie im Rahmen des ‚Cool-Down’ nach dem Auslaufen noch gedehnt werden!! Das Senken des Muskeltonus sollte jedoch in diesem Fall nicht durch das lange Halten einer Dehnstellung erfolgen (Stretchingkomponente ? „zähes Dehnen’ s.u.). ? dynamisches Dehnen!!! Durch das lange Halten kommt es zu einer Drosselung des Blutflusses u. die Ausschwemmung von Abfallstoffen bzw. der Transport von Nähr- u. Aufbaustoffen wird so behindert! ? Psychoregulation ? Senken des Muskeltonus ? entspannte Psyche Beweglichkeit und Muskeltonus Die Dehnungsfähigkeit wird zum einen durch die Dehnungswiderstände muskulärer Strukturen ( z.B. Titin- u. Nebulinfilamente) zum anderen durch den Tonus bzw. die Entspannungsfähigkeit der Muskeln begrenzt. Der Muskeltonus ist die Grundspannung der Muskulatur ( nur so ist die aufrechte Körperhaltung möglich!). Für den Muskeltonus bzw. die Entspannungsfähigkeit der Muskeln spielen die Muskelspindeln ( es handelt sich hier um Dehnungsrezeptoren, die parallel zu den Muskelfasern verlaufen) eine wichtige Rolle. Über die Muskelspindeln erfolgt vom ZNS die Steuerung des Tonus, der je nach Notwendigkeit, über die Innervation von mehr oder weniger Muskelfasern erhöht oder gesenkt wird. So setzt ein erhöhter Muskeltonus bzw. eine verminderte Entspannungsfähigkeit den muskulären Widerstand für Dehnübungen aller Art herauf und schränkt die Flexibilität ein. Für Sportarten, die eine gute Vordehnung der Arbeitsmuskulatur intendieren ( mit nachfolgend höherer Kontraktionskraft bzw. Schnelligkeit, wie u.a. Speerwurf, Diskuswurf, Kugelstoß) daher leistungsmindernd!! Faktoren, die den Muskeltonus erhöhen: ? Intensive muskuläre Aktivität (z. B. Krafttraining) ? Zunahme der Titin – u. Nebulinfilamente (durch hohe Kraftspitzen!!!) ? „puschende“ Umgebung (Musik, Fans etc.) ? Psychische Erregung ? Muskuläre Ermüdung ( nach harten Ausdauereinheiten entfällt „Weichmacher“-Wirkung des ATP ? Einbuße an Dehnfähigkeit. Faktoren, die den Muskeltonus senken: ? Längeranhaltendes Dehnen; speziell statisches D. (ungünstig für Maximalkraft-, Schnellkraft- u. Ausdauerleistungen, wenn es unmittelbar vorher erfolgt) ? Massagen, warme Bäder, Sauna ? Autogenes Training ? Entspannte Musik, Meditation ? Schlaf (1) Weineck, R., Weineck J., Leistungskurs Sport Bd. II, Sportbiologische und trainingswissenschaftliche Grundlagen, Waldkirchen 2008, S. 15 Beweglichkeit und Muskeldehnfähigkeit Den entscheidenden Dehnungswiderstand in der Muskulatur bieten nicht die kontraktilen Element sondern die bindegewebigen Begleitstrukturten (Titin- u. Nebulinfilamente) wie auch die Muskelfaszien u. – Hüllen. Bei explosiven Krafttrainingsformen (z.B. bei plyometrischem KT) erhöht sich der Anteil von Titin- u. Nebulinfilamenten und seine „stiftness“ (Steifheit/ Dehnungswiderstand), d.h., sein Tonus erhöht sich. KONSEQUENZ: Erhöhte „stiftness“ ist für Spielsportler notwendiger Schutz, verlangt aber Sportart begleitendes Dehnprogramm Beweglichkeit und Sarkomerzahl Bei ausreichend intensiven Dehnungsreizen passt sich die Muskelfaser morphologisch im Sinne einer Vermehrung der Sarkomerzahl an, was zu einer Verlängerung der Muskelfaser und damit zu einer erhöhten Beweglichkeit führt. Umgekehrt führt es zu einer Reduktion der Sarkomerzahl der Muskelfasern, wenn über längere Zeiträume Muskeln in verkürztem Zustand gehalten werden (z.B. bei einseitigen muskulären Belastungen, auch langes Sitzen!!!) Beweglichkeit in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht Mit zunehmendem Alter erleiden Sehnen, Bänder, Faszien eine Verminderung der regenerativen Zellen, Wasserverlust und eine Abnahme elastischer Zellen ? Abnahme der Beweglichkeit ? TRAINING! Mädchen u. Frauen sind beweglicher als Jungen und Männer!!! ? hormonell bedingte Unterschiede: höhere Östrogenspiegel führt zu erhöhter Wasserzurückhaltung und erhöhtem Fettgewebe (damit geringerem Muskelgewebe) ? Dehnungsfähigkeit der Frau auf Grund geringerer Gewebsdichte erhöht!! (KEINE ENTSCHULDIGUNG FÜR UNBEWEGLICHE MÄNNER ?!!) Beweglichkeitstraining Dehnungsmethoden Dynamisch statisch Aktiv Aktiv-dynamisch Aktiv-statisch passiv Passiv- dynamisch Passiv- statisch Aktiv-dynamisch: = „Ballistics“ Mehrfach wiederholte federnde Bewegungen ? Dehnstellung über Kraft der Antagonisten der zu dehnenden Muskulatur PLUS: starke Dehnreize? effektiv ? zudem Kräftigung des Antagonisten!! Bei regelmäßigem Training ? TOP MINUS: Verletzungsrisiko ? „Reißgymnastik“ Passiv-dynamisch: Federnde Dehnübungen mit Wirkung äußerer Kräfte (z.B. Partner). PLUS: bei korrekter Ausführung effektiv (Turnen, Sportgymnastik etc.) MINUS: KEINE parallele Kräftigung ? kann nur Ergänzung sein!! Aktiv-stati sch Kontraktion der Antagonisten der zu dehnenden Muskulatur in finaler Dehnstellung. Der Fixierung können wenige schwingende Bewegungen voraus gehen ? „ Ballisics and Hold“ MINUS: der Aktiv-dynamischen Methode unterlegen ? Antagonisten entwickeln nicht hinreichend isometrische Kraft, um reizwirksame Längenänderung des zu dehnenden Muskels zu erreichen! Passiv- statisch Wie Passiv- dynamisch mit Partnerhilfe. PLUS: Hohe Effektivität besonders im Turnen, Sportgymnastik etc. ALLE STATISCHEN DEHNUNGSMETHODEN ? STRETCHING STRECHING – differenziert ? „Zähes Dehnen“ Beibehalten einer Dehnstellung im Extrembereich „easy stretch“: 10-30 sek in Extremposition: Wahrnehmen der Abnahme des Spannungsgefühls „development stretch“: noch nachdehnen und weitere 10-30 sek in Endstellung bleiben WICHTIG: Vermeiden von Schmerzen, sonst Muskeltonus reflektorisch stark erhöht ? behindert Dehnvorgang ? Anspannen – Entspannen („Contract-Relax“) ? Dehnung unter Ausnutzung der Eigenhemmung Muskel vorher 1 sek maximal angespannt und sofort gedehnt ? Ausnutzung der hemmenden Wirkung der Sehnenspindeln: über Eigenhemmung wird Entspannung des vorher maximal kontrahierten Muskels erreicht u. erweiterte Dehnungsstellung ermöglicht. WICHTIG: Je stärker die vorherige Kontraktion des zu dehnenden Muskels, umso stärker seine Entspannung und effektiver die nachfolgende Dehnungsarbeit ? Anspannen – Entspannen ? Dehnung unter Ausnutzung der reziproken Hemmung Ausnutzen der reziproken Hemmung. Hier gilt: Wird ein Muskel kontrahiert, kommt es reflektorisch zur Entspannung seines Antagonisten, der dann optimal in den Dehnprozess einbezogen wird. Auch hier: Entspannung des Antagonisten um so stärker, je kräftiger die zuvor geleistete Kontraktion des Agonisten. WICHTIG: nicht bei Finger- u. Handgelenksbeugern! BEI ANWENDUNG DER METHODEN ? ZIELSETZUNG UND ZEITPUNKT BERÜCKSICHTIGEN! Durchführungstipps: ? Unmittelbar vor Schnelligkeits-, Schnellkraft-, Maximalkraft- und Kraftausdauerbelastungen ist länger einwirkendes Streching kontraindiziert, da es den Muskeltonus senkt und zu Leistungsabfall führt, so bei Sprint-, Sprung- und Wurfsportarten. ? Vor Schnelligkeits-, Schnellkraft- und Kraftausdauerbelastungen sollte nur ein kurzes verletzungsprophylaktisch wirksames, leistungsoptimierendes dynamisches Dehnen stattfinden. Außerdem sollte das Dehnprogramm in ausreichendem Abstand zum Wettkampf erfolgen (? mindestens 15min vorher). ? Nach dem Training führt Dehnen auf Grund der Muskeltonus senkenden Wirkung zur schnelleren Wiederherstellung. Zu beachten ist, – besonders bei hohen laktaziden Belastungen – dass Dehnungsübungen intermittierend durchgeführt werden (Dehnungs- u. Entspannungsphasen wechseln im 10 sek-Rhythmus). Heißt: Vermeiden langer Stretchingzeiten, die Durchblutung behindern (s.o.). ? Zur längerfristigen Steigerung, so im Heim- oder Vereinstraining, eignen sich besonders die passiven u. statischen Dehnungsmethoden; auch dynamische weisen hohe Effizienz auf! ? Bei Wahl der Methode die Sportart im Auge halten!! ? Bei Älteren und Untrainierten eignet sich das „Zähe Dehnen“, weil es auf Grund des sanften Charakters ein vermindertes Verletzungsrisiko in sich birgt. Bei Kindern dynamische Formen spielerisch einbringen! Beweglichkeitstests (Bilder links/ Mitte: Testübungen -- Bilder rechts: Dehnübungen) Überprüfung der Dehnfähigkeit des dreiköpfigen Wadenmuskels (triceps surae) Dieser zur Verkürzung neigende Muskel kann durch Einnahme der Hockposition (barfuss, Füße parallel, fußbreiter Abstand) auf seine Dehnfähigkeit getestet werden. Müssen bei der Darstellung unten die Fersen angehoben werden, liegt eine Verkürzung vor. Überprüfung der Dehnfähigkeit des geraden Kniestreckers (m. rectus femoris) Häufig verkürzt!! Sowohl bei Sportlern wie Computerfreaks! Testbeurteilung: Erreicht die Ferse - mit leichter Partnerhilfe – das Gesäß ? in Ordnung. Beträgt der Abstand – trotz Nachhelfens – bis zu 15 cm ? leichte Verkürzung. Größere Abstände ? starke Verkürzung ? ? DEHNÜBUNGEN Überprüfung der Dehnfähigkeit des geraden Hüftlendenmuskels (m. iliopsoas) Eine Verkürzung des Iliopsoas hat häufig eine verstärkte Hohlkreuzbildung zur Folge (besonders bei schwacher Bauchmuskulatur!!) ? Rückenprobleme!! Der Hüftbeuger ist bei vielen Spielern (Fußballer: Antritt, Torschuss), Leichtathleten, aber auch „Schreibtischtätern“ häufig verkürzt. Testbeurteilung: Verkürzung, wenn bei herangezogenem Oberschenkel zum Brustkorb das Testbein nach oben geht und nicht mehr „hängt“. Überprüfung der Dehnfähigkeit der Schenkelanzieher (mm. adductores) In Spielsportarten zählen Adduktorenverletzungen zu den häufigsten! Testbeurteilung: Gute Dehnfähigkeit = Abduktion von 60 Grad; 40- 60 Grad = leichte, unter 40 Grad – starke Verkürzung. Überprüfung der Dehnfähigkeit der Sitzbeinschenkelmuskulatur (mm. ischiocrurales) Häufig verkürzt!! Testbeurteilung: Dehnfähigkeit gut, wenn ein Bein ohne Spannungsschmerz in der Kniekehle bis 90 Grad angehoben werden kann. Leichte Verkürzung: Beugewinkel 80- 90 Grad, starke Verkürzung: zwischen 60 u. 80 Grad. Überprüfung der Dehnfähigkeit des Rückenstreckers (m. erector trunci) Häufig im Bereich der Lendenwirbelsäule verkürzt! ? Auswirkungen auf Lendenwirbellordose ? Bandscheibenprobleme!! Testbeurteilung: Dehnfähigkeit gut, wenn Stirn-Kniescheiben-Abstand 0-10 cm. Zwischen 10 und 15cm leichte und bei mehr als 15 cm starke Verkürzung. Literatur: Weineck, R., Weineck J., Leistungskurs Sport Bd II, Sportbiologische und trainingswissenschaftliche Grundlagen, Waldkirchen 2008