Zweite Wiener Klassik

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„Zweite Wiener Klassik“
Gespräch Johannes Moser und Richard Eckstein
R.E.: Welcher Grundgedanke steckt hinter der auf drei CDs angelegten Reihe
„Brahms und seine Zeit“? Oder soll es heißen „Brahms und seine Zeitgenossen“?
J.M.: Damit soll eine bisher zu wenig beachtete Brücke geschlagen werden zwischen
der Zeit, in der Johannes Brahms fest nach Wien übersiedelt war, also 1869, und
den musikalischen Neuerungen, die schließlich in Arnold Schönbergs „Methode der
Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ kulminierten. Dieses
gleichzeitige Zusammenleben von bedeutenden Vertretern der Romantik und des
aufkommenden Expressionismus hat Paul Rivinius und mich interessiert.
Kompositorische Entwicklungen sind gerade am Ende des 19. Jahrhunderts nicht
völlig losgelöst von Traditionslinien entstanden. Darüber geben schon die LehrerSchüler-Verhältnisse Auskunft. Wer weiß aber noch, dass dem von Brahms
protegierten Robert Fuchs eine Art Schlüsselstellung zukommt: Als
Kompositionsprofessor am Wiener Konservatorium zählten Hugo Wolf, Gustav
Mahler, Franz Schmidt, Franz Schreker, Leo Fall, Richard Heuberger und last not
least Alexander Zemlinsky zu seinen Studenten. Zwischen Brahms, der 1897
verstorben ist, und der Wiener Moderne gab es eben keinen fließenden Übergang.
Dazwischen lag noch ein wiederzuentdeckendes „Brückentier“ namens Robert Fuchs.
R.E.: Folglich porträtieren Sie zwei oder – wenn man will – sogar drei
Komponistengenerationen, die die österreichische Hauptstadt zu ihrem Lebens- und
Schaffensmittelpunkt gewählt hatten: den 1833 geborenen Johannes Brahms, den
14 Jahre jüngeren Robert Fuchs und Alexander Zemlinsky, der dem Jahrgang 1871
angehörte.
J.M.: Genau. Man kann vielleicht etwas zugespitzt von der ,Gleichzeitigkeit des
Ungleichzeitigen’ sprechen, denn Brahms’ Cellosonate FDur op. 99 wurde 1886 in
Wien uraufgeführt, Fuchs’ zweite Cellosonate wurde zwar erst 1908 veröffentlicht,
atmet aber denselben Geist wie seine erste von 1881, und Zemlinskys lange
verschollenes Jugendwerk stammt aus dem Jahr 1894 – alles liegt zeitlich relativ
nah beieinander. Unverkennbar sind alle drei Kompositionen vom Brahms’schen
Geist geprägt.
R.E.: Wie drückt sich das konkret aus?
J.M.: Dazu muss ich ein wenig ausholen. Brahms hat sein Verständnis von
Kreativität einmal so umrissen: „Tief innen im Menschen spricht und treibt oft
etwas, uns fast unbewusst, und das mag wohl bisweilen als Gedicht oder Musik
ertönen.“ Oft wurde bei ihm ein liedhaftes Moment zur Quelle der kompositorischen
Architektur. Überall, in seinen Symphonien, Konzerten und Kammerensembles,
spricht das kantable Thema zur Phantasie des Publikums. Diese Liedmelodien wollen
nichts sagen und nichts malen, sie sind keine Reaktion auf Gegebenheiten und
Vorgänge der Umwelt, sie werden nicht von außen provoziert, sondern fließen
absichtslos als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit von innen heraus.
Robert Fuchs hat sich ganz an dieser von Brahms vorgezeichneten lyrischen
Intensität orientiert. Das hört man besonders dem ersten Satz seiner Cellosonate
es-Moll op. 83 an: Der Rhythmus, die Balance zwischen den beiden Instrumenten
und die thematische Ausgewogenheit lassen deutlich erkennen, wie stark der
Einfluss der ,kompositorischen Instanz’ Brahms gewesen sein muss. Der langsame
Satz, Adagio con sentimento, besitzt eine Art Herbststimmung, worauf der virtuose
Final-Satz hervorragend passt. Bei einer solchen gleichfalls von Brahms inspirierten
Bravour können sich Pianist und Cellist gegenseitig beflügeln.
Ein wenig anders sieht es bei Zemlinskys erst 2005 wiederveröffentlichter
Cellosonate in a-Moll aus. Durch Sparsamkeit der Thematik, gepaart mit einem
Hang zum Theatralischen, gibt sie sich als logische Nachfolgerin der frühen d-MollSymphonie zu erkennen. Hinzu kommt eine offensichtlich auf Verblüffung zielende
Destabilisierung der Tonalität sowie – vor allem im heiteren Finale – ein reicher
Vorrat an exotischen Skalen und Harmonien. Zemlinsky gelang es hier immer
wieder, sich vom Vorbild Brahms zu befreien, indem er quasi ironische
Reflexionsebenen einfügte. Nichtsdestoweniger bleibt der musikalische Übervater
präsent.
R.E.: Gab es auch Kontakte auf der persönlichen Ebene?
J.M.: Fuchs hatte in Brahms, den er seit 1875 kannte, einen mächtigen Förderer
und Freund gefunden. Dies äußerte sich nicht nur dadurch, dass Brahms das
Schaffen von Fuchs ratend und warnend anregte, sondern er stellte auch einen
Kontakt zu seinem eigenen Verleger Simrock in Hamburg her, der von da an Fuchs’
Werke herausbrachte. Eine solche Kollegialität würde man sich noch heute
wünschen. Das Urteil des wahrlich nicht unkritischen Brahms von 1891 ,Fuchs ist
ein famoser Musiker. So fein und so gewandt, so reizvoll erfunden ist alles, man hat
immer seine Freude daran!’ ist gewiss mehr als ein willfähriges Freundeslob.
Besonders erfolgreich waren übrigens seinerzeit die Serenaden für Orchester von
Robert Fuchs, was ihm den Spitznamen ,Serenaden-Fuchs’ eingetragen haben soll.
R.E.: Warum war es um Zemlinskys Cellosonate so lange still? Das Werk wurde seit
der Wiener Uraufführung am 23. April 1894 mit dem Komponisten am Klavier und
dem Widmungsträger, dem Cellisten Friedrich Buxbaum, nie mehr aufgeführt…
J. M.: Jedenfalls hat dies nichts mit der künstlerischen Qualität des Stückes zu tun.
Selbst wenn der Vergleich jetzt etwas gewagt erscheinen mag, aber Mahlers
Symphonien galten auch lange als bloßes Kuriosum. Zu Beginn der 1890er Jahre
hatten Zemlinsky und Buxbaum zusammen am Wiener Konservatorium studiert.
Gemeinsam hoben sie die Cellosonate aus der Taufe und spielten aus dem
Autograph. An eine Drucklegung war wohl nicht zu denken. Buxbaum, dessen
Lebensweg von Orchesterstellen in Glasgow und London bis zum Pult des
Solocellisten der Wiener Philharmoniker führte, behielt die Noten stets bei sich. Im
Juli 1938 wurde er – nach dem Anschluss Österreichs an NS-Deutschland –
zwangspensioniert. Mit seiner Familie rettete er sich nach London, wo er das
legendäre Rosé-Quartett neu aufleben ließ. Aufgrund seiner Englischkenntnisse
konnte er außerdem selbst verfasste Musik-Vorträge halten, die von der BBC
ausgestrahlt wurden. Erst 30 Jahre nach Buxbaums tragischem Tod 1948 – er war
auf dem Weg zu einer Probe, erlitt einen Herzinfarkt und brach tot auf der Straße
zusammen, als er dem Bus hinterherrannte – übergab sein Enkel Martin Buxbaum
das Notenmaterial an den Publizisten Fritz Spiegl. Der Alexander Zemlinsky Fonds in
Wien erfuhr wiederum erst nach Spiegls Tod vom Standort der Manuskripte. So kam
der Stein ins Rollen.
Interview: Richard Eckstein
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