Stressbezogene Charakteristika bei depressiven Kindern und Jugendlichen und ihre Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Major Depression Dissertation zur Erlangung der naturwissenschaftlichen Doktorwürde am Fachbereich I – Klinische und Physiologische Psychologie der Universität Trier vorgelegt von Dipl.-Psych. Ulrike Anna Schmidt-Gies Betreuer: Prof. Dr. R. G. Laessle Prof. Dr. N. Baumann Trier, Mai 2013 Dissertationsort: Trier 2 Danksagung Diese Seite ist denjenigen gewidmet, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit beigetragen haben. Ihnen möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen. Ein besonderes Wort des Dankes gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Reinhold Laessle, der mir mit Fachwissen, Ratschlägen und Optimismus stets unterstützend zur Seite gestanden hat. Ich bin glücklich eine so freundliche und hilfreiche Betreuung erfahren zu haben. Frau Prof. Dr. Nicola Baumann möchte ich für die Zweitbetreuung meiner Arbeit danken, die sie mir ihrer offenen und herzlichen Art bereitwillig übernommen hat. Mein Dank geht auch an die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Durch die Bereitstellung der Forschungsgelder hat sie die Durchführung dieser Studie ermöglicht. Des Weiteren bin ich den Projektmitarbeiterinnen zu Dank verpflichtet, Frau cand. Psych. Lisa Geiermann, Frau cand. Psych. Hanna Bönitz, Frau cand. Psych. Jennifer Ries und Frau cand. Psych. Susanne Pöller, die mir eine große Hilfe bei der Durchführung des Stresstests, der Dateneingabe und weiteren Aufgaben waren. Danke sagen möchte ich speziell auch meiner Mitarbeiterin Frau cand. Psych. Katja Bittmann, die mir mit ihrem Engagement bei Rekrutierung, Stresstest, Dateneingabe und vielen zusätzlichen Aufgaben geholfen und mit ihrem Sinn für Ordnung den Arbeitsalltag wesentlich erleichtert hat. Eine große Unterstützung erfuhr dieses Forschungsprojekt auch durch die bereitwillige Kooperation von PD Dr. Alexander Marcus. Als Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Mutterhauses der Borromäerinnen in Trier unterstützte er die Rekrutierung der Probandinnen und stellte Räumlichkeiten für das Erstinterview zu Verfügung. Des Weiteren möchte ich mich bei den Kinder- und Jugendpsychiaterinnen Frau Dr. Malou Fox, Frau Manuela Käfer, Frau Margot Wallenborn und Frau Martina Hahn bedanken. Sie ermöglichten die ärztlich abgesicherte Pubertätsklassifikation der Studienteilnehmerinnen. Großer Dank gilt auch Herrn Dipl. Psych. Torsten Hero, der mir mit wertvollen statistischen Tipps zur Seite stand. Ebenso danke ich Frau Dr. Andrea Gierens für ihre Ratschläge zur Cortisolsammlung und zu den Cortisoldaten und Frau Dipl. Psych. Esther Hilterscheid für den netten Austausch. Meinen Dank richten möchte ich von Herzen an meinen Mann Constantin, der mir den Rücken frei gehalten hat und mich bestärkt hat, indem er mir immer wieder meine Fähigkeiten und Fertigkeiten vor Augen geführt hat. Ganz besonders danken möchte ich meinen Eltern, die in vielerlei Hinsicht die Grundsteine für den Weg des Psychologiestudiums und der Promotion gelegt haben. Ein herzliches Dankeschön richtet sich auch an die Kinder und Jugendlichen, die sich vertrauensvoll als Probandinnen zur Verfügung gestellt haben und an deren Eltern. 3 Inhaltsverzeichnis ● 1 Theorie..............................................................................8 ◦ 1.1 Einleitung.................................................................................8 ◦ 1.2 Die Depressionssymptomatik..................................................9 ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ 1.2.1 Beschreibung der Symptome............................................................9 1.2.2 Klassifikation des depressiven Störungsbildes nach dem DSM-IV 10 1.2.2.1 Major Depression..........................................................................11 1.2.2.2 Dysthyme Störung........................................................................12 1.2.2.3 Nicht näher bezeichnete depressive Störung..............................13 1.2.3 Verlaufsbeschreibung der Depression............................................13 ◦ 1.3 Prävalenz..............................................................................14 ▪ 1.3.1 Die Auftretenshäufigkeit der Depression im Kindes- und Jugendalter ..................................................................................................................14 ▪ 1.3.2 Pubertät und Alter............................................................................15 ▪ 1.3.3 Geschlecht.......................................................................................15 ▪ 1.3.4 Anstieg der Prävalenzrate...............................................................16 ◦ 1.4 Verlauf der Depression: Genesungsraten und Rückfallrisiko 17 ◦ 1.5 Beeinträchtigungen und Konsequenzen der Depression......19 ◦ 1.6 Komorbidität bei Depression.................................................21 ▪ 1.6.1 Prävalenz, Art und zeitliche Abfolge der komorbiden Störungen....21 ▪ 1.6.2 Begleiterscheinungen und Auswirkungen von Komorbidität...........23 ◦ 1.7 Risikofaktoren zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression..................................................................................24 ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ 1.7.1 Sozioökonomischer Status..............................................................24 1.7.2 Familiäre Faktoren...........................................................................25 1.7.2.1 Elterliche Psychopathologie.........................................................26 1.7.2.2 Interaktionelle Famlienprozesse und Familienbeziehungen........27 1.7.3 Kognitive Vulnerabilität....................................................................28 1.7.3.1 Becks kognitive Theorie der Depression......................................29 1.7.3.2 Hilflosigkeits- und Hoffnungslosigkeits-Theorie der Depression..30 1.7.4 Stress...............................................................................................31 1.7.4.1 Stressreiche Ereignisse und chronische Belastungen.................32 1.7.4.2 Stressmodelle zur Depression.....................................................33 1.7.5 Stressbewältigungsstrategien.........................................................35 1.7.6 Genetik............................................................................................38 4 ▪ 1.7.7 Zusammenfassende Betrachtung...................................................38 ◦ 1.8 Cortisol..................................................................................42 ▪ ▪ ▪ ▪ 1.8.1 Ausschüttung und physiologische Effekte.......................................42 1.8.2 Die Cortisolaufwachreaktion (CAR)................................................42 1.8.3 Die Cortisolaufwachreaktion und Depression.................................46 1.8.4 Die Cortisolreaktion nach Stress.....................................................48 ● 2 Ziele und Fragestellungen............................................50 ◦ 2.1 Querschnittliche Fragestellung..............................................51 ▪ 2.1.1 Psychologische Ebene....................................................................51 ▪ 2.1.2 Biologische Ebene...........................................................................52 ▪ 2.1.3 Verknüpfungshypothese..................................................................52 ◦ 2.2 Längsschnittliche Fragestellung............................................52 ● 3 Methode...........................................................................54 ◦ 3.1 Die Untersuchungsstichprobe...............................................54 ▪ 3.1.1 Vorgehensweise..............................................................................54 ▪ 3.1.2 Ein- und Ausschlusskriterien...........................................................55 ◦ 3.2 Design...................................................................................56 ▪ 3.2.1 Kontrollgruppendesign im Querschnitt............................................56 ▪ 3.2.2 Prospektive Längsschnittstudie.......................................................56 ◦ 3.3 Der erste Studientermin: Voruntersuchung...........................56 ◦ 3.4 Prüfprotokoll des zweiten und dritten Studientermins...........57 ◦ 3.5 Trier Sozial Stress Test für Kinder.........................................60 ◦ 3.6 Speichelprobensammlung im Labor und zu Hause...............61 ◦ 3.7 Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter (Kinder-DIPS)......................................62 ◦ 3.8 Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche (GBB-KJ).....................................................................................64 5 ◦ 3.9 Problemfragebogen für 11-14-Jährige (PF 11-14).................65 ◦ 3.10 Problemfragebogen für Jugendliche....................................66 ◦ 3.11 Stressverarbeitungsfragebogen (SVF-KJ)...........................67 ◦ 3.12 Fragebogen zur Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter 3-8 (SSKJ)........69 ◦ 3.13 Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche (DIKJ).....71 ◦ 3.14 Statistische Auswertungen..................................................73 ▪ 3.14.1 Querschnittsstudie.........................................................................73 ▪ 3.14.2 Längsschnittstudie.........................................................................73 ▪ 3.14.3 Stichprobenumfangsplanung.........................................................74 ● 4 Ergebnisse......................................................................76 ◦ 4.1 Beschreibung der Untersuchungsstichprobe.........................76 ◦ 4.2 Querschnittliche Ergebnisse auf psychologischer Ebene......78 ▪ ▪ ▪ ▪ 4.2.1 Psychische Stresssymptomatik und Stressvulnerabilität................78 4.2.2 Problembelastung............................................................................79 4.2.3 Körperliche Beschwerdesymptome.................................................82 4.2.4 Stressbewältigungsstrategien.........................................................83 ◦ 4.3 Querschnittliche Ergebnisse auf biologischer Ebene............88 ▪ 4.3.1 Die Cortisolaufwachreaktion............................................................88 ▪ 4.3.2 Die Cortisolreaktion nach psychosozialem Stress..........................90 ◦ 4.4 Verknüpfung von psychischem und physischem Stress und der Aktivität der HHN-Achse........................................................91 ◦ 4.5 Längsschnittliche Ergebnisse auf psychologischer Ebene....92 ▪ 4.5.1 Vorhersage des Bewältigungverhaltens und der Stressbelastung. 92 ▪ 4.5.2 Vorhersage des Ausprägungsgrades der depressiven Symptome durch psychologische Variablen...............................................................94 ▪ 4.5.3 Vorhersage des Fortbestands der Depressionsdiagnose durch psychologische Variablen.........................................................................95 ◦ 4.6 Längsschnittliche Ergebnisse auf biologischer Ebene..........96 ▪ 4.6.1 Vorhersage der Cortisolsekretion....................................................96 ▪ 4.6.2 Vorhersage des Ausprägungsgrades der depressiven Symptome 6 durch biologische Variablen......................................................................98 ▪ 4.6.3 Vorhersage des Fortbestands der Depressionsdiagnose durch biologische Variablen................................................................................99 ● 5 Diskussion....................................................................100 ◦ 5.1 Diskussion der querschnittlichen Ergebnisse......................100 ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ 5.1.1 Stress und Stressvulnerabilität......................................................100 5.1.2 Problembelastung..........................................................................102 5.1.3 Physische Beschwerdesymptome................................................103 5.1.4 Stressbewältigungsstrategien.......................................................105 5.1.5 Die Cortisolaufwachreaktion (CAR)..............................................109 5.1.6 Die Cortisolreaktion nach psychosozialem Stress.........................111 5.1.7 Verknüpfung von Stresssymptomatik und HHNA-Aktivität............113 5.1.8 Gesamtdiskussion der Querschnittsergebnisse............................114 ◦ 5.2 Diskussion der längsschnittlichen Ergebnisse.....................116 ▪ 5.2.1 Vorhersage der Bewältigung und Stressbelastung.......................116 ▪ 5.2.2 Vorhersage der depressiven Symptome durch psychologische Variablen ................................................................................................118 ▪ 5.2.3 Vorhersage der Depressionsdiagnose durch psychologische Variablen.................................................................................................119 ▪ 5.2.4 Die Vorhersage der Cortisolsekretion...........................................121 ▪ 5.2.5 Vorhersage der Depression durch die Cortisolsekretion..............121 ▪ 5.2.6 Gesamtdiskussion der Längsschnittergebnisse...........................122 ◦ 5.3 Gesamtdiskussion der Studie..............................................124 ◦ 5.4 Fazit.....................................................................................127 ◦ Abbildungsverzeichnis...............................................................129 ◦ Tabellenverzeichnis...................................................................130 ◦ Literatur.....................................................................................132 ◦ Anhang......................................................................................150 7 1 Theorie 1 Theorie 1.1 Einleitung Heutzutage zählt die Depression zu den häufigsten und schwerwiegendsten Krankheiten (Kessler et al., 2005; Ayuso-Mateos et al., 2001; Üstün, Ayuso-Mateos, Chatterji, Mathers & Murray, 2004) und gilt beispielsweise auch als ein Hauptfaktor für die Verschlechterung der körperlichen Gesundheit (Moussavi et al., 2007). Für das Erwachsenenalter ist dies schon lange bekannt und akzeptiert, wohingegen die depressive Störung für das Kindes- und Jugendalter erst seit Mitte der achtziger Jahre als vollständig akzeptiertes Störungsbild ausreichend Beachtung findet. Zwar wurden depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen schon im Mittelalter und im 19. Jahrhundert beobachtet (Parry-Jones, 2001), doch bis in die 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, herrschte die Meinung vor, dass Kinder und Jugendliche kognitiv und emotional gar nicht in der Lage seien ein klinisch bedeutsames Krankheitsbild der Depression auszubilden, z. B. aufgrund eines noch nicht ganz ausgebildeten Über-Ichs (Überblick in Groen & Petermann, 2002). Dass eine depressive Verstimmung dennoch bei Kindern auftreten kann, wurde von den Vertretern der larvierten (maskierten) Depression behauptet. Jedoch wurde auch hier die Depression nicht als eigenständige Störung angesehen (Toolan, 1962). Vielmehr wurde davon ausgegangen, dass, statt der typischen Depressionssymptome des Erwachsenenalters, Verhaltensauffälligkeiten wie Wutausbrüche oder Probleme wie Schul- und Lernschwierigkeiten oder körperliche Beschwerden die larvierte Depression darstellten. Ebenso erfuhr die Kindheits- und Jugenddepression keine Anerkennung in den 70-er Jahren, als depressive Symptomatiken von Lefkowitz und Burton (1978) als normale Begleiterscheinungen der Entwicklung propagiert wurden, die vorübergehend seien und keineswegs pathologisch. Im Gegensatz dazu begann ab den 70-er Jahren aber auch ein verstärktes Interesse an der Depression im Kindes- und Jugendalter im Sinne einer ernstzunehmenden Erkrankung. Im Rahmen dessen wurden typische Symptome einer Erwachsenendepression, wie Niedergeschlagenheit, Trauer oder ein geringes Selbstbewusstsein, auch bei Kindern und Jugendlichen identifiziert. Dies mündete in den 80-er Jahren in die allgemeine Auffassung, dass die Ausprägung der Depressionssymptomatik im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter nahezu identisch sei (Carlson & Kashani, 1988). Die Depression bei Kindern und Jugendlichen wird heute breit akzeptiert und sehr ernst genommen. Folglich existieren zahlreiche Studien, welche beispielsweise die hohe Auftretenshäufigkeit, die Prädiktoren, den Verlauf oder die Konsequenzen der Depression im Kindes- und Jugendalter beleuchten. 8 1 Theorie In diesem Sinne wird in Kapitel 1.3 auf die Auftretenshäufigkeit der Depression im Kindes- und Jugendalter eingegangen, nachdem in Kapitel 1.2 ausführlich die Depressionssymptomatik beschrieben wurde. Kapitel 1.4 befasst sich mit Genesung und Rückfall der Depression und Kapitel 1.5 widmet sich dem wichtigen Thema der Funktionsbeeinträchtigung und langfristigen negativen Konsequenzen für die Betroffenen, welche durch die Depression zu Stande kommen können. Nach dem 1.6. Kapitel, welches sich auf die Prävalenz und Folgen der Komorbidität zentriert, werden in Kapitel 1.7 ausführlich die empirisch fundierten Risikofaktoren der Depression dargelegt. Das Kapitel 1.8 beschreibt die Funktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse mit dem Fokus auf das Stresshormon Cortisol, das im Zusammenhang mit Depression tendenziell vermehrt ausgeschüttet wird und möglicherweise auch als Risikofaktor für Depression anzusehen ist, aber häufig zumindest als Begleiterscheinung der depressiven Erkrankung vorliegt. Ein Ziel der vorliegenden Studie ist die Charakterisierung einer depressiven Stichprobe von 10- bis 18-jährigen weiblichen Jugendlichen hinsichtlich einiger psychologischer und biologischer Variablen im Vergleich mit einer gesunden Kontrollstichprobe. Weiterhin soll die Vorhersagekraft dieser Variablen für die Auftrechterhaltung und das Ausmaß der depressiven Symptomatik geprüft werden in einer längsschnittlichen Betrachtung 6 Monate nach dem ersten Erhebungszeitpunkt. Eine genaue Beschreibung der Ziele und Fragestellungen dieser Studie findet sich in Kapitel 2. Kapitel 3 geht auf die Methodik der aktuellen Untersuchung ein, inklusive Stichprobe, eingesetzte Fragebögen und Vorgehensweise der Cortisoluntersuchungen, ebenso wie auf den Stresstest zur Provokation einer Cortisolreaktion. Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung berichtet, woraufhin im Kapitel 5 dann abschließend die gesamten Befunde diskutiert werden. 1.2 Die Depressionssymptomatik 1.2.1 Beschreibung der Symptome In der Alltagssprache und auch in der wissenschaftlichen Literatur werden unter dem Begriff der Depression teilweise recht verschiedene Symptommuster und Erscheinungsformen zusammengefasst. In den meisten Fällen ist mit Depression eine niedergedrückte Stimmung und Traurigkeit gemeint, zu der aber auch andere Symptome hinzukommen können. Ein deutliches Bild der Depression ergibt sich bei Betrachtung der Symptome, welche im Rahmen einer Depression auftreten können. Sie lassen sich in folgende vier Bereiche einteilen: Affekt/emotionale Symptome: Trauer, Niedergeschlagenheit, 9 unglücklich sein, Leere, 1 Theorie Hoffnungslosigkeit, Besorgtheit, Reizbarkeit, Lustlosigkeit, Mutlosigkeit. Kognition/kognitive Symptome: Interessenverlust, Gedanken zur eigenen Wertlosigkeit und Unzulänglichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, fehlende Entscheidungsfähigkeit, Selbstvorwürfe im Rahmen von Schuldgefühlen, Suizidgedanken, Selbstzweifel. Verhalten/motivationale Symptome: psychomotorische Verlangsamung, die sich in Bewegungen und Sprache äußern kann, oder Erregung und Agitiertheit, Weinen, Erschöpfung, sozialer Rückzug, Abhängigkeitsverhalten, Suizid. Körperliche Symptome: Schlafstörungen (Schlaflosigkeit oder übersteigertes Schlafbedürfnis), Appetitlosigkeit oder gesteigerte Appetit, damit einhergehend Gewichtsverlust oder -zunahme, Schmerzen, Müdigkeit, Verdauungsstörungen, Libidoabnahme. Wird die Depression als „depressive Störung“ bezeichnet, ist damit die klinische Diagnose, aufbauend auf den Kriterien eines psychiatrischen Klassifikationssystems, gemeint. Die geläufigsten und am meisten anerkannten sind das Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen der American Psychiatric Association (DSM-IV, APA, 1994) und die Internationale Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10, WHO, 1993). Um die Diagnose einer klinisch bedeutsamen depressiven Störung zu erfüllen, müssen die Kriterien erfüllt sein, die ein solches Klassifikationssystem auflistet. Da die meisten psychologischen Forschungsarbeiten zur Depression, ebenso wie die vorliegende Arbeit, die Kriterien nach dem DSM anlegen, wird im Folgenden die Klassifikation der Depression nach dem System des DSM näher beschrieben. 1.2.2 Klassifikation des depressiven Störungsbildes nach dem DSM-IV Unter den Begriff der depressiven Störung fallen im DSM-IV die Major Depression, die dysthyme Störung und die nicht näher bezeichnete depressive Störung. Für Kinder und Jugendliche gelten im Prinzip die selben Kriterien wie für Erwachsene. Eine geringfügige Änderung wurde an wenigen Stellen vorgenommen. So kann bei Kindern und Jugendlichen statt des Kernsymptoms der „depressiven Verstimmung“ auch „Reizbarkeit“ auftreten. Außerdem wird, je nach Alter, davon ausgegangen, dass das Kriterium des „Gewichtsverlustes“ durch das „Ausbleiben der erwarteten 10 1 Theorie Gewichtszunahme“ ausgetauscht werden kann. Hinsichtlich der dysthymen Störung beträgt die Mindestdauer als Voraussetzung zur Vergabe der Diagnose bei Kindern ein Jahr, während es bei Erwachsenen zwei Jahre sind. 1.2.2.1 Major Depression Die Major Depression zeichnet sich aus durch eine oder mehrere (dann als rezidivierend bezeichnete) depressive Episoden, in der/denen an fast allen Tagen über mindestens zwei Wochen mindestens fünf Symptome vorliegen müssen. Ein Symptom muss eines der folgenden beiden Kernsymptome abdecken: (1) Depressive Verstimmung, bei Kindern oder Jugendlichen auch reizbare Verstimmung. (2) Deutlich vermindertes Interesse oder Freude an fast allen Aktivitäten. Weiterhin müssen mindestens vier zusätzliche Symptome aus der folgenden Liste erfüllt sein: (3) Deutlicher Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme (bei Kindern auch Ausbleiben der erwarteten Gewichtszunahme) bzw. verminderter oder gesteigerter Appetit. (4) Schlaflosigkeit (Insomnia) oder vermehrter Schlaf (Hypersomnia). (5) Psychomotorische Unruhe oder Hemmung/Verlangsamung. (6) Müdigkeit oder Energieverlust. (7) Gefühle der Wertlosigkeit oder exzessive unangemessene Schuldgefühle, die wahnhaft sein können. (8) Verminderte Fähigkeit zu denken oder sich zu konzentrieren oder Entscheidungen zu treffen (bei Kindern ist ein plötzliches Abfallen der schulischen Leistung möglich) (9) Wiederkehrende Gedanken an den Tod (nicht nur die Angst zu sterben), wiederholte Suizidvorstellungen, Planung eines Suizids, Suizidversuch. Folgende Umstände müssen zusätzlich gegeben sein, damit die Diagnose der klinischen Major Depression gestellt werden darf. Die Ursachen für die Symptome dürfen nicht durch organische Krankheit begründet sein und nicht durch den Einfluss von Drogen oder Medikamenten ausgelöst worden sein. Differentialdiagnostisch muss die depressive Episode von anderen affektiven Episoden, wie z. B. einer manischen Episode, abgrenzbar sein. Ferner ist eine depressive Episode zu unterscheiden von einer normalen Trauerreaktion, wie sie beispielsweise auf Verlusterlebnisse 11 1 Theorie hin folgen kann. Außerdem muss durch die Symptome ein klinisch bedeutsames Leiden oder eine Beeinträchtigung in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen hervorgerufen sein. Anhand dieser Beeinträchtigungen bzw. des Leidens und der Anzahl der erfüllten Symptome kann die Major Depression hinsichtlich ihres Schweregrades unterteilt werden. Bei einer leichten Episode liegen fünf oder sechs Symptome vor, und ein klinisch bedeutsames Leiden oder eine Einschränkung in mindestens einem wichtigen Funktionsbereich muss vorhanden sein. Die schwere depressive Episode ist charakterisiert durch die Erfüllung der meisten Symptome mit erheblichen Beeinträchtigungen in Arbeit, Schule, sozialen Aktivitäten oder zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Ausprägung der mittelschweren Episode liegt in Anzahl der Symptome und Ausmaß der Beeinträchtigungen zwischen denen der leichten und der schweren depressiven Episode. Eine weitere Unterscheidung innerhalb der schweren Episode kann vollzogen werden bezüglich des Vorhandenseins psychotischer Züge. Treten solche auf, kann sich dies in Wahnvorstellungen oder Halluzinationen äußern, welche sich auf eigene Schuld oder Tod beziehen oder aber auch auf Verfolgung und verschiedenste Gedankeneingebungen. 1.2.2.2 Dysthyme Störung Diese Form der depressiven Störung gilt zwar als weniger schwerwiegend, jedoch handelt es sich um eine chronische Erkrankung über mindestens zwei Jahre hinweg (bei Kindern und Jugendlichen über ein Jahr). Während dieser Störung leiden die Betroffenen an über der Hälfte der Tage für die meiste Zeit des Tages an depressiven Verstimmungen (bei Kindern und Jugendlichen kann es statt dessen auch Reizbarkeit sein). Um die Diagnosekriterien zu erfüllen, darf es während des Krankheitszeitraumes keine zwei Monate oder eine längere Zeit gegeben haben, in der die Symptome abwesend waren. Neben dem Kernsymptom der depressiven Verstimmung, müssen noch mindestens zwei der folgenden Symptome vorliegen: Appetitlosigkeit oder gesteigertes Essbedürfnis, Schlaflosigkeit oder übermäßiges Schlafbedürfnis, Energiemangel oder Erschöpfung, ein geringes Selbstwertgefühl, Konzentrationsstörungen oder Schwierigkeiten Entscheidungen zu treffen, Hoffnungslosigkeitsgefühle. Ferner muss, entsprechend des Kriteriums der Major Depression, ein bedeutsamer Leidensdruck vorhanden sein oder eine Beeinträchtigung in einem der psychosozialen Funktionsbereiche vorliegen. Nicht vergeben werden darf die Diagnose, falls innerhalb des ersten Jahres der Symptomatik eine Episode der Major Depression vorhanden war. In diesem Fall kann das Störungsbild eher durch eine chronische oder teilremittierte Major Depression erklärt werden. Zusätzlich ist zu beachten, dass zu keinem Zeitpunkt eine manische, gemischte oder 12 1 Theorie hypomane Episode vorhanden gewesen sein darf, dass die Symptome nicht ausschließlich innerhalb einer psychotischen Störung aufgetreten sein dürfen, und dass die dysthymen Symptome nicht durch eine körperliche Erkrankung oder Substanzen induziert sein dürfen. 1.2.2.3 Nicht näher bezeichnete depressive Störung Eine nicht näher bezeichnete depressive Störung wird gemäß dem DSM vergeben, wenn depressive Symptome vorliegen, die aber nicht stark oder lange genug ausgeprägt sind um die vollen Kriterien einer der beiden zuvor beschriebenen Störungen zu erfüllen. Unter anderem ist die prämenstruelle dysphorische Störung, in der depressive Symptome nur kurz vor der Menstruation auftreten, dieser Störungskategorie zuzuordnen. Ebenfalls gehören zu der nicht näher bezeichneten depressiven Störung depressive Episoden, die zwar wiederkehrend, jedoch kürzer als zwei Wochen sind und solche Episoden, bei denen eine körperliche oder Substanzen induzierte Ursache nicht ausgeschlossen werden kann. 1.2.3 Verlaufsbeschreibung der Depression Im Zusammenhang mit dem Verlauf der Depression werden in der Forschung und Praxis bestimmte Begriffe häufig genutzt. So ist beispielsweise von Remission die Rede, wenn über einen Zeitraum von zwei Wochen bis zu zwei Monaten höchstens ein klinisch bedeutsames Symptom vorhanden war. Die Kriterien für die Störung sind folglich nicht mehr erfüllt und der Betroffene ist frei von Symptomen oder fast frei von Symptomen. Die Teilremission hingegen beschreibt eine Phase von zweiwöchiger bis zweimonatiger Dauer, in der mehr als ein klinisch signifikantes Symptom auftritt, die vollständigen Kriterien für eine Depression aber dennoch nicht erfüllt sind. Von einem Rückfall spricht man, wenn sich eine depressive Episode innerhalb einer Remissionsphase erneut zeigt. Ein Rückfall während einer Genesungsphase wird Rezidiv genannt, wobei Genesung als Symptomfreiheit mit mindestens zweimonatiger Dauer definiert ist. Tritt vor Beginn einer Störung eine leichte Symptomatik auf, ohne dass die vollständigen Diagnosekriterien erfüllt sind, kann diese Phase als Prodromalstadium bezeichnet werden (Groen & Petermann, 2002). 13 1 Theorie 1.3 Prävalenz 1.3.1 Die Auftretenshäufigkeit der Depression im Kindes- und Jugendalter Epidemiologische Studien zeigen für die klinische Depression im Jugendalter relativ hohe Prävalenzraten, welche sich im späten Jugendalter den Auftretenshäufigkeiten des Erwachsenenalters angleichen (z. B. Costello, Copeland & Angold, 2011). Je nach Erhebungsmethode (Interview, Selbstbericht, Fremdbericht), Art der Prävalenz (Punkt-, Monats-, Jahres- oder Lebenszeit-Prävalenz) und Stichprobe ergeben sich unterschiedlich hohe Prävalenzraten. Für eine Stichprobe von über 1000 deutschen Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren fanden Essau, Conradt und Petermann (2000) eine Lebenszeit-Prävalenz von 17,9% für eine depressive Störung, davon 14% für eine Major Depression. Bei den jüngeren Jugendlichen war die Häufigkeit zwischen Jungen und Mädchen ungefähr gleich verteilt, ab 14 Jahren waren ca. drei bis vier Mal mehr Mädchen betroffen als Jungen. Eine vergleichbar hohe Lebenszeit-Prävalenz weisen auch Copeland, Shanahan, Costello und Angold (2011) nach anhand der Daten einer Kohortenanalyse mit 1420 Personen der Great Smoky Mountain-Studie. Bis zu einem Alter von 21 Jahren zeigte sich eine Prävalenz der Depression von 17,5% bei den weiblichen Teilnehmerinnen und von 12,8% bei den männlichen Teilnehmern. Ebenso untermauern Kessler et al. (2005) diese Befunde mit einer, in der National Comorbidity Survey gefundenen, Lebenszeit-Prävalenz der Major Depression von 14% bei 15-18-Jährigen und weiteren 11% dieser Jugendlichen, welche an einer Minor Depression litten. Auch Wittchen et al. (2002) schätzen die Lebenszeit-Prävalenz auf 17% und berichten von einer Punkt-Prävalenz von 6%. Des weiteren fanden Ravens-Sieberer, Wille, Bettge und Erhart (2007) ebenfalls eine Punkt-Prävalenz von 5,4% bei einer deutschen Stichprobe mit 2863 Personen zwischen 7 und 17 Jahren. Die bisher genannten Studien beziehen sich auf klinische Diagnosen der Major Depression. Einen Überblick über Studien zur Major Depression im späteren Kindes- und im Jugendalter, hauptsächlich zur Punkt-Prävalenz, liefern Preiß und Remschmidt (2007). Die Punkt-Prävalenzen liegen für das Jugendalter zwischen 2,6% und 7,7%. Werden allerdings depressive Symptome betrachtet, welche nicht immer die vollen Kriterien einer Major Depression erfüllen, zeigen sich weit höhere Prävalenzraten. Beispielsweise nennen Essau et al. (2000) eine Auftretenshäufigkeit von 42% für depressive Verstimmungen, im Rahmen derer sich die 12-17-Jährigen, laut Selbsteinschätzung, über mindestens zwei Wochen an den meisten Tagen niedergeschlagen und traurig gefühlt haben. Weiterhin berichten Kessler et al. (2001) in ihrem Überblicksartikel 14 1 Theorie Häufigkeiten von 20-50 % bei 11-18-jährigen Jugendlichen, die mit Selbstbeurteilungsfragebogen untersucht wurden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Lebenszeit-Prävalenz bei Jugendlichen, je nach Stichprobe, für eine klinische Depression zwischen 10 und 21% liegt (Preiß & Remschmidt, 2007). Dies entspricht in etwa der Auftretenshäufigkeit bei Erwachsenen von 16,6%, die Kessler et al. (2005) bei über 9000 erwachsenen Personen fanden. 1.3.2 Pubertät und Alter Wichtig zu erwähnen ist, dass der Übergang in die Pubertät eine besondere Bedeutung für die Auftretenshäufigkeit der Depression hat. Nach der Mitte der Pubertät steigt die Wahrscheinlichkeit eine Depression zu entwickeln für Mädchen stark an, bei Jungen bleibt sie gleich beziehungsweise nimmt sogar ab (Angold et al., 1998). Ferner fanden Marceau, Neiderhiser, Lichtenstein und Reiss (2012) in einer schwedischen und einer amerikanischen Stichprobe mit dem Durchschnittsalter von knapp 14 Jahren für Mädchen eine Assoziation zwischen pubertärer Reifung und Internalisierungsproblemen, für Jungen jedoch nicht. Zusätzlich zeigt sich auch unabhängig von der pubertären Reife eine Zunahme der Prävalenzraten mit zunehmendem Alter. Oldehinkel, Wittchen und Schuster (1999) berichten beispielsweise, dass ab einem Alter von 13 Jahren die Raten für Major Depression und Dysthymie stark ansteigen. Für das Vorschulalter zeigt der Überblick von Preiß und Remschmidt (2007) Prävalenzen von 0,7-2%, wobei die höhere Rate von 8,8% bei Luby et al. (2002) eine Ausnahme bildet. Weiterhin untersuchten Costello, Mustillo, Erkanli, Keeler und Angold (2003) 9-16-Jährige, mit ca. 1000 Probanden pro Altersgruppe, und lieferten weitere Belege für eine Zunahme der Prävalenz von depressiven Störungen mit steigendem Alter. 1.3.3 Geschlecht Ein konsistenter Befund in zahlreichen empirischen Untersuchungen ist die weit höhere Prävalenz von depressiven Störungen bei Mädchen und Frauen im Gegensatz zu Jungen und Männern. Dies findet sich jedoch erst ab dem Jugendalter. Davor ist die Auftretenshäufigkeit bei Mädchen und Jungen ungefähr gleich verteilt, wobei teilweise auch für Jungen geringfügig höhere Prävalenzen gefunden wurden (Kessler et al., 2001; Costello et al., 1996). Ab dem Jugendalter und der mittleren Pubertät sind Mädchen und Frauen 2-3 Mal häufiger von Depressionen betroffen als Jungen und 15 1 Theorie Männer (Kessler et al., 2005). Beispielsweise Wade, Cairney und Pevalin (2002) konnten dies für Jugendliche aus Kanada, den Vereinigten Staaten und Großbrittanien nachweisen und fanden für alle drei nationalen Stichproben die Geschlechtsunterschiede in der Prävalenz ab einem Alter von 14 Jahren. Ebenso konnten Essau et al. (2000) anhand der Bremer Jugendstudie zeigen, dass ab einem Alter von 15 Jahren die Auftretenshäufigkeit der Depression bei den Mädchen deutlich über der der Jungen lag mit 21,5% im Vergleich zu 12,6%. Als Gründe für diese eindeutig höhere Prävalenz unter weiblichen Jugendlichen und Frauen kommt die interpersonelle Orientierung, hormonelle Veränderungen, maladaptive Stressreaktionen, Sozialisationserfahrungen und Ruminations-Tendenzen des weiblichen Geschlechts in Betracht (Zahn-Waxler, Shirtcliff, Marceau, 2008). Kort-Butler (2009) z. B. liefert als eine mögliche Erklärung für die höhere Auftretenshäufigkeit von Depression bei weiblichen Jugendlichen eine vermehrte Verwendung von Vermeidungsstrategien, welche die Effekte von vorhandenem Stress noch verstärken. Da dieses Vermeidungsverhalten weniger von männlichen Jugendlichen gezeigt wurde und diese auch in der untersuchten Stichprobe von Kort-Butler (Daten von über 12000 Jugendlichen mit einem Durchschnittsalter von knapp 16 Jahren) weniger unter Depressionen litten, kommt dies als eine mögliche Ursache für die Geschlechtsunterschiede in Frage. Weiterhin legen Hankin, Mermelstein und Roesch (2007) den Fokus auf das Modell der Stress-Aussetzung und der Stress-Reaktivität (siehe Kapitel 7.4.2 „Stress-Modelle zur Depression“). Anhand einer Stichprobe von 13-18-Jährigen konnten die Autoren nachweisen, dass die weiblichen Probanden mehr Stressoren erlebten, vor allem im interpersonalen Bereich, sich also häufiger Stress ausgesetzt fühlten als die männlichen Probanden. Dies mediiert zum Teil die Assoziation zwischen Geschlecht und depressiven Symptomen. Zusätzlich zeigte sich eine Moderation durch die Stressreaktivität, dadurch, dass die Assoziation zwischen bestimmten Arten von Stressoren und depressiven Symptomen für Mädchen stärker war als für Jungen. Auch wenn die Gründe für derartige Geschlechterunterschiede bis heute nicht eindeutig geklärt sind, steht jedoch außer Frage, dass depressive Störungen ab dem Jugendalter beim weiblichen Geschlecht 2-3 Mal häufiger auftreten als beim männlichen Geschlecht. 1.3.4 Anstieg der Prävalenzrate Es wird angenommen, dass die Prävalenz der Depression seit dem zweiten Weltkrieg zugenommen hat und das Alter bei Störungsbeginn abgenommen hat (Fombonne, 1998; Kovacs & Gatsonis, 1994; Lewinsohn, Rohde, Seeley, Fischer & 1993). Auch beispielsweise aus den Daten der 16 1 Theorie Epidemiologic Catchment Area (ECA)-Studie (Wickramaratne, Weissman, Leaf & Holford, 1989) geht hervor, dass die Depressionsrate bei den Probanden aus den Vereinigten Staaten seit den Jahren 1935-1945 stark angestiegen ist. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt die Cross-National Collaborative Group (1992) mit Daten aus neun Studien mit über 39000 Probanden aus verschiedenen Kontinenten. Hier fand sich ein Geburtskohorteneffekt in dem Ausmaß, dass das Risiko an einer depressiven Störung zu erkranken für eine Zehn-Jahres-Kohorte um 1,7-fach erhöht ist im Vergleich zur jeweils vorangehenden Zehn-Jahres-Geburtskohorte. Als Gründe für diese Zunahme der Depression kommen z. B. eine vermehrte Stressbelastung bei Jugendlichen, sich verändernde Familienstrukturen und eine frühere pubertäre Entwicklung in Frage (Groen & Petermann, 2002; Essau, 2002). Obwohl die Ergebnisse vieler Studien eine Zunahme der Auftretenshäufigkeit von Depression und einen immer früheren Beginn untermauern, spricht sich die Untersuchung von Costello, Erkanli und Angold (2006) gegen einen solchen Befund aus. In deren Meta-Analyse wurden Studien mit jugendlichen Probanden zusammengefasst, wobei Daten von fast 60000 Beobachtungen für einen Zeitraum von 30 Jahren (aus den Jahren 1965 bis 1996) in die Berechnungen eingingen. Es ließ sich kein Geburtskohorteneffekt nachweisen. Die Autoren liefern als mögliche Erklärung für die Abweichung ihrer Ergebnisse von denen vieler anderer Studien, dass eine, in vielen dieser Studien praktizierte, retrospektive Abfrage der Lebenszeitprävalenz von Depression, die Ergebnisse verfälscht haben könnte. Ältere befragte Probanden würden sich demnach schlechter an schon erlebte depressive Episoden erinnern, was dann dazu führte, dass älteren Kohorten insgesamt weniger depressive Episoden berichteten als jüngere Kohorten. Alles in allem ist folglich noch nicht eindeutig geklärt, ob es tatsächlich eine Zunahme der Prävalenz der Depression in den letzten Jahren und Jahrzehnten gegeben hat, wobei jedoch die Mehrzahl der Studien empirische Unterstützung für eine solche Zunahme liefert. 1.4 Verlauf der Depression: Genesungsraten und Rückfallrisiko Als konsistentes Ergebnis in den empirischen Studien zur Genesung und zum Wiederauftreten der Depression zeigt sich eine relativ hohe Stabilität und ein hohes Risiko erneut eine depressive Episode zu entwickeln. Für die groß angelegte Bremer Jugendstudie mit Probanden zwischen 12 und 17 Jahren verglichen Groen und Petermann (2005) eine depressive (n = 90) mit einer nicht depressiven Teilstichprobe (n = 180). Zum zweiten Messzeitpunkt 16 Monate später wiesen 24,4% 17 1 Theorie der ehemals depressiven Jugendlichen noch eine depressive Störung auf, wohingegen bei nur 3,9% aus der nicht depressiven Gruppe eine Depression vorlag. Ähnliche Befunde erhielten Fleming, Boyle und Offord (1993) für eine Stichprobe von 652 13- bis 20-Jährigen. Auch hier erfüllten 25% der ehemals depressiven Jugendlichen bei einer Nachuntersuchung vier Jahre später die Kriterien für eine Major Depression bezogen auf die sechs Monate vor der Nachuntersuchung. Wird für einen längeren Zeitraum als sechs Monate oder, wie in der Bremer Jugendstudie der Fall, als nur für einen Zeitpunkt die Prävalenz betrachtet, zeigen sich oft weit höhere Depressionsraten bei der wiederholten Untersuchung. Die Forschergruppe um Emslie (1997) entdeckte ein Risiko von 47,2% für den Zeitraum von einem Jahr und ein Risiko von 69,4% für den Zeitraum von zwei Jahren für das erneute Erleben einer depressiven Episode. Ebenso fanden McCauley et al. (1993) bei 7-17Jährigen depressiven Kindern und Jugendlichen eine Auftretenshäufigkeit von 54% für eine weitere depressiven Episode für einen Zeitraum von drei Jahren nach Feststellen der Depression. Ferner berichten Rao et al. (1995) von 69% der ehemals depressiven Jugendlichen, die innerhalb von sieben Jahren nach der Diagnose einer Depression wiederholt an einer oder mehreren weiteren Episoden litten. 19% entwickelten sogar eine bipolare Störung innerhalb der sieben Jahre. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen auch Goodyer, Herbert, Secher und Pearson (1997), die bei 50% der 78 depressiven 8-16-Jährigen 36 Monate nach der Erstuntersuchung weiterhin eine Depression fanden. Des weiteren zeigte sich bei einer Untersuchung der Remission, dass 66% von 67 13-19-Jährigen nach einem Jahr als remittiert eingestuft werden konnten, wobei die restlichen 34% zu diesem Zeitpunkt die Diagnosekriterien noch erfüllten (Sanford et al., 1995). Bei der Untersuchung von möglichen Prädiktoren für den Verlauf der Depression ergibt sich kein eindeutig klares Bild. Nichtsdestotrotz finden sich einige Prädiktoren in vielen Studien wieder. Eine komorbide psychische Erkrankung, vor allem Angststörungen, sagen das erneute Auftreten der Depression vorher (Groen & Petermann, 2005; McCauley, 1993; Sanford et al., 1995). Außerdem scheint ein niedriger sozioökonomischer Status mit der Wiederkehr der Depression verknüpft zu sein (Rao et al., 1995) sowie eine zugrunde liegende dysthyme Störung (Kovacs, Obrosky, Gatsonis & Richards, 1997). Ein weiterer wichtiger Prädiktor ist auch der Schweregrad der depressiven Störung (Emslie et al., 1997). Zusammenfassend festhalten lässt sich, dass die depressive Störung im Kindes- und Jugendalter auch aufgrund ihrer hohen Rückfallraten besonderer Beachtung bedarf, da häufig davon ausgegangen werden muss, dass ein chronischer Störungsverlauf folgt. Die Konsequenzen für die Betroffenen erstrecken sich schlimmstenfalls über Jahrzehnte, da das Risiko erneut depressive Episoden zu erleben auch im Erwachsenenalter fortdauernd deutlich erhöht bleibt, was im nächsten Kapitel (Kapitel 5 „Beeinträchtigungen und Konsequenzen der Depression“) ausführlicher 18 1 Theorie aufgegriffen wird. 1.5 Beeinträchtigungen und Konsequenzen der Depression Die Beeinträchtigung in psychosozialen Bereichen gilt, wie in Kapitel 2.2.1 „Major Depression“ schon erwähnt, als Kriterium der Depressionsdiagnose. Probleme in der Schule oder Familie sind häufig assoziiert mit dem Erleben einer Depression, aber auch zukünftige negative Konsequenzen im weiteren Lebensverlauf ergeben sich oft aus einer Depression im Kindes- oder Jugendalter. Dazu gehören beispielsweise ein stark erhöhtes Risiko im Erwachsenenalter weitere psychische Störungen zu entwickeln oder weitere depressive Episoden zu erleben. Belege dafür finden sich bei Lewinsohn, Rohde, Klein und Seeley (1999), die eine Gruppe von 739 jungen Erwachsenen zwischen 19 und 24 Jahren untersuchten. Von dieser Gruppe hatten 261 Probanden schon zwischen ihrem 14. bis 18. Lebensjahr eine Major Depression erlebt, 73 eine Anpassungsstörung, 133 eine nicht-affektive Störung und 272 dienten als Kontrollgruppe ohne Störung. Die Subgruppe mit früherer Depression wies mit 45% die höchste Rate für das Auftreten einer Depression im jungen Erwachsenenalter auf. Damit unterschied sie sich signifikant von der Gruppe mit früherer Anpassungsstörung (34%), früherer nicht-affektiver Störung (28%) und der im Jugendalter gesunden Kontrollgruppe (18%). Zusätzlich zeigt die Studie von Lewinsohn und Kollegen ein höheres Risiko im Erwachsenenalter nicht-affektive Störungen wie Angststörungen oder Störungen mit Substanzenkonsum auszubilden, wenn in der Jugend eine Depression erlebt wurde. 33,2% dieser Gruppe erkrankten an einer nicht-affektiven Störung im Vergleich zu 19,5% der im Jugendalter störungsfreien Studienteilnehmern. Ebenso unterstützen Weissman et al. (1999) mit ihrer Studie die Ergebnisse für das erhöhte Depressionsrisiko im Erwachsenenalter. Jugendliche unter 18 Jahren mit und ohne Major Depression (MD = 73, Kontrollgruppe = 37) wurden 10 bis 15 Jahre später in einem Durchschnittsalter von 26 Jahren erneut untersucht. Für diesen Zeitraum konnte bei 63% der ehemals depressiven Jugendlichen im Vergleich zu 31% der ehemals gesunden Gruppe eine Major Depression festgestellt werden. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist in der untersuchten Stichprobe auch, dass 7,7% der depressiven Jugendlichen während der Zeit bis zur Nachuntersuchung einen Suizid verübten, wohingegen es in der gesunden Subgruppe 0% waren. Die Prozentzahlen von Suizidversuchen beliefen sich auf 50,6 vs. 5,4%. Ferner untermauert werden solch gravierende Unterschiede in der Entwicklung von depressiven vs. nicht depressiven Jugendlichen von Fergusson und Woodward (2002). In einer Längsschnittstudie mit 1265 Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren, entwickelten 13% eine Major Depression. Im Alter von 19 1 Theorie 16 bis 21 Jahren wurden diese Jugendlichen hinsichtlich psychischer Störungen, Leistungen und psychosozialem Funktionieren mit den psychisch gesunden Jugendlichen verglichen. Es zeigten sich klare Unterschiede zwischen den beiden Gruppen mit deutlich höheren negativen Entwicklungen in der ehemals depressiven Gruppe. Diese hatten ein höheres Risiko für Depression, Angststörungen, Nikotinabhängigkeit, Alkoholmissbrauch, Suizidverhalten und Schulversagen. Im jungen Erwachsenenalter wiesen sie außerdem eine geringere Wahrscheinlichkeit auf eine Universität zu besuchen, eine höhere Wahrscheinlichkeit wiederholt arbeitslos zu sein und eine Tendenz zu früher Elternschaft. Anhand derselben Stichprobe berichten Fergusson, Boden und Horwood (2007) einige Jahre später für das Alter der dann 21- bis 25-Jährigen ebenso eine höhere Rate an Depression, Angststörungen und Suizidversuchen bei der Gruppe, welche im Alter von 16 bis 21 Jahren depressive Episoden erlebt hatte. Solch negative Konsequenzen für depressive Jugendliche finden sich nicht nur bezogen auf einen chronischen psychischen Krankheitsverlauf und schlechtere Entwicklungen im weiteren Leben, sondern auch auf Beeinträchtigungen des emotionalen Funktionierens und auf Beeinträchtigungen im alltäglichen Funktionieren. Emotional gesehen haben depressive im Vergleich zu nicht depressiven Kindern und Jugendlichen eher Probleme mit ihrer Emotionsregulation, ihrem Selbstbewusstsein und einer angemessenen Reaktion auf stressreiche Situationen (Hughes, Gullone & Watson, 2011). Hinzu kommen Einbußen im schulischen und sozialen Bereich. Befunde aus zwei Studien mit mehreren hundert 15- und 17Jährigen von Salmela-Aro, Savolainen und Holopainen (2009) beispielsweise besagen, dass SchulBurnout Depression und umgekehrt Depression auch Schul-Burnout voraussagt. Diesbezüglich fand sich eine reziproke Beziehung. Weiterhin belegen die Ergebnisse einer Studie mit über 3000 14- bis 24-Jährigen, dass Depression zu den Störungen mit den meisten psychosozialen Beeinträchtigungen gehört, wozu vermindertes Funktionieren in Schule, Arbeit, Haushalt, Freizeit und sozialen Kontakten zählt (Wittchen, Nelson & Lachner, 1998). Vergleichbare Befunde liefert auch die Bremer Jugendstudie, in der von den 145 12- bis 17-Jährigen mit Major Depression 98% berichteten in ihrer schwersten Episode beeinträchtigt gewesen zu sein. Auf die letzten vier Wochen bezogen gaben 41,1% an hinsichtlich Schule/Arbeit in ihrem Funktionieren Probleme erfahren zu haben, 38,3% in ihrer Freizeit und 33,3% in sozialen Aktivitäten (Essau et al., 2000). Auch Weissman et al. (1999) fanden eine Assoziation zwischen Depression im Jugendalter und negativen Begleiterscheinungen, nämlich einem niedrigeren sozioökonomischen Status, mehr Fehlzeiten ausgelöst durch psychische Probleme und mehr Krankenhausaufenthalte. Für das Kindesalter (Viertklässler) liefert Cole (1990) Belege für einen Zusammenhang zwischen depressiven Symptomen und sozialen und akademischen Problemen. Neben diesen negativen individuellen Begleiterscheinungen und Konsequenzen, können 20 1 Theorie Depressionen ebenfalls zu gesellschaftlichen Nachteilen führen. Häufig mit einem Beginn im Jugendalter zieht Depression, als häufigste psychische Krankheit im Erwachsenenalter, große wirtschaftliche Folgen nach sich aufgrund von indirekten Kosten durch Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit und direkten Kosten durch die anfallende Gesundheitsversorgung (Luppa et al., 2007; Murray & Lopez, 1997). Bei Betrachtung dieser umfangreichen negativen Beeinträchtigungen durch den Beginn der Depression im Kindes- oder Jugendalter, wird deutlich, dass Depression auch im großen Zusammenhang mit den alltäglichen Anforderungen im Leben der Betroffenen gesehen werden sollte. Außerdem ist der langfristige Blick bezüglich einer weiteren Störungsentwicklung wichtig. Ein sich aufrecht erhaltender Kreislauf durch die Folgen und Begleiterscheinungen der Depression, macht das Fortbestehen der Depression wahrscheinlicher, da z. B. unangenehme Erfahrungen in Schule oder Familie die Vulnerabilität für Depression oder andere Störungen erhöhen (siehe auch Kapitel 7.4 „Stress“) 1.6 Komorbidität bei Depression 1.6.1 Prävalenz, Art und zeitliche Abfolge der komorbiden Störungen Das zeitlich gemeinsame Auftreten von Depression und anderen psychischen Störungen kommt auch im Kindes- und Jugendalter überzufällig häufig vor. Beispielsweise betrachten Angold & Costello (1993) in ihrem Überblicksartikel sechs Studien mit jeweils mehreren hundert Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung. Alle Studien offenbarten eine Assoziation zwischen Depression und der oppositionellen Störung und Störung des Sozialverhaltens. Das Risiko für das Auftreten einer dieser Störungen war je nach Studie 3,6- bis 9,5-fach erhöht bei depressiven im Vergleich zu nicht depressiven Jugendlichen. Ebenso fand sich in allen Studien eine höhere Prävalenz für Angststörungen mit einer 2- bis 26-fach höheren Wahrscheinlichkeit für eine Angsterkrankung bei Vorhandensein einer Depression. Für das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom sprach das Ergebnis in fünf der sechs Studien für ein erhöhtes Risiko in der depressiven Gruppe. Insgesamt ergab sich eine bis zu 100-fach größere Wahrscheinlichkeit für eine weitere psychische Störung bei den Jugendlichen, welche an einer Depression erkrankt waren. Ferner liefert die MetaAnalyse von Angold, Costello und Erkanli (1999) mit 21 Studien Belege für höhere Prävalenzraten anderer Störungen, wenn eine Depression vorliegt. Die Wahrscheinlichkeit für eine Angststörung ist 21 1 Theorie bei Vorhandensein einer Depression durchschnittlich mehr als 8-fach so groß, für eine Störung mit oppositionellem Trotzverhalten 6,6-mal und für eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung 5,5-mal höher. Außerdem sprechen sich die Autoren explizit dagegen aus Komorbidität als methodologisches Artefakt zu betrachten und plädieren dafür Komorbidität als reales Phänomen zu behandeln. Eine Häufung von komorbiden Erkrankungen im Zusammenhang mit Depression findet sich auch in der Bremer Jugendstudie, in der nur 42,2% der Jugendlichen mit Depression allein die Depressionsdiagnose aufwiesen. Ganze 40,1% wiesen eine zusätzliche Störung auf und weitere 17,9% mindestens zwei zusätzliche Störungen. Am häufigsten waren Angststörungen gefolgt von somatoformen Störungen (Essau et al., 2000). Zu einer vergleichbaren Komorbiditätsrate kommen Lewinsohn, Rohde und Seeley (1998) bei der Berücksichtigung von Daten aus dem Oregon Adolescent Depression-Projektes mit Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren. Hier zeigte sich bei 43% der an Major Depression Erkrankten eine weitere Störung. Am verbreitetsten waren Angststörungen mit einer Prävalenz von 20,2% und Störungen mit Substanzenmissbrauch mit 18%. Auffällig war auch die bei Vorliegen einer Depression vermehrte Auftretenshäufigkeit bezüglich des täglichen Rauchens (30,4%) und Suizidversuchen (20,8%). Wie aus den verschiedenen Studien zur Komorbidität zu ersehen ist, nimmt Angst in Kombination mit Depression einen besonderen Stellenwert ein, da Angststörungen die am häufigsten zusammen mit Depression auftretenden psychischen Erkrankungen sind. Die Ursache dafür kann unter anderem an einer Persönlichkeitdisposition liegen, welche negative Affektivität und ungünstige Emotionsregulation beinhaltet. Wird auf negative Ereignisse aus der Umwelt emotional und kognitiv mit unangemessenen Regulationsstrategien reagiert, können Depression, Angst oder beide Störungen folgen (Groen & Petermann, 2002). Weiterhin nennen Mineka, Watson und Clark (1998), neben kognitiven Voreingenommenheiten, die durch ihre Negativität Depression und Angst begünstigen, eine genetisch gleiche Grundlage für Depression und das generalisierte Angstsyndrom. Neben Angst in Verbindung mit Depression, gelten Störungen des Sozialverhaltens, Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten, Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen, dysthyme Störungen (Angold et al., 1999), somatoforme Störungen (Essau et al., 2000) und Störungen durch Substanzenkonsum (Merikangas et al., 1998) als ebenfalls häufige komorbide Erkrankungen der Depression (Überblick in Kovacs & Devlin, 1998). In den meisten Fällen tritt die jeweils komorbide Störung vor dem Beginn der Depression auf und bahnt möglicherweise den Weg für die Entwicklung einer Depression. Orvaschel, Lewinsohn und Seeley (1995) fanden in einer Stichprobe von 236 Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren, dass Angst- und dysthyme Störung der Depression vorausgingen. Ebenfalls ein früheres Auftreten von Angststörungen, Störungen des Sozialverhaltens und Substanzenmissbrauch fanden Rohde, 22 1 Theorie Lewinsohn und Seeley (1991). Von einer der Depression vorausgehenden Angststörung waren sogar 85,1% der depressiven Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren betroffen. Ferner konnten Stein et al. (2001) anhand einer Längsschnittstudie mit 2548 14- bis 24-Jährigen zeigen, dass die Sozialphobie die Genese der Depression voraussagte. Des weiteren fanden Avenevoli, Stolar, Li, Dierker und Merikangas (2001) in einer längsschnittlichen Untersuchung an 7- bis 17-Jährigen , dass das generalisierte Angstsyndrom, Aufmerksamkeits-Defizit-Störungen und Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten in den meisten Fällen der Depression voraus gingen. Als Erklärung für Komorbidität kommt in Frage, dass den zusammen auftretenden Störungen gemeinsame Risikofaktoren zugrunde liegen oder dass die eine Störung das Auftreten der anderen Störung mit verursacht (z. B. Essau, 2002). Sowohl im einzelnen als auch im Großen und Ganzen kann meist nicht geschlussfolgert werden, welche genauen ursächlichen Zusammenhänge vorlagen, die zu Komorbidität geführt haben. Nichtsdestotrotz können sich verschiedene Folgen der Komorbidität ergeben, die im nächsten Abschnitt eingehender betrachtet werden. 1.6.2 Begleiterscheinungen und Auswirkungen von Komorbidität Im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen mit alleiniger Depression leiden die darüber hinaus von einer komorbiden Störung Betroffenen vermehrt an negativen Folgen. Vor allem das Funktionieren im akademischen und psychosozialen Bereich ist davon betroffen, aber auch Suizidversuche treten häufiger bei komorbid erkrankten Personen auf im Gegensatz zu ausschließlich an Depression Erkrankten (Lewinsohn et al., 1998). So zeigen beispielsweise Galaif, Sussman, Newcomb und Locke (2007) in einer Überblicksarbeit mit 30 Studien, welche zwischen 1990 und 2005 durchgeführt wurden, dass die Kombination von Depression und Alkoholmissbrauch das Risiko für Suizidalität erhöht. Des weiteren bestätigen die Ergebnisse von Lewinsohn et al. (1995) und Rohde et al. (1991) an 14- bis 18-Jährigen die Idealisierung und vermehrten Versuche von Suizid. Zusätzlich fand sich auch eine verstärkte Inanspruchnahme von psychischen Behandlungen sowie das Erleben von mehr depressiven Episoden bei komorbid erkrankten im Vergleich zu allein an Depression erkrankten Probanden. Ferner zeigten die depressiven Jugendlichen mit komorbider Substanzenmissbrauchsstörung in der Studie von Rao et al. (1999) ebenfalls erhöhte psychosoziale Beeinträchtigungen, ebenso wie die komorbid an Angst und Depression erkrankten Teilnehmer der Untersuchung von Last, Hansen und Franco (1997). Dort trat eine stärker ausgeprägte Beeinträchtigung des Funktionierens in Schule, Beruf und im familiären Bereich zu Tage bei den komorbid Erkrankten im Vergleich zu den nur an Angst erkrankten oder gesunden Probanden. 23 1 Theorie Außerdem wurde die berufliche Anpassung, das psychosoziale Funktionieren und die Inanspruchnahme von psychologischer Hilfe acht Jahre später im Alter zwischen 18 bis 26 Jahren bei Personen mit Angststörungen im Jugendalter durch das Vorhandensein einer komorbiden Depression vorhergesagt. Anhand einer weiteren Studie von Stein et al. (2001) mit dem Fokus auf der Komorbidität von Depression und Sozialphobie, wurden die deutlich negativeren Folgen der Komorbidität ebenfalls untermauert. Neben einer verstärkten Idealisierung von Suizid, fand sich in der Stichprobe der 2548 14- bis 24-Jährigen durch das Vorhandensein der Komorbidität ein höheres Risiko für mehr depressive Symptome und eine längere Dauer der Episoden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse vieler empirischer Studien ein konsistentes Bild bezüglich der Auswirkungen von Komorbidität liefern, dahingehend, dass deren Begleiterscheinungen und Folgen negativer sind als bei dem Vorhandensein einer Depression ohne eine zusätzliche Störung. 1.7 Risikofaktoren zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression Zwar gibt es zur Zeit kein umfassendes empirisch gestütztes Erklärungsmodell über die Faktoren der Depressionsgenese und -aufrechterhaltung, doch zahlreiche Studien zielen darauf ab solche Risikofaktoren zu identifizieren und die Stärke ihres Einflusses einzuschätzen. Man geht von psychosozialen, kognitiven und psychobiologischen Faktoren aus, die für sich wirken, aber auch in Wechselwirkung miteinander und mit der Depressionssymptomatik stehen. Die nachfolgenden Unterkapitel befassen sich mit empirisch fundierten Risikofaktoren, wie sie auch von Rao und Chen (2009) im Überblick vorgestellt werden. 1.7.1 Sozioökonomischer Status Die Wahrscheinlichkeit eine psychische Störung zu entwickeln, ist erhöht, wenn Kinder und Jugendliche in Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status aufwachsen. Für Kinder aus den ärmsten Familien fanden Costello et al. (1996) diesbezüglich ein Risiko von 33.4% im Vergleich zu 15.9% für Kinder aus allen anderen Familien. Eine neuere Untersuchung (RavensSieberer, Wille, Bettge & Erhart, 2007) zeigte ebenfalls einen niedrigen sozioökonomischen Status, neben einem ungünstigen Familienklima, als wichtigen Prädiktor für verschiedene psychische 24 1 Theorie Auffälligkeiten, unter anderem für depressive Symptome. Der Zusammenhang zwischen depressiven Symptomen und einem niedrigen sozioökonomischen Status ist für das Erwachsenenalter schon seit Längerem gut erforscht (Turner & Lloyd, 1999). Um den Status zu operationalisieren, wird oft die Höhe des Einkommens erfasst, und ebenfalls die Art des Berufes, der Bildungsabschluss oder die Jahre an Bildung sind Indikatoren für den sozioökonomischen Status. Neben querschnittlichen Studien existieren ebenso Längsschnittstudien, die die Wirkung der Veränderung des sozialen Status auf Depression untersuchen, und einen Einfluss für das Erwachsenenalter zeigen (Lorant et al., 2007). Dabei wirkt beispielsweise ein Anstieg des subjektiv erlebten finanziellen Stresses auf den Anstieg der Depression, aber auch umgekehrt eine Abnahme dieses Stresses auf die Verringerung der Depression. Wenn der Zusammenhang von Depression und dem sozioökonomischem Status bei Kindern und Jugendlichen betrachtet wird, wird der sozioökonomische Status der Familie, also das Einkommen der Eltern und deren Bildungsstatus erfasst. Als Prädiktor von depressiven Symptomen und klinischen depressiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen wurde der sozioökonomische Familienstatus schon in vielen Studien belegt. Zum Beispiel zeigen Goodman, Slap & Huang (2003) an einer Stichprobe mit über 15000 durchschnittlich 16-Jährigen, dass ein niedriger sozioökonomischer Status signifikant mit Depression zusammenhängt. Ebenso untermauert die Studie von Sund, Larsson & Wichstrem (2003) die Assoziation zwischen einem niedrigen sozioökonomische Status und Depression bei 2465 12- 14-jährigen Jugendlichen. Weitere Unterstützung findet die Relevanz des sozioökonomischen Status in der Untersuchung von Wight, Botticello und Aneshensel (2006), die anhand einer Stichprobe von über 15000 7.- bis 12.-Klässlern eine signifikante positive Verbindung zwischen sozioökonomischen Nachteilen und depressiven Symptomen fanden. Es ist davon auszugehen, dass der Einfluss des niedrigen sozioökonomischen Status durch verschiedene damit einhergehenden Umwelteinflüsse zu Stande kommt. Hierzu zählen vor allem erhöhter chronischer Stress, mehr negative Lebensereignisse, weniger Familienkohäsion und weniger wahrgenommene Unterstützung durch Familienmitglieder (Übersicht z. B. in Barrett & Turner, 2005). Diese negativen Gegebenheiten in der direkten Umgebung der Kinder und Jugendlichen begünstigen sowohl den Beginn einer Depression als auch deren Fortbestand. 1.7.2 Familiäre Faktoren Zu den familiären Risikofaktoren für Depression zählen zum einen elterliche Psychopathologien und zum anderen bestimmte negative psychosoziale Bedingungen und Umgangsformen in 25 1 Theorie Familien, wobei diese oft durch die Psychopathologie der Eltern forciert werden. Beides kann auf direktem oder indirektem Weg die Wahrscheinlichkeit der Depressionsentstehung erhöhen und auch andere psychische Defizite und Störungen prägen. Auch wenn die elterliche Psychopathologie oft die ungünstigen Interaktionsmuster in der Familie fördert, somit beides nicht strikt voneinander getrennt werden kann, wird im folgenden Abschnitt zuerst auf den Einfluss elterlicher Störungen auf die Entwicklung und Psychopathologie der Kinder eingegangen. Anschließend werden Studien vorgestellt, die interaktionelle Prozesse und Familienbeziehungen als ätiologische Faktoren von Depression begutachten. 1.7.2.1 Elterliche Psychopathologie Die familiäre Häufung von Psychopathologien ist, nach einigen Jahrzehnten an Forschung, unumstritten. Ist ein Elternteil oder sogar beide erkrankt, spielen neben den genetischen Einflüssen (siehe Kapitel 7.6 „Genetik“) auch veränderte psychosoziale Faktoren in der Familie eine Rolle als Mechanismen der Transmission. Zwei Überblicksarbeiten aus den neunziger Jahren stellen bis dato durchgeführte Studien vor, welche sich mit den Auswirkungen von affektiven Erkrankungen der Eltern auf ihre Kinder befassen. Zum einen liefern Downey und Coyne (1990) einen Rückblick auf empirische Untersuchungen mit depressiven Elternteilen und stellen klar heraus, dass deren Kinder stärker gefährdet sind eine klinische Depression zu entwickeln als die Kinder von gesunden Eltern. Ebenso beschreiben Beardslee, Versage und Gladstone (1998) eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von 40% des Erlebens einer depressiven Episode bei Kindern von affektiv erkrankten Eltern. In dieser Übersichtsarbeit wird auch das erhöhte Risiko von interpersonalen Schwierigkeiten und Einschränkungen im generellen Funktionieren der Kinder untermauert, welches durch die affektive Krankheit der Eltern gesteigert wird. Des Weiteren zeigen Séguin, Manion, Cloutier, McEvoy und Capelli (2003) an einer klinischen Stichprobe von 12- bis 18-Jährigen die Relevanz der elterlichen Depression als Prädiktor für Depression und komorbide Störungen. Ebenfalls liefert eine nichtklinische Längsschnittstudie mit 934 Jugendlichen einen empirischen Beleg für hohe mütterliche Depressionswerte als signifikanten Prädiktor für depressive Symptome bei weiblichen Jugendlichen. Diese Assoziation war weitgehend auf negative Familienereignisse, Ehekonflikte der Mutter und den sozialen Status der Familie zurückzuführen, welche sowohl die Mütter als auch die Töchter vulnerabler für depressive Symptome machten (Fergusson, Horwood & Lynskey, 1995). Weiterhin betont eine auf 20 Jahre angelegte neuere Untersuchung, welche drei Generationen umfasst, das Risiko einer depressiven Störung für die dritte Generation, wenn sowohl in der ersten 26 1 Theorie Generation (Großeltern) als auch in der zweiten Generation (Eltern) eine Depression aufgetreten ist. Nicht nur depressive Störungen treten bei solch einer familiären Häufung von Depression signifikant öfter auf, sondern auch andere Störungen, wie beispielsweise Angststörungen. Zusätzlich fand sich in ebendieser Studie von Weissman et al. (2005) ein negativer Effekt des Depressionsstatus der Eltern auf das Funktionieren des Kindes in sozialen, psychischen und schulischen Bereichen. Umfassende Beeinträchtigungen der Jugendlichen bei Vorhandensein elterlicher Depression fanden auch Weissman et al. (2006) sowie Lieb, Isensee, Höfler, Pfister und Wittchen (2002). In beiden Studien war die Depression eines oder beider Elternteile nicht nur mit Depression, Angststörungen und Substanzenmissbrauch der Nachkommen assoziiert, sondern auch mit einem früheren Beginn der Depression, generellen Funktionsbeeinträchtigungen und mentalen und medizinischen Problemen der Nachkommen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass in den bisher genannten Studien und z. B. auch in Klein, Lewinsohn, Seeley & Rohde (2001) ein stärkerer Einfluss der elterlichen Depression auf weibliche als auf männliche Jugendliche gefunden wurde. Alles in allem findet sich umfangreiche empirische Unterstützung für die negativen Einflüsse der Psychopathologie der Eltern auf die Kinder. Mechanismen der Transmission dieser Psychopathologie werden zusammenfassend von Goodman und Gotlib (1999) begutachtet. Als wichtig erachtet wird hauptsächlich der genetische Einfluss, dysfunktionale neuroregulatorische Mechanismen durch verstärkte Aussetzung von Cortisol des Fetus während der Schwangerschaft, ein stressreicherer Lebenskontext und die schon erwähnten maladaptiven Interaktionsmuster zwischen Eltern und Kindern. Diese kommen unter anderem dadurch zu Stande, dass depressive Eltern schlechter auf die emotionalen Bedürfnisse ihres Kindes eingehen können. Daraufhin erlernt ein Kind weniger soziale und kognitive Fertigkeiten. Ferner wurde beobachtet, dass Kinder depressiver Eltern das kognitive Funktionieren, die Affekte und das depressive Verhalten ihrer Eltern, die automatisch als Modelle dienen, übernehmen. Als belegt gilt auch, dass depressive Mütter ihren Kindern gegenüber passiver sind, mit ihnen weniger kommunizieren und generell weniger auf die emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Kinder eingehen als gesunde Mütter (Übersicht in Lovejoy, Graczik, O'Hare & Neuman, 2000) 1.7.2.2 Interaktionelle Famlienprozesse und Familienbeziehungen Die Interaktionsmuster und Beziehungsgestaltung in Familien sind Einflüsse, denen Kinder tagtäglich ausgesetzt sind. Herrschen ungünstige Interaktionen und Beziehungen vor, gilt dies als wesentlicher Risikofaktor für Depression. Belege hierfür liefern beispielsweise Sheeber und 27 1 Theorie Sorensen (1998), die in ihrer Studie einen multimethodischen Ansatz wählten, der aus Selbstberichten der Eltern und Kinder und Beobachtung von Konfliktgesprächen bestand. Dadurch strebten die Autoren an, nicht nur die subjektive Wahrnehmung der untersuchten Personen (durch die Selbstberichte), sondern auch tatsächliche Familienprozesse (durch die Beobachtungen) zu messen. Insgesamt wurden 26 gesunde Mutter-Kind-Paare und 26 Dyaden mit einem depressiven Kind untersucht, wobei die Kinder im Jugendalter zwischen 12 und 19 Jahren waren. Die MutterKind-Paare mit einem depressiven Jugendlichen wiesen folgende Unterschiede zu den Dyaden mit einem gesunden Jugendlichen auf: Zu beobachten war in den Konfliktgesprächen mehr depressives Verhalten vonseiten der Mutter und des Kindes. Zu solch einem Verhalten zählten dysphorische, ängstliche, klagende und selbstabwertende Aussagen. In der Beobachtung zeigte sich auch weniger Problemlöseverhalten, welches durch Kommentare definiert war, die die Identifizierung oder Lösung des Problems anstrebten. Im Selbstbericht wurde deutlich, dass die depressiven Kinder ihre Familie als weniger unterstützend wahrnehmen, die Mütter berichteten von weniger Familienkohäsion und sowohl Mütter als auch Kinder gaben mehr familiäre Konflikte an. Diese Ergebnisse werden auch in einer Studie von Seeley, Stice und Rohde (2009) untermauert, in der eine Assoziation zwischen geringer elterlicher Unterstützung, einem schlechten Familienklima und Depression bei 15-18-jährigen Jugendlichen gefunden wurde. Ebenfalls fanden Séguin, Manio, Cloutier, McEvoy und Capelli (2003) eine geringere wahrgenommene väterliche Fürsorge bei depressiven Jugendlichen im Vergleich zu Jugendlichen ohne Depression. Darüber hinaus strebten Steinhausen, Haslimeier und Metzke (2007) an, mit Hilfe einer siebenjährigen Längsschnittstudie mit knapp 600 11-17-Jährigen, kausale Zusammenhänge zwischen psychosozialen Risikofaktoren und jugendlicher Depression aufzudecken. Kausale Effekte fanden sich in dieser Untersuchung unter anderem in Bezug auf die wahrgenommene mütterliche Ablehnung, die sowohl Vorbedingung als auch Konsequenz der jugendlichen Depression war. Bezüglich familiärer Faktoren wurden außerdem Assoziationen zwischen fehlender elterlicher Akzeptanz, stärkerer wahrgenommener elterlicher Zurückweisung, fehlender Familienkohäsion und jugendlicher Depression gefunden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine negative Beziehungsgestaltung und ungünstige Familienprozesse, wie vermehrte konflikthafte und kritikreiche Interaktionen und fehlende unterstützende Beziehungen, zu einer hohen Stressbelastung führen können. Infolgedessen sind besagte negative Faktoren signifikante Prädiktoren für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von depressiven Symptomen und klinischer Depression bei Kindern und Jugendlichen. 28 1 Theorie 1.7.3 Kognitive Vulnerabilität Im Rahmen der Betrachtung der kognitiven Vulnerabilität als Risikofaktor für Depression, wurden in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Studien durchgeführt. Übersichtsarbeiten über Theorien zur kognitiven Vulnerabilität und deren empirischen Belege liefern Alloy, Abramson, Walshaw und Neren (2006) und, speziell auf Kinder und Jugendliche bezogen, Jacobs, Reinecke, Golan und Kane (2008). Unter den Begriff Glaubenssätze,Voreingenommenheiten „kognitive der Vulnerabilität“ fallen Informationsverarbeitung dysfunktionale und negative Schlussfolgerungsstile. Auch kognitive Verzerrungen, z. B. die Tendenz Situationen als unkontrollierbar wahrzunehmen, sind mit dem Auftreten von Depression assoziiert (Weisz, Southam-Gerow & McCarty, 2001). Zu den genannten kognitiven Vulnerabilitäten liefern verschiedene Modelle einen Beitrag um Entstehung, Verlauf und Behandlung der Depression besser verstehen zu können. Im Folgenden werden die zwei hauptsächlichen Theorien zur kognitiven Vulnerabilität vorgestellt, sowie Studien, welche diese Theorien testen. 1.7.3.1 Becks kognitive Theorie der Depression In der Theorie von Beck (1967, 1983) stehen drei Hauptkomponenten im Vordergrund, die die kognitive Vulnerabilität für den Beginn und die Verstärkung von depressiven Symptomen begründen. Dies sind kognitive Schemata, die negative kognitive Triade und die kognitiven Fehler. Kognitive Schemata sind stabile Verarbeitungsmuster, mit denen Informationen gefiltert, Situationen bewertet und Erlebnisse strukturiert werden. Im Fall von depressiven Schemata lenken diese die Aufmerksamkeit und Interpretation von Ereignissen in eine pessimistischen Richtung. Konkret kann das Vorhandensein von depressiven kognitiven Schemata sich z. B. in Gefühlen von Versagen, Wertlosigkeit oder dem Gefühl unzureichend zu sein äußern. Unter der kognitiven Triade versteht man die negative Bewertung des Selbst, der Welt und der Zukunft. Die eigene Person wird als überdurchschnittlich unzulänglich und fehlerhaft angesehen, woraus sich eine geringe Selbstachtung, ein hohes Maß an Selbstkritik und eine deutliche Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten ergibt. Ebenso herrscht eine ungünstige Weltsicht vor, welche die Wahrnehmung auf Schwierigkeiten und Hindernisse lenkt und vorwiegend negativ verzerrte Erklärungen für Umweltbedingungen liefert. Als dritter Aspekt der negativen kognitiven Triade wirkt eine hoffnungslose Sicht auf die Zukunft, die gekennzeichnet ist von Erwartungen, die Probleme und Niederlagen beinhalten. Becks dritte Hauptkomponente, die kognitiven Fehler, umfassen eine Reihe von Verzerrungen und logischen Denkfehlern. Beispielsweise fällt darunter die Neigung, sich nach 29 1 Theorie dem Verursachen von kleinen Fehlern komplett als Versager zu fühlen. Ferner kann es unter dem Einfluss von kognitiven Fehlern dazu kommen, dass ein Mensch sich wertlos und gänzlich ungeliebt fühlt, wenn er nicht genug Bestätigung durch eine bestimmte relevante andere Person erfährt. Empirisch unterstützt wurde das kognitive Modell zur Depressionsentstehung und -aufrechterhaltung von Beck durch einige Studien. So fanden beispielsweise Abela und Sullivan (2003) in einer Stichprobe von Siebtklässlern (12 bis 13 Jahre) eine Assoziation zwischen dysfunktionalen Haltungen und depressiven Symptomen sechs Wochen später. Weiterhin zeigte sich bei Erwachsenen die Interaktion von dysfunktionalen Haltungen und negativen Lebensereignissen als guter Prädiktor für Depression (Hankin, Abramson, Miller & Haeffel, 2004). Evidenz für den Einfluss einer solchen Interaktion auf Depression wurde auch von Lewinsohn, Joiner und Rohde (2001) an einer großen Stichprobe mit über 1500 Jugendlichen gefunden. Überdies liefert eine neuere Längsschnittudie von Seeds und Dozois (2010) einen Beleg für die Interaktion depressiver Selbstschemata und negativer Lebensereignisse als Risikofaktor für depressive Symptome ein Jahr später. Untersucht wurden in dieser Studie 57 Jugendliche und junge Erwachsene. Weitestgehend gilt Becks Theorie als bestätigt, ebenso wie die Hilflosigkeits- und die Hoffnungslosigkeits-Theorie zur kognitiven Vulnerabilität als Risikofaktor für Depression, die im nächsten Abschnitt vorgestellt werden. 1.7.3.2 Hilflosigkeits- und Hoffnungslosigkeits-Theorie der Depression Aus der Theorie über Hilflosigkeit und Depression (Abramson, Seligman & Teasdale, 1978), entwickelten Abramson, Metalsky und Alloy (1989) die Hoffnungslosigkeits-Theorie der Depression. In der Theorie von 1978 wird behauptet, dass eine Tendenz negative Ereignisse auf stabile, internale und globale Gründe zu attribuieren, das Risiko für Depression erhöht. Das bedeutet konkret, dass die Ursachen von negativen Ereignissen als vorerst unveränderbar (stabil), als in der eigenen Person liegend (internal) und als mehr als einen Lebensbereich betreffend (global) angesehen werden. Neben dieser Tendenz spielt ebenso der Glaube eine Rolle, dass das Ereignis zu zukünftigen negativen Ereignissen führen wird, und der Glaube, dass etwas mit der eigenen Person falsch ist, bzw. dass das negative Ereignis ein Indiz dafür ist, dass die Person selbst wertlos ist. Auf diesen Annahmen fußt das kognitive Modell, in dem ein negativer kognitiver Stil mit einem Stressor interagiert und so die Wahrscheinlichkeit des Beginns oder der Aufrechterhaltung einer Depression erhöht. Abramson et al. (1989) haben diese Theorie 30 1 Theorie dahingehend weiter entwickelt, dass aus diesem depressogenen Attributions- und Schlussfolgerungsstil heraus eine generelle Hoffnungslosigkeit und in Folge auch eine Hoffnungslosigkeits-Depression (als Subtyp der Major Depression) entstehen kann. Weiterhin setzt ihre Theorie die grundsätzliche Erwartung von negativen Ergebnissen in den Mittelpunkt, gepaart mit der Einschätzung, dass mit eigenem Handeln weder das negative Ergebnis abgewendet, noch ein erwünschtes positives Ergebnis herbei geführt werden kann. Die Hoffnungslosigkeits-Theorie und auch generell die Interaktion von negativen Schlussfolgerungen mit negativen stressreichen Ereignissen, ist häufig in empirischen Studien getestet worden. Beispielsweise fand sich in dem auf fünf Jahre angelegten Temple-Wisconsin Cognitive Vulnerability to Depression (CVD)-Projekt Bestätigung für den depressogenen kognitiven Stil als Prädiktor für depressive Störungen und Suizidalität (Überblick von Alloy et al., 1999; Alloy, Abramson, Walshaw & Neeren, 2006). Für Jugendliche Mädchen (15-18 Jahre) zeigten Bohon, Stice, Burton, Fudell und Nolen-Hoeksema (2008) eine signifikante Vorhersage von depressiven Symptomen durch die Interaktion von Stress und einem negativen Attributionsstil. Eine weitere Untersuchung an 10-18-jährigen Jugendlichen (Rood, Roelofs, Bögels & Meesters, 2012) fand eine signifikante Assoziation zwischen einem negativen Schlussfolgerungsstil und depressiven Symptomen für Jungen und Mädchen. Als Evidenz für die Wirksamkeit von kognitiver Vulnerabilität bei Erwachsenen, lassen sich z. B. zwei Studien von Hankin und Kollegen anführen. Die prospektive Studie von Hankin, Abramson und Siler (2001) konnte zeigen, dass die Interaktion des negativen Attributionsstils mit Stress Symptome der Hoffnungslosigkeits-Depression fünf Wochen später vorhersagt. Hankin, Abramson, Miller und Haeffel (2004) belegten die Vorhersage von Depression durch kognitive Vulnerabilität in Interaktion mit negativen Lebensereignissen. Diese Vorhersage der Depression ließ sich für den Zeitpunkt fünf Wochen später und zwei Jahre später machen. Generell lässt sich sagen, dass die kognitive Vulnerabilität eine große Rolle spielt für den Beginn und die Aufrechterhaltung von depressiven Störungen. Dies gilt für dysfunktionale Selbstschemata (nach Beck, 1967, 1983) ebenso wie für negative Schlussfolgerungsstile (nach der HilflosigkeitsTheorie von Abramson et al., 1978) und kognitive Voreingenommenheiten (z. B. Krackow & Rudolph, 2008). Bedeutungsvoll sind die kognitiven Diathese-Stress-Modelle sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene. 31 1 Theorie 1.7.4 Stress 1.7.4.1 Stressreiche Ereignisse und chronische Belastungen Als wichtige Risikofaktoren für die Genese von Depression im Kindes- und Jugendalter gelten Stress und chronische Belastungen (z. B. Williamson, Birmaher, Dahl, Ryan, 2005). Stress nimmt als Risikofaktor eine Schlüsselrolle ein, da die bisher genannten Faktoren auch darüber wirken, dass sie das Stresserleben erhöhen. Allgemein kann Stress definiert werden als „Umweltereignisse oder chronische Bedingungen, die objektiv die physische und/oder psychische Gesundheit oder das Wohlbefinden eines Individuums bedrohen, bezogen auf ein bestimmtes Alter in einer bestimmten Gesellschaft“ (zit. nach Grant et al., 2003, S. 449). Somit wird deutlich, dass sowohl einschneidende kritische Lebensereignisse, wie Trennung oder Tod von Bezugspersonen, Misshandlung oder Scheidung der Eltern, als auch alltägliche Belastungen, z. B. Streit mit Gleichaltrigen oder Eltern und schulische Probleme, zu Stressoren zählen, die pathogene Risiken beinhalten (Lohaus, Beyer, Klein-Heßling, 2004; Krackow & Rudolph, 2008). Besonders im Jugendalter scheint die emotionale und Stressreaktivität erhöht zu sein, was auch in neurobiologischen Veränderungen seine Ursache hat, wie Dahl und Gunnar (2009) anhand von vier Studien darlegen. Belege für Stress als Prädiktor für depressive Symptome liefert beispielsweise die Studie von Morris, Ciesla und Garber (2010). Hier wurden 240 Kinder und Jugendliche über einen Zeitraum von sechs Jahren untersucht hinsichtlich stressreicher Lebensereignisse und Depression. Stress zeigte sich als signifikanter Prädiktor für depressive Symptome für einen Zeitraum von 2 bis 26 Wochen später. Diese Vorhersage war stärker für Probanden, deren Mütter eine Geschichte der Depression aufwiesen. Außerdem fand sich eine Interaktion zwischen der Anzahl der erlebten depressiven Episoden und Stress, in dem Sinne, dass je mehr depressive Episoden bisher erlebt wurden, desto stärker war die Vorhersage der Depressionssymptome durch Stress. An der gleichen Stichprobe verdeutlichen Carter und Garber (2011), dass besonders Stressoren in Leistungsbereichen den Beginn einer Depression vorhersagen. Ferner fand sich eine signifikante Interaktion von interpersonalem Stress und negativen Kognitionen, sowohl für die Vorhersage von Depressionssymptomen als auch als Prädiktor für einen Depressionsbeginn. Neben diesen neueren Studien existiert jedoch ebenfalls eine jahrzehntelange Forschung zur Beziehung zwischen Stress und Psychopathologie, vor allem internalisierenden Symptomen, bei Jugendlichen. Grant, Compas, Thurm, McMahon und Gipson (2004) berichten von Studien mit inkonsistenten Ergebnissen bis in die Mitte der achtziger Jahre, und von weiteren 60 prospektiven Studien zur Assoziation zwischen Stressoren und psychopathologischen Symptomen, die ab den 90er Jahren durchgeführt wurden. 32 1 Theorie Diese 60 Studien liefern ein weitaus konsistenteres Bild mit signifikanten Effekten des Stresses in 53 dieser 60 Untersuchungen. Dabei zeigt sich, dass kürzliche Stressoren einen größeren Einfluss auf die psychische Gesundheit haben als weiter zurückliegende. Dieser Review-Artikel macht auch deutlich, dass nicht nur Stress die Psychopathologie vorhersagt, sondern auch, dass psychopathologische Symptome erhöhte Stressorraten begünstigen. Auf Modelle, welche auf die Beziehung zwischen Stress und Depression fokussieren, geht das nachfolgende Kapitel ein. 1.7.4.2 Stressmodelle zur Depression Verschiedene Modelle beschreiben die Beziehung und Wirkungsweise zwischen Stress und Depression. Die bekanntesten, auf welche sich viele empirische Studien beziehen, sind das Modell der Stressaussetzung (stress-exposure model), das Modell der Stressgenerierung (stress-generation model) und das transaktionale Modell (Überblick: Liu & Alloy, 2010) Frühere Forschung beschäftige sich mit einer weitgehend unidirektionalen Beziehung zwischen Stress und Depression, in dem Sinne, dass das vermehrte oder chronische Erleben von Stress zu erhöhten Depressionssymptomen führt. Stress als Prädiktor wurde bisher in zahlreichen Studien belegt, sowohl für Erwachsene als auch für Jugendliche (z. B. Tram & Cole, 2000, Morris et al., 2010) Dabei wird davon ausgegangen, dass das Individuum durch ein hohes Ausmaß an Stress vulnerabler wird und somit Depressionssymptome mit größerer Wahrscheinlichkeit auftreten. Im Gegensatz dazu, werden die betroffenen Individuen im zweitgenannten Modell als weniger passiv angesehen. In ebendiesem Modell der Stressgenerierung wird der persönliche Beitrag depressiver Individuen zu auftretenden stressreichen Ereignissen und Umständen betrachtet. Es wird postuliert, dass Personen, die zu depressiven Symptomatiken neigen, durch bestimmte Merkmale und Verhaltensweisen depressogene Stressoren mitverursachen. Hammen stellte 1991 dieses Stress-Generierungs-Modell vor und testete es anhand einer Studie. Sie untersuchte Frauen hinsichtlich der Assoziation von Depression und stressreichen Ereignissen. Dabei zeigte sich ein erhöhter erlebter Stress und mehr abhängige (also vom eigenen Verhalten mit verursachte) Stressoren bei depressiven Frauen im Vergleich zu gesunden und teilweise auch im Vergleich zu körperlich kranken und bipolar erkrankten Frauen. Die meisten Stressereignisse traten zeitlich nach der unipolaren Depression auf. Dabei handelte es sich beispielsweise um Konflikte mit dem Partner oder den Kindern, Auseinandersetzungen mit dem Lehrer/Chef und Zerrüttung von Freundschaften. Seit dieser Studie untersuchten viele weitere Studien Depression im Zusammenhang mit nachfolgenden Stressorraten. Ähnlich wie Hammen, fanden Safford, Alloy, Abramson und 33 1 Theorie Crossfield (2007), dass zu Depressionen neigende Individuen mit einem negativen kognitiven Stil mehr negative Lebensereignisse generierten. Der Effekt zeigte sich für abhängige und interpersonale Ereignisse, nicht für vom eigenen Verhalten unabhängige oder leistungsabhängige Ereignisse. Einen Überblick über empirische Belege zur Stress-Generierungs-Hypothese als auch über Mediatoren und Moderatoren, welche zur Stress-Generierung beitragen, gibt Hammen (2006). Zu diesen gehören negative kognitive Stile, ein unsicherer Bindungsstil und maladaptive interpersonale Tendenzen wie z. B. das übermäßige Streben nach Bestätigung. Ebenso gehören Persönlichkeitseigenschaften wie Neurotizismus, Pessimismus, Skeptizismus und maladaptive Bewältigungsstile zu den vermittelnden Mechanismen zwischen Depression und Stress. Da, wie auch schon das empirisch bestätigte stress-exposure Modell besagt, vermehrter Stress die Wahrscheinlichkeit für Depression erhöht, ist es naheliegend, dass der selbst produzierte Stress assoziiert ist mit einem erneuten Beginn einer Depression bzw. mit der Aufrechterhaltung einer bestehenden Depression. Daher wurden das stress-exposure und das stress-generation Modell in ein transaktionales Modell integriert, welches die reziproke Beziehung zwischen Depression und Stress darlegt (z. B. Hankin & Abramson, 2001). Das transaktionale Modell mit der bidirektionalen Interaktion von depressiven Symptomen und depressogenen Charakteristiken gilt als empirisch bestätigt. So fand sich in zwei Längsschnittstudien, eine mit über 700 12- bis 14-jährigen Jugendlichen und die andere mit über 500 Kindern, dass sowohl Stressereignisse den Ausprägungsgrad der Depression vorhersagten als auch die Depressionswerte das Auftreten von Stressoren wahrscheinlicher machten (Cole, Nolen-Hoeksema, Girgus, Paul, 2006). Auch in jüngster Zeit hat das transaktionale Modell einige Forschungsarbeiten angeregt. Agoston und Rudoph (2011) beispielsweise verdeutlichten, dass maladaptive Reaktionen auf Stress in Gruppen von Gleichaltrigen Depression vorhersagten, vor allem bei Mädchen. Zu diesen maladaptiven Reaktionen zählt unter anderem die automatische unfreiwillige Vermeidung des Problems. Für Jungen fand sich wiederum Depression als signifikanter Prädiktor für maladative Reaktionen auf Stress unter Gleichaltrigen. Ebenso untermauern Rudolph, Flynn, Abaied, Groot und Thompson (2009) mit ihrer Studie die reziproke Beziehung zwischen Depression und Stress. In ihrer Untersuchung mit 9- bis 14-Jährigen sagte das Vorhandensein von Depression nachfolgenden selbstgenerierten, interpersonalen Stress voraus und dieser wiederum die Depression. Ebenso sagte die Depression auch abhängigen noninterpersonalen Stress voraus, dieser aber nicht eine darauffolgende Depression. Diese Befunde bezogen sich hauptsächlich auf die weiblichen Studienteilnehmerinnen. Anhand der gleichen Stichprobe untersuchten Flynn und Rudolph (2011) Problembewältigungsstrategien als vermittelnde Mechanismen der Assoziation zwischen Depression und Stress. Charakteristisch für zu 34 1 Theorie Depressionen neigenden Jugendlichen waren ineffektive Reaktionen auf alltägliche Probleme. Diese zeigten sich durch vermehrte Vermeidungs- und Verleugnungsstrategien oder emotionale Betäubung und verminderte aktive Problemlösestrategien. Insgesamt deuten die Ergebnisse der bisherigen Studien klar darauf hin, dass depressive oder zu Depressionen neigende Mädchen und Frauen sich verstärkt so verhalten, dass sie Ablehnung und Stress in ihrer Umwelt verursachen. Für Jungen und Männer sind ebensolche Tendenzen beobachtbar, jedoch noch nicht so konsistent nachgewiesen worden wie es bei weiblichen Studienteilnehmerinnen der Fall war. Als Folge des selbstgenerierten Stresses bleiben bestehende Depressionen mit größerer Wahrscheinlichkeit aufrecht erhalten oder beginnen wieder von neuem. Als vermittelnder Mechanismus dieser reziproken Beziehung spielt, neben anderen Faktoren, wie schon erwähnt, das Bewältigungsverhalten von alltäglichen und nicht-alltäglichen, umfangreicheren Problemen eine große Rolle. Das nächste Kapitel widmet sich somit Bewältigungstrategien und -stilen als wichtige Risikofaktoren für die Entstehung von Depression. 1.7.5 Stressbewältigungsstrategien Als vermittelnder Faktor zwischen Stress und Depression wird der ungünstige Umgang mit und die ineffektive Bewältigung von Alltagsproblemen und negativen Lebensereignissen angesehen (Rao & Chen, 2009; Garber, 2006; Eschenbeck, 2010). Dabei können die Stressbewältigungsstrategien in verschiedene Gruppen eingeteilt werden. Zu früheren Zeiten herrschte die Einteilung in problemfokussierte und emotionsfokussierte Bewältigung vor (Lazarus & Folkman, 1984). Unter der problemfokussierten Bewältigung werden Reaktionen zusammengefasst, die direkt auf die Quelle des Stresses gerichtet sind., z. B. der Versuch einer Problembeseitigung. Emotionsfokussierte Bewältigung bezieht sich auf das Abmildern der negativen Emotionen, die sich aufgrund des Stresses ergeben. Hierzu zählen beispielsweise das Trost suchen bei anderen und die Vermeidung der Stressquelle. Da die Einteilung in diese beiden Bewältigungskategorien sich jedoch als zu breit gefasst erwiesen hat, schlugen Compas, Connor, Osowiecky und Welch (1997) die Kategorien der absichtlichen vs. unabsichtlichen (voluntary vs. involuntary) und der verbindlichen vs. unverbindlichen (engagement vs. disengagement) Bewältigung vor. Absichtliche Bewältigung findet bewusst statt und kann sich auf die Regulation von emotionalen, kognitiven, physiologischen und Verhaltensprozessen beziehen, ebenso wie direkt auf den Stressor. Im Gegensatz dazu läuft unabsichtliche Bewältigung automatisch ab und spiegelt teilweise interindividuelle Temperamentsunterschiede der Stressreaktivität wider. Diese Form der Bewältigung kann 35 1 Theorie unbewusst oder bewusst ablaufen, unterliegt aber nicht der willentlichen Kontrolle. Dazu zählen Rumination, Erregung und emotionale Betäubung. Die absichtliche und unabsichtliche Bewältigung kann weiter unterteilt werden auf der oben genannten zweiten Dimension der verbindlichen und unverbindlichen Bewältigung. Unter verbindlicher Bewältigung versteht man Annäherungsreaktionen zum Stressor hin oder die Zuwendung zu den eigenen Reaktionen, welche durch den Stressor ausgelöst werden. Hierunter fallen z. B. kognitive Restrukturierung, direktes Lösen des Problems oder positive Neubewertung. Unverbindliche Bewältigung ist von dem Stressor oder den eigenen Reaktionen weg orientiert und beinhaltet Vermeidung, emotionales Ableiten oder Selbstanschuldigung. Besonders im Zusammenhang mit depressiven Symptomatiken sind die unterschiedlichen Arten der Bewältigungsstrategien untersucht worden, da eine Assoziation zwischen ungünstiger Stressbewältigung und depressiven Symptomen vorliegt. Im Überblick zeigen Compas, ConnorSmith, Saltzman, Thomsen und Wadsworth (2001) folgende Beziehungen zwischen internalisierenden Symptomen und verschiedenen Bewältigungsstrategien für Stichproben von Kindern und Jugendlichen: Empirische Studien offenbaren eine Assoziation zwischen verbindlicher Bewältigung und weniger internalisierenden Symptomen und unverbindlicher Bewältigung und vermehrter internalisierender Problematik. Ebenso zeigt sich eine verstärkte internalisierende Symptomatik im Zusammenhang mit emotionsfokussierter Bewältigung. Die Beziehung zwischen problemfokussierter Bewältigung und Internalisierung weist nicht ganz konsistent in eine bestimmte Richtung, zeigt aber eine Tendenz zu verringerten Internalisierungssymptomen bei vermehrter Anwendung von problemfokussierten Strategien. Die Ergebnisse zur verbindlichen, absichtsvollen Bewältigung unterstützend, stellte Clarke (2006) in einer Meta-Analyse heraus, dass eine signifikante Assoziation zwischen aktiver Bewältigung und psychosozialer Gesundheit besteht. Diese trat erst ab dem Jugendalter und nicht bei Präadoleszenten zu Tage. Außerdem ist es wichtig zu beachteten, dass die Nutzung von aktiver Bewältigung nur bei kontrollierbaren Stressoren positive Auswirkungen hat und nicht, wenn sich die Jugendlichen in unkontrollierbaren, schwer zu beeinflussenden Situationen befinden. Compas et al. (2006) untersuchten 164 Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren mit wiederkehrenden abdominalen Schmerzen. In dieser gesundheitlich belasteten Stichprobe war verbindliche Bewältigung negativ und unverbindliche Bewältigung positiv mit Depression assoziiert. An einer sehr großen Stichprobe (erhoben in der National Longitudinal Study of Adolescent Health) mit über 12000 Jugendlichen im durchschnittlichen Alter von knapp 16 Jahren, konnte Kort-Butler (2009) zeigen, dass Vermeidungs-Bewältigung und impulsives, gedankenloses Bewältigungsverhalten depressive Symptome erhöht. Im Gegensatz zu solch ungünstigen Bewältigungsstrategien als positive Prädiktoren für Depression, ist die Suche nach 36 1 Theorie sozialer Unterstützung ein signifikanter negativer Prädiktor für Depression (Chan, 2012). Dies fanden auch Wright, Banerjee, Hoek, Rieffe und Novin (2010). Zusätzlich verdeutlicht deren Studie mit 404 8- bis 13-Jährigen, dass, ganz im Sinne des Stressgenerierungs-Modells und des transaktionalen Modells, auch die Depression die Suche nach sozialer Unterstützung negativ voraus sagt. Weiterhin legt eine Untersuchung von Laessle und Lindel (2010) das Augenmerk auf destruktive Bewältigungsstrategien. Anhand einer Stichprobe von 99 Jugendlichen von durchschnittlich 11,4 Jahren belegten die Autoren die positive Assoziation zwischen destruktiver Bewältigung und Depression, vor allem bei den männlichen Probanden. Zudem zeigte sich in dieser Studie ein vermehrtes Auftreten von physischen und psychischen Stresssymptomen bei der depressiven Gruppe. An einer Stichprobe des späten Jugendalters von 140 weiblichen 17- bis 18Jährigen untersuchten Davila, Hammen, Burge, Paley und Daley (1995) die Bewältigungsstrategien bezogen auf interpersonalen Stress. Hier offenbarte sich, dass anfängliche depressive Symptome und ungünstige interpersonale Problemlösefähigkeiten beide zu einem höheren Level an interpersonalem Stress führen und dieser wiederum die depressive Symptomatik erhöht. In einer chinesischen Stichprobe von 1199 14- bis 20-Jährigen zeigte sich non-produktive Bewältigung als einflussreichste varianzaufklärende Variable für die Beziehung zwischen Stress und Depression (Ng & Hurry, 2011). Zu dieser non-produktiven Bewältigung zählt Drogen nehmen, Alkohol trinken, Dampf ablassen, Weinen und Schreien. In Bezug auf solche Bewältigungsstrategien, welche mit dem Ausagieren von Gefühlen verknüpft sind, zeigte auch eine ältere empirische Untersuchung von Asarnow, Carlson und Guthrie (1987) an 30 hospitalisierten Kindern von 8 bis 13 Jahren einen Unterschied zwischen depressiven und nicht-depressiven Kindern in den Bewältigungsstrategien. Depressive Kinder generierten signifikant häufiger physikalisch aggressives Bewältigungsverhalten. Zusätzlich suizidale Kinder wiesen außerdem weniger aktives kognitives Bewältigungsverhalten auf. Einen besonderen Stellenwert in der Forschung nimmt auch die unbeabsichtigte Strategie der Rumination ein. Beim Ruminieren konzentriert sich das Individuum passiv auf vorhandene negative Gefühle und die Ursachen dieser Gefühle, also z. B. stressreiche Ereignisse, ohne Versuche zu unternehmen diese Gefühle oder die negativen Lebensumstände zu verändern. Somit konnte konsistent gezeigt werden, dass Rumination häufig einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhang von Stress und Depression leistet. Rood, Roelofs, Bögels und Meesters (2012) beispielsweise belegen eine signifikante Assoziation zwischen Rumination nach stressreichen Ereignissen und depressiven Symptomen anhand einer Stichprobe von über 800 10- bis 18-jährigen Jugendlichen. Ähnlich zeigen die Ergebnisse von Abela, Hankin, Sheshko, Fishman und Stolow (2012) eine Interaktion von Rumination und täglichen Unannehmlichkeiten, welche signifikant eine 37 1 Theorie Veränderung in depressiven Symptomen vorhersagt. In dieser Studie wurden 7- bis 14-Jährige mit mindestens einem depressiven Elternteil über 8 Wochen untersucht. Burwell und Shirk (2007) weisen in ihrer Studie darauf hin, dass Subtypen der Rumination beachtet werden müssen. Die typische Rumination, von den Autoren auch „Brüten“ genannt, ist mit Depression assoziiert und auch mit maladaptiver unverbindlicher Bewältigung, wohingegen eine selbstreflexive Form der Rumination nicht prädiktiv für Depression ist. Im Großen und Ganzen kann fest gehalten werden, dass zahlreiche, weitgehend konsistente Forschungsergebnisse die verschiedenen adaptiven und maladaptiven Bewältigungsstrategien hinsichtlich ihres Zusammenhangs mit depressiven Symptomen und Depression beleuchten. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur die Bewältigungsstrategien die Depressionssymptomatik, sondern, in Form einer reziproken Beziehung, die vorhandenen depressiven Symptome auch die Wahl der Bewältigungsstrategien mit bestimmen. 1.7.6 Genetik Der Einfluss der Gene auf das Ausbrechen einer Depression, gilt als belegt. Dabei wird jedoch nicht von kausalen Genen ausgegangen, in dem Sinne, dass das Vorhandensein eines oder mehrerer bestimmter Gene zwangsläufig eine Depression verursacht. Vielmehr existieren Dispositionsgene, die miteinander in Interaktion und im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren eine erhöhte Vulnerabilität verursachen. Ihre Wirkung entfalten die depressionsrelevanten Gene durch eine Veränderung der Neurotransmittersysteme, die im Zusammenhang mit Serotonin, Noradrenalin und Dopamin stehen (Übersicht in Schulte-Körne & Allgaier, 2008; Maier, 2004). Bezogen auf die Interaktionen zwischen einzelnen genetischen Varianten und durch die Umwelt mediierte Risiken, häufen sich die empirischen Befunde (Rutter, Moffitt & Caspi, 2006). In einer jüngeren Untersuchung beispielsweise zeigte die Forschergruppe um Cervilla (2007), dass ein bestimmtes Gen des Serotoninhaushalts in Interaktion mit belastenden Lebensereignissen das Depressionsrisiko signifikant erhöht. Speziell für das Jugendalter (10- bis 20-Jährige) fanden Eley und Kollegen (2004) eine Interaktion zwischen Umweltrisiken, wie Schwierigkeiten in der Familie und anderen sozialen Beziehungen und finanzielle Probleme, mit serotonergen Genen. Generell wird der genetische Einfluss auf die Entstehung von Depression als verhältnismäßig hoch eingeschätzt, auch wenn in unterschiedlichen Studien die Bandbreite der geschätzten Erblichkeit sehr groß ist. In einer Meta-Analyse von Sullivan, Neale und Kendler (2000) ergab sich ein durchschnittlicher genetischer Effekt von 37 %. Andere Studien legen, geschätzt durch die genetische Übereinstimmung von Zwillingspaaren, eine Erblichkeit von 24-58% nahe (Uhl & 38 1 Theorie Grow, 2004) oder sogar von 71% (McGuffin et al., 2003). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass genetische Studien sehr zum ätiologischen Verständnis von depressiven Störungen beigetragen haben. In diesem Zusammenhang wurde auch der hohe Stellenwert der Gen-Umwelt-Interaktion untermauert. 1.7.7 Zusammenfassende Betrachtung Die Erforschung der relevanten Risikofaktoren macht deutlich, dass die Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression sehr komplex ist, da verschiedene Risikofaktoren zusammentreffen müssen, damit eine Depression entsteht. Dabei ist die genaue Anzahl und Gewichtung der Faktoren nicht bekannt, wobei davon auszugehen ist, dass eine höhere Anzahl vorhandener Risikofaktoren mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine Depression einhergeht. Zusätzlich lässt sich festhalten, dass keiner der Risikofaktoren notwendig ist für die Genese oder das Fortbestehen der Depression. Demnach lässt sich vorerst nur über die exakten UrsacheWirkungs-Zusammenhänge spekulieren. Wichtige Mechanismen scheinen aber vor allem die wechselseitige Verstärkung der Faktoren und die Interaktion der Faktoren mit den depressiven Verhaltensweisen der betroffenen Personen zu sein. Somit versuchen viele Studien entsprechende Wechselwirkungsprozesse aufzudecken, die die Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression fördern. Eine Untersuchung von Rueger und Malecki (2011) befasst sich mit dem Attributionsstil, der wahrgenommenen elterlichen Unterstützung und Stress als potentielle Faktoren. In einer Stichprobe von knapp 500 12- bis 15-Jährigen lies sich für die männlichen Probanden nachweisen, dass höhere Stresslevel kombiniert mit einem pessimistischen Attributionsstil und verringerter elterlicher Unterstützung höhere Depressionssymptome 4 Monate später vorhersagten. Für die weiblichen Teilnehmerinnen zeigte sich diese 3-Wege-Inteaktion nicht, doch war die Wechselwirkung zwischen Attributionsstil und elterlicher Unterstützung signifikant und die zwischen Stress und Attributionsstil. Mädchen mit einem optimistischen Attributionsstil waren nicht beeinflusst von der Höhe der wahrgenommenen elterlichen Unterstützung. Ebenfalls eine Wechselwirkung von Risikofaktoren fanden Seeley, Stice und Rohde (2009) bei 479 15- bis 18jährigen Jugendlichen. Bei weiblichen Jugendlichen mit erhöhten depressiven Symptomen und einem schlechten schulischen Funktionieren zeigte sich mit 40% die höchste Inzidenzrate für das Erkranken an einer Major Depression. Weitere interessante Befunde liefern auch Bouma, Ormel, Verhulst und Oldehinkel (2008), welche anhand einer Stichprobe von 2127 11-Jährigen zeigen konnten, dass die elterliche Depression und das Geschlecht die Assoziation zwischen stressreichen 39 1 Theorie Ereignissen und depressiven Symptomen zum Zeitpunkt 2,5 Jahre später moderierten. Weiterhin legt Chan (2012) nahe, dass die Bewältigungsstrategie „Suche nach sozialer Unterstützung“ depressive Symptome negativ vorhersagt, indem die verringerte Verwendung dieser positiven Strategie die Effekte von negativer globaler Attribution auf Depression mediiert (N = 326, 8 bis 14 Jahre). In einer Längsschnittstudie mit fast 600 11- bis 17-Jährigen fanden Steinhausen et al. (2007), dass ein niedriges Selbstbewusstsein, wahrgenommene mütterliche Zurückweisung und Internalisierungsprobleme als Auslöser für Depression wirkten und auch in deren Folge häufiger auftraten. Somit liefern die Autoren Evidenz für eine reziproke Beziehung zwischen diesen Risikofaktoren und der Depression. Wie oben (Kapitel 7.4 „Stress“) schon erwähnt, fungiert Stress im Zusammenhang mit den Risikofaktoren als Schlüsselvariable, dadurch, dass der Stresslevel durch die Risikofaktoren direkt oder indirekt erhöht wird. Da alles in allem die Beziehungen zwischen den Risikofaktoren und ihre Wirkung auf Depressionssymptome zum Teil zwar schon tiefer gehend erforscht wurden, aber dennoch viele Zusammenhänge offen bleiben, zielt die vorliegende Studie darauf ab stressbezogene psychologische und biologische Faktoren zur Aufrechterhaltung der Depression zu untersuchen. Die beschriebenen psychologischen und genetischen Risikofaktoren sind im Folgenden gemeinsam mit den biologischen Faktoren der Stresshormonsekretion in einer Modelldarstellung zusammengefasst (Abbildung 1). Dabei hat jeder psychologische Faktor direkt einen Einfluss auf das Stressniveau der depressiven Kinder und Jugendlichen. Da die depressive Störung auch rückwirkt auf die Stressbelastung (Hammen, 2006), kann die Depression zum einen als Ursache und zum anderen als Konsequenz des erhöhten Stresslevels angesehen werden. Auf den biologischen Faktor der veränderten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol geht das nachfolgende Kapitel Nummer 8 ausführlich ein. 40 1 Theorie Abbildung 1: Empirisch gestützte Faktoren zur Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Störungen bei Kindern und Jugendlichen 41 1 Theorie 1.8 Cortisol 1.8.1 Ausschüttung und physiologische Effekte Das Stresshormon Cortisol ist das Endprodukt der Aktivierungskaskade der HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinden-Achse. Der erste Schritt in dieser Kaskade ist die Freisetzung des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) aus dem Hypothalamus. Über einen speziellen Blutkreislauf, dem hypophysären Portalsystem, gelangt das CRH zur Hypophyse (Hirnanhangdrüse) und stimuliert dort die Freisetzung des adrenokortikotropen Hormons (ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen. Durch den systemischen Blutkreislauf erreicht das ACTH die Nebennierenrinde, aus der, unter anderem, Cortisol ins Blut ausgeschüttet wird. Auf diesem Weg kann Cortisol im gesamten Körper wirken und diesen auf herausfordernde Situationen vorbereiten. Damit Organe und Gewebe nicht zu lange einem hohen Cortisolspiegel ausgesetzt sind, wird die Aktivität des Hypothalamus negativ rückgekoppelt. Dies geschieht durch die Überschreitung des Cortisols über die Blut-Hirn-Schranke, so dass das Cortisol im Hypothalamus direkt die CRHFreisetzung hemmen kann (Fries, Dettenborn, Kirschbaum, 2009; Rosmalen et al., 2005). Diese Rückkoppelungsschleife ist äußerst wichtig, da ein dauerhaft überhöhter Cortisolspiegel (Hypercortisolismus) schädigende Effekte auf das metabolische, immunologische und sogar psychologische System haben kann, wohingegen eine kurzfristige Cortisolerhöhung Ressourcen für die Bewältigung von Bedrohungen und Herausforderungen bereitstellt (Guerry & Hastings, 2011). Ein wichtiger Teil dieser Bereitstellung besteht aus der Mobilisierung von Energie durch eine Erhöhung des Glukosespiegels im Blut. In der Leber werden Aminosäuren und andere Stoffe in Glukose umgewandelt und anschließend ins Blut abgegeben. Durch freie Fettsäuren aus den Fettdepots, wird diese Glukoneogenese gefördert. Zusätzlich wird die Proteinsynthese und die Fettablagerung im Gewebe herab reguliert. Ein weiterer Aspekt der Cortisolwirkung ist die Hemmung des Immunsystems. Entzündliche Prozesse werden gebremst, was dafür sorgt, dass andere physiologische Systeme besser funktionieren können, beispielsweise das kardiovaskuläre System. Ist die HHN-Achse über lange Zeit aktiviert, z. B. durch häufiges Stresserleben, kann Hypercortisolismus auch weitreichende physiologische Folgen haben, wie die langfristige Unterdrückung des Immunsystems, Bluthochdruck oder Diabetes. 1.8.2 Die Cortisolaufwachreaktion (CAR) Die Cortisolproduktion unterliegt einer zirkadianen Rhythmik, wobei die Schwankungen des 42 1 Theorie Cortisolspiegels an den regulären Schlaf-Wach-Zyklus geknüpft sind. In der ersten Hälfte der Nacht ist die Cortisolproduktion am geringsten und erreicht ihren Tiefpunkt. Ab der zweiten Nachthälfte steigert sich die Produktion langsam und erreicht ihren Höhepunkt innerhalb der ersten Stunde nach dem Erwachen. Anschließend sinkt der Cortisolspiegel über den Tag wieder langsam (Edwards, Clow, Evans, Hucklebridge, 2001). Eine genaue Einschätzung der HHN-Achse anhand der Messung des Tagesverlaufs der Cortisolproduktion ist aufwendig. Anstelle einer solch wenig ökonomischen Untersuchung, hat sich der besagte Höhepunkt in der Stunde nach dem Erwachen als nützlicher Repräsentant der adrenocortikalen Aktivität erwiesen, was erstmals von Prüssner und Kollegen (1997) vorgeschlagen wurde. Er wird als Cortisolaufwachreaktion (CAR) bezeichnet und ist abgrenzbar von der zirkadianen Variation des Cortisolspiegels (Kudielka & Wüst, 2008; Clow, Thorn, Evans, Hucklebridge, 2004). Erfasst werden kann die CAR über Speichelproben, aus denen dann die Cortisolmenge in einem Labor bestimmt wird. Für gewöhnlich geben die untersuchten Personen die Speichelproben zu Hause zur Aufwachzeit und 30, 45 und 60 Minuten nach dem Erwachen ab. Durch die gewohnte Umgebung wird verhindert, dass durch fremde Reize, beispielsweise den Aufenthalt in einem Schlaflabor, die Generalisierbarkeit der Werte eingeschränkt ist. Gesammelt wird der Speichel meist mit Baumwollstäbchen in Plastikröhrchen, welche anschließend bis zur Laborauswertung im Kühlschrank oder Gefrierfach gelagert werden müssen (Wüst et al., 2000). Sämtliche Informationen zur exakten Vorgehensweise der Speichelabgabe und Lagerung erhalten die Probanden ausführlich in schriftlicher Form, um eine möglichst hohe Vergleichbarkeit der Cortisolwerte zu erzielen. Sehr wichtig ist dabei, dass die untersuchten Personen nichts essen und nichts anderes als Wasser trinken. Ebenso sollen sie bis nach der letzten Speichelprobe auf Rauchen und Zähne putzen verzichten, damit die Cortisolwerte nicht verfälscht werden. Im Durchschnitt steigt das Speichelcortisol im Rahmen der CAR um 50% bei gesunden Erwachsenen und erreicht den Maximalwert ca. eine halbe Stunde nach dem Erwachen mit durchschnittlich 23 Nanomol pro Liter (Wüst et al., 2000). Allerdings variieren die individuellen Werte stark in Abhängigkeit von genetischen und Umweltfaktoren. In den letzten 15 Jahren wurde die CAR und Variablen, welche diese beeinflussen, in zahlreichen Studien untersucht (Kudielka, Gierens, Hellhammer, Wüst, Schlotz, 2012). Ein Überblick über diese potentiell intervenierenden Variablen wird im Folgenden gegeben. Geschlecht: Ein Unterschied in der CAR zwischen Männern und Frauen wurde in einigen Studien nicht gefunden (Kudielka & Kirschbaum, 2003; Williams, Magid, Steptoe, 2005; Bhagwagar, Hafizi, Cowen, 2003, Prüssner et al., 1997). Andere Studien deckten Geschlechtseffekte auf, jedoch von so geringer Stärke mit bis zu vier Prozent Varianzaufklärung, dass diese Effekte als 43 1 Theorie vernachlässigbar gelten können (Wright & Steptoe, 2005; Kunz-Ebrecht et al., 2004; Wüst et al., 2000). Geschlechtsunterschiede fanden sich auch nicht bei jugendlichen Probanden (Bouma, Riese, Ormel, Verhulst, Oldehinkel, 2009) Alter: Ebenso zeigt sich bezogen auf Altersunterschiede von untersuchten Personen kein Effekt des Alters auf die CAR (Wüst et al., 2000; Prüssner et al., 1997; Rosmalen et al., 2005). Pubertätsstatus: Der Pubertätsstatus von Jugendlichen nach den Stadien von Tanner (1962) scheint keinen Effekt auf die CAR zu haben (Rosmalen et al., 2005; Kiess et al., 1995) Rauchen: Der Effekt von regelmäßigem Zigarettenkonsum auf die CAR ist in vielen Studien eindeutig als nicht vorhanden bzw. vernachlässigbar eingestuft worden (Prüssner; Hellhammer, Prüssner, Lupien, 2003; Wüst et al., 2000; Federenko et al., 2004; Edwards, Evans, Hucklebridge, Clow, 2001) Gewicht: Sowohl bei Erwachsenen (Prüssner et al., 1997) als auch bei Jugendlichen (Netherton, Goodyer, Tamplin, Herbert, 2004) fand sich kein Einfluss des Gewichtes oder des Body Mass Index auf die CAR. Orale Kontrazeptiva: Die Einnahme von oralen Kontrazeptiva hat, wenn überhaupt, einen vernachlässigenswerten Effekt auf die CAR (Wüst et al., 2000). Zyklusphase: Die Zyklusphase scheint keinen Einfluss auf die CAR zu haben, wenn man die follikuläre mit der lutealen Phase vergleicht (Kudielka & Kirschbaum, 2003). Dieses Ergebnis bestätigten in einer neueren Untersuchung auch Wolfram, Bellingrath und Kudielka (2011), wobei diese Autoren zusätzlich eine erhöhte CAR während der Ovulationszeit entdeckten. Aufwachzeit: Der Einfluss der Aufwachzeit auf die CAR wurde in zahlreichen Studien betrachtet. Jedoch sind die Ergebnisse nicht konsistent, da einige Studien einen deutlichen Effekt zeigen (z. B. Thorn, Hucklebridge, Evans, Clow, 2006; Federenko, 2004; Kudielka & Kirschbaum, 2003), wohingegen andere keinen Effekt fanden (Williams et al., 2005; Wüst et al., 2000; Schlotz et al., 2004, Kunz-Ebrecht et al., 2004, Bhagwagar et al., 2003). Die Studien, in denen ein Effekt der Aufwachzeit nachgewiesen wurde, zeigten den Einfluss dahingehend, dass eine frühere Zeit des Erwachens mit einer größeren CAR assoziiert war. Insgesamt sprechen die erwähnten Untersuchungen dafür, dass nur eine große Variabilität der Aufwachzeit auch einen inhaltlich bedeutsamen Effekt hat. Somit sollte in Studien die Spannweite der Aufwachzeit möglichst gering gehalten werden oder die durchschnittliche Aufwachzeit zwischen untersuchten Gruppen statistisch nicht signifikant voneinander verschieden sein. Schlafqualität: Ein Einfluss der Schlafqualität auf die CAR scheint vorhanden zu sein. Zwar existieren bisher wenige Studien, welche diese Assoziation untersuchen, doch zeigt sich, dass eine geringe Schlafqualität mit einer niedrigeren CAR verbunden ist (Schweisthal, 2007). Durch 44 1 Theorie nächtliches Aufwachen wird schon während der Nacht mehr Cortisol ausgeschüttet, so dass am Morgen weniger davon zur Freisetzung vorhanden ist. Schlaflänge: Ein vernachlässigbarer oder kein Effekt der Schlafdauer wurde konsistent in empirischen Studien gefunden (Kudielka & Wüst, 2008; Wüst et al., 2000; Federenko et al., 2004, Schlotz et al., 2004). Befolgen der Anweisungen: Einige Studien zeigten, dass Probanden, welche sich nicht an die Anweisungen bezüglich der Zeiten zur Speichelsammlung hielten, eine signifikant geringere CAR aufwiesen (Kudielka, Hawkley, Adam, Cacioppo, 2007; Kudielka, Broderick, Kirschbaum, 2003). Ebenso kann es vorkommen, dass durch das Nicht-Befolgen gar keine CAR messbar ist (Broderick, Arnold, Kudielka, Kirschbaum, 2005). Erklärbar sind diese Befunde hauptsächlich dadurch, dass die erste Speichelprobe nicht direkt zur Aufwachzeit abgegeben wird. Probanden dösen beispielsweise weiter nach dem ersten Erwachen und geben erst später die Speichelprobe ab. Dies führt folglich dazu, dass das CAR-Profil verfälscht wird und keine CAR mehr zu erkennen ist. Daher ist es äußerst wichtig, dass die untersuchten Personen sich genau an die Anweisung halten die erste Speichelprobe unmittelbar nach dem Erwachen abzugeben. Arbeitstage versus freie Tage: Die Kurven der CAR unterscheiden sich an Arbeitstagen deutlich von denen an arbeitsfreien Tagen. Der Cortisollevel zur Aufwachzeit ist dabei zwar nicht signifikant unterschiedlich, aber die CAR ist in den Messungen 30-60 Minuten nach dem Erwachen deutlich ausgeprägter an Arbeitstagen (Schlotz et al., 2004; Kunz-Ebrecht et al., 2004; Thorn et al., 2006) Dies könnte seinen Ursprung im antizipierten Stress haben, der an Arbeitstagen durch die bevor liegende Arbeit mit größerer Wahrscheinlichkeit vorhanden ist als an Wochenendtagen.. Stress: Die Arbeitsgruppe um Schlotz (2004) fand einen stärkeren Anstieg und einen höheren Durchschnittswert der CAR bei Personen mit chronischer Arbeitsüberlastung und bei Personen, die sich häufig Sorgen machen. Variablen akuten Stress und chronische Belastungen betreffend wurden auch in anderen Studien als Prädiktoren einer erhöhten CAR identifiziert (Williams et al., 2005; Schulz, Kirschbaum, Prüssner, Hellhammer, 1998). Da jedoch nicht in allen Studien eine Assoziation zwischen Stress und einer erhöhten CAR gefunden wurde, legen Fries et al. (2009) nahe, dass Individuen, welche über einen sehr langen Zeitraum chronischen Stress erleben, langfristig eine Hypoaktivität der HHN-Achse entwickeln. Im Großen und Ganzen lässt sich dennoch feststellen, dass genereller Stress mit einer größeren Aufwachreaktion assoziiert ist, wie Chida und Steptoe (2009) in einer Meta-Analyse darlegen. Psychiatrische Krankheiten: Studien zur Dysregulation der HHN-Achse in Verbindung mit psychischen Störungen zeigen oft inkonsistente Ergebnisse (Chida & Steptoe, 2009). Zu den eindeutigeren Befunden zählen die Assoziation zwischen Burnout und verminderter CAR sowie 45 1 Theorie posttraumatischer Belastungsstörung und verminderter CAR. Dahingegen ist in den meisten Studien zur Beziehung zwischen Depression und der CAR eine positive Assoziation gefunden worden (Clow et al., 2010). Auf diesbezügliche Untersuchungen bei Erwachsenen und Jugendlichen geht das nachfolgende Kapitel detaillierter ein. 1.8.3 Die Cortisolaufwachreaktion und Depression Empirische Befunde zur Dysregulation der HHN-Achse bei depressiven Erwachsenen wurden in vielen Studien konsistent untermauert (Stetler, Gregory, Miller, 2011). Untersucht wurden häufig Cortisolwerte zu bestimmten Uhrzeiten am Tag. Beispielsweise zeigen Bhagwagar, Hafizi und Cowen (2005) bei depressiven Erwachsenen eine um 25% erhöhte Cortisolsekretetion am Morgen zwischen 08:00 und 09:00 Uhr im Vergleich mit gesunden Erwachsenen. Auch in die Meta-Analyse von Stetler et al. (2011) sind vorwiegend Studien eingegangen, die den Cortisolspiegel im Tagesverlauf oder zu festgelegten Uhrzeiten untersuchen. Diese Analyse indiziert robuste Ergebnisse zur Hypersekretion bei Depression. Im Gegensatz dazu fokussieren weitere Studien konkret auf die Beziehung zwischen Depression und der CAR innerhalb der ersten Stunde nach dem Erwachen. Ein Beispiel hierfür ist die Untersuchung von Prüssner, Hellhammer, Prüssner und Lupien (2003), welche junge Männer mit depressiver Symptomatik betrachtetet. Sie fanden eine größere CAR bei Männern mit einem höheren Level an depressiven Symptomen. Eine erhöhte CAR wurde auch bei Erwachsenen gefunden, welche sich von einer Depression erholt hatten im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe, in der die Probanden keine Geschichte der Depression aufwiesen (Bhagwagar, Hafizi, Cowen, 2003). Des weiteren konnte in Studien mit gesunden Probanden auch nachgewiesen werden, dass eine höhere Cortisolproduktion mit nachfolgender Depression assoziiert ist (z. B. Harris et al., 2000). Zusätzlich konnte die Dysregulation der HHNAchse auch in Form einer flacheren Kurve der CAR bei Depressiven gefunden werden. So zeigen Huber, Issa, Schik und Wolf (2006) zwar eine weniger steil verlaufende CAR bei depressiven Erwachsenen, doch die Cortisolwerte waren insgesamt höher als die der Kontrollgruppe. Wie für die Erwachsenenpopulation wird auch bei Kindern und Jugendlichen angenommen, dass eine Dysregulation der HHN-Achse mit Depression einhergeht, einen Risikofaktor darstellen und zur Aufrechterhaltung beitragen kann (Guerry & Hastings, 2011). Die Meta-Analyse von LopezDuran, Kovacs und George (2009) offenbart eine höhere basale HHN-Achsen-Aktivität bei depressiven im Vergleich zu nicht depressiven Jugendlichen. Signifikant höhere Werte bei jugendlicher Depression fanden auch Goodyer, Herbert, Moor und Altham (1991) um 0:00, 04:00 46 1 Theorie und 08:00 Uhr. Vergleichbar sind auch neuere Ergebnisse wie z. B. die von Van den Bergh und Van Calster (2009), die höhere Cortisolwerte am Abend bei depressiver Symptomatik nahelegen. Ebenso zeigten Goodyer, Park und Herbert (2003) eine Cortisolhypersekretion um 08:00 Uhr bei 8- bis 16Jährigen während einer depressiven Episode. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Studien, welche keine Hypersekretion bei depressiven Jugendlichen fanden (Zalsman et al., 2006). Insgesamt sind die Befunde weniger konsistent als bei Erwachsenen, was laut Birmaher und Heydl (2001) an Unterschieden in der körperlichen Reife oder schnellerer Anpassung an Stress liegen könnte. Die bisher genannten Studien zum Jugendalter verglichen die Cortisolwerte zu bestimmten Tageszeiten zwischen depressiven und psychisch gesunden Jugendlichen. Zusätzlich existieren einige Untersuchungen, die sich auf die CAR und andere Cortisoltageswerte bei Jugendlichen konzentrieren, die im Risiko stehen eine Depression zu entwickeln. Dabei wird Cortisol in Beziehung gesetzt zu später auftretenden depressiven Symptomen. Eine Studie von Mannie, Harmer und Cowen (2007) untersuchte risikobehaftete Probanden im späten Jugendalter im Vergleich mit einer Kontrollgruppe, welche kein höheres Risiko hatte an einer Depression zu erkranken. Das erhöhte Risiko ergab sich daraus, dass Jugendliche der Risikogruppe mindestens ein Elternteil mit einer Geschichte der Depression vorwiesen. Die Ergebnisse weisen klar auf eine CAR-Hypersekretion bei der Gruppe der Risiko-Probanden hin. Vergleichbar sind auch die Ergebnisse von Goodyer, Herbert, Tamplin und Altham (2000), die bei 12- bis 16-Jährigen mit einem Risiko an einer Depression zu erkranken erhöhte Cortisolwerte um 08:00 Uhr fanden. An 230 Jugendlichen begutachteten Adam et al. (2010) die CAR in Verbindung mit einer klinischen Depression ein Jahr später. Es zeigte sich, dass eine höhere CAR die Depression vorhersagte. War die CAR erhöht, hatten diese Jugendlichen ein dreifach erhöhtes Risiko ein Jahr später eine Major Depression auszubilden. Ebenfalls fand sich in einer Studie mit 270 Jugendlichen, welche im Durchschnitt 17 Jahre alt waren, dass eine erhöhte CAR für eine Zeitspanne von 2,5 Jahren eine klinische Depression vorhersagte (Vrshek-Schallenborg et al., 2012). Ebenfalls eine Vorhersage für 2,5 Jahre konnten Ellenbogen, Hodgins, Linnen und Ostiguy (2011) aufzeigen. In dieser Untersuchung war der durchschnittliche Cortisol-Tageswert mit der Entwicklung einer affektiven Störung bei Probanden im späten Jugendalter assoziiert. Weiter stützen lassen sich solche Ergebnisse auch durch positive Assoziationen zwischen erhöhtem nächtlichen Cortisol bei risikobehafteten Jugendlichen und der Depressionsentwicklung in den darauffolgenden Jahren (Rao, Hammen, Poland, 2009). Darüber hinaus stellte sich ein erhöhter Cortisolmorgenwert mit 13 Jahren als Prädiktor einer Depression mit 16 Jahren heraus. In besagter Studie fungierte die Hypersekretion am Morgen als Mediator zwischen postnataler Depression der Mütter und der Depressionsgenese bei deren Kindern im Alter von 16 Jahren (Halligan, Herbert, Goodyer, Murray, 2007). 47 1 Theorie Studien, die Jugendliche betrachten, welche sich aktuell in einer klinischen Episode befinden, und diese hinsichtlich der CAR untersuchen, scheint es momentan nicht zu geben. Oben genannte Studien, die Cortisol-Tagesprofile depressiver Jugendlicher begutachten oder die CAR und Tageswerte in Risikopopulationen untersuchen, liefern im Großen und Ganzen jedoch klare Belege zur HHN-Achsen-Dysregulation bei Jugenddepression. In den meisten Fällen zeigte sich eine Hypersekretion von Cortisol in Verbindung mit aktueller und nachfolgender Depression. Somit wird Hypercortisolismus nicht nur als Begleiterscheinung von Depression, sondern auch als ätiologischer Mechanismus für die Entstehung von Depression in Betracht gezogen. Ein möglicher Weg über den Hypercortisolismus ursächlich für Depression wirken kann, ist die Entwicklung von Erschöpfung und Reizbarkeit. Diese Symptome können durch einen fortdauernd erhöhten Cortisolspiegel ausgelöst werden, und sind auch typische physiologische Symptome einer Depression (Guerry & Hastings, 2011). Auf biologischer Ebene sind die genauen Wirkweisen, welche Hypercortisolismus so relevant für die Depressionsentwicklung machen, nicht eindeutig geklärt (Ioschpe, 2011). Da die HHN-Achse jedoch eine zentrale Komponente des biologischen Stresssystems ist, spiegelt eine hyperaktive HHN-Achse eine erhöhte Stressreaktion und aus dem Gleichgewicht geratene Stressregulation wider. 1.8.4 Die Cortisolreaktion nach Stress Zur Erfassung der biologischen Reaktion auf psychischen Stress, wurden sehr häufig standardisierte stressauslösende Aufgaben im Laborsetting eingesetzt. Als zuverlässigste Auslöser für die Cortisolreaktion haben sich Aufgaben herausgestellt, welche zum einen für die Probanden unkontrollierbar erscheinen und zum anderen eine soziale Evaluation beinhalten (Dickerson & Kemeny, 2004; Kudielka, Hellhammer & Wüst, 2009). Die Meta-Analyse von Dickerson und Kemeny (2004), welche 208 Studien mit gesunden Erwachsenen umfasst, zeigt für Studien mit wahrgenommener Unkontrollierbarkeit und sozial evaluativer Bedrohung die größten Effekte in der Cortisolreaktion hinsichtlich des Anstiegs und der Dauer bis zum Abfall auf das hormonelle Basisniveau. Konkret erreicht werden solche Cortisoleffekte am effektivsten durch Tests, die öffentliches Sprechen und kognitive Aufgaben unter Beobachtung beinhalten, wie beispielsweise der Trier Sozial Stress Test (TSST), der erstmals von Kirschbaum, Pirke und Hellhammer (1993) anhand von sechs Studien vorgestellt wurde. In Bezug auf Kinder und Jugendliche erwies sich ebenfalls die Bedrohung des sozialen Selbst - durch Beobachtung und Bewertung von zu erfüllenden Aufgaben - als besonders relevanter Faktor, der einen Stressor wirkungsvoll bezüglich 48 1 Theorie der Cortisolreaktion macht (Gunnar, Talge & Herrera, 2009). Auch für diese Altersgruppe gilt der Trier Sozial Stress Test in einer abgeänderten Version für Kinder (TSST-K) von Buske-Kirschbaum et al. (1997) als sehr gut geeignet um biologischen und psychologischen Stress im Labor zu induzieren. Eine ausführliche Beschreibung dieses Tests, der auch in der vorliegenden Studie angewendet wurde, findet sich in Kapitel 3.5 „Trier Sozial Stress Test für Kinder“. Dieser Stresstest, ebenso wie ähnliche und zum Teil auf dem TSST-K basierende Stresstests, haben in bisherigen Studien ihre Wirkung auf die Cortisolsekretion nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Jugendlichen gezeigt (z. B. Stroud et al., 2009). Die meisten Studien, in denen Probanden Laborstress ausgesetzt werden und in denen die Cortisolausschüttung erfasst wird, zielen darauf ab Informationen über Unterschiede in der Stresshormonausschüttung zwischen verschiedenen Gruppen zu gewinnen. Beispielsweise verglichen Hankin, Badanes, Abela und Watamura (2010) Kinder und Jugendliche mit hohem versus niedrigem Risiko für eine Depressionserkrankung. Bei Probanden mit niedrigem Risiko für eine Depression fand sich in jeder Altersgruppe eine Cortisolreaktion nach dem Stresstest. Im Gegensatz dazu zeigten Kinder mit hohem Risiko für die Entwicklung einer Depression eine Hyposekretion des Cortisols und Jugendliche eine Hypersekretion aufgrund des Stresstests. Solche Befunde für eine vermehrte Ausschüttung des Cortisols im Zusammenhang mit Depression im Jugendalter unterstützen auch Rao, Hammen, Ortiz, Chen und Poland (2008) mit ihrer Studie. Anhand von 25 gesunden und 30 depressiven Jugendlichen mit einem durchschnittlichen Alter von 15 Jahren zeigte sich eine signifikant höhere und länger andauernde Cortisolsekretion als Reaktion auf den TSST-K. Alles in allem deuten die bisherigen Studien darauf hin, dass die Cortisolausschüttung nach Stress bei Depression sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen höher ausfällt als bei gesunden Vergleichspersonen. Allerdings fanden Morris, Rao, Wang und Garber (2013) bei einer Gruppe von 102 jungen Erwachsenen (22,97 ± 3,87 Jahre) mit remittierter Major Depression sogar eine niedrigere bzw. kaum vorhandene Cortisolreaktion im Gegensatz zur Kontrollgruppe, welche keine Geschichte der Depression aufwies. Das Ausbleiben der Cortisolreaktion verdeutlicht die Notwendigkeit von weiteren Studien, welche sich mit vorheriger oder aktueller Depression im Zusammenhang mit der Aktivität der HHN-Achse befassen. Eine Assoziation zwischen dem selbst berichteten erlebten Stress durch den TSST und dem Ausmaß der Cortisolreaktion scheint dabei nicht zu existieren (Wüst & Kudielka, 2009; Dickerson & Kemeny, 2004), wobei Hellhammer und Schubert (2012) einen Zusammenhang fanden, wenn der erlebte Stress während und nicht nach dem Test erfragt wurde. Bei Morris et al. (2013) zeigte sich sogar eine inverse Beziehung zwischen der negativen Affektivität nach dem Stresstest und der Cortisolsekretion. 49 2 Ziele und Fragestellungen 2 Ziele und Fragestellungen Angesichts der hohen Prävalenz und der psychosozialen und gesundheitlichen negativen Auswirkungen von kindlicher und jugendlicher Depression, beispielsweise auch des erhöhten Risikos einer langfristigen Geschichte der Depression oder weiterer psychischer Störungen im gesamten Erwachsenenalter, ergibt sich die Wichtigkeit mehr über die Zusammenhänge der Risikofaktoren für Jugenddepression zu erfahren. Daher legt diese Studie den Fokus auf potentielle Prädiktoren, die die Schwere der depressiven Symptome und den Fortbestand der Depression vorhersagen. Neben den psychologischen Risikofaktoren, werden in dieser Studie auch biologische Veränderungen näher betrachtet. Gerade in Bezug auf das Stresshormon Cortisol existieren inkonsistente Befunde im Bereich der Depression bei Kindern und Jugendlichen, jedoch mit der Tendenz zu Hypersekretion bei Vorliegen von Depression. Für das Erwachsenenalter weisen die empirischen Befunde klar darauf hin, dass die Cortisolreaktion in Verbindung mit Depression erhöht ist, wohingegen sich im Kindes- und Jugendalter diesbezüglich teilweise widersprüchliche Ergebnisse zeigen. Das im theoretischen Teil beschriebene übergreifende Modell der Risikofaktoren, kann aus ökonomischen Gründen, im Rahmen der vorliegenden Studie nicht komplett geprüft werden. Die Abbildung 2 zeigt die psychologischen und biologischen Faktoren, die die Basis der gegenwärtigen Studie bilden. Dabei spielt Stress eine besondere Rolle, da die untersuchten psychologischen und biologischen Variablen oft durch vermehrtes Stresserleben ausgelöst werden und auch selber den Stresslevel erhöhen können. Wie im theoretischen Teil dieser Arbeit schon beschrieben, ist empirisch gut fundiert, dass ein häufiges Erleben von Stresssituationen besonders charakteristisch für Kinder und Jugendliche mit depressiven Störungen ist. In diesem Zusammenhang ist auch von besonderer Bedeutung, welche Bewältigungs-Strategien in der Folge von Stress angewendet werden, da diese den Stress vermindern oder erhöhen können. Biologisch wird davon ausgegangen, dass die akute und chronische Stressbelastung zu einer Hyperaktivität der HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinden-Achse führt. Diese wiederum ist, wie einige Studien zeigen, mit großer Wahrscheinlichkeit am Beginn der Depressionsentwicklung und an der Aufrechterhaltung von depressiven Symptomen beteiligt (Rao et al., 2009; Goodyer et al., 2000). 50 2 Ziele und Fragestellungen Abbildung 2: Stressbezogene Charakteristika und ihre Bedeutung für die Aufrechterhaltung depressiver Störungen bei Kindern und Jugendlichen Stress, akut und chronisch Häufiges Stress-Erleben, hohe Problembelastung Hyperaktivität der HHN-Achse basal und nach Stress Depressive Störung Ungünstige Coping-Strategien 2.1 Querschnittliche Fragestellung Die depressiven Kinder und Jugendlichen sollen hinsichtlich der erfassten Variablen charakterisiert werden im Vergleich zu einer gesunden, altersgematchten Kontrollgruppe. Es ergeben sich nachfolgend aufgeführte Hypothesen. 2.1.1 Psychologische Ebene Hypothese 1: Depressive Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren unterscheiden sich von den nicht depressiven Kontrollpersonen a) in dem Ausmaß der psychischen Stressbelastung und Stressvulnerabilität, 51 2 Ziele und Fragestellungen b) dem Ausmaß der Problembelastung und c) körperlichen Beschwerdesymptomen. Hypothese 2: Depressive Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren unterscheiden sich von den nicht depressiven Kontrollpersonen in der Art spezifischer angewendeter StressBewältigungs-Strategien, indem a) stressvermehrende Strategien häufiger angewendet werden und b) stressverminderte Strategien seltener angewendet werden als in der Kontrollgruppe. 2.1.2 Biologische Ebene Hypothese 3: Depressive Kinder und Jugendliche unterscheiden sich von nicht depressiven Kontrollpersonen a) hinsichtlich der Cortisolaufwachreaktion, wobei erwartet wird, dass die Cortisolsekretion bei depressiven Probanden erhöht ist, b) hinsichtlich der durch akuten psychosozialen Stress ausgelösten Cortisolreaktion, wobei erwartet wird, dass die Cortisolsekretion bei depressiven Probanden erhöht ist. 2.1.3 Verknüpfungshypothese Hypothese 4: Je ausgeprägter die psychische Stresssymptomatik und die physischen Stressbeschwerden bei den depressiven Kindern sind, desto eher findet sich eine Hyperaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse. 2.2 Längsschnittliche Fragestellung Bei der längsschnittlichen Fragestellung werden die Einflüsse der verschiedenen Variablen aufeinander und auf den Fortbestand der Depressionsdiagnose zum Zeitpunkt 6 Monate nach der Erstuntersuchung geprüft. In die Berechnungen gehen die Daten aller Studienteilnehmerinnen ein, 52 2 Ziele und Fragestellungen die zum ersten Messzeitpunkt eine Major Depression aufwiesen. Konkret ergeben sich folgende Hypothesen. Hypothese 5 a): Unterschiede in der Stressbelastung und in der Art des Bewältigungsverhaltens zum Zeitpunkt 1 sind ein signifikanter Prädiktor für Unterschiede in der Stressbelastung bzw. im Bewältigungsverhalten zum Zeitpunkt 2. Hypothese 5 b): Je ausgeprägter die Stressbelastung und je ungünstiger das Stressbewältigungsverhalten zum Zeitpunkt 1, desto deutlicher ausgeprägt ist die depressive Störung zum Zeitpunkt 2 bzw. desto eher besteht die Störung weiterhin. Hypothese 6 a): Unterschiede in der Cortisolreaktion auf akuten Stress und basal bei der Aufwachreaktion zum Zeitpunkt 1 sind ein signifikanter Prädiktor für diesbezügliche Unterschiede zum Zeitpunkt 2. Hypothese 6 b): Hohe Cortisolwerte (bei Stress und bei der Aufwachreaktion) zum Zeitpunkt 1 sagen sowohl das Fortbestehen der Depressionsdiagnose als auch den Ausprägungsgrad der Depression zum Zeitpunkt 2 voraus. 53 3 Methode 3 Methode 3.1 Die Untersuchungsstichprobe 3.1.1 Vorgehensweise Über mehrere Wege wurden depressive und gesunde Mädchen und weibliche Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren rekrutiert. Dazu wurden Informationszettel an Haupt-, Real-, Grund- und Berufsschulen und Gymnasien ausgehängt. Des Weiteren wurden potentielle Teilnehmerinnen über den Universitäts-E-Mailverteiler, durch Anzeigen auf Internetportalen und Artikel in den lokalen Zeitungen auf die Studie aufmerksam gemacht. Zusätzlich wurden Teilnehmerinnen der depressiven Teilstichprobe durch eine persönliche Kontaktaufnahme in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Mutterhauses der Borromäerinnen in Trier und über ansässige Kinderpsychiater und -psychologen angeworben. In einem ersten Telefongespräch und über E-Mail-Kontakt erhielten die Interessierten ausführliche Informationen über den Ablauf der Studie, den inhaltlichen Hintergrund und über die Ausschlusskriterien. Die potentiellen Teilnehmerinnen wurden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie sich entweder momentan in einer Phase befinden müssen, in der sie sich oft niedergeschlagen, traurig, gereizt und/oder interessenlos fühlen oder andererseits bisher noch keine überdurchschnittlichen Probleme mit solch depressiven Verstimmungen hatten. Bei einer früheren Geschichte der Depression ohne aktuelle depressive Phase oder bei Hinweisen auf ein dysthymes Syndrom, wurden die Interessierten von einer Studienteilnahme ausgeschlossen. Falls die Probandinnen noch nicht 18 Jahre alt waren, wurden sie gebeten die, per E-Mail oder per Post zugeschickte, Einverständniserklärung, zum ersten Studientermin mitzubringen, die sie zuvor von einem Erziehungsberechtigten unterschreiben lassen mussten. Ein initialer Kontakt kam mit 230 Personen zustande. Nach einer ersten Abklärung der Ausschlusskriterien wurden 160 Mädchen und Jugendliche zum ersten Untersuchungstermin eingeladen eingeladen, zwecks Diagnoseklärung und Pubertätsstatusbestimmung (siehe Kapitel 3.3). Von diesen Teilnehmerinnen fand nach dem ersten Termin mit 148 auch der zweite Studientermin statt, bei dem die psychologischen Variablen erhoben wurden und der Stresstest durchgeführt wurde (siehe Kapitel 3.4). Insgesamt 140 Probandinnen blieben auch bis einschließlich des dritten und somit letzten Studientermins erhalten. Die Mädchen und Jugendlichen wurden mit 20 Euro nach dem ersten Studientermin und weiteren 54 3 Methode 150 Euro nach dem dritten Studientermin vergütet. Außerdem erhielten sie auf Wunsch eine Rückmeldung über ihre Cortisolwerte und Tipps zum günstigen Umgang mit Stress. 3.1.2 Ein- und Ausschlusskriterien Für die Untersuchung wurde eine Stichprobe von 10- bis 18-jährigen Mädchen und weiblichen Jugendlichen gewählt, unter anderem, weil ab dem Jugendalter das Risiko an einer Depression zu erkranken stark ansteigt (Preiß & Remschmidt, 2007) und ab dem mittleren Jugendalter Depression als eine der prävalentesten psychischen Störungen gilt (Essau et al., 2000). Diese Risikoerhöhung kommt dadurch zustande, dass ab dem frühen Jugendalter verschiedene Vulnerabilitätsfaktoren vermehrt auftreten und ihre Wirkung entfalten. Als Beispiel sei hier die kognitive Vulnerabilität genannt, die in signifikantem Maße erst ab der Pubertät zur Geltung kommt, weil die kognitive Kapazität ab diesem Alter verstärkt heranreift (Alloy et al., 2006). Der Altersbereich der 10- bis 18Jährigen, der in dieser Studie gewählt wurde, deckt eine Stichprobe ab, in der die gesamte Spanne der Pubertätsentwicklung, nach den Stadien von Tanner, vertreten ist, von Beginn mit 10 bis 12 Jahren bis hin zu gerade abgeschlossener Pubertät mit 18 Jahren. In Studien, die sich mit der Cortisolaufwachreaktion beschäftigen, ergab sich kein Einfluss des Alters auf die Cortisolwerte (z. B. Pruessner et al., 1997). Ebenso wurde kein Einfluss des Alters auf die Cortisolreaktion nach Stress gefunden (Kudielka et al., 2004), so dass die gemessenen Cortisolwerte auch für den Altersbereich der 10- bis 18-Jährigen als aussagekräftig anzusehen sind. Um Geschlechtseffekte bezüglich der Cortisolsekretion auszuschließen (Kunz-Ebrecht et al., 2004) und zur Untersuchung einer möglichst homogenen Stichprobe, wurden in dieser Untersuchung nur weibliche Probandinnen zur Studie zugelassen. Als ein wichtiges Ausschlusskriterium galt die Geschichte einer früheren depressiven Episode bei momentaner Beschwerdefreiheit. Solche Mädchen und Jugendlichen kamen dadurch weder für die Kontrollgruppe noch für die depressive Gruppe in Frage. Weiterhin wurden nicht depressive Probandinnen für die Kontrollbedingung von einer Teilnahme ausgeschlossen, wenn sie weitere psychische Störungen aufwiesen, wohingegen, bei depressiven Teilnehmerinnen teilweise vorhandene, komorbide Störungen, mit erfasst und deren Einfluss auf den Depressionsverlauf mit untersucht wurde. 55 3 Methode 3.2 Design 3.2.1 Kontrollgruppendesign im Querschnitt Die Ausprägungen in den untersuchten psychologischen und biologischen Variablen der depressiven Teilnehmerinnen wurden verglichen mit denen der gesunden Kinder und Jugendlichen. Dabei ist die gesunde Kontrollgruppe altersgematched zu der depressiven Gruppe. 3.2.2 Prospektive Längsschnittstudie Zum Zeitpunkt 2, der 6 Monate nach dem ersten Erhebungszeitpunkt liegt, wurden alle Teilnehmerinnen erneut hinsichtlich der psychologischen und biologischen Variablen untersucht. Mit einer multiplen Regressionsanalyse, die für die vollständige Stichprobe berechnet wurde, sollte vorhergesagt werden, durch welche zum Zeitpunkt 1 erhobenen Variablen das Ausmaß der depressiven Symptomatik zum Zeitpunkt 2 vorhergesagt werden kann. Zusätzlich sollten für die depressive Teilstichprobe, mithilfe einer logistischen Regressionsanalyse, die Variablen identifiziert werden, welche das Vorhandensein der Depressionsdiagnose zum zweiten Messzeitpunkt vorhersagen. 3.3 Der erste Studientermin: Voruntersuchung Zum ersten Studientermin wurden die potentiellen Teilnehmerinnen in die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Mutterhauses der Borromäerinnen in Trier eingeladen. Anfänglich wurden in einem ausführlichen Gespräch die Kriterien für eine Major Depression abgeklärt, wie sie im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (American Psychiatric Association, DSM-IV, 1994) aufgeführt sind. Diese Diagnose sowie andere psychische Störungen wurden daraufhin mit Hilfe des Diagnostischen Interviews bei Psychischen Störungen im Kindesund Jugendalter (Kinder-DIPS von Scheider, Unnewehr & Margraf, 2008) abgefragt. Des Weiteren gaben die Mädchen und Jugendlichen schriftlich Auskunft über demographische Daten, ihren gesundheitlichen Zustand und Verhalten bezüglich Schlaf, Alkohol- und Zigarettenkonsum. Zum Schluss dieses ersten Studientermins wurde eine Einteilung der Pubertätsentwicklung nach den Stadien von Tanner (1969) durch eine Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgenommen. 56 3 Methode Mit den Teilnehmerinnen, bei denen eine aktuelle depressive Episode im Rahmen einer Major Depression vorlag, wurde der nächste Studientermin vereinbart. Ebenso erfolgte eine erneute Terminvereinbarung, wenn die Mädchen und Jugendlichen keine depressiven Probleme in ihrem bisherigen Leben aufwiesen und auch sonst keine psychische Störung laut dem Kinder-DIPS festzustellen war. 3.4 Prüfprotokoll des zweiten und dritten Studientermins In den Räumen der Universität Trier fand der zweite Termin statt, wie auch der dritte Studientermin 6 Monate später. Diese beiden Termine wurden bezüglich des Ablaufs identisch gestaltet, fanden immer zwischen 14 und 17 Uhr statt und dauerten knapp 2,5 Stunden. Während dieser Zeit saßen zwei Probandinnen, jede alleine in einem Raum, an einem Tisch. Zu Beginn wurden die Teilnehmerinnen kurz über den zeitlichen Ablauf informiert und darauf aufmerksam gemacht, was es zu beachten galt, damit die Speichelprobensammlung optimal erfolgen konnte. Die Durchführung der Speichelprobensammlung zum Erhalt der Cortisolwerte wird in Abschnitt 10.6 „Speichelprobensammlung im Labor und zu Hause“ beschrieben. Für die unverfälschte Erhebung des Cortisols durften die Probandinnen während der gesamten Zeit nichts essen und keinen Kaugummi kauen. Wasser trinken war erlaubt, jedoch nicht in den jeweils fünf Minuten vor Abgabe der Speichelproben. Außerdem wurden die Probandinnen gebeten ihr Handy auszuschalten, damit keine Nachrichten oder Anrufe eine Erregung, und somit möglicherweise eine Erhöhung des Stresshormons Cortisol, nach sich ziehen konnten. Nach dieser Einweisung vergingen 35 Minuten bis zur Abgabe der ersten Speichelprobe (t -30), damit die Probandinnen körperlich und psychisch zur Ruhe kommen konnten. Direkt am Anfang wurden zwei Fragebögen zur Bearbeitung ausgeteilt. Dies waren der Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche (GBB-KJ von Barkmann und Brähler, 2009), der Problemfragebogen für Jugendliche (Roth, Süllwold & Berg, 1967) bei den 14- bis 18-Jährigen und der Problemfragebogen für 11- bis 14-Jährige (PF 11-14 von Westhoff, Geusen-Asenbaum, Leutner und Schmidt, 1981) bei den 10-13-Jährigen. Die zweite und dritte Speichelprobe erfolgte 15 (t -15) und 30 Minuten (t -1) nach der ersten Speichelprobe. Die dritte Speichelprobe fand direkt eine Minute vor Beginn des Trier Sozial Stress Tests für Kinder (TSSTK) statt. Die Durchführung des TSST-K's wird in Kapitel 10.5 ausführlich beschrieben. Nach Beendigung des TSST-K's verweilten die Teilnehmerinnen noch 45 Minuten sitzend im Labor und füllten weitere drei Fragebögen aus. Dabei handelte es sich um das Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche (DIKJ von Stiensmeier-Pelster, Schürmann & Duda, 1989), den Fragebogen zur 57 3 Methode Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter (SSKJ 3-8 von Lohaus, Fleer, Freytag & Klein-Heßling, 1996) und den Stressverarbeitungsfragebogen (SVF-KJ von Hampel, Petermann & Dickow, 2001). Die Speichelprobensammlung erfolgte nach dem TSSTK eine Minute nach dessen Beendigung (t +1), 15 Minuten (t +15), 30 Minuten (t +30) und 45 Minuten (t +45) später. Eine Übersicht des Untersuchungsablaufs ist in der Abbildung 2 dargestellt. Am Ende des zweiten Studientermins erhielten die Probandinnen acht Röhrchen für die Speichelabgabe zu Hause. Sie wurden eingewiesen, was es diesbezüglich zu beachten galt, und erhielten diese Anweisung auch schriftlich sowie einen beschrifteten und frankierten Briefumschlag zur Rücksendung der Speichelproben. In Tabelle 1 ist der Ablauf der Studientermine im Überblick dargestellt. 58 3 Methode Tabelle 1: Ablauf des Stresstests und der Fragebogen- und Speichelerhebung 2. und 3. Studientermin Ablaufplan ZEIT (in Min.) VORGANG Fragebögen – Teil I (Vpn-Code, PF,GBB) Ankunft der Teilnehmerin Einführung der Teilnehmerin 35 50 65 1. Speichelprobe 2. Speichelprobe 3. Speichelprobe Instruktion für TSST-K Klärung etwaiger Fragen Fragebogen – Befindlichkeitsabfrage Beginn der Vorbereitungszeit [5 Min.] Beginn des TSST-K Vortragen der Geschichte [5 Min.] Instruktion für Rechenaufgabe Klärung etwaiger Fragen Rechenaufgabe [5 Alter: 10 und 11 Jahren –> 798 in > 11 Jahre –> 1023 in 13er-Schritten Min.] 7er-Schritten Ende des TSST-K 1 15 30 45 4. Speichelprobe 5. Speichelprobe 6. Speichelprobe 7. Speichelprobe nach Abschluss der Fragebögen: Feedback Fragebögen – Teil II (DIKJ, SVF & SSKJ) Fragebögen – Befindlichkeitsabfrage + Manipulationscheck Beantwortung etwaiger Fragen / nach Wunsch Gespräch über empfundenen Stress Aushändigung der Salivetten für die Heimerhebung (beim ersten, nicht beim zweiten Uni-Termin) Klärung etwaiger Fragen Verabschiedung Gesamtzeit: 2:15 Std. 59 3 Methode 3.5 Trier Sozial Stress Test für Kinder Der Trier Sozial Stress Test für Kinder (TSST-K) wurde 1997 von Buske-Kirschbaum und Kollegen aus der Version des Tests für Erwachsene (Kirschbaum et al., 1993) entwickelt und evaluiert. Mit dem TSST und TSST-K wird durch psychosozialen Stress eine Stressreaktion induziert, die endokrine, psychische und autonome Reaktionen beinhaltet. Der TSST-K, bestehend aus einer sozial-evaluativen und einer kognitiven Aufgabe, erwies sich wiederholt als effektiv (z. B. BuskeKirschbaum et al., 1993 und 1997; Überblick in Dickerson & Kemeny, 2004). Die Vorgehensweise ist standardisiert und sieht zu Beginn die Einführung des jeweiligen Teilnehmers in die erste Aufgabe vor. Dies erfolgte in dieser Studie anhand einer schriftlichen Anweisung, die besagt, dass die Probandin im Rahmen eines Erzähl-Wettbewerbs eine Geschichte weitererzählen soll. Die Teilnehmerin wurde zusätzlich dazu aufgefordert die Geschichte so interessant und phantasievoll wie möglich zu erzählen, um besser zu sein als die anderen Teilnehmerinnen. Der Geschichtenbeginn war folgender: „Als ich letzten Montag mit meiner Freundin von der Schule nach Hause ging, entschieden wir uns noch einen kleinen Abstecher zu dem alten verlassenen Haus am Waldrand zu machen. Wir wollten das Haus erkunden und waren natürlich mächtig aufgeregt. Als wir die morsche Türe öffneten, knarrte diese schon ganz geheimnisvoll. Von den Wänden rieselte überall der Putz und ein moderiger Geruch zog sich durch das ganze Haus. Nun bogen wir um die Ecke und kamen in das dunkle Treppenhaus. Grade als wir die knorrige alte Holztreppe hinaufsteigen wollten, hörten wir plötzlich ein Geräusch…“ Nach einem Vorbereitungszeitraum von fünf Minuten, die die Probandin alleine in einem Raum verbrachte, wurde sie in den Experimentalraum gebeten. Dort saß eine Versuchsleiterin hinter einem Tisch, die zweite Versuchsleiterin bat die Teilnehmerin sich hinter das Mikrophon zu stellen und mit der Erzählung zu warten, bis Kamera und Tonbandgerät angeschaltet sein würden. Beide Versuchsleiterinnen trugen einen weißen Kittel und verhielten sich weitgehend neutral. Im Gegensatz zum TSST für Erwachsene, der weder positive noch negative Rückmeldung vorsah, erhielten die Kinder und Jugendlichen bei großer Unsicherheit und Nervosität positives Feedback durch einen freundlichen Gesichtsausdruck der Versuchsleiterinnen. Nachdem die Höhe des Mikrophons an die Größe der Probandin angepasst war und beide Versuchsleiterinnen hinter dem Tisch Platz genommen hatten, wurde die Probandin aufgefordert die Geschichte weiterzuerzählen. Falls die Teilnehmerin ihre Geschichte schon vor Ablauf von fünf Minuten beendete, wurde sie, nach einigen Sekunden, dazu aufgefordert die Geschichte spontan weiterzuführen. War auch danach die Zeit noch nicht abgelaufen, stellte eine der 60 3 Methode Versuchsleiterinnen standardisierte Fragen zu der Geschichte. Auf die Aufgabe des öffentlichen Sprechens hin folgte die kognitive Aufgabe, ebenfalls für einen festgelegten Zeitraum von fünf Minuten. Die Probandin sollte von der Zahl 1023 die Zahl 13 fortlaufend subtrahieren. Wenn sie einen Fehler machte, wurde sie darauf hingewiesen und gebeten erneut von der Zahl 1023 zu beginnen. Dies erfolgte jedes Mal mit dem Satz „Du hast Dich verrechnet, beginne wieder bei 1023“. Die 10- und 11-jährigen Mädchen erhielten die Aufgabe in vereinfachter Form, indem sie von der Zahl 758 in 7-er-Schritten rückwärts rechnen sollten. War diese Aufgabe ebenfalls beendet, wurde die Teilnehmerin gebeten wieder in ihrem Raum Platz zu nehmen. Am Ende des Studientermins erhielten sie eine Rückmeldung, dass ihre Leistung in den Aufgaben vergleichbar war mit denen der anderen Teilnehmerinnen, und dass das strenge Verhalten der Versuchsleiterinnen nötig war, um für alle die gleichen Wettbewerbsbedingungen zu gestalten. Außerdem wurde ihnen die Gelegenheit gegeben Fragen zu stellen. Neben den im oben genannten Fragebögen, füllten die Probandinnen auch eine Befindlichkeitsabfrage aus. Die erste Frage fokussiert direkt auf das momentane Befinden und bietet fünf Antwortmöglichkeiten von „echt mies“ bis „ganz doll gut“ an. Außerdem fragen sechs Items nach psychischen und körperlichen Anzeichen von Aufregung, z. B. Herzklopfen, wobei die Antworten auf einer 5-stufigen Likert-Skala gegeben werden können, mit den Antwortmöglichkeiten von „gar nicht“ bis „sehr stark“ vorhanden. Zum einen erhielten die Probandinnen den Fragebogen kurz vor der Vorbereitungszeit für die Geschichte, und zum anderen Mal wurde er ihnen nach Beendigung des TSST-K's vorgelegt. Des Weiteren erhielten die Teilnehmerinnen direkt nach dem TSST-K einen kurzen Fragebogen zum Manipulationscheck, um rückwirkend die psychisch erlebte Belastung während der Aufgaben zu erfragen. Er besteht aus 10 Items, mit Antwortmöglichkeiten auf einer 5-Punkt Likert-Skala, von denen acht Items auf unterschiedliche Aspekte der Aufgaben des TSST-K's abzielen (z. B. „Wie belastend war es für Dich zu wissen, dass Du möglichst schnell rechnen sollst?“), einem Item, welches Schamgefühle während des Tests erfragt und einem Item, das sich auf die Belastung der gesamten Untersuchung bezieht. Es ist auch möglich einen Rohpunktsummenwert zu bilden, der zwischen 0 und 40 liegt. 3.6 Speichelprobensammlung im Labor und zu Hause Die Speichelsammlung im Labor erfolgte zu sieben Zeitpunkten (siehe oben, Kapitel 10.4) mit 61 3 Methode Hilfe der sogenannten Salivette (Sarstedt, Nürmbrecht, Germany). Dabei handelt es sich um ein Plastikröhrchen, in dem sich ein steriles Wattestäbchen befindet, das zur Speichelsammlung für ca. 60 Sekunden in den Mund genommen wird. Die Studienteilnehmerinnen wurden im Labor gebeten auf der Watte leicht herum zu kauen und sie im Mund hin und her zu bewegen bis sie sich mit Speichel vollgesogen hatte. Nach 60 Sekunden durften die Teilnehmerinnen die Watte herausnehmen und in das Plastikröhrchen zurück stecken. Für die Speichelsammlung zu Hause erhielten die Probandinnen sowohl mündliche Anweisungen als auch eine klare schriftliche Anleitung, die ihnen mit insgesamt acht Salivetten mit nach Hause gegeben wurde. Mit vier der Salivetten sollte die Cortisolaufwachreaktion an einem Schultag und mit weiteren vier die Aufwachreaktion an einem schulfreien Tag gemessen werden. Die Teilnehmerinnen wurden deutlich darauf hingewiesen, dass die erste Speichelprobensammlung direkt nach dem Aufwachen erfolgen sollte, ohne dass zuvor aufgestanden oder weiter geschlafen wurde. Anschließend sollten die weiteren Proben 30, 45 und 60 Minuten nach der ersten Probe abgegeben werden. Es wurde, sowohl mündlich als auch schriftlich betont, dass es sehr wichtig für eine zuverlässige Messung sei, dass die Probandinnen während dieser Zeit keine Zähne putzen, keine Nahrung und keine Getränke, außer Wasser, zu sich nehmen und nicht rauchen. Sie wurden auch gebeten am Abend vorher nach 20 Uhr keine Nahrung zu sich zu nehmen, auf ungewöhnlich schwere Mahlzeiten zu verzichten und keinen Alkohol zu trinken. Nach der Befüllung der Salivetten sollten diese, bis zur Rücksendung, im Gefrierfach gelagert werden. 3.7 Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter (Kinder-DIPS) Das Kinder-DIPS von Unnewehr, Schneider und Margraf (1995) ist ein Instrument zur differenzierten Störungsdiagnose nach dem DSM-IV und dem ICD-10 und liegt als Kinder- und Elternversion vor. Befragt werden können Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren im Hinblick auf psychische Störungen der Achse I. Diese werden nacheinander abgefragt, wobei zu jedem Syndrom die Interviewfragen und Anweisungen an den Interviewer (Interviewleitfaden) und der Protokollbogen, zur Notation der Antworten der Befragten, aufgeführt sind. Unterteilt ist das Interview in einen Überblicksteil, einen speziellen Teil und einen Abschnitt zur psychiatrischen Anamnese und Familienanamnese psychischer Störungen. Im Überblicksteil werden die im 62 3 Methode Vordergrund stehenden Probleme sowie belastende Lebensereignisse der der vergangenen 6 Monate erfasst. Der spezielle Teil klärt folgende spezifische psychische Störungen ab: (3) Expansive Verhaltensstörungen: Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, Störung mit oppositionellem Trotzverhalten, Störung des Sozialverhaltens. (4) Störungen der Ausscheidungen: Funktionelle Enuresis, Funktionelle Enkopresis. (5) Affektive Störungen: Schweres depressives Syndrom, Dysthymes Syndrom. (6) Angsstörungen: Störung mit Trennungsangst, Paniksyndrom ohne Agoraphobie, Paniksyndrom mit Agoraphobie, Agoraphobie ohne Anamnese eines Paniksyndroms, Spezifische Phobie (inklusive Schulphobie), Sozialphobie, Zwangssyndrom, Generalisiertes Angstsyndrom, Posttraumatische Belastungsstörung. (7) Essstörungen: Anorexia nervosa, Bulimia nervosa. (8) Hinweise auf Teilstörungen. (9) Hinweise auf Psychosen. (10) Hinweise auf Substanzenmissbrauch, -abhängigkeit. Die syndromorientierte Abfolge der Fragen erfolgt ähnlich flüssig wie in einem Gesprächsverlauf. Fast alle Antworten werden auf einer Ratingskala entweder bezüglich der Auftretenswahrscheinlichkeit oder bezüglich der Intensität quantitativ kodiert. Zusätzlich werden auch offene Fragen gestellt, deren Beantwortung wortwörtlich festgehalten werden sollte. Auf diese Weise können Beschreibungen von Situationen und das Auftreten der Symptome individuell dokumentiert werden. Aus zeitökonomischen Gründen und zur Vermeidung von unnötigen Fragen gibt es an entsprechenden Stellen Sprungregeln, die, bei negativer Beantwortung einer vorhergegangenen Frage, anzeigen, welche nachfolgenden Abschnitte übersprungen werden können. Die Durchschnittsdauer des gesamten Interviews beträgt 60 Minuten und ist stark beeinflusst von der Anzahl der vorhandenen Störungen und dem Interviewverhalten des Kindes oder Jugendlichen. Hinsichtlich der Gütekriterien wurden Untersuchungen zur Retest-Reliabilität (mit dem Abstand von einer Woche), zur Interrater-Reliabilität und zur konstruktbezogenen Validität durchgeführt. Diese Untersuchungen zur Kinderversion erfolgten anhand einer klinischen Stichprobe von 108 Kindern und Jugendlichen zwischen 7 und 18 Jahren. Die Reliabilitäts-Werte deuten auf eine befriedigende bis sehr gute Zuverlässigkeit des Interviews hin mit einer prozentualen Interrater-Übereinstimmung von mindestens 75%. Die Yule's Y-Koeffizienten liegen zwischen .60 und .81, die Kappa-Werte zwischen .50 und .89., was als zufriedenstellend bis sehr gut 63 3 Methode zu bewerten ist. Zur Validitätsüberprüfung wurden die Kinder-DIPS-Diagnosen mit Werten auf psychometrischen Fragebögen verglichen. Dazu wurde der Youth Self Report (YSR, deutsche Version von Remschmidt und Walter, 1990), das State-Trait Angstinventar (STAIK-T, von Spielberger, 1973), der Fear Survey Schedule for Children (FSS-FC, deutsche Übersetzung von Groeger, 1976) und der Fragebogen zum Essverhalten (FEV, von Pudel und Westhöfer, 1989) herangezogen. Die erwarteten Zusammenhänge der betrachteten Fragebogenwerte mit den DIPSDiagnosen gingen in die gewünschte Richtung und es zeigten sich zufriedenstellende Ergebnisse bei der Validitätsprüfung. Neuere Überprüfungen der Gütekriterien zeigen für die Interrater-Reliabilität gute und sehr gute Ergebnisse mit mindestens 89% Übereinstimmung für alle Störungsoberklassen und für die RetestReliabilität Übereinstimmungen von mindestens 88% für die Oberklassen, außer für die Klasse der Schlafstörungen. Ebenso fand sich für die einzelnen Diagnosen, mit Ausnahme der dysthymen Störung und des generalisierten Angstsyndroms, jeweils eine prozentuale Übereinstimmung von mindestens 84% (Suppiger et al., 2008). Für die Validität ergaben sich in einer jüngeren Untersuchung gute Ergebnisse für die meisten Oberklassen der Störungen. Auch hier zeigte die Oberklasse der Schlafstörungen und das generalisierte Angstsyndrom ungenügende Werte, wobei die Autoren zu dem Schluss kommen, dass das DIPS insgesamt als sehr valide einzustufen ist (In-Albon et al., 2008). 3.8 Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche (GBB-KJ) Bei dem Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche von Barkmann und Brähler (2009) handelt es sich um ein Instrument zur systematischen Erfassung körperlicher Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 4 bis 18 Jahren. Der Fragebogen liegt als Selbsturteils- und Fremdurteilsversion vor, wobei in dieser Studie ausschließlich der Selbsturteils-Fragebogen verwendet wurde. Der GBB-KJ berücksichtigt fünf Beschwerdebereiche, die mit jeweils sieben Items zu den folgenden fünf Subskalen zusammengefasst werden: Erschöpfung, Magenbeschwerden, Gliederschmerzen, Kreislaufbeschwerden und Erkältungsbeschwerden. Für diese subjektiv erlebten körperlichen Beschwerden soll die Häufigkeit für den gegenwärtigen Zeitraum auf einer fünfstufigen Likert-Skala (0 = „nie“ bis 4 = „dauernd“) angegeben werden. Die einzelnen Itemwerte können zu dem Gesamtwert Beschwerdedruck aggregiert werden, der von 0 bis 140 reicht. Neben der hier beschrieben Fragebogenversion (Kurzversion) existiert noch eine 64 3 Methode Langversion mit 59 Items, allerdings gehen diese zusätzlichen Items nicht in die Skalenauswertung mit ein. Für den GBB-KJ liegen bundesweit repräsentative alters- und geschlechtsspezifische Perzentil- und T-Werte vor (N = 1950). Die Altersgruppen sind folgendermaßen aufgeteilt: 4-6, 7-10, 11-14 und 15-18 Jahre. Für die 4-18-Jährigen existieren Normdaten der Fremd- und Selbsturteile, für die 4-10Jährigen nur Normen der Fremdurteile. Untersuchungen zur Reliabilität und Validität wurden an der Normierungsstichprobe vorgenommen. Die mittlere interne Konsistenz (Cronbach's Alpha) über alle Alters- und Urteilskombinationen liegt für alle Skalen bei α = .81 und für den Gesamtwert bei α = .91 und ist somit als gut zu bewerten. Die Split-Half-Reliabilität der Skalen erreicht einen mittleren Wert von α = .79. Die inhaltliche Validität wird aufgrund des Beschwerdecharakters der Items, die Nutzung bereits vorhandener Itemsammlungen und die Urteile von Experten von den Autoren als gegeben angenommen. Für die Konstruktvalidität lieferten explorative und konfirmatorische Faktorenanalysen zufriedenstellende Ergebnisse. Die Berechnung einer Kriteriumsvalidität ist, laut der Autoren, wenig sinnvoll, aufgrund der niedrigen Korrelation von objektiven Symptomen und subjektiven Beschwerden. 3.9 Problemfragebogen für 11-14-Jährige (PF 11-14) Der Problemfragebogen für 11-14-Jährige (PF 11-14) von Westhoff, Geusen-Asenbaum, Leutner und Schmidt (1981) erfragt mit 233 Items individuelle Erlebens- und Verhaltensweisen mit dem Ziel, Aufschluss über verschiedene Problembereiche zu geben. Theoretischer Hintergrund dieses Selbstberichtinstrumentes ist die Bedürfnishierarchie nach Maslow (1954) mit fünf verschiedenen Bedürfnisthemen: Sicherheit, Liebe, Wertschätzung, Selbstverwirklichung und Verstehen der Umwelt und des Lebens. Für die Auswertung können die Items nach diesen Bedürfnisbereichen unterteilt werden. In dem Fragebogen selber werden die abgefragten Probleme in fünf psychosoziale Bereiche untergliedert: Über mich (68 Items), Meine Familie (60 Items), Ich und die anderen (61 Items), Meine Schule (34 Items) und Allgemeines (10 Items). Die Beantwortung der Items erfolgt dichotom mit den Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“. Der PF 11-14 ist kein Test in dem Sinn, dass er ein einheitliches Konstrukt operationalisiert. Die Autoren schlagen daher eine itemweise Auswertung und Interpretation vor. Alters- und geschlechtsspezifischen Normen (N = 770), die die Problemhäufigkeiten in Prozent angeben, 65 3 Methode ermöglichen es, diese mit den Antworten der Testteilnehmer zu vergleichen. Die Normdaten liegen für 11-14-Jährige vor, dennoch betonen die Autoren, dass der Fragebogen auch bei 9- und 10Jährigen und 15- und 16-Jährigen angewendet werden kann. Aufgrund der Tatsache, dass die Probleme eines Befragten sich kurzfristig kaum verändern, und da, durch die Länge des Fragebogens, wenig Gedächtniseffekte erwartet werden, wurde die RetestReliabilität berechnet mit N = 53 Probanden. Der Reliabilitätskoeffizient beträgt im Mittelwert .87 und ist somit als hoch einzustufen. Die inhaltliche Validität wird als gegeben angenommen, da die Sammlung der Probleme empirisch mit Hilfe von 768 Kindern und Jugendlichen aller Schultypen durchgeführt wurde. 3.10 Problemfragebogen für Jugendliche Der Problemfragebogen für Jugendliche von Roth, Süllwold und Berg wurde 1967 aus dem amerikanischen SRA Youth Inventory von Remmers und Shimberg (1960) adaptiert. Mit 306 Items exploriert er das Erleben von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren bezüglich folgender 8 Problembereiche: (1) Meine Schule: Die allgemeine Einstellung zur Schule sowie spezifische schulische Probleme im Hinblick auf Fächer, eigene Leistungen und Lehrer werden erfragt. (2) Nach der Schulzeit bzw. Lehre: Hierbei handelt es sich um Items, die Überlegungen und Pläne ansprechen, welche sich mit dem Eintritt in den Beruf beschäftigen, inklusive der persönlichen Eignung und Interessen. (3) Über mich selbst: Dieser Bereich umfasst Selbstwertprobleme, die sich durch körperliche, psychische und soziale Veränderungen im Jugendalter ergeben. Äuffälligkeiten der Persönlichkeit, vor allem neurotischer Art, werden herausgearbeitet. (4) Ich und die anderen: Diese Itemgruppe soll Aufschluss über die Anpassung an die Erwachsenenwelt geben. Sie befragt die Jugendlichen über ihre Beziehungen zu Gleichaltrigen und Erwachsenen hinsichtlich ihrer Erwartungen und Eindrücke von Anerkennung und Ablehnung. (5) Zu Hause: Items dieser Gruppe gehen Fragen nach, die sich sich mit der Familien- und Wohnsituation beschäftigen. (6) Jungen und Mädchen: Unter diesen Themenbereich fallen geschlechtliche Entwicklungsprobleme z. B. wird nach der geschlechtlichen Aufklärung und passenden Verhaltensformen dem anderen Geschlecht gegenüber gefragt. (7) Gesundheit: Diese Items erfragen den körperlichen Gesundheitszustand der Jugendlichen und ob Krankheiten oder körperliche Mängel befürchtet werden. (8) Allgemeines: Mit diesem Bereich versucht man Rückschlüsse auf die geistige und soziale Entwicklung der Jugendlichen zu ziehen. Hier stehen ethische, politische und soziale Probleme im Vordergrund. Der Problemfragebogen fragt, wie sehr der jeweilige Iteminhalt auf die Jugendlichen zutrifft oder 66 3 Methode sie beschäftigt. Dies kann auf einer vierstufigen Likert-Skala beantwortet werden von „sehr stark“, über „häufig“ und „wenig“ bis „nicht“. Die gesamte Problembelastung erhält man, wenn man den Summenwert über alle Items bildet. Normwerte (N = 3695) mit entsprechenden Prozenträngen liegen alters- und geschlechtsspezifisch vor. Außerdem ist es möglich Einzelantworten zu interpretieren. Dafür können Tabellen mit den Häufigkeitsverteilungen der Einzelantworten herangezogen werden, die für die einzelnen Items die prozentuale Verteilung der Antworten, aufgeteilt nach Alter und Geschlecht, zeigen. Die Reliabilität wurde anhand einer Stichprobe von 217 weiblichen und 283 männlichen Jugendlichen überprüft und kann als hoch bezeichnet werden. Es ergaben sich für die weibliche Stichprobe folgende interne Konsistenzen für die einzelnen Skalen: Meine Schule: r = .89, Nach der Schulzeit: r = .93, Über mich selbst: r = .90, Ich und die anderen: r = .92, Zu Hause: r = .90, Jungen und Mädchen: r = .92, Gesundheit: r = .83, Allgemeines: r = .90. Für die männlichen Probanden waren die internen Konsistenzen, in der oben genannten Reihenfolge der Subskalen, .88, .93, .92, . 93, .93, .94, .87, .93. Die Inhaltsvalidität des Problemfragebogens wird als gegeben angenommen, da die Sammlung der Items vor allem durch die Auswertung von Aussagen von Jugendlichen vonstatten ging. Als weiterer Indikator der Gültigkeit wurden die Korrelationskoeffizienten der Problembereiche berechnet, die einen relativ hohen Grad an interner Konsistenz zeigen. Für die weiblichen Jugendlichen (N = 217) ergab sich eine Korrelation von r = .50 und für die männlichen Jugendlichen (N = 283) eine Korrelation von r = .60. 3.11 Stressverarbeitungsfragebogen (SVF-KJ) Der Stressverarbeitungsfragebogen (SVF-KJ) von Hampel, Petermann und Dickow (2001) ist die für Kinder und Jugendliche angepasste Fragebogenversion des Stressverarbeitungsfragebogens für Erwachsene (SVF) von Janke und Erdmann (1997). Er exploriert die dispositionelle Stressverarbeitung bei 8- bis 13-Jährigen bezüglich zweier Stressorbereiche. Bei diesen handelt es sich um eine soziale Konfliktsituation und eine schulische Leistungssituation. Die allgemeinen Beschreibungen dieser beiden Stressorbereiche lauten „sich durch andere Kinder unter Druck gesetzt fühlen“ und „sich durch etwas in der Schule unter Druck gesetzt fühlen“. Als konkretere fiktive Beispiele wird den Kindern im ersten Stressorbereich genannt: „Weil ich einen Streit mit meinem besten Freund/meiner besten Freundin habe“ und „Weil andere schlecht über mich reden“. Im zweiten Stressorbereich sind die Beispiele folgende: „Weil ich eine schwierige Klassenarbeit 67 3 Methode schreiben muss“ und „Weil ich zu viele Hausaufgaben aufhabe“. Zusätzlich wird den Kindern die stressbegleitende Emotion der Aufregung nahegelegt „...und ich ganz aufgeregt bin“. Die Maßnahmen zur Stressverarbeitung werden über neun Subtest erfragt, worin fünf stressvermindernde und vier stressvermehrende Strategien beinhaltet sind. Weiterhin lassen sich die stressverringernden Strategien in emotionsregulierende Bewältigung (2 Subtests) und problemlösende Bewältigung (3 Substests) differenzieren. Konkret handelt es sich bei den neun Unterskalen um folgende Stressverarbeitungsstrategien: (1) Bagatellisierung: Dieser Strategie sind Items zugeordnet, welche Stärke, Dauer und Belastungsgewichtigkeit des Stressors abwerten. Es handelt sich um ein emotionsregulierendes Vorgehen, das vor allem in unkontrollierbaren Situationen sinnvoll ist. (2) Ablenkung/Erholung: Auch hier handelt es sich um eine positive emotionsregulierende Strategie für unkontrollierbare Situationen. Erfasst werden mit drei Items Ablenkungsstrategien und mit einem Item eine Erholungsaktivität. (3) Situationskontrolle: Im Gegensatz zur Unkontrollierbarkeit, sind bei als kontrollierbar empfundenen Situationen problemorientierte Vorgehensweisen indiziert. Eine solche ist auch die Situationskontrolle, zu der Items zählen, die auf das aktive Handeln abzielen. (4) Positive Selbstinstruktionen: Dies ist ebenfalls eine Strategiengruppe, die problemorientierte Vorgehensweisen beinhaltet. Sie umfasst Items, welche eine hohe Kompetenzerwartung widerspiegeln, z. B. „...sage ich mir: Ich kriege das in den Griff“. (5) Soziales Unterstützungsbedürfnis: Items dieser Gruppe beziehen sich auf die Suche nach Informationen, die bei der Problemlösung hilfreich sein können. (6) Passive Vermeidung: Diese negative Verarbeitungsstrategie fragt Passivität ab, wie z. B. den Wunsch sich vor der Situation drücken zu wollen. (7) Gedankliche Weiterbeschäftigung: Hier handelt es sich um Ruminationstendenzen, beispielsweise „...geht mir diese Situation immer wieder durch den Kopf“. (8) Resignation: Diese Subskala steht invers zur Skala „Positive Selbstinstruktionen“ und ist gekennzeichnet durch Items, die ausdrücken, dass die Person nicht mehr an eine Problemlösung glaubt. (9) Aggression: Diese Itemgruppe enthält Formulierungen zu Ärger und Gereiztheit. Jeder Subtest besteht aus vier Items, was bei zwei Stressorbereichen eine Anzahl von 72 Items für den gesamten Fragebogen ergibt. Die Items können auf einer fünf-stufigen Antwortskala beantwortet werden von „auf gar keinen Fall“ bis „auf jeden Fall“. Diesen Antworten sind Punktewerte zwischen 0 und 4 zugeordnet. Der Subtestrohwert kann sich somit in einem Wertebereich von 0 bis 16 bewegen. Außerdem ist es möglich die Ausprägung der günstigen und der negativen Verarbeitungsstrategien (Sekundärtests) getrennt zu berechnen, indem man die Werte der jeweiligen Subskalen addiert und dann durch die Anzahl dieser Subskalen dividiert. Auf diese Weise lassen sich auch die Werte für die Sekundärtests „Emotionsregulierende Bewältigung“ und „Problemlösende Bewältigung“ ermitteln. 68 3 Methode Hat man für alle Subtests Rohwerte vorliegen, können auch die situationsübergreifenden Sub- und Sekundärtestrohwerte berechnet werden, indem die jeweiligen Sekundärtestrohwerte addiert werden, so dass sich Werte in einem Bereich von 0 – 32 ergeben. Für alle Rohwerte ist eine Zuordnung zu Prozenträngen und T-Werten möglich, basierend auf einer Normierungsstichprobe von N = 1314 Kindern und Jugendlichen von sieben bis 15 Jahren. Die Prozentrang- und T-Werte liegen geschlechtsspezifisch und unterteilt nach Klassenstufen (dritte/vierte, fünfte/sechste und siebte Klasse) vor. Als Gütekriterien der Zuverlässigkeit wurden die internen Konsistenzen (Cronbach's Alpha) und die Retest-Reliabilität bestimmt. Die internen Konsistenzen der situationsübergreifenden Subtests liegen im Bereich von α = .71 bis α = .89 und sind daher als befriedigend bis hoch zu bewerten. Für die Retest-Reliabilitäten (6-Wochen-Stabilität) zeigen sich, ebenfalls situationsübergreifend, befriedigende Werte zwischen r = .61 und r = .74. Faktorenanalysen untermauerten die Gültigkeit des Fragebogens dahingehend, dass sich eine Dreifaktorenlösung ergab, die 67,35 % der Gesamtvarianz aufklärt. Bei den drei Faktoren handelt es sich um die emotionsorientierte, die problemorientierte und die negative Stressverarbeitung, die alle drei Eigenwerte größer Eins aufwiesen. Zur Überprüfung der Konstruktvalidität wurden Korrelationen berechnet mit Subskalen von anderen Messinstrumenten (Fragebogen zur Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung im Kindesalter - SSK; Hamburger Persönlichkeitsfragebogen für Kinder - HAPEF-K), welche Stressbewältigung und globale Persönlichkeitsdimensionen erfassen, wie Neurotizismus, Ängstlichkeit und Extraversion. Bezüglich der konvergenten Validität ergaben sich die postulierten Korrelationen mit den entsprechenden Skalen des SSK in der erwarteten Richtung. Die Korrelationen zwischen den oben genannten Persönlichkeitseigenschaften und verschiedenen Subtests des SVF-KJ zeigten eine ausreichende diskriminante Validität. Des Weiteren weist die kriterienbezogene Validität darauf hin, dass der SVF-KJ die aktuelle Stressverarbeitung und das emotionale Befinden in schulischen und sportlichen Leistungssituation vorhersagen kann. 3.12 Fragebogen zur Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter 3-8 (SSKJ) Als Neukonstruktion des Fragebogens zur Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung im Kindesalter (Lohaus, Fleer, Freytag, Klein-Heßling, 1996), ist der Fragebogen zur Erhebung von 69 3 Methode Stresserleben und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter (SSK) 3-8 von Lohaus, Eschenbeck, Kohlmann und Klein-Heßling (2006) nun auch im Jugendalter einsetzbar. Mit dem Fragebogen werden Stressvulnerabilität, Stressbewältigungsstrategien und die psychische und physische Symptombelastung erfragt. Diese drei Bereiche werden im Folgenden genauer erläutert: (1) Stressvulnerabilität: Diese Unterskala bezieht sich auf alltägliche Probleme, die für die Kinder und Jugendlichen mit Belastungsgefühlen verbunden sein können (potentielle Stressoren). Inhaltlich geht es in den sechs Items der Stressvulnerabilitätsskala um schulische und soziale Situationen. Nach jedem dieser Items wird gefragt „Wie viel Stress hast Du, wenn Dir so was passiert ist?“. Die Antwort soll auf einer vierstufigen Skala gegeben werden von „gar keinen Stress“ bis „sehr viel Stress“. Für die Beantwortung werden Rohpunkte vergeben von 1 bis 4, was für diesen Fragebogenbereich zu einem Stressbewätligungsstrategien: In Rohpunktsummenbereich der zweiten von Fragebogenskala 6 bis 24 führt. (2) wird das vorhandene Stressbewältigungspotenzial bestimmt, wobei hierzu fünf Skalen mit jeweils sechs Items zum Einsatz kommen, die folgende Strategien umfassen: Suche nach sozialer Unterstützung, problemlösende Bewältigung, vermeidende Bewältigung sowie die konstruktiv-palliative und destruktiv-ärgerbezogene Emotionsregulation. Von diesen fünf Bewältigungsstrategien sind die Suche nach sozialer Unterstützung und die problemlösende Bewältigung direkt auf das Lösen des Problems gerichtet, was einer problemorientierten Bewältigung entspricht. Allerdings beinhaltet die Suche nach sozialer Unterstützung auch Aspekte der emotionsregulierenden Bewältigung, wenn es sich nicht um eine Hilfesuche zur Problemlösung, sondern um Suche nach emotionaler Unterstützung handelt, z. B. bei der Suche nach Trost. Als eindeutig emotionsregulierende Bewältigung sind in diesem Instrument die konstruktiv-palliative und die destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung anzusehen. Erstere bezieht sich hauptsächlich auf Aktivitäten, welche nach innen gerichtet sind (z. B. das Erlangen von innerer Ruhe), letztere ist eher nach außen gerichtet, beispielsweise destruktive spannungslösende Aktivitäten wie Fluchen oder Ausrasten. Auch für diesen Fragebogenteil lassen sich Rohpunktsummen berechnen, wobei dies für jede der fünf Subskalen einzeln erfolgt. Werte zwischen 1 und 5 werden für die Antworten auf einer fünfstufigen Skala vergeben, je nachdem, ob die jeweilige Strategie nie, selten, manchmal, oft oder immer eingesetzt wird. Auf diese Weise resultieren Werte zwischen 6 und 30. (3) Stresssymptomatik: Als dritter Fragebogenbereich werden die, oftmals mit dem Erleben von Stress verbundenen, physischen und psychischen Symptome erhoben. Dabei erfassen sechs Items die physischen Beschwerden, wie beispielsweise Kopf- oder Bauchschmerzen, und 12 Items psychische Symptome des Erlebens, z. B. Einsamkeits- oder Wutgefühle. In diesem dritten Fragebogenteil können sich für die physische Subskala Rohpunktsummen zwischen 6 und 18 ergeben und für die psychische 70 3 Methode Subskala Werte zwischen 12 und 36. Alle Items fragen, wie oft sich das entsprechende Symptom in der letzten Woche gezeigt hat. Für die Antworten „keinmal“, „einmal“ und „mehrmals“ werden Rohpunkte zwischen 1 und 3 vergeben. Normwerte liegen in Form von Stanine-Werten und Prozenträngen vor, unterteilt nach Alter und Geschlecht, ermittelt durch eine Gesamtstichprobe von N = 2000. Die Reliabilität erreicht für die Skalen interne Konsistenzen (Cronbach's Alpha) von α = .66 bis α = .89., was als ausreichend bis hoch zu bewerten ist. Des Weiteren wurden für die RetestReliabilität Werte zwischen r = .56 und r = .82 berechnet. Die niedrigeren Werte kamen für die Subskala der psychischen Stresssymptomatik zu Stande, was nicht weiter verwunderlich ist, da mit dieser Skala auch automatisch Stimmungen und kurz andauerndes, emotionales Befinden erfasst wird. Weil psychische Stresssymptome eine hohe intraindividuelle Variabilität aufweisen, ist die niedrige Retest-Reliabilität als Anzeichen für eine gute Veränderungssensitivität zu werten. Zum Nachweis der Gültigkeit des Fragebogens wurden die Konstruktvalidität und Analysen zur kriterienbezogene Validität errechnet. Bezüglich der Konstruktvalidität wurden Korrelationen zwischen den Skalen ermittelt, deren mittlere Werte als Beleg für eine gute Konstruktvalidität angesehen werden. Außerdem konnte mit Hilfe faktorenanalytischer Auswertungen die Dimensionalität der drei Fragebogenteile bestätigt werden. Auch die Ergebnisse der kriterienbezogenen Validität sprechen für eine zufriedenstellende Gültigkeit des Fragebogens. Sie wurde anhand von Korrelationen mit anderen Instrumenten (Angstfragebogen für Schüler – AFS, Hamburger Persönlichkeitsfragebogen für Kinder – HAPEF-K, Fragebogen zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen – KINDL-R, Stressverarbeitungsfragebogen – SVF-KJ) überprüft. Das Muster der korrelativen Zusammenhänge weist auf diskrimininante und konvergente Validitäten hin, die als Belege für die kriterienbezogene Gültigkeit gelten können. Die Größe der Werte deutet dabei auf eine genügende Eigenständigkeit der Fragebogenvariablen hin. 3.13 Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche (DIKJ) An das amerikanische Child Depression Inventory (CDI) von Kovacs (1982, 1985) angelehnt, wurde das deutsche DIKJ 1989 von Stiensmeier-Pelster, Schürmann und Duda entwickelt. Das CDI wiederum ist eine für Kinder und Jugendliche umgewandelte Version des Beck Depression Inventory (Beck, Ward, Mendelson, Mock & Erbaugh, 1961). Mit dem DIKJ als Selbsteinschätzungsfragebogen kann die Schwere einer Depression erfasst werden. Seine 71 3 Methode Anwendung ist für den Altersbereich von 8 bis 17 vorgesehen, kann aber, laut der Autoren, auch nach oben ausgedehnt werden. Insgesamt 26 Items fragen die wesentlichen Symptome einer Major Depression, gemäß dem DSM-IV (American Psychiatric Association, 1994) und typische Begleiterscheinungen und Konsequenzen, auf kindgerechte Weise ab. Für jedes Item gibt es drei Antwortalternativen, die die unterschiedlichen Ausprägungen eines Symptomzustands widerspiegeln. Für die Antworten werden Rohpunkte folgendermaßen vergeben: 0 Punkte: das Symptom liegt nicht vor, 1 Punkt: das Symptom liegt in mittelstarker Ausprägung vor, 2 Punkte: das Symptom liegt in starker Ausprägung vor. Ein Beispiel für einen Itemtext ist „Ich hasse mich“, „Ich mag mich nicht besonders gerne“, „Ich mag mich“. Von diesen drei Aussagen müssen die Jugendlichen dann eine Antwort auswählen, die am ehesten auf sie zutrifft. Für den Gesamttest wird ein Summenwert berechnet, der zwischen 0 und 52 liegt. Der DIKJ erhebt nicht den Anspruch, zwischen Depressiven versus Nicht-Depressiven zu unterscheiden. Dennoch weisen die Autoren darauf hin, dass der Wert 18 zwischen Personen mit depressiver Psychopathologie und Personen, bei denen kein klinisch bedeutsames Ausmaß an depressiven Symptomen vorliegt, zu differenzieren vermag. Normwerte liegen in Form von T- und Prozentrang-Werten vor, ermittelt aus einer Stichprobe (N = 2415) von 10- bis 16-Jährigen, wobei Mädchen und Jungen nahezu gleich vertreten waren. Die Itemkennwerte des Instruments, in Form der Itemtrennschärfe, sind zufriedenstellend bis sehr gut. Sowohl bei psychopathologisch auffälligen als auch bei älteren Jugendlichen sind die Items trennschärfer als bei psychopathologisch unauffälligen Personen und jüngeren Kindern. Die Reliabilität hingegen ist bei Personen aller Psychopathologie- und Altersstufen als gut zu bezeichnen. Die interne Konsistenz (Cronbach's Alpha) beträgt für die Gesamtstichprobe r = .84, die Split-Half-Reliabilität r = .82 und die Retest-Reliabilität r = .76. Auch die Validität deutet auf eine hohe Gültigkeit des Fragebogens hin. Die Konstruktvalidität zeigt im Sinne der konvergenten Validität signifikant höhere Korrelationen mit konstruktnahen Skalen, wie z. B. manifester Angst und Selbstwertgefühl, als mit konstruktfernen Skalen, wie z. B. Prüfungsangst (diskriminante Validität). Ebenso gehen die Zusammenhänge des Fragebogens mit dem depressogenen Attributionsstil in die erwartete Richtung, so dass Personen, die hohe Werte im DIKJ erreichen, ihren schulischen Misserfolg stärker internal, stabil und global attribuieren. Als weitere Evidenz für die Gültigkeit des Instruments ist anzusehen, dass der DIKJ gut zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne depressiver Symptomatik unterscheiden kann. 72 3 Methode 3.14 Statistische Auswertungen Alle Analysen wurden mit dem Statistikprogramm „Statistical Package for Social Sciences (SPSS) für Windows in der Version 18 durchgeführt. 3.14.1 Querschnittsstudie Die Cortisolaufwachreaktion wurde mit einer Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholung untersucht, um einen möglichen Interaktionseffekt zwischen dem Gruppen- und dem Messwiederholungsfaktor aufzudecken. Ebenso verhielt es sich mit den Analysen des Cortisolverlaufs im Zusammenhang mit dem Trier Sozial Stress Test für Kinder. Zusätzlich wurden einzelne Messzeitpunkt-Werte mit dem t-Test für unabhängige Stichproben verglichen, um signifikante Gruppenunterschiede zu testen. Dabei wurde mit einem Levene-Test die Varianzhomogenität überprüft. Der t-Test wurde auch für den Cortisolanstieg und das CortisolMaximum berechnet. Um eine α-Fehler-Kumulierung zu vermeiden, wurde die BonferroniKorrektur herangezogen. Die Fragebogen-Daten wurden je Fragebogen mit einer multivariaten Varianzanalyse (MANOVA) auf Unterschiede zwischen den Gruppen geprüft. Somit wurde je eine MANOVA für die Skalen des GBB-KJ, des SSKJ, des SVF und der beiden Problemfragebögen berechnet. Die GruppenMittelwerte des DIKJ wurden mit einem t-Test für unabhängige Stichproben verglichen. Bei der Berechnungen von ANOVA und MANOVA wurde folgendes beachtet: Als EffektstärkenSchätzer diente das Partielle Eta-Quadrat, welches den Anteil der systematischen Varianz an der Gesamtvarianz darlegt, unter der Herauspartialisierung von anderen Effekten. Nach Cohen (1988) gilt ein Effekt von Eta = .01 als klein, Eta = .06 als mittelgroß und ein Eta von .14 oder höher als groß. Deutete der Mauchly-Test auf eine Verletzung der Sphärizitätsannahme hin, wurden die Werte der Greenhouse-Geisser-Korrektur verwendet. Das Signifikanzniveau wurde für alle Analysen a priori bei α = .05 festgesetzt. 3.14.2 Längsschnittstudie Zur Bestimmung der Variablen, deren Ausprägungen zum ersten Erhebungszeitpunkt einen Einfluss auf die Werte der Variablen zum zweiten Zeitpunkt haben, wurden multiple Regressionsanalysen 73 3 Methode durchgeführt. Dies erfolgte für solche abhängigen Variablen, die als intervallskaliert angesehen werden können. Der Einfluss der erhobenen Variablen des ersten Messzeitpunktes auf das Vorhandensein einer Major Depression zum zweiten Zeitpunkt (als dichotome Variable) wurde mit einer logistischen Regressionsanalyse untersucht. Für die Berechnungen der verschiedenen Regressionsanalysen wurden ausschließlich die Daten der depressiven Teilstichprobe herangezogen. 3.14.3 Stichprobenumfangsplanung Es erfolgte a priori eine Stichprobenumfangsplanung unter Zuhilfenahme des Programms G Power 3 (Faul et al., 2007). In der Querschnittsstudie (Messzeitpunkt 1) wurden die Analysen unterteilt nach den verschiedenen Bereichen der psychologischen und biologischen Charakteristika vorgenommen. Für alle Berechnungen wurde die α-Fehlerwahrscheinlichkeit auf .05 und die Teststärke (1 - β- Fehlerwahrscheinlichkeit) auf .80 festgelegt und ein Effekt von mittlerer Größe erwartet. Für die Cortisol-Aufwachreaktion als Maß für die basale HHN-Achsen-Aktivität wurde der Cortisolwert im Speichel direkt nach dem Aufwachen sowie 30, 45 und 60 Minuten später erfasst. Mit einer ANOVA mit Messwiederholung, die den Interaktionseffekt zwischen Gruppe und Messwiederholung prüfen soll, ergibt sich unter Annahme der genannten α- und β- Fehlerwahrscheinlichkeiten eine notwendige Stichprobengröße von N = 24 und dementsprechend 12 Personen pro Gruppe. Für die stressbezogene Cortisolreaktion beim TSST-K wird der Mittelwert der Fläche unter der Kurve zwischen den beiden Untersuchungsgruppen verglichen, wobei sich bei der Stichprobenumfangsplanung N = 106 ergibt und folglich eine Anzahl von 53 Personen pro Gruppe. Der SVF-KJ fragt stressreduzierende und stressvermehrende Bewältigungs-Strategien mit neun Subskalen ab. Für eine MANOVA, die diese Subskalen simultan auf Mittelwertsunterschiede zwischen den Gruppen untersucht, beläuft sich die notwendige Stichprobengröße auf N = 42 und somit 21 Probandinnen pro Gruppe. Mit dem SSKJ wird zum einen die Stressvulnerabilität und die psychische und physische Stresssymptomatik erfragt, und zum anderen enthält der Fragebogen fünf Skalen zu BewältigungsStrategien. Auch hier werden mit einer MANOVA simultan für die Subskalen die Mittelwertsunterschiede zwischen den beiden Gruppen geprüft. Hierfür resultiert bei der Stichprobenumfangsplanung N = 32 und folglich 16 Personen je Gruppe. Die Problemfragebogen erfassen mit fünf Problemskalen (PF 11-14) und acht Subskalen (PF für 74 3 Methode Jugendliche) das Ausmaß der Problembelastung. Unter Verwendung einer MANOVA je Fragebogen ergeben sich diesbezüglich 30 und 36 benötigte Probandinnen und somit 15 bzw. 18 pro Gruppe. Mit dem GBB-KJ werden körperliche Stresssymptome durch fünf Beschwerdeskalen abgefragt. Für eine MANOVA zeigt sich eine notwendige Probandenanzahl von N = 30, was 15 Personen pro Gruppe entspricht. In der Längsschnittstudie werden die zu Messzeitpunkt 1 erhobenen biologischen und psychologischen Variablen als Prädiktoren für das Ausmaß der Depressivität zu Messzeitpunkt 2 getestet. Wenn die Prädiktoren (TSST, CAR, SVF-KJ, SSKJ, PF 11-14/PF Jugendliche, GBB-KJ) in einer multiplen Regression eingesetzt werden, zeigt die Stichprobenumfangsplanung eine benötigte Personenanzahl von N = 101 unter der Bedingung der oben genannten α- und βFehlerwahrscheinlichkeiten. Aus den Analysen zur Stichprobenumfangsplanung im Quer- und Längsschnitt folgte, unter Berücksichtigung eventueller Datenausfälle ein Stichprobenumfang von N = 120 Kindern, so dass jeweils 60 depressive und 60 nicht depressive Kinder pro Gruppe untersucht werden sollten. 75 4 Ergebnisse 4 Ergebnisse Im folgenden Ergebnisteil wird zunächst die Untersuchungsstichprobe beschrieben. Anschließend werden die Ergebnisse zu den in Kapitel 9.1 formulierten querschnittlichen Fragestellungen zum Vergleich zwischen der depressiven und der gesunden Gruppe betrachtet. Zusätzlich werden hinsichtlich der depressiven Teilstichprobe die Befunde zum Zusammenhang zwischen der Stresssymptomatik und der Aktivität der HHN-Achse dargestellt. Darauffolgend befasst sich das Kapitel 11.5 mit den Ergebnissen zu den längsschnittlichen Hypothesen, die sich auf die Vorhersage der depressiven Störung, der Stressbelastung, der biologischen Parameter und des Bewältigungsverhaltens beziehen. Im Rahmen der längsschnittlichen Fragestellungen werden ausschließlich die Daten der zum ersten Messzeitpunkt depressiven Probandinnen verwendet. 4.1 Beschreibung der Untersuchungsstichprobe Insgesamt nahmen 148 weibliche Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren an der Studie teil, wovon 74 eine Major Depression aufwiesen und 74 nicht depressiv waren. In der Tabelle 2 sind die beschreibenden Daten der Teilnehmerinnen zu sehen, unterteilt nach Gruppen und für die Gesamtstichprobe. Zwischen den Gruppen konnten mit dem t-Test keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Tabelle 2: Deskriptive Daten der Stichprobe mit Mittelwerten, Standardabweichungen, t-Wert und Signifikanz zur Überprüfung von Gruppenunterschieden Major Depression (n = 74) Kontrollgruppe Gesamtstichprobe t-Wert (n = 74) (N = 148) (df = 146) Signifikanz 15,7 (±2,1) 15,1 (±2,4) 15,38 (± 2,2) -1,4 .14 Pubertätsstatus 4,3 (±0,9) 3,9 (±1,2) 4,10 (±1,1) -1,8 .07 Body Index 20,9 (±3,6) 21,30 (±3,8) -1,4 .17 3,8 (±1,0) 3,75 (±1,2) 0,4 .66 Alter Mass 21,7 (±4,0) Anzahl der im 3,7 (±1,1) Haushalt lebenden Personen 76 4 Ergebnisse Alle Probandinnen waren ledig. Fast alle waren Schülerinnen (n = 143, 96,6%), vier befanden sich in der Ausbildung (2,7%) und eine war Studierende (0,7%). Die Mehrzahl der Probandinnen besuchte das Gymnasium (n = 107, 72,3%), 28 (18,9%) gingen auf eine Realschule bzw. Realschule plus, vier Probandinnen waren Berufsschüler (4,1%), weitere vier waren Schülerinnen einer Hauptschule (4,1%) und eine besuchte die Universität (0,7%). 145 (98%) Teilnehmerinnen wohnten bei ihren biologischen Eltern, eine (0,7%) bei Adoptiveltern und zwei lebten alleine (1,4%). Im Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche unterschieden sich die depressive und die nicht depressive Gruppe, wie erwartet, signifikant voneinander. Auf deutlich mehr depressive Symptome weist der Mittelwert der depressiven Gruppe hin mit 19,3 ( ±6,4) im Vergleich zur Kontrollgruppe, deren Mittelwert 9,7 (±6,4) beträgt (t-Test: t145 = -8,4, p < .001, eta = .33). Die Kinder und Jugendlichen der depressiven Teilstichprobe gaben an, inklusive der gegenwärtigen depressiven Episode im Durchschnitt 5,4 (±3,6) Episoden erlebt zu haben. Nur 13 (9,6%) befanden sich zu Untersuchungsbeginn in ihrer ersten depressiven Episode. Komorbid zur Depression trat in der Gruppe mit Major Depression bei insgesamt 16 (21,6%) Personen eine weitere Störung auf, 11 (14,9%) wiesen zwei zusätzlich Diagnosen auf, 7 (9,5%) sogar drei komorbide Störungen und eine Probandin (1,4%) erfüllte die Kriterien für vier weitere klinische Störungen. 39 (52,8%) der Studienteilnehmerinnen litten ausschließlich an Major Depression, wohingegen insgesamt folglich 35 (47,2% ) Komorbidität zeigten. Die Tabelle 3 stellt die Art und Häufigkeit der komorbiden Diagnosen dar. 77 4 Ergebnisse Tabelle 3: Art und Häufigkeit der komorbiden Störungen in der depressiven Teilstichprobe (n = 74) Art der Störung Häufigkeit Prozent Sozialphobie 9 12,2 Generalisiertes Angstsyndrom 7 9,5 Posttraumatische Belastungsstörung 6 8,1 Störung mit Trennungsangst 5 6,8 Störung mit oppositionellem Trotzverhalten 4 5,4 Paniksyndrom 3 4,1 Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom 2 2,7 Bulimia Nervosa 2 2,7 Zwangssyndrom (Zwangsgedanken) 2 2,7 Anorexia Nervosa 1 1,4 4.2 Querschnittliche Ergebnisse auf psychologischer Ebene Die nachfolgenden vier Unterkapitel (11.2.1 bis 11.2.4) befassen sich, gemäß der ersten und zweiten Hypothese, mit dem Vergleich zwischen der depressiven Gruppe und der Kontrollgruppe hinsichtlich der psychologischen Variablen. 4.2.1 Psychische Stresssymptomatik und Stressvulnerabilität Wie in Hypothese 1 a) vermutet, zeigten sich signifikante Unterschiede bei den psychischen Stressymptomen und der Stressvulnerabilität zwischen den Gruppen. Die depressiven Teilnehmerinnen sind stärker von psychischem Stress betroffen als die gesunden Probandinnen. Im SSKJ auf der Subskala der psychischen Stresssymptomatik ist der Mittelwert der depressiven Gruppe 27,6 (±5,1) im Vergleich zur Kontrollgruppe, bei denen ein Mittelwert von 21,9 (±5,5) zu Tage tritt (F1,146 = 41,6, p < .001, eta = .22). Ebenso erreichten die depressiven Kinder und Jugendlichen einen höheren Wert auf der Subskala, welche Stressvulnerabilität misst, (17,7 ±2,8) als die gesunden Teilnehmerinnen (15,5 ±3,0) (F1,146 = 20,0, p < .001, eta = .12). 78 4 Ergebnisse 4.2.2 Problembelastung Die Problembelastung, welche bei den 10- bis 13-jährigen Kindern mit dem Problemfragebogen für 11- bis 14-Jährige und bei den 14- bis 18-jährigen Probandinnen mit dem Problemfragebogen für Jugendliche erfasst wurde, unterscheidet sich in den meisten Bereichen deutlich zwischen den Gruppen. Die 10- bis 13-jährige Subgruppe umfasst 30 Mädchen, wovon 14 der depressiven und 16 der gesunden Gruppe zuzuordnen sind. Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse für den PF 11-14, in dem sich die beiden Gruppen auf allen Subskalen signifikant voneinander unterscheiden. Die Probandinnen der depressiven Gruppe geben für alle Problemfelder an stärker betroffen zu ein als die Mädchen der Kontrollgruppe. Dies entspricht der Erwartung der Hypothese 1 b). Tabelle 4: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden im Problemfragebogen für 11- bis 14-Jährige Problembereich Major Depression (n = 14) Kontrollgruppe F-Wert Signifikanz Partielles (n = 16) (df = 1,28) Eta² Über mich 28,8 (±12,0) 15,4 (±7,3) 14 .001 .33 Meine Familie 22,4 (±6,1) 16,9 (±3,2) 9,8 .004 .26 Ich und die anderen 17,5 (±10,4) 9,4 (±4,9) 7,8 .009 .22 Meine Schule 14,1(±7,5) 5,7 (±4,0) 15,5 < .001 .36 Alllgemeines 5,1 (±2,9) 2,6 (±2,0) 7,8 .009 .22 Gesamtwert Probleme 87,9 (±33,9) 50,1 (±16,8) 15,6 < .001 .36 Zur graphischen Veranschaulichung finden sich in Abbildung 3 die Unterschiede in den einzelnen Problembereichen zwischen den Gruppen im Säulendiagramm dargestellt. 79 4 Ergebnisse Abbildung 3: Mittelwerte des Problemfragebogens für 11- bis 14-Jährige unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe 100 90 80 70 60 MD KG 50 40 30 20 10 0 Über mich Meine Familie Meine Schule Gesamtwert Probleme Ich und die anderen Alllgemeines Mit dem Problemfragebogen für Jugendliche wurden insgesamt 115 Probandinnen untersucht, davon 57 in der Depressionsgruppe und 58 in der Kontrollgruppe. Die Fragebögen von drei Jugendlichen aus der depressiven Gruppe konnten aufgrund fehlender Antworten nicht ausgewertet werden. Die Befunde des PF für Jugendliche zeigen vermehrte Probleme bei depressiven Jugendlichen im Vergleich zu nicht depressiven Jugendlichen. In sechs der acht Subskalen finden sich diesbezüglich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen und auch in den verbleibenden zwei Skalen liegen die Problemwerte ebenfalls höher bei der depressiven als bei der gesunden Gruppe. Die statistischen Kennwerte des Gruppenvergleichs sind in Tabelle 5 zu sehen. 80 4 Ergebnisse Tabelle 5: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden im Problemfragebogen für Jugendliche Problembereich Major Depression (n = 57) Kontrollgruppe F-Wert (n = 58) (df = 1,113) Signifikanz Partielles Eta² Meine Schule 46,1 (±17,3) 37,2 (±13,5) 9,5 .003 .08 Nach der Schulzeit 60,0 (±23,5) 54,0 (±19,7) 2,2 .139 .02 Über mich selbst 50,5 (±18,9) 33,8 (±18,4) 23 .000 .17 Ich und die anderen 46,1 (±17,8) 33,1 (±19,1) 14,4 < .001 .11 Zu Hause 42,1 (±19,5) 27,9 (±19,8) 15,2 < .001 .12 Jungen und Mädchen 19,0 (±13,4) 14,8 (±11,5) 3,3 .071 .03 Gesundheit 28,2 (±8,8) 17,8 (±9,8) 35,9 < .001 .24 Allgemeines 42,7 (±18,0) 28,1 (±17,9) 17,4 < .001 .13 Gesamtwert Probleme 334,8 (±106,4) 247,5 (±105,6) 19,7 < .001 .15 Die Mittelwerte für die beiden Gruppen sind in Abbildung 4 anhand eines Balkendiagramms graphisch dargestellt, jeweils für die acht Problembereiche und den Gesamtwert der Probleme. Abbidlung 4: Mittelwerte des Problemfragebogens für Jugendliche unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe Meine Schule Nach der Schulzeit Über mich selbst Ich und die anderen MD KG Zu Hause Jungen und Mädchen Gesundheit Allgemeines Gesamtwert Probleme 0 50 100 150 81 200 250 300 350 400 4 Ergebnisse 4.2.3 Körperliche Beschwerdesymptome Die körperlichen Beschwerdesymptome wurden hauptsächlich mit dem Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche erfasst, aber auch der SSKJ misst mit der 6 Items umfassenden Subskala „Physische Stresssymptome“ körperliche Beschwerden. Diese Subskala fand zwar einen signifikanten Unterschied im t-Test zwischen der depressiven und der gesunden Teilstichprobe (t 146 = -3,6, p < .001, eta = .08), doch unterscheiden sich die Mittelwerte nur wenig voneinander mit 11,8 ± 3,1 in der Gruppe mit Major Depression im Vergleich zu 10,1 ± 2,7 in der Gruppe ohne Major Depression. Im Gegensatz dazu treten in den Skalen des GBB-KJ deutlichere Unterschiede zu Tage (siehe Tabelle 6), wie auch in der Hypothese 1 c) vermutet. In vier der fünf Beschwerdebereiche haben die depressiven Teilnehmerinnen hoch signifikant häufiger physische Symptome als die gesunden Probandinnen. Entsprechend ist der summierte Gesamtbeschwerdedruck bei der Major DepressionsGruppe stark erhöht. Lediglich in Bezug auf die Erkältungsbeschwerden haben die depressiven Studienteilnehmerinnen nur tendenziell höhere Werte als die nicht depressiven Kinder und Jugendlichen. Auswertbar waren von der depressiven Gruppe alle Fragebögen, wohingegen von der gesunden Gruppe drei Fragebögen mangels genügender Antworten nicht ausgewertet werden konnten. Tabelle 6: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden im Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche Beschwerdeskala Major Depression (n = 74) Kontroll gruppe (n = 71) F-Wert (df 1,143) Erschöpfung 14,0 (±5,6) 8,7 (±5,0) 35,6 < .001 .20 Magenbeschwerden 9,3 (±4,1) 7,1 (±3,4) 11,4 .001 .07 Gliederschmerzen 8,6 (±5,4) 5,4 (±3,9) 17,3 < .001 .11 Kreislaufbeschwerden 7,9 (±4,5) 4,1 (±3,5) 31,1 < .001 .18 Erkältungsbeschwerden 11,6 (±4,6) 10,4 (±4,3) 2,8 .099 .02 35,7 (±14,0) 35,3 < .001 .20 Gesamtwert Beschwerdedruck 51,1 (±17,3) = Signifikanz Partielles Eta² Nachfolgend stellt die Abbildung 5 die Mittelwertsunterschiede zwischen den Gruppen bildlich dar. 82 4 Ergebnisse Abbildung 5: Mittelwerte des Gießener Beschwerdebogens für Kinder und Jugendliche unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe 60 50 40 30 MD KG 20 10 0 Magenbeschwerden Kreislaufbeschwerden Gesamtwert Erschöpfung Gliederschmerzen Erkältungsbeschwerden 4.2.4 Stressbewältigungsstrategien Zum einen wurden die Stressbewältigungsstrategien mit dem SSKJ und zum anderen mit dem SVFKJ erfasst. Die fünf Subskalen des SSKJ liefern in zwei der Skalen signifikante Mittelwertsunterschiede in Richtung der Hypothese 2 a) und b), wobei es sich um die Problemorientierte und die Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung handelt. Ein direktes lösungsorientiertes Angehen des Problems zeigen die nicht depressiven und ein destruktivärgerbezogenes und somit aggressiveres Verhalten die depressiven Probandinnen vermehrt. In den anderen drei Bewältigungskategorien findet sich kein Unterschied zwischen den Gruppen. Einen Überblick über die Ergebnisse aller Bewältigungsskalen des SSKJ gibt Tabelle 7. 83 4 Ergebnisse Tabelle 7: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden im Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter (SSKJ) Bewältigungsstrategie Kontroll gruppe (n = 74) F-Wert Signifikanz Partielles (df = Eta² 1,146) sozialer 35,5 (±9,2) 37,2 (±6,6) 1,6 .206 .01 40,8 (±9,2) 46,1 (±5,8) 17,3 < .001 .11 Vermeidende Bewältigung 26,2 (±7,1) 24,6 (±7,9) 1,7 .198 .01 Konstruktiv-palliative 32,9 (±9,7) 30,3 (±9,5) 2,7 .104 .02 32,1 (±10,7) 26,8 (±9,9) 9,8 .002 .06 Suche nach Major Depression (n = 74) Unterstützung Problemorientierte Bewältigung Emotionsregulation Destruktiv-ärgerbezogene Emotionsregulation Eine graphische Darstellung der Mittelwerte für beide Gruppen zeigt Abbildung 6. Abbildung 6: Mittelwerte des SSKJ unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe Suche nach soziale Unterstützung Problemorientierte Bewältigung MD KG Vermeidende Bewältigung Konstruktiv-palliative Emotionsregulation Destruktiv-ärgerbezogene Emotionsregulation 0 84 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 4 Ergebnisse Betrachtet man die Verwendung der Stressbewältigungsstrategien getrennt nach Gruppen mithilfe der Subskalen des SVF, finden sich noch deutlichere Unterschiede. In acht der neun Subskalen bestätigen die Antworten der Studienteilnehmerinnen die zweite Hypothese und in einer Subskala zeigt sich eine tendenzielle Signifikanz in die erwartete Richtung. Ausführlich dargelegt sind die Ergebnisse in Tabelle 8. Tabelle 8: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden in den neun Bewältigungsskalen des Stressbewältigungsfragebogens Bewältigungsstrategie Major Depression (n = 74) Kontroll gruppe (n = 74) F-Wert Signifikanz Partielles (df = Eta² 1,146) Bagatellisierung 14,9 (±5,4) 17,2 (±5,4) 6,5 .012 .04 Ablenkung/Erholung 9,6 (±5,0) 11,2 (±5,5) 3,4 .068 .02 Situationskontrolle 19,9 (±5,9) 23,2 (±4,3) 15,5 < .001 .10 Positive Selbstinstruktion 18,1 (±6,7) 22,5 (±5,0) 20,6 < .001 .12 Soziales 18,1 (±5,9) 20,4 (±4,9) 6,3 .013 .04 Vermeidung 19,0 (±7,1) 13,8 (±6,3) 22,2 < .001 .13 Gedankliche 21,5 (±7,0) 17,9 (±6,1) 10,6 .001 .07 Resignation 13,7 (±7,5) 8,5 (±5,8) 22,2 < .001 .13 Aggression 15,6 (±6,9) 11,7 (±6,4) 13,1 < .001 .08 Unterstützungsbedürfnis Weiterbeschäftigung 85 4 Ergebnisse Abbildung 7: Mittelwerte des SVF unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe Bagatellisierung Ablenkung/Erholung Situationskontrolle Positive Selbstinstruktion MD KG Soziales Unterstützungsbedürfnis Vermeidung Gedankliche Weiterbeschäftigung Resignation Aggression 0 5 10 15 20 25 Die beschriebenen neun Subskalen lassen sich auch zusammenfassen in folgende drei Kategorien der Stressbewältigung. Die „Emotionsregulierende Bewältigung“, welche sich aus Bagatellisierung und Ablenkung/Erholung zusammensetzt, und die „Problemlösende Bewältigung, die sich aus Situationskontrolle, positiver Selbstinstruktion und sozialem Unterstützungsbedürfnis zusammensetzt, gelten als stressvermindernde Strategien. Die „Negative Stressverarbeitung“ gilt als stressfördernde Strategiengruppe und besteht aus Vermeidung, gedanklicher Weiterbeschäftigung, Resignation und Aggression. Die Befunde deuten klar darauf hin, dass die beiden positiven Strategiengruppen signifikant häufiger von nicht depressiven und die negative Strategiengruppe signifikant häufiger von den depressiven Kindern und Jugendlichen angewendet wird (siehe Tabelle 9) 86 4 Ergebnisse Tabelle 9: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden in den drei übergeordneten Bewältigungskategorien des Stressbewältigungsfragebogens Bewältigungskategorie Emotionsregulierende Major Depression (n = 74) Kontroll gruppe (n = 74) F-Wert (df 1,146) 24,5 (±8,5) 28,3 (±9,2) 7,1 .009 .15 55,8 (±14,2) 66,1 (±10,7) 24,2 < .001 .14 69,8 (±22,2) 52,0 (±19,8) 26,6 < .001 .15 = Signifikanz Partielles Eta² Bewältigung Problemlösende Bewältigung Negative Stressverarbeitung Abbildung 8: Mittelwerte der übergeordneten Bewältigungskategorien des SVF unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe 80 70 60 50 MD KG 40 30 20 10 0 Problemlösende Bewältigung Emotionsregulierende Bewältigung Negative Stressverarbeitung Insgesamt zeigen die Befunde zur Stressbewältigung signifikant die stärkere Anwendung von stressvermehrenden Strategien und die verringerte Anwendung von stressvermindernden Strategien in der depressiven Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe. 87 4 Ergebnisse 4.3 Querschnittliche Ergebnisse auf biologischer Ebene 4.3.1 Die Cortisolaufwachreaktion Im Verlauf (Faktor Zeit) über die gesamte Stichprobe konnte ein typischer Anstieg des Cortisollevels, die Cortisolaufwachreaktion (CAR), nach dem Erwachen festgestellt werden. Die ANOVA mit Messwiederholung zeigt einen F-Wert von 58,2 für den Haupteffekt (p < .001, eta = . 53). Das Maximum der Cortisolsekretion ist 30 Minuten nach dem Erwachen erreicht (10,6 ± 4.2) mit einem Durchschnittsanstieg von 5,06 ± 4.1 nmol/l. Der Fokus der vorliegenden Untersuchung liegt auf dem Vergleich der CAR zwischen den depressiven und den nicht depressiven Teilnehmerinnen gemäß der Hypothese 3 a). Diesbezüglich findet sich ein deutlicher, signifikanter Interaktionseffekt dahingehend, dass die CAR bei den depressiven Probandinnen stärker ausgeprägt ist und weniger schnell absinkt als bei der gesunden Gruppe (F3,267.3 = 5,0, p = .007, eta = .06) (Abbildung 9). Die Signifikanz basiert hauptsächlich auf Unterschieden zum Zeitpunkt 45 und 60 Minuten nach dem Aufwachen (t 132 = -1,8, p = .06 und t132 = -2,5, p = .01). Auswertbar waren die Cortisolwerte für 63 Personen der depressiven Gruppe und 68 Personen der gesunden Gruppe. 88 4 Ergebnisse Abbildung 9: Cortisolaufwachreaktion gemessen anhand vier Messzeitpunkten unterteilt in Major Depressions-Gruppe und Kontrollgruppe. Die Zahlen in der Graphik zeigen die Standardabweichungen, die Fehlerbalken den Standardfehler des Mittelwerts. Zusätzlich wurde der Durchschnittsanstieg des Cortisols betrachtet. Der Anstiegswert wurde folgendermaßen berechnet: Das Maximum der Messzeitpunkte 2 bis 4 (30, 45 oder 60 Minuten nach dem Erwachen) minus dem Wert des Aufwachzeitpunktes. Der t-Test untermauerte den Unterschied zwischen den beiden Gruppen mit t133 = -2,6, p = .01, eta = .05. Um zu überprüfen, ob der Reifestatus der Probandinnen mit der Cortisolsekretion zusammenhängt, wurde eine Pearson-Korrelation des Anstiegswertes mit dem Alter, dem Body Mass Index und dem Pubertätsstatus berechnet. Es offenbarte keine der Korrelationen eine Signifikanz mit r = -.013 für die Variable Alter, r = .078 für den BMI und r = -.024 für den Pubertätsstatus. 89 4 Ergebnisse 4.3.2 Die Cortisolreaktion nach psychosozialem Stress Für die Gesamtstichprobe wurde zwar ein signifikanter Zeiteffekt gefunden (F 2.3, 331.8 = 20,9, p < . 001), doch Post-Hoc-Tests zeigten, dass die signifikanten Unterschiede nur zwischen Messzeitpunkt 1 und 2 liegen (signifikanter Abfall des Cortisols nach Ankunft im Labor). Der TSST-K führte nicht, wie erwartet, zu einem deutlichen und signifikanten Anstieg des Cortisols. Es war dennoch ein leichter Anstieg zu verzeichnen, der auf die Wirkung des TSST-K hindeutet, der aber nur bei ca. 0,4 nmol/l lag. Die Hypothese 3 b), die besagt, dass die depressive Gruppe stärker auf den TSST-K reagiert, konnte nicht bestätigt werden. Der Interaktionseffekt Gruppe * Zeit war nicht signifikant (F 2.3,331.8 = 0,316, p = .757). Ein rein deskriptiver Unterschied zwischen den Gruppen ist in der Cortisolhöhe während der gesamten Messungen zu sehen, da die depressive Gruppe durchgängig höhere Werte aufweist als die nicht depressive Gruppe, wie auch in Abbildung 10 zu sehen ist. Doch auch dieser Gruppeneffekt war statistisch nicht signifikant (F1,146 = 2,9, p = .15, eta = .01) 90 4 Ergebnisse Abbildung 10: Cortisollevel für N = 148 (74 Probandinnen pro Gruppe) von 35 Minuten vor bis 45 Minuten nach Durchführung des TSST-K (7 Messzeitpunkte = X-Achse). Der TSSTK fand zwischen Zeitpunkt 3 und 4 statt. 4.4 Verknüpfung von psychischem und physischem Stress und der Aktivität der HHN-Achse Wie in Hypothese 4 postuliert, wird in der depressiven Teilstichprobe eine höhere Aktivität der HHN-Achse erwartet, wenn stärkere psychische und physische Stresssymptome vorhanden sind. Das Ausmaß der Stresssymptomatik wurde mit zwei Subskalen des SSKJ gemessen. Diese wurden in einer Regressionsanalyse jeweils als unabhängige Variablen eingesetzt, während die HHNAchsen-Aktivität, wie sie mit der CAR erfasst worden ist als abhängige Variable einbezogen wurde. Konkret wurde der Maximalwert der CAR als Regressand definiert. Die HHN-Achsen-Aktivität nach dem TSST-K kam aufgrund der zu geringen Cortisolreaktion nicht als abhängige Variable in Betracht. Entgegen der Hypothese war weder die psychische Stresssymptomatik (beta = 0,042, t 1,64 = 0,34, p = .736) noch die physische Stresssymptomatik (beta = 0,122, t 1,64 = 0,98, p = .33) ein 91 4 Ergebnisse signifikanter Prädiktor für die Aktivität der HHN-Achse. 4.5 Längsschnittliche Ergebnisse auf psychologischer Ebene Für die Überprüfung der längsschnittlichen Vorhersage der Ausprägungen der erhobenen Variablen zum Zeitpunkt 2 durch Unterschiede in ebendiesen Variablen zum Zeitpunkt 1, wurde ausschließlich die depressive Gruppe herangezogen. 4.5.1 Vorhersage des Bewältigungverhaltens und der Stressbelastung Die Hypothese 5 a) besagt, dass sich durch das Ausmaß der Stressbelastung und die Art des Bewältigungsverhaltens zum ersten Messzeitpunkt diesbezügliche Unterschiede zum zweiten Messzeitpunkt vorhersagen lassen. Diese Behauptung wurde bestätigt. Tabelle 10 zeigt die Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse. Tabelle 10: Ergebnisse der linearen Regressionen zur Überprüfung der Stabilität der Stressbelastung und der Bewältigungsstrategien in der Gruppe mit Major Depression (N = 72) Unabhängige Variable zu T1 und abhängige Signifikanz Regressions Beta Variable zu T2 niveau koeffizient B Erklärte Varianz R² Physische Stresssymptomatik (SSKJ) < .001 .58 .64 .411 Psychische Stresssymptomatik (SSKJ) < .001 .58 .55 .307 Emotionsregulierende Bewältigung (SVF) < .001 .66 .62 .383 Problemlösende Bewältigung (SVF) < .001 .62 .51 .264 Negative Stressverarbeitung (SVF) < .001 .69 .68 .474 Suche nach sozialer Unterstützung (SSKJ) < .001 .70 .64 .408 Problemorientierte Bewältigung (SSKJ) < .001 .71 .67 .454 Vermeidende Bewältigung (SSKJ) < .001 .80 .69 .478 Konstruktiv-palliative Emotionsregulation (SSKJ) < .001 .66 .63 .394 Emotionsregulation < .001 .77 .71 .509 Destruktiv-ärgerbezogene (SSKJ) 92 4 Ergebnisse Um zu durchleuchten wie die einzelnen Stressbewältigungsstrategien und die Stressbelastung untereinander zusammenhängen, wurden verschiedene Modelle in multiplen Regressionen getestet. Von allen getesteten Modellen, welche diese Zusammenhänge beschreiben, finden sich in Tabelle 11 die Modelle, bei denen Verknüpfungen unter den einzelnen Bewältigungsstrategien bzw. der Stresssymptomatik bestehen. Wie aus der Tabelle ersichtlich, sind physische und psychische Stresssymptome in der Regel positiv mit stressvermehrenden Bewältigungsstrategien assoziiert und negativ mit stressvermindernden Bewältigungsstrategien, mit Ausnahme des negativen Zusammenhangs von destruktiv-ärgerbezogenen Strategien und physischer Stresssymptomatik. Weiterhin werden die stressfördernden Strategien zumeist negativ von stressreduzierenden Strategien vorhergesagt (z. B. Vermeidende Bewältigung negativ von Problemorientierter Bewältigung). Die stressreduzierenden Strategien werden häufig positiv von anderen stressvermindernden Strategien vorhergesagt (z. B. Suche nach sozialer Unterstützung von Problemlösender Bewältigung) oder negativ von stressvermehrenden Strategien (z. B. Problemorientierte Bewältigung negativ von Destruktiv-ärgerbezogener Bewältigung). Dabei finden sich vereinzelt Ausnahmen, wie z. B. die Vermeidende Bewältigung, welche sowohl die Emotionsregulierende Bewältigung als auch Konstruktiv-palliative Emotionsregulation vorhersagt. Tabelle 11: Abhängige Variable (T2) Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen zur Vorhersage von Stresssymptomen und Bewältigungsstrategien (N = 72) Signifikante unabhängige Signifikanz Regressions Beta Variablen/Prädiktoren (T1) niveau koeffizient B Psychische Psychische Stresssymptomatik < .001 Stresssymptomatik Destruktiv-ärgerbezogene .001 (SSKJ) Bewältigung .48 .17 .46 .33 Erklärte Varianz R² .437 Modell mit 3 unabhängigen Variablen: Psychische Stresssymptomatik (SSKJ), Vermeidende Bewältigung (SSKJ) und Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung (SSKJ) Emotions Emotionsregulierende < .001 regulierende Bewältigung Bewältigung (SVF) Vermeidende Bewältigung < .001 Suche nach sozialer .051 Unterstützung .50 .47 .53 .17 .43 .17 .541 Modell mit 5 unabhängigen Variablen: Emotionsregulierende Bewältigung (SVF), Psychische Stresssymptomatik (SSKJ), Physische Stresssymptomatik (SSKJ), Vermeidende Bewältigung (SSKJ), Suche nach sozialer Unterstützung (SSKJ) 93 4 Ergebnisse Suche nach sozialer Unterstützung (SSKJ) Suche nach sozialer Unterstützung Physische Stresssymptomatik Negative Stressverarbeitung Problemlösende Bewältigung < .001 .55 .50 .004 .018 .026 -.87 .11 .18 -.26 .22 .25 .514 Modell mit 4 unabhängigen Variablen: Suche nach sozialer Unterstützung (SSKJ), Physische Stresssymptomatik (SSKJ), Negative Stressverarbeitung (SVF), Problemlösende Bewältigung (SVF) Problemorientierte Problemorientierte Bewältigung < .001 Bewältigung Destruktiv-ärgerbezogene .005 (SSKJ) Bewältigung .72 -.29 .68 -.30 .525 Modell mit 6 unabhängigen Variablen: Problemorientierte Bewältigung (SSKJ), Suche nach sozialer Unterstützung (SSKJ), Negative Stressverarbeitung (SVF), Konstruktiv-palliative Emotionsregulation (SSKJ), Destruktiv-ärgerbezogene Emotionsregulation (SSKJ), Problemlösende Bewältigung (SVF) Vermeidende Bewältigung (SSKJ) Vermeidende Bewältigung < .001 Problemorientierte Bewältigung .037 .63 -.18 .54 -.20 .533 Modell mit 4 unabhängigen Variablen: Vermeidende Bewältigung (SSKJ), Problemorientierte Bewältigung (SSKJ), Konstruktivpalliative Emotionsregulation (SSKJ), Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung (SSKJ) Konstruktivpalliative Emotionsregulation (SSKJ) Konstruktiv-palliative Emotionsregulation Vermeidende Bewältigung Physische Stresssymptomatik < .001 .53 .51 .002 .007 .52 -85 .36 -.26 .550 Modell mit 5 unabhängigen Variablen: Konstruktiv-palliative Emotionsregulation (SSKJ), Problemorientierte Bewältigung (SSKJ), Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung (SSKJ), Vermeidende Bewältigung (SSKJ), Physische Stresssymptomatik (SSKJ) Destruktivärgerbezogene Emotionsregulation (SSKJ) Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung Physische Stresssymptomatik Problemlösende Bewältigung < .001 .80 .75 .007 .036 -.1.0 .18 -.28 .22 .619 Modell mit 7 unabhängigen Variablen: Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung (SSKJ), Konstruktiv-palliative Emotionsregulation (SSKJ), Vermeidende Bewältigung (SSKJ), Physische Stresssymptomatik (SSKJ), Suche nach sozialer Unterstützung (SSKJ), Psychische Stresssymptomatik (SSKJ), Problemlösende Bewältigung (SVF) 4.5.2 Vorhersage des Ausprägungsgrades der depressiven Symptome durch psychologische Variablen Der Hypothese 5 b) entsprechend, wurde erwartet, dass die Schwere der Depressionssymptome zum Zeitpunkt 2 bzw. das Fortbestehen der Störung von der Stressbelastung und der Art der Stressbewältigungsstrategien zum Zeitpunkt 1 vorhergesagt werden kann. Die abhängige Variable ist daher zum einen der Wert des DIKJ zum zweiten Messzeitpunkt im Rahmen einer multiplen Regression und zum anderen das Fortbestehen der Depressionsdiagnose zum Zeitpunkt 2 innerhalb 94 4 Ergebnisse einer logistischen Regression. Die Ergebnisse der multiplen Regression sind in Tabelle 12 aufgeführt, aus der hervorgeht, dass von allen Bewältigungsstrategien die Suche nach sozialer Unterstützung die depressiven Symptome negativ und die Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung die depressiven Symptome positiv vorhersagt. Da sich in früheren Studien häufig die Komorbidität als sehr guter Prädiktor herausgestellt hat, findet sich in der dritten Zeile der Tabelle 10 das Ergebnis der multiplen Regression, wenn die Anzahl der weiteren Diagnosen zusätzlich in das Modell mit aufgenommen wird. Tabelle 12: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse zur Vorhersage der Schwere der Depressionssymptome (N = 70) Abhängige Variable (T2) Signifikante unabhängige Signifikanz Regressions Beta Variablen/Prädiktoren (T1) niveau koeffizient B Erklärte Varianz R² DIKJ-Werte DIKJ < .001 Suche nach sozialer .008 Unterstützung Destruktiv-ärgerbezogene .012 Bewältigung .68 -.29 .59 -.35 .600 .21 .28 DIKJ Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung Anzahl der weiteren Diagnosen Suche nach sozialer Unterstützung < .001 .005 .59 .22 .52 .30 .011 .028 .17 -.23 .26 -.28 DIKJ-Werte .644 Wie aus der Tabelle ersichtlich, wurde die Hypothese 5 b) teilweise bestätigt. Zwar hatte die Stressbelastung keinen prädiktiven Wert, doch die Anwendung der Suche nach sozialer Unterstützung und der Destruktiv-ärgerbezogenen Bewältigung sind signifikante Prädiktoren für das Ausmaß der depressiven Symptomatik 6 Monate später. Dennoch kann die Hypothese 5 b) auch bezüglich der Vorhersage durch die Stresssymptomatik nicht verworfen werden, da psychische Stresssymptome hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Depression eine Rolle zu spielen scheinen, wie das nachfolgende Kapitel 4.5.3 darlegt. 4.5.3 Vorhersage des Fortbestands der Depressionsdiagnose durch psychologische Variablen Bei 34 Probandinnen (47,9%) war die Diagnose zum zweiten Messzeitpunkt nicht mehr vorhanden, 95 4 Ergebnisse während 37 (52,1%) noch oder erneut die Kriterien für eine Episode der Major Depression erfüllten. Mit Hilfe einer logistischen Regressionsanalyse wurde, gemäß der Hypothese 5 b) getestet, welche Variablen zum ersten Messzeitpunkt das Vorhandenseins der Depression zum zweiten Messzeitpunkt vorhersagen. Dazu wurden einige Modelle überprüft, von denen sich letztendlich ein Modell als besonders geeignet herausstellte. Es kann geschlossen werden, dass dieses Modell eine gute Trennkraft für die Unterscheidung zwischen den Gruppen aufweist mit einem Signifikanzniveau von p < .001. Das Pseudo-R-Quadrat „Nagelkerke“ beträgt .414. Somit lässt sich insgesamt 41,1% der Varianz bezüglich der Gruppenzugehörigkeit auf die getesteten unabhängigen Variablen zurückführen, was als gut zu bewerten ist. In Tabelle 13 sind die Ergebnisse in Form der Parameterschätzer aufgeführt für alle Variablen, die in das Modell aufgenommen wurden. Tabelle 13: Ergebnisse der logistischen Regression zur Vorhersage des Fortbestands der Major Depression zum zweiten Messzeitpunkt: Parameterschätzer (N = 71) Unabhängige Variable (T1) Psychische Stresssymptomatik -.15 (.07) .044 .86 95% Konfidenzintervall Exp (B) Untergrenze Obergrenze .75 1.00 Stressvulnerabilität -.24 (.12) .044 .78 .62 .99 Vermeidende Bewältigung -.09 (.05) .080 .92 .83 1.01 sozialer-08 (.20) .116 1.06 .99 1.15 Suche nach B Signifikanz Exp (Standardfehler) (B) Unterstützung Körperliche Beschwerden .06 (.04) .337 .98 .94 1.02 Destruktiv-ärgerbezogene -.02 (.02) .549 .98 .91 1.05 -.02 (.04) .671 .92 .63 1.35 Bewältigung Anzahl weiterer Diagnosen Wie die Tabelle zeigt, sind die Psychische Stresssymptomatik und die Stressvulnerabilität auf dem 5%igen α-Fehlerniveau signifikant und die Vermeidende Bewältigung ist auf dem 10%igen αFehlerniveau signifikant. Die Signifikanzniveaus bedeuten konkret, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Psychische Stresssymptomatik und die Stressvulnerabilität einen Einfluss auf die Trennung der Gruppen hat, 95,6% beträgt. Die Strategie der Vermeidenden Bewältigung hat zu 92% einen Einfluss auf die Gruppenzugehörigkeit. Je höher die Psychische Stresssymptomatik, die Stressvulnerabilität und die Verwendung von vermeidender Bewältigung, desto wahrscheinlicher ist die Gruppenzugehörigkeit zur depressiven Gruppe zum Messzeitpunkt 2. 96 für 4 Ergebnisse 4.6 Längsschnittliche Ergebnisse auf biologischer Ebene 4.6.1 Vorhersage der Cortisolsekretion Laut der Hypothese 6 a) wurde in der Gruppe mit Major Depression eine signifikante Vorhersage der biologischen Variablen zum Messzeitpunkt 2 durch ebendiese Variablen zum Zeitpunk 1 erwartet. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel, wurde die Messung der Cortisolaufwachreaktion zum Messzeitpunkt 2 vorzeitig abgebrochen. Daten standen jedoch von 17 Probandinnen der depressiven Gruppe zur Verfügung. Die Ergebnisse einer linearen Regressionsanalyse, welche die Vorhersage des Maximalwertes der CAR zum zweiten Messzeitpunkt durch das Maximum zum ersten Messzeitpunkt überprüft, bestätigt diese biologische Variable als signifikanten Prädiktor (siehe Tabelle 14). Nimmt man den Anstiegswert der CAR zum ersten Messzeitpunkt als Prädiktor und den Anstieg der CAR zum zweiten Messzeitpunkt als Kriterium in eine Regressionsgleichung auf, finden sich ähnliche Ergebnisse. Der Anstiegswert war für 16 Personen berechenbar. Tabelle 14: Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse für die CAR zur Überprüfung der Vorhersage der HHN-Aktivität zum Messzeitpunkt 2 durch die Aktivität zum Messzeitpunkt 1. Maximalwert: N = 17. Anstiegswert: N = 16. Unabhängige Variable zu T1 und abhängige Signifikanz Regressions Beta Variable zu T2 niveau koeffizient B Erklärte Varianz R² CAR Maximalwert .011 .93 .60 .357 CAR Anstieg .059 .56 .48 .231 Wie in Kapitel 11.3.2 schon erwähnt, hat die erwartete Cortisolreaktion nach dem TSST-K nicht in ausreichendem Maße stattgefunden. Folglich ist keine sinnvolle Überprüfung der Vorhersagekraft dieser biologischen Variable möglich. Des weiteren fiel die Cortisolreaktion nach dem TSST-K zum zweiten Messzeitpunkt ebenso gering und somit inhaltlich und statistisch nicht bedeutsam aus, wie in Abbildung 11 dargestellt. 97 4 Ergebnisse Abbildung 11: Cortisollevel zum zweiten Erhebungszeitpunkt für N = 141 (n = 70 in der Gruppe MD und n = 71 in der Kontrollgruppe) von 35 Minuten vor bis 45 Minuten nach Durchführung des TSST-K (7 Messzeitpunkte = X-Achse). Der TSST-K fand zwischen Zeitpunkt 3 und 4 statt. 4.6.2 Vorhersage des Ausprägungsgrades der depressiven Symptome durch biologische Variablen Die auswertbaren biologischen Variablen beschränken sich auch hier auf die Cortisolsekretion im Zusammenhang mit der CAR. Es fand sich keine Unterstützung für die Hypothese 6 b), die besagt, dass sich durch die Höhe der Cortisolsekretion das Ausmaß der depressiven Symptome vorhersagen lässt (Tabelle 15). In einer linearen Regressionsanalyse wurde einmal der Maximalwert und einmal der Anstieg der CAR als Prädiktor getestet mit den DIKJ-Werten als Kriterium. 98 4 Ergebnisse Tabelle 15: Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse zur Überprüfung der Vorhersage der Schwere der Depressionssymptome zum Messzeitpunkt 2 durch die HHN-AchsenAktivität zum Messzeitpunkt 1. Maximalwert: N = 67. Anstiegswert: N = 65. Abhängige Variable (T2) Unabhängige Variablen/Prädiktoren (T1) Signifikanz Regressions Beta niveau koeffizient B Erklärte Varianz R² DIKJ-Werte CAR Maximalwert .093 .40 .21 .044 CAR Anstieg .283 .05 .03 .001 4.6.3 Vorhersage des Fortbestands der Depressionsdiagnose durch biologische Variablen In Hypothese 6 b) wird ebenfalls postuliert, dass die biologischen Variablen eine Vorhersage des Weiterbestehens der Depression zum Zeitpunkt 6 Monate später liefern können. Dies konnte ebenso nicht bestätigt werden. Entsprechende Auskunft über die statistischen Kennwerte der logistischen Regression gibt Tabelle 16. Tabelle 16: Abhängige Variable (T2) Ergebnisse der logistischen Regressionsanalyse zur Überprüfung der Vorhersage des Fortbestands der Major Depression zum Messzeitpunkt 2 durch die HHNAchsen-Aktivität zum Messzeitpunkt 1. Maximalwert: N = 67. Anstiegswert: N = 65. Unabhängige Signifikanz Regressions Exp (B) Variablen/Prädiktoren (T1) niveau koeffizient B Major Depression CAR Maximalwert vorhanden Ja/Nein CAR Anstieg 99 Erklärte Varianz R² .192 .08 1.09 .036 .619 .03 1.03 .005 5 Diskussion 5 Diskussion Im Folgenden werden die Ergebnisse der Studie zusammenfassend dargestellt und hinsichtlich der a priori formulierten Hypothesen diskutiert. Dabei wird auch kritisch auf die methodischen Begrenzungen der Untersuchung eingegangen und es werden Anregungen für weiterführende Untersuchungen sowie Prävention und Intervention gegeben. Das Kapitel 5.1 beschäftigt sich zunächst mit der Diskussion der Befunde zu den querschnittlichen Fragestellungen, im Rahmen derer 148 weibliche Teilnehmerinnen zwischen 10 und 18 Jahren (15,38 ± 2,2) im Hinblick auf psychologische und biologische Variablen untersucht wurden. Der Fokus dieses Querschnittsvergleichs liegt auf den Unterschieden zwischen den 74 Probandinnen mit Major Depression und den 74 altersgematchten gesunden Studienteilnehmerinnen. Im darauffolgenden Kapitel 5.2 werden die Ergebnisse der längsschnittlichen Untersuchung diskutiert, welche den Einfluss der psychologischen und biologischen Variablen aufeinander sowie auf die Ausprägung der depressiven Symptomatik und auf den Fortbestand der Depression ermitteln. Die längsschnittliche Untersuchung wurde anhand eines zweiten Erhebungszeitpunktes operationalisiert, an dem alle psychologischen und biologischen Variablen erneut gemessen wurden. In die längsschnittlichen Berechnungen gingen nur die Daten der Probandinnen ein, welche zum ersten Erhebungszeitpunkt eine klinische Depression aufwiesen. Zu besagtem zweiten Messzeitpunkt nahmen noch 72 der ursprünglich 74 depressiven Mädchen und Jugendlichen an der Studie teil. 5.1 Diskussion der querschnittlichen Ergebnisse 5.1.1 Stress und Stressvulnerabilität Zwischen der depressiven und der nicht depressiven Gruppe zeigte sich ein signifikanter Unterschied in der psychischen Stressbelastung und in der Stressvulnerabilität (Hypothese 1 a). Auf der Subskala des SSKJ „Psychische Stresssymptomatik“ fand sich bei den depressiven Mädchen und Jugendlichen mit 27,6 (±5,1) Punkten im Vergleich zu durchschnittlich 21,9 (±5,5) Punkten bei der Kontrollgruppe eine höhere Stressbelastung. Die deutlich höhere Stresssymptomatik der depressiven Probandinnen ist konform mit bisherigen Studienergebnissen, welche die Schlüsselrolle 100 5 Diskussion von Stress im Zusammenhang mit Depression untermauern (z. B. Williamson et al., 2005; Carter & Garber, 2011). In der 240 Jugendliche umfassenden Stichprobe von Carter und Garber beispielsweise zeigte sich über einen Zeitraum von sechs Jahren, dass vor allem leistungsbezogener Stress und interpersonaler Stress in Kombination mit negativen Kognitionen mit Depressionssymptomen verbunden war. Konsistent mit den vorliegenden Ergebnissen sind auch die Befunde einer Studie von Rood, Roelofs, Bögels und Meesters (2010), die knapp 805 Probanden (davon 482 weiblich) zwischen 10 und 18 Jahren untersuchten, mit einem durchschnittlichen Alter von 12,4 Jahren. Es handelte sich dabei um eine nicht-klinische Stichprobe, deren Depression und Stress mit standardisierten Selbstberichtinstrumenten erfasst wurden. Die Daten zeigten eine signifikante Assoziation zwischen Depression und psychischen Stresssymptomen im Sinne von Ruminieren und sich Sorgen machen, besonders für die weiblichen Studienteilnehmerinnen. Da sich Stress als guter Prädiktor für den Beginn einer Depression erwiesen hat (siehe auch Morris et al., 2010) und Depression umgekehrt auch Stress vorherzusagen vermag (Safford et al., 2007), sowie beides in Interaktion miteinander sich gegenseitig verstärken kann (Cole et al., 2006), wurden in der gegenwärtigen Stichprobe ebenfalls höhere Stresswerte in der depressiven Gruppe erwartet. Zusätzlich geht die Hypothese 1 a) in der Major Depressions-Gruppe von einer stärkeren Neigung Lebenssituationen als stressig zu empfinden. Auch dies wurde in der vorliegenden Studie unterstützt, indem sich bei den depressiven Probandinnen höhere Werte auf der Subskala „Stressvulnerabilität“ des SSKJ zeigten als bei den gesunden Teilnehmerinnen. In Bezug auf die Ergebnisse zur psychischen Stresssymptomatik und Stressvulnerabilität muss folgende Einschränkungen beachtet werden. Einige der Symptome, welche auf der Skala zur psychischen Stresssymptomatik abgefragt werden, überlappen sich mit den Kriterien für eine Major Depression. Zum Beispiel handelt es sich dabei um solche Symptome wie Traurigkeit, Gereiztheit oder Unruhe. Eine Beeinflussung der Ergebnisse, in Richtung der höheren Stresswerte in der depressiven Gruppe durch diese Überlappung, ist folglich nicht auszuschließen. Für die Gruppenunterschiede in der Stressvulnerabilität gilt diese Kritik jedoch nicht, da in diesen SkalenItems keine Kriterien abgefragt werden, die für eine klinische Diagnose der Depression notwendig sind. Alles in allem lässt sich festhalten, dass sowohl in unserer Stichprobe als auch weitestgehend konsistent in den Befunden der Forschungsliteratur eine erhöhte Stressbelastung und Stresssensitivität unter depressiven Kindern und Jugendlichen vorherrschen. Stress steht in besonderem Zusammenhang mit Depression und kann diese begünstigen, wie auch durch sie ausgelöst werden. 101 5 Diskussion 5.1.2 Problembelastung Eine stärkere Problembelastung wurde, gemäß der Hypothese 1 b), bei den Teilnehmerinnen der depressiven Gruppe erwartet im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe. Die depressiven Mädchen im Alter von 10 bis 13 Jahren (n = 14), die mit dem PF 11-14 untersucht wurden, erreichten in allen Problembereichen signifikant höhere Werte als die nicht depressiven 10- bis 13-Jährigen (n = 16). Mit diesem Fragebogen wurden die Bereiche „Über mich“, „ Meine Familie“, „Ich und die anderen“, „Meine Schule“ und „Allgemeines“ abgedeckt. Vergleichbare Ergebnisse zeigt der PF für Jugendliche, mit dem die 14- bis 18-jährigen Teilnehmerinnen untersucht wurden (MD = 57, KG = 58). Signifikant höhere Werte erreichten die Jugendlichen aus der Depressionsgruppe in den Themenbereichen „Meine Schule“, „Über mich selbst“, „Ich und die anderen“, „Zu Hause“, „Gesundheit“ und „Allgemeines“. Höhere Werte fanden sich in dieser Gruppe auch in den verbleibenden zwei Skalen „Nach der Schulzeit“ und „Jungen und Mädchen“, bei denen die Unterschiede zwischen den Gruppen jedoch keine Signifikanz auf dem 5%-igen α-Fehlerniveau aufwiesen. Betrachtet man die Ergebnisse über beide Altersgruppen hinweg, verzeichnen die größten Effekte die Bereiche „Selbst“, „Familie/Zu Hause“, „Schule“ und „Gesundheit“. Frühere Untersuchungen fanden, übereinstimmend mit diesen Ergebnissen, auch eine besondere Problembelastung und Funktionseinschränkung in diesen Problembereichen. Beispielsweise wiesen Jaycox et al. (2009) anhand einer Stichprobe von 4713 13- bis 18-jährigen weiblichen und männlichen Probanden eine hohe Belastung in Schule und Familie nach, wenn eine Depression vorlag im Vergleich zu den störungsfreien Jugendlichen der Stichprobe. Weiterhin fanden Essau et al. (2000) in den Daten der Bremer Jugendstudie eine erhöhte Belastung durch Schulprobleme und soziale Probleme bei depressiven 12- bis 17-Jährigen. Diese offenbarte sich auch unabhängig von weiteren komorbiden Störungen. Ferner ist es, ausgehend von der Literatur zu einem ungünstigen familiären Kontext als Risikofaktor (siehe Kapitel 1.7.2), nahe liegend, dass vor allem die Problemwerte im Bereich Familie erhöht sind. Dies ist deckungsgleich mit den Ergebnissen der gegenwärtigen Studie. Folglich kann es durchaus sein, dass die häufigere Nennung von familiären Problemen in der depressiven Teilstichprobe durch elterliche Psychopathologie sowie konfliktreichere und weniger unterstützende Familienprozesse zu Stande kommt. Studien zum Risikofaktor „Familie“ untersuchen die Probleme in der Familie meist als zeitlich vor der Depression liegend. Zum Beispiel McCarty (2008) bewertet anhand der Daten von 808 10- bis 21Jährigen Schulprobleme ebenfalls als Auslöser für Depression. Bezüglich der Wirkungsrichtung lässt sich sagen, dass sowohl Probleme mit dem Selbst und der psychosozialen Umwelt eine Depression wahrscheinlicher machen als auch eine vorhandene Depression das Auftauchen von Problemen fördert (z. B. Hammen, 2009). 102 5 Diskussion Die höheren Werte der depressiven Gruppe auf der Subskala „Gesundheit“ des PF für Jugendliche werden durch Befunde untermauert, welche die Assoziation zwischen internalisierenden Symptomen und physischen Beschwerden belegen (z. B. Campo et al., 2002). Der nachfolgende Abschnitt geht ausführlich auf die Ergebnisse der gegenwärtigen Studie und Forschungsergebnisse anderer Studien ein bezüglich der körperlichen Symptome im Zusammenhang mit Depression. 5.1.3 Physische Beschwerdesymptome Der Vergleich der depressiven mit der nicht depressiven Gruppe zeigt klare Unterschiede in Richtung einer weitaus höheren physischen Symptomatik bei den depressiven Mädchen und Jugendlichen als bei der Kontrollgruppe (Hypothese 1 c). Zum einen findet sich dieser Unterschied auf der Skala „Physische Stresssymptomatik“ des SSKJ und zum anderen im GBB-KJ auf fast allen Subskalen der einzelnen Beschwerdebereiche sowie der Gesamtskala. Außer auf der Skala „Erkältungsbeschwerden“ übertreffen die Werte der depressiven Teilnehmerinnen die Werte der gesunden Probandinnen auf allen Skalen. Dabei handelt es sich um die Gesundheitsbereiche „Erschöpfung“, „Magenbeschwerden“, Gliederschmerzen“ und „Kreislaufbeschwerden“. Dementsprechend ist auch der über alle Subskalen aggregierte Gesamtbeschwerdedruck bei der Depressionsgruppe deutlich höher als bei der Kontrollgruppe (51,1 ± 17,3 vs. 35,7 ± 14). Die größten Effekte bezüglich der Gruppenunterschiede ergaben sich hinsichtlich Erschöpfung und Kreislaufbeschwerden. Dies ist in Übereinstimmung mit anderen Studien, z. B. der Untersuchung von Bohman et al. (2010), in der 177 depressive 16- und 17-Jährige mit 177 gesunden nach Alter, Geschlecht und Schulklasse gematchten Jugendlichen in Bezug auf körperliche Beschwerden verglichen wurden. Die Diagnosestellung erfolgte in der Studie, ebenso wie in dieser Studie, anhand eines strukturierten klinischen Interviews nach den Kriterien des DSM. Die Forschergruppe um Bohman fand signifikant mehr physische Beschwerden in der depressiven Gruppe als in der Kontrollgruppe. Betroffen waren vor allem die Bereiche „Kopfschmerzen“, „Magenbeschwerden“, „Gliederschmerzen“ und „Schwindelgefühle“. Die Gesamtanzahl aller Symptome war signifikant mit dem Ausmaß der Depression korreliert. Dies trifft auch für die vorliegende Studie zu, bei der sich für alle Subskalen, außer für die Skala „Erkältungsbeschwerden“, hoch signifikante Korrelationen mit den Werten des DIKJ erschließen. Die Korrelationen liegen zwischen r = .30 und r = .53 (alle p < .001). Ferner finden sich in der Studie von Thomsen et al. (2002) Korrelationen zwischen dem Ausmaß von somatischen Beschwerden (vor allem Magenproblemen) und Depression. Die Depression 103 5 Diskussion wurde anhand einer standardisierten Checkliste von den Eltern eingeschätzt. Untersucht wurden 174 Kinder und Jugendliche (66,7% weiblich) zwischen 7 und 18 Jahren mit einem Durchschnittsalter von knapp 12 Jahren. Außerdem liefern Bohman et al. (2012) zusätzlich Belege für die Vorhersagekraft von somatischen Beschwerden und Depression, hauptsächlich durch Kopfschmerzen, Atemnot und Bauchschmerzen. Diese Befunde ergaben sich bei der Untersuchung der gleichen Stichprobe wie bei Bohman et al. (2010), wobei bei Bohman et al. (2012) die depressiven Jugendlichen über einen Zeitraum von 15 Jahren beobachtet wurden. Umgekehrt betonen Janssens et al. (2010) die Vorhersagekraft von Depression für somatische Beschwerden. Zu diesem Befund kamen Janssen und Kollegen durch eine Untersuchung von über 2200 10- bis 17-jährigen Jungen und Mädchen. Speziell auf Erschöpfung geht die Studie von ter Wolbeek, van Doornen, Kavelaars und Heinen (2008) ein. In einer Stichprobe von über 1700 Mädchen und ebenso vielen Jungen mit einem Durchschnittsalter von ca. 14,5 Jahren zeigte sich eine starke Assoziation zwischen der Erschöpfungssymptomatik und Depression. Wie auch die gegenwärtige Studie zusätzlich untermauert, ist insgesamt der Zusammenhang zwischen physischen Beschwerden und Depression gut belegt. Nichtsdestotrotz kann als kritischer Punkt angemerkt werden, dass die Subskala „Erschöpfung“ des GBB-KJ solche Symptome abfragt, die inhaltlich auch unter das DSM-Kriterium „Müdigkeit“ fallen. Von daher ist eine Überschätzung der Verbindung zwischen Erschöpfung und der Major Depression nicht auszuschließen. Dies gilt jedoch nicht für die anderen mit Depression in Zusammenhang stehenden Subskalen (Magenbeschwerden, Gliederschmerzen, Kreislaufbeschwerden), die sich inhaltlich klar von den Kriterien für eine Major Depression abgrenzen. Alles in allem legen die Befunde zur starken Assoziation zwischen Depression und somatischen Symptomen nahe, dass im Rahmen von hausärztlichen Untersuchungen vermehrt darauf geachtet werden sollte, ob vorhandene körperliche Beschwerden auf eine depressive Symptomatik hindeuten könnten. Bisher ist davon auszugehen, dass nur bei der Hälfte aller depressiven Patienten, die einen Allgemeinmediziner aufsuchen, die Depression erkannt wird (Ebel & Beichert, 2002). Vor allem bei Kindern und Jugendlichen sollte auf eine korrekte Diagnose geachtet werden, da in diesem Alter körperliche Symptome im Zusammenhang mit einer depressiven Störung tendenziell häufiger vorkommen als im Erwachsenenalter (Nevermann & Reicher, 2009). 104 5 Diskussion 5.1.4 Stressbewältigungsstrategien Strategien zum Umgang mit Stress können günstig sein und bei der Verringerung des Stresserlebens helfen oder aber auch ungünstig sein und den Stress sogar noch fördern. Die Ergebnisse des Gruppenvergleichs zeigen zwar nicht auf allen Subskalen eine häufigere Anwendung von stressvermehrenden Strategien bei den depressiven Personen (Hypothese 2 a) oder eine seltenere Anwendung von stressreduzierenden Strategien (Hypothese 2 b) im Vergleich zu der Kontrollgruppe, doch weitgehend konnte die Hypothese 2 bestätigt werden. So befand die Messung der Bewältigungsstrategien auf der Skala „Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung“ des SSKJ, dass in der Major Depressions-Gruppe diese aggressive Form der Bewältigung deutlich häufiger angewendet wird als in der Kontrollgruppe. Umgekehrt wird die „Problemorientierte Bewältigung“ sehr viel seltener zur Stressbekämpfung eingesetzt als bei den nicht depressiven Probandinnen. In den Subskalen „Suche nach sozialer Unterstützung“, „Vermeidende Bewältigung“ und „Konstruktiv-palliative Emotionsregulation“ konnten keine Gruppenunterschiede gefunden werden. Folglich lässt sich die Hypothese 2 nicht bezüglich aller Strategienkategorien aufrecht erhalten. Allerdings sprechen die signifikanten Ergebnisse des Gruppenvergleichs auf acht der neun Subskalen des SVF-KJ für eine umfassendere Bestätigung der Hypothese. Die Subskalen „Bagatellisierung“ und „Ablenkung/Erholung“ (letztere ist nur tendenziell signifikant mit p = .068 bezüglich des Gruppenvergleichs) bilden zusammen die Strategienkategorie „Emotionsregulierende Bewältigung“, die signifikant häufiger von nicht depressiven Studienteilnehmerinnen angewendet wurde. Genauso verhält es sich mit der Kategorie „Problemlösende Bewältigung“, welche sich aus den, zwischen den Gruppen signifikant voneinander abweichenden, Strategien „Situationskontrolle“, „Positive Selbstinstruktion“ und „Soziales Unterstützungsbedürfnis“ zusammensetzt. Im Gegensatz dazu werden die stressfördernden Strategien, „Vermeidung“, „Gedankliche Weiterbeschäftigung“, „ Resignation“ und „Aggression“, signifikant häufiger in der depressiven Gruppe eingesetzt und bilden zusammen die Strategienkategorie „Negative Stressverarbeitung“. Insgesamt konnten die Daten des SVF-KJ die Hypothese 2 a) und b) untermauern. Wenn Mädchen oder Jugendliche an einer Depression leiden, greifen sie weniger zu adäquaten Bewältigungsstrategien, die negative Emotionen oder das vorhandene Problem vermindern können und nutzen verstärkt stressfördernde Strategien. Ein dadurch stark erhöhtes Stresserleben fördert auch das Fortbestehen der Depression (z. B. Tram & Cole, 2000). Zusätzlich kann davon ausgegangen werden, dass kognitiv die für eine Depression typischen Gefühle von Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Selbstwertzweifel stärker in den Mittelpunkt rücken, da die Betroffenen sich selbst als wenig selbstwirksam erleben im Umgang mit Problemen und zugehörigen unangenehmen Gefühlen. Eine Studie, welche im Sinne der Theorie der erlernten 105 5 Diskussion Hilflosigkeit die reziproke Beziehung zwischen Depression und Stress belegt, ist beispielsweise die Untersuchung von Cole et al. (2006) mit 508 3.- bis 8.-Klässlern. Von den Subskalen des SSKJ besteht der größte Unterschied zwischen der depressiven und der nicht depressiven Gruppe im Bereich der Problemlösenden Bewältigung. Diesbezügliche Bestätigung findet dieser Befund durch die Überblicksarbeit von Compas et al. (2001). Hier zeigte sich eine Assoziation von verminderter problemfokussierter Bewältigung und Internalisierungsproblemen. Auf ähnliche Weise untermauert die Meta-Analyse von Clarke (2006) den Unterschied von problemfokussierter Bewältigung zwischen der Major Depressions-Gruppe und der Kontrollgruppe. In der 40 Studien umfassenden Meta-Analyse fand sich eine signifikante Beziehung zwischen aktivem Coping und Internalisierungsproblemen. Zusätzlich ist eine neuere Studie von Wright et al. (2010) zu nennen. In deren Stichprobe von 404 8- bis 13-Jährigen fand sich ein verringertes Problemlöseverhalten bei Depression. Außerdem konnten Wright und Kollegen auch eine seltenere Suche nach sozialer Unterstützung bei den depressiven Kindern nachweisen. Dies ist konsistent mit dem Gruppenunterschied auf der Skala „Soziales Unterstützungsbedürfnis“ des SVF-KJ. Die negative Assoziation zwischen der Suche nach sozialer Unterstützung und depressiven Symptomen wurde auch in der Studie von Chan (2012) an 326 Kindern und Jugendlichen zwischen 8 und 14 Jahren gefunden. Während die depressiven Teilnehmerinnen der Stichprobe weniger stressvermindernde, konstruktive Bewältigungsstrategien zeigen, findet sich ebenso eine verstärkte Anwendung von destruktiven Bewältigungsstrategien wie die „Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung“ (Skala des SSKJ) und „Aggression“ (Skala des SVF). Ähnliche Befunde unterstützen diese Ergebnisse, wie beispielsweise die von Laessle und Lindel (2010), in deren Stichprobe von 99 durchschnittlich 11,4Jährigen sich bei den Kindern mit Depression deutlich mehr destruktive Bewältigungsstrategien messen ließen als bei den nicht depressiven Studienteilnehmern. Ebenso untermauern die Ergebnisse von Ng und Hurry (2011) die Befunde der vorliegenden Studie. In deren fast 1200 14bis 20-Jährige umfassenden Stichprobe war, neben Drogen nehmen, vor allem ein emotionales Ausagieren wie Weinen und Schreien mit Depression verbunden. Die Verbindung zwischen Depression und aggressivem Verhalten, wie sie auch in der gegenwärtigen Studie gefunden wurde, könnte aus einem Gefühl der Hilflosigkeit entstehen, dass bei Depression häufig vorhanden ist, kombiniert mit einer geringeren Anwendung von Emotionsregulation, wie sie auf der Subskala der „Emotionsregulierenden Bewältigung“ des SVF von den depressiven auch weniger gezeigt wurde. Das Gefühl sich nicht anders helfen zu können fördert dann möglicherweise das destruktive Verhalten, was hauptsächlich gegen die Mitmenschen gerichtet ist, z. B. Türen knallen und Ausrasten, wie es auf der Subskala der destruktiv-ärgerbezogenen Bewältigung erfragt wird. 106 5 Diskussion Ein weitere ungünstige Strategiengruppe, die, wie auch die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen („Vermeidung“ und „Gedankliche Weiterbeschäftigung“ des SVF-KJ), vermehrt von depressiven Personen angewendet werden, ist die Form der passiven, unwillentlichen Bewältigung. Die Assoziation zwischen dieser Bewältigungskategorie und Depression wird unterstützt durch die Ergebnisse der Studie von Compas et al. (2006), die in einer Stichprobe von 164 11- bis 18-Jährigen eine Verbindung von Depression und den Strategien Verleugnung und Vermeidung fanden. Ähnlich dazu zeigte sich in der Untersuchung von Silk et al. (2003) eine Korrelation zwischen Depression und Vermeidung, Verleugnung und Rumination bei 152 12- bis 17-jährigen Jugendlichen. Speziell auf die Subskala „Gedankliche Weiterbeschäftigung“ bezogen, sind Studien zur Rumination relevant. Rumination, von Nolen-Hoeksema (1991, S. 596) als „Fokussieren auf die Symptome und möglichen Gründe und Konsequenzen der Symptome“ definiert, wird von der Subskala „Gedankliche Weiterbeschäftigung“ abgedeckt (Beispiel-Item: „...beschäftigen mich die ganze Zeit Sorgen und Gedanken über die Situation“). Eine jüngere Untersuchung von Rood et al. (2012) unterstreicht anhand einer über 800 10- bis 18-Jährigen umfassenden Stichprobe die Assoziation zwischen Rumination nach stressreichen Ereignissen und depressiven Symptomen. Auch Burwell und Shirk (2007) betonen den Zusammenhang von Rumination und Depression, weisen aber darauf hin, dass zwischen ungünstigem „Brüten“ und günstiger Selbstreflexion zu unterscheiden ist. Untersucht wurden 168 Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren. Die Befunde zur Rumination sollten auch im Hinblick auf die „Response Styles Theory“ (Nolen-Hoeksema, 1991) berücksichtigt werden. Diese besagt, dass Rumination zu depressiven Gefühlen bzw. zur Verlängerung von Depression beiträgt, da Ruminationstendenzen es wahrscheinlicher machen, dass die depressive Stimmung das Denken negativ beeinflusst und aktives instrumentelles Problemlöseverhalten unwahrscheinlicher macht. Nolen-Hoeksema, Morrow und Fredrickson (1993) bestätigten die Assoziation zwischen der Dauer der depressiven Symptomatik und der Anwendung von Rumination anhand einer Stichprobe von 79 jungen Erwachsenen. Ebenso unterstützt die Studie von Hilt, McLaughlin und Nolen-Hoeksema (2010) die Response Styles Theory. Die Autoren fanden eine Zunahme von depressiven Symptomen unter Anwendung von vermehrter Rumination, wobei die Stichprobe 772 6.- bis 8.-Klässler umfasste. Die vorliegende Studie ist konsistent mit solchen Befunden zur Unterstützung der Response Styles Theory und zeigt die Assoziation zwischen Depression und Rumination. Darüber hinaus fand sich auch ein signifikanter Zusammenhang des akuten Ausmaßes der depressiven Symptome (DIKJWerte) und der Rumination (Korrelation: r = .336, p < .001). Zusammenfassend, hinsichtlich fast aller Bewältigungskategorien, lässt sich festhalten, dass die depressiven Studienteilnehmerinnen dazu tendieren die stressfördernden Strategien vermehrt und 107 5 Diskussion die stressminimierenden Strategien seltener anzuwenden als die gesunden Probandinnen. Dies konnte jedoch, wie oben schon erwähnt, für die Skalen „Suche nach sozialer Unterstützung“, „Vermeidende Bewältigung“ und „Konstruktiv-palliative Emotionsregulation“ nicht auf signifikantem Niveau nachgewiesen werden. Trotzdem findet sich auf der Subskala „Suche nach sozialer Unterstützung“ ein leicht niedrigerer Wert und bei der „Vermeidenden Bewältigung“ ein leicht höherer Wert bei der depressiven Gruppe als in der Kontrollgruppe. Diese Werte tendieren somit in Richtung der Hypothese. Berechnet man die Korrelationen dieser beiden Subskalen mit den Depressivitätswerten des DIKJ, ergeben sich hypothesenkonforme Ergebnisse dahingehend, dass die Suche nach sozialer Unterstützung signifikant negativ mit den Depressionswerten korreliert (r = .-27, p < .001) und die Vermeidende Bewältigung signifikant positiv mit der depressiven Symptomatik korreliert (r = .37, p < .001). Auf der Subskala „Konstruktiv-palliative Emotionsregulation“ erlangen die depressiven Studienteilnehmerinnen leicht höhere Werte als die Teilstichprobe der gesunden Gruppe. Dies erscheint auf den ersten Blick entgegen der Erwartung, da der Name der Subskala auf eine stressverringernde Bewältigungskategorie schließen lässt. Bei eingehenderer Betrachtung finden sich inhaltlich jedoch große Ähnlichkeiten zur vermeidenden Bewältigung (Beispiel-Item: „...dann mache ich es mir erst mal richtig bequem“). Möglicherweise spiegelt die Subskala „Konstruktiv-palliative Emotionsregulation“ also eine passive Bewältigungsform wider, die entgegen der günstigen problemorientierten Handlungsweise steht. Die Korrelation mit den Depressionswerten spricht dafür (r = .18, p = .03). Die größten Korrelationen mit dem Ausmaß der Depressivität zeigen sich, wie erwartet, mit der Destruktivärgerbezogenen Bewältigung (r = .46, p < .001) und im negativen Zusammenhang mit der Problemorientierten Bewältigung (r = -.47, p < .001). Einschränkend ist anzumerken, dass die querschnittliche Untersuchung keine Aussage zur Wirkungsrichtung machen kann und dies nur mit der Längsschnittanalyse möglich ist. Deren Ergebnisse werden im Kapitel 5.2 ausführlich diskutiert. Als zusätzlicher Kritikpunkt müssen die teilweise geringen Effektstärken genannt werden. Bei den auf dem 5%-igen α-Fehlerniveau signifikanten Mittelwertsunterschieden auf den Subskalen „Bagatellisierung“ und „Soziales Unterstützungsbedürfnis“ findet sich jeweils ein partielles EtaQuadrat, welches laut Cohen (1988) auf einen kleinen Effekt hindeutet (unter .06). Alles in allem legen die Ergebnisse zu den Gruppenunterschieden in den Bewältigungsstrategien nahe, dass die stressvermehrenden Strategien die depressive Störung mit bedingen und durch die depressiven Symptome eher aufrecht erhalten werden. Ebenso trägt die verringerte Anwendung der günstigen Bewältigungsstrategien dazu bei, dass die Stressoren in der Umgebung der depressiven Mädchen und Jugendlichen nicht weniger Stress verursachen bzw. nicht durch günstige 108 5 Diskussion Verhaltensweisen ausgeräumt werden können. 5.1.5 Die Cortisolaufwachreaktion (CAR) Bei Betrachtung des Cortisolverlaufs am Morgen, unterteilt nach Depressions- und Kontrollgruppe, wurde, gemäß der Hypothese 3 a), ein Wechselwirkungseffekt deutlich. Die Cortisolsekretion nach dem Aufwachen war stärker ausgeprägt bei vorhandener Major Depression als in der gesunden Gruppe und sank langsamer wieder ab. Zum Messzeitpunkt des Erwachens und 30 Minuten später war noch kein signifikanter Unterschied vorhanden, jedoch zum Zeitpunkt 45 und 60 Minuten nach dem Aufwachen waren die Cortisolwerte der depressiven Gruppe deutlich über denen der gesunden Gruppe. In verschiedenen empirischen Untersuchungen zeigte sich schon häufig eine höhere CAR im Zusammenhang mit Depression bei Kindern und Jugendlichen (Guerry & Hastings, 2011). Da bisherige Studien jedoch entweder Tagesprofile des Cortisols untersuchten (z. B. Van den Berg & Van Calster, 2009) oder Cortisolreaktionen auf Stress (z. B. Hankin et al., 2010), ist diese Studie die erste, die die CAR von depressiven mit der von gesunden Kindern und Jugendlichen vergleicht. Zwar existieren Untersuchungen zum Zusammenhang von CAR und Depression für diese Altersgruppe, jedoch ausschließlich in Bezug auf Probanden, welche keine akute Depression, sondern ein erhöhtes Depressionsrisiko aufweisen. Von daher liefern die Ergebnisse der vorliegenden Studie zur CAR neue Hinweise auf Hypercortisolismus bei Major Depression im Kindes und Jugendalter. Als mögliche Ursache für diesen Befund kommt beispielsweise in Frage, dass die negative Feedback-Schleife zur Regulation der HHN-Achse nicht mehr funktioniert aufgrund einer veränderten Affinität des Mineralocortikoid- und Glukocortikoidrezeptors für Cortisol (De Kloet, 2003). Biologische Studien deuten darauf hin, dass bei Depression die Aktivität des Mineralocortikoidrezeptor-Systems erhöht ist und die des Glukocortikoidrezeptor-Systems vermindert, was wiederum Einfluss auf das serotonerge System hat (Young, Lopez, MurphyWeinberg, Watson & Akil, 2003). Des Weiteren ist hinsichtlich der CAR die genetische Komponente zu beachten. Eine hohe CAR kann teilweise das genetisch determinierte Vorliegen eines biologischen Risikofaktors für Major Depression widerspiegeln (Wüst et al., 2000). Daneben kommt als Erklärung auch in Frage, dass chronischer Stress und ungenügende Bewältigungsfertigkeiten sowohl die HHNA-Hyperaktivität als auch die klinische Depression verursachen (Schulz et al., 1998). Allerdings hatte der Stresslevel in der gegenwärtigen Studie keinen Einfluss auf das Ausmaß der CAR. Wenn die physischen und psychologischen Stresslevel als Kovariaten in die statistische Analyse mit aufgenommen wurden, veränderte sich die Signifikanz 109 5 Diskussion der Gruppenunterschiede nicht. Als kritische Anmerkung muss die relativ kleine Effektgröße genannt werden. Das partielle EtaQuadrat kann mit .06 gerade so auf der Schwelle von einem kleinen zu einem mittleren Effekt angesehen werden. Ein weiterer zu diskutierender Punkt ist der potentielle Einfluss von Angststörungen auf das Morgencortisollevel. Wie in der Stichprobenbeschreibung erwähnt, leiden insgesamt 13 (20,6%) der 63 hinsichtlich der CAR untersuchten depressiven Teilnehmerinnen zusätzlich an einer Angststörung. Eine Übersichtsarbeit von Chida und Steptoe (2009) besagt, dass Angststörungen nicht mit der CAR assoziiert sind. Um eine solche Assoziation auch für die gegenwärtige Stichprobe ausschließen zu können, wurde zum einen der Anstiegswert und zum anderen das Maximum der CAR getrennt nach Gruppen (depressiv mit Angststörung und depressiv ohne Angststörung) überprüft. Der t-Test zeigte in beiden Fällen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen (Anstieg: t = .92, p = .362; Maximalwert: t = .96, p = .339). Schließlich sollten noch zwei weitere Faktoren genannt werden, welche in vorherigen Studien als potentiell die CAR beeinflussende Variablen berücksichtigt wurden. Bei dem einen Faktor handelt es sich um die Schlafdauer. Diesbezüglich zeigte sich konsistent in bisherigen empirischen Studien keine Assoziation mit der CAR (Federenko et al., 2004; Kudielka & Wüst, 2008). Von daher wurde in der vorliegenden Untersuchung keine Notwendigkeit gesehen die Schlafdauer in den Nächten vor den Messungen der CAR zu erfassen. Ein weiterer potentiell Einfluss nehmender Faktor ist die Qualität des Schlafes. Insgesamt haben bisher wenige Studien den Zusammenhang der Schlafqualität mit der CAR untersucht. Die vorhandenen Untersuchungen jedoch fanden einheitlich eine Verbindung zwischen niedriger Schlafqualität und verminderter CAR (Schweisthal, 2007). Im Rahmen des strukturierten Interviews der gegenwärtigen Studie, berichteten die depressiven Teilnehmerinnen in vielen Fällen von einer sehr schlechten Schlafqualität. Im Hinblick auf die Befunde, die klar eine niedriger ausfallende CAR bei schlechter Schlafqualität fanden, ist es in der vorliegenden Studie möglich, dass die CAR in der Gruppe der depressiven Probandinnen verzerrt ist in Richtung einer weniger starken Ausprägung. Dies würde eine Unterschätzung der Unterschiede zwischen den Gruppen verursacht haben können. Möglicherweise ist, wenn die Schlafqualität als Kovariate mit einberechnet werden würde, die CAR der Depressions-Gruppe noch stärker verschieden von der CAR der Kontrollgruppe. Alles in allem unterstützen die Ergebnisse die Vermutung, dass die Cortisol-Dysregulation ein hoch relevanter Faktor für das Störungsbild der Major Depression ist. Diese Studie liefert Evidenz für eine erhöhte HHNA-Aktivität bei 10- bis 18-jährigen weiblichen Probandinnen, die an einer klinischen Major Depression leiden im Vergleich zu gesunden Teilnehmerinnen. 110 5 Diskussion 5.1.6 Die Cortisolreaktion nach psychosozialem Stress Entgegen der Hypothese 3 b) konnte nicht bestätigt werden, dass die depressive Gruppe stärker auf den Stresstest TSST-K reagiert als die gesunde Gruppe. Allerdings muss dieser nicht signifikante Befund nicht notwendigerweise auf einen grundsätzlich fehlenden Interaktionseffekt zurückgeführt werden, denn überraschenderweise fand sich sogar keine inhaltlich oder statistisch bedeutsame Cortisolsekretion als Reaktion auf den TSST-K. Zwar fand ein Anstieg statt, dieser ist jedoch mit ca. 0,4 nmol/l vernachlässigenswert gering, da von einem solchen Cortisolanstieg kein weiterer Einfluss auf körperliche oder psychische Bedingungen zu erwarten ist. Aufgrund des weitestgehend ausgebliebenen Effektes, stellt sich die Frage nach den Ursachen, da generell der TSST-K als zuverlässiges Instrument zur Generierung eines Cortisolanstiegs gilt (Buske-Kirschbaum et al., 1997). Wichtig für eine effektive Auslösung der stressbedingten Cortisolsekretion sind besonders zwei Komponenten. Zum einen muss eine Situation als unkontrollierbar erscheinen und zum anderen muss das soziale Selbst z. B. durch Beobachtung und Bewertung bedroht sein. Dies gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche (Dickerson & Kemeny, 2004; Gunnar et al., 2009). Die höchste Cortisolreaktion, in Bezug auf den Anstieg und die Dauer bis zur Normalisierung des Hormonlevels, erreichen Stresstests mit öffentlichem Sprechen und kognitiven Aufgaben unter Beobachtung. Dies ist bei dem Trier Sozial Stress-Test für Kinder (TSST-K) in standardisierter Form gegeben. Als eine mögliche Ursache für dessen Ineffektivität bei der vorliegenden Stichprobe kann das Augenmerk auf die Unkontrollierbarkeit gerichtet werden. Diese kann zum Teil in Frage gestellt werden, dadurch, dass eine der beiden Versuchsleiterinnen, welche als Gremium bzw. Jury fungierten, auch vor der Durchführung des TSST-K's schon persönlichen Kontakt mit den Studienteilnehmerinnen hatte. Normalerweise sollten die Gremiumsmitglieder den Probandinnen vollkommen unbekannt sein, damit deren Fremdheit dazu beitragen kann, dass die Situation des TSST-K's für die Teilnehmerinnen als schwierig einschätzbar empfunden wird. Da aber aus organisatorischen Gründen ein Gremiumsmitglied schon die Versuchseinweisung inklusive Fragebogenausgabe und Speichelsammlung mit den Studienteilnehmerinnen durchführte, war zumindest diese Versuchsleiterin schon bekannt. Des Weiteren bestand das Gremium aus zwei weiblichen Mitgliedern anstatt aus einem weiblichen und einem männlichen Mitglied. Ein männliches Mitglied hätte möglicherweise noch einen weiteren verunsichernden Effekt auf die durchweg weiblichen Probandinnen gehabt. Auch dies konnte aus organisatorischen Gründen nicht umgesetzt werden, da im Rahmen dieses Forschungsprojektes ausschließlich weibliche Mitarbeiterinnen beschäftigt waren. Als weitere potentielle Erklärung für das Ausbleiben des Cortisolanstiegs muss auch erwähnt werden, dass vonseiten der Mütter berichtet wurde, dass die Studienteilnehmerinnen sich gegenseitig über die im TSST-K zu bewältigenden Aufgaben 111 5 Diskussion informiert haben (innerhalb der Schulen und via Sms und Facebook). So wurde angeblich auch des öfteren die Rechenaufgabe im Vorfeld geübt. Folglich scheint dieser Austausch unter einigen Teilnehmerinnen stattgefunden zu haben, trotz vorheriger Bitte sich nicht über die Aufgaben des Stresstests auszutauschen. Bei Probandinnen, welche genau über die Aufgaben Bescheid wussten, muss davon ausgegangen werden, dass die Situation für sie sehr viel weniger unkontrollierbar und stressig war, was zu einer geringeren oder ausbleibenden Cortisolreaktion beigetragen haben kann. Weiterhin kommt als Grund in Frage, dass heutzutage die Jugendlichen im schulischen Kontext häufig Referate halten müssen und somit möglicherweise daran gewöhnt sind vor anderen Personen zu sprechen. Zusätzlich muss noch darauf hingewiesen werden, dass es sein kann, dass die Komponente der Bedrohung des sozialen Selbst nur eingeschränkt vorhanden gewesen sein könnte, aufgrund des geringen Altersunterschiedes zwischen den Studienteilnehmerinnen und Versuchsleiterinnen. Theoretisch könnte die Beobachtung und angekündigte Evaluation der Aufgabenausführung weniger bedrohlich gewesen sein, da die Studienteilnehmerinnen vorwiegend im mittleren bis älteren Jugendalter und die Versuchsleiterinnen Anfang bis Mitte 20 waren. Aus den psychologischen Reaktionen und expliziten Rückmeldungen, welche auch schon in einer kleinen Pilotstudie (n = 5) erhoben wurden, war nicht abzusehen, dass die Probandinnen so wenig mit einer Stresshormonreaktion reagieren würden. Auch in der Hauptstudie zeigte der Manipulationscheck eine psychologische Erregung, wobei die depressiven Teilnehmerinnen mit einem Mittelwert von 20,2 ± 6,6, wie erwartet, den Stresstest als belastender empfanden als die gesunden Teilnehmerinnen mit einem Wert von 16,2 ± 5,6 (t-Test: t146 = -4, p < .001, eta = .10). Allerdings ist davon auszugehen, dass die psychologische Erregung, wenn sie vor oder nach Durchführung des TSST's erhoben wird, wenig oder gar nicht mit der physiologischen Cortisolreaktion zusammenhängt. Hellhammer und Schubert (2012) fanden keine Korrelation zwischen Cortisolsekretion und der psychologischen Erregung vor oder nach dem TSST, sondern nur, wenn die psychologische Erregung während des Stresstests erhoben wurde. In der vorliegenden Studie wurde der psychologische Manipulationscheck jedoch nach Beendigung des TSST's angewendet. Ebenso berichten Dickerson und Kemeny (2004) von einer fehlenden Assoziation zwischen psychologischem Stress und Cortisolreaktion nach Stressoren. Als weitere Ursache der im Durchschnitt ausgebliebenen biologischen Reaktion, wurde in Betracht gezogen, dass eine verminderte oder negative Cortisolreaktion bei jüngeren Probandinnen die Ergebnisse verfälscht haben könnte. Hinweise auf eine solche Möglichkeit liefern Hankin et al. (2010), die die Cortisolsekretion nach Stress von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Depressionsrisiko untersuchten. Die jüngere Altersgruppe mit hohem Depressionsrisiko und einem Durchschnittsalter von 8,7 Jahren zeigte Hypocortisolismus nach Stress und die leicht älteren 112 5 Diskussion Kinder mit einem Durchschnittsalter von 11,7 Jahren keine Cortisolreaktion. Bei vorhandenem Depressionsrisiko fand sich nur in der Gruppe der durchschnittlich 14,3-Jährigen ein Hypercortisolismus. Die Forschergruppe um Hankin führt diese durch das Alter beeinflusste Unterschiede auf Geschlechtshormone im Zusammenhang mit der pubertären Reife zurück. Um den Einfluss der pubertären Reife als potentiellen Grund für die weitgehend fehlende Cortisolreaktion in der vorliegenden Studie zu überprüfen, wurde ein 2x3 Chi-Quadrat-Test berechnet: Pubertätsstatus (Tanner-Stadium I und II und Stadium III-V) x Cortisolreaktion (Cortisolabfall, gleich bleibend und Anstieg). Da die beobachtete Häufigkeit fast exakt den erwarteten Häufigkeiten in den Zellen entsprach (Χ² = .035, p = .98), wurde die Hypothese, dass Kinder mit einem niedrigen Pubertätsstatus keine Cortisolreaktion oder Hypocortisolismus zeigten und somit für den ausgebliebenen Effekt der Cortisolreaktion verantwortlich seien, verworfen. Festzuhalten bleibt, dass in der gegenwärtigen Stichprobe keine stärkere Cortisolreaktion auf psychosozialen Stress bei depressiven Kindern und Jugendlichen gefunden wurde im Vergleich zu gesunden Teilnehmerinnen. Allerdings fand sich generell kein Effekt des TSST-K's, so dass offen bleibt, ob sich die beiden Gruppen voneinander unterschieden hätten, falls der TSST-K ausreichend biologischen Stress verursacht hätte. Auch wenn die Gründe für den fehlenden biologischen Stresseffekt nicht eindeutig bestimmt werden können, kommen sicherlich teilweise, die oben genannten Punkte als Ursachen in Frage. 5.1.7 Verknüpfung von Stresssymptomatik und HHNA-Aktivität Es konnte keine Assoziation zwischen physischen oder psychischen Stresssymptomen und der HHNA-Aktivität, wie sie anhand der CAR gemessen wurde, gefunden werden. Somit wurde die Hypothese 4, welche diesen Zusammenhang für die depressive Gruppe postuliert, nicht bestätigt. In der bisherigen Literatur sind die Ergebnisse zur Assoziation von psychischer Stresssymptomatik und der Höhe der CAR teilweise inkonsistent. Die Studie von Prüssner et al. (2003) beispielsweise wies bei Männern zwischen 18 und 35 Jahren eine statistisch signifikante positive Verbindung zwischen subjektiven psychischen Stressgefühlen und der CAR nach. Im Gegensatz dazu fanden z. B. Mannie et al. (2007) keine signifikante Assoziation zwischen wahrgenommenem Stress und der Ausprägung der CAR bei 17- bis 21-Jährigen beiderlei Geschlechts. Die Befunde der gegenwärtigen Untersuchung sprechen auf den ersten Blick für eine fehlende Assoziation zwischen der physischen und psychischen Stresssymptomatik mit der CAR, zumindest für weibliche Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren. Die Teststärke zum Auffinden eines mittleren Effektes ist bei 113 5 Diskussion den 65 Personen, für welche die entsprechenden Fragebogen- und Cortisolwerte vorlagen, mit einem Wert von .87 als ausreichend hoch zu bewerten. Allerdings muss auch in Betracht gezogen werden, dass eine potentiell vorhandene Assoziation zwischen der Stresssymptomatik und der CAR aufgrund der Beschaffenheit der Stress-Skalen nicht gefunden wurde. Die Skalen „Physische“ und „Psychische Stresssymptomatik“ beziehen sich nämlich nur auf die Häufigkeit der entsprechenden Symptome für den Zeitraum der „vergangenen Woche“. Damit sind die Skalen als besonders veränderungssensitiv anzusehen, weisen somit jedoch auch eine hohe intraindividuelle Variabilität auf. Wenn dadurch eher kurzzeitige Stimmungen und emotionale Befindlichkeiten erfasst werden, ist es denkbar, dass diese in geringem Zusammenhang mit den biologischen Veränderungen stehen. Ein Einfluss auf die Aktivität der HHN-Achse ist eher von einem längerfristigen Zustand des Stresserlebens bzw. der Stresssymptomatik zu erwarten. Im Hinblick auf die psychischen Stresssymptome wurden in der gegenwärtigen Studie keine weiteren Daten gesammelt. Die Assoziation zwischen physischen Symptomen, die auch teilweise Stresserleben wiedergeben, kann zusätzlich mit dem GBB-KJ überprüft werden. Bei einer Berechnung der linearen Regression zeigt sich keine signifikante Vorhersagekraft der körperlichen Symptome für die CAR (F 1,63 = .13, p = . 718). Wichtig anzumerken ist, dass der GBB-KJ nicht ganz vergleichbar mit der Subskala zur physischen Stresssymptomatik ist, da diese sich auf Stresssymptome fokussiert und der GBB-KJ sehr breitbandig körperliche Beschwerden abfragt. Hinzu kommt, dass auch der GBB-KJ nicht explizit einen längeren Zeitraum erfasst, sondern die Formulierung lautet „wie oft hast Du die Beschwerden“. Dies lässt es für die befragten Personen offen, auf welchen Zeitraum sie sich beziehen. Alles in allem kann festgehalten werden, dass in der vorliegenden Stichprobe kein Hinweis auf einen signifikanten Zusammenhang zwischen physischen und psychischen Stresssymptomen mit der Höhe der CAR zu finden war. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die jeweiligen Skalen zur Symptomatik nicht in der Lage waren einen längerfristigen Zustand der Stresssymptomatik abzubilden, der durch seine Kontinuität einen Einfluss auf die Aktivität der HHNA hätte haben können. 5.1.8 Gesamtdiskussion der Querschnittsergebnisse Die querschnittliche Untersuchung liefert eine umfangreiche Charakterisierung der depressiven im Vergleich zur den nicht depressiven Mädchen und Jugendlichen. Die depressiven Teilnehmerinnen sind gekennzeichnet durch stärkere psychische und physische Stresssymptome, eine höhere 114 5 Diskussion Stressvulnerabilität, mehr körperliche Beschwerden, vermehrte Problembelastung und eine höheren Cortisolaufwachreaktion, was auf eine generell aktivere HHN-Achse hindeutet. Wichtige Unterschiede zeigen sich auch bezüglich der meisten Stressbewältigungsstrategien, da depressive Probandinnen häufiger stressfördernde Strategien und seltener stressminimierende Formen der Stressbewältigung anwenden als Probandinnen der Kontrollgruppe. Aufgrund dieser durch die vorliegenden Daten untermauerten Zusammenhänge der einzelnen Stressbewältgungsstrategien mit Depression, wird die Relevanz des Umgangs mit Stress in den Mittelpunkt gerückt. Damit sollte in Präventions- und Therapieprogrammen z. B. verstärkt ein Fokus auf Psychoedukation über die Auswirkung des Bewältigungsverhaltens und auf Trainings zum strategisch günstigen Umgang mit Stress liegen. Dabei ist es auch wichtig, die Form der Bewältigung auf die jeweilige Situation anzupassen. Beispielsweise wäre es sinnvoll handlungsorientierte (problemfokussierte) Bewältigung zu trainieren. Dennoch sollte dies nicht uneingeschränkt befürwortet werden, sondern nur für Situationen, welche kontrollierbare Stressoren beinhalten und somit eine tatsächliche Veränderung der stressreichen Situation erreicht werden kann. Ansonsten wäre beispielsweise eine gesunde Form der Ablenkung effektiver (Clarke, 2006). Eine Begrenzung der Studie bezieht sich auf die Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Zum einen schließt die recht homogene Stichprobe beispielsweise konfundierende Geschlechtseffekte aus, in etwa im Hinblick auf die Stresshormonsekretion, doch können keine Aussagen geschlechtsübergreifend oder altersübergreifend getroffen werden. Die Generalisierbarkeit bleibt auf weibliche Personen im späten Kindes- bis späten Jugendalter beschränkt. Weiterhin ist kritisch, dass einige der statistisch signifikanten Gruppenunterschiede nur kleine Effekte aufweisen. Neben den mittleren bis großen Effekten in der Problembelastung, Stressvulnerabilität, körperlichen Symptombelastung und einigen Subskalen der Stressbewältigungsstrategien, zeigen sich auf den Bewältigungsskalen „Bagatellisierung“ und „Soziales Unterstützungsbedürfnis“ nur kleine Effekte. Gerade so als mittelgroß zu bewerten sind die Effekte des Mittelwertvergleichs der Subskala „Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung“ und des Cortisolverlaufs der CAR. Eine wesentliche Einschränkung für die Interpretation der berichteten Daten liegt darin, dass es sich um einen Gruppenvergleich im Querschnitt handelt, der keine Aussagen zur Wirkungsrichtung der gemessenen Variablen ermöglicht. Um Ursachen und Konsequenzen klarer voneinander abgrenzen zu können, ist eine längsschnittliche Betrachtung der psychologischen und biologische Variablen notwendig. Diesbezügliche Ergebnisse werden im nachfolgenden Kapitel 5.2 diskutiert. 115 5 Diskussion 5.2 Diskussion der längsschnittlichen Ergebnisse 5.2.1 Vorhersage der Bewältigung und Stressbelastung Sechs Monate nach dem ersten Erhebungszeitpunkt der psychologischen und biologischen Variablen, wurden ebendiese Variablen erneut erhoben. Für die Stressbelastung und Stressbewältigungsstrategien der depressiven Gruppe wurde postuliert, dass Unterschiede in Art und Ausprägung zum ersten Messzeitpunkt diesbezügliche Unterschiede zum zweiten Messzeitpunkt vorhersagen (Hypothese 5 a). Diese Zusammenhänge konnten mit linearen Regressionsanalysen als hoch signifikant bestätigt werden (alle p < .001). Die erklärte Varianz R² betrug für die physische und psychische Stresssymptomatik und die Bewältigungsskalen zwischen .264 und .509 (Durchschnitt .408). Den Wert von R² = .509 erreichte die destruktivärgerbezogene Bewältigung und zeigte sich somit als stabilste Art der Bewältigung. Der Zusammenhang der verschiedenen Stressbewältigungsstrategien und der Stresssymptomatik wurde ebenfalls untersucht. Mehrere getestete Modelle der multiplen Regression fanden hauptsächlich positive Assoziationen zwischen verschiedenen günstigen Bewältigungsstrategien untereinander und ungünstigen Strategien untereinander. Ebenso zeigten sich negative Assoziationen zwischen stressvermehrenden und stressreduzierenden Strategien. So wird z. B. die Suche nach sozialer Unterstützung positiv von der Problemlösenden Bewältigung und die Problemorientierte Bewältigung negativ von der Destruktiv-ärgerbezogenen Bewältigung vorhergesagt. Des Weiteren offenbaren die multiplen Regressionsmodelle signifikante Zusammenhänge zwischen physischen bzw. psychischen Stresssymptomen mit stressvermehrenden Bewältigungsstrategien und negative Assoziationen mit stressvermindernden Bewältigungsstrategien. Beispielsweise ist die psychische Stresssymptomatik positiv mit der Destruktiv-ärgerbezogenen Bewältigung und die physische Stresssymptomatik negativ mit der Suche nach sozialer Unterstützung assoziiert. Bisherige Forschungsarbeiten sind übereinstimmend mit den in dieser Studie gefundenen Zusammenhängen. Zum Beispiel legen Nicolotti, El-Sheikh, und Whitson (2003) positive Verbindungen zwischen physischen Beschwerden und ungünstiger Bewältigung und negative Assoziationen zwischen physischen Beschwerden und günstigen Bewältigungsstrategien dar. Die Studie der Forschergruppe um Nicolotti umfasste 89 Kinder zwischen 8 und 11 Jahren. Neben der Bestätigung von den zu erwartenden Zusammenhängen, fanden sich zusätzlich auch überraschende Ergebnisse. Die Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung wird negativ von der physischen Stresssymptomatik vorhergesagt (umgekehrt ist dies nicht der Fall). Dies bedeutet, dass 116 5 Diskussion bei weniger starken physischen Stresssymptomen zum Zeitpunkt 1 nachfolgend 6 Monate später zum Zeitpunkt 2, eher die Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung eingesetzt wird. Auf vergleichbare Weise unvermutet ist die positive Vorhersage der Suche nach sozialer Unterstützung durch die Negative Stressverarbeitung. Aufgrund der sehr geringen Beta-Werte (-.28 und .22), sollten diese Ergebnisse jedoch nicht überbewertet werden, da die inhaltliche Bedeutsamkeit dieser Zusammenhänge als sehr gering eingeschätzt werden kann. Leicht höhere Beta-Werte weisen die auf den ersten Blick widersprüchlichen Befunde hinsichtlich der Vorhersagekraft der Vermeidenden Bewältigung für die Emotionsregulierende Bewältigung und die Konstruktiv-palliative Emotionsregulation auf (.43 und .36). Die Vermeidende Bewältigung wird als ungünstige Stressbewältigungsstrategie bewertet (Agoston & Rudolph, 2011), wohingegen die Emotionsregulierende und die Konstruktiv-palliative Bewältigung als stressvermindernde Strategien gelten. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass die Items dieser beiden Bewältigungskategorien einige Items enthalten, die sehr passiv formuliert sind und als „vermeidend“ angesehen werden könnten. Beispielsweise „...denke ich mir: So wichtig ist das doch gar nicht“ innerhalb der Skala der Emotionsregulierenden Bewältigung oder „...dann ruhe ich mich aus“ bei der Erfassung der Konstruktiv-palliativen Bewältigung. Von daher erscheint die Vorhersage dieser beiden Strategiengruppen durch die Vermeidende Bewältigung nicht abwegig. Im Großen und Ganzen konnte die Hypothese 5 a) bestätigt werden, dass die Stressbelastung und die Art der Bewältigungsstrategien über den Zeitraum von 6 Monaten stabil bleiben. Weiterführend wurden auch Zusammenhänge innerhalb verschiedener stressfördernder und innerhalb stressverringernder Bewältigungsstrategien untermauert, ebenso wie deren Zusammenhänge mit physischen und psychischen Stresssymptomen. Solche Ergebnisse lassen z. B. die Vermutung zu, dass ungünstige Strategien andere stresserhöhende Strategien nach sich ziehen, da durch das Bestehenbleiben der Stressoren der Leidensdruck eher verstärkt als verringert wird und eine gesunde Art der Bewältigung erschwert wird, möglicherweise auch durch auftretende Hilflosigkeitsgefühle. Außerdem zeigen die Befunde beispielsweise, dass eine ungesunde Form der Bewältigung, wie die Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung mit einer erhöhten psychischen Stresssymptomatik assoziiert ist. Dies erscheint als logische Verknüpfung, da ein solch aggressives Verhalten zu vermehrten Konflikten mit relevanten anderen Personen führen kann, was wiederum die psychische Belastung erhöht. Derartige Ergebnisse weisen darauf hin, wie wichtig es ist, Abwärtsspiralen, welche auf die negative Bewältigung hin folgen können, mit entsprechenden Präventions- oder Therapieprogrammen aufzuhalten, Depressionsproblematik. 117 vor allem im Bereich der 5 Diskussion 5.2.2 Vorhersage der depressiven Symptome durch psychologische Variablen Entsprechend der Hypothese 5 b) lässt sich das Ausmaß der depressiven Symptome zum zweiten Messzeitpunkt teilweise durch die Nutzung der Stressbewältigungsstrategien zum ersten Messzeitpunkt vorhersagen. Signifikante Prädiktoren sind die Suche nach sozialer Unterstützung (negative Assoziation) und die Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung (positive Assoziation). Außerdem hat die Anzahl der komorbiden Diagnosen einen signifikanten Einfluss auf den Ausprägungsgrad der Depressionssymptome. Derartige Zusammenhänge zwischen aktiven Strategien, welche das Problem direkt angehen, z. B. die Suche nach sozialer Unterstützung und verringerten Depressionssymptomen und zwischen ärgerbezogenen Strategien und vermehrten depressiven Symptomen sind in Übereinstimmung mit Befunden der bisherigen Forschung, wie in der Überblicksarbeit von Compas et al. (2001) dargelegt ist. Die Inanspruchnahme von sozialer Unterstützung ist in einigen Studien als Puffer gegen depressive Stimmung bestätigt worden. Nahestehende Personen, welche den Jugendlichen in stressreichen Phasen zuhören, Sicherheit vermitteln und Ratschläge geben können, sind eine wichtige Ressource, welche die Betroffenen unterstützt. Eine solch soziale Hilfestellung verringert die Wahrscheinlichkeit unter depressiven Symptomen zu leiden (Weber, Puskar & Ren, 2010). Die prädiktive Relevanz der komorbiden Diagnosen ist ebenfalls im Einklang mit vorherigen Forschungsarbeiten. Groen und Petermann (2005) z. B. belegten anhand der Daten der Bremer Jugendstudie mit 1035 Probanden zwischen 12 und 17 Jahren, dass das Fortbestehen der Depression signifikant von komorbiden Diagnosen vorhergesagt wurde. Bei zusätzlich komorbider Diagnose zeigte sich in 37,3% der Fälle nach 16 Monaten weiterhin eine Major Depression im Vergleich zu 7,7% bei den depressiven Studienteilnehmern ohne Komorbidität. Die meisten Längsschnittstudien zur Depression und deren Prädiktoren demonstrieren, dass der beste Prädiktor für Depression vorherige Depression ist (Cole et al., 2006). Dies ist deckungsgleich mit den vorliegenden Ergebnissen, die zeigen, dass die meiste Varianz bezüglich der Ausprägung der DIKJ-Werte zum zweiten Messzeitpunkt durch die Ausprägung der DIKJ-Werte zum ersten Erhebungszeitpunkt erklärt wird. Ein signifikanter Einfluss der Stressbelastung auf die Schwere der depressiven Symptome wurde nicht gefunden. Dies spricht dennoch nicht gegen das in Kapitel 1.7.4.2 vorgestellte „stressexposure model“, welches besagt, dass vorhandener Stress Depressionssymptome vorhersagt und das durch Studien empirisch untermauert wurde (z. B. Tram & Cole, 2000). Erlebter Stress ist nicht komplett gleich zu setzten mit physischer und psychischer Stresssymptomatik, wie sie mit den beiden Subskalen des SSKJ gemessen wurde, auch wenn Lohaus et al. (2004) zwischen 118 5 Diskussion Stresserleben und Stresssymptomen eine signifikante Korrelation fanden. Die Skalen des SSKJ messen körperliche und psychische Symptome, jedoch nicht vorhandene Stressoren und subjektiv empfundenen Stress, der im Sinne des „stress-exposure“-Modells depressive Symptome vorhersagt. Die Hypothese 5 b) bezüglich der Vorhersagekraft durch die Stresssymptomatik, wie sie mit der Subskala des SSKJ erfasst wurde, kann auch nicht umfassend verworfen werden, da im Rahmen der Depressionsvorhersage eine prädiktive Signifikanz der psychischen Stresssymptome auftritt, wie im Kapitel 5.2.3 beschrieben wird. Ausgehend von der Response Styles Theory (Nolen-Hoeksema, 1991), die auch schon in Kapitel 5.1.4 erläutert wurde, wäre es nahe liegend, wenn die Subskala „Gedankliche Weiterbeschäftigung“ des SVF-KJ die Schwere der depressiven Symptome vorhersagen würde. Die Studie von Hilt et al. (2010) ist eine von vielen, welche die Response Styles Theory untermauert. Die Autoren fanden bei 722 Jugendlichen der 6. bis 8. Klasse einen Anstieg der depressiven Symptome bei einem höheren Level an Rumination. Ähnliche Ergebnisse berichten auch Park, Goodyer und Teasdale (2004), die anhand einer Stichprobe von 134 12- bis 17-Jährigen ebenfalls einen Anstieg depressiver Beschwerden berichten, wenn zuvor Rumination induziert wurde. In keinem Modell der multiplen Regressionsanalysen zeigte sich eine Signifikanz hinsichtlich der gedanklichen Weiterbeschäftigung als Prädiktor für die Depressionsschwere. Eine Berechnung der linearen Regression mit dieser Subskala als unabhängige Variable und den DIKJ-Werten des zweiten Messzeitpunktes als abhängige Variable deutet jedoch darauf hin, dass diese Bewältigungsform, so wie sie mit der Skala des SVF-KJ erfasst wurde, einen kleinen Einfluss hat (p = .029), wenn auch nur mit einem geringen Effekt von R-Quadrat = .06. Als Fazit lässt sich festhalten, dass durch die Suche nach sozialer Unterstützung und die Destruktivärgerbezogene Bewältigung als signifikante Prädiktoren für das Ausmaß der Depressionssymptome die Hypothese 5 b) teilweise bestätigt wurde, auch wenn nicht alle gemessenen Bewältigungsformen einen prädiktiven Wert aufwiesen. 5.2.3 Vorhersage der Depressionsdiagnose durch psychologische Variablen Bei der Überprüfung der verschiedenen psychologischen Variablen im Hinblick auf das Fortbestehen der Depression, stellte sich bei der logistischen Regressionsanalyse ein Modell als besonders passend heraus. Innerhalb dieses Modells sind auf dem 5%-igen Signifikanzniveau die Psychische Stresssymptomatik und die Stressvulnerabilität von großer prädiktiver Bedeutung und 119 5 Diskussion auf dem 10%-igen Signifikanzniveau auch die Vermeidende Stressbewältigung. Diese Variablen haben von allen Variablen die größte Trennkraft bezüglich der Gruppenzugehörigkeit (depressiv vs. nicht mehr depressiv). Sie erlauben es am ehesten Aussagen darüber zu treffen, ob sechs Monate nach dem ersten Messzeitpunkt die Depression noch bzw. wieder vorhanden ist. Ähnliche Befunde, welche die Vulnerabilität für das Erleben von Stress als Risikofaktor belegen, liefern z. B. Hampel, Kümmel, Meier, Desman und Dickow (2005). In deren Stichprobe von 169 weiblichen und männlichen 10- bis 13-Jährigen erlebten die Mädchen mehr Stress, was im Längsschnitt auch im Zusammenhang mit Depressivität stand. Ebenfalls die prädiktive Signifikanz der Vermeidenden Bewältigung, wenn hier auch nur auf dem 10%-α-Fehlerniveau, ist im Einklang mit vorherigen Studien. Nummer und Seiffge-Krenke (2001) fanden, dass bei weiblichen Jugendlichen (n = 101) durch die vermeidende Bewältigung in der frühen und mittleren Jugend depressive Symptome in der späten Adoleszenz vorhergesagt wurden. Vermeidungsstrategien als signifikante Prädiktoren für depressive Symptome fanden in einer Längsschnittuntersuchung über drei Jahre auch Agoston und Rudolph (2011). Vor allem für die Mädchen der insgesamt 167 durchschnittlich 12,4-Jährigen zeigte sich dieser Zusammenhang. Die Bewältigungsstrategie „Suche nach sozialer Unterstützung“ hat weniger Einfluss auf den Fortbestand der Depressionsdiagnose als aufgrund der Ergebnisse zur Vorhersage der depressiven Symptome und aufgrund der bisherigen Literatur zu erwarten war. Mit einer Signifikanz von p = . 116 ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Suche nach sozialer Unterstützung zur Trennkraft der Gruppen beiträgt 88,4% und statistisch nicht mehr bedeutsam. Für die Vorhersage der Schwere der Depressionssymptome konnte bei der vorliegenden Stichprobe die Suche nach sozialer Unterstützung als signifikant nachgewiesen werden, für die dichotome Variable des Fortbestands scheint hingegen kaum ein Einfluss zu bestehen. Dies steht entgegen einiger Forschungsbefunde aus Längsschnittstudien, die den Einfluss der Suche nach sozialer Unterstützung auf die Aufrechterhaltung von Depression untersuchten. Beispielsweise fanden McLaughlin und NolenHoeksema (2012) bei 520 11- bis 14-jährigen Mädchen, dass die mangelnde Suche nach sozialer Unterstützung in Stresssituationen für das Fortbestehen der Depression verantwortlich ist. Als Schlussfolgerung der Ergebnisse der logistischen Regression lässt sich Folgendes zusammenfassen: Je höher die psychische Stresssymptomatik, die Stressvulnerabilität und die Verwendung von vermeidender Bewältigung zum Messzeitpunkt 1, desto wahrscheinlicher ist die Gruppenzugehörigkeit zur depressiven Gruppe zum Messzeitpunkt 2. 120 5 Diskussion 5.2.4 Die Vorhersage der Cortisolsekretion Die Ausprägung der CAR zum zweiten Erhebungszeitpunkt lässt sich durch die des ersten Erhebungszeitpunktes anhand der beiden Kennwerte des Cortisolmaximums und des Cortisolanstiegs vorhersagen (Hypothese 6 a). Die lineare Regression für den Maximalwert des Cortisols wurde mit p = .011 signifikant, wobei die Analyse für den Anstiegswert knapp nicht mehr auf dem 5%-igen α-Fehlerniveau signifikant wurde (p = .059). Da zum zweiten Messzeitpunkt aus finanziellen Gründen nur noch 17 (für den Maximalwert) bzw. 16 (für den Anstiegswert) der depressiven Teilnehmerinnen hinsichtlich der CAR untersucht werden konnten, und dennoch der signifikante Zusammenhang zwischen erstem und zweitem Messzeitpunkt gefunden wurde, wäre es zu erwarten, dass bei der vollständigen Erhebung der Stichprobe dieser Effekt noch stärker sichtbar geworden wäre. Das Ergebnis deutet darauf hin, dass die Veränderungen in Richtung einer verstärkten Aktivität der HHN-Achse längerfristig sind. Wie im Kapitel 1.8.1 beschrieben, kann dies schädigende physiologische Effekte haben. Eine solch höhere Aktivität könnte sich im Laufe der Jahre sogar noch steigern, da mit fortschreitender Reife der Jugendlichen eine größere CAR zu erwarten ist, wie Platje et al. (2013) an einer 310 Jugendliche umfassenden Stichprobe (Durchschnittsalter 15 Jahre) zeigten. Werte zur CAR erfassten die Autoren über zwei Jahre hinweg. 5.2.5 Vorhersage der Depression durch die Cortisolsekretion Bezogen auf die CAR zeigte sich keine Signifikanz als Prädiktor für das Ausmaß der depressiven Symptome wie sie mit dem DIKJ gemessen wurden und ebenfalls keine Signifikanz für das Fortbestehen der Depressionsdiagnose (Hypothese 6 b). Ausgehend von vergangenen empirischen Untersuchungen, ist dieses Ergebnis unerwartet. Einige Befunde sprechen für die Vorhersagekraft einer ausgeprägteren Cortisolsekretion für Depression. So fanden Halligan et al. (2007), dass ein erhöhter Cortisolwert am Morgen, der bei 13-Jährigen gemessen wurde, depressive Symptome mit 16 Jahren vorhersagte. Die Forschergruppe um Goodyer (2001) belegte Hypercortisolismus als Prädiktor für das Weiterbestehen einer Depression anhand einer Stichprobe von 78 8- bis 16jährigen Kindern und Jugendlichen. Warum die CAR in der gegenwärtigen Stichprobe nicht prädiktiv für das Ausmaß der Depressionssymptome oder das Fortbestehen der Depression war, ist unklar. Für die 10- bis 18-jährigen Mädchen und Jugendlichen scheint es keinen Zusammenhang zu geben zwischen der CAR zum ersten Messzeitpunkt und der Depression sechs Monate später. Möglicherweise hätte sich eine signifikante Vorhersage ergeben, wenn die Depression zu einem späteren Zeitpunkt erneut begutachtet worden wäre. In der Studie von Halligan et al (2007) lagen 121 5 Diskussion zwischen der Cortisolmessung und der Depressionsmessung 3 Jahre, bei Goodyer et al. (2001) waren es 36 bis 72 Wochen. Im Gegensatz dazu betrug das Zeitintervall in der vorliegenden Untersuchung lediglich 26 Wochen. Die Vorhersagekraft der Cortisolreaktion nach psychosozialem Stress konnte leider nicht beurteilt werden, aufgrund der schon oben beschriebenen größtenteils ausgebliebenen biologischen Reaktion nach Durchführung des TSST-K's. Zahlreiche Studien haben bisher die Verknüpfung von Depression und Hypercortisolismus nach dem TSST und TSST-K untersucht und eine signifikante Assoziation gefunden. Beispielsweise berichten Rao et al (2008) in ihrer Untersuchung mit 25 gesunden und 30 depressiven Jugendlichen (Durchschnittsalter 15 Jahre) eine signifikant stärkere und länger andauernde Cortisolsekretion als Reaktion auf den TSST-K bei den depressiven im Vergleich zu den nicht depressiven Probanden. Es wäre aufschlussreich gewesen, anhand der gegenwärtigen Studie, die Vorhersagekraft der Cortisolreaktion nach dem TSST-K für die Weiterentwicklung der depressiven Symptomatik beurteilen zu können. Wünschenswert für zukünftige Studien ist die Untersuchung einer erfolgreichen Cortisolreaktion nach einem Stresstest kombiniert mit einer längsschnittlich angelegten Untersuchung der Depression. 5.2.6 Gesamtdiskussion der Längsschnittergebnisse Im Rahmen der längsschnittlichen Untersuchung der depressiven Teilstichprobe wurde deutlich, dass die Ausprägung der Stressbelastung und die Art des Bewältigungsverhaltens zum zweiten Erhebungszeitpunkt durch diesbezügliche Unterschiede zum ersten Erhebungszeitpunkt vorhergesagt wurden. Außerdem zeigten sich über den Zeitraum von 6 Monaten bei der Stresssymptomatik und den Bewältigungsstrategien hauptsächlich positive Zusammenhänge von stressverringernden Strategien untereinander, stressvermehrenden Strategien untereinander und mit der Stressbelastung, und negativen Assoziationen zwischen günstigen und ungünstigen Strategien. Signifikante Prädiktoren für die Schwere der depressiven Symptome zum zweiten Messzeitpunkt waren die zum ersten Messzeitpunkt erhobene Suche nach sozialer Unterstützung (negative Assoziation), die destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung (positive Assoziation) und die Anzahl weiterer Diagnosen (positive Assoziation). Das Fortbestehen der Depressionsdiagnose zum zweiten Erhebungszeitpunkt wurde durch die psychische Stresssymptomatik, die Stressvulnerabilität und die vermeidende Form der Bewältigung zum ersten Erhebungszeitpunkt vorhergesagt. Unterschiede in der Cortisolsekretion der CAR zum Messzeitpunkt 1 sagten diesbezügliche Unterschiede zum Messzeitpunkt 2 voraus, jedoch weder das Ausmaß der depressiven Symptomatik noch den 122 5 Diskussion Fortbestand der Depression zum zweiten Erhebungszeitpunkt. Die Längsschnittuntersuchung kann nicht ohne Einschränkungen interpretiert werden. Ebenso wie im Hinblick auf die Querschnittsergebnisse muss auch hier auf die beschränkte Generalisierbarkeit hingewiesen werden. Die Homogenität der nur aus weiblichen Personen bestehenden Stichprobe hat jedoch den Vorteil, dass vor allem im Bereich der biologischen Untersuchungen weniger konfundierende Variablen erwartet werden können, z. B. aufgrund unterschiedlicher Geschlechtshormone. Erstrebenswert wären allerdings weiterführende Untersuchungen beiderlei Geschlechts, da für das Jugendalter, im Vergleich zum Erwachsenenalter, wenige Studien durchgeführt wurden, welche psychologische und biologische Variablen relativ umfangreich untersuchen. Angemerkt werden muss auch, dass relativ wenige Bewältigungsstrategien die Ausprägung der Depressionssymptome oder die Depressionsdiagnose vorhersagten, auch wenn die Befunde hinsichtlich der signifikanten Prädiktoren sehr aufschlussreich sind. Viele Studien untermauern Zusammenhänge zwischen verschiedenen Bewältigungsstrategien und depressiver Symptomatik (Compas et al., 2001), doch manche Studien fanden keine Vorhersage der Depression durch Bewältigungsverhalten. Die Forschergruppe um Wright (2010) z. B. konnte anhand einer Stichprobe von 270 8- bis 11-Jährigen keine Signifikanz der Vorhersage von Depression durch z. B. Problemlöseverhalten, Suche nach sozialer Unterstützung, Trivialisierung oder Ablenkung nachweisen. Vor dem Hintergrund dieser teilweise inkonsistenten Befunde hilft die gegenwärtige Studie mehr Klarheit zu schaffen, welche Bewältigungsstrategien von besonderer Bedeutung sind für den längerfristigen Verlauf der Depression, so dass sich Anhaltspunkte für Prävention und Intervention ergeben. Zu Bedenken gewesen ist hinsichtlich des TSST-K, dass zum zweiten Messzeitpunkt die Studienteilnehmerinnen schon wussten, was auf sie zu kommt, was die Unkontrollierbarkeit des Stresstests verringert. Letztendlich war dies nicht von Bedeutung, da der TSST-K generell nicht die erwünschte Cortisolreaktion hervorgerufen hat. Hätte dies jedoch funktioniert, hätte untersucht werden können, ob die nicht depressiven, im Sinne einer schnelleren Habituation, weniger stark auf die wiederholte Sressbelastung reagiert hätten als die depressiven Probandinnen. In weiteren Studien könnten solche Unterschiede in der Anpassung an stressreiche Situationen im Hinblick auf Unterschiede zwischen depressiven und gesunden Jugendlichen untersucht werden. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass nicht erhoben wurde, ob die Depression in der depressiven Gruppe zum zweiten Erhebungszeitpunkt immer noch bestand oder erneut aufgetreten ist. Allerdings ging es im Rahmen dieser Studie darum, festzustellen, ob die Belastung durch eine klinisch bedeutsame Major Depression zum Zeitpunkt 6 Monate später überhaupt noch eine Rolle 123 5 Diskussion spielt. Daher wurde auf eine Erfassung des zwischenzeitlichen psychischen Zustandes verzichtet. Dennoch könnten zukünftige Studien, welche auf den Verlauf der Depression fokussieren, zusätzlich erheben, ob es sich um dieselbe oder eine andere Episode handelt, wenn im Längsschnitt das Vorhandensein einer vorher bestandenen Depression gemessen wird. Zusätzlich könnte erfasst werden, wie lange die symptomfreie Zeit schon andauert bei ehemals Depressiven, die als genesen klassifiziert werden. Dadurch könnten Assoziationen zwischen dem Zeitraum, den die Betroffenen schon als gesundet gelten, mit Stress- und Problembelastung und Anwendung der Bewältigungsstrategien überprüft werden. 5.3 Gesamtdiskussion der Studie In diesem Abschnitt sollen weitere methodenkritische Punkte diskutiert werden, auf die noch nicht im Rahmen der Querschnitts- oder Längsschnittsdiskussion eingegangen wurde. Weiterhin werden auf der Basis der derzeitigen Ergebnisse Vorschläge für zukünftige Studien dargebracht. Ein potentiell kritischer Punkt der Studie ist die ausschließliche Erhebung der psychologischen Daten anhand des Selbstberichtes der Studienteilnehmerinnen. Es könnte eingewendet werden, dass die korrelativen Zusammenhänge dahingehend überschätzt werden, dass die depressiven Probandinnen durch eine negativere Affektivität ihre Umwelt als problembehafteter und Stresssymptome als häufiger bzw. stärker erleben. Allerdings ist für die vorliegenden Fragestellungen, vor allem hinsichtlich der Symptom- oder Problembelastung, diese subjektive Perspektive von zentraler Bedeutung. Zwar wäre es in Bezug auf die Bewältigungsstrategien hilfreich, zusätzlich noch Einschätzungen von Eltern, Gleichaltrigen oder Lehrern hinzuzuziehen, doch der Fokus sollte auf der Selbstwahrnehmung der betroffenen Personen liegen. Nichtsdestotrotz wäre es für zukünftige Studien sinnvoll, ergänzend zum Selbstbericht der Probanden, Informationen vonseiten nahestehender Personen mit einzubeziehen. Bewältigungsstrategien, welche im Kontakt mit Konflikten unter Gleichaltrigen oder in der Familie angewendet werden, könnten somit exakter erhoben werden. Weiterhin muss bedacht werden, dass die Antworten der Studienteilnehmerinnen verzerrt sein könnten z. B. aufgrund von Motiven der sozialen Erwünschtheit. Einer absichtlichen Verfälschung der Ergebnisse ist dadurch begegnet worden, dass die Teilnehmerinnen die Fragebögen in einem abgetrennten Raum alleine ausfüllten. Zusätzlich wurde darauf hin gewiesen, dass niemand ihre persönlichen Antworten unanonymisiert lesen würde, da für die Studie individuelle Ergebnisse nicht 124 5 Diskussion von Bedeutung seien. Die Dateneingabe erfolgte nach der vollständigen Datenerhebung anonym nur unter Kenntnis des Versuchspersonen-Codes. In Bezug auf Geschlechtshormone, die bei weiblichen Probandinnen zyklisch variieren, ist außerdem anzumerken, dass die Zyklusphase in dieser Studie nicht erfasst worden ist. Es wäre allerdings möglich, dass diese nicht nur auf die biologischen Variablen, sondern auch auf die psychologischen Variablen einen Einfluss haben könnte. Somit wäre es für weiterführende Studien sinnvoll, zeitgleich zu der Befragung der psychologischen Variablen, zu erheben, ob die Probandinnen sich in der follikulären, lutealen oder Ovulationsphase befinden, um dies dann als Kovariate in die Berechnungen mit einzubeziehen. Bezüglich der Auswahl der Stichprobe kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Selbstselektion die Repräsentativität der Stichprobe eingeschränkt hat. Es ist zu erwarten, dass vorwiegend besonders interessierte und motivierte Personen die Eigeninitiative aufbrachten sich für die Studie anzumelden. Theoretisch könnte es sein, dass dadurch tendenziell weniger stark depressive Probandinnen überrepräsentiert waren. Ausgehend von den Daten des Erstinterviews, in welchem standardisiert die Kriterien der klinischen Major Depression abgefragt wurden, kann angenommen werden, dass ebenso viele Teilnehmerinnen mit starken Depressionssymptomen wie mit mittelmäßig ausgeprägter Major Depression vertreten waren. Die strukturierte Anwendung des Kinder-DIPS stellte sicher, dass alle Probandinnen der depressiven Gruppe, laut Kriterien des DSMIV, eindeutig als unter einer Major Depression leidend eingestuft werden konnten. Im Hinblick auf die Stichprobe muss auch erwähnt werden, dass die Probandenanzahl mit 148 Teilnehmerinnen pro Gruppe relativ gering war. Vor allem für die längsschnittlichen Berechnungen, welche ausschließlich die depressiven Mädchen und Jugendlichen mit einbezogen, blieben, aufgrund von fehlenden Daten, oft nur 60 bis 70 Fälle, die in die statistischen Analysen eingehen konnten. In der vorliegenden Studie wurden komorbide Diagnosen erfasst und auch in verschiedene Berechnungen mit einbezogen. Dennoch wurde, auch aufgrund zu geringer Gruppengrößen, darauf verzichtet, konkrete Gruppenvergleiche zwischen depressiven Probandinnen mit bestimmten weiteren Störungsbildern durchzuführen. In der gegenwärtigen Stichprobe hatten z. B. sechs Personen zusätzlich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Es wäre interessant, in zukünftigen Studien beispielsweise depressive Personen mit PTBS mit depressiven Personen mit Generalisiertem Angstsyndrom zu vergleichen hinsichtlich des Depressionsverlaufs, der Problembelastung oder Stressbewältigungsstrategien. Alles in allem liefert die aktuelle Studie ausführliche Hinweise auf die Zusammenhänge von Risikofaktoren und Begleiterscheinungen der Depression. Wie im Theorieteil der vorliegenden 125 5 Diskussion Arbeit in dem Kapitel über die Risikofaktoren (Kapitel 1.7) schon ausführlich erläutert, ist die jugendliche Depression durch multiple Faktoren bedingt. Da in dieser Studie nur eine begrenzte Anzahl an Risikofaktoren untersucht werden konnte, wäre es wünschenswert, wenn zukünftige Studien darauf abzielen würden, ein umfangreicheres Bild der Risikofaktoren zu erfassen mit beispielsweise elterlicher Psychopathologie, Beziehungsprozessen Selbstkonzepten der Jugendlichen als zusätzlich erfasste Variablen. 126 in Familien oder 5 Diskussion 5.4 Fazit In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Studie abschließend zusammen gefasst und Schlussfolgerungen für Prävention und Intervention gezogen. Die aktuelle Studie verdeutlicht Unterschiede zwischen weiblichen 10- bis 18-Jährigen mit Major Depression und gleichaltrigen, gesunden Probandinnen im Hinblick auf ausgewählte psychologische und biologische Variablen. Weiterführend ermittelt die Untersuchung für die depressive Gruppe Risikofaktoren zur Aufrechterhaltung der Major Depression. Um diese längsschnittlichen Berechnungen durchführen zu können, wurden die psychologischen und biologischen Variablen 6 Monate nach der Ersterhebung erneut erhoben. Zusammengefasst ergeben sich aus den quer- und längsschnittlichen Daten folgende Ergebnisse: Die depressiven unterscheiden sich von den nicht depressiven Studienteilnehmerinnen in der psychischen und physischen Stressbelastung, der Stressvulnerabilität, körperlichen Beschwerdesymptomen, der Problembelastung, der Nutzung von Stressbewältigungsstrategien und der Cortisolausschüttung in der ersten Stunde nach dem Erwachen. Bezüglich der verschiedenen Belastungen und Beschwerden und der Cortisolausschüttung offenbarten sich signifikant höhere Werte bei den depressiven Probandinnen im Vergleich zu den gesunden Kontrollpersonen. Hinsichtlich der Stressbewältigungsstrategien zeigte sich eine deutlich häufigere Anwendung von ungünstigen, stressvermehrenden Strategien und eine seltenere Anwendung von günstigen, stressvermindernden Strategien bei der Major Depressions-Gruppe als bei den gesunden Probandinnen. Die längsschnittlichen Ergebnisse fanden hauptsächlich prädiktive Zusammenhänge zwischen Stressbelastung und stressfördernden Strategien, zwischen verschiedenen stressfördernden Strategien untereinander ebenso wie Assoziationen innerhalb verschiedener günstiger Stressbewältigungsstrategien. Die Vorhersage der Schwere der depressiven Symptome ließ sich aufgrund der Ausprägungen der Strategien „Suche nach sozialer Unterstützung“ (negativer Zusammenhang) und „Destruktiv-ärgerbezogene Bewältigung“ (positiver Zusammenhang) sowie der Anzahl der komorbiden Diagnosen treffen. Das Fortbestehen der Depression war mit der psychischen Stresssymptomatik, der Stressvulnerabilität und der vermeidenden Bewältigung 6 Monate vorher assoziiert. Unterschiede in der Cortisolsekretion im Rahmen der Cortisolaufwachreaktion wurden durch diesbezügliche Unterschiede 6 Monate zuvor vorhergesagt, diese hingen jedoch nicht signifikant mit der Depression zusammen. Als Folgerung aus den Ergebnissen dieser Studie ergeben sich wichtige Ansatzpunkte zur Prävention und Intervention bei 127 5 Diskussion depressiven Kindern und Jugendlichen, mit dem Fokus auf der Schlüsselkomponente „Stress“. Da psychische Stresssymptome sowohl direkt mit dem Fortbestehen der Depression zusammenhängen als auch mit stressverstärkenden Bewältigungsstrategien, welche die Depression begünstigen, wäre es sinnvoll die stressbezogenen Symptome zu lindern, z. B. auch durch Entspannungsverfahren. Ein besonderes Augenmerk legt die aktuelle Studie auf Stressbewältigungsstrategien. Die Befunde erbringen wertvolle Hinweise auf präventive und intervenierende Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Formen der Stressbewältigung. In Schulen, psychiatrischen Kliniken oder auch speziellen Workshops könnten depressive Jugendlichen angeleitet werden sich ihre derzeitigen Bewältigungsmuster vor Augen zu führen und zu hinterfragen. Dazu wäre es erst einmal notwendig psychoedukativ vorzugehen und Aufklärung darüber zu leisten, welche Bewältigungsstrategien depressive Gefühle begünstigen (z. B. destruktiv-ärgerbezogenes Bewältigungsverhalten) und welche sie minimieren (z. B. die Suche nach sozialer Unterstützung). Genauso wäre es wichtig, dass Eltern und Lehrer um diese Zusammenhänge wissen, um den Kindern und Jugendlichen, wenn notwendig, Rückmeldung über deren Verhalten geben zu können. Generell wäre von der Informationsvermittlung und optimalerweise einem Training des Bewältigungsverhaltens eine Verbesserung der depressiven Symptomatik zu erwarten. Genauso könnte eine solche Vorgehensweise präventiv eingesetzt werden. Diese positiven Effekte könnten unter anderem dadurch zu Stande kommen, dass Konflikte und andere Stressoren entschärft werden, wenn vermehrt stressminimierende und weniger stressfördernde Strategien angewendet werden. Außerdem kann das Selbstbewusstsein gestärkt werden, wenn die Jugendlichen sich als selbstwirksam erleben. Im Großen und Ganzen zeichnet die Studie ein umfangreiches Bild hinsichtlich der stressbezogenen Charakterisierung depressiver weiblicher 10- bis 18-Jähriger im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen. Ebenso sind relevante Einflussfaktoren im Zusammenhang mit Stress für die Entwicklung der depressiven Symptomatik und das Fortbestehen der Depression deutlich geworden. Durch die längsschnittliche Betrachtung der Probandinnen und die Einbeziehung einer psychologischen und einer biologischen Ebene liefert die vorliegende Untersuchung wertvolle Informationen über die Depression im späten Kindes- und gesamten Jugendalter. Diese Altersgruppe sollte auch in zukünftigen Studien verstärkt im Mittelpunkt stehen, da Depressionen häufig in der Adoleszenz ihren Ursprung haben und in vielen Fällen im Erwachsenenalter fortlaufend erneut depressive Episoden auftreten. Von daher kann bei jugendlichen betroffenen Personen ein frühes Intervenieren, z. B. hinsichtlich des Umgangs mit Stress, wie es die Daten der gegenwärtigen Studie betonen, die gesamte Lebensspanne positiv beeinflussen. 128 Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Empirisch gestützte Faktoren zur Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Störungen bei Kindern und Jugendlichen..................................40 Abbildung 2: Stressbezogene Charakteristika und ihre Bedeutung für die Aufrechterhaltung depressiver Störungen bei Kindern und Jugendlichen.................................................................................................50 Abbildung 3: Mittelwerte des Problemfragebogens für 11- bis 14-Jährige unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe...........................................79 Abbidlung 4: Mittelwerte des Problemfragebogens für Jugendliche unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe...........................................80 Abbildung 5: Mittelwerte des Gießener Beschwerdebogens für Kinder und Jugendliche unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe...................82 Abbildung 6: Mittelwerte des SSKJ unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe...............................................................................................83 Abbildung 7: Mittelwerte des SVF unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe...............................................................................................85 Abbildung 8: Mittelwerte der übergeordneten Bewältigungskategorien des SVF unterteilt nach Gruppen: Major Depression und Kontrollgruppe..................................86 Abbildung 9: Cortisolaufwachreaktion gemessen anhand vier Messzeitpunkten unterteilt in Major Depressions-Gruppe und Kontrollgruppe........................................88 Abbildung 10: Cortisollevel für N = 148 (74 Probandinnen pro Gruppe) von 35 Minuten vor bis 45 Minuten nach Durchführung des TSST-K.....................................90 Abbildung 11: Cortisollevel zum zweiten Erhebungszeitpunkt für N = 141 (n = 70 in der Gruppe MD und n = 71 in der Kontrollgruppe) von 35 Minuten vor bis 45 Minuten nach Durchführung des TSST-K......................................................97 129 Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Ablauf des Stresstests und der Fragebogen- und Speichelerhebung..........58 Tabelle 2: Deskriptive Daten der Stichprobe mit Mittelwerten, Standardabweichungen, t-Wert und Signifikanz zur Überprüfung von Gruppenunterschieden............75 Tabelle 3: Art und Häufigkeit der komorbiden Störungen in der depressiven Teilstichprobe (n = 74)...................................................................................77 Tabelle 4: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden im Problemfragebogen für 11- bis 14Jährige...........................................................................................................78 Tabelle 5: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden im Problemfragebogen für Jugendliche.......80 Tabelle 6: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden im Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche............................................................................................81 Tabelle 7: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden im Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter (SSKJ)...............................83 Tabelle 8: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden in den neun Bewältigungsskalen des Stressbewältigungsfragebogens...................................................................84 Tabelle 9: Mittelwerte, Standardabweichungen, F-Werte, Signifikanz und Effektstärken zu den Gruppenunterschieden in den drei übergeordneten Bewältigungskategorien des Stressbewältigungsfragebogens.....................86 Tabelle 10: Ergebnisse der linearen Regressionen zur Überprüfung der Stabilität der Stressbelastung und der Bewältigungsstrategien in der Gruppe mit Major Depression (N = 72)......................................................................................91 Tabelle 11: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen zur Vorhersage von Stresssymptomen und Bewältigungsstrategien (N = 72)..............................92 Tabelle 12: Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse zur Vorhersage der Schwere der Depressionssymptome (N = 70)..............................................................94 Tabelle 13: Ergebnisse der logistischen Regression zur Vorhersage des Fortbestands der Major Depression zum zweiten Messzeitpunkt: Parameterschätzer (N = 71)..............95 130 Tabellenverzeichnis Tabelle 14: Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse für die CAR zur Überprüfung der Vorhersage der HHN-Aktivität zum Messzeitpunkt 2 durch die Aktivität zum Messzeitpunkt 1. Maximalwert: N = 17. Anstiegswert: N = 16...............96 Tabelle 15: Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse zur Überprüfung der Vorhersage der Schwere der Depressionssymptome zum Messzeitpunkt 2 durch die HHN-Achsen-Aktivität zum Messzeitpunkt 1.................................98 Tabelle 16: Ergebnisse der logistischen Regressionsanalyse zur Überprüfung der Vorhersage des Fortbestands der Major Depression zum Messzeitpunkt 2 durch die HHN-Achsen-Aktivität zum Messzeitpunkt 1.................................98 131 Literatur Literatur Abela, J. R. Z., Hankin, B. L., Sheshko, D. M., Fishman, M. B., Stolow, D., 2012. Multi-wave prospective examination of the stress-reactivity extension of response styles theory of depression in high-risk children and early adolescents. Journal of Abnormal Child Psychology, 40, 277-287. Abela, J. R. Z., Sullivan, C., 2003. A test of Beck's cognitive diathesis-stress theory of depression in early adolescents. 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Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America, 15 (4), 843-868. 149 Anhang Anhang 1: Soziodemographische Daten und Gesundheitsabfrage Anhang 2: Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche (GBB-KJ) von Barkmann & Brähler (2009) Anhang 3: Problemfragebogen für 11- bis 14-Jährige (PF 11-14) von Westhoff, GeusenAsenbaum, Leutner & Schmidt (1981) Anhang 4: Problemfragebogen für Jugendliche von Roth, Süllwold & Berg (1967) Anhang 5: Stressverarbeitungsfragebogen für Kinder und Jugendliche (SVF-KJ) von Hampel, Petermann & Dickow (2001) Anhang 6: Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter (SSKJ) von Lohaus, Eschenbeck, Kohlmann & Klein-Heßling (2006) Anhang 7: Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche (DIKJ) von StiensmeierPester, Schürmann & Duda (2000) Anhang 8: Befindlichkeitsabfrage, angewendet vor und nach dem TSST-K Anhang 9: Manipulationscheck, angewendet nach dem TSST-K 150 Anhang Anhang 1: Soziodemographische Daten und Gesundheitsabfrage Versuchspersonencode Erster Buchstabe des Vornamens der Mutter Erster Buchstabe des Vornamens des Vaters Eigener Geburtstag (Wenn Sie z. B. am 02.10.1990 geboren wurden, geben Sie bitte „02“ an.) Dritter Buchstabe des eigenen Nachnamens Soziodemographische Daten Alter ______ Nationalität Deutsch andere: ____________________ Muttersprache Deutsch andere: ____________________ Beruf derzeit besuchte Schulart Schülerin Hauptschule Realschule Gymnasium sonstige: ____________________ Klassenstufe ______ Auszubildende andere: ____________________ Beruf der Eltern/Erziehungsberechtigten Mutter: ____________________ Vater: höchster bisher erreichter Bildungsabschluss keiner (qualifizierter) Hauptschulabschluss Mittlere Reife/Realschulabschluss (Fach-)Abitur sonstige: ____________________ 151 ____________________ Anhang Anzahl der ständig im Haushalt lebenden Personen ______ Anzahl der Geschwister männlich: ______ weiblich: ______ Aktueller Gesundheitszustand Ja Nein Ja Nein 1. Befinden Sie sich derzeit in ärztlicher Behandlung? 2. Haben Sie chronische Gesundheitsprobleme? 3. Befinden Sie sich zurzeit in psychotherapeutischer oder psychiatrischer Behandlung oder haben Sie in der Vergangenheit eine solche Behandlung in Anspruch genommen? 4. Haben Sie in den letzten Tagen bzw. Stunden Medikamente zu sich genommen? 5. Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein? 6. Nehmen Sie orale Kontrazeptiva (Pille) oder verwenden Sie andere hormonelle Verhütungsmethoden (Dreimonatsspritze, Hormonimplantat)? 7. Sind Sie schwanger oder stillen Sie zurzeit? 8. Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten rauchen Sie durchschnittlich proTag/Woche? ______Tag ______ Woche 9. Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, wie viel Alkohol nehmen Sie pro Tag/Woche zu sich? ______ Tag ______ Woche 10. Wie viele Stunden schlafen Sie im Durchschnitt pro Nacht? ______ Std. Medizinische Diagnosen Leiden Sie derzeit oder haben Sie in der Vergangenheit unter einer der folgenden Erkrankungen gelitten? (10) Immunologische Erkrankungen: Allergien, Asthma, allergische Ekzeme, Hepatitis, oder andere Immunerkrankungen (11) Herz-Kreislauf-Krankheiten/Symptome: Bluthochdruck, niedriger Blutdruck, Herzprobleme (z.B. Herzrasen, -fehler), Thrombosen, Schwindel, Ohnmachtsanfälle, oder andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen (12) Hormon- und Stoffwechselerkrankungen: Diabetes (Typ 1/2), Unter- bzw. Übergewicht, Unter- bzw. Überfunktion der Schilddrüse, 152 Anhang Fettstoffwechselstörung, Rheuma, Lactoseintoleranz, oder andere Hormon- bzw. Stoffwechselerkrankungen (13) Psychische Störungen: Depression, Angststörung, Wahnvorstellungen, Manie, Essstörung, ADHS, Schlafstörungen, extreme Erschöpfungszustände, Trauma, Substanzabhängigkeiten (Alkohol, Nikotin, Medikamente, Drogen), oder andere psychische Störungen Erklärung: Ich versichere hiermit, alle Fragen verstanden und alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben. Ich hatte genügend Gelegenheit, Fragen zu stellen. Unbekannte medizinische Begriffe wurden mir klar verständlich erläutert. Zudem bestätige ich, dass meine Angaben zur Einnahme von Medikamenten und Genussmitteln/Drogen vollständig und wahrheitsgemäß sind. Ort, Datum Unterschrift 153 Anhang Anhang 2: Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche 154 Anhang Anhang 3: Problemfragebogen für 11- bis 14-Jährige 155 Anhang 156 Anhang 157 Anhang 158 Anhang 159 Anhang 160 Anhang Anhang 4: Problemfragebogen für Jugendliche 161 Anhang 162 Anhang 163 Anhang 164 Anhang 165 Anhang 166 Anhang Anhang 5: Stressverarbeitungsfragebogen für Kinder und Jugendliche 167 Anhang 168 Anhang 169 Anhang 170 Anhang 171 Anhang Anhang 6: Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter 172 Anhang 173 Anhang 174 Anhang 175 Anhang 176 Anhang 177 Anhang Anhang 7: Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche 178 Anhang 179 Anhang 180 Anhang +Anhang 8: Befindlichkeitsabfrage Anhang 9: Manipulationscheck 181 Anhang Erklärung Ich versichere, dass ich die vorliegende Dissertationsschrift selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Trier, 08. Mai 2013 ________________________________ Dipl.-Psych. Ulrike Schmidt-Gies 182