Universität Zürich Soziologisches Institut Prof. Dr. Hans Geser Seminar: Soziologie der politischen Parteien HS 2011 Fabian Huber 24.11.2011 So Close But So Far: Voting Propensity and Party Choice for Left-Wing Parties Daniel Bochsler und Pascal Sciarini (2010) Einleitung In diesem Text wird das Wahlverhalten für zwei Parteien untersucht, welche sich ideologisch sehr nahe stehen: Die SP und die Grünen in der Schweiz. Es werden die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede dieser beiden, links-politisierenden Parteien aufgezeigt. Es stellt sich die Frage, wieso sich ein Wähler für oder gegen eine dieser beiden Parteien entscheidet und wie dieser Vorgang der Entscheidungsfindung vor sich geht. Schliesslich geht es auch noch um die Frage, wieso der Wähleranteil der SP deutlich höher ist, als derjenige der Grünen. Um das Wahlverhalten zu untersuchen, verwenden Bochsler und Sciarini ein Zwei-StufenModell (two-step-model). In einem ersten Schritt (consideration stage) trifft der Wähler eine Vorentscheidung möglicher Parteien. In einem zweiten Schritt (choice stage) entscheidet er dann unter den im consideration stage getroffenen Alternativen. Theorie/Thesen Consideration Stage In diesem ersten Schritt geht es für den Wähler darum, sich ein Set verschiedener Parteien auszusuchen, welche für ihn wählbar sind. Bei dieser Vor-Wahl orientiert sich der Wähler an einem Links-Rechts-Schema. Dies ist sowohl die erste Hypothese als auch eine Prämisse, auf welcher die weiteren Hypothesen basieren. H1: Die Wahrscheinlichkeit eine Partei zu wählen, basiert auf dem Abstand der Verortung einer Partei und der eigenen Verortung auf einer Links-Rechts-Achse. Choice Stage Hat sich ein Wähler im consideration stage links verortet, stellen für ihn die SP und die Grünen mögliche Alternativen dar. Da sowohl die SP als auch die Grünen in der Links-RechtsDimension am linken Rand zu verorten sind, sind sie auf dieser ideologischen Basis für den Wähler kaum zu unterscheiden. Um eine endgültige Entscheidung zu treffen, muss der potentielle Wähler noch weitere Kriterien hinzuziehen, welche sich nicht direkt auf das Links-Rechts-Schema beziehen. Die Autoren zeigen drei Erklärungsdimensionen auf, auf welchen mögliche Unterschiede zwischen den beiden Parteien basieren können. 1 Universität Zürich Soziologisches Institut Prof. Dr. Hans Geser Seminar: Soziologie der politischen Parteien HS 2011 Fabian Huber 24.11.2011 1. Werte 2. Issue 3. Strategie Werte Dimension Die SP ist eine alte, etablierte Partei mit starken Verbindungen zur Arbeiterklasse und den Gewerkschaften und verkörpert „alte“ linke (materialistische) Werte. Die Grünen sind eine junge Partei basierend auf neuen sozialen Bewegungen und verkörpert „neue“ linke (post-materialistische) Werte. Aufgrund dieser Unterschiede im Werte-Profil wird folgendes Set an Hypothesen aufgestellt: H2a: Die Wahrscheinlichkeit SP zu wählen steigt mit dem Alter. H2b: Die Wahrscheinlichkeit SP zu wählen sinkt mit der Bildung. H2c: Die Wahrscheinlichkeit SP zu wählen ist höher bei Männern. H2d: Die Wahrscheinlichkeit SP zu wählen ist höher bei Gewerkschaftsmitgliedern. Issue Dimension Auch bei einzelnen Issues sehen die Autoren Unterschiede zwischen den beiden Parteien. So ist die SP aktiver in klassisch ökonomischen Themen und unterstützt deshalb einen starken Staat. Die Grünen setzen sich stärker für ökologische Themen ein. Die SP wiederum hat sich schon früh für internationale Offenheit ausgesprochen, während die Grünen hier lange keine eindeutige Position bezogen. Dies führt zu weiteren Hypothesen: H3a: Die Wahrscheinlichkeit SP zu wählen steigt mit der Befürwortung von Staatsinterventionen. -Gemessen an der Unterstützung eines Anstieges für Steuern für hohe Einkommen. H3b: Die Wahrscheinlichkeit SP zu wählen sinkt mit dem Zuspruch zur Ökologie. -Gemessen an der Befürwortung zur Atomenergie. H3c: Die Wahrscheinlichkeit SP zu wählen steigt mit der internationalen Offenheit. -Gemessen an der Befürwortung eines EU-Beitritts Strategische Dimension Um eine endgültige Entscheidung zu treffen, ziehen die Wähler auch strategische Mittel hinzu. Da die SP mehr Stimmenanteil hat, tendiert der Wähler dazu, diese zu wählen. Besonders in kleinen Kantonen ist dies stark ausgeprägt, da sonst die Stimme „verloren“ geht. Dies führt zu folgender Hypothese: H4: Die Wahrscheinlichkeit SP zu wählen steigt mit Wohnsitz in einem kleinen Kanton 2 Universität Zürich Soziologisches Institut Prof. Dr. Hans Geser Seminar: Soziologie der politischen Parteien HS 2011 Fabian Huber 24.11.2011 Ergebnisse H1: Wurde bestätigt. Die Ergebnisse zeigen, dass: Je höher Abstand zwischen sich und einer Partei auf einer Links-Rechts-Achse ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese gewählt wird. Die Links-Rechts-Dimension erweist sich als sehr relevant für die linken und rechten Parteien, aber weniger für die Mitteparteien. H2a: Wurde auch bestätigt. Von den älteren Wählern wird die SP deutlich häufiger gewählt als die Grünen. Bei den Jungen etwa gleich häufig. H2b: Konnte nicht angenommen werden. Wähler mit hohem Bildungsniveau wählen sowohl SP als auch die Grünen. H2c: Konnte nicht bestätigt werden. Keine wesentlichen Unterschiede beim Geschlecht. H2d: Konnte bestätigt werden. Gewerkschaftsmitglieder wählen häufiger SP als die Grünen. Durch Einbezug dieser Variable konnte gar die Erklärungskraft des ganzen Modelles gesteigert werden. Aber kleineres Sample. H3a: Wurde nicht bestätigt. Keine Unterschiede bezüglich der Steuerfrage. H3b: Konnte bestätigt werden. Der Pro-EU-Effekt signifikant stärker für die SP. H3c: Konnte nur teilweise bestätigt werden. 2003 war der Ökologie–Effekt noch stark für die Grünen, 2007 jedoch nicht. H4: Wurde nicht bestätigt. Die Kantonsgrösse hatte keinen Einfluss auf die Wahl. Entweder traten die Grünen gar nicht an oder es bestand eine Listenverbindung mit der SP. Fazit Da sich die SP und die Grünen ideologisch sehr nahe stehen, ist es schwierig Unterschiede zwischen den beiden festzumachen und Erklärungen zu finden, wieso sich Wähler für oder gegen eine dieser Parteien zu finden. Deshalb ist die Erklärungskraft des Modells ziemlich tief. Trotzdem gelang es den Autoren Tendenzen zu finden und Unterschiede bei der Wählerschaft der beiden Parteien aufzuzeigen. Den höheren Wähleranteil der SP führen die Autoren auf das Alter zurück. Der Effekt, dass ältere Linke eher SP als die Grünen werden, zusammen mit der Tatsache, dass Ältere deutlich häufiger zur Wahl gehen, führt zu diesem höheren Wähleranteil der SP. Literatur Bochsler, Daniel/Sciarini, Pascal (2010): So Close But So Far: Voting Propensity and Party Choice for Left-Wing Parties. Swiss Political Science Review 16 (3), 373-402 3 Universität Zürich Soziologisches Institut Prof. Dr. Hans Geser 4 Seminar: Soziologie der politischen Parteien HS 2011 Fabian Huber 24.11.2011