2.7. Potentialbarrieren Der Tunneleffekt spielt eine noch größere Rolle bei der Potentialbarriere. Wie in Abbildung 2.7-1 dargestellt, handelt es sich bei der Barriere gewissermaßen um einen auf den Kopf gestellten Potentialtopf, also einen Potentialberg, der sich der Materiewelle entgegenstemmt. Klassisch würden wir in diesem Fall für W<V0 erwarten, dass Teilchen an der Barriere reflektiert werden, es würde also eine 100%-ige Reflektion stattfinden. Sobald W>V0 ist, würde das Teilchen mit der Wahrscheinlichkeit 1 über die Barriere kommen und die Reflektionswahrscheinlichkeit wäre 0. W V0 V0 Abbildung 2.7-1: Schema zu Potentialtopf (links) und Potentialbarriere (rechts). Wir ahnen schon, dass die Quantenmechanik andere Lösungen bereit hält und wir können mit unseren bisherigen Kenntnissen das qualitative Verhalten im Prinzip schon voraus sagen. Eine schöne Visualisierung der Effekte, die wir auch nicht mehr in allen mathematischen Einzelheiten diskutieren gibt das unter http://www.abdn.ac.uk/physics/vpl/barrier/applet.htm zu findende Applet. Abbildung 2.7-2 zeigt einen Screenshot dieses Applets für ein Elektron der Energie W = 9.5 eV, das von links kommend auf eine Barriere der Höhe V0 = 10 eV und der Breite a = 0.2 nm fällt. Die Energie liegt also unterhalb der Barrierenhöhe und klassisch käme es zu einer 100%-igen Reflektion. Quantenmechanisch erhalten wir aber nun ein Hineintunneln in die Barriere, wie wir es schon bei den gebundenen Zuständen im endlichen Potentialtopf kennen gelernt haben. Da aber nun die Barriere endlich dick ist, erhalten wir damit auch am rechten Rand der Barriere eine nichtverschwindende Wellenfunktion. Dort „angekommen“ kann sich das tunnelnde Elektron wieder in eine ebene Welle „verwandeln“ und kann dann energetisch erlaubt (mit positiver kinetischer Energie) frei weiter propagieren. Die Elektronen können die Potentialbarriere durchtunneln. 48 Abbildung 2.7-2: Die Wellenfunktionen beim Tunneleffekt an einer Potentialbarriere. Quantitativ ergibt sich nach wie üblich langer Rechnerei (Lösen der SchrödingerGleichung unter Berücksichtigung der Stetigkeitsbedingungen) das folgende Ergebnis für den Transmissionskoeffizienten: 1 ( sinh2 a 2m(V − W ) / = 2 0 T (W < V0 ) = 1 + 4(W / V0 )(1 − W / V0 ) ) −1 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0 1 2 3 4 5 6 7 W [eV] Glg. 2.7–1 Abbildung 2.7-3: Transmissionswahrscheinlichkeit T an einer Potentialbarriere der Höhe V0=3 eV in Abhängigkeit der Energie des Elektrons. 49 8 Die nichtverschwindende Transmissionswahrscheinlichkeit für W<V0 ist der quantenmechanische Tunneleffekt, der auch technisch eine große Bedeutung hat. Ein Beispiel dafür ist die schematisch in Abbildung 2.7-4 dargestellte Tunneldiode, bei der eine extrem dünne Isolatorschicht zwischen zwei Metallen die Funktion einer Potentialbarriere übernimmt. Auf diese Weise lassen sich sehr hochfrequente Dioden mit einer sehr nichtlinearen Strom-Spannungskennlinie realisieren. Abbildung 2.7-4: Schema einer Tunneldiode. Ein anderes Beispiel aus der räumlich extrem hochauflösenden Messtechnik ist das Rastertunnelmikroskop, dessen Funktionsprinzip in Abbildung 2.7-5 erläutert ist. Eine extrem spitze Metallelektrode wird im Vakuum sehr dicht über eine Oberfläche eines Materials geführt und dabei kommt es durch den Tunneleffekt zu einem Strom aus der Metallspitze durch die Potentialbarriere (hier das Vakuum zwischen Elektrode und Oberfläche) in die Atome an der Oberfläche des Materials. Entscheidend ist nun, dass aufgrund der starken Nichtlinearität des Tunnelstroms eine extrem hohe räumliche Auflösung erzielt werden kann, da der Strom empfindlich davon abhängt, wo die erlaubten Orbitale an der Oberfläche „anfangen“. Auf diese Weise lassen sich Oberflächenstrukturen mit einer atomaren (!) Auflösung erzielen. Die Abbildung zeigt einzelne Atome einer Siliziumoberfläche. 50 Abbildung 2.7-5: Bilder zum Rastertunnelmikroskop. 2.8. Eigentliche und uneigentliche Zustände, Normierung Im Laufe der Vorlesung haben wir zwei physikalisch und mathematisch sehr unterschiedliche Arten von quantenmechanischen Zuständen kennen gelernt. Extrembeispiele hierfür sind die vollkommen delokalisierten freie Elektronen, die wir durch ebene Wellen beschrieben haben, auf der einen Seite und die vollständig auf einen Raumbereich lokalisierten Zustände beim unendlichen Potentialtopf auf der anderen Seite. Allgemein unterscheidet man zwischen eigentlichen und uneigentlichen Zuständen. Für eigentliche Eigenzustände gilt: ∞ ∫ψ −∞ * m 1 für m=n ( x )ψ n ( x )dx = = δ mn . 0 sonst 2.8–1 Eigentliche Zustände sind also normierbar, d.h. das Integral über das Absolutquadrat der Wellenfunktion hat einen endlichen Wert. Ausserdem sind die eigentlichen Eigenzustände orthogonal zueinander. Analog zu zwei senkrecht zueinander stehenden Vektoren, deren Skalarprodukt verschwindet, ist das Integral über das 51 Produkt einer Wellenfunktion zum Energieeigenwert Wn und der konjugiert komplexen Wellenfunktion zum Energieeigenwert Wm gleich Null. Im Falle der uneigentlichen Zustände sieht es zwar ähnlich aus, die Sache ist jedoch mathematisch viel kniffliger. Es gilt: ∞ ∫ψ * k' −∞ ∞ für k'=k ( x )ψ k ( x )dx = = δ ( k '− k ) . 0 sonst 2.8–2 Das Integral über das Absolutquadrat eines Eigenzustandes divergiert also. Es gilt aber auch wieder, dass unterschiedliche Eigenzustände orthogonal zueinander sind, also das Integral über die Wellenfunktion multipliziert mit dem konjugiert komplexen einer anderen Wellenfunktion verschwindet. Im Gegensatz zu den eigentlichen Zuständen haben die uneigentlichen Zustände (in Glg. 2.8-1 nach dem Wellenvektor k klassifiziert) Energieeigenwerte, die beliebig dicht beieinander liegen. Man redet auch von einem kontinuierlichen Spektrum der Lösungen gegenüber dem diskreten Spektrum der eigentlichen Zustände. Die Normierung der Wellenfunktion hat auch eine direkte Relevanz für die Berechnung von Erwartungswerten. Allgemein berechnet sich ein Erwartungswert einer Größe, die durch den Operator F beschrieben wird, gemäß ∫ dxψ ( x )Flψ ( x ) . <F>= ∫ dxψ ( x )ψ ( x ) * 2.8–3 * Bei eigentlichen Zuständen kann die Wellenfunktion entsprechend ψ norm ( x )= ψ (x) ∫ dxψ * 2.8–4 ( x )ψ ( x ) mit ∫ dxψ * norm ( x )ψ norm ( x ) = 1 normiert werden. Im Falle normierter Wellenfunktionen ergibt sich damit eine vereinfachte Berechnung eines Erwartungswertes gemäß lψ <F>=∫ dxψ norm * ( x )F norm ( x ) . 2.8–5 52 2.9. Quantenmechanische Messungen Man beachte, dass auch ein Nichteigenzustand normiert sein kann. Nehmen wir als Beispiel eine Überlagerung der untersten beiden Zuständen in einem unendlichen Potentialtopf. E W ∞ ∞ Ψ3 ψ (x) = 1 2 ψ 1( x ) + 1 2 WE33 ψ 2(x) Ψ2 WE22 Ψ1 WE11 x 0 Glg. 2.9–1 L Abbildung 2.9-1: Der unendliche Potentialtopf Durch Glg. 2.9-1 wird ein quantenmechanischer Zustand beschrieben, der kein Energieeigenzustand ist. Die Tatsache, dass dieser Überlagerungszustand normiert ist, lässt sich einfach überprüfen: L 1 * 1 1 * 1 ψ1 (x) + ψ 2 ( x ) ψ 1( x ) + ψ 2 ( x ) dx = 2 2 2 2 0 ∫ L 1 * 1 1 * 1 1 1 1 * 1 * ∫0 2 ψ 1 ( x ) 2 ψ 1( x ) + 2 ψ 2 ( x ) 2 ψ 1( x ) + 2 ψ 1 ( x ) 2 ψ 2 ( x ) + 2 ψ 2 ( x ) 2 ψ 2 ( x ) dx = 1 1 1 =0 =0 = = 2 2 Glg. 2.9–2 Hierbei wurde vorausgesetzt, dass die Eigenzustände ψ1(x) und ψ2(x) orthonormiert sind. Nichteigenzustände führen uns erstens noch zu einer letzten größeren Merkwürdigkeit der Quantenmechanik und zweitens sieht man an dem folgenden Beispiel, dass man vieles berechnen kann ohne das man wirklich explizit irgendwelche Integrale berechnen muss. 53 Berechnen wir doch einfach einmal den Energieerwartungswert für den in Glg. 2.9-1 angebenen Überlagerungszustand: Nach der bekannten Rechenvorschrift gilt: L 1 * 1 1 * =2 ∂ 2 1 m x ( x ) ( ) + <W>= ψ ψ ψ 1( x ) + ψ 2 ( x ) dx . 2 − 2m ∂x 2 ∫0 2 1 2 2 2 Unter Berücksichtigung unserer Kenntnisse über Eigenzustände folgt damit: L 1 1 * 1 1 * =∫ ψ1 (x) + ψ 2 ( x ) W1 ψ 1( x ) + W2 ψ 2 ( x ) dx . 2 2 2 2 0 Das multiplizieren wir aus und berücksichtigen die Orthonormierung der Eigenzustände und es ergibt sich: L 1 * 1 1 * 1 =∫ W1 W2 ψ 1 ( x )ψ 1( x ) + ψ 2 ( x )ψ 2 ( x ) dx 2 2 2 2 0 und damit W + W2 1 1 = W1 + W2 = 1 . 2 2 2 Glg. 2.9–3 Der Erwartungswert für die Energie bei einem Überlagerungszustand ergibt sich als eine Art gewichteter Mittelwert der einzelnen Erwartungswerte. Aber Vorsicht, die Sache ist diffiziler als es hier erscheint. Bei einer einzelnen Energiemessung kommt nämlich entweder W1 oder W2 heraus aber niemals der Energieerwartungswert W + W2 W = 1 . Eine quantenmechanische Messung zeigt aus fundamentalen 2 Gründen ein ähnliches Verhalten, wie wir es vom AD-Wandler her kennen. Es werden nur bestimmte diskrete Werte gemessen, nämlich bei einer Energiemessung genau die Energieeigenwerte, aber (bei eigentlichen Zuständen) keinerlei Zwischenwerte. Diese und noch eine weitere Merkwürdigkeit der Quantenmechanik kann nicht aus grundlegenderen Prinzipien hergeleitet werden und muss im Rahmen eines letzten Postulates gefordert werden: 54 4. Postulat der Quantenmechanik (Teil 1) l ist, Wenn ψ eine Eigenfunktion zum Operator F dann führt die Messung von F stets zum gleichen Ergebnis, nämlich dem Eigenwert fn . Wenn ψ keine Eigenfunktion von F ist, dann ergibt eine einzelne Messung von F ein Ergebnis, das irgendeinem der Eigenwerte von F entspricht. Die Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten Eigenwert fn zu messen, ist proportional zu an 2 , wobei an der zugehörige Entwicklungskoeffizient ist . Teil 2: Misst man bei Messung der Observablen F den Eigenwert Fn , dann wird das quantenmechanische System so präpariert, dass es unmittelbar nach der Messung im zugehörigen Eigenzustand ψ n ist. Den ersten Teil dieses Postulates haben wir uns bereits in dem in Glg. 2.9-3 durchgerechneten Beispiel einigermaßen klar gemacht. Der zweite Teil ist mit unserer Alltagserfahrung allerdings noch weniger in Einklang zu bringen. Es macht die fundamentale Aussage, dass eine echt quantenmechanische Messung nicht durchzuführen ist, ohne dass das System massiv gestört wird. Wir bringen es durch die Messung in einen Eigenzustand zu dem Operator, der die Größe beschreibt, die wir messen wollen. Wir können also bei einer Messung an einem einzelnen quantenmechanischen Objekt nicht das machen, was wir typischerweise bei der Messtechnik an makroskopischen Systemen voraussetzen, nämlich die Wirkung der Messung auf das System vernachlässigen. Dieser skurrile Effekt bildet die Grundlage für das stark wachsende Arbeitsgebiet der Quantenkryptografie. Die Informationsübertragung erfolgt hierbei mit einzelnen Photonen und als Messgröße wird die Polarisation (horizontal/vertikal) eingesetzt Auch hier gilt dann wieder, dass Überlagerungszustände aus den verschiedenen Polarisationen möglich sind und dass eine Messung der Polarisation eines einzelnen Photons als Ergebnis immer nur einen Eigenzustand erbringt. Das bedeutet, dass bei der Messung Information im System verloren geht und genau dies kann bemerkt werden. Damit lassen sich optische Informationsübertragungssysteme realisieren, die prinzipiell abhörsicher sind. 55