Michael Custodis: Klassische Musik heute

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gister dagegen sinnvoll kombiniert und durch ein
Ortsregister ergänzt.) So wertvoll, ja unverzichtbar
die Register sind, wird dem Benutzer nicht klar,
nach welchen Kriterien Personen, die nur in den
Kommentaren genannt werden, hier erfasst wurden
oder unberücksichtigt blieben. So wird im Register
zu III/5 Cherubini auf Seite 513 nachgewiesen,
nicht dagegen die auf Seite 106 in Anmerkung 1 zu
Brief 25 sowie indirekt in Brief 27 erwähnte Mary Potts, der Schumann die Widmung der »Bunten
Blätter« op. 99 aus unbekanntem Grund wieder
entziehen wollte (diesen Fall kann man also aus
dem Register nicht erschließen); ungenannt bleibt
im Register auch der in III/5 auf Seite 159, An-
merkung 3, mit falschem Vornamen »Barthold«
erwähnte Verleger Bartholf Senff. Die im Werkregister von III/3 auf Seite 440 f. ohne Seitennachweise angeführten Leereinträge der Opera 37 und
110 sind laut freundlicher Auskunft von Mitherausgeber Thomas Synofzik ersatzlos zu streichen.
Solche stichprobenartigen Detailkorrekturen
sind indes nicht als qualitative Einwände zu verstehen, sondern ganz im Gegenteil als Hinweise zur
Optimierung zweier imponierender Bände. Auf die
weiteren Bände des langerwarteten Großprojektes
der »Schumann Briefedition«, einer neuen Großtat
der Schumann-Forschung, darf man gespannt sein.
[Michael Struck]
Michael Custodis: Klassische Musik heute
Eine Spurensuche in der Rockmusik, Bielefeld (Transcript) 2009
W
ie man das Interesse des Nachwuchses für
diesen Musikbereich gewinnen kann, ist das
bestimmende Thema für alle Protagonisten der klassischen Musik zu Beginn des 21. Jahrhunderts, von
der Musikindustrie bis zu den Spitzenorchestern,
von Bildungspolitikern über Programmmacher bis
in die Feuilletons, wie der Autor insbesondere in
seinem Schlusskapitel zu seinem gleichnamigen
Buch »Klassische Musik heute« mit illustrativen
Beispielen zu erläutern vermag. 2008 wurden z.B.
nur 13,2 % aller hierzulande verkauften Tonträger
an Menschen unter 40 Jahren verkauft, davon nur
4 % an Kunden unter 30 Jahren. Würde man saisonale Crossover-Erfolge von Solisten wie Paul Potts
oder David Garrett herausrechnen, würden die
Zahlen noch drastischer ausfallen, von der Frage
nach dem Grad der Verbreitung von Neugierde auf
Werke jenseits des engen Mainstreams des klassischen Kernrepertoires ganz zu schweigen.
Viele Gründe spielen für diese als Krise empfundene Situation eine Rolle, u. a. das als unvorteilhaft aufgenommene Image klassischer Musik als
intellektuelles Bildungsbürgergut, das quer steht zu
eben jener unmittelbaren Sinnlichkeit, die weithin
in Musik gesucht wird. Das nach wie vor vorherrschende Modell einer auf Heroen und Meisterwerke ausgerichteten Musikgeschichtsschreibung und
-publizistik tut das ihre, Neugierde in der Breite des
an klassischer Musik Verfügbaren nicht gerade zu
befördern. Aber etwa auch die Notwendigkeit eines
anderen Konsumverhaltens im Vergleich zu einer
permanent verfügbaren »Music to Go«,
nämlich schlicht sich
Zeit und Muße für das
Gros klassischer Musik
nehmen zu müssen, um
etwas davon zu haben,
ist ein sich ungünstig
auswirkender Faktor.
Besonders erschwerend
kommt jedoch hinzu,
dass sich die zeitgenössische Kunstmusik
heute leider weitgehend in einer teils selbst-, teils
fremdverschuldeten gesellschaftlichen Nische befindet, aus der heraus sie derzeit nur selten größere
Aufmerksamkeit zu gewinnen mag und nur gelegentlich vor allem durch Aufnahme ihrer Innovationen etwa in Film und Fernsehen oder elektronischer
Tanzmusik mittelbar rezipiert wird. Die Musik der
Gegenwart hat anders als etwa Literatur, Theater
und Kino kein starkes mittleres und zugleich vermittelndes Marktsegment zwischen Avantgarde und
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Populärem ausgebildet. Etwas dem Nobelpreis für
Literatur Vergleichbares, mit dem in vielen Fällen
Kunst ausgezeichnet wird, die einerseits als State of
the Art allgemein anerkannt und zugleich breiteren
Leserschichten noch zugänglich ist und von diesen
angenommen wird, ist für die Musik derzeit nicht
vorstellbar, Stars, auf deren neue Arbeiten man wie
auf den nächsten Tarantino-Film wartet, fehlen
ebenso. Ein bisschen, mehr noch in anderen Ländern wie Großbritannien, hat die Filmmusik, insbesondere die symphonische, diesen verwaisten Ort in
jüngerer Zeit zu besetzen vermocht. Grundsätzlich
ist jedoch eine Lücke zu konstatieren, in mehrfacher
Hinsicht: Zwischen Klassischem und Populärem,
zwischen älteren und jüngeren Musikkonsumenten,
zwischen der Pflege und Wahrnehmung von altem
Repertoire und neu geschaffener Musik. Wie groß
Bedürfnis aber auch Nachfrage sind, diese Lücke
zu überspringen, klassischer Musik nicht nur aus
primär musealer Perspektive zu begegnen und in
anders situierten Kontexten sich vorsichtig auch in
Richtung zeitgenössischer Kunstmusik zu öffnen,
zeigen z.B. in Berlin mittlerweile etablierte Initiativen der letzten Jahre wie die »Education. Zukunft@
BPhil«-Projekte der Berliner Philharmoniker, das
jeden Sommer stattfindende Festival »Young Euro
Classic« oder die »Yellow Lounge« genannten Clubevents der Deutschen Grammophon.
Der Autor, der sich zuvor u. a. intensiv mit der
Situation der Neuen Musik beschäftigt hat (Michael
Custodis: »Die Isolation der neuen Musik. Zum
Kölner Musikleben nach 1945«, Stuttgart 2004),
wendet sich auf dieser Grundlage von eben jenen
Berliner Bemühungen ausgehend dem gegenwärtigen Stand der Beschäftigung mit klassischer Musik und den aufgrund der nackten Zahlen immer
wieder zu hörenden Nachrufen und Abgesängen
auf diese zu. Der Fokus im Material liegt dabei
neben den generellen Ausführungen vor allem im
Einleitungs- wie Schlusskapitel auf Exempeln aus
der Rockmusik. Zwei musikalisch sehr verschiedenartige Projekte der Berliner Philharmoniker,
um die Jahrtausendwende »Moment of Glory« mit
der deutschen Hardrock-Band Scorpions und 2008
»Surrogate Cities« von Heiner Goebbels im Rahmen des Education-Programms, dienen als Ausgangspunkt, um exemplarisch vorzuführen, wie und
mit welch verschiedenen Ansätzen, Akzenten und
ästhetischen Resultaten versucht wird, Brücken zu
schlagen – und hierüber die Neugierde ansonsten
Desinteressierter für die Sphäre klassischer Musik
zu gewinnen bzw. deren Potential wiederum für
die eigene Arbeit im Populären und deren Rezeption nutzbar zu machen. Drei weitere Fallbeispiele
werden diskutiert: der explizite Bezug auf Richard
Wagner seitens der Heavy Metal-Band »Manowar«,
den diese u. a. in Live-Auftritten mit Orchester ausdrücklich inszeniert; die Zusammenarbeit der Heavy
Metal-Band »Metallica« mit dem Filmkomponisten
Michael Kamen bei der orchestralen Reinterpretation eigener Stücke, anhand derer insbesondere
die Mittlerfunktion von Filmmusik diskutiert wird;
schließlich die zahlreichen Bearbeitungen und Adaptionen von Werken klassischer Musik durch den
Rockmusiker Sting (»The Police«).
Das Buch ist keine reine Interpretationsarbeit,
sondern wartet vor allem mit reichlich exklusivem
Material auf, darunter neben zahlreichen Fotographien Interviews mit Klaus Meine (»Scorpions«), Joey
DeMaio (»Manowar«) oder Peter Brem (Berliner Philharmoniker) und Auszüge aus den unveröffentlichten
Partituren von Christian Kolonovits zu »Moment of
Glory«, an denen sich trefflich nachvollziehen lässt,
wie sorgfältig geplant etwa anhand von Frequenzbereichen der Instrumente hier eine Rockband und ein
Symphonieorchester musikalisch zusammengeführt
werden. Überhaupt vermag der Autor, auch durch
zahlreiche Transkriptionen, die eigenen Positionen
mit umfangreichem, in den Textfluss integriertem
Notenmaterial nachvollziehbar zu machen.
Wie stets bei solchen exemplarischen Unterfangen kann man sich auch hier andere Fallbeispiele
vorstellen. Eine solche Sammlung bleibt stets durch
die Verschiedenartigkeit ihrer Akteure bis zu einem
gewissen Grad heterogen. Der stilistische Weg von
Sting über »Manowar« bis Heiner Goebbels ist in
vielerlei Hinsicht ein weiter, und die ästhetische
Einschätzung wird bei kaum einem Betrachter allen gegenüber gleichmäßig ausfallen. Umgekehrt
zeigt jedoch gerade dieses Nebeneinanderstellen,
wie breit die Streuung der Künstler ist, die im Zusammenspiel mit Rockmusik auf die Sphäre klassischer Musik zugreifen und wie unterschiedlich die
Ergebnisse dabei ausfallen können, je nach Inten-
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tion, Schwerpunkt und Können. Darum geht es
dem Autor ausdrücklich (vgl. die Einleitung »Diversifikation der Musik«), und er stützt durch diese
Anlage der Arbeit die gegen Ende ausgesprochene
Hoffnung, dass »ein Nachruf zu Lebzeiten« auf die
klassische Musik heute »etwas voreilig gewesen sein
könnte« (255). Durch die Beispiele wird jedenfalls
erfahrbar, wie klassische Musik noch heute jenseits
reiner Interpretations- und Aufführungsfragen als
Hort steter Inspiration zu Neuem und das eben
auch abseits des ursprünglichen Kunstmusikmilieus wirkt – und damit (gegen die Deutung als eine
rein museale Angelegenheit der Pflege vergangener
Kulturleistungen) ausgesprochen lebendig für gegenwärtig Musikschaffende ist, auch und gerade im
Populären. [Frédéric Döhl]
Robert Pascall (Hg.): Brahms
Symphonien Nr. 1 und 2 für Klavier zu vier Händen, München (Henle) 2008
W
ie kein anderer Komponist der Nach-Beethoven-Ära hat Brahms sich der Sinfonik nur zögerlich genähert. Groß war sein Respekt vor Beethovens monumentaler Persönlichkeit, groß waren auch
seine Selbstkritik und seine Selbstzweifel. Insbesondere an der Entstehungsgeschichte von Brahms’ erster Symphonie lässt sich dies eindrucksvoll ablesen.
Vierzehn Jahre vergehen von den ersten Skizzen, die
Brahms 1862 zu Papier bringt, bis zum Abschluss des
Werkes, ehe es am 4. November 1876 in Karlsruhe
zur erfolgreichen Uraufführung gelangte. Dagegen
entstand dann die zweite in einem wahren Schaffensrausch, in einem einzigen Sommer, 1877 in Pörtschach
am Wörthersee. Am 30. Dezember 1877 erblickte sie
im Wiener Musikvereinssaal unter der Leitung von
Hans Richter das Licht der Öffentlichkeit.
Sind Fakten wie diese heute vielen Musikinteressierten geläufig, so wissen wahrscheinlich nur wenige, dass Brahms von beiden Werken auch Arrangements für Klavier zu vier Händen schuf. Solche
Bearbeitungen waren seinerzeit Usus und verkauften sich wesentlich besser als die Orchesterpartituren. Zudem garantierten sie den Komponisten eine
weite Verbreitung ihrer Werke. In einer Zeit, in der
es noch keine Tonkonserven gab, glich es fast einem
Lottogewinn, ein bestimmtes Werk der klassischen
Musik einmal im Original genießen zu können. Arrangements für Klavier zu vier Händen waren da
ein willkommener Ersatz und boten darüber hinaus
die Möglichkeit, sogar große Orchesterwerke ohne
satztechnische Ausdünnungen hören zu können –
zu Hause, im Familien- oder Freundeskreis. So wurde das heimische Wohnzimmer zum Konzertsaal,
dessen Besuch obendrein kostenlos war. Üblich war
es allerdings, dass diese Arrangements von zweitrangigen Bearbeitern erstellt wurden, nicht vom
Komponisten selbst.
Doch Brahms mochte
diese Arbeiten, weil sie
ihm ermöglichten, neues Terrain zu erkunden.
Wie Michael Struck es
einmal
formulierte,
waren sie für Brahms
wie eine Übersetzung
in eine andere Sprache,
bei der man sich keineswegs sklavisch an das Vorbild halten muss. »Ich
habe so meine besondern Ansichten vom Arrangiren«, schrieb er einmal an Robert Keller, der viele
seiner Werke bearbeitete. »Ich gehe eben dreister,
frecher mit m.[einem] Stück um, als Sie oder ein
Anderer kann.« Hinzu kam, dass Brahms es liebte,
mit Freunden vierhändig zu spielen.
Dass diese bemerkenswerten ›Übersetzungen‹
nicht länger im Verborgenen schlummern, ist das
Verdienst des renommierten Brahms-Experten
Robert Pascall, mittlerweile emeritierter Professor der
»School of Music« der Universität Bangor (Wales),
der sie im Rahmen der neuen Brahms-Gesamtausgabe in mustergültiger Form vorlegte. Zuvor edierte
Pascall bereits die Orchesterfassungen beider Symphonien, die zweite gemeinsam mit Michael Struck.
Um es gleich vorwegzunehmen: Diese Ausgrabungen
haben keineswegs nur wissenschaftlich-historischen
Wert, sondern sind durchaus ernstzunehmende Al-
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