Mathematische Probleme, SS 2016 Dienstag 5.7 $Id: sphaere.tex,v 1.14 2016/07/05 16:06:45 hk Exp $ §5 Sphärische Trigonometrie 5.2 Sphärische Dreiecksberechnung In der letzten Sitzung hatten wir begonnen die Grundformeln der sphärischen Trigonometrie zur Berechnung sphärischer Dreiecke zusammenzustellen. Wir hatten mit dem Seitencosinussatz begonnen der es erlaubt aus zwei bekannten Seiten und den von ihnen eingeschlossenen Winkel die dritte Seite zu berechnen. Es gibt eine zweite Form des sphärischen Cosinussatzes die aus zwei Winkeln und der zwischen ihnen liegenden Seite den dritten Winkel bestimmt. Um diesen Satz auf den Seitencosinussatz zurückzuführen, wollen wir die in der sphärischen Trigonometrie vorhandene Dualität“ ” zwischen Seiten und Winkeln verwenden, diese wird durch das sogenannte Polardreieck eines sphärischen Dreiecks vermittelt. Betrachten wir die drei Seiten unseres Dreiecks durchlaufen gemäß der Umlaufrichtung auf diesem Dreieck, so erhalten wir die zugehörigen Linkspole dieser Großkreise und diese bilden das Polardreieck ∆. Die Seiten des Polardreiecks ergeben sich dabei aus den Winkeln des Ausgangsdreiecks und die Winkel des Polardreiecks entsprechend aus den Seiten des Originaldreiecks. Wie schon angekündigt ergibt sich jetzt durch Anwendung des Seitencosinussatzes auf das Polardreieck der noch ausstehende Winkelcosinussatz. Satz 5.5 (Der Winkelcosinussatz) Sei ∆ = ABC ein sphärisches Dreieck mit den Seiten a, b, c im Winkelabstand und den Winkeln α, β, γ bezeichnet gemäß der Standardkonvention. Dann gelten: cos α = sin β sin γ cos a − cos β cos γ, cos β = sin α sin γ cos b − cos α cos γ, cos γ = sin α sin β cos c − cos α cos β. Beweis: Bezeichne a, b, c die Seiten und α, β, γ die Winkel im Polardreieck ∆ gemäß der Standardkonvention. Der Seitencosinussatz Satz 3 in ∆ liefert dann cos a = cos b cos c + sin b sin c cos α, und mit Lemma 4 ist damit − cos α = cos(π − α) = cos(π − β) cos(π − γ) + sin(π − β) sin(π − γ) cos(π − a) = cos β cos γ − sin β sin γ cos a, 23-1 Mathematische Probleme, SS 2016 Dienstag 5.7 und die erste Gleichung ist gezeigt. Die anderen beiden Gleichungen ergeben sich analog. Schließlich wollen wir zum sphärischen Sinussatz kommen, und für diesen benötigen wir eine neue Konstruktion. Wir betrachten wieder eine Kugel K mit Mittelpunkt M und Radius R > 0. Weiter sei ∆ = ABC ein sphärisches Dreieck auf K, dessen Seiten und Winkel wir wieder als a, b, c beziehungsweise α, β, γ gemäß der Standardkonvention bezeichnen. C R B M b Z α P A Wir fällen den Lot von C auf die Ebene M AB und bezeichnen den Lotfußpunkt mit Z. Weiter fällen wir in der Ebene M AB das Lot von Z auf M A und nenen den Lotfußpunkt P . Das Dreieck P ZC hat dann bei Z einen rechten Winkel und da die Ebene P ZC senkrecht auf der Ebene M AB und auf der Ebene M AC ist, ist der Winkel von P ZC bei P gleich dem Winkel zwischen den Ebenen M AB und M AC. Andererseits sind der Großkreis M AB ∩ K die Seite c von ∆ und der Großkreis M AC ∩ K die Seite b von ∆, also ist der Winkel zwischen M AB und M AC genau der Winkel zwischen den Seiten b und c von ∆, d.h. er ist α. Lesen wir also den Sinus von α im rechtwinkligen Dreieck P ZC bei P ab, so ergibt sich sin α = |CZ| . |CP | Weiter ist das Dreieck M P C bei P rechtwinklig und sein Winkel bei M ist der Winkel zwischen M A und M C, also der Winkelabstand b, lesen wir also den Sinus von b in M P C ab, so ist |CP | sin b = . R 23-2 Mathematische Probleme, SS 2016 Dienstag 5.7 Dies liefert |CZ| = |CP | sin α = R sin b sin α. Führen wir diese Überlegung mit vertauschten Rollen von A und B durch, so ergibt sich andererseits auch |CZ| = R sin a sin β, und wir haben sin b sin α = sin a sin β, beziehungsweise sin a sin b = sin α sin β eingesehen. Wir wollen dieses Ergebnis als einen Satz festhalten. Satz 5.6 (Der sphärische Sinussatz) Sei ∆ = ABC ein sphärisches Dreieck mit den Seiten a, b, c im Winkelabstand und den Winkeln α, β, γ bezeichnet gemäß der Standardkonvention. Dann gilt sin b sin c sin a = = . sin α sin β sin γ Beweis: Unsere obige Überlegung zeigt sin a sin β = sin b sin α, und dies ergibt sin a sin b = . sin α sin β Wenden wir dieses Ergebnis dann im Dreieck BCA an, so ergibt sich auch sin b sin c = sin β sin γ und der sphärische Sinussatz ist bewiesen. Wir wollen unsere obige Figur noch zu einer zweiten Rechnung verwenden. Mit den obigen Bezeichnungen bilden wir den Simplex T := co({M, A, B, C}) und wollen das Volumen von T in Termen des sphärischen Dreiecks ∆ bestimmen. Hierzu betrachten wir in der Ebene durch M, A, B das euklidische Dreieck Λ := M AB. In diesem Dreieck ist der Winkel bei M gerade der Winkel zwischen M A und M B, also die Seite c des sphärischen Dreiecks ∆. Die Höhe h in Λ auf der Seite M A ist nach §1.Satz 8 gleich h = |M B| · sin c = R sin c, die Fläche F von Λ ist also 1 1 F = |M A| · h = R2 sin c. 2 2 Der Simplex T ist nun ein Kegel über dem Dreieck Λ mit der Höhe |CZ|, und somit folgt 1 1 vol(T ) = F · |CZ| = R3 sin b sin c sin α. 3 6 23-3 Mathematische Probleme, SS 2016 Dienstag 5.7 Damit ergibt sich nun der sogenannte Eckensinus des sphärischen Dreiecks ∆. Lemma 5.7 (Der Eckensinus eines sphärischen Dreiecks) Seien K eine Kugel mit Mittelpunkt M und Radius R > 0 und ∆ = ABC ein sphärisches Dreieck auf K mit den Seiten a, b, c im Winkelabstand und den Winkeln α, β, γ bezeichnet gemäß der Standardkonvention. Der Eckensinus von ∆ ist die Größe S := sin a sin b sin γ = sin a sin c sin β = sin b sin c sin α, und dann ist das Volumen des Simplex T := co({M, A, B, C}) gegeben als 1 vol(T ) = R3 S. 6 Beweis: Wir haben bereits 1 vol(T ) = R3 sin b sin c sin α 6 eingesehen, und nach dem sphärischen Sinussatz Satz 6 ist sin a sin b = , also auch sin a sin c sin β = sin b sin c sin α. sin α sin β Analog folgt auch sin b sin c sin α = sin a sin b sin γ. Damit können wir zur sphärischen Dreiecksberechnung kommen, d.h. von den sechs Größen C a, b, c, α, β, γ sind drei vorgegeben und die anderen γ b sollen berechnet werden. Im Unterschied zum ebea nen Fall legen zwei der Winkel den dritten Winkel nicht fest, es gibt jetzt also sechs verschiedeα ne Aufgabentypen SSS, SWS, SSW, WSW, WWS β B A und WWW. Da wir den ebenen Fall in §1.4 recht ausführlich behandelt haben und das Vorgehen im c sphärischen Fall weitgehend analog ist, wollen wir uns hier kürzer fassen. Wir gehen hier nur das prinzipielle Vorgehen durch, wenn man sich die Lage genauer anschaut, so gibt es auch wieder notwendige Ungleichungen zu beachten damit überhaupt eine Lösung existiert und in einigen Fällen ist die Lösung nicht eindeutig. Durch eventuellen Übergang zum Polardreieck kann man die Zahl der Aufgabentypen auf 3 verringern, da beispielsweise SSW gleichwertig zu WWS im Polardreieck ist. Gehen wir die Fälle durch. 23-4 Mathematische Probleme, SS 2016 Dienstag 5.7 1. Bei SSS sind a, b, c bekannt und die Winkel berechnen sich mit dem Seitencosinussatz Satz 3 zu cos a − cos b cos c cos α = sin b sin c und so weiter. Sind beispielsweise a = 50◦ , b = 82◦ , c = 102◦ gegeben, so liefert die obige Formel und ihre Varianten für β und γ cos α ≈ 0, 693478, also α ≈ 46, 093870◦ , cos β ≈ 0, 364092, also β ≈ 68, 648256◦ , cos γ ≈ −0, 392004, also γ ≈ 113, 079228◦ . 2. Bei SWS sind beispielsweise a, b, γ gegeben und erneut mit dem Seitencosinussatz cos c = cos a cos b + sin a sin b cos γ kann die dritte Seite c berechnet werden. Die anderen Winkel kann man dann wie im SSS Fall oder auch mit dem sphärischen Sinussatz berechnen. Nehmen wir beispielsweise a, b, γ aus dem obigen Beispiel, so wird cos c ≈ −0, 207911, und somit c ≈ 101, 999961◦ . 3. Genau wie in der ebenen Situation ist der Fall SSW komplizierter. Seien etwa a, b, α gegeben und wir wollen die Seite c bestimmen. Wenn wir diese haben, so können wir erneut wie im SSS Fall weitermachen oder den sphärischen Sinussatz verwenden. Wir führen zunächst den Hilfswinkel δ durch die Beziehung tan δ = tan b cos α ein. Der sphärische Cosinussatz cos a = cos b cos c + sin b sin c cos α impliziert cos a cos δ = cos c cos δ+tan b cos α sin c cos δ = cos c cos δ+sin c sin δ = cos(c−δ), cos b woraus sich c berechnen läßt. Nehmen wir etwa die Werte von a, b, α des obigen Beispiels, so wird tan δ = tan b cos α ≈ 4, 934352 und δ ≈ 78, 543552◦ , und weiter cos(c − δ) = cos a cos δ ≈ 0, 917364, d.h. c − δ ≈ 23, 456267◦ , cos b also ist schließlich c ≈ 101, 999819◦ . Die restlichen drei Fälle behandeln wir nicht mehr, da sich diese durch Übergang zum Polardreieck auf die obigen Situationen zurückführen lassen. 23-5 Mathematische Probleme, SS 2016 5.3 Dienstag 5.7 Kleinkreise als sphärische Kreise Man kann die Theorie der ebenen Dreiecke weitgehend auf den sphärischen Fall übertragen, zum Beispiel gibt es wieder Höhen, Umkreise, Inkreise und so weiter. Wir wollen dies nicht systematisch betreiben und nur die Berechnung des Umkreises vorführen um einen Eindruck von den verwendeten Methoden zu erhalten. Es sei im folgenden wieder eine Kugel K mit Mittelpunkt M und Radius R > 0 gegeben. Bevor wir den Umkreis besprechen können, müssen wir ein wenig vorbereitendes Material bereitstellen und beginnen mit den sogenannten sphärischen Kreisen. Wir hatten schon erwähnt das die Großkreise auf der Sphäre den Geraden der Ebene entsprechen P und weiter werden wir jetzt einsehen das die Kleinkreise auf der Sphäre den ebenen Kreisen entspreR h chen. Seien ein Punkt A auf K und ein Winkelradius 0 < % < π/2 gegeben. Der spärische Kreis ρ k beziehungsweise der sphärische Vollkreis B mit d M A Mittelpunkt A und Winkelradius % ist dann analog zum euklidischen Kreis als k := {P ∈ K : |AP | = %} e beziehungsweise B := {P ∈ K : |AB| ≤ %} definiert, wobei der Abstand stets als Winkelabstand interpretiert sei. Die Punkte auf k sind diejenigen Punkte von K für die das Dreieck M AP bei M den Winkel % hat, d.h. der Kegel mit Spitze in M und halben Öffnungswinkel % schneidet K im sphärischen Kreis k. Damit ist k = K ∩ e ein Kleinkreis wobei e die auf M A senkrechte Ebene zwischen M und A im Abstand d = R cos % zu M ist. Insbesondere ist k ein euklidischer Kreis in der Ebene e dessen Mittelpunkt M A ∩ e ist und der den Radius h = R sin % hat. Wir erhalten: Lemma 5.8 (Sphärische Kreise) Seien K eine Kugel mit Mittelpunkt M und Radius R > 0. Weiter seien A ∈ K, 0 < % < π/2 und bezeichne k den sphärischen Kreis mit Mittelpunkt A und Winkelradius %. Bezeichne N den Punkt zwischen M und A mit |M N | = R cos %. Dann ist k ein Kleinkreis k = K ∩ e wobei e die auf M A senkrechte Ebene durch N ist und k ist ein euklidischer Kreis in e mit dem Radius R sin % und Mittelpunkt N . Der von k berandete sphärische Vollkreis B hat die Fläche % A(B) = 4πR2 sin2 . 2 23-6 Mathematische Probleme, SS 2016 Dienstag 5.7 Beweis: Alles bis auf die letzte Aussage haben gerade eingesehen. Ist P ∈ k so liefert der Satz des Pythagoras für den euklidischen Abstand % |AP |2 = (R − R cos %)2 + R2 sin2 % = 2R2 (1 − cos %) = 4R2 sin2 , 2 sind also r := 2R sin(%/2) und B 0 ⊆ R3 die Kugel mit Mittelpunkt A und Radius r, so ist B die Kugelkappe B = B 0 ∩ K. Nach einem Beispiel im ersten Abschnitt dieses Kapitels hat B damit die Fläche % A(B) = πr2 = 4πR2 sin2 . 2 23-7