2.2 Mikroskopische Theorie 2.3.2. BCS Grundzustand 94 Zum einen kostet die Besetzung von Zuständen k>kF kinetische Energie. Andererseits wird potentielle Energie gewonnen, da mehr Streuzustände zur Verfügung stehen. Bardeen, Cooper und Schrieffer bestimmten nun die Koeffizienten vk so, daß die gesamte Energie minimal wird. Dies nennt man ein Variationsverfahren. Es liefert im Falle der Supraleitung eine sehr gute Näherung, stellt aber keine Exakte Lösung der Vielteilchen-Schrödingergleichung dar (unmöglich). Die gesamte Energie ist Eges=Ekin+Epot. Dabei ist die kinetische Energie des SL: Ekin = 2∑r ε k vk 2 k Anmerkung: Jeder Term der Summe beinhaltet ein k-Paar, z.B. k↑ und K-k↓, daher der Faktor 2. εk ist die Energie des k-Zustandes (Einteilchenenergie des NL), welche mit der Besetzungswahrscheinlichkeit vk2 multipliziert wird. Die potentielle Energie erhalten wir über die fortgesetzte Streuung (s. Fig. 2.104). Nach Pauli findet Streuung nur dann statt, wenn vorher nachher k, K-k k/, K-k/ besetzt leer leer besetzt ist. Fig. 2.104: Schema der fortgesetzten Streuung Für die Streuung von k nach k/ ergeben sich also die Wahrscheinlichkeitsamplituden: k, K-k vorher v kr nachher uk*r k/, K-k/ u kr/ vk*r/ Mit diesen Faktoren wird der Beitrag des Streuvorgangs zu Epot gewichtet: u k* vk* / Veff (∆k , ∆ω )vk u k / Anmerkung: Der Zustand nachher wird konjugiert komplex gewichtet (vgl. Erwartungswert der Quantenmechanik) 2.2 Mikroskopische Theorie 2.3.2. BCS Grundzustand 95 So verfahren wir mit allen Streuzuständen, d.h. : E pot = ∑ Veff u k*rv kru kr/ vk*r/ rr kk / Anmerkung: in der Summe kommen nur solche ∆k=k-k/ vor, für die Veff anziehend ist. Um eine möglichst große Energieabsenkung zu erhalten, sollten sich (Veff ist negativ) die Terme der Doppelsumme alle aufsummieren. Die uk und vk sind komplexe Zahlen. Wenn sie aber beliebige Phase für jedes k haben (Fig. 2.105), mittelen sich die Terme heraus. Dies ist der Fall des Normalleiters. Fig. 2.105: Komplexe Zahlen uk, vk mit beliebiger Phase im Zeigerdiagramm Ist aber die Phasenlage zw. uk und vk für alle k gleich (s. Fig. 2.106), d.h. für u k ≡ u k e iα bzw. vk ≡ vk e iβ soll β-α≡θ für alle k gleich sein, gilt: u k* vk = u k e − iα vk e iβ = u k vk e i ( β − α ) = u k vk e iθ bzw. analog: u k / vk*/ = u k / vk / e − iθ Damit ergibt sich die potentielle Energie zu: E pot = ∑ Veff u k vk u k / vk / rr kk / Der Phasenfaktor hebt sich also für alle k, k/ weg und Epot ist unabhängig von θ und alle Terme sind reell. Sie addieren sich optimal auf(s. Fig. 2.106) (≡ Supraleiter). Dabei ist θ die „Phase des Supraleiters“. Diese ist identisch mit der bisherigen Definition von θ - aber jetzt ist sie mikroskopisch begründet. Fig. 2.106: Komplexe Zahlen uk, vk mit fester Phase im Zeigerdiagramm 2.2 Mikroskopische Theorie 2.3.2. BCS Grundzustand 96 Im weiteren Rechengang ist nun die kinetische und potentielle Energie nach jedem einzelnen | vk|abzuleiten und die Ableitung dann =0 zu setzen (=> Minimum). Dies ist in Schmidt oder Waldram dargestellt. Im Minimum wird dann: vk mit 2 1 εk − ε F = 1− Ek 2 und u k 2 1 εk − ε F = 1+ 2 Ek εk : Einteilchenenergie εF : Fermienergie wobei: Ek = εk − ε F + ∆ 0 2 2 mit ∆ 0 = ∑ Veff u k vk e iθ Anmerkung: ∆0 wird als Ordnungsparameter bezeichnet. Er ist proportional zu Ψ GL. Zunächst ist ∆0 noch unbekannt. Im NL (s. Fig. 2.107) ist entweder v=1 und u=0 oder u=1 und v=0. Damit ist uv=0 und ebenfalls ∆0 =0. Fig. 2.107: Besetzung im NL Nur durch Überlappung (s. Fig. 2.108) zwischen besetzten und leeren Zuständen im SL ergibt sich ein von Null verschiedener Ordnungsparameter. Fig. 2.108: Besetzung im SL Um den Ordnungsparamter zu berechnen, verwenden wir nach BCS eine Vereinfachung des effektiven Potentials Veff (Fig. 2.109). Wir nehmen ein mittleres Kastenpotential bis zur Debye Frequenz an. Für ω>ω D ist Veff=0, damit die abstoßenden Terme in der Summe nicht vorkommen. 2.2 Mikroskopische Theorie 2.3.2. BCS Grundzustand 97 Fig. 2.109: vereinfachtes effektives Potential V0 Für den Ordnungsparameter gilt dann: ∆ 0 = ∑ Veff ( ∆k ) uk v k = − V0 ∑ uk v k / k Anmerkung: ∑ / zeigt an, daß wir nicht mehr über alle k, sondern über die k summieren, die anziehend sind, d.h. εk − ε F ≤hω D . Setzen wir die vk und uk von oben ein ergibt sich: ∆0 = ∆0 V0 / ∑ 2 k εk − ε f 2 + ∆0 2 Diese implizite Gleichung für ∆0 wird als Selbstkonsistenzgleichung bezeichnet. Ist ∆0=0, so erhalten wir die Lösung für den Normalleiter. Für ∆0≠0 folgt: 1= V0 / ∑ 2 k 1 εk − ε f 2 + ∆0 2 Diese Gleichung kann gelöst werden, indem die k-Summe mit Hilfe der Zustandsdichte D(ε) in ein Integral über die Energie ε umgewandelt wird (vgl. Wärmekapazität des freien Elektronen-Gases). Als Ergebnis erhalten wir für Tc<<Θ D. 1 ∆ 0 = 2hω D e − D (ε F )V0 In dieser sog. „BCS-Formel“ wird ∆ auf Festkörpereigenschaften zurückgeführt. Anmerkung: Für V0→ 0 sollten wir den NL erhalten. Damit wäre aber ∆0 ∝ e-∞ . Wie aus der Funktionentheorie bekannt, hat die Exponentialfunktion am Punkt z=∞ eine wesentliche Singularität, d.h. sie kann jede Zahl annehmen, je nachdem mit welchem Phasenwinkel der Grenzwert | z| =eiϕ → ∞ gebildet wird (z.B. 0 für ϕ=π und ∞ für ϕ=0). Sie ist dort also nicht analytisch und kann nicht in eine Taylorreihe entwickelt werden. Also können wir auch nicht mit Hilfe der Störungsrechnung vom normalleitenden Zustand ausgehend den supraleitenden Zustand erhalten. Die Supraleitung ist also ein eigener Zustand. | ∆0|ist proportional zu ω D. Außerdem ist | ∆0|proportional zu Tc. Damit ist Tc ∝ ω D. Die BCS Theorie bestätigt also den Isotopeneffekt. 2.2 Mikroskopische Theorie 2.3.3. Quasiteilchen 98 Mit | ∆0|sind die Koeffizienten uk und vk im Minimum der Energie festgelegt. Wir können u und v in die Energie einsetzen und diese im Grundzustand angeben. Es ergibt sich nach Zwischenrechnung: (Es gilt immer noch T=0!) 1 2 D (ε F ) ∆ 0 2 Diese Energiedifferenz hatten wir früher ausgedrückt als: SL NL E ges − E ges =− 2 Bcth 2µ 0 Damit ergibt sich für das thermodynamische kritische Feld bei T=0: SL NL E ges − E ges = Bcth = ∆ 0 µ 0 D (ε F ) Anmerkung: | ∆0| Ψ GL. Damit gilt für die Energiedifferenz: BCS ∝ | ∆Eges ∝ ∆02 ∝ Ψ 2 ∝ ns. Dies ist korrekt. Bis jetzt haben wir den Grundzustand betrachtet. Nun wollen wir auf angeregte Zustände übergehen, um das Verhalten bei endlichen Temperaturen zu verstehen. 2.3.3. Quasiteilchen Die Anregungen des Grundzustandes (T>0) müssen orthogonal zum Grundzustand sein. Man kann zeigen, daß dies Paar-Zustände mit einfacher Besetzung sind (s. Fig. 2.110 b) und c)). Fig. 2.110: Grundzustand (a) und d)) bzw. angeregter Zustand (b) und c)) Befindet sich ein Elektron im angeregten Zustand, blockiert es einen Paar-Zustand (Fig. 2.110, a) oder d)), da nach Pauli in diesen nicht mehr gestreut werden kann. Dadurch erhöht sich die Energie des Supraleiters. Es sei 1 Einzelelektron mit k=q vorhanden. Welche Energie hat dann der SL? Die kinetische Energie verändert sich wie folgt (1 Term q muß aus der k-Summe herausgenommen werden, da dieser blockiert ist): ∆E kin = ε qr − 2ε qr v qr wobei: 2 εq : kinetische Energie für 1 Elektron im Zustand q 2ε qvq : kinetische Energie des Paarzustandes 2.2 Mikroskopische Theorie 2.3.3. Quasiteilchen 99 bzw. die potentielle Energie (in jeder Summe der Doppelsumme fällt ein Term q weg): ∆E pot = V0 ∑ uk v k uk / v k / − V0 r rr ∑ r r r k ≠q, k / ≠q kk / uk v k uk / v k / = V0 ∑ u q v q uk / v k / − V0 ∑r uk v k u q v q r k/ k r r benennen wir k / in k um folgt ∆E pot = 2 u q v q V0 ∑r u k v k u q v q = 2 u q v q ∆ 0 k Setzen wir die Koeffizienten uk und vk ein, ergibt sich nach Zwischenrechnung: ∆E ges = ∆Ekin + ∆E pot = Eqr = εk − ε F + ∆ 0 2 2 Die Energie, die durch einen teilweise besetzten Zustand verloren geht, ist gerade die Anregungsenergie des Einzelelektrons. Das Anregungsspektrum E(k) des SL ist in Fig. 2.111 gezeigt. Fig. 2.111: Anregungsspektrum des SL Die Mindestenergie für die Anregung eines Einzelelektrons ist ∆0 für k=kF. Deshalb wird ∆0 als Energielücke des SL bezeichnet. Um ein Paar aufzubrechen (zwei Einzelektronen) ist Emin=2∆0. Warum spricht man von einem Quasiteilchen? Dazu betrachten wir die Besetzungswahrscheinlichkeit des Grundzustandes im Vergleich zum angeregten Zustand. In Fig. 2.111 ist die Summe aus Besetzung des Zustandes k und Besetzung des Zustandes –k aufgetragen. Fig. 2.111: Besetzungswahrscheinlichkeit des SL mit Anregung 2.2 Mikroskopische Theorie 2.3.3. Quasiteilchen 100 Anstelle des Paars soll bei einem bestimmten k ein Einzelelektron vorliegen. Dann ist für k<kf die Besetzungswahrscheinlichkeit des angeregten Zusandes gegenüber der Besetzungswahrscheinlichkeit des Grundzustandes kleiner, so daß ein „Überschuß“ an positiver Ladung vorliegt. (Die Differenz zwischen Grundzustand und Einzelelektron ist keine ganze Zahl). Deshalb spricht man hier von lochartigen Zuständen (≡ Quasilöcher). Entsprechend liegt für k>kF ein „Überschuß“ an negativer Ladung vor, so daß wir hier von teilchenartigen Anregungen (≡ Quasielektronen) sprechen. Gegenüber dem Grundzustand sind also die Einzelelektronen keine „ganzen“ Teilchen, sondern „Quasiteilchen“ (quasi particles). Nun wollen wir die Zustandsdichte der Quasiteilchen betrachten. Für den NL gilt: (ε =Anregungsenergie des Einzelelektrons) D NL (ε ) = dTeilchenzahl (ε ) dε bzw. auf der Skala von ∆ 0 , d.h. in einem Energie - Intervall i. d. Nähe v. E F ⇒ D NL (ε ) ≈D (ε F ) Für die supraleitende Zustandsdichte gilt: N ( E ) ≡ DSL ( E ) = = D NL (ε F ) Zahl der Quasiteilchen (E) dZahl d ε − ε F = dE d ε − εF dE 1 E = D NL (ε F ) 2 dE d ε − ε F E 2 − ∆0 Der Verlauf der Zustandsdichte ist in Fig. 2.113 gezeigt. Ist die Anregungsenergie E gleich der Mindestenergie ∆0, wird die Zustandsdichte unendlich und wir erhalten die sog. BCS-Singularität. In der Praxis ist die Singularität etwas verschmiert. Der reale Verlauf weist außerdem bei größeren Energien eine wellenförmige Abweichung von der idealen Kurve auf, woraus die Phononen-Zustnadsdichte des SL bestimmt werden kann. Unterhalb von ∆0 fällt die Zustandsdichte auf null. Fig. 2.113.: reale und ideale Zustandsdichte des Supraleiters Bisher haben wir einzelne Anregungen betrachtet. Für Temperaturen T>0 liegen jedoch viele Quasiteilchen vor. Dies wollen wir im nächsten Kapitel behandeln. 2.2 Mikroskopische Theorie 2.3.4. 2.3.4. SL bei endlichen Temperaturen 101 Supraleiter bei endlichen Temperaturen Da die Quasiteilchen Einzelelektronen sind, erfolgt die Besetzung nach der Fermistatistik: − ∆ 1 k BT e f ( E )= ≈ Ek 1 + e k BT Anmerkung: Da sich Ek bereits auf εF bezieht, erscheint letzteres nicht explizit. Mit zunehmender Temperatur werden immer mehr Paarzustände durch die Quasiteilchen blockiert, so daß die potentielle Energie Epot und die Energielücke ∆0 abnimmt. Dadurch reduziert sich die Mindestanregungsenergie der Quasiteilchen, so daß f(E), d.h. die Besetzung mit Quasiteilchen, weiter zunimmt. Aufgrund dieses Rückkopplungsprozesses nimmt ∆ zunächst langsam und dann immer schneller ab, bis es schließlich bei Tc (Fig. 2.113) zur Katastrophe kommt. Fig. 2.113: Abhängigkeit der Energielücke von der Temperatur Quantitativ folgt aus der BCS-Theorie: 2∆ 0 = 3,52k BTc Dieser Zusammenhang gilt universell, solange Tc<<Debye-Temperatur Θ D ist. Er wird als sog. Grenzfall schwacher Kopplung (weak coupling) bezeichnet. Im Normalfall ist Θ D einige 100 K. Für die Materialien Pb und Hg liegt Θ D unter 100 K. Deshalb findet man bei diesen: Pb : 2∆ 0 = 4,3k BTc Hg : 2∆ 0 = 4,6k BTc Da die Phononen hier eine starke Anziehungskraft ausüben spricht man vom Grenzfall starker Kopplung (strong coupling).