Methoden der klinischen Neuropsychologie Methoden der kognitiven Neurowissenschaften 28.06.2013 Angelika Thöne-Otto Kognitive Neurologie © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2012), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto Gliederung Einleitung Methoden der neuropsychologischer Diagnostik • Anamnese • Psychometrische Testung Beispiel CVLT • Klinische-neuropsychologische Urteilsbildung Methoden der neuropsychologischen Therapieforschung • Randomisierte Kontrollgruppenstudien • Meta-Analyse © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 2 NEUROPSYCHOLOGISCHE DIAGNOSTIK © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 3 Diagnostische Fragestellungen Feststellung und Beschreibung des aktuellen kognitiven und affektiven Zustandes (Statuserhebung) Objektivierung von Funktionsbeeinträchtigungen („disabilities“) und sich daraus möglicherweise ergebender sozialer und beruflicher Konsequenzen („handicaps“) Beurteilung von Rehabilitationsmöglichkeiten, sowie der Möglichkeiten der beruflichen Wiedereingliederung; Planung von Rehabilitationsmaßnahmen (Prognose) Verlaufsuntersuchungen. Feststellung von Veränderungen kognitiver und affektiver Funktionen bei progredienten oder reversiblen Krankheitsverläufen sowie Evaluation von Therapieeffekten Darstellung in Befundberichten oder in Gutachten Nach Sturm, W. (2009). Aufgaben und Strategien neuropsychologischer Diagnostik. In Sturm et al (Hrsg) Lehrbuch der klinischen Neuropsychologie. S, 317 ff © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 4 Patient, 58 Jahre, Dezernatsleiter bei der Polizei Große Sorge um nachlassendes Gedächtnis den hohen Ansprüchen seines Berufes zuletzt nicht mehr gewachsen Sozial zurückgezogen, Angst jemanden zu treffen und im Gespräch etwas nicht mehr zu wissen Interessensverlust (Lesen, ins Konzert gehen) Stimmung oft ungeduldig und frustriert, vermeidet Konfrontation mit Anforderungen Hat zu hause viel Zeit, trotzdem bleibt vieles liegen, was er früher schnell abgearbeitet hätte Hat ständig den Gedanken etwas vergessen oder falsch gemacht zu haben • Kontrolliert Türen, Licht, etc., trotzdem zweimal Schlüssel vergessen • Oft geht er zum Auto zurück um Handbremse zu kontrollieren • Sei schon immer ein gewissenhafter Mensch gewesen © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Sozialanamnese Seit 1993 in zweiter Ehe verheiratet Aus erster Ehe zwei erwachsene Kinder • Zu 35 jährigem Sohn kein Kontakt • Zu 28jähriger Tochter guter Kontakt, wohnt in der Nähe • Ehefrau arbeitet bei Polizei in Verwaltung 1972 Abitur; Anschl. Studium bei der Polizei Kriminalpolizei, zuletzt verbeamtet als Dezernatsleiter, Vorgesetzter von ca 60 Mitarb. • Leitungstätigkeit, administrative Tätigkeiten, Organisation und Planung von kriminalpolizeilichen Einsätzen z.B. Demonstrationen oder Fußballspiele • Bis zur Erkrankung 50 Std. pro Woche, teilw. Rufbereitschaft über Nacht © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Diagnostische Methoden Anamnese / Selbst- Fremdeinschätzung / Fragebögen Screeningverfahren psychometrische Verfahren experimentelle Verfahren Verhaltensdiagnostische Verfahren © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Flussdiagramm Neuropsychologische Diagnostik Aus Sturm (2009) Aufgaben und Strategien neuropsychologischer Diagnostik. In Sturm et al Lehrbuch Klinische Neuropsychologie. Heidelberg Spektrumverlag. © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 8 Wichtige Aspekte aus der Anamnese zur Interpretation psychometrischer Befunde Aus Thöne-Otto et al (2012) Leitlinie Diagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen. In Diener et al (Hrsg). Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Stuttgart Thieme. © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 9 Was kann neuropsychologische Diagnostik leisten? Erfassung kognitiver Leistungen im Vergleich zu einer Normstichprobe Ein auffälliges Testergebnis sagt wenig aus Aber: aus dem Leistungsprofil lassen sich häufig wichtige Rückschlüsse ziehen © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie x Dr. Angelika Thöne-Otto 3 CVLT- als Beispiel eines Gedächtnistests © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 11 CVLT © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 CVLT - Durchführung Liste mit 16 Items (je 4 aus 4 Kategorien) wird insgesamt 5 * vorgelesen Reihenfolge der Darbietung immer die gleiche Nach jedem Lerndurchgang Wiedergabe; Reihenfolge ist dem Patienten überlassen Anschließend Darbietung einer Störliste (ebenfalls 4 Kategorien; 2 davon mit Liste A überlappend) Ohne vorherige Ankündigung erneute Abfrage von Liste A Darbietung von Kategoriebegriffen als Abrufhilfen Nach 20 Minuten (ohne Ankündigung) erneute Abfrage Erneute Abfrage mit Kategoriebegriffen Ja/nein Rekognition Optional: Forced Choice Rekognition zur Beschwerdevalidierung (in deutscher Verion nicht normiert) PC gestützte Auswertung möglich Ausdruck mit zahlreichen Parametern © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 13 Liste A Durchgang 1 auditorische Aufmerksamkeitsspanne (hohe Korrelation mit Zahlenspanne) CVLT1 > ZN Sequenzierungsprobleme? CVLT1 < ZN Überforderung durch große Informationsmenge (z.B. bei Angst und Depression) Personen, mit vornehmlich Aufmerksamkeitsdefiziten aber normaler Lern- und Gedächtnisleistung, werden im 1. Durchgang schlechte Leistungen zeigen, können aber ihre Leistungen im Verlauf der Testung adäquat steigern. Solch ein Testmuster kann häufig auch bei Patienten mit Angststörungen oder depressiven Patienten beobachtet werden (Delis, 1989). © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Gurke Toaster Schal Kabeljau Dosenöffner Lachs Krawatte Porree Makrele Quirl Zwiebeln Bluse Rotbarsch Sieb Kohlrabi Socken Lernverhalten • Semantischer Clusterwert • Serieller Clusterwert • Primacy Region • Middle Region • Recency Region • Lernkurve • Wiedergabekonsistenz © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Lernverhalten Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Gurke Toaster Schal Kabeljau Dosenöffner Lachs Krawatte Porree Makrele Quirl Zwiebeln Bluse Rotbarsch Sieb Kohlrabi Socken Lernverhalten • Semantischer Clusterwert • Serieller Clusterwert • Primacy Region • Middle Region • Recency Region • Lernkurve • Wiedergabekonsistenz © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Lernverhalten Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Gurke Toaster Schal Kabeljau Dosenöffner Lachs Krawatte Porree Makrele Quirl Zwiebeln Bluse Rotbarsch Sieb Kohlrabi Socken Lernverhalten • Semantischer Clusterwert • Serieller Clusterwert • Primacy Region • Middle Region • Recency Region • Lernkurve • Wiedergabekonsistenz © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Lernverhalten Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Gurke Toaster Schal Kabeljau Dosenöffner Lachs Krawatte Porree Makrele Quirl Zwiebeln Bluse Rotbarsch Sieb Kohlrabi Socken Lernverhalten • Semantischer Clusterwert • Serieller Clusterwert • Primacy Region • Middle Region • Recency Region • Lernkurve • Wiedergabekonsistenz © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Lernverhalten Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Liste B und Interferenz 16 14 12 10 8 6 4 ku rz es la ng es B In te rv al lA A 5 A 4 A 3 A 2 0 In te rfa ll A 2 A 1 Anzahl reproduzierter Items Listenlernen Lerndurchgang Proaktive / Retroaktive Interferenz © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Abruf mit Hinweisen I Der Abruf mit Hinweis hilft Probanden in zweierlei Hinsicht: • Er wird über die kategoriale Struktur der Liste A informiert • es wird eine kategoriale Suchstrategie für den Abruf vorgegeben. Eine deutlich bessere Leistung in diesem Durchgang im Vergleich zur freien Wiedergabe legt nahe, dass eine semantische Strategie den Abruf verbessert, obwohl der Proband im Lerndurchgang diese Strategie unter Umständen nicht aktiv eingesetzt hat. Ein solches Muster findet sich bei manchen Patienten mit exekutiven Störungen. Fällt dagegen die Leistung bei der freien Wiedergabe ohne Hilfestellung besser aus, liegt unter Umständen eine verbale Lernstörung vor, so dass die semantische Struktur das Lernen erschwert. © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Verzögerte Wiedergabe II Nur im Zusammenhang mit vorherigen Maßen (D5; Wiedergabe I; Wiedergabe mit Hinweisen I) zu interpretieren. Schlechte Leistung kann für erhöhtes Vergessen sprechen Ist Wiedergabe II besser als Wiedergabe I • Erholung von Interferenz • Übernahme der semantischen Clusterstrategie © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Rekognition Falsch Positive • • • • Störung des Source Memory mangelnde Inhibition mit Konfabulationstendenz ein positive Antworttendenz Vergessen der Aufgabenstellung. Diskriminabilität: Wert,der richtige und falschpositive einbezieht. Bester Indikator der Rekognitionsleistung • zahlreiche Falsch-Positiv Antworten für Distraktoren der Liste B Source Memory. • Falsch-Positive bei Ablenkern, die zu den vier semantischen Kategorien der Liste A gehören Schwierigkeiten bei der semantischen Differenzierung • Falsch-Positive, die die phonematisch ähnlichen Ablenker betreffen, stehen wahrscheinlich im Zusammenhang mit einem „flachen“ Enkodierungsstil. Dieser Diskriminabilitätstyp ist jedoch selten. • Falsch-Positiv Antworten bei Ablenkern, die weder zur Liste A noch zur Liste B gehören und keine phonematische Ähnlichkeit zu den Zielwörtern besitzen, sprechen für eine ausgeprägte anterograde Gedächtnisstörung, bei der dann allerdings die Diskriminationsfähigkeit insgesamt herabgesetzt sein dürfte. © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Probleme mit dem Dr. Angelika Thöne-Otto 3 DT Neuropsychologie Überdurchschnittliches prämorbides Intelligenzniveau Altersentsprechendes Informationsverarbreitungstempo, intakte Leistung bei Teilung der Aufmerksamkeit sowie selektiver Aufmerksamkeit Bei Handlungsplanungsaufgaben vorschnell, dadurch erhöhte Fehlerneigung Probleme in der Konzeptbildung (MCST) © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Demenzscreening: überwiegend altersentsprechende Leistungen. Bayer ADL diskrete Auffälligkeiten Funktionen Tests / Demenzscreening MMST Ergebnisse RW / PR 26 Pkt (leichte kogn. Störung) Demtect 14 Pkt („altersgemäße kogn. Entw) Bayer Activities of Daily Living Selbsteinschätzung Fremdeinschätzung 2,6 2.2 (Ab Cut-off 2 weitere Diagnostik empfohlen) Frage: Haben Sie Schwierigkeiten? Skala nie = 1 bis immer = 10 •Wert 5: Sich aufs Lesen konzentrieren, •beschreiben, was Sie gerade gesehen oder gehört haben, •angefangene Tätigkeit nach Unterbrechung fortsetzen, •Aufgabe unter Druck ausführen © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Gedächtnis: Deutliche Probleme beim verzögerten Abruf von Informationen Funktionen Test Ergebnisse Enkodierung WMS-R unm. Wiedergabe Text (gehört) RW 24 PR 32 CVLT Lernleistung Wortliste 6-9-10-10-12 von 16 Items Gesamt: PR 13 VVM unm. Wiedergabe Text (gelesen) RW 16 PR 69 Interferenz CVLT Wortliste nach Interferenzliste RW 6 PR 1 Verzögerter Abruf nach 20 min. WMS-R Text gehört RW 14 PR 5 CVLT Wortliste nach Intervall RW 7 PR 1 VVM Text RW 10 PR 31 Vergessen PR 12 Nach 24 Std. © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 SCL 90-R Subskala PR grundsätzliche psychische Belastung Intensität der Antworten 58 66 Anzahl Belastungssymptome 54 Somatisierung 66 Zwanghaftigkeit 92 Unsicherheit im Sozialkontakt Depressivität 16 74 Ängstlichkeit 46 Aggressivität/ Feindseligkeit Phobische Angst 21 Paranoides Denken 18 Psychotizismus 73 31 Zwanghaftigkeit • Gedächtnisschwierigkeiten • Das Gefühl, dass es schwerfällt, etwas anzufangen • Notwendigkeit alles sehr langsam zu tun • Zwang, wieder und wieder nachzukontrollieren • Leere im Kopf • Konzentrationsschwierigkeiten Depressivität • Verminderung Interesse an Sexualität • Energielosigkeit und Verlangsamung in Bewegungen oder Denken • Gefühl sich für nichts zu interessieren • Gefühl sich zu viele Sorgen machen zu müssen Psychotizismus • Gedanke, dass etwas ernstlich mit Ihrem Körper nicht in Ordnung ist • Gedanke, dass etwas mit Ihrem Verstand nicht in Ordnung ist Zusatzitems • Gedanken an Tod und Sterben • Frühes Erwachen am Morgen • Unruhiger und gestörter Schlaf © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Abklärung neurodegenerativer Ursachen Befund Schädel-MRT: Kortikal imponiert eine grenzwertige, noch als altersentsprechend eingeordnete Volumenminderung bifrontal mit grenzwertig symmetrisch dilatierten Seitenventrikeln. In der T2-Flairw stellen sich vereinzelt wenige fleckförmige hyperintense Signalveränderungen in der bilateralen Capsula externa sowie im bifrontalen, linksparietalen Marklager dar, in der T2*w kein Anhalt auf (Mikro)-Blutung. Befund FDG-PET: Derzeit keine demenztypische Glukosestoffwechselveränderung im Kortex Liquor: Tau und Aß normal © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Empfehlungen Aufgrund der Schwere der kognitiven Defizite wird Rückkehr in den Beruf als unrealistisch eingeschätzt („dienstunfähig“) Auch Erlernen einer weniger anspruchsvollen Tätigkeit (interne Umsetzung) wird nicht für sinnvoll erachtet Pharmakologisch wird erhöhter Blutdruck eingestellt und Cipramil zur Antriebssteigerung angesetzt Psychotherapie zur Krankheitsbewältigung und Aktivitätsaufbau Wiedervorstellung zur Verlaufskontrolle in einem Jahr © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Fazit: Diagnostik Bei Patienten mit hohem prämorbiden Ausgangsniveau und subjektiven Beschwerden kann ein unauffälliges Ergebnis im Screening falsch negativ sein. differenziertere Neuropsychologische Diagnostik Die neuropsychologische Diagnostik erfordert eine differenzierte Betrachtung verschiedener kognitiver Funktionsbereiche. Dabei ist die Zusammenschau verschiedener Datenquellen (Selbst- und Fremdeinschätzung, Verhaltensbeobachtung, Anamnese, Psychometrische Tests, Bildgebung) erforderlich Das psychometrische Leistungsprofil erlaubt in Zusammenschau mit Anamnese und Bildgebung ätiologische Schlüsse und Ausschlussdiagnosen © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Wie zuverlässig sind meine Untersuchungsdaten gegenüber externen Einflussfaktoren und aktiver Beeinflussung Beschwerdevalidierung © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Validierung ausreichender Testmotivation In der neuropsychologischen Begutachtung haben Patienten ein (i.d.R. finanzielles) Interesse daran, ihre Leistungen schlechter darzustellen, als sie tatsächlich sind Psychologische Testverfahren sind für mangelnde Motivation anfällig Wie kann ich feststellen, dass der Patient gut bzw. nicht gut mitarbeitet? Dohrenbusch et al (2011) Versicherungsmedizin, 63(2):81-5. Slick et al (1999). Clin Neuropsycho, 13 (4): 545-61 © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Neuropsychologische Ansätze zur Diagnostik der Beschwerdevalidität Aus Merten, T. (2011). Beschwerdevalidierung bei der Begutachtung kognitiver und psychischer Störungen. Fortschr Neurol Psychiat 2011, 79, 102-106 © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Von Slick et al. (1999) entwickelte Kriterien für die Diagnosestellung vorgetäuschter kognitiver Störungen Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass die Testleistung valide ist. Dabei sind zu berücksichtigen: • Ist ein äußerer Anreiz erkennbar? • Ist die subjektive Beschwerdeschilderung diskrepant (zu Akten, Modellen v. Hirnfunktionen, zur Verhaltensbeobabchtung, zur Fremdanamnese) • Ist das neuropsychologische Testprofil diskrepant (zu Beschwerden, Akten, Fremdeinschätzung, Modellen v. Hirnfunktionen); Beschwerdevalidierungstests ein Baustein • Gibt es andere Erklärungen für die Diskrepanz? © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Kriterium D: Ausschluss alternativer Erklärungen Simulation Aggravation Artifizielle Störung Fatigue Frustration Antrieb / Motivation Negative Antwortverzerrungen in der Untersuchung Aufmerksamkeitsschwankungen TestleiterSomatisierungs- verhalten Testangst Anstrengungsstörung bereitschaft / Andere fähigkeit Depression psychiatrische Störung Dissoziative „Hilferuf“ Störung © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Läuse und Flöhe! Nicht selten haben die Patienten ein neuropsychologisches Kerndefizit, dass plausibel auf eine Hirnschädigung zurück zu führen ist Damit der Untersucher dieses auch in der Testsituation nicht übersieht, zeigen sie eine gewisse Verdeutlichungstendenz (Aggravation) Sie arbeiten zwar mit, holen aber vielleicht nicht die letzte Anstrengung heraus (Suboptimales Leistungsverhalten) Außerdem haben viele Jahre frustraner Eingliederungsversuche und Kämpfe mit der Versicherung ihre Spuren hinterlassen (Depression, Verbitterung, Hoffnungslosigkeit) Diese Gemengelage ist in der Gutachtersituation wesentlich häufiger als „echte Simulanten“ oder Patienten mit offensichtlichem „Rentenbegehren“ Eine Objektive Bewertung des Einflusses der verschiedenen Komponenten ist dann kaum möglich. Im Gutachten sollte diese Gemengelage offen diskutiert werden. © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 36 Methoden der neuropsychologischen Therapieforschung © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 37 Einzelfall-Forschung © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 38 Das Problem Patienten sind häufig individuell – unterschiedliche Profile lassen sich schwer zusammenfassen Ins besondere längerfristige Therapieverläufe lassen sich häufig nicht in der Gruppe durchführen Zur Einschätzung der Therapie-Effektivität im klinischen Alltag, brauche ich Aussagen über den Einzelfall © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Ist die Wirkung auf die Therapie zurück zu führen Testung 1 – Zustand 1 Intervention Testung 2 – Zustand 2 Frage: Hat die Intervention kausal zu Zustand 2 geführt? Frage ist logisch nicht zu beantworten, es können viele Gründe zu der Veränderung geführt haben, die nicht kontrolliert werden können (Spontanremission, Veränderung anderer Parameter (z.B. Schmerzen, sozialer Rahmenbedingungen) Vorher - Nachher-Effekt 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Baseline © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Intervention Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Post Wie kann ich im Einzelfall trotzdem Effekt der Intervention nachweisen? Single-Case-Experimental Design • A – B – A‘ Design – Problem, wenn B einen Nachhaltigen Effekt hat, sollte dieser zum Zeitpunkt A‘ noch nachweisbar sein) © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Beispiel Wilson et al 1997 Einführung einer elektronischen Gedächtnishilfe zur Kompensation schwerer Gedächtnisstörungen Baseline: Anzahl vergessener Ereignisse (Gedächtnistagebuch 1-2 Wochen) Treatment: 12 Wochen – Neuropage sendet Erinnerungen für Alltagsereignisse, die mit Patienten ausgemacht wurden Die häufigsten Erinnernungen: (1) good morning, it is (day , date); (2) take your medication now; (3) fill in your diary ; (4) don’t forget to take your (keys/bag/stick/folders, etc), and (5) make your packed lunch.(Gedächtnistagebuch für 12 Wochen) Baseline: Anzahl vergessener Ereignisse © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Mean percentage of tasks completed successfully in baseline, and during and after treatment. Wilson B A et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1997;63:113-115 © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Wie kann ich im Einzelfall trotzdem Effekt der Intervention nachweisen? Multiple Baseline Design • A –A‘-B Design: nach stabiler Baseline zeigt Intervention eine signifiante Verhaltensänderung Multiple Baseline 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Baseline 1 Baseline2 Intervention © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Post Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Wie kann ich im Einzelfall trotzdem Effekt der Intervention nachweisen? Multiple Baseline accross behaviour Design • Baseline für zwei Verhaltensaspekte A und B • nach Intervention zeigt A eine Verhaltensänderung, B nicht Multiple Baseline Accross Behaviour 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Baseline A Baseline B Intervention © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Post A Post B Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Fazit Einzelfallstudie Vereinbarkeit von Individualität und experimenteller Kontrolle Auch für die klinische Prozess-Evaluation geeignet Relevanter Punkt: Was sind die relevanten Outcome-Parameter © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 46 Die Königsklasse: Randomisierte Kontrollgruppenstudie © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 47 Randomsierte Kontrollgruppenstudie Mindestens eine Behandlung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe Die Zuweisung zur Behandlung erfolgt per Losverfahren (jeder hat die gleiche Wahrscheinlichkeit in einer der Gruppen zu sein) Verblindung der Untersucher Versuchsleitereffekt kein Verblindung der Teilnehmer? Bei psychologischen Interventionen schwer realisierbar © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 Die KORDIAL Studie Stichprobe: 201 Patienten mit leichter AD; MMSE > 20 Randomisiert, kontrolliert, einfach verblindet KORDIAL-Therapie vs. „Treatment as usual“ Multizentrisch: 5 Memorykliniken, 5 Arztpraxen Standardisiert: Therapiemanual 12 wöchentliche Einzelsitzungen Einbezug der Angehörigen in jeder 2. Sitzung © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 49 Teilnehmer Therapie Control %fem 50% Alter 72.4 (8.6) 75.0 (7.1) .016 MMST 25.0 (2.2) 25.1 (2.2) n.s. B-ADL 3.5 (1.9) 3.7 (1.9) n.s. GDS 8.5 (4.8) 9.3 (5.5) n.s. NPI 6.8 (6.8) 49% p 7.9 (7.8) © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie n.s. n.s. Dr. Angelika Thöne-Otto 3 50 Teilnahme und Akzeptanz „Die Therapie war hilfreich“ Teilnahme Module 1 2 3 4 5 6 © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 51 Ergebnis: Depressivität Depressivität (Frauen) Depressivität (Männer) p=0.015 p=0.039 Intervention Kontrolle © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 52 Ergebnis: Lebensqualität p=0.088 Intervention Kontrolle © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3 53 Fazit Randomisierte Kontrollgruppenstudie Höchste Form der experimentellen Objektivität Erfordert standardisierte Intervention In der Durchführung sehr aufwändig ethische Vertretbarkeit der Kontrollgruppe? © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 54 Was lernen wir aus verschiedenen Studie ? Meta-Analyse © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2012), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 55 Heterogenität Meta-Analysen • Verschiedene Patientengruppen • Verschiedene Therapiemethoden • Verschiedene Outcome-Variablen Metaanalyse bietet methodische Möglichkeiten, um statistisch zu berechnen • Inwieweit alle Primärstudien derselben Grundgesamtheit entstammen • Heterogenität der Daten sollte in Meta-Analyse berechnet werden Weitere Fehlerquellen können durch Sensitivitätsanalysen berücksichtigt werden. Meta-Analyse Zunächst werden alle relevanten Originalarbeiten gesucht, die Ergebnisse dieser einzelnen Studien werden mit statistischen Methoden ausgewertet und zusammengefasst. Idealerweise erfolgt die Literatursuche durch zwei unabhängige Experten. Konkordanz der Literaturauswahl (Kappa-Statistik) Darstellung von Ein- und Ausschluss von Studien in einem Flussdiagramm (d.h. auch ausgeschlossene Studien müssen erwähnt und begründet werden) Meta-Analyse: Wirksamkeit von Arbeitsgedächtnistraining identification: 681 studies screening: 80 eligibility: 47 metaeffect generalization of the effect to the population Thöne-Otto & Weicker in prep Effektstärke ein Maß für die Größe eines Effektes Hedges, L.V. (1981). Distribution theory for Glass's estimator of effect size and related estimators". Journal of Educational Statistics 6 (2): S. 107–128. results: untrained WM tasks – WMT causes transfer to untrained WM tasks: benefit for all subject groups - but especially patients N * * ES [95 % CI] healthy children 134 0.55 [0.20, 0.91]** young adults 584 0.26 [0.07, 0.46]** older adults 324 0.23 [0.00, 0.47]‘ children with ADHD 223 0.63 [0.20, 1.05]** brain injured patients 181 0.72 [0.41, 1.03]*** total 1446 0.39 [0.27, 0.52]*** ‘ p<.1 *, p <.05 **, p<.01 ***, p<.001 Effekt auf andere kognitive Funktionen – WMT zeigt Effekt auf andere kognitive Funktionen, ins besondere Exekutivfunktionen und Alltagsleistung ** ** N reasoning/ intelligence * ES [95 % CI] 1005 0.11 [-0.02, 0.24]‘ executive functions 704 0.26 [0.11, 0.42]*** memory 625 0.20 [0.04, 0.37]* attention/ proc. speed 654 0.05 [-0.11, 0.22] disorder symptoms 536 0.35 [0.17, 0.52]*** * ‘ p<.1 *, p <.05 **, p<.01 ***, p<.001 Einflussfaktoren: Trainingsdauer • Trainingsdauer: Je häufiger, desto besser − Trainingseffekt (ES for transfer on WM) korrelliert mit Anzahl der Sitzungen: r = .58*** sowie der Trainingszeit in h: r = .57* * p <.05, ** p<.01, *** p<.001; fit for linear model: R² = 0.34***/ R² = 0.32* Einflussfaktor Adaptivität – adaptiv vs. low-level WMT − (ES WM für pre-post- Unterschied): − sign. difference (ES = .85/.29*) * adaptive vs. non-adaptive WMT (ES WM for WMT vs. ctrl group): − no difference ( ES = .25/.32) Cochrane Collaboration http://www.thecochranelibrary.com/view/0/index.ht ml Basierend auf einer Anregung des englischen Epidemiologen Archibald Cochrane (1909-1988) Gegründet mit 77 Mitgliedern aus 11 Ländern im ersten Cochrane Centre in Oxford 1993 Internationaler Verbund „frei von finanziellen Interessen“ Ziel: Erstellen, Aktualisieren und Verbreiten von systematischen Übersichtsarbeiten zu Fragen der Gesundheitsversorgung Hohe methodische Anforderungen Cochrane: Strenge Abfolge zur Erstellung eines Reviews Eher vorsichtige Interpretation der Ergebnisse Beispiel „memory rehabilitation after stroke“ Aus einer Auswahl von 188 Studien blieben nach allen Selektionskriterien noch 2 übrig, auf deren Basis die Autoren die Effektivität beurteilen The studies examined in this review reflected the diversity of intervention strategies employed in memory rehabilitation, and variation in outcome measures to evaluate their effectiveness. However, most common interventions used memory aids, and have attempted to demonstrate their superiority in reducing memory problems over 'drill and practice' strategies. The results from individual studies appeared to support a general trend: use of memory aids is better than 'drill and practice' strategies or no treatment at all. However, this review found little evidence to suggest that memory rehabilitation was more effective than no rehabilitation or control. The results of this review suggested that there is insufficient evidence to support or refute the provision of memory rehabilitation in clinical practice. Nair & Lincoln, 2008 Zusammenfassung In der Therapieforschung müssen Ergebnisse auf verschiedenen Ebenen gewonnen werden: • Im klinischen Alltag, bei Langzeitverläufen, und bei sehr individuellen Kasuistiken: Kontrollierte Einzelfälle • Randomisierte Kontrollgruppenstudien zur Evaluation standardisierter Behandlungsmethoden • Meta-Analysen um allgemeinere Aussagen zur Wirksamkeit von Therapiemethoden treffen zu können Nur in der Gesamtschau der verschiedenen Methoden entsteht ein valides Bild der Wirksamkeit Literatur Berkeljon, A. , Baldwin S.A. (2009): An introduction to meta-analysis for psychotherapy outcome research. In: Psychotherapy Research, 19 (4-5), S. 511– 518. Hill,C.E., & Lambert, M (2004): Methodological Issues in Studying Psychotherapy Processes and Outcomes. In: MJ. Lambert (Hrsg.): Bergin and Garfield's Handbook of Psychotherapy and Behavior Change. 5. Auflage. Wiley, New York, S. 84–135. Grawe, K., Donati,R., Bernauer, F.: Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. 5. unveränderte Auflage. Hogrefe, Göttingen u. a. 2001 Sturm, W. (2009). Aufgaben und Strategien neuropsychologischer Diagnostik. In Sturm et al (Hrsg) Lehrbuch der klinischen Neuropsychologie. S, 317 ff Thöne-Otto et al (2012) Leitlinie Diagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen. In Diener et al (Hrsg). Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Stuttgart Thieme. www.dgn.org/leitlinien.html © Universitätsklinikum Leipzig AöR (2013), Kognitive Neurologie Dr. Angelika Thöne-Otto 3