Klassische Mechanik und Spezielle Relativitätstheorie

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Theoretische Physik I:
Klassische Mechanik und Spezielle
Relativitätstheorie
Vorlesungsskript zum Modul P2.1
Prof. Dr. Jan Plefka
Quantenfeld- und Stringtheorie
Institut für Physik
Version 9. Januar 2017
Inhaltsverzeichnis
I
Mechanik des Massenpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.1 Raum, Zeit, Koordinaten und Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.2 Trägheitsgesetz, Inertialsystem, Galileitransformation . . . . . . . . . . . . . .
I.3 Beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.3.1 Gleichförmig beschleunigtes Bezugssystem . . . . . . . . . . . . . . . .
I.3.2 Rotierendes Bezugssystem um festen Punkt . . . . . . . . . . . . . . .
I.4 Das Newton’sche Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.5 Das begleitende Dreibein, Zerlegung der Beschleunigung . . . . . . . . . . . .
I.5.1 Bogenelement der Raumkurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.5.2 Zerlegung der Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.6 Umrechnung der Newton’schen Grundgleichungen in Allgemeine Koordinaten .
I.7 Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.8 Wegintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.9 Lagrange Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.10 Geschwindigkeitsabhängige Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.11 Massenpunkt unter Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.11.1 Lagrange-Gleichungen 1. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.11.2 Lagrange Gleichungen 2. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II Mehrteilchensysteme und Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.1 Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.1.1 Newton’sche Bewegungsgleichungen (Inertialsystem) . . . . . . . . . . .
II.1.2 Lagrange’sche Bewegungsgleichungen (Allgemeine Koordinaten) . . . .
II.2 Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.3 Eindimensionale Bewegung bei Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.4 Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.5 Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.6 Gailileitransformation von Energie, Impuls und Drehimpuls . . . . . . . . . . .
II.7 Zyklische Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II.8 Drehimpuls als verallgemeinerter Impuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III Integration der Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.1 Eindimensionale Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.2 Zweikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.3 Bewegung im Zentralfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.3.1 Geometrische Interpretation: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.3.2 Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.4 Das Kepler-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.4.1 Anziehender Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.4.2 Abstoßender Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.5 Teilchenstreuung und Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III.6 Homogene Potentiale und der Virialsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV Der starre Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV.1 Modell, Freiheitsgrade und Winkelgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
IV.2 Trägheitstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV.3 Drehimpuls des starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1
1
6
7
7
8
10
12
12
14
15
19
20
22
23
23
25
27
33
33
33
34
36
36
37
38
39
40
41
43
43
43
44
44
45
47
47
50
51
53
57
57
58
61
iii
Inhaltsverzeichnis
IV.4 Bewegungsgleichungen des starren Körpers . . . . . . . . .
IV.5 Eulerwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV.6 Die Euler’schen Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
V Analytische Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.1 Das Prinzip der kleinsten Wirkung . . . . . . . . . . . . . .
V.2 Noether Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.3 Hamilton’sche Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . .
V.4 Legendre Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.5 Routh’sche Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.6 Poisson’sche Klammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.7 Die Hamilton’schen Gleichungen als Variationsgleichungen
V.8 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . .
V.9 Hamilton-Jacobi-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.10 Invarianzeigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI Die Spezielle Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI.1 Lorentztransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI.2 Zeitdilatation, Längenkontraktion und Lichtkegel . . . . .
VI.3 Relativistische Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI.4 Relativistisches Teilchen im Hamilton-Formalismus . . . .
VI.5 Relativistische Kinematik und Teilchenzerfall . . . . . . . .
iv
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63
65
66
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69
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84
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92
94
98
99
I Mechanik des Massenpunktes
I.1 Raum, Zeit, Koordinaten und Transformationen
Bevor wir mit der Diskussion der Mechanik eines Massenpunktes beginnen, wollen wir einige grundlegende Gedanken zur Struktur des Raumes in dem wir uns bewegen fassen. Dies wird uns auf das
Konzept einer Koordinatentransformationen und den Begriff einer mathematischen Gruppe führen,
die grundlegende Bedeutung in der Physik haben.
Raum
Aus der Erfahrung heraus meinen wir zu wissen, dass wir in einem dreidimensionalen, linearen Raum
leben. Es ist daher sinnvoll die Lage von Körpern (=idealisiert als Massenpunkte) und deren Abstände
durch Punkte bzw. Vektoren im R3 anzugeben:
~x ∈ R3
~x = (x1 , x2 , x3 ) = (x, y, z)
(I.1)
Die reellen Zahlen xi (mit i = 1, 2, 3) heißen die kartesischen Koordinaten1 des Punktes ~x.
x3
Abstand zweier Punkte:
p
|~x − ~y | = + (x1 − y1 )2 + (x2 − y2 )2 + (x3 − y3 )2
v
u 3
uX
p
= t (x − y )2 = (~x − ~y )2
˛x
x2
i
i=1
x1
i
(I.2)
Zeit
Weiterhin erscheint uns die Erfahrung zu lehren, dass es eine universelle an allen Raumpunkten gleich
voranschreitende Zeit t ∈ R gibt, die von koordinierten Uhren gemessen wird:
t
t1
t2
Bahnkurve
Betrachten wir die Bewegung eines Massenpunktes im Raum, so läßt sich diese durch eine Bahnkurve
beschreiben:
1 (René
Descartes, Frankreich, 1596-1616)
1
1
I Mechanik des Massenpunktes
t
t1
t2
˛x(t1 )
~x(t) = (x1 (t), x2 (t), x3 (t)) =
˛e3
˛x(t2 )
3
X
xi (t) ~ei
(I.3)
i=1
{~e1 , ~e2 , ~e3 }: Basisvektoren des kartesischen Koordinatensystems
˛e2
˛e1
Die ~e1 bilden eine Orthonormalbasis (ONB)
~e1 = (1, 0, 0)
~e2 = (0, 1, 0)
Hier ist δij das Kroneckersymbol2
(
1
δij =
0
~e3 = (0, 0, 1)
~ei · ~ej = δij
falls i = j
sonst
∀i, j
(I.4)
(I.5)
Die Basisvektoren sind zeitunabhängig.
Geschwindigkeit
X dxi (t)
d~x
~x(t + ∆t) − ~x(t)
:= lim
= ~v =
~ei = ~x˙
∆t→0
dt
∆t
dt
i
(I.6)
Beschleunigung
X d2 xi (t)
d2 ~x
¨
:=
~ei = ~a = ~x
2
dt
dt2
i
Transformationen
(I.7)
3
Eine zentrale Frage, die wir uns immer wieder stellen werden lautet: Welche Transformationen
lassen eine vorgegebene Struktur unverändert (invariant)? Die Existenz solcher Transformationen
hat weitreichende Folgen für ein physikalisches System. Die Struktur des physikalischen Raumes
R3 ist die eines linear-reellen Raumes, d.h. falls ~x und ~y im Raum liegen, so tun dies auch die
Linearkombinationen α~x + β~x mit α, β ∈ R.
Frage: Welche Transformationen lassen die Struktur von R3 invariant? D.h. unter welchen Transformationene bleibt der Abstand zweier Punkte (I.2) unverändert?
1) Translationen
Verschiebungen um einen konstanten Vektor ~a = (a1 , a2 , a3 ):
~x −→ ~x0 = ~x + ~a
~a ∈ R3
(I.8)
Die Translationen bilden eine Gruppe. D.h. die Hintereinanderausführung zweier Translationen ist
wiederum eine Translation:
~x0 = ~x + ~a ,
2 (Leopold
2
Kronecker, Deutschland, 1823-1891)
~x00 = ~x0 + ~b = ~x + ~a + ~b = ~x + ~c
(I.9)
I.1 Raum, Zeit, Koordinaten und Transformationen
mit ~c = ~a + ~n ∈ R3
“Abgeschlossenheit”
Weiterhin, dass der Nullvektor ~0 = (0, 0, 0) auch einer Translation entspricht
~x0 = ~x + ~0 = ~x
“Existenz der Einheit”
(I.10)
Und schließlich, dass jede Translation wieder rückgängig gemacht werden kann: Die zu ~a inverse
Translation lautet (−~a):
~x00 = ~x + ~a + (−~a) = ~x
⇒ ~a + (−~a) = ~0
“Existenz des Inversen”
(I.11)
Diese drei Eigenschaften charakterisieren allgemein eine Gruppe G:
• Abgeschlossenheit des Produktes ◦ (Hintereinanderausführung der Transformation)
Für a, b ∈ G ist auch a ◦ b ∈ G. Ferner muss das Produkt assoziativ sein, d.h. es gilt (a ◦ b) ◦ c =
a ◦ (b ◦ c).
• Existenz der Einheit:
∃e ∈ G so dass für a ∈ G gilt a ◦ e = e ◦ a = a
• Existenz des Inversen:
∀a ∈ G ∃a−1 ∈ G so dass a ◦ a−1 = a−1 ◦ a = e.
Die Gruppe der Translationen ist darüberhinaus abel’sch3 , d.h. die Hintereinanderausführung zweier
Translationen kann vertauscht werden, ohne das Ergebnis zu verändern:
˛b
˛a
~a + ~b = ~b + ~a
˛a + ˛b
˛a
(I.12)
˛b
Weiterhin hängt die Gruppe der Translationen von 3 reellen Parametern (a1 , a2 , a3 ) ab, es ist eine
sog. dreiparametrige kontinuierliche Gruppe.
Infinitesimale Translation:
~x0 = ~x + ~ mit
|~
|
[m]
1
[m]: Längeneinheit, z.B. Meter.
Endliche Transformationen sind so kontinuierlich mit der Einheit ~0 verbunden.
2) Rotationen
Betrachten nun die Drehung um die x3 Achse:
x3
x01 = cos φ x1 + sin φ x2
x02 = − sin φ x1 + cos φ x2
x03 = x3
(I.13)
„
bzw.a


cos φ sin φ 0
~x = − sin φ cos φ 0 ~x = Aφ ~x
0
0
1
0
a Wir
xÕ2
x2
(I.14)
„
x1
xÕ1
werden im Folgenden die Symbole für Matrizen unterstreichen.
3 (Niels
Hendrik Abel, Norwegen, 1802-1829)
3
I Mechanik des Massenpunktes
Ein Punkt des Raumes wird offensichtlich wieder in einen Punkt des Raumes überführt. Der Abstand
zweier Punkte bleibt unverändert, wenn beide Punkte rotiert werden: Für einen zweiten Punkt ~y hat
man


cos φ sin φ 0
~y 0 = − sin φ cos φ 0 ~y = Aφ ~y
(I.15)
0
0
1
und es gilt |~x0 − ~y 0 | = |~x − ~y | .
Infinitesimale Drehung:
φ = 1 so dass cos ≈ 1 und sin ≈ x01 = x1 + x2
x02 = − x1 + x2
x03 = x3
oder ~x0 = (1 + T 3 ) ~x mit

0
T 3 = −1
0
(I.16)

1 0
0 0
0 0
(I.17)
T 3 nennt man Erzeugende der Rotation um 3-Achse. Die endliche Drehung (I.13) kann mithilfe der
Erzeugenden T 3 geschrieben werden als


0
1
0
2×2
0 
Aφ = e φ T 3 =
(I.18)
cos φ + T 3 sin φ + 
0
0
1
Dies folgt aus der Relation
(T3 )2 =
Entsprechendes gilt für die Drehungen

0
T 1 = 0
0
−12×2
0
0
.
0
(I.19)
um die 1- und 2-Achsen:


0 0
0 0
0 1
T 2 = 0 0
−1 0
1 0

−1
0
0
(I.20)
Drehungen können um eine beliebige Achse durchgeführt werden. Diese läßt sich mithilfe eines
~ parametrisieren: Drehung um die Achse φ/|
~ φ|
~ mit dem Winkel |φ|
~ = φ. Die zugehörige
Drehvektors φ
Drehmatrix lautet dann
Aφ~ := eφ·T = eφ1 T 1 +φ2 T 2 +φ3 T 3
~ ~
(I.21)
~ wählen
Plausibel: Bei einer Wahl der Achsen des Koordinatensystems bei vorgegebener Drehung φ
~ und A aus (I.19) reduziert sich auf (I.19).
wir ~e3 k φ
φ
Allgemeine Form einer Drehung
Wir wollen nun eine allgemeine Drehung (I.24) auf alternativem Wege bestimmen. Eine allgemeine
lineare Transformation lautet
~x0 = A ~x
bzw.
x0l =
3
X
k=1
4
Alk xk
(I.22)
I.1 Raum, Zeit, Koordinaten und Transformationen
mit Alk ∈ R den Einträgen der Matrix A. Eine Rotation läßt den Abstand invariant. D.h. für den
Abstand des Punktes ~x zum Ursprung ~0 muss gelten:
~x02 =~x2
X
bzw.
x0l x0l =
l
⇒
X
X
!
Alk xk Aln xn =
l,k,n
X
xk xk
k
Alk Aln = δkn
(I.23)
l
(AT )lk := Akl
Transponierte Matrix AT :
Damit läßt sich (I.28) in Matrixnotation schreiben als
AT · A = 1
(I.24)
Matrizen, die (I.29) erfüllen, heißen orthogonale Matrizen. Man zeigt, dass orthogonale Matrizen eine
Gruppe bilden:
Für das Produkt zweier orthogonaler Matrizen A · B gilt
(A B)T A · B = B T AT A B = B T 1 B = B T B = 1
| {z }
=1
⇒ auch AB ist orthogonal. Ferner ist die Matrixmultiplikation assoziativ.
(Abgeschlossenheit)
Die Einheitsmatrix 1 ist orthogonale Matrix.
(Existenz der Identität)
Weiterhin ist A = A
(Existenz des Inversen)
T
−1
ebenfalls orthogonal
Damit haben wir eine Gruppe vorliegen: Die orthogonale Gruppe in 3D. Man schreibt O(3).
Aus AT A = 1 folgt für die Determinante det AT A = 1. Da
folgt det(A) = ±1 .
2
1 = det AT A = det AT det(A) = det(A)
Matrizen mit det(A) = −1 können nicht kontinuierlich in die Einheit überführt werden, da det(1) = 1.
Sie haben keine Erzeugenden!
Bsp: Transformation für det(A) = −1: Spiegelung
x01 = − x1
x02 = − x2
x03
= − x3
⇒
A = −1
(I.25)
Gemeinsam mit der 1 bilden {1, −1} eine diskrete Gruppe mit 2 Elementen.
Die orthogonalen Matrizen mit det(A) = 1 bilden eine Untergruppe von O(3) und können kontinierlich
mit der Einheit verbunden werden. Man bezeichnet diese Untergruppe als spezielle, orthogonale Gruppe
SO(3) oder Rotationsgruppe.
Infinitesimal:
A = 1 + T + O(2 )
1 = AT A = 1 + (T T + T ) + O(2 )
⇒
T T = −T
(I.26)
Die Erzeugenden von SO(3) sind antisymmetrische Matrizen!
5
I Mechanik des Massenpunktes
Jede antisymmetrische Matrix läßt sich als Linearkombination der drei Elemente T 1 , T 2 , T 3 aus (I.13)
und (I.20) schreiben:
3
X
(I.27)
T =
φl T l .
l=1
Übung:
Zeige, dass (Ti )jk = ijk ist, wobei ijk ein total antisymmetrischer Tensor mit 123 = 1 ist.
I.2 Trägheitsgesetz, Inertialsystem, Galileitransformation
Ziel der Mechanik ist es die Bewegung von Körpern zu verstehen, wenn man die Kräfte kennt, die auf
sie wirken. Hier betrachten wir zunächst einen Körper, den wir als Punktteilchen idealisieren können,
das seine Ausdehnung für die betrachtete Größenordnungen der Bewegung vernachlässigbar seien.
Grundlage der Mechanik sind die Newton’schen Gesetze4
1. Gesetz; Trägheitsgesetz
Es gibt Koordinatensysteme (=Inertialsysteme) in denen ein Körper in gleichförmiger Bewegung oder
Ruhe bleibt, wenn keine Kraft auf ihn einwirkt.
Dies ist keine unmittelbare Erfahrung, da Inertialsysteme nicht leicht zu bekommen sind.
In einem Inertialsystem lautet die Bahnkurve eines Punktteilchens:
~x(t) = ~x0 + ~v0 t .
(I.28)
Bahnkurve durch 3 + 3 = 6 Parameter festgelegt, die Anfangsbedingungen des Ortes ~x0 und der
Geschwindigkeit ~v0 .
Frage: Welche Transformationen T führen Inertialsysteme in Inertialsystem über?
D.h. für welche T gilt:
Antwort:
~x(t) = ~x0 + ~v0 t −→ ~x0 (t0 ) = ~x00 + ~v00 t0
T
• Sicherlich die Translation und Rotation:
Translation:
Rotation:
~x → ~x0 = ~x + ~a
~x → ~x0 = Aφ~ ~x
t → t0 = t
~x00 = ~x0 + ~a ,
⇒
t → t0 = t
~x00 = Aφ~ ~x0 ,
⇒
~v00 = ~v0
~v00 = Aφ~ ~v0
• Weiterhin die Translation in der Zeit:
Zeittranslation:
~x → ~x0 = ~x
t → t0 = t + τ
⇒
~x00 = ~x0 + ~v0 τ ,
~:
• Und die Verschiebung des Koordinatensystems mit konstanter Geschwindigkeit V
~t
~x → ~x0 = ~x + V
4 (Isaac
6
Newton, England, 1643-1727)
t → t0 = t
⇒
~x00 = ~x0 ,
~
~v00 = ~v0 + V
~v00 = ~v0
I.3 Beschleunigte Bezugssysteme
Alle diese Transformationen gemeinsam bilden die Galileitransformationen5
~t
~x0 = Aφ~ ~x + ~a + V
t0 = t + τ
(I.29)
Dies ist eine 10 parametrige nicht-abel’sche Gruppe.
¨ = 0 bzw. ~x
¨=0.
Die Bahnkurven (I.28) sind Lösungen der kräftefreien Newtongleichung m ~x
Wiederum sind die Galilieitransformationen genau jene, die diese Gleichung in sich überführen:
¨=0
~x
G.T.
−→
¨=0
Aφ~ ~x
⇔
¨=0
~x
(da Aφ~ invertierbar)
(I.30)
¨ = 0 ist nicht streng invariant unter Galileitransformationen (I.29) sondern “kovariant”.
D.h. ~x
Galilei’sches Prinzip
Naturgesetze ändern sich nicht, wenn man sie in einem anderen Inertialsystem formuliert. Es gibt
somit kein ausgezeichnetes Inertialsystem!
Universeller Anspruch, sollte für alle fundamentalen Naturgesetze gelten.
N.B: Wir wissen aber, dass dieses Prinzip nur approximativ gilt, da in der relativistischen Mechanik
die Lorentztransformationen an die Stelle der Galileitransformationen treten werden.
I.3 Beschleunigte Bezugssysteme
Wir wollen nun untersuchen, wie sich das kräftefreue Newton’sche Grundgesetz (I.28) ändert, wenn
man Transformationen von Inertialsystemen zu Nichtinertialsysteme betrachtet:
Σ :
Inertialsystem
Σ :
Relativ zu Σ beschleunigt bewegtes Bezugssystem
0
I.3.1 Gleichförmig beschleunigtes Bezugssystem
˛e3
˛x
˛xÕ
≠ 2b t2˛e3
Õ
e˛3
5 (Galileo
Õ
Σ :
Inertialsystem
Σ0 :
Gleichförmig in ~e3 -Richtung
beschleunigtes Bezugssystem
Galilei, Italien, 1564-1642)
7
I Mechanik des Massenpunktes
¨=0
m~x
¨0 = b~e3
m~x
|{z}
Σ :
b
~x = ~x − t2~e3
2
¨ = ~x
¨0 − b~e3
~x
0
Σ0 :
Trägheitskraft
I.3.2 Rotierendes Bezugssystem um festen Punkt
˛e3
e˛3 Õ (t)
e˛1 Õ (t)
Σ :
˛x
˛e1
˛e2
~ei · ~ej = δij
e~0 i (t) · e~0 j (t) = δij
Σ0 :
Zwei Orthonormalbasen {~ei } und {e~0 i }
e˛2 Õ (t)
i = 1, 2, 3 .
Allgemeiner Vektor ~x zu einem festen Zeitpunkt t:
X
~x =
xi~ei =
i
X
x0i (t)e~0 i (t)
i
~e0j (t)
Multiplikation dieser Vektorgleichung mit
liefert die Transformation von xi :
X
X
x0i (t)δij = x0j (t)
xi e~0 i (t) · ~ei =
|
{z
}
i
i
=:Dji (t)
⇒ x0i (t) =
X
Dij (t)xj
zu festem t
j
(I.31)
T
Dij (t) = e~0 i (t) · ~ej ist eine Drehmatrix, da Dij
(t) = ~ei · e~0 j (t) die inverse Matrix zu D ist.
Beweis:
Äußeres Produkt
(~ei )α (~ej )β oder ~ei ⊗ ~ej
α, β = 1, 2, 3 .
 


1 1 0 0
X
X
Bsp: ~e1 ⊗~e1 = 0 · 1 0 0 = 0 0 0 . D.h. es gilt
~ei ⊗~ei = 1 bzw.
(~ei )α (~ei )β = δαβ .
i
i
0
0 0 0
Angewandt auf unser Problem folgt
X
X
X
T
Dij (t) Djk
(t) =
(e~0 i (t) · ~ej ) (~ej · e~0 k (t)) = (e~0 i (t) ·
~ej ) (~ej ·e~0 k (t)) = e~0 i (t) · e~0 k (t) = δik
j
j
Bzw. in Matrixnotation: D(t) · DT (t) = 1
Aus (I.31) folgt:
ẋ0i (t) =
X
j
8
7
⇒
|
j
{z
1
D(t) ∈ O(3).
Ḋij (t)xj +
X
j
Dij (t)ẋj
}
(I.32)
I.3 Beschleunigte Bezugssysteme
Die momentane Drehachse
˙
Zerlegung von e~0i (t) in die Basis e~0 i (t):
X
˙0 X ~˙0 ~0 ~0
~
ei =
ei · e j e j =
Ωij e~0 j
j |
j
{z }
(I.33)
=:Ωij
Die Matrix Ω ist antisymmetrisch: Ωij = −Ωji , da
d
˙
˙
dt
e~0i · e~0 j + e~0 i · e~0j = 0
e~0 i · e~0 j = δij ⇒
⇒Ωij + Ωji = 0
Def.:
˙
e~01 · e~0 2 = ω30 ,
˙
e~02 · e~0 3 = ω10 ,

⇒
˙
e~03 · e~0 1 = ω20 .

0
ω30
−ω20
0
ω10 
Ω = −ω30
0
0
ω2 −ω1
0
Alternative Schreibweise über Vektorprodukt: z.B.
˙
e~01 = ω30 e~0 2 − ω20 e~0 3 = ω30 e~0 3 × e~0 1 + ω20 e~0 2 × e~0 1
!
X
=
ωi0 e~0 i × e~0 1 =: ω
~ (t) × e~0 1
i
Analog
˙
e~0j (t) = ω
~ (t) × e~0 j (t)
ω | und der Drehachse
ω
~ (t) ist die momentane Drehachse mit Winkelgeschwindigkeit |~
(I.34)
ω
~
|~
ω |.
Zeitliche Veränderung eines Vektors im rotierenden Bezugssystem
~x =
X
x0i (t)e~0 i (t)
i
~x˙ =
X
i
Def.:
ẋi (t)e~0 i (t) +
X
i
X
˙
ẋ0i (t)e~0 i (t) + ω
~ × ~x
x0i (t) e~0i (t) =
|{z}
ω
~ ×e~0 i
i
d0 ~x X 0 ~0
=
ẋi (t)e i (t)
dt
i
ist die im rotierenden Bezugssystem beobachtete Geschwindigkeit.
9
I Mechanik des Massenpunktes
Bewegungsgleichungen im rotierenden Bezugssystem
d2 ~x
d d~x
d
=
=
dt2
dt dt
dt
d0 ~x
+ω
~ × ~x
dt
d0 ~x
d2 ~x
+
ω
~
×
=
+ω
~˙ × ~x + ω
~×
dt2
dt
0
d0 ~x
+ω
~ × ~x
dt
Falls keine äußeren Kräfte wirken:
d0 ~x
d2 ~x
= −2m~
ω×
− m~
ω × (~
ω × ~x) − mω
~˙ × ~x
2
dt
dt
0
m
(I.35)
Es treten die Scheinkräfte auf:
−2m ω
~ × ddt~x
Corioliskraft
−m ω
~ × (~
ω × ~x) Zentrifugalkraft
0
Typisch für Scheinkräfte ist, dass sie im Unendlichen nicht verschwinden. Kräfte, die tatsächlich
zwischen Körpern wirken, nehmen mit dem Abstand ab. Die Corioliskraft6 tritt nur bei Bewegung
im Σ0 -System auf.
I.4 Das Newton’sche Grundgesetz
¨=K
~
m~x
‘2. Newton’sches Gesetz’
(I.36)
~ = P Ki~ei bezeichnet man als Kraftvektor.
Dieses gilt in Inertialsystemen. K
i
Bei Basistransformationen ~ei → e~0 i transformiert sich Ki zu Ki0 wie xi zu x0i . Andere Körper und
~ K
~ kann Funktion von ~x, ~x˙ , t und durch das jeweilige physikalische System
Ladungen bestimmen K.
bestimmten Parametern {αi } sein:
~ =K
~ ~x, ~x˙ , t; {αi } ,
K
↑
explizit
¨ und höheren Ableitungen! Beispiele für Paramter {αi }: Ladungen, Federkonstanten,
nicht jedoch von ~x
Gravitationskonstante, . . ..
Die Newton’sche Grundgleichung (I.36) ist demnach System von 3 gewöhnlichen Differentialgleichungen zweiter Ordnung in der Zeit. Integration dieser 3 DGLs liefert 6 Integrationskonstanten, ~x(t0 )
und ~v (t0 ) = ~x˙ (t0 ), d.h. zu vorgegebenem Ort und Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t0 folgt die Bahn
für alle früheren oder späteren Zeiten.
Das ergibt sich bereits aus der Taylorentwicklung der Koordinatenfunktionen xi (t) um t0 :
6 (Gustave
10
1
1 d3 xi
xi (t) = xi (t0 ) + ẋi (t0 )(t − t0 ) + ẍi (t0 )(t − t0 )2 +
(t0 )(t − t0 )3 + ...
2
3! dt3
∞
X
(t − t0 )n
=
x[n]
,
n!
n
Gaspard de Coriolis, Frankreich, 1792 - 1843)
I.4 Das Newton’sche Grundgesetz
wobei
d2 xi
1
(t0 ) = Ki ~x(t0 ), ~x˙ (t0 ), t0 ; {αi }
dt2
m
3 1 X ∂Ki
∂Ki
∂Ki
d3 xi
(t0 ) =
ẋj (t0 ) +
ẍj (t0 ) +
(t0 )
dt3
m j
∂xj
∂ ẋj
∂t
ẍi (t0 ) =
3
1 X
=
m j
∂Ki
∂Ki Kj
∂Ki
ẋj (t0 ) +
(t0 ) +
(t0 )
∂xj
∂ ẋj m
∂t
und so weiter.
Träge Masse
¨ und K
~ ist die träge Masse. Eigenschaft des MassenpunkDer Proportionalitätsfaktor m zwischen ~x
~
tes: Trägheit gegenüber Bewegungsänderungen. Masse kann nicht in die Defintion der Kraft K
aufgenommen werden.
Bsp.: Gleiche Feder, zwei verschiedene Körper
¨ = −c~x Federgleichung
m1 ~x
m1
¨ = −c~x
m2 ~x
m2
Schwere Masse mS
Aus Newtons Gravitationsgesetz:
m
˛x
M
~ = −γ mS · M · ~x
K
|~x|3
γ : Gravitationskonstante
M : Masse der Erde
Newton’sche Grundgleichung:
¨ = −γmS M
m~x
~x
|~x|3
=
(in Erdnähe)
−mS ~g
Schwaches Äquivalenzprinzip
Experiment: Alle Körper fallen gleich schnell, d.h.
m = mS
und
¨ = −~g .
~x
Gegenwärtige experimentelle Schranken:
∆a
−13
Labor:
(Beryllium-versus Titantestkörper im freien Fall)
a Be-Ti = (0.3 ± 1.8) · 10
∆a
−13
Weltraum:
(Erde und Mond im freien Fall Richtung Sonne)
a Erde-Mond = (−0.8 ± 1.3) · 10
11
8
I Mechanik des Massenpunktes
I.5 Das begleitende Dreibein, Zerlegung der Beschleunigung
I.5.1 Bogenelement der Raumkurve
Es sei ~x(t) gegeben.
x3
˛x(t)
ds
(ds)2 = d~x · d~x = (dx1 )2 + (dx2 )2 + (dx3 )2
2 2 2 2
ds
dx1
dx2
dx3
=
+
+
⇒
dt
dt
dt
dt
˛x(t + dt)
dx1
dx3
dx2
v
u
uX dxi 2
⇒ ds = t
dt = |~v |dt
dt
i
x2
x1
Integration liefert die Bogenlänge:
s2 − s1 =
Z
D.h.
t2
ds =
t1
t2
t1
v
s
u 3 Z t2 2
uX dxi 2
d~x
t
dt =
dt
dt
dt
t1
i=1
s(t) − s0 =
Z
t
t0
dt|~v |
Bogenlänge.
Somit gilt:
s(t) ≠ s0
˛x(t0 )
Z
˛x(t)
s = s(t) ⇒ t = t(s)
D.h. die Raumkurve ~x(t) lässt sich auch durch die Bogenlänge parametrisieren:
~x(t) = ~x[t(s)] = ~x(s),
(wobei die Funktionen xi (t) und xi (s) natürlich unterschiedlich sind).
10
12
11
(I.37)
(I.38)
I.5 Das begleitende Dreibein, Zerlegung der Beschleunigung
i) Tangentenvektor
B
N
T : Tangentenvektor ~eT
N : Normale ~eN
B: Binormale ~eB
T
Das begleitende Dreibein ändert seine Orientierung in jedem Punkt der Kurve. Der Tangentenvektor
ist Einheitsvektor in Richung d~x.
~eT k d~x
Def.:
~eT · ~eT =
Alternativ: ~eT =
d~
x dt
dt ds
=
~eT =
d~x
ds
(I.39)
d~x · d~x
d~x · d~x
=1
=
(ds)2
d~x · d~x
~
v
|~
v|
ii) Normale
~eT (t) · ~eT (t) = ~eT (s) · ~eT (s) = 1
d
Differentation nach s ⇒ 2 ~eT (s) · ~eT (s) = 0
ds
d
⇒ ~eT ⊥
~eT
ds
2
Def.:
~eN
d
x(s)
d
1
2~
=
~eT · d
= dsd2 ~x(s)
ds
| ds ~eT |
| ds2 |
Der Normalenvektor. Offensichtlich ist ~eN · ~eN = 1
Betrachtet man konsekutive Tangenten an die Kurve, so bilden ~eT und ~eN eine Schmiegeebene:
d~x(s)
1 d2 ~x(s)
∆s +
(∆s)2 + O(∆s3 )
2
ds
2 ds
(∆s)2 d2 ~x(s) = ~x(s) + ∆s ~eT +
~eN + O(∆s3 )
2 ds2 ~x(s + ∆s) = ~x(s) +
12
13
I Mechanik des Massenpunktes
˛eT (s +
s)
˛eT (s)
˛eN (s)
˛x(s +
˛x(s)
Der Betrag von
Die Näherungskurve zweiter
Ordnung an ~x(s) liegt in der
von ~eT und ~eN aufgespannten
Schmiegeebene.
s)
d
eT (s)
ds ~
bzw.
d2 ~
x
ds2
steht mit dem Schmiegekreis in Zusammenhang.
d d~eT
1
~eT = 1
⇒
= ~eN
ds R
ds
R
ds = Rdφ
d„
˛eT
ds
|d~eT | = 1 · dφ
d~eT dφ = 1
=
⇒
ds
R dφ R
d„
R
d~x
und mit ~eT =
gilt
ds
iii) Binormale
2 d ~x 1
ds2 = R
˛eB
Def.:
~eB = ~eT × ~eN
˛eT
˛eN
13
I.5.2 Zerlegung der Beschleunigung
Wir hatten die Relationen
ds
=v
dt
d~x
= ~eT
ds
d~eT
1
= ~eN
ds
R
i) Geschindigkeit
d~x ds
d~x
=
= v ~eT
dt
ds dt
ii) Beschleunigung
14
14
d2 ~x
d
=
(v ~eT ) = v̇~eT + v~e˙ T
dt2
dt
d~eT ds
v
~e˙ T =
= ~eN
ds dt
R
I.6 Umrechnung der Newton’schen Grundgleichungen in Allgemeine Koordinaten
2
¨ = v̇~eT + v ~eN
~x
R
Somit:
D.h., der Beschleunigungsvektor lässt sich in eine Tangential- und eine Normalkomponente zerlegen.
Newton’sche Bewegungsgleichung
mv̇~eT + m
v2
~
~eN = K
R
(I.40)
In Komponenten:
~ = KT = mv̇
~eT · K
~ = KN = m
~eN · K
~ = KB = 0
~eB · K
v2
R
Beispiel: Kreisbewegung mit v = const.:
⇒ KT = 0 da v̇ = 0,
⇒ KN
KB = 0 sowieso
v2
=m
R
Bereits hier sehen wir, dass die Newton’sche Grundgleichung gegenüber Koordinatentransformationen
nicht forminvariant ist. Ziel wird sein, eine forminvariante Formulierung der Bewegungsgleichungen
zu finden.
I.6 Umrechnung der Newton’schen Grundgleichungen in
Allgemeine Koordinaten
Wir haben nun mehrfach gesehen, dass die Newton’schen Gleichungen unter allgemeinen Koordinatentransformationen nicht forminvariant sind.
Beispiel: Übergang kartesische Koordinaten → Zylinderkoordinaten
x1 = ρ cos φ
x2 = ρ sin φ
x3 = z
Transformation der Bewegungsgleichungen:
~ = P Ki~ei = Kρ~eρ + Kφ~eφ + Kz ~ez
K
i
mẍ1 = K1
mẍ2 = K2
mẍ3 = K3
⇔
m(ρ̈ − ρφ̇2 ) = Kρ
m(ρφ̈ + 2ρ̇φ̇) = Kφ
mz̈ = Kz
15
I Mechanik des Massenpunktes
Frage: Wie findet man für den allgemeinen Fall die Bewegungsgleichungen?
Dies wollen wir nun durch Umrechnung der Newtongleichung herleiten, was uns auf den zentralen
Begriff der Lagrange-Funktion führt.
Betrachten allgemeine Transformationsfunktionen fi (müssen umkehrbar sein):
x1 = f1 (q1 , q2 , q3 , t)
x2 = f2 (q1 , q2 , q3 , t)
Transformation {xi } → {qi } explizit zeitabhängig
x3 = f3 (q1 , q2 , q3 , t).
Für die Geschwindigkeit gilt dann
"
#
X ∂fj
∂fj
ẋj (t) =
(q1 , q2 , q3 , t) q̇i +
(q1 , q2 , q3 , t)
∂qi
∂t
i
Wir schreiben q =
b {q1 , q2 , q3 } und q̇ =
b {q̇1 , q̇2 , q̇3 }.
Def.:
ξj (q, q̇, t) =
X ∂fj
i
∂qi
(q, t) q̇i
+
.
q=q(t),q̇=q̇(t)
∂fj
(q, t)
∂t
(I.41)
Hierbei betrachten wir (q, q̇, t) als 7 unabhängige Variablen. Die Funktion ξj (q, q̇, t) geht im Fall
ξj (q, q̇, t)|q=q(t),q̇=q̇(t) = ẋj (t) auf die Geschwindigkeit des Massenpunktes über, wir erweitern sie
jedoch jenseits dieser Kurve in (q, q̇, t).
Beispiel: Zylinderkoordinaten q1 = ρ
Dann
q2 = φ
q3 = z.
x1 = q1 cos q2 = f1 (q1 , q2 , t)
h
i
ẋ1 = q̇1 cos q2 − q1 q̇2 sin q2
q=q(t),q̇=q̇(t)
.
Die Funktion ξ1 (q1 , q2 , q̇1 , q̇2 ) = q̇1 cos q2 − q1 q̇2 sin q2 stellt eine gewöhnliche Funktion der unabhängigen Variablen (q1 , q2 , q̇1 , q̇2 ) dar, man kann beispielsweise ihre partiellen Ableitungen bilden:
∂ξ1
= cos q2
∂ q̇1
∂ξ1
= − sin q2 .
∂ q̇2
Aus der Definition (I.41) folgt unmittelbar:
∂ξi
∂fj
=
(q, t).
∂ q̇k
∂qk
(I.42)
Nebenbemerkung:
Die kinetische Energie eines Teilchens lautet in kartesischen Koordinaten
Ekin =
und somit
Ekin
mv 2
m
= (ẋ21 + ẋ22 + ẋ23 )
2
2


m X 2 m X
=
ẋ =
ξj (q, q̇, t)2 
2 j j
2 j
q=q(t),q̇=q̇(t)
16
.
I.6 Umrechnung der Newton’schen Grundgleichungen in Allgemeine Koordinaten
Wir definieren die allgemeine Funktion der Variablen {q, q̇, t}
mX
T (q, q̇, t) =
ξj (q, q̇, t)2
2 j
(I.43)
mit T (q(t), q̇(t), t) = Ekin . Wir nennen vorerst T die verallgemeinerte kinetische Energie.
Wie lautet ẍj (t) in den neuen Variablen?
ẋj (t) = ξj (q(t), q̇(t), t)
Wegen
d
dt a
d
· m ∂fj (q(t), t)
ẍj (t) = ξj (q(t), q̇(t), t)
dt
∂qk
∂fj
d
∂ξj
⇒ mẍj (t)
(q(t), t) = m [ξj (q(t), q̇(t), t)] ·
(q(t), t)
∂qk
dt
∂ q̇k
b=
d
dt (ab)
d
− a dt
b folgt für die rechte Seite der Gleichung:
∂fj
d
∂ξj
d ∂ξj
mẍj
= m
ξj
− mξj
∂qk
dt
∂ q̇k
dt ∂ q̇k q=q(t),q̇=q̇(t)
d 1 ∂
∂ξj
2
=m
(ξ ) − m ξj
dt 2 ∂ q̇k j
∂qk q=q(t),q̇=q̇(t)
Im letzten Schritt haben wir verwendet, dass:
d ∂fj
d ∂ξj
=
(q(t), t)
dt ∂ q̇k
dt ∂qk
3 X
∂ 2 fj
∂ 2 fj
=
q̇i +
∂qk ∂qi
∂qk ∂t
i=1
#
"
∂ X ∂fj
∂fj
=
q̇i +
∂qk
∂qi
∂t
i
=
Mit ξj ∂qkj =
∂ξ
∂
∂qk
1
2
2 ξj
∂ξj
.
∂qk
folgt
mẍj
d ∂ m 2
∂ m 2
∂fj
=
ξj −
ξj
.
∂qk
dt ∂ q̇k 2
∂qk 2
q=q(t),q̇=q̇(t)
Summiert man diese Gleichung über j, benutzt die Newton’sche Grundgleichung
mẍj = Kj sowie die
P
2
Definition der verallgemeinerten kinetischen Energie T (q, q̇, t) = j m
ξ
aus
(I.43)
ergibt sich:
j
2
X
Kj
j
d ∂
∂fj
∂
.
=
T (q, q̇, t) −
T (q, q̇, t)
∂qk
dt ∂ q̇k
∂qk
q=q(t),q̇=q̇(t)
(I.44)
Die linke Seite definieren wir als generalisierte Kräfte
Qk =
mit der Matrix Ckj =
Komponenten Kj .
∂fj
∂qk .
3
X ∂fj
X
Kj =
Ckj Kj
∂qk
j
j=1
Die generalisierten Kräfte Qk sind Linearkombinationen der alten
Beispiele:
17
I Mechanik des Massenpunktes
a) Triviale Transformation:
xj = fj (q, t) = qj
j = 1, 2, 3
kinetische Energie:
Ekin =
mX 2
mX 2
ẋj ⇒ T =
q̇ = T (q)
2 j
2 j j
∂T
= mq̇k
∂ q̇k
∂T
=0
∂qk
Diese Transformation liefert mit
∂fj
∂qj
=
= δjk
∂qk
∂qk
X
d
(I.44) ⇒
Kj δjk = (mq̇k (t)) − 0
dt
j
⇒ Kk = mq̈k (t)
also wieder die alten Bewegungsgleichungen.
b) Zylinderkoordinaten
x = f1 (q1 , q2 ) = ρ cos φ
q1 = ρ q̇1 = ρ̇
y = f2 (q1 , q2 ) = ρ sin φ
q2 = φ
q̇2 = φ̇
z = f3 (q1 , q2 ) = z
q3 = z
q̇3 = ż
ẋ = ρ̇ cos φ − ρφ̇ sin φ
ẏ = ρ̇ sin φ + ρφ̇ cos φ
kinetische Energie:
Ekin =
m 2
m
(ẋ + ẏ 2 + ż 2 ) ⇒ T = (ρ̇2 + (ρ̇φ̇)2 + ż 2 ) = T (ρ, ρ̇, φ̇, ż)
2
2
Partielle Ableitungen:
∂T
= mρφ̇2
∂ρ
∂T
= mρ2 φ̇
∂ φ̇
∂T
= mρ̇
∂ ρ̇
∂T
= mż
∂ ż
Daraus ergeben sich die drei Bewegungsgleichungen nach (I.44):
i) Q1 = Qρ
Kx
18
∂x
∂y
∂z
d
+ Ky
+ Kz
= (mρ̇) − mρφ̇2 Kx cos φ + Ky sin φ
∂ρ
∂ρ
∂ρ
dt
= m(ρ̈ − mρφ̇2 )
~ · ~eρ
⇒ m ρ̈(t) − ρ(t)φ̇(t)2 = K
I.7 Potential
wobei ~eρ = cos φ~ex + sin φ~ey .
ii) Q2 = Qφ :
∂x
∂y
∂z
d
+ Ky
+ Kz
= (mρ2 φ̇) − 0
∂φ
∂φ
∂φ
dt
ρ (−Kx sin φ + Ky cos φ) = m 2ρρ̇φ̇ + ρ2 φ̈ − mρφ̇2
~ · ~eφ
⇒ m ρφ̈(t) + 2ρ̇(t)φ̇(t) = K
Kx
wobei ~eφ = − sin φ~ex + cos φ~ey .
iii) Q3 = Qz :
Kz
∂z
d
= (mż) − 0
∂z
dt
⇒ mz̈ = Kz
D.h. wir erhalten ein übereinstimmendes Ergebnis zum vorher hergeleiteten.
Anmerkung:
Einfacherer Weg zur Herleitung von T (q, q̇, t): Projektion in x-y-Ebene:
ds
dt
ds2 = (dρ)2 + (ρdφ)2 + (dz)2
2 2 2 2
ds
dρ
ρdφ
dz
⇒
=
+
+
dt
dt
dt
dt
dfl
v=
dfl
fld„
fl
d„
v 2 = ρ̇2 + ρ2 q̇ 2 + ż 2
m
m
T = v 2 = (ρ̇2 + ρ2 φ̇2 + ż 2 ) wie zuvor
2
2
„
I.7 Potential
~ = K(~
~ x, t; {αi }), d.h. unabhängig von ~x˙ , die von einem Potential
Wollen uns beschränken auf Kräfte K
V (~x, t; {αi }) abgeleitet werden können:
Ki = −
∂
V (~x, t) =: −∂i V (~x, t) = −∇i V (~x, t) .
∂xi
Haben gebräuchliche Bezeichnungen für partielle Ableitung
"Nabla".
∂
∂xi
~ bezeichnet man als
benutzt. ∇
Beispiele:
- kräftefreies Teilchen:
V = const., Ki = 0
- konstante
P3Kraft:
V = − l=1 xl bl , Ki = bi
- Federgleichung/harmonischer Oszillator in 1D:
V = 12 kx2 , K = −kx
19
16
I Mechanik des Massenpunktes
- Coulombpotential7 bzw. Newton’sches Gravitationspotential:
V = − αr = −α √1~x2 , Ki = −α rx3i
γM m Gravitation
α=
q1 q2 , Coulomb, Ladungen q1 und q2
Kräfte, die aus einem Potential folgen
~ = −∇V
~ = −gradV
K
(I.45)
bezeichnet man als "konservative Kräfte".
Für ein konservatives Kraftfeld gilt
~ ×K
~ = rotK(x
~ 1 , x2 , x3 , t) =
∇





∂Kz
∂y
∂Kx
∂z
∂Ky
∂x
−
−
−
∂Ky
∂z
∂Kz
∂x
∂Kx
∂y
~ × (∇V
~ ) = (∇
~ × ∇)V
~
da ∇
= 0.
Aus dem Stokes’schen Integralsatz8 folgt
I
Z
~ · d~s =
~ · dF~ = 0
K
rotK
=0
=0
=0





= 0,
F
Das Wegintegral über die Kraft von einem Punkt ~xI zu einem anderen ~xII ist vom Weg unabhängig
und gleich der Potentialdifferenz:
V (~xII ) − V (~xI ) = −
Z
~
xII
~
xI
~ · d~s.
K
II
˛ = ≠m˛g
K
Geleistete Arbeit ist dieselbe!
I
I.8 Wegintegrale
~ x)?
Frage: Wie berechnet man ein Wegintegral entlang eines Weges durch ein beliebiges Kraftfeld K(~
Z
C
7 (Charles
8 (George
20
~ · ~x = ?
K
Augustin de Coulomb, Frankreich, 1736-1806)
Gabriel Stokes, Irland/England, 1819-1903)
C: Pfad
(I.46)
I.8 Wegintegrale
Parametrisierung der Raumkurve
Zunächst muss man den Weg durch eine Raumkurve parametrisieren
~x(τ ) = x1 (τ ) ~e1 + x2 (τ ) ~e2 + x3 (τ ) ~e3
~x(τ0 ) = ~x0
~x(τ1 ) = ~x1 .
τ ∈ [τ0 , τ1 ]
(I.47)
τ muss nicht mit der Zeit identisch sein, das Wegintegral ist unabhängig von der Parametrisierung
des Weges, wie wir gleich sehen werden.
Differential
d~x =
Wegintegral
Z
Z
~ · ~x :=
K
C
τ1
dτ
τ0
dx2 (τ )
dx3 (τ )
dx1 (τ )
~e1 +
~e2 +
~e3 .
dτ
dτ
dτ
dx (τ )
dx2 (τ )
dx3 (τ )
1
K1 (~x(τ )) +
K2 (~x(τ )) +
K3 (~x(τ ))
dτ
dτ
dτ
(I.48)
Nun liegt ein gewöhnliches 1D Integral vor, was sich integrieren lässt!
Parametrisierungsunabhängigkeit: Bei einer Umparametrisierung des Weges: τ → τ̃ = τ̃ (τ ) ändern
sich
dτ̃ (τ )
dxi (τ )
dxi (τ ) dτ̃
dτ̃ =
dτ
=
dτ
dτ
dτ̃ dτ
und somit
dxi (τ )
dxi (τ̃ )
dτ
= dτ̃
,
(I.49)
dτ
dτ̃
woraus die Unabhägigkeit des Wegintegrals von der Parametrisierung des Weges folgt. Dies ist eine
zwingende Voraussetzung für eine sinnvolle Definition desselben.
Beispiel:
~ x) = a y ~ey
Kraftfeld: K(~
Weg: Gerade durch P0 (0, 0, 0) und P1 (1, 1, 0)
y
x(τ ) = τ
1
y(τ ) = τ
z(τ ) = 0
⇒ d~x(τ ) = (~ex + ~ey ) dτ
C
τ ∈ [0, 1]
Dann folgt
1
x
z
~ · d~x = aτ ~ex · (~ex + ~ey ) dτ = aτ dτ
K
Z
Z 1
a
~
K · ~x =
dτ aτ = .
2
0
C
Wegunabhängigkeit
Spezialfall:
∂Kx
∂Ky
−
= 0,
∂y
∂x
∂Ky
∂Kz
−
= 0,
∂z
∂y
∂Kz
∂Kx
−
= 0,
∂x
∂z
(I.50)
~ x) = 0. Dann existiert ein Potential mit
bzw. rot K(~
Ki = −
∂V
∂xi
21
I Mechanik des Massenpunktes
Wir betrachten nun das Wegintegral entlang C mit einer beliebigen Raumkurve ~x(τ ), die vom
Startpunkt ~x(τ0 ) = ~x0 zum Endpunkt ~x(τ1 ) = ~x1 verläuft.
Z
Z τ1
h
dy(τ )
dz(τ ) i
dx(τ )
~ · ~x =
K
dτ Kx (x(τ ), y(τ ), z(τ ))
+ Ky (x(τ ), y(τ ), z(τ ))
+ Kz (x(τ ), y(τ ), z(τ ))
dτ
dτ
dτ
C
τ0
Z τ1
h ∂V (x, y, z) dx(τ ) ∂V (x, y, z) dy(τ ) ∂V (x, y, z) dz(τ ) i
dτ
=−
+
+
+
∂x
dτ
∂y
dτ
∂z
dτ
τ
Z 0τ1
dV (x(τ ), y(τ ), z(τ ))
=−
dτ
dτ
τ0
τ =τ1
= −V (~x1 ) + V (~x0 )
(I.51)
= −V (~x(τ ))
τ =τ0
Das Resultat ist in der Tat wegunabhängig!
I.9 Lagrange Funktion
Für konservative Kräfte lassen sich die allgemeinen Bewegungsgleichungen (I.44)
d
∂
∂
Qk =
T −
T
dt ∂ q̇k
∂qk
nun umschreiben mit
Qk =
Da nun Kj (x) = −
(I.52)
X ∂fj
Kj .
∂qk
j
∂V
(x) und xj = fj (q, t) folgt für die generalisierte Kraft
∂xj
X ∂V ∂xj Kettenregel ∂V =
−
(q, t)
Qk = −
∂xj ∂qk
∂qk
j
(I.53)
Hier wird das Potential V als Funktion der allgemeinen Koordinaten qi betrachtet. Daraus ergibt
sich nun
d
∂
∂
∂V
T −
T =−
(I.54)
dt ∂ q̇k
∂qk
∂qk
bzw. mit
∂V
= 0 folgt die zentrale Relation
∂ q̇k
d
∂
∂
(T − V ) −
(T − V ) = 0
dt ∂ q̇k
∂qk
Def: Lagrange Funktion
9
L(q, q̇, t) := T (q, q̇, t) − V (q, t)
Die Bewegungsgleichungen für einen Massenpunkt in einem beliebigen Koordinatensystem, der einem
Potential V ausgesetzt ist, lauten
d ∂L
∂L
−
=0
(I.55)
dt ∂ q̇k
∂qk
Dies sind die “Lagrange’schen Bewegungsgleichungen”
9 (Joseph
22
Louis Lagrange, Italien/Frankreich, 1736-1813)
I.10 Geschwindigkeitsabhängige Potentiale
I.10 Geschwindigkeitsabhängige Potentiale
Die Lagrange’schen Bewegungsgleichungen (I.55) können auch aufgestellt werden, wenn V nicht
konservativ ist und von den Geschwindgikeiten q̇i abhängt.
Voraussetzung:
Die generalisierte Kraft folgt aus einem generalisierten Potential V (q, q̇, t)
∂V
d ∂V
,
Qj = −
+
∂ qj
dt ∂ q̇j
(I.56)
so dass (I.55) mit L = T (q, q̇, t) − V (q, q̇, t) weiterhin gilt. Solch ein geschwindigkeitsabhängiges
Potential tritt insbesondere für geladene Teilchen im elektromagnetischen Feld auf:
q ~
x, t) · ~ẋ
(I.57)
V (~x, ~x˙ , t) = −q φ(~x, t) + A(~
c
~ Vektorpotential
φ: Skalares Potential, A:
Bemerkung
Sind nur einige der auf das Teilchen wirkende Kräfte von einem Potential herleitbar, so gelten die
Lagrange’schen Gleichungen in der Form
d ∂L
∂L
−
= Qj ,
dt ∂ q̇k
∂qk
(I.58)
wobei hier die Qj die verallgemeinerten Kräfte darstellen, die nicht von einem Potential herrühren.
I.11 Massenpunkt unter Zwangsbedingungen
Häufige Situation: Bewegung des Massenpunktes ist durch äußere Bedingungen eingeschränkt.
Beispiele:
i) Teilchen auf Kugelschale
Masse m ist durch die Zwangsbedingung
x2 + y 2 + z 2 = a2
(I.59)
a
m
gebunden. → Es wirkt eine Zwangskraft.
m·g
ii) Teilchen im Aufzug
Masse m kann sich in xy-Ebene frei bewegen, für z
gilt:
z(t) = v0 (t − t0 ) + z0 → ż = v0
z
m
v0 = const.
(I.60)
x
23
I Mechanik des Massenpunktes
iii) Teilchen auf harter Kugel im Schwerefeld
a
Verbotenes Gebiet:
(x2 + y 2 + z 2 ) − a2 ≥ 0
m
m·g
iv) Masse auf schiefer Ebene mit veränderlicher Neigung
z
z
− tan ϕ(t) = 0
x
ϕ(t) : vorgegebene Funktion
m·g
Ï(t)
x
Zwangsbedingungen sind geometrische Bindungen, die die freie Bewegung des Massenpunktes einschränken. Sie führen zu Zwangskräften, die in der Bewegungsgleichung zu berücksichtigen sind. Die
Zwangsbedingungen und -kräfte können im Allgemeinen zeitabhängig sein.
Einteilung
a) Holonome Zwangsbedingungen:
ϕν (x, y, z, t) = cν
ν = 1, . . . , p
(I.61)
(p = 1 oder 2 zunächst)
(I.62)
• Holonom-Skleronom: Zwangsbedingung ist nicht explizit zeitabhängig, d.h.
∂ϕν
=0
∂t
4
ν = 1, . . . , p
(I.63)
• Holonom-Rheonom: Holonome Zwangsbedingung mit expliziter Zeitabhängigkeit
∂ϕν
6= 0
∂t
(I.64)
F (x, y, z, t) ≥ 0
(I.65)
b) Nicht-holonome Zwangsbedingungen
• Zwangsbedingung als Ungleichung
• Zwangsbedingung in differentieller, nicht integrierbarer Form. Solche Bedingungen lassen sich
schreiben als:
X
fνj dxj + fνt dt = 0
ν = 1, . . . , p
(I.66)
j
24
I.11 Massenpunkt unter Zwangsbedingungen
wobei sich die linke Seite nicht integrieren lässt. D.h sie stellt kein totales Differential dar und
es gibt keine Funktion Fν (~x, t) für die
fνj =
∂Fν
für alle j,
∂xj
fνt =
∂Fν
∂t
(I.67)
gilt, sonst wäre (I.66) äquivalent zur holonomen Zwangsbedingung
Fν (~x, t) = const.
(I.68)
Beispiel: Rollen in der Ebene
I.11.1 Lagrange-Gleichungen 1. Art
Wir wollen uns zunächst auf eine holonome Zwangsbedingung beschränken.
˛
Z
~ Eingeprägte Kräfte (z.B. Schwerkraft)
K:
~ Zwangskraft (unbekannt)
Z:
¨=K
~ +Z
~
m~x
mg
Zwangsbedingung:
ϕ(x, y, z, t) = const.
(I.69)
Für feste Zeit t beschreibt dies eine Fläche im R3 .
˛eN
˛eB
~e3 k Normale ~eN
Bewegung hat 2 Freiheitsgrade
˛eT
~ darf keinen Beitrag zur Beschleunigung des Massenpunktes in der Fläche haben.
Zwangskraft Z
~ k ~eN
⇒Z
(I.70)
~ = ∂ϕ ~ex + ∂ϕ ~ey + ∂ϕ ~ez
∇ϕ
∂x
∂y
∂z
(I.71)
~
~ = λ · ∇ϕ
Z
(I.72)
Die Normale einer Fläche ist der Gradient
⇒
λ: Unbekannte, Lagrange Multiplikator
6
25
I Mechanik des Massenpunktes
Beweis: Richtig, da totales Differential von ϕ:
dϕ =
∂ϕ
∂ϕ
∂ϕ
~ · d~x
dx +
dy +
dz = ∇ϕ
∂x
∂y
∂z
(I.73)
Bei Änderungen innerhalb der Fläche gilt
dϕ = 0
~ · d~x = 0
∇ϕ
⇒
(I.74)
und da d~x beliebig aber innerhalb der Fläche ist, folgt
~ k Normale
∇ϕ
Lagrange-Gleichungen erster Art
D.h. wir haben die 4 Gleichungen
¨=K
~ x, t)
~ + λ∇ϕ(~
m~x
ϕ(~x, t) = c
für die 4 Unbekannten (x, y, z, λ). Dieses Gleichungssystem nennt man die Lagrange-Gleichungen 1. Art.
Lösungsstrategie:
1) Elimination einer Koordinate
ϕ(x, y, z, t) = 0
⇒
z = f (x, y, t)
ż = g(ẋ, ẏ, x, y, t)
z̈ = h(ẍ, ÿ, ẋ, ẏ, x, y, t)
2) Aus
z̈ = Kz + λ
∂ϕ
(x, y, z, t)
∂z
(I.75)
gewinnt man durch einsetzen von z̈ und z
λ = λ(ẍ, ÿ, ẋ, ẏ, x, y, t)
(I.76)
3) Es verbleiben
∂ϕ
(x, y, z, ẋ, ẏ, ż, t)
∂x
∂ϕ
mÿ = Ky (x, y, z, ẋ, ẏ, ż, t) + λ (x, y, z, ẋ, ẏ, ż, t)
∂y
mẍ = Kx (x, y, z, ẋ, ẏ, ż, t) + λ
Das sind zwei Differentialgleichungen für die zwei Freiheitsgrade x(t) und y(t).
4) Integration derselben liefert x(t) und y(t), daraus erhält man z(t) und λ(t) durch Einsetzen.
Beispiel:
Kugel auf Paraboloid
26
I.11 Massenpunkt unter Zwangsbedingungen
z
z = a(x2 + y 2 )
mg
⇒ ϕ = z − a(x2 + y 2 ) = const.
~ = (−2ax, −2ay, 1)
∇ϕ
y
(Zwangsbedingung)
x
¨=K
~
~ + λ∇ϕ
m~x
Ausgeschrieben in den einzelnen Komponenten:
mẍ = −λ2ax
~ = −mg~eZ
K
(I.77)
ż = 2a(ẋx + ẏy)
z̈ = 2a(ẋ2 + ẏ 2 + ẍx + ÿy)
mÿ = −λ2ay
mz̈ = λ − mg
⇒ λ = mz̈ + mg = m[2a(ẋ2 + ẏ 2 + ẍx + ÿy) + g]
(I.78)
Daraus erhält man 2 gekoppelte Differentialgleichungen:
ẍ = −2a[2a(ẋ2 + ẏ 2 + ẍx + ÿy) + g]x
ÿ = −2a[2a(ẋ2 + ẏ 2 + ẍx + ÿy) + g]y
Durch Lösen der DGLs findet man x(t) und y(t).
Zwei Holonome Zwangsbedingungen (Kurve)
NUn betrachten wir den Fall zweier holonomer Zwangsbedingungen
ϕ1 (x, y, z, t) = c1
ϕ2 (x, y, z, t) = c2
(I.79)
Diese beschreiben eine Kurve im Re3 auf der sich unser Mssenpunkt bewegen kann, da Schnitt zweiter
Flächen. Überlagerung der Zwangskräfte:
~ 1 + λ2 ∇ϕ
~ 2
~ = λ1 ∇ϕ
Z
(I.80)
¨=K
~ 1 + λ2 ∇ϕ
~ 2
~ + λ1 ∇ϕ
m~x
c1 = ϕ1 (x, y, z, t)
8c2 = ϕ2 (x, y, z, t)
1 Freiheitsgrad, Lagrange Gleichungen 1. Art.
I.11.2 Lagrange Gleichungen 2. Art
Zunächst Vorwegnahme des Ergebnisses: Bei r holonomen Zwangsbedingungen besitzt unser Massenpunkt f = 3 − r Freiheitsgrade. Dann brauchen nur die Koordinaten q1 , . . . , qf betrachtet werden,
die diese Freiheitsgrade parametrisieren.
Dann ist T = T (q1 , . . . , qf , q̇1 , . . . , q̇f ) bzw. L = L(q1 , . . . , qf , q̇1 , . . . , q̇f ) und es gilt
d ∂L
∂L
=
für k = 1, . . . , f
dt ∂ q̇k
∂qk
27
I Mechanik des Massenpunktes
Beispiele für geeignete Koordinaten:
• Ebenes Pendel:
q1 = –
–
q1 = α
• Masse auf Kugelschale:
q1 = φ
q2 = θ
◊
„
• Masse auf Schiene:
q1 = x
x
Die Wahl der Koordinaten ist beliebig!
Herleitung:
~ und
Ausgehend von beliebigen Koordinaten q1 , q2 , q3 haben wir die Lagrange-Glg. für Kraft K
~
Zwangskraft Z:
3
X
d ∂T
∂T
∂xj
−
= Qk =
(Kj + Zj )
dt ∂ q̇k
∂qk
∂qk
j=1
Nun lautet für r holonome Zwangsbedingungen ϕν =const., ν = 1, . . . , r die Zwangskraft gerade
Zj =
r
X
ν=1
Dann gilt
3
X
3
λν
9
∂ϕν
∂xj
r
X X ∂ϕν ∂xj
∂xj
Zj
=
λν
∂qk
∂xj ∂qk
j=1
j=1 ν=1


r
3
X
X
∂x
∂ϕ
ν
j
=
λν 
∂x
∂q
j
k
ν=1
j=1
|
{z
}
ν
= ∂ϕ
∂q
k
r
X
∂ϕν
=
λν
∂qk
ν=1
28
I.11 Massenpunkt unter Zwangsbedingungen
Somit haben wir die Lagrange-Gleichungen:
3
X
d ∂T
∂T
∂λj X ∂ϕν
−
=
+
Kj
λν
dt ∂ q̇k
∂qk
∂qk ν=1 ∂qk
j=1
r
Nun wählt man seine Koordinaten qk speziell so:
q1 , . . . , qf , qf +1 , . . . , q3
| {z } |
{z
}
beliebig
speziell mit
qf +1 = ϕ1
..
.
q3 = ϕr
D.h. die holonomen Zwangsbedingungen werden als Koordinaten gewählt:
qf +ν = ϕν = const.
ν = 1, . . . , r
Dann gilt:
r
X
ν=1
r
λν
r
X ∂qf +ν
X
∂ϕν
=
λν
=
λν δk,f +ν
∂qk
∂qk
ν=1
ν=1
Ist nun k = 1, . . . , f , verschwindet dieser Ausdruck, da dann δk,f +ν stets Null ist, und die verallgemeinerten Kräfte sind unabhängig von λν :
⇒ Qk =
3
X
Kj
j=1
∂xj
+0
∂qk
Wir erhalten dann für k = 1, . . . , f :
3
X
d ∂T
∂T
∂xj
(q1 , . . . , qf , qf +1 , . . . , q3 , q̇1 , . . . , q̇f , q̇f +1 , . . . , q̇3 ) −
=
Kj
dt ∂ q̇k
∂qk
∂qk
j=1
(I.81)
Nun ist die zeitliche Entwicklung der r-Koordinaten qf +1 , . . . , q3 bekannt
qf +1 = ϕ1 = c1
..
⇒ q̇f +j = 0
.
j = 1, . . . , r
qf +r = ϕr = cr
So dass die Gleichung I.81 nun von den Koordinaten qf +j entkoppelt:
3
X
d ∂T
∂T
∂xj
(q1 , ..., qf , q̇1 , ..., q̇f ) −
(q1 , ..., qf , q̇1 , ..., q̇f ) =
Kj
(q1 , ..., qf , t)
dt ∂ q̇k
∂qk
∂qk
j=1
(I.82)
mit k = 1, ..., f . Dieses Gleichungssystem nennt man die Lagrange Gleichungen 2. Art.
Spezialfall: Die eingeprägten Kräfte sind konservativ:
Kν = −
∂V
∂xν
29
I Mechanik des Massenpunktes
Dann ist
Qk =
3
X
Kj
j=1
d
⇒
dt
3
X
∂xj
∂V
∂V ∂xj
=−
=−
∂qk
∂x
∂q
∂q
j
k
k
j=1
∂L
∂ q̇k
=
∂L
∂qk
k = 1, . . . , f
mit der Lagrange-Funktion L(q1 , ..., qf , q̇1 , ..., q̇f ) = T − V .
Beispiel:
Ebenes Pendel: 2 holonome Zwangsbedingungen
y
„
d„
z = 0,
l
x
l2 = x2 + y 2
ϕ1 (x, y, z, t) = z = 0 = c1
p
ϕ2 (x, y, z, t) = x2 + y 2 = ` = c2
ds = ld„
mg
D.h. r = 2. Freiheitsgrade f = 3 − 2 = 1 Wahl der Koordinate q = ϕ.
L(q, q̇) = T (q, q̇) − V (q)
Kinetische Energie
2
dϕ
dt
m 2 2
⇒ T (ϕ, ϕ̇, t) = ` ϕ̇
2
v2 =
ds
dt
2
= `2
Potentielle Energie
Kx = mg,
⇒ V = −mgx
∂V
= −mg
∂x
⇒ V (ϕ) = −mg` cos ϕ
Lagrange-Funktion
L(ϕ, ϕ̇) =
m 2 2
` ϕ̇ + mg` cos ϕ
2
⇒ `2 ϕ̈ − g` sin ϕ = 0
(I.83)
Um zu zeigen, dass die Wahl der freien Variable willkürlich sein kann, wiederholen wir die Analyse
und wählen jetzt
q=x
30
⇒
T =
m 2
ẋ + ẏ 2 + ż 2
2
I.11 Massenpunkt unter Zwangsbedingungen
Zwangsbedingung: z = 0,
p
y = ± `2 − x2
xẋ
ẏ = ∓ √
2
` − x2
⇒T =
m 2
m
x2
`2
= ẋ2 2
ẋ 1 + 2
2
2
` −x
2 ` − x2
V = −mgx
⇒ L(x, ẋ) =
Bewegungsgleichung:
d
dt
`2
mẋ 2
` − x2
m 2 `2
+ mgx
ẋ
x `2 − x2
m 2 `2 2x
+ mg = 0
ẋ
2 (`2 − x2 )2
g
⇒ ẍ(`2 − x2 ) + ẋ2 x + (`2 − x2 ) 2 = 0
`
−
Substitution von x = ` cos ϕ liefert vorheriges Ergebnis I.83.
31
II Mehrteilchensysteme und Erhaltungssätze
Für eine große Klasse von Kräften ist es möglich Aussagen über den Verlauf der Bewegung zu machen,
ohne die explixite Lösung der Bewegungsgleichungen zu kennen.
II.1 Bewegungsgleichungen
Wir wollen nun unsere Betrachtungen auf N -Teilchensysteme ausdehnen:
Lage der N Teilchen:
m1
˛x1
˛x3
˛x
~xI , I = 1, ..., N
m3
m2
2
Geschwindigkeiten der Teilchen:
O
~x˙ I , I = 1, ..., N.
II.1.1 Newton’sche Bewegungsgleichungen (Inertialsystem)
Betrachten wir zunächst die Newton’schen Bewegungsgleichungen ohne Zwangskräfte:
¨I = K
~ I ({~xI }, {~x˙ I }, t)
mI ~x
(II.1)
oder in den jeweiligen Komponenten i = x, y, z:
mI ẍIi = KiI .
(II.2)
Dies führt im Allgemeinen zu 3N gekoppelten Differentialgleichungen 2. Ordnung für die ~xI (t) mit
6N Integrationskonstanten. Eine mögliche Wahl für die Anfangsbedingungen sind die Orte und
Geschwindigkeiten der N Teilchen: ~xI (t0 ) und ~x˙ I (t0 ).
Alternative Indizierung:
o I = 1, ..., N
I
⇒ a = 1, ..., 3N.
(II.3)
i = x, y, z
i
Mithilfe der Indices a ergibt sich II.1 in eine symmetrischen Form zu:
(II.4)
ma ẍa = Ka
Hierbei sind natürlich jeweils drei aufeinanderfolgende ma identisch.
Nun nehmen wir r holonome Zwangsbedingungen mit 0 ≤ r ≤ 3N hinzu:
ϕν (x1 , ..., x3N , t) = cν ,
ν = 1, ..., r.
(II.5)
33
11
II Mehrteilchensysteme und Erhaltungssätze
Beispiel einer solchen Zwangsbedingung wäre die Kopplung von Teilchen mit einer Stange der Länge
l:
ϕ1 = |~x1 − ~x2 | = l.
(II.6)
Nach den Argumenten des letzten Kapitels ergeben sich dann die Lagrange-Gleichungen 1. Art:
r
X
∂ϕν
∂xa
(II.7)
∂Ka
∂Kb
−
= 0, a, b = 1, ..., 3N.
∂λb
∂λa
(II.8)
¨a = Ka + Za ; Za =
ma ~x
λν
ν=1
Konservative Kräfte sind jetzt Ka = Ka (x1 , ...x3N , t) mit
Diese stammen von einem Potential V = V (x1 , ..., x3N , t) mit
Ka = −
∂V
.
∂λa
(II.9)
II.1.2 Lagrange’sche Bewegungsgleichungen (Allgemeine Koordinaten)
Als nächsten Schritt wird wieder der Übergang zu allgemeinen Koordinaten betrachtet:
xa → qa : xa = fa (q1 , ..., q3N , t); a = 1, ..., 3N.
(II.10)
Wobei die qa beliebig sind, allerdings müssen die fa umkehrbare Funktionen sein. Analog zur
Diskussion in Kapitel I.10 laufen die Summen nun statt von 1 bis 3 von 1 bis 3N :
d ∂T
∂T
(II.11)
−
= Qk , k = 1, ..., 3N
dt ∂ q̇k
∂qk
wobei
T =
3N
X
ma
2
a=1
Qk =
3N
X
Ka
a=1
ẋ2a
(II.12)
r
∂xa X ∂ϕν
λν
+
∂qk ν=1 ∂qk
(II.13)
∂V
Betrachtet man nun wieder konservative Kräfte ka = − ∂x
, so folgt:
a
Qk = −
r
X ∂ϕν
∂V
+
λν
∂qk ν=1 ∂qk
(II.14)
und die Zwangsbedingungen lassen sich durch geeignete Koordinatenwahl eliminieren:
xa = fa (q1 , ..., qf , ϕ1 , ..., ϕr , t)
|{z}
| {z } |{z}
(II.15)
L = T (q1 , ..., qf , q̇1 , ..., q̇f ) − V (q1 , ..., qf , t)
(II.16)
beliebig
=c1
=cr
mit f = 3N − r Freiheitsgraden.
Somit erhält man mit der Lagrangefunktion
34
II.1 Bewegungsgleichungen
die Lagrange-Gleichungen zweiter Art:
∂L
d ∂L
−
= 0 k = 1, ..., f.
dt ∂ q̇k
∂qk
(II.17)
Bemerkung:
Auch hier ist die Erweiterung zu geschwindigkeitsabhängigen Potentialen V (q1 , ..., qf , q̇1 , ..., q̇f , t)
möglich, falls
∂V
d ∂V
Qk = −
+
∂qk
dt ∂ q̇k
gilt. Zum Beispiel für Teilchen im elektromagnetischen Feld gegeben.
Beispiel: Doppelpendel
Ebene z = 0
Freiheitsgrade: f = 2
Zwangsbedingungen:
x
„1
|~x1 | = l1 , z 1 = 0,
l1
m1
„2
|~x1 − ~x2 | = l2 , z 2 = 0,
l2
r = 4 → f = 3N − r = 3 · 2 − 4 = 2
m2
y
Koordinatenwahl: q1 = ϕ1 , q2 = ϕ2 .
m1 1 2 m2 2 2
(v ) +
(v ) ,
V = −m1 gy (1) − m2 gy (2)
2
2
(v 1 )2 = l12 ϕ̇21 ; (v 2 )2 = (ẋ(0) )2 + (ẏ (0) )2
⇒T =
x0 = l1 sin q1 + l2 sin q2
y 0 = l1 cos q1 + l2 cos q2
(v 2 )2 = (l1 ϕ̇1 cos ϕ1 + l2 ϕ̇2 cos ϕ2 )2
+ (l1 ϕ̇1 sin ϕ1 + l2 ϕ̇2 sin ϕ2 )2
= l12 ϕ̇21 + l22 ϕ̇22 + 2l1 l2 ϕ̇1 ϕ̇2 (cos ϕ1 cos ϕ2 + sin ϕ1 sin ϕ2 )
= l12 ϕ̇21 + l2 ϕ̇22 + 2l1 l2 ϕ̇1 ϕ̇2 cos(ϕ1 − ϕ2 )
V = −m1 g l1 cos ϕ1 − m2 g(l1 cos ϕ1 + l2 cos ϕ2 ).
Somit folgt für die Lagrange-Funktion:
m1 + m2 2 2 m2 2 2
l1 ϕ̇1 +
l ϕ̇
2
2 2 2
+ m2 l1 l2 ϕ̇1 ϕ̇2 cos(ϕ1 − ϕ2 )
L=T −V =
+ (m1 + m2 )g l1 cos ϕ1 + m2 l2 g cos ϕ2 .
12
Hieraus ergeben sich die gekoppelten
Lagrange-Gleichungen in ϕ1 und ϕ2 .
35
II Mehrteilchensysteme und Erhaltungssätze
II.2 Energieerhaltung
Hängt das Potential nicht von der Zeit ab, so gibt es eine erhaltene Größe, die wir Energie nennen:
Es gilt: V = V (x) und x = {x1 , ..., x3N }, sodass mit ∂V
∂t = 0 gilt:
Das heißt:
3N
3N
X
d
∂V dxa II.42 X
=
= −
ma ẍa ẋa
dt a=1 ∂xa dt
a=1
!
3N
d 1X
2
ma ẋa
=−
dt 2 a=1


3N

d 
1 X

ma ẋ2a +V (x) = 0.

dt  2 a=1

|
{z
}
T
Dies ist der Energieerhaltungssatz:
E = T + V = const, falls
∂V
∂t
=0
(II.18)
Definition einer Erhaltungsgröße:
Wert der Größe bleibt während des Bewegungsablaufes konstant:
F (x1 (t), ..., x3N (t)) = const = F (x1 (t0 ), ..., x3N (t0 )).
Die xa (t) ändern sich hierbei sehr wohl! Die Bewegungsgleichungen II.42 werden bei der Herleitung
des Energieerhaltungssatzes verwendet, die Kenntnis der expliziten Lösung ist aber nicht nötig.
D.h. falls
∂V
∂t
= 0 ⇔ Invarianz des Potentials unter infinitesimaler Zeittranslation.
⇒ Invarianz unter Zeittransformation → Energieerhaltung!
(II.19)
II.3 Eindimensionale Bewegung bei Energieerhaltung
Die Kenntnis von Erhaltungsgrößen ist sehr nützlich! Im eindimensionalen Fall erlaubt Energieerhaltung die Integration der Bewegungsgleichung. Der Energiesatz besagt
1
mẋ2 = E − V (x)
2
r
dx
2
⇒
=±
(E − V (x))
dt
m
(II.20)
(II.21)
Das heißt, dass Teilchen nur Werte von x durchlaufen kann, für die gilt: E ≥ V (x). Für vorgegebene
Energie E existieren Bewegungsbereiche für x. Punkte V (xi ) = E sind Umkehrpunkte der Bewegung
und es gilt ẋ(t) = 0 dort. An Umkehrpunkten findet ein Vorzeichenwechsel von dx und dx
dt statt. statt.
Finite Bewegung:
Bewegung in einem endlichen Intervall, Gebiet ist durch zwei Umkehrpunkte begrenzt (Oszillation).
36
II.4 Impulserhaltung
V
Finite Bewegung
Infinite Bewegung
E
x1
x2
x
x3
Infinite Bewegung:
Bewegung in einem unendlichen Intervall, Gebiet durch einen oder keinen Umkehrpunkt begrenzt.
Die Gleichung II.21 kann integriert werden:
dt = q
⇒ t − t1 = ±
2
m
Z
±dx
(E − V (x))
x̄
x1
q
2
m
±dx
(E − V (x))
Implizite Gleichung für x(t), das unbestimmte Vorzeichen reflektiert die Zeitumkehrinvarianz:
Wenn x(t) Lösung ist und die Anfangsbedingungen x0 und v0 sind, so ist x(−t) ebefalls Lösung mit
den Anfangsbedingungen x0 und −v0 .
Bei finiter Bewegung gilt für die Schwingungsdauer T :
Z x2 (t) r
m
dx
p
(II.22)
T =2
2
E − V (x)
x1 (t)
II.4 Impulserhaltung
Nun wollen wir zeigen, dass aus der Translationsinvarianz des Potentials die Impulserhaltung folgt:
0
0
Für ~xI → ~xI = ~xI + ~a, I = 1, ..., N ; ~a = const sei V (~xI , t) = V (~xI , t).
Dies ist z.B. realisiert für Potentiale, die nur vom Abstand der Teilchen vonneinander abhängen:
V (~xI ) = V (|~xI − ~xJ |).
Eine infinitesimale Translation impliziert nun:
Das heißt:
3
X
N
X
∂
!
V (~x + ~a, t) = V (~x , t) +
ai
V (~xI , t) + O(a2 ) = V (~xI , t)
I
∂x
i
i=1
I=1
I
I
N
N
X
X
∂
I
V
(~
x
)
=
−
KiI = 0,
I
∂x
i
I=1
I=1
37
13
II Mehrteilchensysteme und Erhaltungssätze
da die ai infinitesimal aber beliebig sind.
Wir haben aus der Translationsinvarianz das dritte Newton’sche Gesetz hergeleitet: actio = reactio
N
X
(II.23)
~ I = 0.
K
I1
Hieraus folgt unmittelbar die Impulserhaltung durch Verwendung der Newton’schen Bewegungsgleichungen II.42


0=
N
X
I1
Gesamtimpuls:
N

X

d 
I
I
˙
¨

mI ~x 
mI ~x =

dt 

I=1
| {z }
~
:=P
P~ :=
N
X
mI ~x˙ I
(II.24)
I=1
Impuls des I-ten Teilchens p~I = mI ~x˙ I . Erhaltungssatz:
d ~
dt P
= 0 ⇒ P~ (t) = P~ (t0 ).
Schwerpunkt:
~ zu definieren:
(II.24) legt nahe, den Schwerpunkt R
N
X
~ := 1
R
mI ~xI
M
(II.25)
I=1
mit der Gesamtmasse des Systems M =
Aus II.24 folgt:
PN
I=1
mI .
~¨ = 0
MR
(II.26)
Das ist der Schwerpunktsatz: Der Schwerpunkt bewegt sich aufgrund der Translationsinvarianz des
Potentials geradlinig gleichförmig:
~
~ 0 + ~v · t.
R(t)
=R
Es gibt demnach ein Inertialsystem, in dem der Schwerpunkt ruht: Das Schwerpunktsystem. Bei
abgeschlossenen mechanischen Systemen ist es sinnvoll das Schwerpunktssystem zur Beschreibung zu
verwenden, da dies die triviale gleichförmige Bewegung des Gesamtsystems eliminiert.
II.5 Drehimpulserhaltung
Nun ist es naheliegend zu fragen, was aus der Rotationsinvarianz des Potentials folgt: Wir werden die
Drehimpulserhaltung finden.
38
II.6 Gailileitransformation von Energie, Impuls und Drehimpuls
Rotationsinvarianz bedeutet:
V (~xI , t) = V (~xI , t)
(II.27)
0
mit ~xI → ~xI = A ~xI = (1 +
0
0
3
X
i=1
ai T i ) ~xI + O(a2 )
= ~x + ~a × ~x + O(a2)
I
I
Für die Erzeugenden gilt (Ti )jk = ijk . Es folgt aus (II.27) für die infinitesimalen Drehungen
0=
N X
X
ai (Ti )jk xIk
I=1 j,k,i
N X
X
∂
I
V (~x , t) = −
ai (Ti )jk xIk KjI .
∂xIj
I=1 j,k,i
(II.28)
Nun verwenden wir die Newton’schen Bewegungsgleichungen und schließen, da die Parameter ai
beliebig sind, dass die dreikomponentige Gleichung
N
X
(Ti )jk mI xIk ẍIj = 0
(II.29)
I=1
gilt. Da die Matrix (Ti )jk antisymmetrisch ist, verschwindet der Ausdruck (Ti )jk ẋIj ẋIk . Dies ausnutzend ergibt sich der Erhaltungssatz
i
d hX
(Ti )jk mI xIk ẋIj = 0 .
dt
N
(II.30)
I=1
mit (Ti )jk = ijk ist weiterhin
N
X
ijk mI xIk ẋIj =
I=1
N
X
(~xI × p~I )i .
(II.31)
I=1
D.h. mit der Definition des Drehimpulses eines Teilchen
~ I := mI ~xI × ~x˙ I
L
(II.32)
~ := PN mI L
~ I folgt aus (II.30) der Drehimpulssatz:
und dem Gesamtdrehimpuls L
I=1
d ~
L=0
dt
mit
~ :=
L
N
X
~I .
mI L
(II.33)
I=1
Zusammenfassend haben wir somit gezeigt: Zeittranslationsinvarianz des physikalischen Systems
impliziert Energieerhaltung, Translationsinvarianz impliziert Impulserhaltung und Rotationsinvarianz
impliziert die Drehimpulserhaltung.
II.6 Gailileitransformation von Energie, Impuls und Drehimpuls
Translationen in Raum und Zeit und die Rotationen sind im Fall invarianter Potentiale mit Erhaltungsgrößen verbunden. Eine wichtige Frage ist, wie sich diese unter den eigentlichen Galileitransformationen
~x → ~x0 = ~x + ~a + ~v t
(II.34)
verändern, die Inertialsysteme miteinander verbinden.
39
II Mehrteilchensysteme und Erhaltungssätze
• Potentiale V (~xI ), die invariant unter Transalationen sind, sind auch invariant unter Galileitransformationen
V (~xI ) = V (~xI + ~a + ~v t) .
• Kinetische Energie
T0 =
0
1
1X
1X
mI (~x˙ I )2 =
mI (~x˙ I )2 + 2~v · ~xI + ~v 2 = T + ~v · P~ + M ~v 2
2
2
2
N
N
I=1
I=1
(II.35)
Falls das ursprüngliche System S ein Schwerpunktssystem war (P~ = 0), dann ist
T 0 = TS +
• Impuls
P~ 0 = P~ +
N
X
1
M ~v 2 .
2
mI ~v = P~ + M ~v .
(II.36)
(II.37)
I=1
• Drehimpuls
~0 =
L
N
X
I=1
0
0
mI ~xI × ~x˙ I =
N
X
I=1
mI (~x + ~a + ~v t) × (~x˙ + ~v )
~ + ~a × P~ + M ~a × p~ + t ~v × P~ + M R
~ × ~v .
=L
(II.38)
~ = 0) so gilt
Ist das ursprüngliche System S wiederum ein Schwerpunktssystem (P~ = 0, R
~0 = L
~ S + M ~a × ~v .
L
(II.39)
D.h. bezogen auf das Schwerpunktssystem unterscheiden sich alle Erhaltungsgrössen Energie, Impuls
und Drehimouls um den Beitrag eines fiktiven Teilchens der Masse M und der Geschwindigkeit ~v .
II.7 Zyklische Koordinaten
Energie, Impuls und Drehimpuls sind nicht die einzig möglichen Erhaltungsgrößen in einem physikalischen System, auch wenn sie aufgrund ihres Ursprungs aus der Struktur von Raum und Zeit, der
Homogenität von Zeit und Raum sowie der Isotropie des Raumes, einen besonderen Status geniessen.
Steht unser System unter Zwangsbedingungen oder bietet sich ganz allgemein eine Beschreibung
mittels verallgemeinerter Kooordinaten q1 , . . . , qf im Lagrange-Formalismus an, so lassen sich die
Erhaltungsgrößen
F (q1 , . . . , qf , q̇1 , . . . , q̇f , t) = const
ganz allgemein definieren.
40
II.8 Drehimpuls als verallgemeinerter Impuls
Lagrange-Gleichungen zweiter Art
d ∂L
∂L
−
=0
dt ∂ q̇k
∂qk
k − 1, . . . , f
(II.40)
Ist nun die Lagrangefunktion unabhängig von der Koordinate qj
L = Lq1 , . . . , ×
qj , . . . , qf , q̇1 , . . . , q̇f , t)
so ist der assozierte verallgemeinerte Impuls
pj :=
erhalten, da ja nach (II.40) gilt
d ∂L
=0
dt ∂ q̇k
∂L
.
∂ q̇k
(II.41)
d
pj = 0
dt
⇒
⇒
pj = const
(II.42)
Ist die Lagrangefunktione unabhängig von qj , so bezeichnet man qj als zyklische Koordinate.
II.8 Drehimpuls als verallgemeinerter Impuls
Die Projektion des Drehimpulses auf irgendeine Achse (nennen wir sie die z-Achse) ist der verallgemeinerte Impuls zur Koordinate ϕ, dem Drehwinkel um diese Achse
Lz
˛
L
Lz =
Ï
N
X
∂L
∂ ϕ̇I
(II.43)
I=1
Dies folgt durch direktes Ausrechnen. Für die z-Komponente des Drehimpulses gilt
Lz =
N
X
I=1
mit
mI (x ẏ − y ẋ ) =
I
I
I
I
xI = rI cos ϕI ,
N
X
mI (rI )2 ϕ̇I
(II.44)
I=1
I
y = rI sin ϕI
Andererseits hat die Lagnrange-Funktion in diesen Variablen die Form
L=
h
i
1X
mI (ṙI )2 + (rI ϕ̇I )2 + (ż I )2 − V (rI , ϕI , z I )
2
N
(II.45)
I=1
und es ergibt sich der verallgemeinerte Impuls zu ϕI
∂L
= mI (rI )2 ϕ̇I = Lz
∂ ϕ̇I
Insbesondere ist Lz erhalten, falls das Potential V unanbhängig von ϕI ist.
41
1
III Integration der Bewegungsgleichungen
III.1 Eindimensionale Bewegung
Im 1D-Fall erlaubt die Energieerhaltung für zeitunabhängige Potentiale V (x) die Integration der
Bewegungsgleichungen, wie wir in Kapitel II.3 gesehen haben.
Z x
dx
q
t − tI = ±
x = x(t) mit xI = x(tI )
2
xI
(E
−
V
(x))
m
Für die Schwingungsdauer im Fall einer finiten Bewegung zwischen x1 und x2 gilt:
T (E) =
√
2m
Z
x2 (E)
x1 (E)
III.2 Zweikörperproblem
p
dx
E − V (x)
.
Sehr wichtiges Problem ist System zweier in Wechselwirkung stehender Teilchen mit einem abstandsabhängigen Potential. ⇒ Lässt Lösung in allgemeiner Form zu.
Lagrange-Funktion
m1 ˙ 1 2 m2 ˙ 2 2
~x
+
~x
− V (|~x1 − ~x2 |)
(III.1)
2
2
Vereinfachung durch Aufspaltung in Relativ- und Schwerpunktbewegung. Wir führen den Abstands~ in den Ursprung, so dass
vektor ein, ~r := ~x1 − ~x2 , und legen Schwerpunkt R
L=
0 = m1 ~x1 + m2 ~x2
gilt. Es folgt
~x1 =
m2
~r
M
~x2 = −
m1
~r
M
M = m1 + m2 .
Einsetzen in (III.1):
L=
m1 m22
m2 m21 ˙ 2
+
~r − V (|~r|)
M M2
M M2
|
{z
}
m1 m2 m2 +m1
2
M2
⇒ L=
Reduzierte Masse µ :=
µ ˙2
~r − V (r)
2
r = |~r|
= 12
m1 m2
m1 +m2
(III.2)
m1 m2
m1 +m2
Wir konnten das Zweikörperproblem auf ein effektives Einkörperproblem reduzieren: Teilchen der
Masse µ in einem äußeren, kugelsymmetrischen Potential ⇒ ’Zentralfeld’.
43
III Integration der Bewegungsgleichungen
III.3 Bewegung im Zentralfeld
Für V = V (r) ist die Kraft
~ = − ∂V (r) = − ~x dV
K
∂r
|~x| dr
Erhaltungsgrößen?:
~ k ~x
d. h.: K
• Energie E = T + V
• Drehimpuls (Rotationsinvarianz)
~ = const. folgt, dass die Bewegung in der Ebene stattfindet:
Aus L
~ = µ~x × ~x˙ = const.
L
˛ = const.
L
D. h.
µ
~ ⊥ ~x
L
˛0
Geeignetes Koordinatensystem: Zylinderkoordinaten
x = r cos ϕ
Lagrange-Funktion:
y = r sin ϕ
z=0
m 2
(ṙ + r2 ϕ̇2 ) − V (r)
2
= mr2 ϕ̇ =: pϕ
L=
Zyklische Variable:
ϕ:
Lz =
d
pϕ = 0
dt
∂L
∂ ϕ̇
⇒
pϕ = const.
(Drehimpulserhaltung)
III.3.1 Geometrische Interpretation:
˛0
44
r
Ï
rdÏ
r2 ϕ̇ = const.
Fläche des infinitesimalen Sektors
df =
1
r · rdϕ
2
III.3 Bewegung im Zentralfeld
f˙ : Flächengeschwindigkeit
⇒ pϕ = 2mf˙ = const.
Flächensatz
(III.3)
Radiusvektor des sich bewegenden Teilchens überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. (Zweites
Kepler1 ’sches Gesetz)
III.3.2 Integration
Lösung der Bahngleichung am einfachsten über Erhaltung der Energie E und des Drehimpulses
pϕ = l:
l
mr2
m
m
l2
E = (ṙ2 + r2 ϕ̇2 ) + V (r) = ṙ2 +
+ V (r) = const.
2
2
2mr2
pϕ = l = mr2 ϕ̇ = const.
ϕ̇ =
⇒
Analog zum bereits behandelten 1D Fall ergibt sich
r
dr
2
l2
ṙ =
=±
(E − V (r)) − 2 2 ⇒
dt
m
m r
D.h., wir erhalten die implizite Lösung für r
t=±
Z
q
⇒ t = t(r) y r = r(t).
Für den Winkel ϕ folgt
dϕ =
dt = ± q
dr
2
m (E
− V (r)) −
l2
m2 r 2
l
l
mr 2 dr
q
dt
=
±
mr2
2
(E − V (r)) −
ϕ(r) = ±
Z
l
dr
q
r2 2m(E − V (r)) −
2
m (E
− V (r)) −
+ const.
m
und somit
dr
l2
r2
l2
m2 r 2
(III.4)
l2
m2 r 2
+ const.
(III.5)
und mit r(t) auch ϕ(t). D.h., die Bewegung eines Teilchens der Masse m in einem Zentralfeld V (r)
ist völlig auf die Integrale (III.4) und (III.5) reduziert worden.
Diskussion: Aus
E=
m 2
l2
ṙ +
+ V (r)
2
|2{z } |2mr {z
}
≥0
folgt E − Vef f ≥ 0.
1 (Johannes
=:Vef f (r)
⇒ Bewegungsbereiche für r:
Kepler, Deutschland, 1571-1630)
45
III Integration der Bewegungsgleichungen
Vef f
EÕ
rmax
rmin
E
Õ
rmin
r
Für Energie = E: Finite Bewegung zwischen rmin und rmax . Umkehrpunkte ṙmin = 0 = ṙmax , Bahn
verläuft zwischen den Kreisen mit Radius rmin bzw. rmax , i. A. nicht geschlossen:
rmin
rmax
Ï
0
0
0
Für Energie = E’: Infinite Bewegung für r > rmin
, Umkehrpunkt bei V (rmin
) = E mit ṙmin
= 0:
Õ
rmin
Im Fall der finiten Bewegung sind geschlossene Bahnkurven nur dann möglich, wenn nach m Umläufen
der Winkel ϕ sich um 2πm, m ∈ N geändert hat:
5
46
III.4 Das Kepler-Problem
∆ϕ = −
Z
rmax
dr... +
Z
rmax
dr... = 2
rmax
rmin
dr
r
Z
rmax
rmin
rmin
rmin
∂
= −2
∂l
Z
2m(E − V (r)) −
l2
r2
l
dr
q
r2 2m(E − V (r)) −
l2
r2
(III.6)
Geschlossene Bahnkurve für n · ∆ϕ = 2πm, n, m ∈ N
⇒ ∆ϕ = 2π
m
n
D.h., nur falls obiges Integral (III.6)= 2πz mit z ∈ Q (rationale Zahlen) ist, haben wir periodische
Bewegung!
→ Das ist insbesondere der Fall für V (r) ∝
1
r
und V (r) ∝ r2 .
III.4 Das Kepler-Problem
Betrachten wir nun ein Zentralfeld mit V (r) ∝
1
r
→ relevant für Gravitations- und Coulombwechselwirkung
~ ∝
→ K
1 ~
x
r2 r
III.4.1 Anziehender Fall
α
mit α > 0
r
~ = − ∂V x = − α ~x
K
∂r r
r2 r
V (r) = −
Effektives Potential
Vef f (r) = V (r) +
l2
l2
α
=
−
2
2
2mr
2mr
r
Vef f
Das heißt:
l2
2mr 2
r0
≠
r
E>0
infinite Bewegung
E<0
finite Bewegung
E = (Vef f )min = −
–2 m
2l2
α2 m
2l2
(Kreisbahn)
V (r)
47
III Integration der Bewegungsgleichungen
Integration der Bahnkurve r(ϕ)
ϕ=±
Z
l
dr
q
r2 2m E +
α
r
−
l2
r2
Substitution:
dx
l
= − 2,
dr
r
l
mα
−
= x,
r
l
⇒ϕ=±
Z
dx
q
2mE +
= ± arccos
⇒ cos(ϕ − ϕ0 ) = q
l
r
−
x
x0
mα
l
2mE +
m2 α2
l2
x2 =
1
=±
x0
− x2
Z
+ ϕ0
α m2 α2
l2
−
2m
+ 2
r2
r
l
dx
r
2
1 − xx0
x0 =
r
2mE +
m2 α2
l2
mα 2
l
Mit den Definitionen (Erhaltungsgrößen)
l2
p=
;
mα
=
r
1 + 2E
l2
m2 α
: ’Exzentrität’ ≥ 0, da E ≥ −
(III.7)
α2 m
2l2
(III.8)
folgt für die Bahnkurve r(ϕ):
r(ϕ) =
p
1 + cos(ϕ − ϕ0 )
(III.9)
Die Gleichung beschreibt Bahnkurven in Form einer Ellipse (0 < < 1), einer Parabel ( = 1) und
einer Hyperbel ( > 1). Dies sehen wir durch Quadrieren der Gleichung (III.9): (setze ϕ0 = 0)
p2 − 2pr cos ϕ + 2 r2 cos2 ϕ = r2
Übergang in kartesische Koordinaten
r 2 = x2 + y 2
r cos ϕ = x
⇒ p2 − 2px + 2 x2 = x2 + y 2
⇒ x2 (1 − 2 ) + 2px + y 2 = p2
Betrachte die nun Translation x = x̂ −
p
1−2
für ( 6= 1):
2 p2
22 p2
−
+ y 2 = p2
1 − 2
1 − 2
2
p2
⇒ x̂2 (1 − 2 ) + y 2 = p2 1 +
=
2
1−
1 − 2
(III.10) ⇒ x̂2 (1 − 2 ) +
48
(III.10)
III.4 Das Kepler-Problem
i) 0 < < 1
2b
2
2
y
x̂
+ 2 =1
a2
b
mit a2 =
p2
(1−2 )2 ,
Ellipsengleichung
b2 =
a·‘
p2
1−2
2a
ii) 0 < < 1
x̂2
y2
− 2 =1
2
a
b
mit a2 =
p2
(1−2 )2 ,
Hyperbelgleichung
b2 =
a(‘ ≠ 1)
p2
2 −1
iii) = 1
Hier machen wir die Translation x̂ = x +
p
2
(III.10) ⇒ y 2 + 2px̂ = 0
Parabelgleichung
(III.11)
Bahn eines Teilchens, das bei r = ∞ in Ruhe startet.
D. h., für
−
α2 m
≤E<0
2l2
E=0
⇒
⇒
E>0
⇒
Ellipse
Parabel
Hyperbel.
Die Umkehrpunkte rmin und rmax folgen aus (III.9):
rmin =
p
1+
rmax =
p
1−
Falls ≥ 1 gibt es nur einen Umkehrpunkt rmin =
(für 0 < < 1)
p
1+ .
Umlaufzeit (für E < 0):
Aus dem Flächensatz f˙ =
l
2m
= const folgt für einen Umlauf (Fläche der Ellipse ist πab):
Z τ
l
l
2πabm
πab =
dt
=
T ⇒T =
2m
2m
l
0
8
49
III Integration der Bewegungsgleichungen
Mit a =
α
2|E|
und b = √
l
2|E|m
folgt T = πα
q
bzw.
m
2|E|3
3/2
T = 2πa
Das bedeutet
r
m
α
(III.12)
T 2 ∝ a3 (3. Kepler’sches Gesetz).
m2
Für das gravitative Zweikörperproblem ist m = µ = mm11+m
und α = m1 m2 γ. (γ: Newton’sche
2
µ
Gravitationskonstante). Für m2 m1 (etwa m2 = m und m1 = mP lanet ) ist α
= γ(m11+m2 ) ≈ γm1 ,
2
so dass das Verhältnis Ta3 für alle Planeten im Sonnensystem gleich ist. Weiterhin lässt sich aus dem
Verhältnis und γ die Sonnenmasse bestimmen.
III.4.2 Abstoßender Fall
V (r) = +
α
r
(α > 0)
Dann existiert nur eine infinite Bewegung: E > 0
Vef f
E
r
rmin
Rechnung wie zuvor, lediglich α → −α:
r(ϕ) =
mit wie bisher p =
l2
mα
> 0 und =
Bahn: verschobene Hyperbel
50
q
p
−1 + cos(ϕ − ϕ0 − π)
2
l
1 + 2E mα
2 > 0.
get) fliegen. Die Teilchen werden abgelenkt und entfernen sich unter einem
bestimmten Winkel wieder. Im Unendlichen misst ein Detektor beim Winkel
χ zur Einfallsrichtung die Zahl der in diese Richtung gestreuten Teilchen.
Von der Quelle wird erwartet, dass sie Teilchen mit einer bestimmten festist auchund
die Wirkungsquerschnitt
Energie
gelegten Geschwindigkeit v ∞ präparieren kann.
III.5 Damit
Teilchenstreuung
der Teilchen festgelegt, da die potenzielle Energie am Ort der Quelle vernachlässigt werden kann:
1
E = µv 2∞ .
(12.1)
y
2
Energie und Drehimpuls sind die beiden Parameter, die die Bahnkurve und
damit den Streuwinkel bestimmen.
Der Drehimpuls lässt sich durch den
x Stoßparameter R ausdrücken, dies ist
der Abstand dera(1
zunächst
gerade verlaufenden Bahnkurve (U = 0) von der
+ ‘)
durch den Ursprung des Potenzials gehenden parallelen Geraden.
(12.2)
L = µRv ∞
Wir können die jeweilige Bahnkurve nun durch die Energie E und den Stoßparameter R festlegen. Wir verfolgen die Bahnkurve von der Quelle bis zum
Punkt rmin , der als Umkehrpunkt in der Radialbewegung durch die Gleichung
III.5 Teilchenstreuung und Wirkungsquerschnitt
E = Ueff (rmin )
(12.3)
Häufiges Experiment: Streuung eines Teilchens an einem Target.
festgelegt ist. Wir nehmen der Einfachheit halber an, dass es einen eindeutiBeschreibung erfolgt mittels Zentralpotential des Targets, das auf das (geladene massive) Teilchen
gen
Zusammenhang zwischen r und ϕ für die Bahnkurve gibt – sonst müssen
einwirkt.
Quelle
Q und
Detektor D befinden
sich im Unendlichen.
In Q werden identische Teilchen mit festen
Abb.
12.1
Versuchsanordnung
des betrachteten
Streuexperiments
Energien
E=
µ 2
v
2 ∞
präpariert.
Drehimpuls und Energie bestimmen ∆ϕ und somit auch den Streuwinkel χ. Der Drehimpuls ergibt
sich aus den Stoßparametern zu
l = µRv∞ .
(III.13)
51
III Integration der Bewegungsgleichungen
Weiterhin ist
E = Vef f (rmin ).
Die Winkeländerung zwischen r = r∞ und r = rmin ergibt sich aus (III.6):
Z ∞
dr
−1/2
[2m(E − Vef f (r))]
∆ϕ = l
2
rmin r
Für den Streuwinkel gilt χ = π − 2∆ϕ, somit folgt also χ = χ(E, R).
Im Experiment ist jedoch R oft kein messbarer Parameter, da die Lage des Streuzentrums (etwa ein
Atom) nicht genau bekannt ist. Stattdessen erfolgt die Präparation eines homogenen Teilchenstrahls
bei Q:
dR
R
Q
n=
#Teilchen
Fläche·Zeit
2πR·dR·n=(#Teilchen/Zeit, die auf Streuzentrum
mit Stoßparameter in [R, R + dR] einlaufen)
vŒ
Diese werden in einen Winkelbereich [χ, χ + dχ] und [φ, φ + dφ] gestreut, also
dR dχdφ
dN = nR dχ = (# Teilchen/Zeit, die in den Winkelbereich [χ, χ + dχ] und [φ, φ + dφ] gestreut werden).
Für den Raumwinkel gilt dΩ = sin χdχdφ (ist Fächenelement auf der Einheitskugel)
d‰ · sin ‰d„
d‰
1
sin ‰
‰
d„
Definition: Differentieller Wirkungsquerschnitt
dσ =
dR dΩ
dN
= R n
dχ sin χ
Integration über die Raumwinkel dχdφ liefert den totalen Wirkungsquerschnitt
Z
σtot = dσ
52
1
(III.14)
III.6 Homogene Potentiale und der Virialsatz
mit der Dimension einer Fläche.
Beispiel: Wirkungsquerschnitt des Coulombpotentials (Rutherford’sche Streuformel2 )
p
= 1 + ε cos ϕ
r
rmin wird erreicht wenn cos ϕ = 1, also ϕ = 0.
r = ∞ wird erreicht bei ϕ∞ , für das gilt
0 = 1 + cos ϕ∞
⇒ 2 cos2 ϕ∞ = 1
⇒ (2 − 1) cos2 ϕ∞ = sin2 ϕ∞ .
Mit 2 − 1 =
4E 2 R2
α2
ϕ∞ =
und tan(ϕ∞ ) = tan
π
2
−
χ
2
erhalten wir
π
2
α 2
R2 =
tan2 ϕ∞ .
2E
− χ2 = cot χ2 , sodass nun R = R(E, χ) folgt:
R2 =
Wegen
ist
χ
α 2
.
cot2
2E
2
cos x 0
cos2 x
cos x
d
cot2 (x) = 2 cot(x)
= 2 cot(x) −1 −
= −2 3
dx
sin x
sin2 x
sin x
dR α 2 cos
=
2R dχ 2E sin3
Es folgt mit (III.5) und sin χ = 2 sin χ2 cos χ2
dσ =
α 2 1
4E
sin4
χ
2
dΩ
χ 2 χ .
2
Rutherford’sche Streuformel.
(III.15)
III.6 Homogene Potentiale und der Virialsatz
In diesem Abschnitt wollen wir allgemeine Aussagen für eine Klasse von Potentialen machen, die
homogene Funktionen der Koordinaten ~xI sind:
V (λ~x1 , λ~x2 , ..., λ~xN ) = λk V (~x1 , ~x2 , ..., ~xN )
(III.16)
k: Grad der Homogenität von V .
(III.6) ist gleichbedeutend mit
N
X
I=1
~ IV =
~xI ∇
3N
X
a=1
xa
∂
V = kV (~x1 , ~x2 , ..., ~xN ).
∂xa
Beispiele homogener Potentiale:
2 (Ernest
Rutherford, England, 1871-1937)
53
III Integration der Bewegungsgleichungen
- Coulomb (k=1)
- harmonischer Oszillator (k=2)
Für die kinetische Energie gilt:
2
1X
mI ~x˙ I
2
I
1X
d I ˙I
¨I
=
mI
~x ~x − ~xI ~x
2
dt
T =
I
¨ I = −∇
~ IV :
mit mI ~x
!
1 d X
I ˙I
=
mI ~x ~x +
2 dt
I
!
1 d X
I ˙I
mI ~x ~x +
=
2 dt
I
1 X I~
~x ∇I V
2
I
1
kV (~x1 , ~x2 , ..., ~xN ).
2
(III.17)
Nun wollen wir diese Gleichung zeitlich mitteln:
F̄ := lim
τ →∞
Z
τ
0
dtF (x(t), ẋ(t))
(III.18)
Für eine finite Bewegung wird die zeitliche Mittelung über die Ableitung einer Funktion der Koordinaten stets Null ergeben:
1
d
F (x, ẋ) = lim (F (x(τ ), ẋ(τ )) − F (x(0), ẋ(0))) → 0,
τ
→∞
dt
τ
da F (x(t), ẋ(t)) stets endlich bleibt (finite Bewegung, x und ẋ sind beschränkt). D.h. (III.6) impliziert
T̄ =
k
V̄
2
Virialsatz
(III.19)
k: Grad der Homogenität des Potentials.
Beispiele:
- Harmonischer Oszillator: T̄ = V̄
- Coulomb, Kepler: T̄ = − 21 V̄ (finite Bewegung)
Skalenverhalten
Skalentransformation der Koordinaten und der Zeit:
~x0I = λ~xI
t0 = κt.
(III.20)
Im Fall homogener Potentiale sind die Bewegungsgleichungen invariant unter Skalentransformationen,
für die κ2 = λ2−k ist. D.h. falls ~xI (t) Lösung der Bewegungsgleichungen ist, so ist auch ~x0I (t) =
λ~xI (κ−1 t) Lösung.
Beweis:
2
Unter (III.6) verändern sich die Geschwindigkeiten um den Faktor λκ , d.h. T → λκ2 T . Das Potential
2
verändert sich um V → λk V . Mit κ2 = λ2−k ist auch T → λλ2−k T = λk T und somit L → λk L, d.h.
die Lagrange-Funktion verändert sich um einen konstanten Faktor und die Bewegungsgleichungen
54
III.6 Homogene Potentiale und der Virialsatz
sind unverändert.
Folgt auch durch explizites Ausrechnen:
2
¨0I (t) = λmI d ~xI (κ−1 t)
mI ~x
dt2
d2
1
~xI (κ−1 t)
= λmI 2
κ d(κ−1 t)2
λ ~
= − 2∇
xI (κ−1 t))
I V (~
κ
λ ~
−1 0I
= − 2∇
~x (t))
I V (λ
κ
λ ~0
−1 0I
= − 2 λ∇
~x (t))
I V (λ
κ
λ2−k ~ 0
x0I (t))
=− 2 ∇
I V (~
κ
~ 0I V (~x0I (t)).
= −∇
55
IV Der starre Körper
IV.1 Modell, Freiheitsgrade und Winkelgeschwindigkeit
Starrer Körper in der Mechanik: System von N Massenpunkten, deren Abstände unverändert sind.
Festkörper als starres Gitter von Molekülen und Atomen.
Kontinuums
grenzfall
M=
q
I
s
M = fl dV
mI
fl: Dichte
Beschreibung der Bewegung eines starren Körpers durch zwei Koordinatensysteme:
- Ruhendes Inertialsystem X, Y, Z
- Bewegliches System x1 = x, x2 = y, x3 = z starr mit Körper verbunden. Nullpunkt des bewegten
Systems liegt zweckmäßiger Weise im Schwerpunkt.
P
x3
˛r
Z
˛x
O
˛
R
Y
x2
Lage des Körpers bzgl. des ruhenden Systems X, Y, Z vollständig durch Lage des
bewegten Systems bestimmt.
x1
X
# Freiheitsgrade:
~
3 Koordinaten X, Y, Z von R
3 Winkel φ, θ, ψ, die Rotation der Achsen x, y, z bzgl. X, Y, Z beschreiben
Die Winkel φ, θ, ψ können als Euler’sche Winkel gewählt werden:
57
IV Der starre Körper
Z
x2 = y
x3 = z
◊
Y
Ï Â
x = x1
X
Für beliebigen Punkt P im starren Körper ist
~ + ~r.
~x = R
~ und
Infinitesimale Verschiebung von ~x setzt sich zusammen aus infinitesimaler Translation von R
infinitesimaler Rotation von ~r:
~ + d~
d~x = dR
ϕ × ~r.
Teilen wir dies durch die Zeit dt, in der diese Verschiebung vor sich ging, folgen die Geschwindigkeiten
des Punktes
d~r
= ~v
dt
~
dR
~
=V
dt
d~
ϕ
=ω
~
dt
~ +ω
⇒ ~v = V
~ × ~r
(IV.1)
~ : Geschwindigkeit des Schwerpunktes
V
ω
~ : Winkelgeschwindigkeit der Drehung des starren Körpers.
~ im
Bemerkung: Nirgendwo in der obigen Betrachtung wurde verwendet, dass der Aufpunkt O
0
0
~
~
~
~
Schwerpunkt liegt. Ändern wir den Aufpunkt O des Körpers zu O mit O − O = ~a, d.h. weg vom
a
Schwerpunkt, so ist ~r = ~r0 + ~a und (IV.1) ändert sich zu d~
dt = 0
~ +ω
~v = V
~ × ~a + ω
~ × ~r0 .
~0 = V
~ +ω
D.h. V
~ × ~r0 und ω
~0 = ω
~ . Die zweite Gleichung besagt, dass sämtliche mit dem Körper
starr verbundene Koordinatensysteme um parallele Achsen mit gleichen Winkelgeschwindigkeiten
rotieren.
IV.2 Trägheitstensor
Kinetische Energie des starren Körpers:
T =
58
X
15
~v I2
~v 2 X
=
ˆ
mI
2
2
N
m
I=1
IV.2 Trägheitstensor
(nutzen verkürzte Notation und lassen Indizes I für die Teilchen weg)
(IV.1) ⇒ T =
=
Xm
2
Xmh
~ +ω
V
~ × ~r
2
~ 2 + 2V
~ · (~
V
ω × ~r) + (~
ω × ~r)2
2
P
~ 2 = MV
~2
Erster Term: 12
mV
P
P ~
P
r2
Zweiter Term:
mV · (~
ω × ~r) = m~r · (~v × ω) = (~v × ω
~) ·
I mI ~
P
~ im Schwerpunkt liegt, ist
Da O
rI = 0!
I mI ~
2
2 2
Letzter Term: (~
ω × ~r) = ω
~ ~r − (~
ω · ~r)2
Ergebnis: kinetische Energie
T =
i
i
M ~2 1X h 2 2
2
V +
m ω r − (~
ω · ~r)
2
2
(IV.2)
Erster Beitrag: kinetische Energie der Translation Ttrans , Gesamtmasse im Schwerpunkt konzentriert
Zweiter Beitrag: Rotationsenergie Trot
Tensorschreibweise für Rotationsenergie
1X
m ωi2 x2i − ωi xi xk ωk
2
1X
m ωi ωk δik x2j − ωi ωk xi xk
=
2
hX
i
1
= ωi ωk
m δik x2j − xi xk
2
{z
}
|
Trot =
=:Iik
• Haben Einstein’sche Summenkonvention benutzt: Über doppelt vorkommende Raumindizes
~ ·B
~ = Ai Bi , ~r2 = xj xj .
i, j, k = 1, 2, 3 wird summiert ohne Summenzeichen zu schreiben. Z.B. A
• ωi = δik ωk
• Einführung des Trägheitstensors Iik :
X
Iik :=
m(x2l δik − xi xk )
P

P
P
2
2
m(y
− P mxz
P + z ) P− 2mxy 2

m(x
=  − P myx
P + z ) P− 2myz 2
− mzx
− mzy
m(x + y )
=Iki
=
Kontinuum
Z
ρ(~x) ~x2 δik − xi xk dV.
Für die kinetische Energie ergibt sich somit
M ~2 1
V + Iik ωi ωk .
2
2
(IV.3)
M ~2 1
V + Iik ωi ωk − V (X, Y, Z, ϕ, θ, ψ) .
2
2
(IV.4)
T =
Für die Lagrange-Funktion folgt
L=
59
IV Der starre Körper
Das Potential ist Funktion der 6 Freiheitsgrade des starren Körpers - mehr dazu später.
Wir wollen uns nun der Vereinfachung des Rotationsenergieterms zuwenden. Als symmetrische,
reelle 3 × 3 Matrix kann der Trägheitstensor durch eine Hauptachsentransformation in Diagonalform
gebracht werden. Die entsprechenden Komponenten des Tensors heißen Hauptträgheitsmomente I1 ,
I2 , I3 , die korrespondieren Achsen im körperfesten System x1 , x2 , x4 heißen die Hauptträgheitsachsen.
In diesem System lautet der Rotationsanteil der kinetischen Energie
Trot =
mit ω
~ =
P
i
1
(I1 ω12 + I2 ω22 + I3 ω32 )
2
(IV.5)
ωi e~i und
I1 =
Bemerkungen:
X
m(x22 + x23 ), I2 =
X
m(x21 + x23 ), I3 =
X
m(x21 + x22 )
• Es gilt I1 + I2 ≥ I3 (und zyklisch), denn
X
X
I1 + I2 =
m(x21 + x22 + 2x23 ) ≥
m(x21 + x22 ) = I3
• Die Hauptträgheitsachsen liegen entlang von Symmetrieachsen des Körpers.
3
2
I1 = I2 = I3 : Kugelkreisel
(Achsen 1,2,3 können frei rotiert werden)
N.B: Ein Würfel ist auch ein Kugelkreisel
1
3
I1 = I2 6= I3 : Symmetrischer Kreisel
(Achsen 1,2 können frei rotiert um 3
werden)
2
1
3
2
I1 6= I2 =
6
I3 : Unsymmetrischer
Kreisel
(Achsen sind fest)
2
1
• Sonderfälle:
60
3
(IV.6)
(IV.7)
IV.3 Drehimpuls des starren Körpers
X
mx22
(IV.8)
mx21
(IV.9)
I3 = I1 + I2
(IV.10)
I1 =
– Massen in einer Ebene
X
I2 =
– Rotator: Massen entlang einer Linie
I1 = I2 +
X
mx23
(IV.11)
I3 = 0
(IV.12)
Hier gibt es nur 2 Rotationsfreiheitsgrade, da Rotation um 3 keinen Effekt hat
Beispiel zur Berechnung: Trägheitsmoment eines Hohlzylinders
3
r1
r2
Dichte ρ = const
I33 =
h
1
Z
V
2
ρ(x21
= ρ2πh
Z
+
r2
r1
Und mit V = πh(r22 − r12 ) und ρ =
M
V
x22 )dV
=
Z
r2
r1
Z
0
2π
Z
h
2
−h
2
ρr2 (rdrdϕdz)
π
π
r3 dr = ρ h(r24 − r14 ) = ρ h(r22 − r12 )(r22 + r12 )
2
2
folgt
I33 =
M 2
(r + r12 )
2 2
(IV.13)
IV.3 Drehimpuls des starren Körpers
Allgemein: Drehimpuls eines System von Massenpunkten
~` =
X
I
~xI × p~I
(IV.14)
5
61
IV Der starre Körper
˙ I = ~v + ω
~ + ~rI ,~x
Hier: ~xI = R
~ × ~rI . Somit folgt für den Drehimpuls eines starren Körpers:
X
X
~` =
~ + ~rI ) × (~v + ω
~ × (M V
~)+
(R
~ × ~rI )mI = R
mI ~rI × (~
ω × ~rI )
I
~ × (~
+R
ω×
X
I
mI r 2 ) + (
X
I
~
mI ~rI ) × V
|
I
{z
ω
~ (~
r I )2 −~
r I (~
ω ·~
rI )
}
| {z }
| {z }
=0
=0
X
I 2
~
~
mI (~
ω (~r ) − ~rI (~
ω · ~rI )
= R × (M V ) +
| {z }
I
|
{z
}
=‘:00 ~
`S
~
=:M
Der Drehimpuls hängt immer vom Bezugspunkt ab, was sich im Schwerpunktsanteils ~`S äußert. Der
~.
intrinsische Drehimpuls des starren Körpers ist der zweite Term M
~ darstellen wie (lassen nun wieder Teilchenindes I weg).
In Tensorschreibweise lässt sich M
X
Mi =
m(ωi x2j − x1 ωj xj
(IV.15)
X
=
m(x2l δij − xi xj )ωj = Iij wj
(IV.16)
⇒ Mi = Iij ωj
Wenn die xi -Achsen Hauptträgheitsachsen sind gilt

I1 0
~ =  0 I2
M
0 0
bzw.

0
0ω
~
Ie
(IV.17)
(IV.18)
M1 = I1 ω1
(IV.19)
M2 = I2 ω2
(IV.20)
M3 = I3 ω3
(IV.21)
~ ∦ω
d. h. im Allgemeinen ist M
~ , Drehimpuls und Drehachse sind nur bei Rotation um Hauptträgheitsachsen parallel
Ausnahmen
~ = I~
~ kω
• Kugelkreisel I = I1 = I2 = I3 Hier ist M
ω und M
~
~ = I~
~ kω
ω und M
~
• Rotator I = I1 = I2 , I3 = 0 und ω3 = 0 Somit auch hier M
Symmetrischer Kreisel:
~ = const., I1 = I2 = I und I3 6= I
Nutation Situation: M
62
IV.4 Bewegungsgleichungen des starren Körpers
˛
M
Ê
˛
x3
x1
ÊN U T
Wahl der Achsen x1 , x2 beliebig. Zu ei~ und ~e3
nem festen Zeitpunkt spannen M
eine Ebene auf, in die wir x1 -Achse legen ⇒ M2 = 0. Somit wegen M2 = I2 ω2
~ ,ω
auch ω2 = 0. ⇒ M
~ , x1 , x3 in einer momentanen Ebene
Ê3
◊
S
ÊROT
(x2 aus Bildebene heraus)
˛
M
ÊN U T
ÊROT
~ Achse und
Bewegung: Nutation um M
Rotation um x3 -Achse.
Aus Zeichnung:
ω
~ = ωNUT
~
M
+ ωROT ~e3
~|
|M
(IV.22)
~|
M1
|M
M1
= ωNUT
⇒ ωNUT =
I
M
I
M3
M3
~e3 · ω
~ = ω3 =
= ωNUT
+ ωROT
I
M
M3
M3
1
1
~ | cos θ
⇒ ωROT =
−
=
−
|M
I3
I
I3
I
~e1 · ω
~ = ω1 =
(IV.23)
(IV.24)
(IV.25)
IV.4 Bewegungsgleichungen des starren Körpers
Mithilfe der Lagrange-Funktion (IV.2) lassen sich die Bewegungsgleichunge des starren Körpers
etablieren.
L=
M 2 1
~v + Iik ωi ωk − V (X, Y, Z, θ, ϕ, ψ)
2
2
(IV.26)
Die Bewegungsgleichungen für die Schwerpunktsbewegung läßt sich leicht ableiten:
7
d ∂L
∂L
~˙ = − ∂V =: K
~ ⇒ MV
~˙ = K
~
−
= 0 ⇒ MV
~
~
~
dt ∂ V
∂R
∂R
(IV.27)
63
IV Der starre Körper
~ die gesamte am Körper angreifende Kraft ist.
Wobei K
X ∂V
X ∂V
~ + d~
d~xI =
(dR
ϕ × ~rI )
∂~xI
∂~xI
I
I
X ∂V
X
∂V
~ + d~
=(
) · dR
ϕ·(
~rI ×
)
∂~xI
∂~xI
I
I
| {z }
P
~
~
dV (~x1 , ...~xN ) =
−
Hieraus folgt
−
−
Drehmoment:
I
X
∂V
~I = K
~
=
K
~
∂R
(IV.30)
I
X
∂V
~ I =: D
~
=
~rI × K
∂ϕ
~
(IV.31)
I
X
I
d~
ϕ
dt
(IV.29)
KI =−K
~ =
D
D.h mit ω
~ =
(IV.28)
(IV.32)
~I
~rI × K
lernen wir ferner, dass
d
d ∂L ∂L
−
=0⇒
(Iik ωk ) = Di
dt ∂~
ω
∂ϕ
~
dt
(IV.33)
~.
Bzw mit der Definition des Drehimpulses bezüglich des Schwerpunktes des starren Körpers M
d ~
~
M =D
dt
(IV.34)
~ Erhaltungsgröße.
Liegen keine Drehmomente an, so ist M
Bemerkung
Bei einer Verschiebung des Aufpunktes im starren Körper weg vom Schwerpunkt S ändern sich
~ und Drehmoment D:
~
Drehimpuls M
˛r
˛rÕ
S
~r = ~r + ~a
0
X
I
64
~ I = ~r 0 × K
~ I + ~a ×
~rI × K
I
˛a
X
I
~I = D
~ 0 + ~a × K
~
K
IV.5 Eulerwinkel
~ ⊥K
~ ist, kann man stets einen speziellen Verschiebungsvektor ~aS finden bezüglich dessen das
Falls D
~ 0 verschwindet:
Drehmoment D
~ = ~aS × K
~
D
(IV.35)
In der Tat gilt dies für eine ganze Linie von Verschiebungsvektoren
~aS (τ ) = ~as + τ
~
K
.
|K|
(IV.36)
~ ⊥K
~ kann also das Drehmoment auf eine einzige Kraft, die am Punkt ~aS angreift reduziert
Im Fall D
werden.
Wichtiges Beispiel:
~ I = eI E
~ mit E
~ = const. (etwa Erdschwerefeld E
~ = ~g und eI = mI ) folgt
Homogenes Kraftfeld Gilt K
!
X
X
~ =
~I =
~
K
K
eI E
(IV.37)
I
~ =
D
X
eI ~rI
I
~ ⊥K
~ und mit
D.h. D
P
eI ~rI
~aS = PI
I eI
ist
!
I
(IV.38)
~
×E
~ = ~aS × K
~
D
(IV.39)
P
~ = 0! ⇒
Gilt insbesondere I = eI ~rI = 0 (etwa für Schwerpunkt im Fall des Erdschwerefeldes) ist D
~ = const.
Wurf des starren Körpers: Bahn der SP wie Punktteilchens und freie Rotation mit M
IV.5 Eulerwinkel
Um im allgemeinen Fall die Rotationsgleichung
wir den Zusammenhang
d
dt (Iik ωk )
= Di (IV.33) lösen zu können, benötigen
(IV.40)
ω
~ ⇔ Eulerwinkel θ, ϕ, ψ
Zerlegung von ω
~ in Rotationen um
ϕ, θ, ψ:
~ + θ̇~ + ϕ̇
~
ω
~ = ψ̇
(IV.41)
und Zerlegung im körperfesten x1 -x2 -x3
System:
65
IV Der starre Körper
Aus der Skizze:
~ = ψ̇~e
ψ̇
3
~
θ̇ = θ̇ cos ψ~e1 − θ̇ sin ψ~e2
~ = ϕ̇ cos θ
~e3 · ϕ̇
(IV.42)
~ = ϕ̇ sin θ sin ψ
⇒ ~e1 · ϕ̇
~ = ϕ̇ sin θ cos ψ
~e2 · ϕ̇
(IV.45)
(IV.43)
(IV.44)
~ in x1 , x2 -Ebene: ϕ̇ sin θ
Projektion von ϕ̇
(IV.46)
Summieren wir all diese Beiträge auf, folgt
ω1 = ϕ̇ sin θ sin ψ + θ̇ cos ψ
ω2 = ϕ̇ sin θ cos ψ − θ̇ sin ψ
ω3 = ϕ̇ cos θ + ψ̇
(IV.47)
Damit folgt für die Rotationsenergie bei der Wahl der körperfesten Achsen englang der Hauptträgheitsachsen
1
(I1 ω12 + I2 ω22 + I3 ω32 )
2
1 2
ϕ̇
I1 sin2 ψ + I2 cos2 ψ sin2 θ + I3 cos2 θ
=
2
+ θ̇2 I1 cos2 ψ + I2 sin2 ψ + ψ̇ 2 I3
+2ϕ̇θ̇(I1 − I2 ) sin θ sin ψ cos ψ + 2ϕ̇ψ̇I3 cos θ
TROT =
(IV.48)
Gibt man V = V (X, Y, Z, ϕ, θ, ψ) vor, folgen die 6 Bewegungsgleichungen. Für symmetrischen Kreisel
vereinfacht sich TROT auf (I = I1 = I2 ):
1 2
ϕ̇ (I sin2 θ + I3 cos2 θ) + θ̇2 I + ψ̇ 2 I3 + 2ϕ̇ψ̇I3 cos θ
2
1 2
I3
= (θ̇ + ϕ̇2 sin θ) + (ψ̇ + ϕ̇ cos θ)2
2
2
TROT =
IV.6 Die Euler’schen Gleichungen
~˙ = K
~ (µ = Gesamtmasse), und d M
~ =D
~ beziehen
Die Bewegungsglgn. des starren Körpers µV
dt
~ und ω
sich auf das ruhende Inertialsystem. Die Beziehung zwischen M
~ ist jedoch am einfachsten
im bewegten, körperfesten System x, y, z. Wir wollen deshalb nun die Bewegungsgleicungen in das
rotierende x, y, z System transformieren. Dies hatten wir in Kapitel I.3.2 diskutiert.
X
X
~x =
~xi (t)
~ei (t)
=
~xi (t)~ei
(IV.49)
rotierendes System
i
˙ =
~x
sodass für beliebigen Vektor ~x gilt
X
|
i
~x˙ 0 (t)~ei (t) +
0
{z
d0 ~
x
dt
}
X
i
i
˙ 0 (t)
~x0 (t) ~e
i
|{z}
d0 ~x
d~x
=
+ω
~ × ~x
dt
dt
66
(IV.50)
ω×~
ei (t)
0
(IV.51)
IV.6 Die Euler’schen Gleichungen
d0 ~
x
dt
beschreibt die zeitl. Änderung von ~x, wie es im bewegten System wahrgenommen wird.
Es folgt
µ
~
d0 V
~ =K
~
+ µω
~ ×V
dt
~
d0 M
~ =D
~
+ω
~ ×M
dt
(IV.52)
(IV.53)
Bzw in Komponenten
µ(V̇1 + ω2 V3 − ω3 V2 ) = K1
µ(V̇2 + ω3 V1 − ω1 V3 ) = K2
µ(V̇3 + ω1 V2 − ω2 V1 ) = K3
(IV.54)
I1 ω̇1 + (I3 − I2 )ω2 ω3 = D1
I1 ω̇2 + (I1 − I3 )ω3 ω1 = D2
I1 ω̇3 + (I2 − I1 )ω1 ω2 = D3
(IV.55)
Dies sind die Euler’schen Gleichungen1
Beispiel: Freie Rotation des symmetrischen Kreisels
I1 = I2 = I
(IV.55) ⇒ I3 ω̇3 = 0 ⇒ ω3 = const.
1. & 2. Glgn: ω̇1 = −Ωω2 ,
ω̇2 = +Ωω1
~ =D
~ =V
~ =0
K
(+) mit Ω = ω3
Integration von (+) mittels
(IV.56)
I3 − I
.
I
d
(ω1 + iω2 ) = iΩ(ω1 + iω2 )
dt
⇒ ω1 + iω2 = AeiΩt
bzw. mit A ∈ R
ω1 (t) = A cos (Ωt),
ω2 (t) = A sin (Ωt)
D.h. ω
~ rotiert um x3 mit konstanter Länge und Geschwindigkeit.
x3
Ê
˛
x2
x1
1 (Leonhard
Euler, Schweiz/Russland, 1707-1783)
67
V Analytische Mechanik
Wir haben mittlerweile das notwendige Rüstzeug etabliert, um die mechanische Dynamik von Vielteilchensystemen mit und ohne Zwangsbedingungen durch Bewegungsgleichungen in Form gekoppelter
Differentialgleichungen zweiter Ordnung zu beschreiben. In diesem Kapitel wollen wir nun die zugrundeliegenden theoretischen Prinzipien detailierter erarbeiten, die als analytische Mechanik bezeichnet
werden. Wundersamerweise haben die hier abgeleiteten Prinzipien in der gesamten klassischen Physik
Gültigkeit haben und stellen auch die Grundlagen einer späteren „Quantisierung“ dar. Das „Herzstück“ der analytischen Mechanik ist das Prinzip der kleinsten Wirkung oder das Hamilton’sche1
Prinzip.
V.1 Das Prinzip der kleinsten Wirkung
Allgemeinste Formulierung des Bewegungsgesetzes mechanischer Systeme: Verallgemeinerte Koordinaten qa (t) und verallgemeinerte Geschwindigkeiten q̇a (t), (a = 1, ..., f ); f = Anzahl der Freiheitsgrade.
In den Zeitpunkten t = t1 und t = t2 , t1 < t2 , nehme das System bestimmte, vorgegebene Lagen ein:
qaA = qa (t1 )
qaE = qa (t2 ).
(V.1)
Die Bewegung zwischen qaA und qaE soll nun so ablaufen, dass das Integral
S=
R t2
t1
dtL(q1 (t), ..., qf (t), q̇1 (t), ..., q̇f (t), t)
(V.2)
mit L= Lagrange-Funktion und S= Wirkung, minimal wird.2
⇒ „Prinzip der kleinsten Wirkung“
S hängt von der Bahnkurve qa (t) mit den Randbedingungen (V.1) ab, deshalb ist S ein Funktional
von qa (t):
S = S[q].
S ist also eine „Funktion einer Funktion“.
Um das Minimum zu finden, betrachten wir die Variation der Bahnkurve bei festen Randbedingungen
(V.1):
qa0 (t) = qa (t) + δqa (t)
δqaA = δqa (t1 ) = 0
δqaE = δqa (t2 ) = 0.
(V.3)
1 (William
2 In
Rowan Hamilton, Irland, 1805 - 1865)
der Tat folgt die Bewegungsgleichung lediglich aus der Extremalität von S.
69
V Analytische Mechanik
t
t2
”qa
t1
qaA
qa
qaE
Die Variation δqa (t) ist so definiert, dass
δ q̇a (t) =
d
δqa (t).
dt
(V.4)
Variation der Wirkung:
δS =
Z
t2
t1
=
Z
t2
dtL(qa + δqa , q̇a + δ q̇a , t) −
dt
t1
f X
∂L
a=1
∂L
δqa +
δ q̇a .
∂qa
∂ q̇a
Für die extremale Bahn qa (t) ist δS = 0, d.h.:

0=
Z
t2
t1
=
Z
t2
t1
f 
X
 ∂L
dt
δqa +

 ∂qa
a=1
dt
f X
a=1
Z
∂L
d
−
∂qa
dt
∂L d
∂ q̇a dt
| {z }
part. Integration
∂L
∂ q̇a
t2
dtL(qa , q̇a , t)
t1



δqa 

δqa +
∂L
δqa
∂ q̇a
{z
|
t=t2
t=t1
}
= 0, da δqa (t1 )=δqa (t2 )=0.
Da die Variationsfunktion δqa (t) beliebig ist, folgt:
∂L
d
∂L
−
∂qa
dt ∂ q̇a = 0.
(V.5)
Dies sind genau die Lagrange-Gleichungen! Das heißt, die Aussagen
∂L
d ∂L
S[q] ist extremal ⇔
−
=0
∂qa
dt ∂ q̇a
sind äquivalent.
Bemerkung:
10
Nun ist unmittelbar klar, dass Addition einer totalen Zeitableitung
chungen nicht ändert: [Wir schreiben {qa , a = 1, . . . , f } = q]
d
dt F (q, t)
zu L die Bewegungsglei-
d
L0 (q, q̇, t) = L(q, q̇, t) + F (q, t)
dt
Z t2
⇒ S 0 [q] =
dtL0 (q, q̇, t) = S[q] + F (q E , t2 ) − F (q A , t1 ).
t1
70
V.2 Noether Theorem
Da δq A = 0 = δq E ist δF (q A/E , t) = 0 und δS 0 [q] = δS[q], sodass identische Bewegungsgleichungen
vorliegen.
V.2 Noether Theorem
Wie ändert sich die Wirkung unter beliebigen Variationen der Bahnkurve und der Zeit?
t0 = t + τ (t); qa0 (t0 ) = qa (t) + ∆qa (t)
(V.6)
Wobei τ und ∆qa beliebige Funktionen sind, die nicht an den Rändern verschwinden müssen.
Für die Variation von qa bei fester Zeit qa0 (t0 ) = qa (t) + δqa (t) finden wir einen Zusammenhang der
Variationen δqa und ∆qa :
qa0 (t0 ) = qa0 (t + τ (t)) = qa0 (t) + τ (t)q̇a (t)
= qa (t) + δqa (t) + τ (t)q̇a (t)
!
= qa (t) + ∆qa (t)
(V.7)
⇒ δqa (t) = ∆qa (t) − τ (t)q̇a (t)
Nun berechnen wir die Änderung der Wirkung unter (V.6):
S =
0
Z
t02
t01
dtL0 (q 0 (t0 ), q̇ 0 (t0 ), t0 )
∆S = W 0 − W
t0 = t + τ (t) ⇒ dt0 = dt(1 + τ̇ (t))
⇒S =
0
Z
t2
dt (1 + τ̇ ) L(q 0 (t + τ ), q̇ 0 (t + τ ), t + τ )
t1
(V.8)
(3)
Nun ist
L(q 0 (t + τ ), q̇ 0 (t + τ ), t + τ ) = L(q 0 (t), q̇ 0 (t), t) + τ (t)
d
L(q 0 (t), q̇ 0 (t), t).
dt
(2)
Für τ (t) und δq infinitesimal ergibt sich:
τ (t)
d
d
L(q 0 (t), q̇ 0 (t), t) = τ (t) L(q(t), q̇(t), t) + O(τ · δq).
dt
dt
Terme zweiter Ordnung wie τ 2 , (δq)2 , τ · δq werden konstistent vernachlässigt. Weiterhin folgt aus
(V.7):
L(q (t), q̇ (t), t) = L(q(t), q̇(t), t) +
0
0
f X
∂L(q(t), q̇(t), t)
a=1
∂qa
∂L(q(t), q̇(t), t)
δqa +
δ q̇a
∂ q̇a
(1)
71
V Analytische Mechanik
Kombinieren wir alles in (V.8), so folgt:


Z t2
f
X ∂L

∂L
d
∆S =
dt 
δqa +
δ q̇a + τ (t) L(q, q̇, t) + τ̇ L(q, q̇, t)


∂qa
∂ q̇a
dt (2)
t1
(3)
a=1
=
Z
t2
t1
+
Z
t2
t1
dt
"
(1)
f X
a=1
∂L
d ∂L
−
∂qa
dt ∂ q̇a
#
δqa
" f
#
d X ∂L(q, q̇, t)
dt
δqa + τ (t)L(q, q̇, t)
dt a=1
∂ q̇a
Ersetzen wir δqa durch (V.7) und führen die folgenden Bezeichnungsweisen ein:
∂L
∂ q̇a
H :=
=: Pa Verallgemeinerter Impuls
Pf
a=1
Pa q̇a − L Hamiltonfunktion
(V.9)
(V.10)
so folgt für die Variation der Wirkung:
"
#
#
Z t2 " X
Z t2
f ∂L
d ∂L
d X
∆S =
dt
Pa ∆qa − Hτ .
−
δqa +
dt
∂qa
dt ∂ q̇a
dt a
t1
t1
a=1
Variieren wir in (V.6) die tatsächlich durchlaufene Bahn qa (t) für die die Lagrangegleichungen erfüllt
sind, so ergibt sich:
t=t2
Pf
(V.11)
∆S = a=1 Pa (t)∆qa (t) − H(t)τ (t)
t=t1
Für den Fall, dass die Transformation (V.6) t0 = t + τ (t) und q 0 (t0 ) = q(t) + ∆q(t) die Wirkung
invariant lassen, sie also eine Symmetrietransformation darstellen, so wird diese Gleichung (V.11) zu
einem Erhaltungssatz:
∆S = 0 ⇒ H(t)τ (t) −
Pf
a=1
Pa (t)∆qa (t) = const
(V.12)
Dies ist die einfache Form des Noethertheorems.3
Im Allgemeinen könnte der Fall eintreten, dass sich die Wirkung bei einer bestimmten Symmetrietransformation um eine totale Zeitableitung ändert:
Z t2
d
∆S =
dt F (q, t).
dt
t1
Dann wären die Bewegungsgleichungen immer noch invariant. Es folgt also die allgemeine Form des
Noethertheorems:
Sei t0 = t + τ (t), qa0 (t0 ) = qa (t) + ∆qa (t) mit a = 1, ..., f eine Symmetrie der Wirkung, d.h. gilt
∆S = S 0 − S =
3 (Emmy
72
Noether, Deutschland/USA, 1882 - 1935)
Z
t2
t1
dt
d
F (q, t)
dt
V.2 Noether Theorem
dann existiert eine assoziierte Erhaltungsgröße:
Pf
H(t)τ (t) − a=1 Pa (t)∆qa (t) + F (t) = const
(V.13)
Dies ist der Zusammenhang zwischen der Symmetrie der Wirkung und der Existenz einer dazugehörigen Erhaltungsgröße.
Beispiele:
1. Impuls
t0 = t, τ (t) = 0
qa0 = qa + aa , ∆qa = aa =const.
Falls L(qa0 , q̇a0 , t) = L(qa , q̇a , t) gilt, ist
P =
f
X
Pa (t)aa = const
a=1
Können alle aa unabhängig voneinander gewählt werden, so ist jedes individuelle Pa erhalten.
• Zyklische Variable:
aa 6= 0 nur für manche a ∈ I ⇒ Pa =const für a ∈ I.
• Gesamtimpuls:
Ist Symmetrie nur gegeben, falls alle aa identisch sind, so ist nur
P =
f
X
Pa (t) = const.
a=1
2. Energie
Hängt L(q, q̇) nicht explizit von der Zeit ab, so ist L invariant unter Zeittranslation:
t0 = t + τ
qa0 (t0 ) = qa (t) ⇒ ∆qa = 0
⇒ H(t)τ (t) =const, da τ beliebig:
Pf
H(t) = a=1 Pa q̇a − L(q, q̇) = const .
(V.14)
Wir sehen, dass H(t) = E ⇒ Die Hamiltonfunktion der Bahnkurve ist die Energie.
Test: Sei L =
P
a
ma 2
2 q̇a
− V (qa ), dann ist:
X ∂L
X ma
X ma
H=
q̇a −
q̇a2 + V (qa ) =
q̇a2 + V (qa ).
∂
q̇
2
2
a
a |{z}
a
a
ma q̇a
3. Schwerpunktsatz
Betrachten nun die eigentliche Galileitransformation
t0 = t, τ = 0
~x0i = ~xi + ∆~v · t, ∆~xi = ∆~v · t
|∆~v | sei infinitesimal. Betrachten zunächst die Transformation der kinetischen Energie:
1X
1X
mi (~x˙ 0i )2 =
mi (~x˙ 2i ) + 2∆~v · ~x˙ i )
T0 =
2 i
2 i
!
X
X
d
= T + ∆~v ·
mi ~x˙ i = T +
∆~v ·
mi ~x˙ i
dt
i
i
73
V Analytische Mechanik
Das heißt: T ändert sich um eine totale Zeitableitung. Wenn nun das Potential translationsinvariant ist, etwa nur von Abständen (~xi − ~xj )2 abhängt, folgt nach dem Noethertheorem die
Erhaltungsgröße:
N
X
i=1
mi ~x˙ i · ∆~v t + ∆~v ·
X
mi ~xi = const
i
~ = const,
⇒ ∆~v · (P~ t + M R)
~ den Schwerpunkt und P~ den Gesamtimpuls beschreibt. Da die infintesimale Transforwobei R
mationsgeschwindigleit ∆~v beliebig ist, folgt der Schwerpunktsatz
~ + P~ t = const
MR
1 ~
~
~ = 0) ,
R(t)
=
P t + R(t
M
⇒
P~ = const
V.3 Hamilton’sche Bewegungsgleichungen
Die Lagrange-Gleichungen eines Systems von f Freiheitsgraden liegen als ein System von f gewöhnlichen Differentialgleichungen zweiter Ordnung in der Zeit vor. In der nun zu diskutierenden
Hamilton’schen Formulierung der Dynamik eines mechanischen Systems wird die Bewegung durch
ein gewöhnliches Differentialgleichungssystem erster Ordnung in den 2f Variablen bestehend aus 2f
gekoppelten Gleichungen beschrieben. Der übergang von der Lagrange’schen Formulierung erfolgt
mittels einer sogenannten Legendretransformation 4 .
Wir beginnen mit der Lagrangefunktion in den verallgemeinerten Koordinaten qa
L(q, q̇, t) = L(q1 , . . . , qf , q̇1 , . . . , q̇f , t)
und erhalten die kanonisch konjugierten Impulse zu den qa :
pa =
∂L(q, q̇, t)
∂ ȧa
(V.15)
Wir wollen nun das System nicht mehr im f -dimensionalen Konfigurationsraum {q1 , . . . , qf } sondern
im 2f -dimensionalen Phasenraum {q1 , . . . , qf , p1 , . . . , pf } beschreiben. In der Tat ist der Zustand
eines Systems durch einen Punkt im Phasenraum vollständig beschrieben. Die zeitliche Änderung des
Systems ist eine Trajektorie (Bahnkurve) im Phasenraum.
Beispiel:
Harmonischer Oszillator
I.3 Klassische statistische Mechanik
p
mq0 Ê
q = q0 sin ωt ,
p = mωq0 cos ωt
q0
q
Abbildung I.2: Phasendiagramm des harmonischen Oszillators
4 (Adrien
Marie Legendre, Frankreich, 1752-1833)
• Potenzialtopf mit reflektierenden Wänden:
p
p0 =
74
Ô
2mE
≠q0
q0
V (q) =
q
H=
I
0, für |q| 6 q0 ;
Œ, sonst.
2
p
+ V (q) = const.
2m
(I.27)
(I.28)
Abbildung I.3: Potenzialtopf
Dynamik
(t)
Bei gegebenen Anfangsbedingungen (t = 0, qi (t = 0), pi (t = 0)) ist die Trajektorie
über die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen bestimmt.
ṗi = ≠
ˆH
,
ˆqi
q˙i =
ˆH
;
ˆpi
i = 1, . . . , s,
(t) eindeutig
(I.29)
V.3 Hamilton’sche Bewegungsgleichungen
Wir wollen nun (V.15) nach q̇a auflösen, hierzu müssen wir verlangen, dass
det
∂2L
6= 0
∂ q̇a q̇b
(V.16)
gilt. Dies garantiert zumindest lokal die Invertierung von (V.15). Dann können wir aus (V.15)
q̇a = q̇a (q1 , . . . , qf , p1 , . . . , pf , t)
(V.17)
etablieren. Wir betrachten nun die Hamiltonfunktion
H(q1 , . . . , qf , p1 , . . . , pf , t) :=
f n
o
X
pa q̇a − L(q1 , . . . , qf , q̇1 , . . . , q̇f , t) a=1
q̇a =q̇a (q1 ,...,qf ,p1 ,...,pf ,t)
(V.18)
Im letzten Kapitel hatten wir gesehen, dass H(q1 , . . . , qf , q̇1 , . . . , q̇f , t) für qa & q̇a , die die Lagrangegleichungen erfüllen, gerade die Energie des Systems ist. Nun zweigen wir, dass H(q1 , . . . , qf , p1 , . . . , pf , t)
die gesamte Dynamik des Systems bestimmt:
Zuerst leiten wir partiell nach den Impulsen ab
f
X ∂ q̇b
∂L ∂ q̇b
∂H(q, p, t)
= q̇a +
−
= q̇a .
pb
∂pa
∂pa
∂ q̇b ∂pa
b=1
|{z}
(V.19)
(V.15)
= pb
Und dann nach den Koordinaten:
f
f
∂H(q, p, t) X ∂ q̇b
∂L X ∂L ∂ q̇b
∂L
=
pb
−
−
=−
,
∂qa
∂qa
∂qa
∂ q̇b ∂qa
∂qa
b=1
b=1 |{z}
(V.20)
(V.15)
= pb
nun ist aufgrund der Lagrangegleichung
d
∂L
=
∂qa
dt
∂L
∂ q̇a
= p˙a , so dass
∂H(q, p, t)
= −p˙a
∂qa
(V.21)
folgt. Damit haben wir die Hamilonschen Bewegungsgleichungen gefunden
∂H(q, p, t)
= q˙a ,
∂pa
∂H(q, p, t)
= −p˙a ,
∂qa
a = 1, . . . , f .
(V.22)
Dies ist eine System von 2f gekoppelten Differentialgleichungen erster Ordnung in t.
D.h. wir haben gezeigt, dass die drei Formulierungen der Mechanik: Newton’sche Grundgleichungen,
Lagrangegleichungen und die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen (V.22) äquivalent sind.
Für die totale Zeitableitung der Hamiltonfunktion gilt:
f X
d
∂H
∂H
∂H
H(q, p, t) =
q̇b +
ṗb +
dt
∂qb
∂pb
∂t
(V.23)
b=1
Gelten die Hamitlongleichungen, d.h. befindet sich unser System auf den Phasenraumtrajektorie, so
verschwindet der Term in der Klammer und es folgt
d
∂
H(q, p, t) = H(q, p, t)
dt
∂t
(V.24)
75
V Analytische Mechanik
D.h. hängt H nicht explizit von der Zeit ab, so ist es erhalten.
Die Umkehrung, dass aus den Hamilton-Gleichungen die Lagrange-Gleichungen folgen, ist auch richtig.
Hierzu starten wir von H(q, p, t) und finden aus der Relation
q̇a (q, p, t) =
∂H(q, p, t)
∂pa
(V.25)
durch Auflösen nach pa : pa = pa (q, q̇, t). Nun machen wir wiederum eine Legendre-Transformation
H → L mit p → q̇
L(q, q̇, t) =
f
X
b=1
pb q̇b − H(q, p, t)
f
f
X ∂pb X ∂H ∂pb
∂L
= pa +
q̇b
−
= pa
∂ q̇a
∂ q̇a
∂pb ∂ q̇a
b=1
b=1 |{z}
(V.26)
(V.15)
= q̇b
und
f
f
X ∂pb
∂H X ∂H ∂pb
∂H
∂L
=
q̇b −
−
=−
∂qa
∂qa
∂qa
∂pb ∂qa
∂qa
b=1
b=1 |{z}
(V.27)
(V.15)
= q̇b
d ∂L
∂H
Nun ist aber nach (V.22) gerade −
= ṗa =
, so dass in der Tat die Lagrangeglei∂qa
dt ∂ ȧa
chungen
∂L
d ∂L
=
∂qa
dt ∂ q̇a
folgen.
Beispiel:
L = 21 m ~x˙ 2 − V (~x)
• Impuls: pa =
∂L
∂xa
= m ẋa , Inversion ~x˙ =
• Hamiltonfunktion: H = p~ · ~x˙ − L =
p
~2
m
• Hamilton’sche Bewegungsgleichungen:
−
p
~
m,
Lagrange Funktion dann L =
p
~2
2m
+ V (~x) =
∂H
pa
=
= ẋa ,
∂pa
m
p
~2
2m
p
~2
2m
− V (~x)
+ V (~x)
∂H
∂V
=
= −ṗa ,
∂xa
∂xa
(V.28)
V.4 Legendre Transformation
Was ist nun genau eine Legendre Transformation? Dies ist ein wichtiges Verfahren für Variablentransformationen in der Theoretischen Physik.
Sei f = f (x) mit dem Differential df =
df
dx
dx =: u(x) dx.
Gesucht: Funktion g = g(u) mit der Eigenschaft
76
dg
du
= x.
V.5 Routh’sche Funktion
Lösung: df = u dx = d(ux) − x du
⇒
d(f − u x) = −x du
Somit lautet die gesuchte Funktion g
⇒
d
(f − u x) = −x
du
(V.29)
g(u) = u x(u) − f [x(u)]
wobei x = x(u) aus der Invertierung von u =
df
dx
folgt.
V.5 Routh’sche Funktion
Manchmal ist es zweckmäßig den Übergang von Geschwindigkeiten zu Impulsen nicht in allen Variablen
duchzuführen, sondern dies nur für einen Teil der q̇a zu tun. Der notationsmäßigen Einfachheit halber
nehmen wir an, dass nur zwei Koordinaten vorhanden sind: q, ξ. Wir wollen nun eine Transformation
˙ nach {q, ξ, p, ξ}
˙ durchführen.
von {q, ξ, q̇, ξ}
˙ lautet (als explizit zeitunabhängig angenommen):
Das Differential der Lagrange-Funktion L(q, ξ, q̇, ξ)
∂L
∂L
∂L
∂L ˙
dξ
dq +
dξ +
dq̇ +
∂q
∂ξ
∂ q̇
∂ ξ˙
∂L
∂L ˙
= ṗ dq + p dq̇ +
dξ +
dξ ,
∂ξ
∂ ξ˙
dL =
woraus sich ergibt
d(L − p q̇) = ṗ dq − q̇ dp +
Einführung der Routh’schen Funktion
∂L ˙
∂L
dξ +
dξ .
∂ξ
∂ ξ˙
˙ = p q̇(q, p, ξ, ξ)
˙ − L(q, q̇(q, p, ξ, ξ),
˙ ξ, ξ)
˙
R(q, p, ξ, ξ)
˙ ξ und q mittels Auflösung von p =
wobei die Geschwindigkeit q̇ durch p, ξ,
ist. Es folgen die Gleichungen
q̇ =
∂R
,
∂p
∂L
∂R
=−
,
∂ξ
∂ξ
ṗ = −
(V.30)
∂L
∂ q̇
nach q̇ auszudrücken
∂R
,
∂q
(V.31)
∂L
∂R
=−
.
∂ ξ˙
∂ ξ˙
Setzen wir die letzten beiden Gleichungen in die Lagrange Gleichungen ein, so folgt
∂R
d ∂R =
.
∂ξ
dt ∂ ξ˙
(V.32)
D.h. die Routh’sche Funktion ist Hamiltonfunktion bezüglich q und p sowie Lagrangefunktion bezüglich
˙ Die Verwendung der Routh’schen Funktion ist zweckmäßig, wenn zyklische Variable auftreten.
ξ und ξ.
Für eine zyklische Variable q is p eine Erhaltungsgröße und wir haben
˙
R = R(p, ξ, ξ)
mit
p = const.
Dann sind in den Bewegungsgleichungen
˙
˙
d ∂R(p, ξ, ξ)
∂R(p, ξ, ξ)
=
∂ξ
dt
∂ ξ˙
die zyklischen Variablen vollständig eliminiert.
77
V Analytische Mechanik
V.6 Poisson’sche Klammern
Für eine beliebige Funktion f (q, p, t) der Koordinaten, der Impulse und der Zeit ist die totale
Zeitableitung gegeben durch
f
df
∂f X
=
+
dt
∂t a=1
∂f
∂f
q̇a +
ṗa
∂qa
∂pa
Die Verwendung der Hamilton’schen Bewegungsgleichungen (V.22) liefert uns dann
f
df
∂f X
=
+
dt
∂t a=1
∂H ∂f
∂H ∂f
−
∂pa ∂qa
∂qa ∂pa
,
was wir unter Einführung der Poissonklammern5
{g, f } :=
f X
∂g ∂f
∂g ∂f
−
∂pa ∂qa
∂qa ∂pa
a=1
(V.33)
elegant und kompakt schrieben können als
df
∂f
=
+ {H, f } .
dt
∂t
(V.34)
Achtung: In der Literatur findet man kein einheitliches Vorzeichen
in der Definition, so gibt es auch
Pf
∂g ∂f
∂g ∂f
die alternative Version {g, f }0 = a=1 ∂q
−
.
Für
Erhaltungsgrößen F (q, p, t) gilt
∂pa ∂qa
a ∂pa
demnach
∂F
∂t
+ {H, F } = 0. Ist die Erhaltungsgröße explizit zeitunabhängog, so ist
{H, F } = 0 .
(V.35)
D.h. die Poissonklammer einer Erhaltungsgröße mir der Hamiltonfunktion verschwindet, wenn diese
explizit zeitunabhägig ist. Man sagt auch, dass F mit H “poissonkommutiert”. Letzteres, da die
Poissonklammer vielerlei parallelen zu dem Kommutator zweier Matrizen aufweist.
Eigenschaften der Poissonklammern
i) {f, g} = −{g, f }
(Anti-symmetrie)
ii) {c1 f1 + c2 f2 , g} = c1 {f1 , g} + c2 {f2 , g} mit c1 , c2 ∈ R
iii) {f1 f2 , g} = f1 {f2 , g} + {f1 , g} f2
(Linearität)
(Produktregel)
iv) {f, {g, h} } + {g, {h, f } } + {h, {f, g} } = 0
(Jacobi-Identität)6
Diese Eigenschaften zeigt man durch explizites Ausrechnen unter Verwendung der Ableitungsregeln.
Insbesondere ist die Jacobi-Identität eine sehr nützliche Relation, wie wir im folgenden sehen werde.
Wir bemerken nebenbei auch, dass diese Eigenschaften ebenso für den Kommutator von Matrizen
gelten würden.
Ist nun eine der Funktionen in der Poissonklammer Ort oder Impuls, so reduzieren sich die Klammern
auf die partielle Ableitungen:
{f, qa } =
5 (Siméon
6 (Carl
78
Denis Poisson, Frankreich, 1781-1840)
Gustav Jacobi, Deutschland, 1804-1851)
∂f
,
∂pa
{f, pa } = −
∂f
.
∂qa
V.7 Die Hamilton’schen Gleichungen als Variationsgleichungen
Insbesondere gilt
{qa , qb } = 0
{pa , pb } = 0
{pa , qb } = δab
(V.36)
a = 1, . . . , f
(V.37)
und die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen lauten einfach und kompakt
ṗa = {H, pa }
q̇a = {H, qa }
Vergleiche hierzu (V.34).
Poisson’sches Theorem
Die Poissonklammer zweier Erhaltungsgrößen ist wiederum eine Erhaltungsgröße:
o
Ḟ = 0
⇒ {F, G} = const .
Ġ = 0
Beweis: Sehr einfach für zeitunabhängige F & G: Aus {H, F } = 0 und {H, G} = 0 folgt mittels
Jacobi-Identität
{H, {F, G} } = −{F, {G, H} } − {G, {H, F } } = 0
| {z }
| {z }
=0
und somit
d
dt {F, G}
=0
= 0. Den allgemeinen zeitabhägigen Fall überlassen wir den Übungen.
Die Anwendung des Poisson’schen Theorems liefert natürlich nicht immer eine neue Erhaltungsgröße
(diese sind ja auch in der Zahl nach oben mit 2f − 1 beschränkt). Die Poissonklammer zweier
Erhaltungsgrößen kann verschwinden oder auf eine bereits bekannte Erhaltungsgröße führen.
Ein Beispiel ist der Drehimpuls Li = ijk xj pk für den
d i
dt L
= 0 gelten möge. Dann berechnet man
{L1 , L2 } = {x2 p3 − x3 p2 , x3 p1 − x1 p3 } = {x2 p3 , x3 p1 } + {x3 p2 , x1 p3 } − {x3 p2 , x3 p1 } − {x2 p3 , x1 p3 }
= x2 {p3 , x3 } p1 + p2 {x3 , p3 } x1 − 0 − 0 = x2 p1 − p2 x1 = −L3
| {z }
| {z }
=1
=−1
D.h. die Erhaltung von L1 und L2 impliziert stets die Erhaltung auch von L3 !
⇒
{Li , Lj } = −ijk Lk .
V.7 Die Hamilton’schen Gleichungen als Variationsgleichungen
Die Hamilton’schen Gleichungen können ebenfalls aus der Extremalität der Wirkung S hergeleitet
werden.
f
X
dqa
Lagrange-Funktion
L=
pa
−H
dt
a=1
Wirkung
S=
Z
dt L =
Z nX
f
a=1
pa dqa − H dt
o
(V.38)
Im Folgenden betrachten wir Koordinaten und Impulse als unabhägige Größen und betrachten die
Variation
qa0 (t) = qa (t) + δqa (t)
p0a (t)
= pa (t) + δpa (t)
mit δqa (t1 ) = 0 = δqa (t2 )
(V.39)
79
V Analytische Mechanik
Es folgt für die Variation der Wirkung:
Z X
∂H
∂H
δS = S 0 − S =
{ δpa dqa + pa d(δqa ) −
δqa dt −
δpa dt }
∂qa
∂pa
a
Eine partielle Integration im zweiten Term liefert dann
Z Xn
t2
o X
∂H
∂H
δS =
dt) δpa + (−dpa −
dt) δqa +
pa δqa (dqa −
∂p
∂q
t1
a
a
a
a
Der letzte Term verschwindet aufgrund der Randbedingungen (V.39). Da die Variationen δqa (t) und
δpa (t) im Inneren beliebige Funktionen sind, muss für ein Extremum von S gelten δS = 0 und
dqa =
∂H
dt ,
∂pa
dpa = −
∂H
dt .
∂qa
Nach Division durch dt folgen die Hamilton-Gleichungen.
V.8 Kanonische Transformationen
Die Wahl der verallgemeinerten Koordinaten qa ist durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt.
Hierin liegt die Stärke der Lagrange’schen Formulierung der Mechanik vor der Newton’schen, da die
Lagrange-Gleichungen forminvariant für beliebige Transformationen qa → Qa sind:
∂L
d ∂L
=
∂qa
dt ∂ q̇a
⇒
Punkttrransformation
Qa = Qa (q1 , . . . , qf , t)
⇒
∂L
d ∂L
=
∂Qa
dt ∂ Q̇a
Natürlich behalten auch die Hamilton’schen Gleichungen unter einer Punkttransformation ihre Form.
Die Hamilton’sche Formulierung der Mechanik erlaubt jedoch eine wesentlich größere Klasse von
Transformationen, die die Koordinaten qa und die Impulse pa umfassen.
Qa = Qa (q, p, t) ,
Phasenraumtransformation
Pa = Pa (q, p, t) ,
a = 1, . . . , f .
(V.40)
Diese sollten natürlich inverierbar sein, um eine eindeutige Abbildung zu haben. D.h wir nehmen an,
dass (V.43) eindeutig auch die Rücktransformationen
qa = qa (Q, P, t) ,
pa = pa (O, P, t)
bestimmt. Solche allgemeine Phasenraumtransformationen werden jedoch nicht im Allgemeinen die
Hamilton-Gleichungen forminvariant lassen.
Deshalb fordern wir nun, dass die Transformationen die Eigenschaft haben:
q̇a =
ṗa =
Q̇a =
∂H
∂pa
∂H
− ∂q
a
⇒
∂H 0
∂Pa
∂H
Ṗa = − ∂Q
a
0
(V.41)
H ⇒ H0
Diese nennen wir Kanonische Transformationen.
Da die Hamilton gleichungen aus dem Extremumsprinzip der Wirkung entstammen und sich die
Lagrangegleichung unter einer Punkttransformation lediglich um eine totale Zeitableitung ändert,
schliessen wir, dass für eine kanonische Transformation gelten muss (vergleiche (V.38)):
f
X
a=1
80
pa q̇a − H =
f
X
a=1
Pa Q̇a − H 0 +
∂F
∂t
(V.42)
V.8 Kanonische Transformationen
Jede kanonische Transformation ist somit durch ihre Funktion F definiert, die wir Erzeugende der
Transformation nennen. Für das Differential der Erzeugenden gilt dann
dF =
f
X
a=1
pa dqa −
f
X
a=1
Pa dQa + (H − H 0 ) dt
(V.43)
Dies ist die zentrale Relation für die kanonischen Transformationen. Wir sehen aus (V.43), dass für
die Wahl einer Erzeugenden F als Funktion der alten und der neuen Kooordinaten sowie der Zeit,
F = F1 (q, Q, t) sich aus (V.43) ergibt
∂F1 (q, Q, t)
,
∂qa
∂F1 (q, Q, t)
,
Pa = −
∂Qa
∂F1
H0 = H +
.
∂t
pa =
(V.44)
(V.45)
(V.46)
Ein sinnvolles F1 (q, Q, t) erlaubt nun (V.44) nach Qa aufzulösen, so dass wir die Transformation zu
den neuen Koordinaten Qa = Qa (q, p, t) erhalten. Weiterhin setzen wir dies in (V.45) ein und finden
Pa = Pq (q, p, t). Die neue Hamiltonfunktion H 0 schließlich folgt dann aus (V.46)
∂F1 [q(Q, P, t), Q, t]
∂t
H 0 (Q, P, t) = H[q(Q, P, t), p(Q, P, t), t] +
(V.47)
wobei die q(Q, P, t) und p(Q, P, t) aus der Inveriterung der Transformation stammen.
Beispiel:
Sei F1 (q, Q) =
P
a qa
Qa , dann ergibt sich aus (V.44), (V.45) und (V.46)
pa = Qa ,
Pa = −qa ,
H0 = H .
D.h. wir haben eine Vertauschung von Impulsen und Koordinaten!
p2
− mg q
2m
Q2
H0 =
+ mg P
2m
z.B.
H=
Wir sehen, dass unter kanonischen Transformationen der ursprüngliche Sinn der Begriffe Koordiante und Impuls aufgelöst wird. So muss ein Qa gar nichts mehr mit einer Position im Raum zu tun haben!
Es gibt weitere Wahlmöglichkeiten für die erzeugende Funktion. Wollen wir diese als Funktion von
qa , Pa und t vorgeben, so schreiben wir das zentrale Differential (V.43) mittels einer LegendreTransformation um als
X
X
X
d(F +
Pa Qa ) =
pa dqa +
Qa dPa + (H − H 0 ) dt
a
Definieren wir nun F2 (q, P, t) := F +
a
X
a
Pa Qa so folgt
a
pa =
∂F2 (q, P, t)
,
∂qa
Qa =
∂F2 (q, P, t)
,
∂pa
H0 = H +
∂F2
∂t
(V.48)
81
V Analytische Mechanik
Wiederum stellen wir die erste Beziehung um, um Pa = Pa (q, p, t) zu etablieren. Einsetzen in die zweite
∂F2
Relation liefert dann Qa = Qa (q, P (q, p, t), t) und schließlich H 0 = H(q(Q, P, t), p(Q, P, t), t) +
.
∂t
Dieses Schema lässt sich für die weiteren möglichen erzeugenden Funktionen F3 (p, Q, t) und F4 (p, P, t)
wiederholen. Dann findet man
qa = −
bzw.
qa = −
∂F3 (p, Q, t)
,
∂pa
∂F3 (p, Q, t)
,
∂Qa
(V.49)
∂F4 (p, P, t)
,
∂Pa
∂F3/4
H0 = H +
.
∂t
∂F4 (p, P, t)
,
∂pa
und stets
Pa = −
Qa =
Beispiel:
i) Identische Transformation: Wir wählen F2 (q, P, t) =
X
(V.50)
(V.51)
qa Pa und finden
a
pa =
∂F2 (q, P, t)
= Pa
∂qa
Qa =
∂F2 (q, P, t)
= qa
∂pa
ii) Infintitesimale Transformation: Nun nehmen wir F2 (q, P, t) =
X
H0 = H
qa Pa + G(q, P, t) woraus
a
folgt
p a = Pa + ∂G(q, P, t)
∂qa
Qa = qa + ∂G(q, P, t)
∂Pa
H0 = H + ∂G(q, P, t)
.
∂t
Unter Vernachlässigung von Termen der Ordnung 2 ergibt sich hieraus
Qa = qa + ∂G(q, p, t)
,
∂pa
Pa
= pa − ∂G(q, p, t)
∂G(q, p, t)
.
, H0 = H + ∂qa
∂t
Die infinitesimale kanonische Transformationen lassen sich dann mithilfe der Poissonklammern
elegant schreiben als
δqa = Qa − qa = {G, qa } ,
δpa = Pa − pa = {G, pa } ,
mit der Erzeugenden G(q, p, t).
δH = H 0 − H = {G, H} ,
(V.52)
V.9 Hamilton-Jacobi-Theorie
Idee:
Finde genau die kanonische Transformation für die H 0 = 0 ist. Dann ist Qa = const und Pa = const
und somit das dynamische Bewegungsproblem gelöst.
82
V.9 Hamilton-Jacobi-Theorie
Ansatz:
Wir wollen eine erzeugende Funktion F2 (q, P, t) finden mit der Eigenschaft
H0 = H +
Es gilt aber noch pa =
∂F2 (q,P,t)
,
∂qa
Qa =
∂F2 (q,P,t)
,
∂Pa
∂F2
= 0.
∂t
(V.53)
so dass wir (V.53) auffassen müssen als
∂F2 (q, P, t) ∂F2 (q, P, t)
H qa , pa =
,t +
=0
∂qa
∂t
(V.54)
Da die Pa konstant sind, setzen wir Pa = αa mit a = 1, . . . , f . und schreiben
F2 = S(q1 , . . . , qf ; α1 , . . . , αf ; t) + αf +1
Dann ergibt sich (V.54) zu
∂S
∂S
,t +
=0
H qa ,
∂qa
∂t
(V.55)
Dies ist die Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung. Eine partielle DGL erster Ordnung in
den Variablen {qa , t}. Löst man (V.55) für S(q1 , . . . , qf , t; α1 , . . . , αf ), so folgt aus der Konstanz der
neuen Koordinaten Qa , dass
Qa =
∂S(q1 , . . . , qf , t; α1 , . . . , αf )
= βa = const
∂αa
a = 1, . . . , f .
(V.56)
Die Auflösung dieser Relation nach qa ergibt dann die gesuchte Bahnkurve
(V.56)
qa = qa (t; α1 , . . . , αf , β1 , . . . , βf )
⇒
die von insgesamt 2f Integrationskonstanten abhängt, wie es sein muss. D.h. das Bewegungsproblem
ist gelöst!
Beispiel:
Das freie Teilchen: H =
p2
2m
• Hamilton-Jacobi-Gleichung:
1
2m
∂S(q, t)
∂q
• Separationsansatz: S(q, t) = W (q) − E t
1
2m
dW
dt
2
=E
⇒
dW =
2
√
+
∂S(q, t)
∂t
2mE dq
⇒
W (q) =
√
2mE q + α2
• Wir definieren α1 = E und haben weiterhin:
r
∂S(q, t; α1 )
∂
2mE
m
β1 =
q−Et =
q−t
=
∂α1
∂E
2E
• Nach q aufgelöst folgt die (bekannte) Lösung einer gleichförmigen Bewegung
r
r
r
2E
2E
2E
q(t) =
(t + β1 ) = v0 t + q0
mit q0 =
β1 , v0 =
.
m
m
m
83
V Analytische Mechanik
Bemerkungen
• Der obige Seperationsansatz S(q, t) = W (q) − E t funktioniert immer, wenn H nicht explizit
zeitabhängig ist.
• In der Tat kann S(q, t) in der Hamilton-Jacobi-Gleichung mit der Wirjung identifiziert werden:
Bilden wir die totale Zeitableitung dieser Größe so folgt
X ∂S
X
∂S
dS(q, t)
=
+
q̇a = −H +
pa q̇a = L
dt
∂t
∂qa
a
a
Rt
D.h. S(q, t) = 0 dt0 L[q, t], wobei man S hier abhängig macht von der Konfiguration q(t) and
der Obergrenze des Integrals.
V.10 Invarianzeigenschaften
Für eine kanonische Transformation pa , qa → Pa , Qa gelten die folgenden Invarianzeigenschaften:
i) Forminvarianz der Hamiltongleichungen
q̇a =
∂H
∂pa
∂H
ṗa = − ∂q
a
Q̇a =
⇒
∂H 0
∂Pa
∂H
Ṗa = − ∂Q
a
0
(V.57)
H ⇒ H0
ii) Invarianz der Poissonklammern (ohne Beweis)
Insbesondere gilt
sowie
{f, g}p,q = {f, g}P,Q
X ∂f ∂g
X ∂f ∂g
∂f ∂g
∂f ∂g
−
=
−
∂p
∂q
∂q
∂p
∂P
∂Q
∂Q
a
a
a
a
a
a
a ∂Pa
a
a
{pa , qb }p,q = δab ,
(V.58)
{Pa , Qb }p,q = δab ,
{qa , qb }p,q = {Qa , Qb }p,q = {pa , pb }p,q = {Pa , Pb }p,q = 0 .
Erfüllt eine Transformation die Beziehungen (V.58), so lässt sich zeigen, dass es eine kanonische
Transformation ist, d.h. die Hamiltongleichungen sind forminvariant.
iii) Liouville Theorem
Phasenraumvolumen ist unter kanonischen Transformationen invariant.
p
P
¯
q
84
Q
V.10 Invarianzeigenschaften
Z Y
Ω a
VolΩ = VolΩ̄
Z Y
dpa dqa =
dPa dQa
Ω̄ a
mit
|D| = 1
Dies ist Ausgangspunkt statistischer Überlegungen: Für ein Ensemble von Teilchen, die einen
Bereich der Phasenraums bevölkern, ändert sich das eingenommene Volumen unter der zeitlichen Entwicklung nicht, da die dynnamische Entwicklung gemäß Hamilton-Jacobi-Theorie als
kanonische Transformation verstanden werden kann.
85
VI Die Spezielle Relativitätstheorie
Wir hatten in Kapitel 1 das Galilei’sche Prinzip kennengelernt:
Galilei’sches Prinzip
Das Newton’sche Gesetz (und seine Verwandten) ist in allen Inertialsystemen gleich.
Inertialsysteme sind durch Galileitransformationen miteinander verbunden: Σ → Σ0
~x0 = A~x + ~a + ~v t
t0 = t + τ
mit AT · A = 1,
und ~a, ~v , τ = const
Äquivalent zu der Aussage der Forminvarianz der Newtongleichung ist die Feststellung, dass die
Wirkung S invariant unter Galileitransformationen ist.
~ , so bewegt er sich in Σ0 mit V
~ + ~v .
Bewegt sich in Σ ein Körper mit der Geschwindigkeit V
Diese Aussage steht aber im Widerspruch zum Experiment: Licht breitet sich in allen Bezugssystem
gleich schnell aus, die Lichtgeschwindigkeit c ist eine Naturkonstante. (Michelson-Morley1 -Experiment,
1881 in Potsdam, Lichtgeschwindigkeit auf der Erde unabhängig von der Richtung.)
Aus theoretischer Sicht: Maxwell-Gleichungen sind nicht invariant unter Galileitransformationen. Somit
gilt das Galilei-Prinzip nicht! Einstein2 erkannte dies und postulierte die spezielle Relativitätstheorie
(kurz: SRT), die wir nun diskutieren wollen.
Grundpostulate
1. Spezielles Relativitätsprinzip:
Naturgesetze sind in allen Inertialsystemen gleich, es gibt kein ausgezeichnetes Inertialsystem.
Inertialsysteme Σ, Σ0 bewegen sich relativ zueinander mit konstanter Geschwindigkeit.
2. Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Die Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen im Vakuum ist in allen Inertialsystemen gleich.
Folgen: @ universelle Zeit, sie gehört jeweils zu genau einem Bezugssystem
y
z
Õ
t
{x, y, z, ct}
x
zÕ
yÕ
tÕ
{xÕ , y Õ , z Õ , ctÕ }
xÕ
Zusammengefasst als Vierervektor der Raumzeit
1 (Albert
2 (Albert
Michelson, USA, 1852-1931; Edward Morley, USA, 1838-1923)
Einstein, 1879-1955, Deutschland/Schweiz/USA)
87
VI Die Spezielle Relativitätstheorie


ct
 x 

xµ = 
 y 
z
oder auch geschrieben als xµ = (ct, ~x).
x0
µ


ct0
 x0 

=
 y0 
z0
µ = 0, 1, 2, 3
VI.1 Lorentztransformation
Situation: Σ0 bewegt sich relativ zu Σ mit Geschwindigkeit v in x-Richtung, für t = 0 = t0 fallen die
Ursprünge der Systeme ~0 und ~00 zusammen.
y
yÕ
v (gegenüber )
˛0
z
x, xÕ
˛0Õ
Gesucht: Lineare Transformation Σ →
Σ0
µ
x0 = Λµ ν xν .
(VI.1)
Λµ ν : 4 × 4-Matrix.
zÕ
Da (siehe Bild) in unserem Fall y 0 = y und z 0 = z ist,
 0   0
ct
Λ 0 Λ0 1
0
 x   Λ1 0 Λ1 1
 0 =
 y   0
0
0
0
z0
lautet (VI.1) lediglich


ct
0 0


0 0 
 x  .
1 0  y 
z
0 1
Die inverse Transformation ergibt sich durch Invertieren dieser



ct
Λ1 1 −Λ0 1
 x 
 −Λ1 0 Λ0 0
1



 y  = Λ0 0 Λ1 1 − Λ0 1 Λ1 0  0
0
z
0
0
Matrix zu

0 0

0 0 

1 0 
0 1

ct0
x0 
 .
y0 
z0
(VI.2)
(VI.3)
Die verbleibenden vier Matrixeinträge können nun aus vier physikalischen Bedingungen bestimmt
werden.
I. Σ0 bewegt sich mit Geschwindigkeit v bezüglich Σ nach rechts. Der Ursprung von Σ0 , also x0 = 0,
wird in Σ durch die Bahnkurve x = vt beschrieben. Setzt man dies in die zweite Zeile von (VI.2) ein,
dann ergibt sich
0 = Λ1 0 ct + Λ1 1 x = (Λ1 0 c + Λ1 1 v)t
also Λ1 0 = − vc Λ1 1 .
II. Σ bewegt sich mit Geschwindigkeit v bezüglich Σ0 nach links. Der Ursprung von Σ, also x = 0,
wird in Σ0 durch die Bahnkurve x0 = −vt0 beschrieben. Setzt man dies in die zweite Zeile von (VI.3)
ein, dann ergibt sich
0=
88
−Λ1 0 ct0 + Λ0 0 x0
Λ1 0 c + Λ0 0 v
=− 0 1
t0
0
1
0
1
Λ 0Λ 1 − Λ 1Λ 0
Λ 0 Λ 1 − Λ0 1 Λ1 0
VI.1 Lorentztransformation
also Λ0 0 = − vc Λ1 0 = Λ1 1 .
III. Ein Lichtsignal hat in Σ und in Σ0 die Geschwindigkeit c. Die Lorentztransformation muss also
die Bahnkurve x = ct auf die Bahnkurve x0 = ct0 abbilden. Wegen x0 = ct0 setzen wir die ersten
beiden Zeilen von (VI.2) gleich
Λ0 0 ct + Λ0 1 x = Λ1 0 ct + Λ1 1 x ,
und verwenden x = ct sowie die obigen Resultate, so dass
Λ0 0 + Λ0 1 = Λ1 0 + Λ1 1 ,
v
Λ1 1 + Λ0 1 = − Λ1 1 + Λ1 1 ,
c
v 1
0
Λ 1=− Λ 1,
c
folgt.
Der aktuelle Zwischenstand ist nun

 0 
1
ct
 −v
 x0 
1
 0 =Λ 1 c
 0
 y 
0
z
0


ct
 x 
1


 y  = (1 − v2 )Λ1
1
c2
z


ct
0 0


0 0 
 x  ,


y 
1 0
z
0 1
 0
v
1 c 0 0
ct
 v 1 0 0   x0
 c

 0 0 1 0   y0
z0
0 0 0 1
− vc
1
0
0

(VI.4)


 .

(VI.5)
und die einzige verbleibende unbekannte Größe ist Λ1 1 . Wir können argumentieren, dass Λ1 1 nur eine
gerade Funktion der Relativgeschwindigkeit v seien kann. Dies sieht man wie folgt. Das Umkehren der
Koordinatenachsen, ~x 7→ −~x und ~x0 7→ −~x0 , bei gleichzeitiger Umkehrung der Relativgeschwindigkeit,
v 7→ −v, ändert die physikalische Situation nicht, darf also an der Transformation nichts ändern. Dies
ist aber nur dann der Fall, wenn Λ1 1 (−v) = Λ1 1 (v).
IV. Reziprozität. Welches der beiden Bezugssysteme als Σ und welches als Σ0 bezeichnet wird ist
willkürlich. Wenn wir die beiden Bezugssysteme austauschen (~x ↔ ~x0 und t ↔ t0 ) und dabei das
Vorzeichen der Relativgeschwindigkeit tauschen, darf sich an den Transformationsformeln wieder
nichts ändern. Führen wir diese Ersetzungen in (VI.4) durch, so ergibt sich (VI.5) genau dann, wenn
Λ1 1 =
1
(1 −
v2
1
c2 )Λ 1
,
wobei es wichtig war zu wissen, dass Λ1 1 gerade ist. Durch Auflösen ergibt sich
Λ1 1 = q
1
1−
v2
c2
.
Das positive Vorzeichen beim Ziehen der Wurzel wurde gewählt, damit die Koordinatenachsen von Σ
und Σ0 dieselbe Orientierung haben.
Zusammenfassend haben wir nun gefunden, dass
ct − v x
ct0 = q c
2
1 − vc2
,
x − vt
x0 = q
= x0
v2
1 − c2
,
y0 = y
,
z0 = z .
(VI.6)
89
VI Die Spezielle Relativitätstheorie
Eine praktische Parametrisierung der Lorentztransformation ergibt sich mit der Definition der
Rapidität η durch
÷
tanh η =
v
.
c
1
Damit folgt, dass cosh η = √
1
1−v 2 /c2
und sinh η = √
in (VI.1) und ihr Inverses schreiben können

cosh η − sinh η 0 0
 − sinh η cosh η 0 0

Λ=
0
0
1 0
0
0
0 1
als




,
v/c
1−v 2 /c2
Λ−1
v/c
, so dass wir die Transformationsmatrix

cosh η
 sinh η

=
0
0
sinh η
cosh η
0
0

0 0
0 0 
 .
1 0 
0 1
Diese Matrizen sehen den Rotationsmatrizen sehr ähnlich, mit dem Unterschied, dass die trigonometrischen Funktionen durch hyperbolische Funktionen ersetzt sind und die Vorzeichen anders verteilt
sind. Deswegen gilt auch auch nicht die Beziehung A−1 = AT , die wir für Rotationsmatrizen kennen,
sondern
Λ−1 = ηΛT η ,
wo wir die “Metrik”3

1
 0
η=
 0
0
0
−1
0
0

0
0
0
0 
 = η −1
−1 0 
0 −1
eingeführt haben. Diese Beziehung zwischen Λ und Λ−1 gilt auch für allgemeine Lorentztransformationen, d.h. für die Transformation zwischen zwei beliebig gegeneinander verdrehte und in beliebige
Richtung gegeneinander bewegte Inertialsysteme, deren Urspung für t = 0 = t0 zusammenfallen.
Etwas umgeschrieben, lautet die Beziehung
ΛT ηΛ = η
oder Λµ ρ ηµν Λν κ = ηρκ .
(VI.7)
Die Menge aller Matrizen, die dies erfüllen, bilden eine Gruppe SO(1,3), wobei die Notation (1, 3) die
Signatur der Metrik reflektiert. Diese Matrizen erhalten nicht die euklidische Norm (ct)2 + x2 + y 2 + z 2 ,
sondern die Pseudonorm
x2 := xµ ηµν xν = (x0 )2 − (x1 )2 − (x2 )2 − (x3 )2 = (ct)2 − x2 − y 2 − z 2 ,
d.h. es gilt
xµ ηµν xν = x0 ηµν x0
µ
(VI.8)
ν
für beliebige Lorentztransformationen.
3 Diese
Matrix hat nichts mit der Rapidität η zu tun.
90
5
VI.1 Lorentztransformation
Indexgymnastik
Eine Größe xµ , die sich wie x0µ = Λµν xν transformiert, heißt kontravarianter Vierervektor. Ein linearer
Raum mit Pseudometrik ηµν heißt Minkowski4 -Raum - im Gegensatz zum Euklidischen Raum R3 .
Wir schreiben R1,3 .
Mit der Metrik ηµν lassen sich Indizes „herunterziehen“
xµ = ηµν xν
„kovarianter 4-Vektor“
x = (ct, ~x)
xµ = (ct, −~x)
µ
Transformationsverhalten von xµ :
x0µ = ηµν x0ν = ηµν Λν σ xσ .
Nun folgt aus (VI.7)
Λ−1
ρ
(ηµν Λνσ ) = ηρσ Λ−1
ρ
⇒ ηµν Λνσ = Λ−1 µ ηρσ .
Somit
µ
κ Λρ
x0µ = Λ−1
ρ
µ
ηρσ xσ = xρ Λ−1
ρ
ρ
κ
µ
.
D.h. der kovariante Vektor transformiert mit der Inversen Λ−1 .
Die inverse Metrik η µν mit η µν ηνρ = δρµ erlaubt das „Hochziehen“ von Indizes:
xµ = η µν xν
Wir sehen weiterhin, dass Λ−1
ρ
µ
= ηµν Λν σ η σρ ist.
Infinitesimale Lorentztransformationen
Analog zur Diskussion der infinitesimalen Drehung in Kapitel 1 betrachten wir nun infinitesimale
Lorentztransformationen:
Λµ ν = δνµ + ω µ ν
Aus (VI.7) folgt dann
1.
δρµ + ω µ ρ (δσν + ω ν σ ) ηµν = ηρσ
ηρσ + (ωσρ + ωρσ ) = ηρσ
⇒ ωρσ = −ωσρ
mit ωσρ = ησν ωρν . D.h. ωρσ ist eine antisymmetrische 4 × 4 Matrix → 6 Einträge.
⇒ Die Lorentzgruppe ist eine 6 parametrige, kontinuierliche nicht-abel’sche Gruppe
3 Parameter der Rotation
3 Parameter der „Boosts“ ⇔ Rapiditäten ηx/y/z .
Gemeinsam mit den 3+1 Translationen haben wir die Poincaré Gruppe5
x0µ = Λµν xν + aµ .
(VI.9)
4 (Hermann
5 (Henri
Minkowski, Deutschland/Russland, 1864-1909)
Poincaré, Frankreich, 1854-1912)
91
VI Die Spezielle Relativitätstheorie
Spezielles Relativitätsprinzip
Naturgesetze ändern sich nicht, wenn sie in durch Poincaré-Transformationen verbundene
Bezugssysteme formuliert werden.
VI.2 Zeitdilatation, Längenkontraktion und Lichtkegel
Zeitdilatation
Aus Lorentz-Transformation (VI.6) folgt das Phänomen der Zeitdilatation einer bewegten Uhr:
Õ
v
Im System Σ liegt eine Uhr im Ursprung und wir lesen einen Zeitabstand ab:
τ = tA − tB
τ : Eigenzeit.
~xA − ~xB = 0
Im System Σ0 , das sich relativ zu Σ mit v in x-Richtung bewegt, zeigt eine Uhr die Zeitdifferenz
zwischen den Ereignissen A und B:
cτ 0 =
c(tA − tB ) + vc (xA − xB )
cτ + 0
q
=q
2
2
1 − vc2
1 − vc2
τ
⇒ τ0 = q
1−
Beispiele:
v2
c2
τ 0 > τ.
- Erzeugung von Myonen in der Atmosphäre durch kosmische Strahlung, Flugzeit deutlich länger
als Lebensdauer im Labor, v/c ~0.9
- Zwillingsparadoxon
Längenkontraktion
Nun betrachten wir einen Maßstab, der im System Σ die Länge l = xA − xB hat. Wir wollen die
Länge des Maßstabs im bewegten System Σ0 messen und zwar gleichzeitig, d.h. t0A − t0B = 0.
Õ
v
Methode: In der Mitte des Stabes wird Lichtsignal emittiert und an den Enden durch Spiegel reflektiert.
Die Laufzeitmessung der einkommenden Signale gibt uns die Länge.
92
VI.2 Zeitdilatation, Längenkontraktion und Lichtkegel
Dann ist (inverse Transformation zu (VI.6))
xA − xB =
x0A − x0B + v(t0A − t0B )
q
2
1 − vc2
⇒l= q
l0
⇒ l0 = l
1−
1−
r
v2
c2
v2
c2
l0 < l.
Die im bewegten System gemessene Länge ist kürzer als die Länge im Ruhesystem.
⇒ Wir sehen also, dass der Längenabstand |~xA − ~xB | und der Zeitabstand |tA − tB | keine lorentzinvarianten Größen sind.
Welche Größen sind dann Lorentzinvarianten?
0 ct
cosh η
=
x0
sinh η
sinh η
cosh η
ct
x
"Drehungïm x-t Raum, Pseudonorm:
(ct0 )2 − (x0 )2 = (cosh η · ct + sinh η · x)2 − (sinh η · ct + cosh η · x)2
= (cosh2 η − sinh2 η )(ct)2 + (sinh2 η − cosh2 η )x2 + ct · x(cosh η sinh η − sinh η cosh η)
|
{z
}
|
{z
}
1
−1
= (ct)2 − x2
Invarianz der PSEUDONORM:
c2 t2 − ~x2 = c2 t02 − ~x02
Lichtkegel
Pseudonorm erlaubt die Aufteilung von Raumzeitabständen in 3 Klassen.
.
I: c2 (tA − tB )2 − (~xA − ~xB )2 > 0
’zeitartiger’ Abstand
II: c2 (tA − tB )2 − (~xA − ~xB )2 = 0
’lichtartiger’ Abstand
III: c2 (tA − tB )2 − (~xA − ~xB )2 < 0
’raumartiger’ Abstand
I: Es existiert ein Bezugssystem in dem Ereignis A & B am gleichen Ort an zwei unterschiedlichen
Zeitpunkten stattfindet III. Es existiert ein Bezugssystem in dem A & B zur gleichen Zeit an
unterschiedlichen Orten stattfinden. II. Alle Punkte auf II lassen sich durch Lichtstrahlen verbinden:
Grenze der
Kausalität
Vorwärtslichtkegel
.
~ kann nur im Inneren
Ein Ereignis im Ursprung O
des Vorwärtslichtkegels weitere Ereignisse beeinflussen.
93
VI Die Spezielle Relativitätstheorie
~ kann nur durch EreigEin Ereignis im Ursprung O
nisse im Rückwärtslichtkegel beeinflusst werden.
.
VI.3 Relativistische Mechanik
Beginnen wir mit einem freien, relativistischen Teilchen: Wollen das Prinzip der kleinsten Wirkung S
an den Anfang stellen.
R
S = ”dt”L(xµ )
.
Forderung:
Wirkungsintegral ist Lorentz-Invariante!
Infinitesimaler Raumzeit-Abstand:
ds2 = c2 dt2 − d~x2
D.h. natürlicher Ansatz für Wirkung S:
Z B
S = −α
ds
mit ds0 = ds
≡ Länge der Weltlinie
A
Integral ist längs einer Weltlinie xµ (τ ), die A & B verbindet zu nehmen:
s 2
2
q
d~x
dt
−
dτ = ẋµ (τ )ẋµ (τ )dτ
ds = c2
dτ
dτ
⇒ S = −α
Z
B
dτ
A
s
c2
dt
dτ
2
−
d~x
dτ
2
(VI.10)
mit xµ (τA ) = xµA und xµ (τB ) = xµB . α ist eine unbestimmte Konstante.
Eigenschaften von S:
• S ist invariant unter Lorentz-Transformationen
• S ist invariant und Reparametrisierungen der Eigenzeit τ → τ 0 (τ ) Bew:
dt
dt dτ
=
dτ 0
dτ dτ 0
d~x
d~x dτ
=
dτ 0
dτ dτ 0
S = −α
0
Z
B
A
dτ
0
s
c2
| p
• Nutze dies, um Wahl der Parametrisierung
dt
dτ 0
2
{z
−
dt
d~
x
dτ
c2 ( dτ
) −( dτ
) · dτ
0
dt
dτ
2
2
2
=S
}
= 1, also t = τ +const. zu machen.
Dann folgt für die Wirkung des freien, relativistischen Teilchens
Z B r
1˙ 2
S = −αc
dt 1 − 2~x
c
A
94
d~x
dτ 0
(VI.11)
VI.3 Relativistische Mechanik
Forderung:
Im nichtrelativistischen Grenzfall ~x|
|˙ c muss dies auf den bekannten nichtrelativistischen Ausdruck
Z B
1 ˙ 2
SNR =
dt m~x
2
A
übergehen. In diesem Grenzfall:
S ≈ −αc
Z
B
A
!2
˙ 2
˙ 2
1 ~x
1~x
−
+ ...)
dt(1 −
2 c2
8 c2
Z B
1 α˙ 2
dt(−αc +
~x + . . . )
=
2
c
A
⇒ Wir sehen, dass wir α = mc setzen müssen, um konsistenten nicht-relativistischen Limes zu
schaffen.
Z B r
1˙ 2
2
S = −mc
dt 1 − 2~x
(VI.12)
c
A
Euler-Lagrange-Gleichungen:
∂L
mẋi
=q
= pi (rel. Impuls)
i
∂ ẋ
1 − ~x˙ 2 /c2


d ∂L
d 
mẋi
∂L
=0
q
=
⇒
∂xi
dt ∂ ẋi
dt
2
2
˙
1 − ~x /c
∂L
= 0,
∂xi
Lösung:
quadr. ⇒
q
mẋi
1 − ~x˙ 2 /c2
= ai = const.
m2 ~x˙ 2
= ~a2
1 − ~x˙ 2 /c2
⇒
~x˙ 2 = const
⇒
ẋi = const.
geradlinig gleichförmige Bewegung
xi = v i · t + a
Energie:
Aus Noethertheorem:
i
mẋ
E = H = p~ · ~x˙ − L = q
+
1 − ~x˙ 2 /c2
q
mc2
m
E=q
≈ mc2 + ~x˙ 2 + ...
2
1 − ~x˙ 2 /c2
1 − ~x˙ 2 /c2 (mc2 )
(VI.13)
→ Das berühmte E = mc2 ist nur eine Näherung, bzw. gilt für Teilchen in Ruhe.
Impuls:
p~ = q
m
1 − ~x˙ 2 /c2
~x˙
95
VI Die Spezielle Relativitätstheorie
Ruhemasse:
Aus Energie und Impuls lässt sich eine invariante, skalare Größe, die Ruhemasse, bilden.
E2
− p~2 = m2 c2
c2
p
oder E = c m2 c2 + p~2 ≈ mc2 +
ist E 2 = c2 p~2 .
p
~2
2m
+ O(~
p4 ). Das ist auch sinnvoll im masselosen Fall m = 0, dann
Viererimpuls:
Die Ruhemasserelation m2 c2 =
E2
c2
−~
p2 legt nahe, dass E/c und p~ als Komponenten eines Vierervektors
zu betrachten pµ = (E/c, p~) (Viererimpuls). pµ pµ = m2 c2 ist Lorentz-Invariante ((Ruhe)masse in
allen Bezugssystemen gleich).
Vierergeschwindigkeit:
uµ :=
dxµ
ds
ist kovarianter Vierervektor, da ds invariant und dxµ kovariant ist.
uµ uµ =
dxµ dxµ
=1
ds2
⇒
u2 = 1.
Komponenten der Vierergeschwindigkeit:
u0 =
ui =
Wir sehen nun, dass
cdt
dx0
q
=
ds
cdt 1 −
dxi
dxi
q
=
ds
cdt 1 −
E
= mcu0
c
und
v2
c2
v2
c2
1
=q
1−
v2
c2
vi
= q
c 1−
v2
c2
p~ = mc~u
ist. Deshalb ist pµ = (E/c, p~) in der Tat ein kontravarianter Vierervektor.
Relativistische Energie-Impuls-Beziehung:
pµ pµ = m2 c2
oder
E2
− p~2 = m2 c2
c2
Mögliche Energien und Impulse eines Teilchens liegen auf einem Hyperboloiden:
Da nur positive Energien möglich sein sollten, ist der obere
Teil der Kurve realisiert.
96
VI.3 Relativistische Mechanik
Kovariante Form der Bewegungsgleichungen:
Wir betrachten
duµ
ds
in seinen Komponenten:
du0
1
d
= p
2
2
ds
dt
c 1 − v /c
dui
1
d
= p
2
2
ds
c 1 − v /c dt
Aufgrund der Bewegungsgleichung
d
dt
√
mẋi
1−v 2 /c2
p
1 − v 2 /c2
vi
c
p
1 − v 2 /c2
= 0 und
mc2
⇒
1
duµ
=0
ds
d
dt
!
!
~x˙ 2 = 0 sind diese Ausdrücke 0.
(VI.14)
Relativistische Form der Bewegungsgleichung. Im nicht relativistischen Grenzfall geht dies in kräftefreie
Newton-Gleichung über:
⇒
du0 v/c→0 1 d
−→
1=0
ds
c dt
dui v/c→0 1 d ẋi
ẍi
= 2
−→
ds
c dt c
c
µ
du
v/c→0
0
=
0
µ
=
0
= 0 −→
mc2
¨=0 µ=i
m~x
ds
Die kovariante Bewegungsgleichung (VI.14) lässt sich auch direkt aus dem Variationsprinzip erhalten:
r
Z Z
Z
dxµ dxµ
S = −mc
ds = mc ds
ds ds
Euler-Lagrange-Gleichungen:
c
d ∂L
duµ
1
d µ
u = mc2
=0
= mc2 √ ρ
ds ∂uµ
u uρ ds
ds
Nebenbedingung:
Zu beachten ist, dass wegen uµ uµ = 1 zu (VI.14) die Nebenbedingung
uµ
d
uµ = 0
ds
(VI.15)
gehört.
Äußere Kraft auf relativistisches Teilchen
Wirkt eine äußere Kraft K µ , so werden wir analog zur Newton-Gleichung die kovariante Bewegungsgleichung
duµ
mc2
= Kµ
(VI.16)
ds
97
VI Die Spezielle Relativitätstheorie
Aufgrund der Nebenbedingung (VI.15) muss für K µ (xµ , uµ ) gelten:
uµ K µ (x, u) = 0.
(VI.17)
Eine einfache Möglichkeit (VI.17) zu erfüllen, ist ein K µ der Form:
K µ = eF µν uν
mit F µν = −F νµ
antisymmetrischer Tensor F µν , da F µν uµ uν = 0. Dann lautet die Bewegungsgleichung
mc2
duµ
= eF µν uν .
ds
(VI.18)
In Komponenten
mc2
Nennen wir die Komponenten von F µν
F i0 = E i ,
→
−F 23 = B 1 ,
F ij = ijk Bk = Fij , Bk = −B k
−F 31 = B 2 , −F 12 = B 3
vi
u = q
c 1−
i
dui
= eF i0 u0 + eF ij uj .
ds
als
v2
c2
dui
1
d
= p
ds
c 1 − v 2 /c2 dt
,
so dass aus (VI.18) folgt:
m
⇒

d 
v
q
dt
1−
m

i
~x˙
d 
q
dt
1−
vi
c
p
1 − v 2 /c2
!
,

 = e E i + 1 F ij vj
c
v2
c2

~ + 1 ~x˙ × B
~
=e E
c
v2
c2
(VI.19)
Entspricht im Limes v/c → 0 der Lorentz-Kraft.
⇒ Das legt nahe, das elektromagnetische Feld mit F µν zu identifizieren.
(VI.19) beschreibt Bewegung eines relativistischen Teilchens im elektromagnetischen Feld.
Die 0-Komponente von (VI.18) lautet
mc2
d
1
~ · ~v .
p
= eE
dt 1 − v 2 /c2
Das beschreibt die Änderung der kinetischen Energie √
mc2
1−v 2 /c2
= T bei einer Bewegung im elektro-
~ keinen Beitrag zu
magnetischen Feld. Wir sehen, dass das Magnetfeld B
d
dt T
liefert.
VI.4 Relativistisches Teilchen im Hamilton-Formalismus
Aus der relativistischen Energie-Impuls-Relation
E2
− p~2 = m2 c2
c2
98
VI.5 Relativistische Kinematik und Teilchenzerfall
folgt die Hamiltonfunktion (E = H) des freien relativistischen Teilchens:
Hamilton’sche Bewegungsgleichungen
p
H = c m2 c2 + p~2
(VI.20)
cpi
∂H
= ẋi 0v i = p
i
∂p
m2 c2 + p~2
∂H
= −ṗi = 0,
i = 1, 2, 3
∂xi
(VI.21)
Aus (VI.21) folgt c2 p~2 = v 2 (m2 c2 + p~2 )
⇒
und somit p~ = √
m~
v
1−v 2 /c2
p~2 =
m2 v 2
1 − v 2 /c2
wie zuvor. Die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen (VI.21) sind natürlich
äquivalent zu den Euler-Lagrange-Gleichungen zuvor
Wir wollen nun durch Legendre-Transformation von H zur Lagrangefunktion L übergehen:
s
mv 2
m2 v 2
L = p~ · ~v − H = p
− c x m2 c2 +
.
1 − v 2 /c2
1 − v 2 /c2
{z
}
|
√
√
m2 v 2
1−v 2 /c2
Die entspricht genau (VI.12).
VI.5 Relativistische Kinematik und Teilchenzerfall
In der Elementarteilchenphysik ist die relativistische Mechanik von zentraler Bedeutung, da die Teilchen sich mit relativistischen Geschwindigkeiten bewegen und sich bis auf Streu- oder Zerfallsprozesse
frei, d.h. ohne äußere Kräfte bewegen.
Die Erhaltung des Viererimpulses pµ = mcuµ
dpµ
=0
ds
(VI.22)
liefert wichtige Erkenntnisse über Zerfalls- und Streuprozesse. Wichtig ist es immer ein schlaues
Intertialsystem zur Beschreibung zu suchen, wir wählen stets das Schwerpunktsystem.
Teilchenzerfall
Viererimpuls-Erhaltung
pµ1 = pµ2 + pµ3
bzw. E1 = E2 + E3 ,
p~1 = p~2 + p~3
99
VI Die Spezielle Relativitätstheorie
Im Ruhesystem des Teilchens 1 gilt:
pµ1 = (m1 c2 , 0, 0, 0)
q
m22 c4 + p~2 c2
q
p) mit E3 = m23 c4 + p~2 c2
pµ3 = (E3 , −~
pµ2 = (E2 , p~) mit E2 =
Wegen
E1 = m1 c2 =
q
m22 c4 + p~2 c2 +
q
(VI.23)
(VI.24)
m23 c4 + p~2 c2 ≥ m2 c2 + m3 c2
folgt m1 ≥ m2 + m3 . D.h., ein Teilchen kann nur zerfallen, falls seine Masse größer als die seiner
Zerfallsprodukte ist.
Frage: Wie groß sind die Geschwindigkeiten der Zerfallsprodukte im Ruhesystem von Teilchen 1?
2
m
c
Hierzu bestimmen wir E2/3 = p 2/32
1−v2/3 /c2
(VI.23) :
und finden daraus v2/3 :
p1 · p2 = m1 c2 E2 ,
p1 · p3 = m1 c2 E3
p1 · p3 = (p2 + p3 ) · p2 = p22 + p2 · p3 = m22 c4 + p2 · p3
Nun ist
p21 = (p2 + p3 )2 = p22 + p23 + 2p2 · p3
⇒
p2 · p3 =
c4 2
(m1 − m22 − m23 ).
2
= m22 c4 + m23 c4 + 2p2 · p3 = m21 c4
Und somit
c4 2
(m1 + m22 − m23 )
2
c2 m21 + m22 − m23
E2 =
2
m1
p1 · p2 =
⇒
Analog (2 ↔ 3):
E3 =
c2 m21 + m23 − m22
2
m1
und es folgen
γ2 ≡ p
und daraus v2 und v3 .
γ3 ≡ p
1
1 − v22 /c2
1
1 − v32 /c2
=
m21 + m22 − m23
2m1 m2
=
m21 + m23 − m22
2m1 m3
Beispiel: Higgs-Zerfall mh c2 = 125 GeV (LHC 2013)
100
VI.5 Relativistische Kinematik und Teilchenzerfall
Zerfällt vornehmlich in zwei
Photonen (masselos)
h → γγ
pµh = pµγ + pµ0
γ
Im Ruhesystem:
pµh = (mh c2 , 0, 0, 0)
1
1
pµγ =
mh c2 , p~
|~
p| = mh c
2
2
1
2
pµ0
p
γ = − mh c , −~
2
Nehmen wir nun an, das Higgsteilchen bewege sich und hat die Energie Eh , aus der Messung
bestimmen wir die Photonenergie Eγ . Unter welchem Winkel wird das Photon emittiert?
µ
µ
pµ0
γ = ph − pγ
⇒
0 = p0γ · p0γ = (ph − pγ ) · (ph − pγ ) = p2h + p2γ − 2ph · pγ
Eh Eγ
= m2h c2 − 2 2 + 2~
ph · p~γ
c
q
Eγ
Eh Eγ
Eh2 /c2 − m2h c2 · cos θ
= m2h c2 − 2 2 + 2
c
c
Eh
m2 c 3
c − 2Eγ
cos θ = q 2
Eh
2 2
c2 − mh c
Teilchenkollision
Kollission zweier Teilchen der Masse m
und Streuung in zwei Teilchen der Masse
m im Schwerpunktsystem der Teilchen 1
und 2
pµ1 = (mcγv , mvγv , 0, 0)
pµ2 = (mcγv , −mvγv , 0, 0)
pµ3 = (mcγv , mvγv cos θ, mvγv sin θ, 0)
pµ4 = (mcγv , −mvγv cos θ, mvγv sin θ, 0)
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