Das Mirakel von Morley

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Das Mirakel von Morley,
so wird gelegentlich ein Satz genannt, den Frank Morley im Jahre 1904 entdeckte:
Teilt man in einem Dreieck A, B, C jeden der drei Winkel durch zwei Strahlen in drei gleiche Teile,
dann bilden die Schnittpunkte P , Q bzw. R der zwei den Seiten BC, CA bzw. AB benachbarten
Strahlen die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks.
Zu diesem Satz gibt es eine Reihe unterschiedlicher Beweise von prominenten Autoren. In jüngster
Zeit hat Alain Connes einen bemerkenswerten Beweis beigetragen, der ein Verständnis für den
Grund der Gültigkeit des Satzes vermittelt. Connes Beweis beruht auf einem Kriterium dafür, wann
die Fixpunkte P , Q, R dreier zusammengesetzter affiner Transformationen g ◦ h, h ◦ f , f ◦ g die Ecken
eines gleichseitigen Dreiecks bilden. In unserem Beispiel sind f , g bzw. h die Drehungen um A, B bzw.
C mit dem Winkel 2α, 2β bzw. 2γ gegen den Uhrzeigersinn.
Auf den nächsten Seiten werde ich zuerst einen Beweis des Morleyschen Satzes mit Mitteln der Schulgeometrie geben. Darauf folgt eine Wiedergabe des Beweisen von Alain Connes. Schließlich will ich
skizzieren, in welcher Weise das gleichseitige Dreieck bei Morley und Morley in ihrem Buch Inversive
Geometry bei der Betrachtung der Kardioide auftaucht.
Ein elementargeometrischer Beweis
Wir werden die Strecke ` = QR in der symmetrischen Form
2abc
sin α sin β sin γ
F
` =
beschreiben, worin a = BC, b = CA, c = AB die drei Seitenlängen des Dreiecks bezeichnet sowie F
seinen Flächeninhalt. Das genügt.
Der gemeinsame Wert q =
a
b
c
=
=
im Sinussatz ergibt sich aus der Höhe
sin 3α
sin 3β
sin 3γ
hc = b · sin 3α
und der Fläche F =
1
2
abc
sin 3α
a
als q =
abc
.
2F
Aus dem Cosinussatz erhalten wir
` 2 = AQ
2
+ AR
2
− 2 AQ · AR cos α .
(1)
Der Sinussatz, angewandt auf die Dreiecke AQC, ABC und ABR besagt:
sin γ
sin(3α + 3γ) a
AC = sin γ
,
sin(α + γ)
sin(α + γ) sin 3α
sin β
sin(3α + 3β) a
AR =
AB = sin β
.
sin(α + β)
sin(α + β) sin 3α
AQ =
Wir setzen das in (1) ein und gewinnen:
µ
`
2
=
abc
2F
¶2
K
mit K = U 2 sin2 γ + V 2 sin2 β − 2U V sin β sin γ cos α .
sin(3α + 3γ)
sin(3α + 3β)
und V =
abgekürzt.
sin(α + γ)
sin(α + β)
√
Jetzt nutzen wir sin 23 π = 12 3 und die folgende Konsequenz der Additionstheoreme:
¡
¢
¡
¢
sin 3x = 4 sin x · sin 23 π+x · sin 32 π−x .
(2)
Darin wurde U =
1
(3)
und schließen damit aus (2):
= sin2 β sin2 γ · L
¡
¢
¡
¢
¡
¢
¡
¢
mit L = sin2 13 π + β + sin2 13 π + γ − 2 sin 31 π + β sin 13 π + γ cos α .
1
16 K
x−y
Die drei Gleichungen α + β + γ = 13 π, sin2 x = 12 (1 − cos 2x) und cos x + cos y = 2 cos x+y
2 cos 2
liefern jetzt
¡
¢
L = 1 − 12 cos( 23 π + 2β) + cos( 23 π + 2γ) − 2 cos( 16 π − β) cos( 16 π − γ) cos α
= 1 − cos(π − α) cos(π − γ) − (cos α + cos(β − γ)) cos α
= 1 − cos2 α = sin2 α .
Damit ist die Behauptung in der Form ` 2 =
³ 2abc ´2
F
sin2 α sin2 β sin2 γ bewiesen.
¤
Der Beweis von Alain Connes
Drei verschiedene Punkte P , Q, R in der Ebene C bilden genau dann die Ecken eines gleichseitigen
Dreiecks, wenn mit einer von 1 verschiedenen dritten Einheitswurzel j, also mit einer Nullstelle von
X 2 + X + 1 gilt
P + jQ + j 2 R = 0 .
(4)
Denn die Gleichung bedeutet dasselbe wie Q − P = −j(R − P ). Mit den affinen Transformationen
f , g, h aus der Einleitung haben g ◦ h, h ◦ f und f ◦ g jeweils einen Fixpunkt, nämlich P , Q und
R. Insbesondere ist keine dieser Transformationen eine Translation, da der Fixpunkt des je rechten
Faktors nicht auch fix bleibt unter dem linken Faktor. Das Kompositum f ◦ g ◦ h ist nicht die Identität,
weil der Fixpunkt P von g ◦ h von f nicht festgehalten wird.
Andererseits ist f 3 = σb ◦ σc das Produkt der Spiegelungen σc und σb an den Geraden AB und CA.
Entsprechend ist g 3 = σc ◦ σa das Bild der Spiegelung σc nach der Spiegelung σa an der Geraden BC
und analog ist h3 = σa ◦ σb . Da jede Geradenspiegelung die Ordnung 2 besitzt, ergibt sich
f 3 g 3 h3 = σb ◦ σc2 ◦ σa2 ◦ σb = σb2 = idC .
Nach diesen Feststellungen folgt die Aussage des Satzes von Morley aus dem nachstehenden Äquivalenzsatz der affinen Geometrie.
Satz von Connes. Es seien f (z) = kz+k 0 , g(z) = lz+l0 , h(z) = mz+m0 drei affine Selbstabbildungen
des Körpers C, für welche keine der Abbildungen g ◦ h, h ◦ f , f ◦ g noch f ◦ g ◦ h eine Translation ist.
Dann ist die Gleichung f 3 g 3 h3 = id C gleichbedeutend mit der Gültigkeit der beiden Gleichungen j 3 = 1
und P + jQ + j 2 R = 0. Darin ist j = klm der nach Voraussetzung von 1 verschiedene Multiplikator
von f ◦ g ◦ h, während P , Q bzw. R den Fixpunkt von g ◦ h, h ◦ f bzw. f ◦ g bezeichnet.
Beweis. Wir kürzen die affinen Abbildungen symbolisch ab: f = (k, k 0 ), g = (l, l0 ), h = (m, m0 ). Dann
ist das Produkt gh = (lm, lm0 + l0 ) und sein Fixpunkt P = (lm0 + l0 )/(1 − lm); ebenso wird hf =
(mk, mk 0 +m0 ) und Q = (mk 0 +m0 )/(1−mk) sowie f g = (kl, kl0 +k 0 ) und R = (kl0 +k 0 )/(1−kl). Daraus
erhält man die Bedeutung von f 3 g 3 h3 = id C in der Form der beiden Komponenten in symbolischer
Schreibweise:
f 3 g 3 h3 = (k 3 , (k 2 + k + 1)k 0 )(l3 , (l2 + l + 1)l0 )(m3 , (m2 + m + 1)m0 )
= (k 3 l3 , k 3 (l2 + l + 1)l0 + (k 2 + k + 1)k 0 )(m3 , (m2 + m + 1)m0 )
= (k 3 l3 m3 , k 3 l3 (m2 + m + 1)m0 + k 3 (l2 + l + 1)l0 + (k 2 + k + 1)k 0 ) = (1, 0) .
Eine zur Gültigkeit der Gleichungen j 3 = 1 und P + jQ + j 2 R = 0 äquivalente Bedingung besteht
ebenfalls aus zwei Komponenten, nämlich k 3 l3 m3 = 1 und
(1 − mk)(1 − kl)(lm0 + l0 ) + (1 − lm)(1 − kl)klm(mk 0 + m0 ) + (1 − lm)(1 − mk)k 2 l2 m2 (kl0 + k 0 ) = 0 .
2
Durch Multiplikation mit k 2 l und Zusammenfassung der beiden ersten Klammern in jedem Summanden entsteht die gleichwertige Relation
0 = (k 2 l − k 3 l2 − k 3 lm + k 4 l2 m)(lm0 + l0 ) + (k 3 l2 m − k 4 l3 m − k 3 l3 m2 + k 4 l4 m2 )(mk 0 + m0 )
+ (k 4 l3 m2 − k 2 − kl + k 2 lm)(kl0 + k 0 )
= (k 2 l2 − k 3 l3 − k 3 l2 m + k 4 l3 m + k 3 l2 m − k 4 l3 m − k 3 l3 m2 + k 4 l4 m2 )m0
+ (k 2 l − k 3 l2 − k 3 lm + k 4 l2 m + k 5 l3 m2 − k 3 − k 2 l + k 3 lm)l0
+ (k 3 l2 m2 − k 4 l3 m2 − 1 + kl + k 4 l3 m2 − k 2 − kl + k 2 lm)k 0
Aus der Relation j 2 + j + 1 = 0 für j = klm, angewandt auf die beiden verbleibenden Summanden
mit positivem Vorzeichen in jeder Klammer ergibt sich die gleichwertige Relation
−k 3 l3 (m2 + m + 1)m0 − k 3 (l2 + l + 1)l0 − (k 2 + k + 1)k 0 = 0 .
Das ist die zweite Komponente in der Voraussetzung des Satzes.
¤
Die Kardioide als Winkeldreiteiler
Der Einheitskreis S 1 in C ist zugleich die Menge der Punkte t 6= 0, deren Inverse gleich dem Konjugiertkomplexen sind: t−1 = t. Das Standardmodell einer Kardioide
x(t) = 2t − t2 = 2eiϕ − e2iϕ = γ(ϕ) ,
t = eiϕ ∈ S 1
entsteht als Bahn eines Punktes auf dem Umfang eines Kreises vom Radius 1 beim Abrollen auf dem
Einheitskreis. Der Mittelpunkt des festen Kreises heißt das Zentrum der Kardioide. Die Bahn verläuft
symmetrisch zur reellen Achse, es gilt nämlich stets γ(−ϕ) = γ(ϕ). Im Punkt ϕ ≡ 0 mod 2π und
nur da ist γ̇(ϕ) = 0. Dort befindet sich die Spitze der Kardioide: der Quotient Im γ(ϕ)/Re γ(ϕ) =
sin ϕ(1 − cos ϕ)/(cos ϕ(1 − cos ϕ) + 21 ) konvergiert gegen 0, wenn ϕ von oben gegen 0 geht.
Eine gute Vorstellung von der Gestalt einer Kardioide γ ergibt sich bereits aus den Werten der zwölften
Einheitswurzeln t = exp(kπi/6) und wegen der genannten Symmetrie braucht man dazu nur
√ ¢ ¡ ¢
√
¡ ¢ √
¡
¡ ¢
γ(0) = 1, γ 61 π = 3 − 12 + i 1 − 12 3 , γ 13 π = 32 + 2i 3, γ 12 π = 1 + 2i,
√ ¢
√
√
¡ ¢
¡
¡ ¢
γ 23 π = − 12 + 2i 3 3, γ 65 π = − 3 − 21 + i 1 + 12 3 , γ(π) = −3 .
Das Maximum von Re γ(ϕ) ist γ( 13 π) = 32 , sein Minimum ist Re γ(π) = −3. Entsprechend ist
√
Im γ( 32 π) = 32 3 das Maximum des Imaginärteils von γ(ϕ). Insbesondere beschreibt die Gleichung
x + x = 3 die Doppeltangente an die Kardioide. Der Winkel zwischen ihr und irgendeiner dazu nicht
parallelen √Tangente an die Kardioide durch den Punkt x auf der Doppeltangente mit
|Im x| > 12 3 wird durch die Verbindungsgerade von x mit dem Zentrum der Kardioide in drei gleiche
Teile geteilt. Das wird jetzt begründet:
Die R-Endomorphismen von C sind die Abbildungen x 7→ αx+βx, α, β ∈ C. Den Rang 1 unter ihnen
haben genau diejenigen, für die |α| = |β| 6= 0 gilt. Daraus ergibt sich eine normierte Darstellung der
reellen Geraden g von C durch den Nullpunkt in der Form x − ζx = 0, worin ζ ∈ S 1 die Neigungsrate
von g insofern wiedergibt, als für jede der beiden Zahlen η ∈ S 1 mit g = ηR gilt ζ = η 2 .
Die Tangente an die Kardioide im Punkt 2t − t2 , t ∈ S 1 \ {1} ist gegeben durch die Gerade
x − 3t + 3t2 − t3 x = 0 .
Denn erstens liegt der Punkt x = 2t − t2 darauf. Zweitens hat γ(ϕ) mit t = eiϕ die Ableitung
γ̇(ϕ) = 2i(t − t2 ). Die Neigungsrate der Tangente ist somit gleich
γ̇(ϕ)
γ̇(ϕ)
=
t3 − t4
2i(t − t2 )
=
−
= t3 .
−2i(t−1 − t−2 )
t−1
3
Beispielsweise hat im Fall t = eπi/3 die zu iR parallele Doppeltangente der Kardioide die Neigungsrate
3t
ζ = −1, während die Verbindungsgerade des Punktes x0 =
mit dem Zentrum 0 die Neigungsrate
1+t
x0
3t
1 + t−1
·
=
= t
x0
1+t
3t−1
besitzt. Wegen
3t
3t−1
3t + 3
+
=
= 3,
1 + t 1 + t−1
1+t
¡
¢
= (1 + t)−1 3t − 3t − 3t2 + 3t2 + 3t3 − 3t3 = 0
x0 + x0 =
x0 − 3t + 3t2 − t3 x0
liegt x0 auf jeder der beiden Tangenten. Hieraus ist über die Polardarstellung der t ∈ S 1 abzulesen,
dass der Winkel zwischen der Doppeltangente und der Tangente x − 3t + 3t2 − t3 x = 0 das Dreifache
des Winkels zwischen der Doppeltangente und der Verbindungsgerade von x0 mit dem Zentrum der
Kardioide ist.
α
2α
Die Kardioide als Winkeldreiteiler
Jeder der Fixpunkte P, Q, R in der Titelfigur ist demnach Zentrum einer (skalierten) Kardioide mit
jeweiliger Doppeltangente BC, CA bzw. AB, welche alle drei Seiten des Dreiecks ABC von innen
berührt.
Literatur
[C] A. Connes: A new proof of Morley’s theorem, Les relations entre les mathématiques et la physique
théorique, Inst. Hautes Études Sci., Bures-sur-Yvette (1998), 43-46.
[G] H. Geiges: Beweis des Satzes von Morley nach A.Connes. Elem. Math. 56 (2001), 137-142.
[MM] Frank Morley and F.V. Morley: Inversive Geometry. Chelsea Publ. Company New York 1954.
[W] G. Wanner: Elementare Beweise des Satzes von Morley. Elem. Math. 59 (2004), 144-150.
[WWW] www.cut-the-knot.org/geometry.shtml
ltb
4
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