Benachteiligende Quartierseffekte durch lokal zentrierte

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Benachteiligende Quartierseffekte
durch lokal zentrierte Netzwerke?
Die formale Netzwerkanalyse als potenzielle
Methode zur Untersuchung dieser Frage
Stefan Karasek
Einleitung
Die europäische Stadt hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten massiv
gewandelt. Gerade in der sozialen Dimension stellt sich deshalb die Frage,
ob manche Charakteristika der europäischen Stadt, wie sie von Walter Siebel (2004) idealtypisch beschrieben wurden, langsam an Gültigkeit verlieren.
Insbesondere das für Soziologen zentrale Phänomen sozialer Ungleichheit
und ihre Verteilung in der Stadt sind hier anzusprechen. Können alle Stadtbewohner gleichermaßen an der „Hoffnung auf Emanzipation“ teilhaben? Hat
die „geplante Stadt“ für alle Probleme der europäischen Stadt eine Lösung,
oder ist ihre sozialstaatliche Regulierung an ihre Grenzen gelangt? Und wie
wünschenswert ist die „urbane Lebensweise“ im Sinne einer produktiven
Auseinandersetzung mit dem Fremden für Menschen, die selbst unter den
Ausgrenzungsmechanismen der modernisierten und globalisierten Stadt zu
leiden haben?
Die wachsende soziale Spaltung der europäischen Stadt und ihre Folgen
zeigen uns, dass diese Fragen nicht einfach bejahend zu beantworten sind.
Wenn Segregation auch für die Bewohner positive Aspekte enthält, so muss
doch angeführt werden, dass sie nicht immer auf Freiwilligkeit basiert. Neben
den persönlichen Präferenzen spielen auch ökonomische Zwänge und Diskriminierung am Wohnungsmarkt eine Rolle bei der Auswahl eines Wohngebiets.
Stadtteile und Wohngebiete sind materiell, sozial und symbolisch unterschiedlich ausgestattet, woraus sich eine unterschiedliche Bewertung der Räume ergibt. Deshalb stellt sich die Frage, inwieweit Stadtteile selbst zu einem benachteiligenden Faktor für deren Bewohner und Bewohnerinnen werden.
Für die hier vorgesehene Untersuchung stehen vor allem zwei Aspekte im
Blickpunkt. Vor dem Hintergrund der von Gestring und Janßen (2005) formulierten Quartierseffekte, wobei das soziale Milieu eines Stadtteils einen dieser
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Stefan Karasek
Effekte darstellt, ist erstens die Sozialisation und zweitens das soziale Netzwerk der Bewohner in ihren möglichen benachteiligenden Auswirkungen zu
betrachten. Insofern scheint eine Analyse der sozialen Netzwerke sinnvoll zu
sein, wobei Sozialisation stark vom jeweiligen Netzwerk abhängen kann.
Ist dieses Netzwerk homogen, lokal zentriert und weist es überdies verhältnismäßig geringe Ressourcen auf, so die These, ergeben sich benachteiligende Auswirkungen für die entsprechenden Bewohner im Stadtteil. In
diesem Zusammenhang tritt der Begriff des sozialen Kapitals auf den Plan,
der den Umfang der Ressourcen beschreibt, welche in der sozialen Struktur
eingebettet sind und mit dem Zweck der Verwirklichung von bestimmten Zielen eingesetzt werden können – so die Definition von Lin (2001: 29). Mithilfe
der sozialen Netzwerkanalyse sollen nun diese Strukturen erfasst werden und
damit auf die Zwänge und Gelegenheiten verwiesen werden, die mit dem
sozialen Kapital verbunden sind. Dabei sollen nicht nur die sozialen Beziehungen innerhalb des Stadtteils, sondern auch die Beziehungen nach außen
betrachtet werden. Schließlich soll die Eignung der sozialen Netzwerkanalyse
für diese Frage geprüft werden. Es wird angenommen, dass die Integration
der formalen Netzwerkanalyse in die Bearbeitung einer sozialraumorientierten stadtsoziologischen Forschungsfrage nicht ohne weiteres möglich ist, da
angesichts unterschiedlicher theoretischer Konzepte auch von unterschiedlichen zu untersuchenden Parametern auszugehen ist.
Im Folgenden soll zunächst der Begriff der Quartierseffekte erläutert werden. Ein Hauptaugenmerk liegt hier auf der ambivalenten Bedeutung sozialer
Gemeinschaften im Stadtteil. Danach wird das Konzept des Sozialkapitals erläutert und eine im Sinne der zentralen Fragestellung dieser Arbeit notwendige Begriffsbestimmung von Sozialkapital vorgenommen. Daraufhin wird die
Rolle von Sozialkapital innerhalb der Netzwerktheorie bestimmt. Schließlich
gilt es die soziale Netzwerkanalyse als Methode zur Untersuchung der Auswirkungen sozialer Netzwerke im Stadtteil auf die Integration einzubeziehen.
Quartierseffekte
Ausgangspunkt für das Interesse, die Auswirkungen lokal zentrierter Netzwerke im Stadtteil zu untersuchen, sind die Thesen, welche von Gestring und
Janßen (2005) als Konsequenz der von ihnen beschriebenen Quartierseffekte
formuliert worden sind. Die Autoren haben neben den drei Quartierseffekten
in der materiellen Dimension (Häußermann 1999 und 2000) (Infrastruktur), der
symbolischen Dimension (Stigmatisierung) und politischen Dimension (Repräsentation in der Stadtpolitik) auch auf die soziale Dimension hingewiesen.
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Diese manifestiert sich zum einen im sozialen Milieu des Stadtteils, das sich
auf die Bewohner benachteiligend auswirken kann. Es geht dabei um die sozialisierenden Vorbildfunktionen von Erwachsenen gegenüber den Kindern
und Jugendlichen (Gestring/Janßen 2005). So haben Jencks und Mayer (1990)
nach Untersuchungen in Armutsquartieren zwei Arten unterschieden, wie
Handlungsmuster vermittelt werden. Erstens werden in „peer groups“ Handlungen imitiert und durch Anerkennung wiederholt und gefestigt. Jencks und
Mayer sprechen bei diesem Prozess vom epidemischen Modell. Bei der kollektiven Sozialisation werden Rollenmodelle im Quartier bereitgestellt. Nach diesen werden die individuellen Handlungsmuster und -strategien strukturiert.
Das Erlernen sowohl formeller wie auch informeller Qualifikationen hängt
schließlich mit diesen Prozessen zusammen.
Zum anderen ist die strukturelle Ebene zu betrachten. Dabei sind die Bewohner in ein soziales Netzwerk eingebettet, das je nach Ausstattung mit
Ressourcen Auswirkungen auf die Handlungsoptionen seiner Protagonisten
haben kann. Gestring und Janßen (2005: 169) stützen sich in diesem Zusammenhang auf den Sozialkapitalbegriff von Bourdieu (1983: 190f.).
So kann ein Bewohner in einem von Armut geprägten Stadtteil zusätzlich
benachteiligt sein, wenn sich seine Kontakte und damit sein soziales Netzwerk
auf diesen Stadtteil konzentrieren und das Netzwerk zudem sozial homogen
ist (Gestring/Janßen 2005: 169). Derart eingeschränkte soziale Kontakte können die Suche nach einem Arbeitsplatz erschweren. Informationskanäle und
unterstützende Kontakte über das eigene soziale Milieu hinaus fehlen u.U. in
solch einem Fall.
Das unmittelbare soziale Umfeld im Stadtteil scheint hier also in beiden
Fällen eine Rolle zu spielen, wenn es darum geht, Handlungsalternativen und
Problemlösungsstrategien auszubilden oder einen Arbeitsplatz bzw. eine
Wohnung zu finden. Diese Annahmen gehen implizit von dem Anspruch aus,
dass sozialer Aufstieg vor allem über die Anbindung an die sozial stärkere
Mehrheitsgesellschaft gelingt, die außerhalb des benachteiligenden Stadtteils wohnt und im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt ist. Dabei wird möglicherweise übersehen, dass auch in den Stadtteilen mit sozial schwächerer Wohnbevölkerung Ressourcen und Potentiale vorhanden sind, welche Chancen auf
sozialen Aufstieg und Integration eröffnen.
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Stefan Karasek
Soziale Milieus und ethnisch-kulturelle Netzwerke
Aufgrund der Sozialisationseffekte, die von sozialen Milieus ausgehen, soll
hier kurz auf den Milieubegriff eingegangen werden. Hradil (2001: 425) fasst
soziale Milieus als
„Gruppen ‚Gleichgesinnter‘ zusammen, die jeweils ähnliche Werthaltungen, Prinzipien der Lebensgestaltung, Beziehungen zu Mitmenschen und Mentalitäten aufweisen. Diejenigen, die dem gleichen sozialen Milieu angehören, interpretieren und gestalten ihre
Umwelt in ähnlicher Weise und unterscheiden sich dadurch von
anderen sozialen Milieus.“
Aus dieser Perspektive können soziale Milieus als Teil der Sozialisationsbedingungen im Stadtteil benannt werden, wenn diese dominant im Stadtteil, d.h.
räumlich konzentriert auftreten. Konzentriert sich das soziale Leben auf diesen Bereich, so ist er der Ort der Abstimmung, der Imitation und Bestätigung
von Werthaltungen, Interpretationsmustern, Problemlösungszugängen und
Handlungsmodellen. In diesem Zusammenhang bemerkt Wilson (1987), dass
viele Migranten auf günstige Wohnungen in Armutsquartieren angewiesen
sind und dort mit einer Bevölkerung in Kontakt kommen, deren individuelle
Biographien von anhaltender Arbeitslosigkeit, Jugendkriminalität und Drogenkonsum geprägt sind. Portes und Rumbaut (2001: 58ff.) machen darauf
aufmerksam, dass die Kinder der Migranten durch Assimilation in den Schulen
und auf den Straßen bzw. in den dortigen Subkulturen ablehnende Haltungen gegenüber der aufstiegsorientierten Kultur des Aufnahmelandes entwickeln und damit zusehends einer Abwärtsmobilität unterworfen sind.
In der Forschungsliteratur wird immer wieder die Bedeutung der ethnischen Netzwerke betont und sowohl ihre Offenheit nach außen für mehr Integration eingefordert als auch ihre innere Stärke für die Stabilisierung der
Persönlichkeit oder die soziale Kontrolle hervorgehoben.
Drei Aspekte für die ökonomische Eingliederung von Zuwanderern werden von Portes und Rumbaut (2001: 46f.) genannt. Neben der Aufnahmepolitik und der Integrationsbereitschaft der ansässigen Bevölkerung interessieren hier die Eigenschaften der eigenen ethnischen Gemeinschaften. Hierbei
verweisen Portes und Rumbaut (2001: 48) auf die Problematik, dass ethnische
Gemeinschaften mit Personen, die überwiegend im unteren Arbeitsmarktsegment beschäftigt sind, selbst Neuankömmlingen mit überdurchschnittlichem Humankapital aufgrund der Netzwerkbeziehungen wenig Chancen
zur Vermittlung in besser gestellte Arbeitsplätze bieten können. Für Portes
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und Rumbaut (2001) ist das in den ethnischen Gemeinden vorhandene soziale Kapital dann von Bedeutung, wenn auch das nötige Humankapital in der
Gemeinde existent ist. Ansonsten verweisen sie auf den größeren Nutzen des
sozialen Kapitals, das in den inter-ethnischen Beziehungen zu Angehörigen
der einheimischen Bevölkerung liegt. Dabei können nämlich neben konfliktvermeidenden Aspekten auch die Möglichkeiten zur Übernahme der für die
erfolgreiche Integration so wichtigen aufnahmelandbezogenen Fähigkeiten
in Rechnung gestellt werden. Auf der anderen Seite können ethnische Netzwerke auch sehr positive Auswirkungen auf ihre Mitglieder haben. So
„halten starke ethnische Gemeinschaften die sozialen Normen
etwa in Bezug auf Scheidungen aufrecht und vermeiden damit
eine Zunahme zerrütteter Familienstrukturen“ (Farwick 2009: 97).
Auch Elwert (1982: 721f.) verweist auf die positiven Effekte einer Binnenintegration in der ethnischen Gemeinschaft, die er als wesentliche Voraussetzung
für die weitere Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung des Aufnahmelandes
erachtet. Dem Argument für die Binnenintegration widerspricht dagegen
Heitmeyer (1998: 452), indem er auf die durch die ethnische Schließung entstehenden Qualifikationsdefizite verweist.
Aus den bisherigen Reflexionen lässt sich eine grobe Unterscheidung in
mittelbare und unmittelbare Quartierseffekte innerhalb der sozialen Dimension ableiten. Die Sozialisation durch das Milieu vermittelt Werte, Normen oder
Problemlösungsstrategien, welche den sozialen Aufstieg mittelbar beeinflussen. Der Aspekt der Einbettung in ein soziales Netzwerk bedeutet hingegen
die unmittelbare Trennung von oder den Zugang zu Informationen oder Entscheidungsträgern, der den sozialen Aufstieg erleichtert oder erschwert. In
diesem Sinn soll im vorliegenden Beitrag nun das Hauptaugenmerk auf die
unmittelbaren Effekte gerichtet werden. Zur Untersuchung dieser Effekte
bietet sich die formale Netzwerkanalyse an. Ein mit dem Denkansatz sozialer
Netzwerke eng verknüpfter Begriff ist dabei das Sozialkapital. Gerade wenn
es um die Ausprägung und Struktur sozialer Netzwerke als Grundlage sozialer
Ungleichheit geht, ist die Beschäftigung mit dem Begriff Sozialkapital und seiner ambivalenten Bedeutung unabdingbar.
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Stefan Karasek
Begriffe von Sozialkapital
Nachdem die sozialen Beziehungen und deren Auswirkungen auf Integration
bereits behandelt wurden, stellt sich nun die Frage nach einem begrifflichen
Konzept zur Erfassung dieser Struktur und ihren Qualitäten.
Der in der Sozialwissenschaft und auch in der öffentlichen Diskussion inflationär verwendete Begriff des Sozialkapitals kann hier in einer spezifisch gefassten Form eingesetzt werden, um die theoretischen Überlegungen in ein
empirisch fassbares Konzept zu überführen. Die Schwierigkeit dieses Transfers spiegelt sich in den unterschiedlichen Zugängen und Erklärungsansätzen
der verschiedenen Sozialwissenschaftler wider.
Auch wenn der Begriff bereits im frühen 20. Jahrhundert erstmals verwendet wurde, so war es vor allem Bourdieu (1983), der mit der Formulierung der
drei Kapitalsorten das soziale Kapital in die Theorie sozialer Ungleichheit einführte. Er konzipiert soziales Kapital als die
„Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit
dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder anders ausgedrückt, es handelt sich
dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe
beruhen“ (ebd.: 190f.).
Später veröffentlichte Coleman (1991) ein verändertes Konzept von Sozialkapital. Er betrachtet Sozialkapital als eine „sozialstrukturelle Ressource“, die
von den Individuen wie ein Kapitalvermögen genutzt werden kann. Für ihn
handelt es sich um ein analytisches Denkmodell, welches von der Verflochtenheit menschlichen Handelns ausgeht. Coleman verknüpft dabei die beiden Konzepte des „homo oeconomicus“ und des „homo socialis“. Er versteht
das menschliche Handeln als ein nutzenmaximierendes, welches jedoch in
ein soziales Umfeld eingebettet ist. Colemans Sozialkapitalbegriff tritt in unterschiedlicher Gestalt in Erscheinung: Diese sind im Wesentlichen die soziale
Vernetzung (Informationen, Macht, Organisationsressourcen), das System sozialer Normen samt den Sanktionen und das generalisierte Vertrauen.
Lin (2001) kritisiert an diesem Konzept, dass Coleman durch die Einbeziehung von kollektiven Gütern wie Normen und Vertrauen die analytische
Schärfe des Begriffs verringert. Die kollektiven Güter stellen vielmehr die Voraussetzung für die Mobilisierung von sozialem Kapital dar (vgl. Portes 1998: 7).
Das Konzept von Lin (2001) baut nun auf dem Verständnis von Sozialkapital
als ein Aggregat nützlicher Ressourcen von Mitgliedern auf, die in Netzwerken
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interagieren. Lin (2001: 29) definiert soziales Kapital als den Umfang von Ressourcen, die in soziale Strukturen eingebettet sind und sich mit dem Zweck
der Verwirklichung von bestimmten Zielen einsetzen lassen. Lin verwendet
hier implizit einen Sozialkapitalbegriff, der durchweg positiv konnotiert ist.
Jansen (2003: 26) weist jedoch darauf hin, dass fehlendes oder negatives soziales Kapital als Zwang oder Barriere auftreten kann, das Handlungsmöglichkeiten von Individuen oder Kollektiven einschränkt.
Für die Fragestellung, ob bzw. wie sich lokal-zentrierte Netzwerke auf die
Sozialisation und den sozialen Aufstieg der Bewohner eines Stadtteils auswirken, soll hier in Anlehnung an Lin Sozialkapital als individuelles Gut betrachtet
werden, welches das Individuum aus seinen Beziehungen erhält.
Nach Lin (2001: 61) ergibt sich der Nutzen von sozialem Kapital folgendermaßen: Die Mobilisierung von sozialem Kapital trägt zum Erreichen von Zielen
bei – je günstiger das mobilisierte soziale Kapital, desto höher die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung. Zudem formuliert Lin (2001: 60ff.) sechs Thesen
zum Zugang zu sozialem Kapital, von denen hier die wichtigsten genannt
werden sollen. So hebt er hervor, dass je höher die Position eines Akteurs
innerhalb einer hierarchischen Struktur ist, desto eher wird dieser nützliches
soziales Kapital mobilisieren können. Zudem lehnt er sich an Granovetter´s
(1973) „weak ties“ an, indem er konstatiert, dass – je schwächer der soziale
Kontakt zu einem Individuum – die Wahrscheinlichkeit umso größer ist, dass
das in diesen Kontakten enthaltene soziale Kapital eine instrumentelle Handlung begünstigt. Mit instrumentellen Handlungen meint Lin Handlungen zum
Erwerb neuer Ressourcen. Der Ertrag dieser Handlungen besteht aus dem Gewinn ökonomischer, politischer und sozialer Mittel. Schließlich bezieht sich
Lin auf die Theorie „struktureller Löcher“ von Burt (1992). Damit richtet sich
der Fokus auf die Lage von Individuen im Netzwerk. Individuen, die durch ihre
Beziehungen diese Löcher überspannen, nehmen eine strategische Position
zum Austausch von Informationen ein. Sie kontrollieren damit die Interaktion
zwischen den Mitgliedern bisher getrennter Gruppen. In diesem Sinn formuliert Lin seine These: Je näher die Position von Individuen zu einer Brücke im
Netzwerk, desto besser erreichen die Individuen die eingebetteten Ressourcen, die zum Zweck instrumenteller Handlungen eingesetzt werden können.
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Stefan Karasek
Sozialkapital und soziale Netzwerke vor dem
Hintergrund unterschiedlicher Forschungsperspektiven
Die Stadtplaner, -politiker und -entwickler hoffen, dass Stadtteile communities enthalten, die eine spezifische Kultur und eigene Qualitäten ausbilden.
Große Städte können dabei eine Umgebung schaffen, in der Minderheiten
Zuflucht und Freiheiten finden. Deren Individuen sollen dort zu kreativen
und innovativen Mitgliedern einer egalitären Stadtgesellschaft werden. Die
räumliche Konzentration von ethnischen Gruppen ermöglicht zwar einerseits
die Zuflucht in eine solidarische Gemeinschaft., andererseits erzeugt sie aber
häufig auch die negativen Folgen von Ausschluss.
Die Rolle von Sozialkapital und sozialen Netzwerken für Integration und
sozialen Aufstieg wird in der Sozialwissenschaft kontrovers diskutiert. Vor
allem die Verknüpfung und der Zusammenhang mit sozialräumlichen Konzepten und dem Stadtteil sind fraglich und umstritten. Außerdem wird mit
unterschiedlichen Begriffen gearbeitet. In der Stadtsoziologie wird von communities oder ethnischen Kolonien gesprochen. Die Migrationssoziologie
beschäftigt sich mit ethnischen Gemeinschaften oder Gruppen, wendet sich
aber immer mehr den Netzwerk- und Sozialkapitalansätzen zu, welche in der
Organisations- und Wirtschaftssoziologie längst etabliert sind. Überschneidungen zwischen den jeweiligen Begriffen lassen sich mehr implizit als explizit aus den Effekten bzw. behaupteten Kausalzusammenhängen ableiten.
Die klassische Stadtsoziologie der Chicagoer Schule wirkt bis heute in
vielen Fragen der Stadtforschung nach – so auch in dem hier vorliegenden
Beitrag. Essentiell ist dabei das Konzept des „race-relations-cycle“ von Park
(1950 [1926]). Die engen Beziehungen ethnischer Kolonien und die räumliche
Segregation dieser Ethnien galten Park als Voraussetzung für gelingende Assimilation. Dabei ist die sozialräumliche Komponente der residentiellen Segregation integraler Bestandteil im chronologischen Ablauf eines erfolgreichen
Integrationsprozesses mit dem Ziel der Assimilation, wobei die Bildung von
sozialen Netzwerken zur gegenseitigen Unterstützung implizit mit der residentiellen Segregation gleichgesetzt wurde. Damals wurde der Einfluss des
Stadtteils auf die Bildung ethnischer Kolonien bzw. Netzwerke in mehreren
konzeptionellen sowie in empirischen Arbeiten beschrieben. Die Herausbildung ethnischer Kolonien wurde mit der Segregation von Stadtteilen verknüpft (Thomas/Park/Miller 1971 [1921]: 147; Festinger/Schachter/Back 1950:
45; Caplow/Forman 1950). Farwick (2009: 241f.) kritisiert die Übernahme dieser
Gleichsetzung von Segregation und sozialen Netzwerken in die heutige Forschung. Er verweist dabei auf die neuen Telekommunikationstechnologien
und Verkehrsmittel, welche eine weitgehende
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„Unabhängigkeit sozialer Gemeinschaften von der räumlichen
Nähe des Wohnquartiers“ (ebd.: 241)
ermöglichen. Farwick (2009: 241f.) untermauert dieses Argument in seiner Untersuchung über einen Bremer Stadtteil und verweist zudem auf die Bedeutung der kleinräumigeren nachbarschaftlichen Wohnumgebung im Gegensatz zum weiter gefassten Wohnquartier. Die sozialen Beziehungen, darunter
auch jene zu Nachbarn und sozialen Infrastruktureinrichtungen im Stadtteil,
„können als wichtige Ressourcen zur Bewältigung von Mangelsituationen oder kritischen Lebensereignissen angesehen werden“
(Farwick 2001: 156).
Während die klassischen Stadtsoziologen der Chicagoer Schule ethnische
Gemeinschaften für einen gewissen Zeitraum aufgrund der Unterstützungsleistung für Neuankömmlinge als vorteilhaft bewertet haben, werden in der
heutigen Migrationssoziologie sowohl die Vorteile als auch die Nachteile
intra-ethnischer und inter-ethnischer Gemeinschaften diskutiert. Sozialräumliche Aspekte treten hier in den Hintergrund, Fragen nach den Beziehungen innerhalb von Gemeinschaften und nach Beziehungen zu Vertretern der
Mehrheitsgesellschaft des Aufnahmelandes in den Vordergrund.
Die verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen bieten
neben Beratung, Informationen und Dienstleistungen oder materieller Hilfe
auch emotionalen Rückhalt und Geselligkeit (vgl. Diewald 1989: 460). Die positive Wirkung von sozialem Kapital in ethnischen Gemeinden liegt für Portes
(1998: 9) in der sozialen Kontrolle, in der Unterstützung innerhalb der Familie und in den Hilfeleistungen außerfamiliärer Netzwerke. Hinzu kommt die
Bedeutung von sozialem Kapital für den Zugang zu Arbeitsplätzen und den
beruflichen Aufstieg bzw. den wirtschaftlichen Erfolg selbstständiger Unternehmer (ebd.: 12).
Portes (ebd.: 15ff.) macht jedoch auch auf die negativen Auswirkungen von
intra-ethnischem sozialen Kapital aufmerksam. So haben soziale Verpflichtungen zur gegenseitigen Unterstützung einschränkende Auswirkungen auf die
Freiheit der Netzwerkmitglieder, welche die Handlungsspielräume der Individuen einengen und Kontakte außerhalb des Netzwerkes be- bzw. verhindern.
Außerdem wird in den benachteiligten sozialen Gruppen ein moralischer
Druck auf erfolgsorientierte Mitglieder ausgeübt, um diese am sozialen Aufstieg zu hindern, da dieser die Gruppensolidarität unterminieren könnte, so
Dominguez und Watkins (2003: 126f.). Nicht erwähnt wird bei der Benennung
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Stefan Karasek
dieser Nachteile der Einfluss abweichenden Verhaltens als Gruppennormen
oder Handlungsmuster in den Netzwerken.
Farwick (2009: 301) unterscheidet in seinen Untersuchungsergebnissen
zwischen ressourcenreichen und ressourcenarmen ethnischen Gruppen. So
ist das Ausmaß generierten sozialen Kapitals stark von der Ressourcenausstattung der Mitglieder der Gemeinschaften abhängig. Insofern bewirken die intraethnischen Netzwerke in ressourcenreichen ethnischen Gruppen einen sozialen Aufstieg, während sie in ressourcenarmen ethnischen Gruppen isolierend
und benachteiligend wirken. Farwick differenziert damit die engen multiplexen
Netzwerke von Migranten noch einmal und macht deren Auswirkungen auf
sozialen Aufstieg nicht nur von deren Zusammensetzung, sondern auch von
den Ressourcen wie Humankapital abhängig, welches sich in den Netzwerken
sammelt. Damit wird neben der Erhebung der Beziehungsstrukturen von Netzwerken auch wieder die Erhebung absoluter Merkmale wie Bildung notwendig.
Doch wird in der Migrationssoziologie auch gesehen, dass die Beschränkung auf die eigene ethnische Gemeinschaft nicht ausreichen muss und der
Aufbau von Beziehungen zu Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft erforderlich wird. Haug (2007: 100) geht davon aus,
„dass ethnisch homogene Netzwerke bei Minderheiten eine Einschränkung des Zugangs zu Ressourcen der Aufnahmegesellschaft
bedeuten“.
Haug (2007: 101) betont daher den größeren Nutzen von sozialem Kapital aus
Beziehungen zu Vertretern des Aufnahmelandes gegenüber sozialen Beziehungen zu der eigenen ethnischen Gruppe.
In seinem Integrationsmodell führt Esser (1980: 231) als dritte von vier Dimensionen der Assimilation die soziale Assimilation an. Ist diese vollzogen, so
liegen sowohl formelle als auch informelle inter-ethnische soziale Beziehungen vor. Für Esser ist die soziale Assimilation die Voraussetzung für die vierte
Dimension, die identifikative Assimilation, und damit für eine ganz vollständige und erfolgreiche Assimilation.
Der Organisationssoziologe Ronald Burt untersuchte in seinen Netzwerkanalysen die Karrieren von Managern und nicht die Integrationsbedingungen
für Migranten in benachteiligten Stadtteilen. Seine Überlegungen haben auch
keinerlei sozialräumlichen Kontext. Trotzdem soll der Versuch gemacht werden,
insbesondere seine Konzepte (Burt 1992: 51ff.) über strukturelle Autonomie
und strukturelle Zwänge für die Ausgangsfragestellung zu nutzen. Sie wurden
zudem von Burt bereits operationalisiert. Die Rahmenbedingungen menschli-
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chen Handelns fasst Burt in „hole signatures“ zusammen, die – als Diagramme
dargestellt – die (Un-)Freiheiten unternehmerischen Handelns von Individuen
beschreiben. Darin fließen erstens die von Seiten des Akteurs investierten Ressourcen wie Zeit und Energie ein, die er in die Personen seines Netzwerks investiert. Zweitens werden die Zwänge dargestellt, die diese Personen auf den
Akteur im Sinne von Hierarchie und Sanktionsmöglichkeiten ausüben. Die zwei
wichtigsten „hole signatures“ sind für unsere Frage das „unternehmerische Netzwerk“ mit großer Autonomie bzw. unternehmerischem Potential für den Akteur
und das „Cliquen-Netzwerk“ mit geringer Autonomie bzw. starken strukturellen
Zwängen. Das „Cliquen-Netzwerk“ weist Analogien zu den ethnisch-kulturellen
Netzwerken mit starker sozialer Kontrolle, Sanktionierung bei Normverletzung
und sozialen Unterstützungsverpflichtungen auf. Es handelt sich um ein redundantes bzw. dichtes Netzwerk, in dem der Akteur direkt mit Kontaktpersonen
verbunden ist, die er auch indirekt über andere Netzwerkpersonen erreichen
würde. Das bedeutet zum einen mehr Konformitätsdruck und weniger Freiheit
für das Individuum und zum anderen, dass alle im wesentlichen über dieselben
Informationen verfügen und dadurch wenig Kontakte bestehen, die andere
bzw. neue Informationen in das Netzwerk einspeisen könnten.
Das „unternehmerische Netzwerk“ ähnelt hingegen den Vorstellungen
einiger Migrationssoziologen (Esser 2001: 21; Haug 2007: 100f.), welche die
Notwendigkeit von Kontaktpersonen aus dem Aufnahmeland für die soziale Integration erläutern. Diese Personen stehen außerhalb eines engen und
hierarchischen sozialen Netzwerkes. Damit kann im Gegensatz zum „CliquenNetzwerk“ mehr Handlungsfreiheit einhergehen, und die voneinander unabhängigen Kontakte bringen jeweils neue Informationen in das Netzwerk des
Individuums ein. Den Schutz, die Sicherheit und die Unterstützung, die ein
enges multiplexes Netzwerk bietet, kann ein unternehmerisches Netzwerk
mit vielen losen Beziehungen nicht bieten, vorausgesetzt es werden die Normen und Werte eingehalten.
Aus unternehmerischer Sicht ist die Bewertung von Sozialkapital eindeutig. Es ist dann positiv, wenn es dem Individuum viel Handlungsfreiheit lässt
und möglichst zahlreiche, voneinander unabhängige Informationskanäle enthält. Auch unter der Annahme, dass eine soziale Integration nur über Kontakte
zu Angehörigen des Aufnahmelandes gelingen kann, steht die Definition von
positivem nützlichem Sozialkapital in diesem Licht. Portes (2000) weist jedoch
darauf hin, dass Sozialkapital für den einzelnen Akteur positive und negative
Bedeutungen haben kann.
Schließlich kommen wir hier zu einem weiter ausdifferenzierten Sozialkapitalbegriff, unabhängig davon, ob Sozialkapital auf einen Stadtteil bezogen
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Stefan Karasek
wird oder nicht. Das positive Sozialkapital per se kann es nicht geben, wie
schon Haug (2007: 103f.) erläutert hat. In großen dichten und homogenen
Netzwerken mit starken Beziehungen entsteht ein entsprechend größeres
Sozialkapital für das Kollektiv. Im Gegensatz dazu wächst das Sozialkapital auf
der individuellen Ebene mit steigender Heterogenität des Netzwerks und der
Anzahl nützlicher Kontakte außerhalb des eigenen (sozial schwachen) Milieus.
Da hier der Frage nach der Benachteiligung von Individuen im Rahmen einer
Erforschung sozialer Ungleichheit vorliegt, ist das „unternehmerische Netzwerk“ als positives Sozialkapital vorzuziehen.
Wenn wir es also mit sozial benachteiligten Gruppen mit Migrationshintergrund zu tun haben und wir den Anspruch erheben, dass sozialer Aufstieg und
soziale Integration über die Mehrheitsgesellschaft des Aufnahmelandes erfolgen muss, dann liegen im Sinne der „structural-holes-Hypothese“ die Vorteile
wohl bei dem Sozialkapital, das im „unternehmerischen Netzwerk“ zu finden ist.
Methoden zur Erforschung sozialer Netzwerke –
soziale Netzwerkanalyse
Die theoretische Auseinandersetzung mit der Benachteiligung der Wohnbevölkerung in Stadtteilen hat gezeigt, dass neben den klassischen Dimensionen
sozialer Ungleichheit wie dem ökonomischen Kapital und dem Humankapital
auch das soziale Kapital Bestandteil sozialer Ungleichheit ist und im Besonderen die Voraussetzung für die Erreichbarkeit der ersten beiden Kapitalien
darstellt. Eine der Hauptschwierigkeiten der theoretischen und empirischen
Fassbarkeit des Begriffs besteht nun darin, dass das soziale Kapital nicht einem Individuum exklusiv anhaftet wie Bildung und Einkommen, sondern
„abhängig ist von den direkten und indirekten Beziehungen, die
ein Akteur zu anderen Akteuren in einem Netzwerk unterhält“
(Jansen 2003: 27).
Um dieses Forschungsinteresse an den Beziehungsstrukturen von Individuen
adäquat verfolgen zu können, bietet sich die soziale Netzwerkanalyse an.
Sie ist einerseits
„ein statistisches Instrumentarium zur Analyse eben dieser Netzwerke“,
und andererseits impliziert sie eine Theorieperspektive (vgl. Jansen 2003: 11).
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„Diese Theorieperspektive behauptet die Bedeutsamkeit der Netzwerke, des Eingebettetseins von individuellen oder korporativen
Akteuren für deren Handlungsmöglichkeiten“ (ebd.: 11).
Weiter hält Jansen fest, dass diese Methode soziale Ressourcen oder soziales
Kapital erfassen kann (ebd.: 26). Im Wesentlichen ist die Netzwerkanalyse ein
streng formalisiertes mathematisches Analyseinstrument und basiert auf Matrizenberechnungen. Die Ergebnisse, d.h. die Beziehungsstrukturen, werden
meistens graphisch dargestellt, wobei die Akteure als Knoten und die Beziehungen, welche als Linien die Knoten verbinden, als Kanten bezeichnet werden.
Ego-zentrierte Netzwerkanalyse
In der Einleitung zum vorliegenden Beitrag wurde die These formuliert, dass
das soziale Netzwerk einer Person, welches ethnisch-kulturell homogen und
lokal zentriert ist und darüber hinaus verhältnismäßig geringe Ressourcen
aufweist, benachteiligende Auswirkungen auf den sozialen Aufstieg einer
Person im Stadtteil hat. Aus dieser auf die soziale Benachteiligung einzelner
Personen fokussierten Fragestellung ergibt sich die Anwendung einer Sonderform der sozialen Netzwerkanalyse. Die ego-zentrierte Netzwerkanalyse
beschränkt sich auf die Erhebung von Alteri rund um die fokale Person Ego.
Dabei werden im Interview mit Ego mittels Namensgenerator einerseits die
Alteri abgefragt, welche mit Ego die entsprechende Beziehung haben, und
außerdem die Beziehungen zwischen den Alteri. Dabei wird zunächst eine
Beziehungsart definiert, wie zum Beispiel der Austausch von Informationen
zu einem bestimmten Thema oder die gemeinsame Mitgliedschaft in einem
Verein oder Hilfestellungen bei den Überlegungen zur Berufswahl etc. Dabei
werden für jede Beziehung deren Dauer und Kontakthäufigkeit, die Rolle des
Alters und die besprochenen Themen erfragt. Im Interview werden dann die
Eigenschaften Egos und seiner Alteri erhoben (Jansen 2003: 80f.).
Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Abwicklung im Rahmen üblicher
schriftlicher Fragebögen. Ein Nachteil ist die Unsicherheit bei der Auskunft
von Ego über die Beziehungen zwischen den Alteri. Außerdem ist die Analyse
von Positionen und Rollenverflechtungen, wie Burt (1983: 131) bemerkt, nicht
möglich. Lin (2001: 62ff.) schlägt in diesem Zusammenhang vor, die Namensgeneratoren durch Positionsgeneratoren zu ersetzen. Dabei wird Ego eine
Liste von Organisationen und Berufsgruppen vorgelegt und gebeten, zu benennen, ob er/sie jemanden aus diesen Bereichen persönlich kennt. Auf diese
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Stefan Karasek
Weise lässt sich die Erreichbarkeit von Netzwerkpositionen besser analysieren, und die „weak ties“ können genauer erfasst werden.
In diesem Zusammenhang liest sich die obige Diskussion über die Vorund Nachteile ethnischer Gemeinschaften wie die Rezeption über die zwei
Ausprägungen sozialen Kapitals als „unternehmerische Netzwerke“ und
„Cliquen-Netzwerke“. Die starken Verbindungen in klar abgegrenzten und
dicht geknüpften Netzwerken führen zu einem großen Solidaritäts- und Hilfepotential für die Mitglieder (vgl. Jansen 2003: 105f.). Hier sind die Akteure
allerdings auch durch soziale Kontrolle in ihrem unternehmerischen und innovativen Handeln eingeschränkt. Auf der anderen Seite lassen schwache
Verbindungen zwar die Solidarität zwischen den Akteuren vermissen. Dafür
profitieren diese Akteure, die solche Positionen innehaben, vom Zugang zu
Informationen und einer größeren Handlungsfreiheit, denn sie entziehen sich
den Erwartungen der verschiedenen Gruppen und treten als Makler mit einem Informationsvorsprung gegenüber jeder einzelnen Gruppe auf.
Als wichtige Maßzahl für ego-zentrierte Netzwerke ist die Dichte von Netzwerken zu nennen, die als das Verhältnis der vorhandenen Beziehungen zur
Zahl der möglichen Beziehungen definiert ist (vgl. Jansen 2003: 108). Eine weitere Maßzahl sei mit der Multiplexität benannt. Diese beschreibt die Tatsache,
dass zwischen Ego und seinen Alteri gleichzeitig mehrere Beziehungen bestehen können. Dies bedeutet, dass sie gleichzeitig miteinander im Jugendverein aktiv sind und dazu gemeinsam für die Schule lernen. Diese relationalen
Merkmale werden freilich durch absolute ergänzt. So wird mit dem „Range“
des Netzwerks die Größe und in weiterer Folge die Verschiedenartigkeit der
Alteri erfasst (vgl. Jansen 2003: 110). Dabei können u. a. Wohnort, Herkunft,
Alter oder Geschlecht die Heterogenität des Netzwerks beschreiben.
Benachteiligende soziale Netzwerke im Stadtteil?
Netzwerke, Lokalität und Sozialraum
Die klassische Stadtsoziologie mit dem Modell der „gespaltenen Stadt“ geht
von sozial homogen strukturierten Stadtteilen aus. Soziale Ungleichheit überträgt sich damit auch auf den Stadtraum, und die Stadt wird so zu einem mosaikartigen Gebilde. Hier wird idealtypisch eine Einheit von Sozialstruktur und
Struktur des Stadtraumes behauptet. Von diesem Ansatz aus können auch
Überlegungen dorthin gehen, dass ein homogen strukturierter Stadtteil, in
dem sich ein sozial benachteiligtes Milieu konzentriert, auf seine Bewohner
zusätzlich benachteiligend auswirkt. Diese Sichtweise wird erst in der „ausdifferenzierten Stadt“ (vgl. Frey 2008) gelockert, wo davon ausgegangen wird,
Benachteiligende Quartierseffekte
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dass unterschiedliche Milieus nebeneinander oder sich überlagernd in einem
Stadtteil existieren können. Demnach könnten sich Netzwerke und Milieus
miteinander austauschen, selbst wenn sie lokal zentriert bleiben, und wären
deshalb nicht mehr auf ihre eigenen Wissensbestände und Informationskanäle beschränkt.
Die „Netzwerkstadt“ betrachtet die Bedeutung von Raum für die Vergemeinschaftung aufgrund der modernen Verkehrsmittel und Kommunikationsmedien als obsolet (Schulze 1992). Die Vernetzung innerhalb der Stadt
und darüber hinaus verläuft nach diesem Modell hierarchiefrei und ungehindert über räumliche und geographische Grenzen hinweg. Stadträume enthalten aus dieser Sicht eine Anzahl von losgelösten Orten, die lediglich den Hintergrund zu Szenen bilden. Die Frage nach lokal zentrierten Netzwerken stellt
sich in diesem Zusammenhang dann nicht mehr. Die Debatte rund um dieses
Modell dreht sich v.a. um das Thema der sozialen Benachteiligung. Gerade für
benachteiligte Bevölkerungsgruppen wird die erhöhte Bedeutung des Wohnumfeldes diskutiert. Auch die Bewertung als gleichberechtigte Stadtteile in einem hierarchiefreien Netzwerk der Stadt, wie von Sieverts (1997: 6) behauptet,
in der jeder Stadtteil eine einmalige und zentrale Aufgabe übernehmen kann,
erscheint empirisch unrealistisch. Schon aufgrund der unterschiedlichen Bewertung von Stadtteilkulturen entsteht eine Hierarchie unter den Stadtteilen,
denen deshalb auch eine entsprechend abgestufte Aufmerksamkeit von Politik und Wirtschaft zukommt.
In der aktuellen Stadtsoziologie setzt sich zunehmend ein neues Konzept
von Raum durch, das sich deutlich vom absoluten Behälterraumkonzept abhebt. Löw (2001) begreift dabei Raum als subjektiv in den Wahrnehmungen,
Erwartungen und (Nicht-)Nutzungen bzw. den relationalen Anordnungen der
Akteure und sozialen Gütern hergestellt. In der relationalen Anordnung der
Akteure ist eine Verbindung zur Netzwerktheorie zu erkennen. Es besteht
eine räumliche Anordnung der Akteure und eine soziale im Sinne von Vernetzung. Ob ein wechselseitiger Einfluss zwischen diesen Anordnungsstrukturen
vorliegt, kann als eine zentrale Frage der heutigen sozialraumorientierten
Stadtsoziologie benannt werden. Die sozialen Beziehungen prägen den subjektiven, handlungsbezogenen Sozialraum, weil aufgrund der Beziehungen
Orte aufgesucht und genutzt werden. Der Sozialraum wird also auch aus den
sozialen Beziehungen im Raum konstituiert. Andererseits ist jedoch auch zu
sagen, dass die physische Entfernung bzw. Nähe im Raum Einfluss auf die sozialen Beziehungen haben kann.
Ein Unterschied zwischen dem Netzwerkansatz und dem relationalen
Raumverständnis liegt im Verhältnis zwischen Struktur und Handlung. Der
238
Stefan Karasek
an die Giddens’sche (1988) Dualität von Struktur und Handlung angelehnte
Raumbegriff von Löw sieht eine Dualität von Raum vor, bei der Räume eine
gesellschaftliche Ordnung vorgeben, die aber gleichzeitig auf der Praxis des
Anordnens basiert und diese auch verändert. In der Netzwerktheorie hingegen geht man von der Vorstellung einer einseitigen Determinierung von
Handlung durch die Beziehungsstruktur aus.
Eine moderne Sozialraumanalyse wird daher im Gegensatz zur formalen
Netzwerkanalyse über die Struktur hinaus immer auch die Handlungsebene,
d.h. die Wahrnehmung und Nutzung von Raum untersuchen, was selbstverständlich ein erweitertes Repertoire der Erhebungsmethoden erfordert.
Zur Bearbeitung der Frage sozialer Ungleichheit von Bewohnern eines
Stadtteils soll hier jedoch der Handlungsspielraum von Individuen untersucht
werden und nicht die Nutzung oder Anordnung im physischen Raum. Wir gehen also von der analytischen Trennung aus, dass erstens ein Ego-Netzwerk
sozialräumlich strukturiert wird und zweitens dieses Netzwerk u. a. den Handlungsspielraum von Ego für dessen Integration mitprägt. Es liegt in der ‚Natur‘
eines netzwerktheoretischen und dann auch netzwerkanalytischen Ansatzes,
dass die Lokalität von Netzwerken keine Rolle spielt, womit auch die These
von Gestring und Janßen über lokal zentrierte Netzwerke für Netzwerktheoretiker irrelevant sein muss. Die Netzwerktheorie baut auf relationalen Merkmalen auf, was bedeutet, dass Beziehungen, Beziehungsstrukturen und die
Positionen der Netzwerkmitglieder innerhalb dieser Strukturen ausschlaggebend für die Interpretation von sozialen Netzwerken sind. Der sozialräumliche
Kontext der Lokalität kann dagegen nur als absolutes Merkmal der einzelnen
Netzwerkmitglieder erhoben werden. Dies bedeutet erstens, dass die Lokalität eines Netzwerkes keine Kategorie netzwerkanalytischer Untersuchung
sein kann und dass zweitens daraus folgend der Einfluss der Lokalität nur im
Rahmen einer Regressionsanalyse fassbar wird und sich nicht direkt aus der
Netzwerkanalyse ableiten lässt. Die Netzwerkanalyse ist somit keine ‚sozialraumorientierte‘ Untersuchungsmethode. Nichtsdestotrotz kann der sozialräumliche Kontext im Sinne der Eingangshypothese nach wie vor berücksichtigt werden. Dabei wird man in vergleichender Weise die Auswirkungen
sozialräumlicher Aspekte auf die Strukturen ego-zentrierter Netzwerke untersuchen müssen. Nur so kann der Frage der Benachteiligung durch den Stadtteil nachgegangen werden. Es wird allerdings nicht ausreichen, den Wohnort
der Netzwerkmitglieder zu erheben, denn den Kurzschluss zu ziehen, lokale
Zentriertheit mit der Homogenität eines Netzwerkes und der daraus folgenden Handlungs- und Informationseinschränkung gleichzusetzen, wäre grob
fahrlässig. Das ist eine überholte Annahme einer „gespaltenen Stadt“. In der
Benachteiligende Quartierseffekte
239
„ausdifferenzierten Stadt“ können nämlich auch lokal zentrierte Netzwerke
sozial sehr heterogen sein und daher unterschiedliche, nützliche Kontakte
beinhalten.
Umgekehrt muss auch, wie in der „Netzwerkstadt“ beschrieben, die mögliche Ausbreitung eines Netzwerks über den Stadtteil hinaus in Betracht gezogen werden. Ein Egonetzwerk kann über den gesamten Stadtraum verteilt
sein. Das allein sagt aber noch nichts über die Heterogenität des Netzwerkes
und dessen Auswirkungen auf den sozialen Aufstieg oder die soziale Integration von Ego aus. Die Ausbreitung von Netzwerken auf andere Stadtteile ist
also nicht gleichbedeutend mit den Vorteilen für Ego, wie sie aus dem „unternehmerischen Netzwerk“ erwachsen.
Interessant wird der Sozialraum in dieser Frage erst, wenn er prägenden
Einfluss auf die Struktur des Netzwerkes hat. Dabei spielen u. a. aber auch die
Milieueinflüsse, kulturelle Präferenzen oder auch materielle Infrastrukturen
des Stadtteils eine Rolle.
Fazit: Netzwerkanalyse zur Erforschung der
Reproduktion von sozialer Ungleichheit im Stadtteil
In der Analyse stellt sich nun die Frage nach dem Zusammenhang zwischen
der Netzwerkstruktur Egos und seinem sozialen Aufstieg, sich ausdrückend
u. a. durch Bildungs- und Berufsstatus. Die in der Eingangsthese angesprochene Homogenität des Netzwerks kann im „Range“ des Netzwerks gut erfasst
werden, indem Informationen wie die Herkunft, die Bildung oder der soziale
Status von Alter einfließen. Diese Angaben können schließlich auch Auskunft
über die potenziellen Ressourcen geben, welche in Egos Netzwerk vorhanden sind. Darüber hinaus kann die Stärke der Beziehungen und die Dichte
innerhalb des Netzwerks Aufschluss über die Handlungsoptionen bzw. die
Diversität der Informationskanäle der Befragten bieten. Offen bleibt jedoch
weiter, wie bereits von Jansen (2003: 108f.) angesprochen, inwieweit das fragmentarisch erhobene Ego-Netzwerk einen ausreichenden Aufschluss über
die Lage von Ego im Gesamtnetzwerk geben kann, um seine vorhandenen
‚structural holes‘ vollständig auszuleuchten. Hier stehen eine methodologische Auseinandersetzung und ein erweiterter Austausch zwischen den Theoriekonzepten noch aus. Damit sieht man sich aber dem üblichen Problem der
Netzwerkanalyse gegenüber, dass durch die aus pragmatischen Gründen erforderliche Vordefinition der Beziehungsart ohnehin eine Einschränkung und
Abgrenzung des Netzwerkes stattfinden muss. Dazu kommt die Begrenzung
auf eine Personenanzahl durch den Namensgenerator. Nach der ego-zentrier-
240
Stefan Karasek
ten Netzwerkanalyse gelangt man endlich zu einer Regressionsanalyse, um
den Zusammenhang zwischen Netzwerkstruktur und sozialem Aufstieg bzw.
sozialer Integration hinsichtlich Arbeit und Wohnung zu untersuchen.
Die Erforschung der Sozialisationseffekte durch das Milieu lässt sich besser
durch die Untersuchung der kommunikativen Prozesse sowie der Weitergabe von Wertvorstellungen und Problemlösungsstrategien bewerkstelligen.
Mit der egozentrierten Netzwerkanalyse ist keine Erfassung des Konformitätsdrucks oder der Orientierung an innerethnischen Normen bzw. an den
Normen eines Milieus möglich. Die Reichweite der egozentrierten Netzwerkanalyse ist damit zur Untersuchung von Milieueffekten nicht ausreichend. Ein
Egonetzwerk kann kein Milieu abbilden, sondern höchstens Indizien über die
Zusammensetzung des Milieus liefern, und das zudem nur sehr unzureichend.
Die These über den Einfluss lokal zentrierter Netzwerke hat die Widersprüche und Gemeinsamkeiten zwischen dem Netzwerkansatz und der Stadtsoziologie aufgezeigt. Die Annahme, dass ein lokal zentriertes Netzwerk per se
benachteiligend wirkt, muss aus netzwerktheoretischer Sicht verworfen werden. Trotzdem muss in einer entsprechenden Untersuchung der sozialräumliche Aspekt berücksichtigt werden. Daher kann die soziale Netzwerkanalyse in
einer Untersuchung über die soziale Dimension von Quartierseffekten nur einen Teilbeitrag unter weiteren quantitativen und qualitativen Methoden, wie
sie bereits in zahlreichen Sozialraumanalysen zur Anwendung kamen, leisten.
Die Analyse von ‚structural holes‘ kann lediglich den Handlungsspielraum
und die Informationszugänge eines Individuums beschreiben. Der soziale
Prozess der Anordnungspraxis im Sozialraum bzw. die Motive, die Interpretation und die Handlungen eines Individuums müssen mit anderen Methoden
untersucht werden.
Will man in der Stadtsoziologie die formale Netzwerkanalyse ernsthaft
für die Beantwortung der aktuellen Fragen zu sozialer Ungleichheit nutzen,
dann wird man auch die impliziten Logiken dieser Methode verstehen und
integrieren müssen. So wäre es für ein gewinnbringendes Arbeiten mit dieser
Methode erforderlich, den widersprüchlichen Ansatz einer ‚sozialraumlosen‘
relationalen Netzwerktheorie mit der auf absoluten Attributen aufbauenden
stadtsoziologischen Ungleichheitsforschung und dem relationalen Sozialraumbegriff zu verknüpfen.
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