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Quantenchemie
Eine Einführung
Altmodisches Drama, das sich jede Nacht im [Kr]4d10 abspielt.
Es kann mit Hilfe des englischen PSE gelesen werden.
(aus Dickerson/Geis: Chemie – eine lebendige und anschauliche Einführung)
Matthias Küng und Thomas Hari
© 1998 bis 2002
Seite 2
Quantenchemie – eine Einführung
Einige Zitate zu Beginn ...
Ich mag sie nicht und es tut mir leid, dass ich jemals etwas damit zu tun hatte.
Erwin Schrödinger, 1887-1961
Nothing is real.
John Lennon, 1940-1980
Wer über die Quantentheorie nicht entsetzt ist, der hat sie nicht verstanden.
Niels Bohr, 1885-1962
Lieber oder vielmehr geliebter geliebter Bohr! ... Besonders reizend finde ich Ihre Angst, Sie könnten den Preis vor mir
bekommen – das ist ächt bohrisch. Ihre neuen Untersuchungen [zum Aufbau des Periodensystems] haben meine Liebe zu
Ihrem Geist noch vergrössert
Albert Einstein, 1879 – 1955, über Niels Bohr
Es war immer schwierig, die Sicht der Dinge zu verstehen, die sich in der Quantentheorie zeigt. Wenigstens für mich, denn
ich bin gerade so alt, dass ich den Punkt noch nicht erreicht habe, an dem für mich alles offensichtlich ist. Ich werde immer
noch nervös dabei. Ihr wisst doch, wie das ist, jede neue Idee braucht eine Generation oder zwei, bevor es offenbar wird,
dass eigentlich gar kein Problem vorliegt. Ich kann das eigentliche Problem nicht definieren, also vermute ich, dass es so
ein Problem nicht gibt. Doch ich bin nicht sicher, dass es kein wirkliches Problem gibt.
Richard Feynman, 1918 – 1988
Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse werden zwar in der Schule gelehrt; sie tragen auch einiges zum Verständnis der
Natur, aber wenig zum Verständnis der Kultur bei. [...] [Und] so bedauerlich es manchem erscheinen mag:
Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.
Dietrich Schwanitz, Literaturprofessor, 1940 – 2004
Doch im Laufe seiner Arbeit am Text muss Schwanitz aufgefallen sein, dass sein Wissen mindestens eine riesige Lücke
aufweist und er nicht wirklich alles, was man wissen muss parat hat.
Da war er wieder, der Hochmut eines literarisch und philosophisch Gebildeten gegenüber den Leistungen der
Naturwissenschaften.
Wie viel Stoff zum Nachdenken wird hier geliefert. Warum schaut der gebildete Mensch, der offenbar souverän die
abendländische Literatur und Kunst im Griff hat und goutiert, beharrlich in die falsche Richtung, wenn es um
Naturwissenschaft geht?
Ernst Peter Fischer, Wissenschftshistoriker, *1947
Ich denke, ich kann davon ausgehen, dass niemand die Quantenmechanik versteht. Ein Philosoph hat einmal behauptet:
„Naturwissenschaft setzt notwendig voraus, dass gleiche Umstände immer auch gleiche Auswirkungen haben.“ Nun, dem ist
nicht so! Atome sind völlig unmöglich – vom klassischen Standpunkt aus betrachtet.
Richard Feynman, 1918 – 1988
Das Universum ist nicht seltsamer, als wir uns vorstellen, es ist auch seltsamer, als wir uns überhaupt vorstellen können.
J.B.S. Haldane
„To be or not to be“, das ist nicht die Frage; es ist die Antwort.
Fred Alan Wolf
Ohne Quantenmechanik ist ein Mensch nicht in der Lage, seine Umwelt und die Bedingungen seiner Existenz zu übersehen.
(Er ist es wahrscheinlich auch mit der Quantenmechanik nicht vollständig!) Er mag antike Schriftsteller in der
Originalsprache oder Heidegger in deutscher Sprache verstehen, er ist trotzdem ungebildet: Er hat die wichtigste geistige
Revolution unseres Jahrhunderts und einen wesentlichen Inhalt seiner Kultur verpasst. Erstaunlicherweise wird dieses
Bildungsgut unseren Jungen in den Mittelschulen immer noch vorenthalten.
E. Schumacher
Das wellenmechanische Atommodell kommt mir als etwas Interessantes vor; im allgemeinen würde ich die Quantenchemie
als eines der interessantesten, in der Schule behandelten Gebiete der Chemie und der Naturwissenschaften überhaupt
bezeichnen.
SchülerIn einer Prima des Literargymnasiums Neufeld (Bern)
Ich schätze es, dass wir uns mit der Quantenchemie beschäftigten bzw. auseinandersetzten. Wir erhielten so einen Einblick
in die moderne naturwissenschaftliche Denkweise. Dies ist nötig, um die Auswirkungen dieser Modellvorstellung auf unsere
Zeit zu verstehen.
SchülerIn einer Prima des Literargymnasiums Neufeld (Bern)
Quantenchemie – eine Einführung
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Inhaltsverzeichnis
1
WORUM GEHT ES ? ........................................................................................................ 5
2
PROLOG – NICHTS IST REAL ODER AUF DER SUCHE NACH SCHRÖDINGERS
KATZE .............................................................................................................................. 5
3
WELLEN ........................................................................................................................... 7
4
DER WELLE-TEILCHEN-DUALISMUS.......................................................................... 11
4.1
Das Doppelspaltexperiment mit Gewehrkugeln .................................................................................................... 12
4.2
Doppelspaltexperiment mit Wasserwellen ............................................................................................................. 14
4.3
Doppelspaltexperiment mit Elektronen ................................................................................................................. 15
5
HEISENBERGS UNSCHÄRFERELATION UND SCHRÖDINGERS GLEICHUNG ....... 17
6
DAS TEILCHEN (E-) IM KASTEN................................................................................... 19
7
WASSERSTOFFATOM .................................................................................................. 22
7.1
Orbitale ..................................................................................................................................................................... 24
7.2
Der erste Energiezustand (Grundzustand) des Elektrons im Wasserstoffatom ................................................. 25
7.2.1
Das Quadrat der Wellenfunktion: Wahrscheinlichkeitsdichte und radiale Wahrscheinlichkeits-dichte ............ 26
7.2.2
Aufenthaltsraum (Ladungswolke) des Elektrons im Grundzustand ................................................................... 28
7.2.3
Zusammenfassung des Zustandes 1s.................................................................................................................. 29
7.3
Der zweite Energiezustand des Elektrons im Wasserstoffatom ........................................................................... 30
7.3.1
Der 2s-Zustand ................................................................................................................................................... 30
7.3.2
Der 2p-Zustand................................................................................................................................................... 33
7.3.3
Die höheren Energiezustände des Wasserstoffatoms ......................................................................................... 35
8
ATOME MIT MEHR ALS EINEM ELEKTRON: DER AUFBAU DES PSE ..................... 38
9
MOLEKÜLBINDUNG...................................................................................................... 40
9.1
Bindender Zustand................................................................................................................................................... 40
9.2
Antibindender Zustand ........................................................................................................................................... 42
9.3
Die Bindung in Molekülen....................................................................................................................................... 43
9.4
Systematische Darstellung der Bildung einer Einfachbindung............................................................................ 46
9.4.1
9.5
Homonukleare Moleküle der 2. Periode............................................................................................................. 46
Wechselwirkung zwischen den Orbitalen – das Modell der Hybridisierung ....................................................... 49
9.5.1
Die Hybridisierung von s- und p-Orbitalen........................................................................................................ 49
9.5.2
Weitere Hybridisierungsarten - Mehrfachbindungen ......................................................................................... 51
9.6
Bindungsverhältnisse weiterer Moleküle ............................................................................................................... 54
Quantenchemie – eine Einführung
Seite 4
10 FARBEN ......................................................................................................................... 57
10.1
Organische Farbstoffmoleküle................................................................................................................................ 59
10.1.1
Fluoreszierende Farbstoffe................................................................................................................................. 63
10.2
Anorganische Farbstoffe ......................................................................................................................................... 65
10.3
Beispiele .................................................................................................................................................................... 68
11 LITERATUR .................................................................................................................... 71
12 ANHANG ........................................................................................................................ 74
7.1.1
7.2
Polarkoordinaten ................................................................................................................................................ 74
Der erste Energiezustand (Grundzustand) des Elektrons im Wasserstoffatom ................................................. 74
7.2.1
Vereinfachte Wellenfunktion 1s und räumliche Darstellung ............................................................................. 75
7.2.2
Die Energie des Wasserstoffatoms im Grundzustand 1s.................................................................................... 76
7.2.3
Das Quadrat der Wellenfunktion: Wahrscheinlichkeitsdichte und radiale Wahrscheinlichkeits-dichte ............ 76
7.2.4
Aufenthaltsraum (Ladungswolke) des Elektrons im Grundzustand ................................................................... 79
7.2.5
Zusammenfassung des Zustandes 1s.................................................................................................................. 80
7.3
Der zweite Energiezustand des Elektrons im Wasserstoffatom........................................................................... 80
7.3
Der zweite Energiezustand des Elektrons im Wasserstoffatom........................................................................... 81
7.3.1
Der 2s-Zustand ................................................................................................................................................... 81
7.3.2
Der 2p-Zustand .................................................................................................................................................. 84
Quantenchemie – eine Einführung
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1 Worum geht es ?
Die Quantenchemie ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft. Ihre Anfänge begannen vor etwa 80 Jahren
mit den Arbeiten von Heitler und London. 1927 konnten sie zum ersten mal quantenmechanisch das Rätsel der
kovalenten Bindung des Wasserstoffmoleküls (H2) lösen. Die Quantenchemie hat sich seither ungeheuer
weiterentwickelt. Ohne Quantenchemie und Quantenphysik gäbe es weder Atomphysik noch Molekularbiologie,
blieben chemische Bindungen ohne Erklärung, wären weder Laser noch Computer denkbar.
Es spielt keine Rolle, wenn Sie die physikalischen Grundlagen der gezeigten Phänomene noch nicht
kennen. Der Zweck dieses Einschubes besteht darin, Ihnen den Ursprung der Modellvorstellung der
Elektronenwolken als Aufenthaltsräume der Elektronen in der Atomhülle anzudeuten, bevor wir mit
diesem Modell arbeiten werden.
2 Prolog – Nichts ist real oder auf der Suche nach Schrödingers
Katze
Die Katze aus unserem Titel ist ein fiktives Tier, doch Schrödinger war ein realer Mensch. Erwin Schrödinger
war ein österreichischer Wissenschaftler, der Mitte der 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts dazu beigetragen hat,
die Gleichungen eines Wissenschaftsgebietes zu entwickeln, das wir heute als Quantenmechanik bezeichnen.
Wissenschaftsgebiet ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, denn die Quantenmechanik ist die Grundlage
aller modernen Naturwissenschaften. Die Gleichungen beschreiben das Verhalten sehr kleiner Objekte - die,
allgemein gesagt, so gross wie ein Atom oder kleiner sind -, und sie allein machen die Welt des sehr Kleinen
verständlich. Ohne diese Gleichungen könnten die Physiker keine Atomkraftwerke (oder Atombomben) planen,
keine Laser bauen, nicht erklären, warum die Sonne nicht erkaltet. Ohne die Quantenmechanik wäre die
Chemie noch im dunklen Mittelalter, und von der Molekularbiologie, vom Verstehen der DNS und von
Gentechnik könnte gar keine Rede sein.
Die Quantentheorie ist die grösste wissenschaftliche Errungenschaft; sie ist weitaus bedeutsamer und von sehr
viel direkterem praktischem Nutzen als die Relativitätstheorie. Dabei macht sie einige ganz merkwürdige
Vorhersagen. Die Welt der Quantenmechanik ist in der Tat so merkwürdig, dass sogar Albert Einstein sie
unverständlich fand und sich weigerte, sämtliche Implikationen der von Schrödinger und seinen Kollegen
entwickelten Theorie anzuerkennen. Einstein, und mit ihm viele Wissenschaftler, fühlten sich wohler in der
Annahme, die Gleichungen der Quantenmechanik seien so etwas wie ein mathematischer Kunstgriff, der für
das Verhalten atomarer und subatomarer Teilchen zufällig einen leidlich brauchbaren Anhaltspunkt liefert, der
jedoch eine tiefere Wahrheit verbirgt, die eher der Realität in unserem üblichen Sinn entspricht. Der
Quantenmechanik zufolge ist nämlich nichts real, und wir können nichts über das Verhalten von Dingen
aussagen, die wir nicht beobachten. Schrödingers sagenumwobene Katze zitiert man, um die Unterschiede
zwischen Quantenwelt und der gewöhnlichen Welt zu verdeutlichen.
In der Welt der Quantenmechanik gelten die physikalischen Gesetze, die wir aus der uns vertrauten Welt
kennen, nicht mehr. Die Vorgänge werden vielmehr durch Wahrscheinlichkeiten bestimmt. Nehmen wir zum
Beispiel ein radioaktives Atom; vielleicht zerfällt es und emittiert dabei, sagen wir, ein Elektron, vielleicht aber
auch nicht. Mit einer bestimmten Versuchsanordnung kann man eine Wahrscheinlichkeit von genau fünfzig
Prozent dafür erreichen, dass eines der Atome einer radioaktiven Substanz innerhalb einer bestimmten Frist
zerfällt und dass der Zerfall, wenn es tatsächlich zu ihm kommt, von einem Detektor registriert wird.
Schrödinger, der über die Folgerung der Quantenmechanik genauso beunruhigt war wie Einstein, wollte ihre
Absurdität aufzeigen und ersann ein Gedankenexperiment, bei dem sich in einem abgeschlossenen Raum oder
Quantenchemie – eine Einführung
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Behälter eine lebende Katze sowie eine Phiole mit Gift befindet. Falls der radioaktive Zerfall tatsächlich
stattfindet, zerbricht die Phiole und die Katze stirbt. In der gewöhnlichen Welt besteht eine Wahrscheinlichkeit
von fünfzig Prozent, dass die Katze getötet wird, und man kann, ohne in den Behälter hinein zu schauen, ganz
getrost sagen, dass die Katze darin entweder tot oder lebendig sein wird. Aber hier stossen wir auf die
Merkwürdigkeit der Quantenwelt. Nach der Theorie ist keine der beiden Möglichkeiten, die für die radioaktive
Substanz und damit für die Katze bestehen, in irgendeiner Weise real, sofern sie nicht beobachtet wird. Der
Atomzerfall hat weder stattgefunden, noch hat er nicht stattgefunden, und die Katze ist weder getötet worden,
noch ist sie nicht getötet worden, sofern wir nicht in den Behälter hineinschauen, um zu sehen, was passiert ist.
Ein Theoretiker, der die unverfälschte Quantenmechanik vertritt, würde sagen, die Katze befinde sich in einem
unbestimmten Zustand, sie sei weder tot noch lebendig, solange nicht ein Beobachter in dem Behälter
nachschaut, wie sich die Dinge entwickeln. Nichts ist real, falls es nicht beobachtet wird.
Für Einstein und andere war diese Vorstellung ein Greuel. „Der Herrgott würfelt nicht“, sagte er im Hinblick auf
die Theorie, nach der die Welt eine Ansammlung der Resultate von im Grunde willkürlichen „Entscheidungen“
auf der Quantenebene ist. Davon, dass Schrödingers Katze sich in einem unwirklichen Zustand befindet, wollte
er nichts wissen; er meinte, den Dingen müsse ein „Uhrwerk“ zugrunde liegen, das dafür sorgt, dass sie in
einem ganz fundamentalen Sinne Realität besitzen. Er hat jahrelang über Versuche nachgegrübelt, durch die
sich das Wirken dieser fundamentalen Realität zeigen lassen sollte, aber erst nach seinem Tode wurde es
möglich, einen entsprechenden Versuch durchzuführen. Vielleicht ist es gut so, dass er nicht mehr erlebt hat,
wohin eine der von ihm angeregten Überlegungen führt.
Im Sommer 1982 schloss ein Forscherteam unter der Leitung von Alain Aspect an der Universität Paris-Sud
eine Reihe von Experimenten ab, welche die fundamentale Realität unter der unwirklichen Welt der Quanten
aufdecken sollten. Der Realität, die allem zugrunde liegt - dem fundamentalen Uhrwerk - hatte man den Namen
„verborgene Variablen“ gegeben. Bei dem Experiment ging es um das Verhalten von zwei Photonen, also
„Lichtteilchen“, die von einer Quelle in entgegengesetzter Richtung davonfliegen. Die beiden Photonen aus
einer einzigen Quelle können mit Hilfe von zwei Detektoren beobachtet werden, die eine Polarisation genannte
Eigenschaft messen. Der Quantentheorie zufolge existiert diese Eigenschaft nicht, solange sie nicht gemessen
wird. Nach der Vorstellung von „verborgenen Variablen“ weist aber jedes Photon vom Augenblick seiner
Erzeugung an eine „wirkliche“ Polarisation auf. Da die beiden Photonen gleichzeitig emittiert werden, besteht
zudem ein Zusammenhang zwischen ihrer jeweiligen Polarisation. Die Art des Zusammenhangs, die tatsächlich
gemessen wird, hängt jedoch davon ab, welche der beiden erwähnten Realitätsvorstellungen man vertritt. Die
Ergebnisse dieses entscheidenden Experiments waren eindeutig. Man fand nicht jenen Zusammenhang, der
nach der Theorie von den verborgenen Variablen zu erwarten war, sondern im Gegenteil den Zusammenhang,
den die Quantenmechanik vorhersagte. Ausserdem stellte man fest, dass die Messung, die an einem Photon
vorgenommen wird, sich - wie ebenfalls von der Quantentheorie vorhergesagt - direkt auf die Eigenschaften des
anderen Photon auswirkt. Beide sind unentwirrbar durch eine Wechselwirkung miteinander verbunden, obwohl
sie sich mit doppelter Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen, und wir aus der Relativitätstheorie wissen,
dass kein Signal sich schneller als Licht fortpflanzen kann. Die Experimente beweisen, dass es eine der Welt
zugrunde liegende Realität an sich nicht gibt. „Realität“ im üblichen Sinne ist keine angemessene Vorstellung
über das Verhalten der fundamentalen Teilchen, aus denen das Universum sich zusammensetzt. Andererseits
scheinen diese Teilchen gleichzeitig unzertrennlich in einem unteilbaren Ganzen verbunden zu sein, so dass
jedes weiss, was mit den übrigen geschieht. Die Suche nach einer Erklärung für das Verhalten von
Schrödingers Katze war die Suche nach der Quanten-Realität. Nach diesem kurzen Abriss könnte man meinen,
Quantenchemie – eine Einführung
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die Suche sei fruchtlos gewesen, da es eine Realität im üblichen Sinne des Wortes nicht gibt. Aber damit ist die
Geschichte noch nicht ganz zu Ende, und es könnte sein, dass wir auf jener Suche zu einem neuen
Verständnis jener Realität gelangen, welche die herkömmliche Interpretation der Quantenmechanik übersteigt
und dennoch einschliesst. Es ist allerdings ein langer Weg. Er begann mit einem Wissenschaftler, den es wohl
noch stärker gegraust hätte als Einstein, hätte er die Antworten sehen können, die wir inzwischen auf jene
Fragen gefunden haben, über die er sich bereits den Kopf zerbrach. Isaac Newton hat, als er vor dreihundert
Jahren die Natur des Lichts studierte, nicht ahnen können, dass er sich schon auf dem Wege befand, der zu
Schrödingers Katzenparadoxien führt.
3 Wellen
Zu Beginn möchten wir einen Überblick über die für die Quantenchemie wichtigsten Teile der Wellenlehre
1
geben .
Als Welle bezeichnet man eine von einem Erreger aus gehende Störung. Dabei wird nicht Materie
weitergeleitet, sondern Energie. Ist die Störung zeitlich und räumlich gleichmässig (Sinuswelle), spricht man von
einer harmonischen Welle. Als Schwingung bezeichnet man eine Bewegung, die in periodischer Folge um die
Ruhelage erfolgt. Ein solches Teilchen, das eine Schwingung ausführt, bezeichnet man seinerseits als
Oszillator. Bei einer Welle unterscheidet man zwischen zwei Geschwindigkeiten. Die Geschwindigkeit der
einzelnen Oszillatoren ist die Teilchengeschwindigkeit, bei der Ausbreitungsgeschwindigkeit versteht man die
Geschwindigkeit, mit der sich eine Welle ausbreitet.
Abbildung 1: Momentanbild einer harmonischen Welle
1
Ausführlicher finden Sie die Wellentheorie in Ihrem Physikbuch
Seite 8
Quantenchemie – eine Einführung
Bei einer harmonischen Welle gelten folgende physikalischen Beziehungen:
c=
λ
T
c=λŸf
und
dabei gilt:
f=
1
T
λ (Lambda) ist die Wellenlänge (kürzester Abstand zweier phasengleich schwingender Oszillatoren), c die
Ausbreitungsgeschwindigkeit, T (Schwingungsdauer) die Zeit während der eine Welle die Strecke λ zurücklegt
-1
und die Frequenz f gibt an, wie viele Schwingungen pro Zeiteinheit erfolgen. Ihre Einheit ist Hertz (sec ). Die
Energie einer Welle berechnet sich folgendermassen:
E = ½ m f2 s2max
Sie ist also proportional zum Quadrat der maximalen Auslenkung.
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit hängt von den physikalischen Eigenschaften des Mediums ab, in dem sich die
2
Welle bewegt. So breiten sich Schallwellen in Helium schneller aus, da Helium leichter ist als Luft. Eine
menschliche Stimme ertönt daher höher (grössere Frequenz) wenn mit Helium gesprochen wird (λ kann nicht
verändert werden, da sie durch die Stimmbänder gegeben ist). Als zweites Beispiel sei die Messung der
Meerestemperatur erwähnt. Schallwellen breiten sich in warmem Wasser schneller aus als in kälterem Wasser.
So kann die Erhöhung der Wassertemperatur infolge des Treibhauseffektes genau bestimmt werden.
Zwei Wellen, die sich aufeinander zu bewegen, überlagern sich. Sind es zwei gleich grosse Wellenberge, die
aufeinander treffen, ergibt dies eine Verdoppelung der Amplitude (maximale Höhe einer Welle). Dies bezeichnet
man als konstruktive Interferenz. Trifft hingegen ein Wellenberg auf ein gleich grosses Wellental, löschen sich
die Wellen aus, was man als destruktive Interferenz bezeichnet:
Abbildung 2: Konstruktive Interferenz
2
Schallwellen sind zwar Longitudinalwellen, es gelten aber die gleichen Gesetze wie für Transversalwellen
Seite 9
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 3: Destruktive Interferenz
Bringt man ein Seil zum Schwingen, werden die Wellen vom anderen Ende zurückgeworfen und überlagern
sich mit den neu ausgesandten Wellen. Laufen nun zwei Wellen, die gleiche Frequenz, Wellenlänge und
Amplitude aufweisen, aufeinander zu, so bildet sich eine (scheinbar) stehende Welle als Ergebnis der
Interferenz aus. Die Orte, an denen die Oszillatoren zu keinem Zeitpunkt ausgelenkt werden, nennt man
Schwingungsknoten. Der Abstand zwischen zwei Schwingungsknoten entspricht der halben Wellenlänge. Die
Bereiche zwischen den Knoten nennt man Schwingungsbäuche.
L
n=1
n=2
n=3
n=4
Abbildung 4: Stehende Welle eines schwingenden Seils
Nur bestimmte Frequenzen des Erregers führen zu stehenden Wellen auf dem Seil. Da das Seil an zwei
Punkten fix ist, nämlich an der Wand und bei der Person, müssen dort immer Knoten vorhanden sein. Auf der
Seite 10
Quantenchemie – eine Einführung
übrigen Länge des Wellenträgers variiert die Anzahl der Knoten je nach Frequenz des Erregers. Man spricht in
diesem Zusammenhang von Eigenschwingung bzw. Eigenfrequenz des Wellenträgers.
Dadurch ergibt sich zwangsläufig folgende Wellenlänge bei einer stehenden Welle:
2L
λ=
n
L ist der Abstand zwischen den beiden fixen Enden, n ist der Schwingungszustand das Seils.
Eine stehende Welle kann sich aber nicht nur in einer Dimension, wie bei einem Seil oder einer Gitarre
ausbilden, sondern auch in zwei Dimensionen, wie dies bei einer Trommel geschieht. In diesem Fall
3
entsprechen die Bäuche einer Fläche, die Knoten einer Linie .
Abbildung 5: Eine mit Pulver bestreute Kesselpauke bringt sechs von ihren vielen möglichen Schwingungsmuster zum Vorschein
3
Vgl. dazu http://www.fhbb.ch/pages/abteilungen/chemie/Stmue/Wellen.htm
oder die entsprechenden Dateien auf dem O:
Seite 11
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 6: Schwingungsformen einer
quadratischen „Pauke“
4 Der Welle-Teilchen-Dualismus
Die ersten Anläufe der Physiker zu einer Quantentheorie waren meist Versuche, die Natur des Lichts zu
verstehen. Bereits im 17. Jahrhundert hatte Isaac Newton vorgeschlagen, Licht als einen Strom von Teilchen
anzusehen - vergleichbar dem Kugelhagel eines Maschinengewehrs. Zwar gab es vereinzelt auch andere
Ansichten, doch war Newtons Autorität derart gross, dass seine Theorie bis ins 19. Jahrhundert hinein der Kritik
standhielt. Damals konnten Thomas Young und andere schliesslich überzeugend darlegen, dass das
Teilchenbild des Lichts falsch sein musste. Sie favorisierten statt dessen die Idee, Licht als eine Art
Wellenbewegung aufzufassen. Eine typische Eigenschaft von Wellen ist das Auftreten von „Interferenz“, wie
man die Erscheinungen bei der Überlagerung zweier Wellen bezeichnet. Young verschaffte sich mit seiner
berühmten „Doppelspalt“-Vorrichtung zwei Lichtquellen und konnte damit Interferenzmuster bei Licht
beobachten. Bei einem Laserstrahl, der nichts anderes als Licht einer einzigen Wellenlänge ist, ist dieses
Interferenzmuster besonders deutlich sichtbar.
Lange sollten sich die Physiker über dieses Ergebnis nicht freuen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigten
sich in einigen Experimenten Phänomene, die mit der Wellentheorie des Lichts nicht erklärt werden konnten.
Das berühmteste dieser Experimente betraf den sogenannten „photoelektrischen Effekt“. Ultraviolettes Licht,
das man auf eine negativ geladene Metallplatte richtete, entlud die Platte - sichtbares Licht jedoch zeigte
keinerlei Wirkung, auch wenn seine Intensität erhöht wurde. Anschaulich können wir diese Tatsache mit einem
Tennisball und einer Bleikugel vergleichen, die wir gegen eine Wand werfen. Der Tennisball hinterlässt absolut
keine Spuren an der Wand, auch wenn wir die Wurfintensität erhöhen. Die Bleikugel hingegen hinterlässt schon
nach einem Wurf ein Loch in der Wand. Es war Albert Einstein, der dieses Rätsel als erster auflöste, im selben
Jahr übrigens, in dem er seine Relativitätstheorie veröffentlichte, durch die er später berühmt wurde. Seine
Erklärung des photoelektrischen Effekts liess das Teilchenbild des Lichts wieder aufleben. Die Metallplatte
entlud sich demnach, weil deren Elektronen durch einzelne kleine Energiepakete herausgeschlagen wurden, in
denen die Lichtenergie konzentriert ist - sie werden heute „Photone“ genannt. Einstein zufolge sind die
Photonen des sichtbaren Lichts energieärmer als die des ultravioletten Lichts, so dass man soviel sichtbares
Licht auf das Metall richten kann wie man will - keines der sichtbaren Photonen besitzt genügend Energie, um
ein Elektron herauszuschlagen. Die Verwirrung unter den Physikern war gross, und es dauerte einige
Jahrzehnte, bis mit dem Aufkommen der Quantenmechanik in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts
durch die bahnbrechenden Arbeiten von Werner Heisenberg, Ernst Schrödinger, Paul A. M. Dirac und anderen
ein Weg aus dieser Sackgasse gefunden wurde. Diese Theorie konnte die so widersprüchlich anmutenden
Eigenschaften des Lichts, den Aufbau der Atome, aber auch vieles andere mehr, erfolgreich erklären. Der Preis
für diesen Erfolg ist jedoch hoch. Wir müssen jegliche Hoffnung aufgeben, die Vorgänge auf atomarer Ebene
mit unseren gängigen Begriffen und Vorstellungen wie Teilchen und Wellen anschaulich beschreiben zu
können. Ein Photon verhält sich anders als alles, was uns bisher je begegnet ist. Das heisst aber nicht, dass die
Quantenchemie – eine Einführung
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Quantenmechanik nicht mit klaren, genau definierten Begriffen arbeiten würde oder keine aussagekräftigen
Prognosen stellen könnte - im Gegenteil: Die Quantenmechanik ist die einzige Theorie, die wir kennen, die
eindeutige und erfolgreiche Voraussagen für Systeme atomarer und subatomarer Grössenordnung machen
kann, ganz ähnlich wie dies die Klassische Mechanik für das Verhalten von Billardkugeln, Raketen oder
Planeten tut. Die Schwierigkeit mit Quantenobjekten wie Photonen liegt darin, dass wir uns kein präzises
anschauliches Bild von ihrer Bewegung machen können. Wir müssen uns sozusagen mit der Feststellung
begnügen, dass das Verhalten der Photonen die typisch quantenmechanischen Züge trägt. In einer Hinsicht
allerdings hat es die Natur gut mit uns gemeint. Vom klassischen Standpunkt aus gesehen sind Photon und
Elektron grundlegend verschiedene Objekte; in der Quantenwelt verhalten sich Elektron und Photon jedoch in
bemerkenswerter Weise ähnlich: Das seltsame, typisch quantenmechanische Verhalten ist ihnen, wie allen
anderen Quantenobjekten, gemeinsam – wenigstens ein kleiner Trost dafür, dass wir die Quantenwelt nicht
bildhaft darstellen können. Die Geschichte der verschiedenen Versuche, die Beschaffenheit des Elektrons zu
verstehen, entbehrt nicht einer gewissen Komik. 1897 hatte J. J. Thomson das Verhältnis von elektrischer
Ladung zur Masse des Elektrons experimentell bestimmen können und dadurch das Elektron als fundamentales
Teilchen der Natur in die Physik eingeführt; 30 Jahre später gelang es seinem Sohn G. P. Thomson etwa
gleichzeitig mit Davisson und Germer in den USA, den Wellencharakter des Elektrons in einer Reihe sehr
schöner Experimente schlüssig nachzuweisen. Den Wissenschaftshistoriker Max Jammer veranlasste dies zu
der Bemerkung, man sei geneigt zu sagen, dass Thomson senior den Nobelpreis bekam, weil er gezeigt hatte,
dass das Elektron ein Teilchen ist, und Thomson junior dafür, dass es eine Welle ist. Auch William Bragg, der
zusammen mit seinem Sohn im Jahr 1915 für Kristalluntersuchungen mit Röntgenstrahlen den Nobelpreis
bekam, brachte das Dilemma der Physiker auf den Punkt, als er verzweifelt ausrief, dass er montags, mittwochs
und freitags die Korpuskulartheorie des Lichts lehre, dienstags, donnerstags und samstags jedoch die
Wellentheorie.
Im folgenden wird anhand des Doppelspaltexperimentes gezeigt, wie Elektronen einerseits als Teilchen,
andererseits als Wellen aufgefasst werden können. Dazu zuerst zwei Experimente mit ähnlichem
Versuchsaufbau.
4.1
Das Doppelspaltexperiment mit Gewehrkugeln
In unserem ersten Experiment benutzen wir als „Quelle“ ein hin und her schwingendes Maschinengewehr, das
die Kugeln mit gleicher Geschwindigkeit, aber zufällig verteilt in einen Raumkegel feuert. Eine Panzerplatte mit
zwei parallelen Spalten dient als „Doppelspaltblende“, und eine Reihe kleiner Sandbüchsen als „Detektor“, um
die Kugeln aufzufangen. Das Gewehr feuert seine Kugeln mit einer gleichbleibenden Ausstossrate ab, und wir
können die Kugeln zählen, die während eines vorgegebenen Zeitraums in einer beliebig ausgewählten
Detektorbüchse ankommen. Die Kugeln können entweder geradewegs durch die Spalte hindurch fliegen oder
auch an ihrer Kante abprallen, auf alle Fälle aber werden wir sie in einer der Büchsen wiederfinden. Die Kugeln
sollen so hart sein, dass sie beim Versuch nicht auseinanderbrechen und wir keine halben Kugeln in den
Büchsen vorfinden. Zudem werden nie zwei Kugeln gleichzeitig ankommen - wir benutzen ja nur ein Gewehr,
und jede Kugel ist ein einzelnes, für sich identifizierbares Massestückchen.
Seite 13
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 7: Eine schematische Darstellung eines Doppelspaltexperiments mit Gewehrkugeln
In Abb. 7 ist links der experimentelle Aufbau skizziert, rechts sind die Ergebnisse für die drei verschiedenen
Experimente nebeneinander aufgetragen. Kugeln, die Spalt 1 passiert haben, sind als weisse Kreise
gezeichnet, während die durch Spalt 2 hindurchgegangenen Kugeln durch schwarze Kreise dargestellt sind. Die
erste - mit P1 überschriebene - Kolonne zeigt die Verteilung der im Detektor ankommenden Kugeln für den Fall,
dass Spalt 1 geöffnet und Spalt 2 geschlossen ist. Die zweite Kolonne, mit P2 bezeichnet, zeigt die ganz
ähnliche Verteilung bei geschlossenem Spalt 1 und geöffnetem Spalt 2. Die maximale Anzahl an Kugeln erhält
man beide Male in den Auffangbüchsen, die um die direkte Verlängerung der Flugbahn durch den jeweils
offenen Spalt liegen. Die letzte Verteilung (P12) zeigt das Ergebnis mit zwei geöffneten Spalten. Ob eine Kugel
durch den ersten oder zweiten Spalt hindurchgegangen war, ist eine Sache des Zufalls, und dementsprechend
sind die weissen und schwarzen Kugeln in den Auffangbüchsen völlig durcheinandergeworfen. Wichtig ist hier
die Beobachtung, dass - wenn beide Spalte geöffnet sind - in jeder der Büchsen die Zahl der Kugeln gleich ist
der Summe der beiden entsprechenden Anzahlen, wenn jeweils nur der eine oder der andere Spalt geöffnet ist.
Das muss so sein, denn es ist klar, dass die Kugeln nur die Wahl haben, durch einen der beiden Spalte zu
fliegen, um zum Detektor zu gelangen. Es gilt also:
P12 = P1 + P2
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Quantenchemie – eine Einführung
4.2
Doppelspaltexperiment mit Wasserwellen
Ein Stein, den wir in ein grosses Wasserbecken werfen, dient uns als „Quelle“ für die Wasserwellen; als
„Doppelspaltblende“ legen wir einen Damm, der an zwei Stellen durchbrochen ist, quer über die
Wasseroberfläche, und eine Reihe kleiner, auf dem Wasser treibender Bojen, deren Auf- und Abbewegung uns
ein Mass für den Energiegehalt der Welle an der betreffenden Stelle gibt, bildet unseren „Wellendetektor“. Die
Wasserwellen breiten sich von ihrem Ausgangspunkt aus, bis sie den Damm erreichen. Auf der anderen Seite
des Damms bilden sich an den beiden Dammlücken zwei neue, kreisförmige Wellenzüge, die sich von dort
weiter ausbreiten; die Bewegung der Wasseroberfläche am Detektor resultiert also aus der Überlagerung dieser
beiden Wellenbewegungen. Schauen wir uns die Reihe der Bojen genauer an, so sehen wir, dass an manchen
Stellen ein Wellenkamm, der vom Dammspalt 1 ausging, auf einen Wellenkamm von Spalt 2 trifft, wodurch sich
eine sehr heftige Auf- und Abbewegung der entsprechenden Boje ergibt. An anderen Stellen wiederum wird ein
Wellenkamm von einem der beiden Spalte mit einem Wellental des anderen zusammentreffen, so dass sich die
Bojen dort überhaupt nicht bewegen; irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegen die Verhältnisse für die
Bojen an den anderen Positionen. Die Auf- und Abbewegung der Bojen als Ganzes entspricht dem Bild einer
stehenden Welle: Zwischen den periodisch auftretenden festen Knoten dieser Welle, an denen die Bojen in
Ruhe sind, bilden sich die Wellenbäuche, in denen die Bojen zwischen ihren jeweiligen maximalen
Auslenkungen hin- und herschwingen. Wenn wir die pro Zeiteinheit, also pro Sekunde an einem Ort
ankommende Energie als Intensität (I) bezeichnen, ergibt sich zwischen der Intensität und der maximalen
Wellenhöhe (h) folgenden Zusammenhang (abgesehen von Proportionalitätsfaktoren):
I = h2 (vgl. Energie-Amplituden-Beziehung)
Abbildung 8: Wasserwellen an einem Damm
mit zwei Spalten
Seite 15
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 9: Das Doppelspaltexperiment mit Wasserwellen
Analysiert man das Experiment, sieht das Resultat wie in Abb. 9 dargestellt aus. Die von den beiden
Dammspalten ausgehenden Wellenkämme sind schematisch in die Abbildung eingezeichnet (vergleiche auch
Abb. 8). Wenn lediglich Spalt 1 geöffnet ist, erhält man die nur wenig schwankende Intensitätsverteilung der
ersten Kolonne (I1); sie ist der Verteilung P1 ganz ähnlich, die wir für die Gewehrkugeln in Abb. 7 erhielten. Das
Maximum liegt wieder in der Verlängerung der Linie, die Quelle und Spalt 1 miteinander verbindet. Die
Verteilung I2 in der zweiten Kolonne, bei der Spalt 1 geschlossen und Spalt 2 geöffnet war, erscheint gegenüber
der ersten lediglich etwas verschoben. Die letzte Kolonne I12 jedoch zeigt die völlig anders geartete
Intensitätsverteilung für den Fall, dass beide Spalte geöffnet sind: Im Gegensatz zur entsprechenden Verteilung
P12 für Gewehrkugeln ergibt sie sich gerade nicht aus der Summe der beiden Verteilungen I1 und I2, die man mit
jeweils nur einem geöffneten Spalt erhielt. Die resultierende Intensität (I12) berechnet sich vielmehr nach:
I12 = (h1 + h2)2 = h12 + 2 h1h2 + h22
Diese stark schwankende Intensitätskurve ist eine typische Interferenzerscheinung.
4.3
Doppelspaltexperiment mit Elektronen
Wir benutzen als „Quelle“ eine sogenannte Elektronen-„Kanone“, einen glühenden Metalldraht, aus dem
Elektronen „verdampfen“ und an den eine elektrische Spannung angelegt wird, um die Elektronen zu
beschleunigen. Eine dünne Metallplatte mit zwei schmalen Spalten dient uns als „Blende“. Die auf der anderen
Quantenchemie – eine Einführung
Seite 16
Seite ankommenden Elektronen registrieren wir mit einem „Detektorschirm“, der mit einer phosphoreszierenden
Substanz beschichtet ist; diese gibt bei jedem Aufprall eines Elektrons einen Lichtblitz ab.
Abbildung 10: Das Doppelspaltexperiment mit Elektronen
Wie beim Experiment mit Gewehrkugeln finden wir auch hier, dass die Elektronen als einzelne
Materieklümpchen gleicher Grösse ankommen, die - jeweils durch einen Lichtblitz im Detektor angezeigt - zu
einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle lokalisiert werden. Fahren wir die Intensität der
Elektronenkanone herunter, verdampfen also weniger Elektronen pro Minute, sehen wir immer noch Lichtblitze
derselben Helligkeit, nur dass weniger Elektronen während einer Minute ankommen. Ganz analog zum
Gewehrkugelexperiment können wir die Lichtblitze, die wir an einer bestimmten Stelle im Detektor in einem
festen Zeitintervall beobachten, zählen und somit ein Mass für die Ankunftswahrscheinlichkeit der Elektronen in
Abhängigkeit vom Auftreffort gewinnen. Falls nur Spalt 1 geöffnet ist, erhalten wir die Verteilung P 1.
Entsprechend die Verteilung P2, wenn Spalt 2 geöffnet ist. Die ganze Eigentümlichkeit der Quantenmechanik
offenbart sich uns in dieser einen Verteilung! Die Kurve P12 ist nichts anderes als das charakteristische
Interferenzmuster von Wellen, obgleich doch - wie wir gesehen haben - die Elektronen wie einzelne Kugeln
ankommen. P12 ist also nicht die Summe von P1 und P2; deshalb kann man nicht sagen, durch welchen Spalt
ein bestimmtes Elektron gekommen ist. Um diese Unsicherheit anzudeuten, sind die Elektronen, die ja immer
noch wie einzelne Kügelchen ankommen, halb weiss, halb schwarz aufgezeichnet. Das ist seltsam genug;
schauen wir uns das Ergebnis jedoch genauer an, dann wird die Sache noch mysteriöser. Betrachten wir dazu
eine Stelle auf dem Detektorschirm, an der das Interferenzmuster ein Minimum aufweist, wenn beide Spalte
Seite 17
Quantenchemie – eine Einführung
geöffnet sind. An dieser Stelle finden wir tatsächlich weniger Elektronen vor, als wir erhielten, wenn wir das
Experiment mit nur einem geöffneten Spalt wiederholten! Wir würden dann nämlich die ebenfalls in Abb. 10
eingezeichneten „Einzelspalt“-Verteilungen bekommen, die mit denen der Wasserwellen identisch sind. Wie
verträgt sich das aber mit der Tatsache, dass sich die Elektronen bei ihrer Ankunft wie feste Materiekügelchen
verhielten? Sollte sich das Elektron etwa in zwei Hälften aufgespalten haben, die jeweils durch einen der beiden
Spalte hindurchgegangen waren? Nein - Elektronen werden immer als Ganzes beobachtet, wie die
Gewehrkugeln: sie sind an einer bestimmten Stelle entweder ganz da oder nicht da. Seit es die
Quantenmechanik gibt, haben sich immer wieder Menschen den Kopf darüber zerbrochen, ob man nicht einen
Ausweg aus diesem Dilemma finden könne. Soweit wir wissen, gibt es ihn nicht. Es scheint so, als würden die
Elektronen als Teilchen in der Elektronenkanone starten und als Teilchen im Detektor ankommen, doch ist ihre
Verteilung dort so, als würden sie sich unterwegs als Wellen fortpflanzen. Wie wir gesehen haben, können wir
Interferenz mathematisch sehr einfach beschreiben; im Falle der Wasserwellen ergab sich die Interferenzkurve
einfach aus der Addition der jeweiligen Auslenkungen der beiden Wellen, die von Spalt 1 beziehungsweise
Spalt 2 ausgingen und zum Detektor gelangten. Die gemessene Intensität oder Energie der Welle war dabei mit
dem Quadrat der maximalen Wellenauslenkung (Amplitude) verknüpft. Ganz analog können wir nun die
Interferenz von Elektronen mathematisch beschreiben. In diesem Fall messen wir allerdings nicht die Intensität
einer realen Wellenbewegung, sondern die Ankunftswahrscheinlichkeit für ein Elektron; übertragen wir unsere
einfache mathematische Überlegung auf die Elektroneninterferenz, so müssen wir entsprechend nach einer Art
Wellenamplitude für Elektronen suchen. Was aber bedeutet die Amplitude einer solchen „Elektronenwelle“? Das
Quadrat dieser Wellenamplitude entspricht der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons an der betreffenden
Stelle, und man nennt diese Grösse daher „quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsamplitude“; wir
bezeichnen sie im folgenden mit dem Symbol a. Die Gleichungen für die Ankunftswahrscheinlichkeit der
Elektronen sehen dann genauso aus wie die Gleichungen für die Intensitäten der Wasserwellen, mit
Wahrscheinlichkeiten P (von englisch probability) und Quantenamplituden a anstatt Intensitäten I und
Wellenauslenkungen h. Wir erhalten dann jeweils für den Fall zweier geöffneter Spalte beziehungsweise eines
geöffneten Spalts die Gleichungen
P1 = a 1 2
P2 = a 2 2
P12 = (a1 + a2)2
Wie zuvor addieren sich auch hier nur die zugrundeliegenden Wellenauslenkungen, nicht jedoch die
gemessenen Wahrscheinlichkeiten.
So bleibt uns also nur die Schlussfolgerung, dass Elektronen im Hinblick auf ihre räumliche Verteilung im
Detektor wie Wellen miteinander interferieren, andererseits aber dort wie Gewehrkugeln als diskrete
Materieteilchen einzeln registriert werden. Das ist eigentlich gemeint, wenn man davon spricht, dass sich
Quantenobjekte manchmal wie eine Welle und manchmal wie ein Teilchen verhalten. Sie mögen das
geheimnisvoll finden - es ist geheimnisvoll. Wir können das Rätsel der Quantenmechanik nicht weiter auflösen;
alles was wir tun können, ist zu beschreiben, wie sich uns das Verhalten der Quantenobjekte darstellt. Genau
das leistet die Quantenmechanik.
5 Heisenbergs Unschärferelation und Schrödingers Gleichung
Kann man denn nicht durch eine geeignete Anordnung der Messapparatur den Weg eines Elektrons
bestimmen? Was würde dies bedeuten? Damit ein Elektron „sichtbar“ gemacht werden kann, d.h. sein Ort
Seite 18
Quantenchemie – eine Einführung
bestimmt werden kann, muss Licht, also Photonen, hinter die Spalten geschickt werden. Eine Gewehrkugel
würde dies nicht gross stören, hingegen ein Elektron kann durch das Photon aus „seiner Bahn“ geworfen
werden. Tatsächlich beobachtet man bei einer derartigen Versuchsanordnung, dass das typische
Interferenzmuster verschwunden ist. Die Verteilung präsentiert sich vielmehr gleich wie bei den Gewehrkugeln!
Für mikroskopische Objekte ist also dieser Stoss – Wechselwirkung zwischen Messapparatur und Messobjekt –
nicht mehr vernachlässigbar. Dies ist, in einfachen Worten ausgedrückt, der Inhalt der Heisenbergschen
4
Unschärferelation. Ort und Geschwindigkeit eines Quantenteilchens kann nicht gleichzeitig festgestellt werden .
Die Heisenbergsche Unschärferelation drückt die Beziehung zwischen den jeweiligen Unschärfen der Orts- und
Impulsmessung in folgender Weise aus:
∆x Ÿ ∆p = h (Plank’sches Wirkungsquantum: 6.67 Ÿ 10-34 Js)
Die Vorstellung einer Materiewelle (Wellen- und Teilcheneigenschaften, Louis de Broglie) ist nötig, um die
Eigenschaften von atomaren Teilchen zu verstehen. 1926 gelang es schliesslich Erwin Schrödinger eine
Gleichung zu finden, mit deren Hilfe die Wellenfunktionen (Ψ) für Elektronen ermittelt werden können. Ihr Zweck
war es, das Verhalten eines subatomaren Teilchens in derselben Weise zu beschreiben, wie dies bei
makroskopischen Teilchen durch die klassische Mechanik geschieht. Die Schrödinger-Gleichung sieht auf den
ersten Blick sehr kompliziert aus. Sie sagt aber nur aus, dass die Summe der kinetischen Energie (Ekin) und der
potentiellen Energie (Epot) die gesamte Energie (Eges) des Elektronensystems ergibt:
Eges =
E (Ψ) =
EKin
+ EPot
 ∂2Ψ ∂2Ψ ∂2Ψ 
 + V (Ψ)
⋅
+
+
8 ⋅ π 2  ∂x 2
∂y 2
∂z 2 
h2
∇ 2 (Laplace-Operator)
oder:
∇2Ψ +
8π 2 m
(E − V ) = 0
h2
Ψ:
Wellenfunktion des betrachteten Elektrons. Damit lässt sich die maximale Amplitude der Materiewelle an
jedem Ort (x, y, z) berechnen.
V: Potentielle Energie
m: Masse des Teilchens
h: Planksches Wirkungsquantum
Die Lösung der Wellengleichung ist die Wellenfunktion Ψ. Für reale Wellen entspricht Ψ der Amplitude der
Welle und besitzt demgemäss bei der vorliegenden Anwendung keine physikalische Realität. Jedoch so, wie
beispielsweise die Intensität einer Lichtwelle durch das Quadrat ihrer Amplitude dargestellt wird, ist die
Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Teilchens proportional dem Quadrat seiner Wellenfunktion ( Ψ ).
2
4
vgl. dazu Fussnote 14 im Chemiebuch S. 44
Seite 19
Quantenchemie – eine Einführung
Der herausragende theoretische Physiker Richard Feynman meinte einmal zur Schrödinger-Gleichung: „Woher
haben wir diese Gleichung? Nirgendwoher. Es ist unmöglich, sie aus irgend etwas Bekanntem herzuleiten. Sie
ist Schrödingers Kopf entsprungen“.
Als Wellenmechanik oder Quantenmechanik bezeichnet man nun das Teilgebiet der Quantenphysik, dessen
Aufgabe es ist, Werte von Ψ zu ermitteln. Grundlage dazu ist die Schrödinger-Gleichung. Mit Hilfe dieser
Gleichung
lassen
sich
die
verschiedenen
Grössen
(Aufenthaltswahrscheinlichkeit,
Impuls,
Energie,
Ionisierungsenergien etc.) berechnen. Ausgehend von der Wellenmechanik gelang es, das wellenmechanische
Atommodell zu entwickeln, das zu einem grundlegenden Verständnis der chemischen Bindung führt.
Die Beschreibung eines Elektrons einmal durch ein Teilchen und ein anderes Mal durch ein Wellenmodell führte
zu einer neuen Beschreibung einfacher Systeme, wie eindimensionaler Kasten und Quaderhohlraum. Diese
einfachen Analogien können dann auf die Atome und schliesslich auf Atomverbände übertragen werden, wobei
die Komplexität der Betrachtung zunimmt, so dass mathematische Näherungsverfahren verwendet werden
müssen.
6 Das Teilchen (e-) im Kasten
Allgemein kann die Lösung der Wellengleichung für ein Atom sehr schwierig oder sogar unmöglich sein. Das
nun folgende Gedankenmodell dient, wie oft bei solchen Modellen, ein komplexes System auf das wesentlichste
zu reduzieren. Ein Teilchen, das in einem Kasten eingeschlossen ist, verhält sich in gewisser Weise ähnlich wie
ein Elektron, das in einem dreidimensionalen Atom gebunden ist. Eine noch grössere Analogie zum Kasten
besteht etwa zu einem linearen Molekül mit konjugierten Doppelbindungen, in denen sich ein Elektron über die
gesamte Länge des Moleküls bewegen kann.
Betrachten wir ein Elektron in einen 1-dimensionalen Kasten wie er in Abbildung 11 dargestellt ist. Man stellt
sich dabei vor, dass das Elektron zwischen zwei parallelen (unendlich hohen) Wänden im Abstand L reflektiert
wird. In den Bereichen I und III (ausserhalb des Kastens) soll die potentielle Energie unendlich gross sein (das
Teilchen kann den Kasten nicht verlassen), und innerhalb soll sie null sein. Die klassische, Newton‘sche
Mechanik sagt für ein solches Teilchen voraus, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit überall gleich gross ist
und dass die kinetische Energie des Teilchens jeden beliebigen Wert annehmen kann. Die Wellenmechanik
führt zu ganz anderen Ergebnissen:
∞
∞
I
II
III
V=∞
V=0
V=∞
0
Abbildung 11: Ein Elektron eingeschlossen in einem Kastenpotential
x
L
Seite 20
Quantenchemie – eine Einführung
5
Nach de Broglie , der allen bewegten Teilchen einen Wellencharakter zuordnete („alles hat seine Wellenlänge“),
können wir dem Elektron eine stehende Materiewelle zuordnen. Die undurchdringlichen Kastenwände
reflektieren diese Elektronenwelle. Damit sich die Welle nicht durch Interferenz auslöscht (das Elektron würde
damit nicht mehr existieren), sind nur ganz bestimmte Schwingungszustände möglich, wie dies auch bei einem
Seil der Fall ist (vgl. Abb. 4). Wie findet man nun die Wellenfunktion für die angenommene Materiewelle?
1. Die Materiewelle bildet eine stehende Welle mit Knoten an den Wänden im eindimensionalen Kasten
(Randbedingungen) à Man sucht nun eine Wellenfunktion, die diese Randbedingungen und die
Schrödinger-Gleichung erfüllt: Ψn(x)
2. Durch Einsetzen der Wellenfunktion in die Schrödinger-Gleichung erhält man einen Ausdruck für die
möglichen Energiezustände der Materiewelle des Elektrons
3. Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron an einer Stelle des Kastens anzutreffen, ist proportional zu Ψ2n (x)
(Quadrat der Amplitude)
An den Kastenwänden müssen sich Knoten befinden, die Wellenfunktion muss die Schrödinger-Gleichung
2
erfüllen und das Quadrat der Amplitude (Ψ (x)) muss über den ganzen Kasten integriert 1 ergeben, was nichts
anderes bedeutet, als dass das Elektron mit 100 %-iger Sicherheit irgendwo im Kasten ist. Lösungen, die diese
Bedingungen erfüllen sind in der folgenden Abbildung dargestellt:
5
De Broglie verknüpfte dabei in seiner Dissertation die Einsteinsche Masse-Energie-Beziehung E = m c2 mit der Planckschen Gleichung für die Energie
von Lichtquanten E = h · f. De Broglie nahm an, dass dem Licht einer bestimmten Frequenz f Photonen einer bestimmten Masse m zugeordnet werden
müssen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit c fortbewegen.
c
c⋅h
h
Mit m · c2= h · f und λ =
ergibt sich λ =
; es folgt: λ =
f
m⋅c
m ⋅ c2
Diese Beziehung, die zunächst nur für die Photonen galt, übertrug de Broglie auf bewegte Teilchen, deren Geschwindigkeit kleiner als c ist (v < c) und
deren Teilchen den Impuls p = m·v haben.
h
h
Die Wellenlänge berechnet sich dann zu λ =
=
m⋅v p
Seite 21
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 12:
Das Teilchen im Kasten: (a) Wellenfunktionen und (b) Wahrscheinlichkeitsfunktionen; bzw.
Aufenthaltswahrscheinlichkeiten (nach F.L.Pilar „Elementary Quantum Chemistry“, Mc Graw-Hill, New York,
1968)
Wie lassen sich nun die aufgezeichneten Graphen der Wellenfunktion interpretieren? Zum einen sind nur ganz
bestimmte Schwingungszustände für die stehende Materiewelle möglich. Zum anderen lassen sich Aussagen
über die Amplitude dieser Elektronenwelle machen
1. Entgegen der klassischen Voraussage ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für das Teilchen nicht
konstant, sondern eine Funktion von x. Ausserdem hängt die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen in einem
bestimmten Bereich des Kastens zu finden, von der Energie des Teilchens ab.
2. Ein weiterer Unterschied zu den klassischen Voraussagen ist die Tatsache, dass nur bestimmte
Energie-Werte (Quantisierung) erlaubt sind, die mit der Quantenzahl n verknüpft sind. Die Energie null
(n = 0) ist nicht erlaubt, andernfalls wäre Ψ = 0, die Lösung also trivial – die Wahrscheinlichkeit, das
2
Teilchen zu finden wäre null (Ψ = 0); es gäbe also gar kein Teilchen im Kasten.
3. Ausserdem wächst die Energie mit n à En ≈ n .
2
2
Um sich über quantisierte Energieniveaus und deren Wellenfunktionen verständigen zu können, ist es
zweckmässig, sie in irgendeiner Weise zu kennzeichnen. Wir führen deswegen eine „Quantenzahl“ n ein und
ordnen dem Grundzustand die Zahl n = 1 zu, dem ersten angeregten Zustand die Zahl n = 2, und so weiter. In
unserem einfachen Beispiel scheint dies trivial; für die meisten anwendungsorientierten Probleme, die natürlich
nicht mehr so einfach zu lösen sind wie unser Beispiel des Elektrons im Kasten, ist diese Kennzeichnung der
Wellenfunktionen und Energien durch Quantenzahlen jedoch von tieferer Bedeutung. Nichtsdestoweniger
bleiben unsere prinzipiellen Überlegungen weiter gültig: Die Schrödinger-Gleichung für realistischere
Situationen zu lösen, läuft also darauf hinaus, die Schwingungsmuster für kompliziertere Systeme zu
berechnen. Die Abb. 6 zeigt solche
„Klangfiguren“ für ein uns vertrauteres
Schwingungsobjekt. Hier kommen wir
nun
noch
zu
einem
charakteristischen
weiteren
Merkmal
quantenmechanischer Systeme, das in
unserem Kastenbeispiel nicht auftaucht.
Schauen wir uns dazu in Abb. 5 und 13
die
Schwingungsmodi
quadratischen
„Pauke“
einer
an:
Das
quantenmechanische Analogon - ein
Elektron in einem „zweidimensionalen
Kasten“ - hat exakt dieselben Lösungen.
Wenn wir jetzt die Wellenfunktionen
anhand ihrer Energien durchnumerieren,
stossen wir auf eine Schwierigkeit. Für
den niedrigsten Energiezustand gibt es
Abbildung 13:
2-dimensionale Wellenfunktionen mit
dazugehörigen Wahrscheinlichkeitsdichten;
oben und Mitte links: Grundzustand; oben und
Mitte rechts: in einer Schwingungsrichtung
angeregt; unten links und rechts: in beiden
Schwingungsrichtungen angeregt.
Seite 22
Quantenchemie – eine Einführung
genau eine mögliche Wellenfunktion, die wir durch eine einzige Quantenzahl n = 1 kennzeichnen. Für den
ersten
angeregten
Zustand
n
=
2
haben
wir
jedoch
die
Wahl
zwischen
zwei
unabhängigen
Schwingungsrichtungen x und y: Wir können entweder in x-Richtung den ersten Oberton anregen und in yRichtung den Grundton oder umgekehrt. Beide Möglichkeiten führen zu exakt derselben Energie. Wir benötigen
daher eine weitere Quantenzahl, um die beiden zu diesem Energiewert gehörenden Wellenfunktionen
voneinander zu unterscheiden. Zum Beispiel können wir durch den Zusatz x oder y spezifizieren, welche
Schwingungsrichtung „angeregt“ ist; wir unterscheiden also die Wellenfunktionen 2x und 2y. In einer solchen
Situation, in der es mehr als einen möglichen Quantenzustand mit derselben Energie gibt, sprechen wir von
„Entartung“ (oder „entarteten Zuständen“). Ähnliche Entartungen werden wir vorfinden, wenn wir uns mit den
Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms beschäftigen. Es sollte uns dann nicht mehr überraschen, dass wir bei
diesem - dreidimensionalen - Problem (hier befindet sich das Elektron in einem Quaderhohlraum) mindestens
drei Quantenzahlen benötigen werden, um alle möglichen Quantenzustände eindeutig zu kennzeichnen.
7 Wasserstoffatom
Um in der Quantenmechanik der chemischen Elemente etwas tiefer schürfen zu können, müssen wir noch mehr
über die Wellenfunktionen und Quantenzahlen wissen, die man für die Beschreibung des Wasserstoffatoms
braucht.
Wir
werfen
einen
Blick
auf
die
Wasserstoff-Wellenfunktionen,
das
heisst
auf
die
Wahrscheinlichkeitswellen für die Quantenzustände des Elektrons, die den Energieniveaus des Wasserstoffs
entsprechen. Wie schon erwähnt, müssen wir noch weitere Quantenzahlen einführen.
Die Überlegungen zum ein- (und analog zum dreidimensionalen Kasten) lassen sich auf das Wasserstoffatom
übertragen, wenn man die Wände des Quaderhohlraumes durch elektrostatische Anziehungskräfte ersetzt
(Randbedingung). Im Zentrum des Atoms befindet sich die positive Kernladung, in der Elektronenhülle die
negative Elektronenladung. Das Elektron im Wasserstoffatom lässt sich, gemäss der Wellenmechanik, mit einer
dreidimensionalen stehenden Elektronenwelle beschreiben. Entsprechend der Modellvorstellung einer
stehenden Materiewelle, kann das Elektron im Wasserstoffatom nur ganz bestimmte (diskrete) Energiezustände
annehmen.
Das rechnerische Vorgehen entspricht demjenigen des eindimensionalen Kastens:
1. „Suchen“ der Funktion der Materiewelle; Interpretation der Wellenfunktion
2. Einsetzen der Wellenfunktion in die Schrödinger-Gleichung, um die Energiezustände des Systems
Elektron-Proton zu erhalten
3. Quadrieren der Wellenfunktion; Interpretation der neuen Funktion; Aussage über die Elektronendichte
(Aufenthaltswahrscheinlichkeit) des Elektrons im entsprechenden Energiezustand.
Man stellt fest, dass die Lösung für das Wasserstoffatom drei Quantenzahlen n, l und ml erfordert, wie es für ein
dreidimensionales System zu erwarten ist. Jede Lösung, die sich für eine bestimmte Kombination von n, l und
ml ergibt, wird Eigenfunktion genannt und stellt ein Orbital des Wasserstoffatoms dar.
Diese zusätzlichen Quantenzahlen ergeben sich aus der Quantisierung einer anderen klassischen Grösse, des
Drehimpulses. In den folgenden Absätzen wollen wir versuchen, diese neuen Quantenzahlen etwas
eingehender zu charakterisieren. Wie sein Name schon sagt, hängt der Drehimpuls mit dem gewöhnlichen
Impuls zusammen; er spielt eine wichtige Rolle bei der Beschreibung von Systemen, in denen Teilchen um ein
Zentrum kreisen, wie zum Beispiel die Planeten um die Sonne. Stellen wir uns vor, wir würden ein Stück Seil an
Seite 23
Quantenchemie – eine Einführung
einem Ball befestigen, das andere Seilende in die Hand nehmen und nun den Ball immerzu um uns
herumschleudern.
Der Drehimpuls des Balls ist dann einfach das Produkt aus dem gewöhnlichen Impuls des Balls (Masse mal
Geschwindigkeit) und der Seillänge, also:
L=rxp
(Drehimpuls = Seillänge mal gewöhnlicher Impuls.)
Für konstante Seillänge gilt: Je schneller der Ball rotiert, desto grösser ist sein Drehimpuls. Den Drehimpuls
eines Objekts zu kennen, ist deshalb wichtig, weil er - wie die Energie - sowohl in klassischen als auch in
Quantensystemen insgesamt erhalten bleibt. Was passiert nun in unserem Gedankenexperiment, wenn wir,
während der Ball weiter kreist, das Seil verkürzen? Da sein Drehimpuls erhalten bleibt, muss, wenn die
Seillänge r abnimmt, der gewöhnliche Impuls p des Balls grösser werden - der Ball rotiert schneller. Auch in der
quantenmechanischen Behandlung des Wasserstoffatoms ist der Drehimpuls eine Erhaltungsgrösse. Die
Quantentheorie lässt jedoch nicht jeden beliebigen Wert für den Drehimpuls zu: Der quantenmechanische
Drehimpuls ist
- ähnlich
wie
die
Energie
-
quantisiert. Genau davon war Bohr ausgegangen,
als er seine stabilen Elektronenbahnen postulierte:
Der
Drehimpuls
wird
durch
zwei
neue
Quantenzahlen l und m beschrieben: Der Index l
legt den jeweiligen Betrag des Drehimpulses fest,
während die Quantenzahl m - grob gesprochen - die
räumliche Orientierung der Drehung ausdrückt. In
zwei Dimensionen kann man sich die Quantisierung
des Drehimpulses in etwa so vorstellen, wie es in
Abb. 14 gezeigt wird. Dreidimensional kann das
Elektron - ähnlich einem Kreisel – in den drei
verschiedenen Raumrichtungen rotieren. Stellen wir
uns noch einmal den Ball am Seil vor und lassen
ihn um die vertikale z-Achse rotieren: Der Ball
umkreist diese Achse also in der dazu senkrechten
Ebene, die von der x- und der y-Achse aufgespannt
wird. Quantenmechanisch entspricht diese Situation
dem
Zustand
m
=
+1,
dessen
Wahrscheinlichkeitsverteilung
ringförmige
rotations-
symmetrisch zur z-Achse ist und sich hauptsächlich
um die x-y-Ebene konzentriert. Der Zustand m = -1
entspricht einer Rotation in entgegengesetzter
Richtung - um die negative z-Achse -, so dass die
Bereiche
hoher
Aufenthaltswahrscheinlichkeit
Abbildung 14: Quantisierung des Drehimpuls
Seite 24
Quantenchemie – eine Einführung
wiederum um die x-y-Ebene herum zu liegen kommen. Beim m = 0-Zustand schliesslich sind sie in z-Richtung
orientiert und haben die Form einer Hantel, was in etwa einer Rotationsachse irgendwo in der x-y-Ebene
entspricht.
(Eine
exakte
Rotatationsrichtung
lässt
sich
nicht
angeben;
hier
kommt
wieder
die
quantenmechanische Unbestimmtheit ins Spiel!).
7.1
Orbitale6
Eine Wellenfunktion, die ein Elektron in einem Elektronensystem beschreibt, nennt man Orbital. Je nachdem,
ob es sich um ein Elektron eines Atoms oder eines Moleküls handelt, spricht man von Atom- oder
Molekülorbital. Die aus der Schrödinger-Gleichung berechneten Werte von ψ lassen sich nicht messen. Die
Orbitale sind mathematische Funktionen ohne anschauliche Bedeutung, die nicht beobachtbar (nicht
observabel) sind. Mittels solcher Wellenfunktionen können aber z.B. Energien von Atomen und Molekülen,
lonisierungsenergien, Bindungsenergien u.a. berechnet werden.
7
2
Hingegen erkannte Born , dass das Quadrat der Wellenfunktion (Ψ ) eine anschauliche Bedeutung hat: es ist
8
ein Mass für die Wahrscheinlichkeit, das Elektron an einer bestimmten Stelle zu finden , was sich auch
experimentell bestätigen liess. Das Quadrieren der Wellenfunktion liefert deshalb Aussagen darüber, wo und
mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron zu finden ist. Da sich diese Wahrscheinlichkeit auf ein
Volumenelement dV bezieht, gibt ψ die Wahrscheinlichkeitsdichte an (auch Elektronendichte, Ladungsdichte
2
9
oder Aufenthaltswahrscheinlichkeit pro Volumeneinheit genannt).
Es ist also möglich, Räume zu ermitteln, in denen sich Elektronen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit
aufhalten (z.B. 90%). Ein solcher Raum wird als Wahrscheinlichkeitsraum eines Elektrons oder als
„Elektronenwolke“ bezeichnet, denn man kann die Wahrscheinlichkeitsverteilung als eine in bestimmter Weise
über das Atom verteilte „Wolke“ negativer Ladung veranschaulichen. Diese Ladungswolken besitzen an den
Stellen grösster Aufenthaltswahrscheinlichkeit (d.h. dort, wo sich ein Elektron am häufigsten aufhält) ihre
grösste Dichte.
Die Darstellungen solcher Wolken kann man sich als Summierung zahlreicher „Momentaufnahmen“ des
Elektrons vorstellen; ein Punkt entspricht dabei dem Ort des Elektrons in einem bestimmten Augenblick. Dort,
wo die Punkte dichter liegen, hält sich das Elektron häufiger auf. Oft zeichnet man die Ladungswolken mit
Umgrenzungslinien, die dann eine bestimmte prozentuale Aufenthaltswahrscheinlichkeit (meist 90%)
einschliessen. Es muss betont werden, dass die Beschreibung des Verhaltens eines Elektrons durch eine
Wellenfunktion nicht zur Vorstellung verleiten darf, „das Elektron sei eine Welle“ oder „das Elektron bewege sich
wellenförmig“ oder „das Elektron schwinge“ bzw. es „nehme bestimmte Schwingungszustände ein“; es handelt
sich vielmehr um eine Möglichkeit seine Aufenthaltswahrscheinlichkeit zu berechnen.
Haben wir vorher von Quantenzahlen gesprochen, werden diese Zahlen in der Chemie zum Teil mit
Buchstaben abgekürzt. Die Hauptenergieniveaus n entsprechen den Schalen (K, L, M, usw.) der
Elektronenhülle. Die Quantenzahl l entspricht den Orbitalen s, p, d und f, wobei diese Orbitale entartet sein
können. l = 0 entspricht dem s-Orbital, l = 1 dem p-Orbital usw. Die Schalen enthalten jeweils alle n – 1 Orbitale.
Beispielsweise hat die M-Schale (n = 3) alle Orbitale, die einem l von 3 – 1 = 2 entsprechen, also l = 0
(s-Orbital), l = 1 (p-Orbitale) und l = 2 (d-Orbitale). Die Quantenzahl m entspricht der Entartung der Orbitale,
wobei m = –l, ....., 0,....., +l möglich sind. So haben die d-Orbitale (l = 2) für m die Möglichkeiten
6
7
8
Bearbeiten Sie auch Kapitel 28 in Ihrem Chemiebuch
M. Born. deutscher Physiker(1882-1970). Nobelpreis 1954
Vgl. dazu das Elektron am Doppelspalt
Seite 25
Quantenchemie – eine Einführung
m = -2, -1, 0, 1, 2. Es gibt also für die d-Orbitale 5 entartete Zustände. Diese Zustände werden in der Chemie
10
mit den Raumindizes x, y und z angegeben .
7.2
Der erste Energiezustand (Grundzustand) des Elektrons im Wasserstoffatom
Wie sehen aber nun diese Orbitale aus? Nach Max Born ist das Quadrat der Amplitude der angenommenen
Materiewelle proportional zur Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons in einem bestimmten Raumvolumen.
Auf Grund des Coulomb-Potentials kann man annehmen, dass die Elektronendichte nahe des Kerns gross ist
und mit zunehmendem Abstand im Unendlichen gegen Null strebt. Somit bietet sich für die Wellenfunktion eine
abnehmende Exponentialfunktion an. Löst man also die SGL für das 1s-Orbital, erhält man folgendes Resultat:
Ψ = e − a⋅r
Wobei Ψ: Amplitude der stehenden Welle
r: Abstand vom Atomkern
a: Zahlenfaktor; Konstante, in der u.a. die Planksche
Wirkungskonstante und die elektrische
Elementarladung enthalten sind
e: Eulersche Zahl, 2.718
Grafisch dargestellt:
Ψ = e − a ⋅r
Abbildung 15: Graphische Darstellung der Wellenfunktion Ψ für den Grundzustand des H-Atoms
Die Amplitude der angenommenen Materiewelle hat in der Nähe des Atomkerns einen grossen Wert; die
Funktionswerte werden mit zunehmendem Abstand kleiner und streben im Unendlichen gegen Null. Auch hier
sei nochmals erwähnt, dass diesen Amplituden keine physikalische Realität zukommt!
Da die Wellenfunktion 1s nur von der Variablen r abhängig ist, ist der Verlauf von Ψ1s nach allen
Raumrichtungen gleich und die 1s-Funktion lässt sich auf einfache Art räumlich darstellen. Man zeichnet alle
Punkte für r, die den gleichen Funktionswert Ψ1s besitzen. Der entsprechende geometrische Ort ist ein Kreis in
der Zeichenebene, bzw. eine Kugeloberfläche bei Berücksichtigung aller Raumrichtungen.
9
In Analogie zur Dichte: Masse pro Volumeneinheit
vgl. Merkblatt „Die Quantenzahlen“
10
Seite 26
Quantenchemie – eine Einführung
Ψ = e − a ⋅r
Abbildung 16: Geometrischer Ort aller Punkte P mit gleichem Funktionswert. Links: in der Zeichenebene; rechts: räumlich
7.2.1
Wird
Das Quadrat der Wellenfunktion: Wahrscheinlichkeitsdichte und radiale Wahrscheinlichkeitsdichte
die
Wellenfunktion
des
Grundzustandes
quadriert,
so
ergibt
sich
daraus
die
sogenannte
Wahrscheinlichkeitsdichte (Elektronendichte, Ladungsdichte) mit der sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit in
einem bestimmten Volumenelement dV berechnen lässt. Je nach Betrachtungsweise unterscheidet man neben
der Wahrscheinlichkeitsdichte die radialen Wahrscheinlichkeitsdichte.
Die Wahrscheinlichkeitsdichte
Die Wahrscheinlichkeitsdichte (Elektronendichte, Ladungsdichte) vergleicht die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
des Elektrons in gleichen Volumenteilen dV, wenn diese verschiedene Abstände vom Kern aufweisen.
Das Quadrat der Wellenfunktion 1s:
Ψ 2 = e −2 a ⋅ r
Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einem bestimmten Volumenteil dV mit einem bestimmten Abstand vom
Atomkern berechnet sich nach dW = Ψ dV = e
2
-2a·r
dV. Um Ψ graphisch darstellen zu können, muss man die
2
Wahrscheinlichkeit dW für verschiedene Abstände r berechnen und so die erhaltenen Punkte miteinander
verbinden. Untenstehende Abbildung zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, das Elektron in einem Raumelement
dV in der Nähe des Kerns anzutreffen sehr gross ist.
Seite 27
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 17:
Links
Graphische Darstellung der Elektronendichte im Grundzustand des H-Atoms
Rechts: Elektronendichte für Ψ2 im Grundzustand des H-Atoms
Die Wahrscheinlichkeitsdichte des Wasserstoffelektrons im Grundzustand nimmt mit zunehmendem
Kernabstand stark ab (im Abstand von 0.182 pm ist die Wahrscheinlichkeitsdichte bereits auf 1/1000 des
maximalen Wertes abgesunken); sie wird jedoch erst im Unendlichen Null. Dies bedeutet, dass auch in
grösserer Entfernung vom Kern eine zwar extrem kleine, aber doch endliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht,
das Elektron dort anzutreffen. Mit anderen Worten, das Wasserstoffatom hat (wie natürlich auch die anderen
Atome) nach aussen theoretisch keine scharfe Umgrenzung.
Die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte (radiale Aufenthaltswahrscheinlichkeit, radiale Elektronendichte)
Das Kraftfeld des Atomkerns ist dreidimensional und kugelsymmetrisch. Deshalb ist es sinnvoll, auch die
sogenannte radiale Wahrscheinlichkeitsdichte zu betrachten:
Die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte (radiale Elektronendichte) vergleicht die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
des Elektrons in Kugelschalen gleicher Dicke dr, wenn diese verschiedene Abstände vom Kern aufweisen.
Anschaulich in zwei Dimensionen ist dies in der folgenden Abbildung dargestellt:
r
dr
r1
r
r2
r
dr
r1
r2
r
Abbildung 18: oben: schematische
Darstellung der radialen
Wahrscheinlichkeitsdichte;
unten: In welchem Abstand vom
Atomkern des Wasserstoffatoms
befindet sich die Kugelschale mit der
grössten Aufenthaltswahrscheinlickeit
des Elektrons?
Quantenchemie – eine Einführung
Seite 28
Nimmt man nun diese Zählung vor, erhält man folgende radiale Verteilung des Elektrons im 1s-Zustand:
Abbildung 19:
Graphische Darstellung der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte des Elektrons im Wasserstoffatom
(Grundzustand)
Stellt man diese Graphik räumlich dar, erhält man die in Abb. 20 dargestellte kugelsymmetrische Verteilung der
Elektronen im 1s-Zustand.
Abbildung 20: Räumliche Darstellung das Aufenthaltsraumes (Ladungswolke) des Elektrons im Wasserstoff; 1s-Zustand
7.2.2
Aufenthaltsraum (Ladungswolke) des Elektrons im Grundzustand
Es ist oft zweckmässig, den Umriss des Raumes darzustellen, in dem sich das Elektron gemäss der
Wahrscheinlichkeitsdichte mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit aufhält (z.B. 90 %). Diesen Raum
bezeichnet man als Aufenthaltsraum des Elektrons. Das Teilchenmodell steht dabei „Pate“: Dieser
Aufenthaltsraum ist identisch mit dem Raum, der einen bestimmten Betrag der Elektronendichte umschliesst.
Da das Wellenmodell in dieser Betrachtung überwiegt spricht man von einer Ladungswolke. Für den 1s-Zustand
entspricht dies einer Kugel (vgl. Baars/Christen „Chemie – Theorie und Praxis, Sauerländer, 1996/98, Kapitel 4
und Kapitel 28, und Duden Chemie Kapitel 3.1).
Seite 29
Quantenchemie – eine Einführung
7.2.3
Zusammenfassung des Zustandes 1s
Zusammenfassung des Grundzustandes 1s
Oben links: Wellenfunktion 1s, Zeichenbene
Oben rechts: Wellenfunktion 1s, räumlich
Mitte links: Quadrat der Wellenfunktion 1s; bezogen auf
das konstante Volumen dV à
Wahrscheinlichkeitsdichte
Mitte rechts: Quadrat der Wellenfunktion 1s; bezogen auf
das Volumen von Kugelschalen 4πr2 mit
konstanter Dicke dr à radiale
Wahrscheinlichkeitsdichte
unten:
Ladungswolke bzw. Aufenthalstraum (Raum
in dem sich das Elektron zu z.B. 90 % aufhält
Seite 30
Quantenchemie – eine Einführung
7.3
Der zweite Energiezustand des Elektrons im Wasserstoffatom
Als Lösung der SGL findet man für den zweiten Energiezustand (n = 2) des Wasserstoffatoms vier Funktionen,
welche die angenommene Materiewelle des Elektrons beschreiben. Eine 2s-Wellenfunktion (l = 0; m = 0) und
drei 2p-Wellenfunktionen (l = 1; m = -1, 0, +1). 2 bedeutet zweiter Energiezustand; p und s symbolisieren die
räumliche Form der entsprechenden Wellenfunktion
7.3.1
Der 2s-Zustand
7.3.1.1
Die Wellenfunktion des 2s-Zustandes
Die Wellenfunktion Ψ des 2s Zustandes lautet in ihrer vereinfachten Form wie folgt:
Ψ2 s = (2 − r ) ⋅ e − r
Im Vergleich zur Wellenfunktion Ψ1s besitzt sie also eine Nullstelle für r = 2, wie in Abbildung 21 ersichtlich ist.
Abbildung 21: links: Graphische Darstellung der Wellenfunktion 2s entlang einer Raumrichtung und rechts: Geometrischer Ort
aller Punkte mit gleichem Funktionswert Ψ2s (räumlich)
Die Wellenfunktion Ψ2s ist nur von der Variablen r abhängig, ihr Verlauf ist nach allen Raumrichtungen hin also
gleich. Die räumliche Darstellung ist deshalb auch hier sehr einfach und führt mit ähnlichen Überlegungen wie
wir bei der Wellenfunktion 1s angestellt haben (Suche nach Punkten für r mit selbem Funktionswert Ψ2s) zu der
Darstellung in Abbildung 21 rechts. Wir erkennen darin die Knotenfläche (Kugelfläche) bei r = 2 in der
räumlichen Darstellung.
7.3.1.2
Das Quadrat der Wellenfunktion 2s; Wahrscheinlichkeitsdichte und radiale
Wahrscheinlichkeitsdichte
Wie
im
Grundzustand
unterscheidet
man
auch
hier
die
beiden
Wahrscheinlichkeitsdichten.
Die
Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einem bestimmten Volumenteil dV mit einem bestimmten Anstand r vom
Atomkern (Wahrscheinlichkeitsdichte) sieht grafisch dargestellt folgendermassen aus:
Seite 31
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 22:
Geometrischer Ort aller Punkte mit der gleichen Elektronendichte, links in der Zeichenebene und rechts
räumliche Darstellung.
Vergleicht man die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons in Kugelschalen gleicher Dicke dr mit
unterschiedlichen Abständen vom Atomkern, so erhält man die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte mit folgendem
Funktionsbild:
Abbildung 23:
Graphische Darstellung der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass im ersten angeregten Zustand 2s sich das Elektron an
beliebigen Stellen im Wasserstoffatom (mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten) aufhält. Eine Ausnahme
bildet die Kugelschale mit dem Abstand r0, in der die Aufenthaltswahrscheinlichkeit Null ist (Knotenfläche). Mit
grösster Wahrscheinlichkeit hält sich das Elektron in der Kugelschale beim Maximum auf.
Seite 32
Quantenchemie – eine Einführung
7.3.1.3
Zusammenfassung des Zustandes 2s
Zusammenfassung des Grundzustandes 2s
Oben links: Wellenfunktion 2s, Zeichenbene
Oben rechts: Wellenfunktion 2s, räumlich
Mitte links: Quadrat der Wellenfunktion 2s; bezogen auf
das konstante Volumen dV à
Wahrscheinlichkeitsdichte
Mitte rechts: Quadrat der Wellenfunktion 2s; bezogen auf
das Volumen von Kugelschalen 4πr2 mit
konstanter Dicke dr à radiale
Wahrscheinlichkeitsdichte
unten:
Ladungswolke bzw. Aufenthalstraum (Raum
in dem sich das Elektron zu z.B. 90 % aufhält
Quantenchemie – eine Einführung
7.3.2
Seite 33
Der 2p-Zustand
Die drei 2p-Wellenfunktionen, die sich ebenfalls als Lösungen für den zweiten Energiezustand ergeben, sind im
Gegensatz zu den 2s-Wellenfunktionen nicht kugel- sondern achsensymmetrisch. Analoge Überlegungen, wie
wir sie bei den Zuständen 1s und 2s gemacht haben ergeben untenstehende zusammenfassende Betrachtung
11
des Zustandes 2p , wobei zu beachten ist, dass die charakteristische „Hantel“ der p-Wolke zwei Bereiche hat,
die man mit + und – bezeichnet (nicht mit den elektrischen Ladungen zu verwechseln!):
Legende zur folgenden Seite:
Zusammenfassung des ersten angeregten Zustandes 2p
A: Graphische Darstellung der Wellenfunktionen 2p entlang der Koordinatenachsen, von links nach rechts: 2px, 2py, 2pz.
B: Geometrischer Ort aller Punkte (räumlich) mit dem gleichen Funktionswert Ψ
C: Wolkendarstellung der Wahrscheinlichkeitsdichten entlang der drei Raumachsen
D: Graphische Darstellung der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte für das Elektron im Wasserstoffatom im Zustand 2p
E: Aufenthaltsräume (Ladungswolken) des Elektrons im Wasserstoffatom für die Zustände 2px. 2py und 2pz.
11
Für interessiert sei auf das Leitprogramm „Quantenchemie“ von G. Baars et al. unter http://dcbwww.unibe.ch/fachdidaktik/lpqc.htm verwiesen (Verlag
ETHZ, Abteilung für das höhere Lehramt).
Seite 34
Quantenchemie – eine Einführung
A
B
C
D
E
Seite 35
Quantenchemie – eine Einführung
7.3.3
Die höheren Energiezustände des Wasserstoffatoms
Anhand der Linienspektren haben wir schon einmal besprochen, dass Elektronen in einen höheren
Energiezustand angehoben werden können. Das Spektrum des „Wasserstofflichtes“ hat gezeigt, dass beim
Übergang von einem angeregten Zustand in den Grundzustand nur ganz bestimmte Energien abgegeben
werden können. Dies hat uns zu der Annahme geführt, dass das Wasserstoffatom nur ganz bestimmte
(diskrete) Energiezustände einnehmen kann. Wie wir gesehen haben, existieren für diese Zustände bestimmte
Wellenfunktionen,
aus
denen
sich
die
Energien
des
Systems
Proton
–
Elektron
und
die
Aufenthaltswahrscheinlichkeiten des Elektrons berechnen lassen.
Die Energiezustände bezeichnet man mit kleinen ganzen Zahlen, den sogenannten Hauptquantenzahlen;
Symbol: n. Sie entsprechen den Hauptenergieniveaus (Elektronenschalen). Im Wasserstoffatom liefern die
2
Berechnungen für die Quantenzahlen n jeweils n Wellenfunktionen, welche der SGL genügen. Für den
Grundzustand also 1 Lösung, die 1s-Wellenfunktion; der erste angeregte Zustand besitzt jedoch bereits 4
2
Lösungen (2 =4), eine 2s und drei 2p-Wellenfunktionen. Der nächst höhere Zustand hat also 9 verschiedene
Lösungen, eine 3s-, drei 3p-, und fünf 3d-Wellenfuktionen etc.
Zusammenfassend ergeben sich für das Wasserstoffatom verschiedene Energieniveaux, welche mit der
jeweiligen Hauptquantenzahl n (entsprechend der Schalennummer) bezeichnet werden. Innerhalb eines jeden
2
Energieniveaus lassen sich n verschiedene Funktionen unterscheiden mit n-1 Knotenflächen. Die Energiewerte
innerhalb eines bestimmten Energieniveaus sind identisch; man spricht von entarteten Energiezuständen.
E
[eV]
-13.6
s
p
d
4
3
16
9
2
4
1
1
3
2
3
2
1
1
0
0
f
Anzahl Funktionen Ψ (n2)
Hauptquantenzahl n
Anzahl Knotenflächen
pro Funktion
Abbildung 24:
Energiezustände des Wasserstoffatoms für n = 1 bis n = 4.
Auf den beiden folgenden Seiten sind für n = 1 bis 3 die Wellenfunktionen und deren graphische Darstellung
abgebildet:
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 25:
links:
rechts:
Seite 36
Wellenfunktionen des Elektrons im Wasserstoffatom für die ersten drei Energiezustände (Schalen)
Die entsprechenden Wahrscheinlichkeitsdichten
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 26: Räumliche Darstellung der radialen Wahrscheinlichkeitsdichten; Orbitale
Seite 37
Seite 38
Quantenchemie – eine Einführung
8 Atome mit mehr als einem Elektron: Der Aufbau des PSE
In Vielelektronensystemen kommt es zu komplizierten Wechselwirkungen zwischen den Elektronen einerseits
und
den
Elektronen
mit
dem
Atomkern
andererseits.
Das
hat
wichtige
Konsequenzen
für
die
quantenmechanische Behandlung:
-
Die einzelnen Elektronen sind prinzipiell nicht unterscheidbar und lassen sich hinsichtlich ihrer
Energie und Elektronendichte nicht mehr einzeln erfassen.
-
Man verwendet wasserstoffähnliche Wellenfunktionen
-
Die
Wellenfunktionen
der
stehenden
Wellen
für
irgendein
Elektron
in
einem
Elektronenkollektiv werden als Orbitale bezeichnet. Die dazu passenden Energiewerte und
Elektronendichten sind die Orbitalenergien; bzw. die Orbitalelektronendichten. Beide Grössen
sind fiktiv; nicht observabel.
-
Mit Hilfe dieser Orbitale lassen sich die Gesamtenergie und die Gesamtelektronendichte eines
Vielelektronensystems berechnen. Diese beiden Grössen sind observabel, d.h. messbar.
-
Innerhalb einer Elektronenschale ist die beim Wasserstoffatom beobachtete Entartung
aufgehoben.
Die Verwendung wasserstoffähnlicher Wellenfunktionen für die Beschreibung der Elektronen in einem
Mehrelektronensystem ergibt die charakteristische Gliederung der Elektronenschalen höherer Atome. Da nach
dem
Pauli-Prinzip
in
einem
Mehrelektronensystem
zwei
Elektronen
nicht
in
allen
Eigenschaften
(Quantenzahlen) übereinstimmen können, kann man mit einer Wellenfunktion maximal zwei Elektronen
beschreiben. Jedes Elektron ist charakterisiert durch den Energiezustand (Hauptquantenzahl n), die Art der
Wellenfunktion (Quantenzahl l à s,p,d,...), durch die sogenannte magnetische Quantenzahl (ml à px, py, pz, ...)
und durch den Spin s. Der Spin kann, ähnlich der Eigenrotation der Erdkugel, als eine Art Kreiselbewegung
angesehen werden. Ihm werden willkürlich die Werte ±½ (dargestellt durch ‹/Œ) zugeordnet. Zwei Elektronen,
die sich durch dieselbe Wellenfunktion beschrieben werden, unterscheiden sich nur noch im Drehimpuls der
Eigenrotation.
Stehen in einem Atom energetisch gleichwertige Wellenfunktionen zur Verfügung, so werden diese mit den neu
hinzukommenden Elektronen (bei zunehmender Ordnungszahl) zuerst einzeln besetzt (Hundsche Regel). Diese
Regel findet auch im alltäglichen Leben ihre Anwendung. Denken Sie nur an einen Bus oder einen Vorortszug
am Morgen in der Schweiz. Auch hier werden die Abteile zuerst einzeln gefüllt. Scheinbar braucht es mehr
Energie, sich in ein bereits (halb-) besetztes Abteil zu setzen ...
Seite 39
Quantenchemie – eine Einführung
Mit den Orbitalen hat man also ein Ordnungsprinzip zur Verfügung, das es erlaubt, die Elektronenhüllen höherer
Atome zu gliedern. Die Elektronen lassen sich auf die verschiedenen Orbitale verteilen. Um den Aufbau des
Periodensystems verstehen zu können, sind, wie oben erwähnt, drei einfache Regeln zu beachten:
1. Energieärmster Zustand
Es werden immer zuerst die energieärmsten Orbitale mit Elektronen aufgefüllt.
2. Pauli Prinzip
Ein Orbital kann maximal 2 Elektronen aufnehmen.
3. Hundsche Regel
Stehen in einem Atom energetisch gleichwertige Orbitale zur Verfügung, so werden
diese mit den neu hinzukommenden Elektronen zuerst einzeln besetzt.
Mit diesen einfachen Regeln können alle bekannten Elemente in einer Tabelle dargestellt werden. Diese
Tabelle ist das Periodensystem.
Betrachten wir nun zwei Beispiele für die Elektronenkonfiguration eines Atoms im Grundzustand. Unsere
2
2
2
Beispiele sind Kohlenstoff mit der Elektronenkonfiguration 1s 2s 2p , Natrium mit der Elektronenkonfiguration
2
2
6
1
2
2
6
2
6
1
1s 2s 2p 3s und Kalium mit der Elektronenkonfiguration 1s 2s 2p 3s 3p 4s .
E
3d
4s
3p
3s
2p
2s
C: 1s22s22p2
1s
Na: 1s22s22p63s1
K: 1s22s22p63s23p64s1
Abbildung 27: Elektronenkonfigurationen von C (links), Na (Mitte) und Kalium (rechts)
Die Energie der Orbitale wächst allgemein in der Reihenfolge s < p < d < f. Aufwendige Rechnungen haben
ergeben, dass bei höheren Hauptquantenzahlen eine Änderung der Orbitalfolge eintreten kann. Die Energie
eines gegebenen Orbitals hängt von der Kernladung (Ordnungszahl) ab, durch welche die verschiedenen
Orbitale in unterschiedlichem Masse beeinflusst werden. Daher gibt es eigentlich keine eindeutige Reihenfolge
der Orbitalenergien, die für alle Elemente gültig ist. Dennoch hat sich folgende Ordnung als ausserordentlich
brauchbar erwiesen:
1s < 2s < 2p < 3s < 3p < 4s < 3d < 4p < 5s < 4d < 5p < 6s < 5d ≅ 4f < 6p < 7s < 6d ≅ 5f
2
2
6
2
6
1
So hat das Element Kalium (Z = 19, Abb. 27, rechts) die Konfiguration 1s 2s 2p 3s 3p 4s obwohl die
3d-Orbitale noch verfügbar sind: das 4s-Orbital liegt energetisch tiefer als die 3d-Orbitale.
Seite 40
Quantenchemie – eine Einführung
9 Molekülbindung
Der Wasserstoff existiert normalerweise in Form von H2-Molekülen. Warum verbinden sich nun eigentlich
Wasserstoffatome zu Wasserstoffmolekülen? Wir betrachten zwei Wasserstoffatome, die sich einander nähern
und verwenden dazu die Vorstellung der Materiewelle. Im Bereich zwischen den beiden Atomen kommt es zu
einer Überlagerung der beiden Materiewellen. Konstruktive und destruktive Interferenz ist die Folge dieser
Überlagerung (vgl. Kapitel 4 im Duden Chemie).
9.1
Bindender Zustand
Überlagern sich die beiden Materiewellen im Bereich zwischen den Atomkernen, so kann es dort zu einer
konstruktiven Interferenz kommen, was den bindenden Zustand im Wasserstoffmolekül ergibt. Es entsteht eine
neue Materiewelle, die durch eine neue Wellenfunktion beschrieben wird. Damit lassen sich die zwei Elektronen
im so entstandenen Wasserstoffmolekül beschreiben. Aus einer Atomwellenfunktion, oder Atomorbital (AO)
wurde ein Molekülwellenfunktion, oder Molekülorbital (MO).
Ψ1+2 = Ψ1 + Ψ2
Abbildung 28:
Wellenfunktion des Systems H2 im Grundzustand zwischen den Kernen
links:
Wellenfunktion der einzelnen H-Atome
rechts: Verlauf der Wellenfunktion im Molekül H2
Aus der neuen Wellenfunktion resultiert schliesslich die Wahrscheinlichkeitsdichte Ψ
2
1+2
(bezogen auf gleiche
Volumenteile in unterschiedlichen Abständen von den Protonen) zwischen den beiden Kernen.
Ψ21+2 = (Ψ1 + Ψ2)2 = Ψ12 + Ψ22 + 2Ψ1Ψ2
Abbildung 29: Wahrscheinlichkeitsdichte im Wasserstoffmolekül (links) und dazugehörige Wolkendarstellung (rechts)
Seite 41
Quantenchemie – eine Einführung
Die Darstellungen der Wahrscheinlichkeitsdichte des Grundzustandes im Wasserstoffmolekül macht deutlich,
weshalb dieses System existieren kann. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit in den Volumenelementen V1 und V2
entspricht jeweils Ψ , während sie im Volumenelement V3 Ψ1 + Ψ2 + 2Ψ1Ψ2 beträgt, also viermal so gross ist.
2
2
2
Diese erhöhte Aufenthaltswahrscheinlichkeit führt somit zu einem bindenden Effekt zwischen Proton 1 und
Proton 2. Natürlich bewirken die elektrostatischen Kräfte der Elektronen in den Volumina V1 und V2 mit den
Protonen eine Vergrösserung des Abstandes der beiden Wasserstoffkerne. Nachdem die Elektronen aber im
Volumenelement V3 viermal so häufig anzutreffen sind, überwiegt die bindende Kraft. Die Protonen werden
solange zur Mitte hingezogen, bis die abstossende Kraft zwischen den positiven Teilchen gleich gross ist wie
die anziehende Kraft der Elektronen auf die Protonen. Ein Gleichgewichtszustand stellt sich ein, der
charakterisiert ist durch ein Energieminimum (Vergleichen Sie dazu auch Abb. 56.2 im Buch von G. Baars und
H.U. Christen „Chemie – Theorie und Praxis). Beim H2-Molekül findet man einen Protonenabstand von ca.
-10
0.7·10
-1
m und eine Bindungsenergie von –436 kJ·mol .
Die Wellenmechanik liefert somit eine Erklärung für die Existenz von H2-Molekülen, die deutlich weniger
reaktionsfähig sind als die beiden isolierten Wasserstoffatome. Deren Bildung aus dem Molekül erfordert einen
Energieaufwand. Nähern sich zwei Wasserstoffatome einander, so können sich die beiden Elektronen jeweils
im Bereich beider Protonen aufhalten. Es kommt (modellhaft) zu einer Addition der Amplituden der beiden
angenommenen Elektronenwellen (konstruktive Interferenz). Damit ist der Grund für die Bestandfähigkeit einer
Bindung zwischen zwei Nichtmetallatomen gegeben: Die Wechselwirkung der Atomkerne mit den Elektronen
erzeugt eine Reduktion der Elektronendichte auf den der Bindung abgewandten Seiten zugunsten einer
Akkumulation von negativer Ladung zwischen den beiden zu bindenden Kernen. Diese Zunahme ist gerade so
gross, dass die Kern-Kern Abstossungskraft kompensiert wird beim Gleichgewichtsabstand der gebundenen
Atome. Die Atombindung kommt demnach durch Coulomb’sche elektrostatische Anziehung zustande.
Für den Grundzustand des Wasserstoffmoleküls gilt zusammenfassend also:
Elektron 1:
Elektron 2:
Ψ1+2 = Ψ1 + Ψ2
Ψ1+2 = Ψ1 + Ψ2
Die Wahrscheinlichkeitsdichte zwischen den Atomkernen ist gegeben durch
Elektron 1:
Elektron 2:
Ψ21+2 = (Ψ1 + Ψ2)2 = Ψ12 + Ψ22 + 2Ψ1Ψ2
Ψ21+2 = (Ψ1 + Ψ2)2 = Ψ12 + Ψ22 + 2Ψ1Ψ2
Die chemische Bindung wird also erzeugt durch die erhöhte Aufenthaltswahrscheinlichkeit der beiden
Elektronen zwischen den Protonen. In diesem Fall spricht man von einem gemeinsamen Elektronenpaar bzw.
von einer Atombindung (Elektronenpaarbindung, kovalente Bindung, gemeinsame, doppelt besetzte
Elektronenwolke; symbolisiert durch Striche in Lewisformeln).
Die Kräfte, welche die Atome innerhalb der
Moleküle zusammenhalten, werden auf diese Weise erklärt und lassen sich berechnen. Experimente bestätigen
diese Werte.
Seite 42
Quantenchemie – eine Einführung
9.2
Antibindender Zustand
Statt einer konstruktiven ist auch eine destruktive Interferenz von zwei Wellenfunktionen möglich:
Ψ1-2 = Ψ1 - Ψ2
Ψ1-2 = Ψ1 - Ψ2
Elektron 1:
Elektron 2:
Abbildung 30:
Wellenfunktion des Systems H2 im Grundzustand zwischen den Kernen. links: Wellenfunktion der einzelnen
H-Atome;
rechts: Verlauf der Wellenfunktion im Molekül H2
Aus der neuen Wellenfunktion resultiert schliesslich die Wahrscheinlichkeitsdichte Ψ
2
1-2
zwischen den beiden
Kernen.
Ψ21-2 = (Ψ1 - Ψ2)2 = Ψ12 + Ψ22 - 2Ψ1Ψ2
Ψ21-2 = (Ψ1 - Ψ2)2 = Ψ12 + Ψ22 - 2Ψ1Ψ2
Elektron 1:
Elektron 2:
Abbildung 31: Wahrscheinlichkeitsdichte der Elektronen im H2-Molekül (antibindender Zustand)
Im Bereich zwischen den beiden Protonen kommt es zu einer Verminderung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit
der Elektronen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem antibindenden Zustand, der energiereicher ist
als
der
bindende
Zustand.
Die
Interferenz
der
beiden
1s-Wellenfunktionen
ergeben
somit
im
Wasserstoffmolekül zwei neue Wellenfunktionen, von denen eine energetisch tiefer liegt (konstruktive
Interferenz) als die andere (destruktive Interferenz). Diese beiden neuen Energieniveaus liegen relativ eng
beieinander. Energiezufuhr kann ein Elektron des Wasserstoffmoleküls leicht in den antibindenden Zustand
anheben.
Die antibindenden Zustände sind in Farbstoffmolekülen von grosser Bedeutung. Die Energie des sichtbaren
Lichtes reicht bei ihnen aus, um ein Elektron in einen antibindenden Zustand anzuheben. Dies bedeutet
wellenmechanisch
die
Überführung
der
betreffenden
Elektronenwelle
in
den
nächsthöheren
Seite 43
Quantenchemie – eine Einführung
Schwingungszustand. Damit kommt es zu einer selektiven Absorption bestimmter Wellenlängen des sichtbaren
Lichtes und deshalb zum Farbeindruck.
9.3
Die Bindung in Molekülen
Bilden Atome höherer Elemente Moleküle, so ist eine Ueberlagerung von s- und p-Wellenfunktionen nötig. Auf
der äussersten Schale eines Atoms existieren maximal 8 Elektronen. Diese werden mit einer s- und drei
p-Wellenfunktionen beschrieben. Es gibt nun einfache Regeln, die Möglichkeit der Bildung von Bindungen
zwischen Atomen abzuschätzen.
1. Die Wellenfunktionen (AO) müssen sich räumlich soweit nähern können, dass eine nennenswerte
Überlagerung ("Überlappung") möglich ist. Wellenfunktionen, die Elektronen innerer Schalen
beschreiben, überlagern sich praktisch nicht.
2. Hinsichtlich der Bindungsachse im Molekül müssen die Wellenfunktionen gleiche Symmetrie besitzen.
3. Die Wellenfunktionen können sich nur dann überlagern, wenn sie ähnliche Energien aufweisen.
4. Das Pauli Prinzip und die Hundsche Regel sind zu beachten.
12
Es gibt folgende Kombinationsmöglichkeiten von Atomorbitalen zu Molekülorbitalen :
_
+
s
+
s
+
s
s
Schnitt durch die räumliche Darstellung
von s-Atomorbitalen (s-AO)
12
_
+
ψσ*s
antibindendes MO
+
ψσs
bindendes MO
Schnitt durch die räumliche
Darstellung der Molekülorbitale (σ-MO)
Bei der hier verwendeten Darstellungsweise benützt man einen Schnitt durch den geometrischen Ort aller Punkte mit einem bestimmten
Funktionswert ψ.
Seite 44
Quantenchemie – eine Einführung
_
+
px
_
_
+
px
_
+
_
Schnitt durch die räumliche Darstellung von
px-Atomorbitalen
+
Schnitt durch die räumliche
Darstellung der Molekülorbitale
+
_
+
+
_
+
_
pz
pz
+
+
_
_
pz
pz
Schnitt durch die räumliche Darstellung
von pz- (bzw. py-) Atomorbitalen
_
Ψσpx
bindendes MO
px
_
_
+
Ψσ*px
antibindendes MO
px
+
_
+
Ψπ*pz
antibindendes MO
+
_
Ψπpz
bindendes MO
Schnitt durch die räumliche
Darstellung der Molekülorbitale
Seite 45
Quantenchemie – eine Einführung
+
_
s
+
_
+
s
_
+
Ψσ*spx
antibindendes MO
px
+
+
px
+
_
Ψσspx
bindendes MO
Schnitt durch die räumliche Darstellung
von s- und p-Atomorbitalen
Schnitt durch die räumliche
Darstellung der Molekülorbitale
+
+
_
s
pz oder py
Schnitt durch die räumliche Darstellung
von s- und pz- (bzw. py-) Atomorbitalen
keine Überlagerung möglich
Definition der σ- und π-Molekülorbitale:
σ-Orbitale:
Symmetrisch bzgl. Kernverbindungsachse. σ-Molekülorbitale entstehen aus s-Orbitalen oder aus
px-Orbitalen.
π-Orbitale:
Nicht symmetrisch bzgl. Kernverbindungsachse. π-Molekülorbitale entstehen aus py- und
pz-Orbitalen.
Seite 46
Quantenchemie – eine Einführung
9.4
Systematische Darstellung der Bildung einer Einfachbindung
9.4.1
Homonukleare Moleküle der 2. Periode
Bei homonuklearen, zweiatomigen Molekülen der 2. Periode muss man folgende Regeln beachten: Es gibt
jeweils von Atom 1 und Atom 2 folgende Orbitale:
für die inneren Elektronen: (1s)1, (1s)2
à keine nennenswerte Überlappung.
für die Valenzelektronen:
à Es lassen sich Molekülorbitale bilden
(2s, 2px, 2py, 2pz)1, (2s, 2px, 2py, 2pz)2
In einem neutralen homonuklearen Molekül, das aus Atomen mit der Ordnungszahl Z besteht, muss man 2 Z
Elektronen unterbringen (bei geladenen Teilchen entsprechend mehr oder weniger). Die Energieniveaus der
p-Molekülorbitale hängen u. a. von der Kernladung der betreffenden Atome ab. Für die Elemente Bor,
Kohlenstoff und Stickstoff liegt die Energie der beiden πp - Molekülorbitale tiefer als die des σp - Molekülorbitals,
wie Rechnungen gezeigt haben.
Bevor wir einige Beispiele von Elementen der zweiten Periode betrachten, müssen wir die Bindungsordnung
definieren: Sie entspricht der Anzahl Elektronen in bindenden Zuständen minus Anzahl Elektronen in
antibindenden Zuständen dividiert durch zwei. Die Zahl der Elektronenpaare, die effektiv zu einem
Zusammenhalt der Atome beitragen, berechnet sich somit folgendermassen:
Elektronen in bindenden Molekülorbitalen – El. in antibindenden Molekülorbitalen
Bindungsordnung (BO) =
2
Bindende und antibindende Molekülorbitale heben sich in ihrer Wirkung gegenseitig auf.
9.4.1.1
Li2
Dieses Molekül existiert in geringen Konzentrationen im dampfförmigen Lithium.
antibindendes MO
E
Ψσ∗s
Ψ(1)
2s
Ψ(2)
2s
Abbildung 32:
Ψσs
bindendes MO
9.4.1.2
Elektronenverteilung im Li2-Molekül
(Orbitalschema). Die inneren 4
Elektronen sind an der Bindung nicht
beteiligt.
Be2
Die beiden 2s Atomorbitale repräsentieren jeweils zwei Elektronen, die damit das bindende σ2s und das
antibindende σ*2s MO besetzen. Da das antibindende Orbital stärker destabilisierend wirkt als das bindende
Seite 47
Quantenchemie – eine Einführung
13
stabilisierend , kann das Be2 Molekül nicht existieren. Experimentelle Untersuchungen haben diese Theorie
bestätigt.
antibindendes MO
Ψσ∗s
E
Ψ(1)
2s
Ψ(2)
2s
Abbildung 33:
Ψσs
Elektronenverteilung im angenommenen
Be2-Molekül (Orbitalschema).
bindendes MO
9.4.1.3
B2; C2; N2
Sind p-Orbitale vorhanden, so stehen in den gebildeten Molekülen zu den beiden σ- noch prinzipiell sechs
weitere Molekülorbitale zur Verfügung: σpx, σ*px, πpy, π*py, πpz und π*pz. Die Energieniveaus der p-Orbitale
hängen u. a. von der Kernladung der betreffenden Atome ab. Für die Elemente Bor, Kohlenstoff und Stickstoff
liegt die Energie der beiden πp-Molekülorbitale tiefer als die des σp-Molekülorbitals.
σ* px
2p
π* pz
π* py
2p
σ px
π py
2s
π pz
σ* s
2s
σs
AO (1)
MO
AO (2)
Abbildung 34: Aufspaltung der MO’s ausgehend von den AO’s im B2, C2 und N2
Sie können nun (mit verschiedenen Farben) die Aussenelektronen (der 2. Schale) der Bor- bzw. Kohlenstoffbzw. Stickstoffatome in die Atom- bzw. Molekülorbitale einzeichnen.
13
Die höhere Entropie der beiden einzelnen Atome im Vergleich zum hypothetischen Molekül kann nicht durch Bindungsenergie überwunden werden.
Seite 48
Quantenchemie – eine Einführung
Betrachten wir als Beispiel das Stickstoffmolekül. Pro Stickstoffatom stehen 7 Elektronen zur Verfügung, die
nach dem Pauli-Prinzip und der Hund’schen Regel in die Atomorbitale eingefüllt werden. In die MO’s werden
nun alle 14 Elektronen wiederum nach den bekannten Kriterien eingefüllt. Die Bindungsverhältnisse erhält man,
indem man alle antibindenden Orbitale von den bindenden Orbitalen abzieht. Dabei erhalten wir die
Bindungsordnung 3, was der Dreifachbindung in der Lewis-Struktur entspricht.
9.4.1.4
O2, F2, Ne2
In
angenommenen
den
Molekülen
der
Elemente
Sauerstoff,
Fluor
und
Neon
sind
die
beiden
π2p-Molekülorbitale mit dem σ2p-Molekülorbital im Vergleich zu den vorhergehenden Molekülen energetisch
vertauscht.
σ* px
2p
π* py
π* pz
π py
π pz
2p
σ px
2s
σ* s
2s
σs
AO (1)
MO
AO (2)
Abbildung 35: Aufspaltung der MO’s ausgehend von den AO’s im O2, F2 und Ne2
Auch in dieses Schema können Sie mit verschiedenen Farben die Aussenelektronen in die Atom- bzw.
Molekülorbitale einzeichnen.
Füllen wir die 8 Elektronen für das Sauerstoffatom ein, erhalten wir zu unserer Überraschung bei den MO zwei
einfach besetzte Elektronenwolken. Zwar erhalten wir auch hier die Bindungsordnung zwei, was der
Doppelbindung in der Lewis-Struktur entspricht, aber Sauerstoff ist quantenchemisch betrachtet ein Diradikal.
Tatsächlich beobachtet man in Experimenten, dass Sauerstoff paramagnetisch
14
ist. Dieser Effekt wurde zwar
schon vor der Quantentheorie experimentell gefunden, er konnte jedoch nicht erklärt werden, da nach der
einfachen Theorie, dass zwei einfach besetzte Wolken eine doppelt besetzte Wolke mit unterschiedlichen Spins
der Elektronen ergeben, keinen Paramagnetismus vorhersagt. Der diradikale Charakter des Sauerstoffs erklärt
auch seine ausgesprochen hohe Reaktivität. Der menschliche Körper muss sich zum Beispiel vor den
schädlichen Wirkungen des Sauerstoffs auf Zellmembranen mit Vitamin E (α-Tocopherol), einem sogenannten
14 Eine paramagnetische Substanz hat die Tendenz, in ein Magnetfeld hineinzuwandern. Den Paramagnetismus beobachtet man bei Substanzen mit
ungepaarten Elektronenspins.
Seite 49
Quantenchemie – eine Einführung
Radikalfänger schützen. Ein Mangel an Vitamin E kann zu einer erhöhten Zerstörung der Erythrocyten führen.
Im Tierversuch führt Vitamin E-Mangel zu schuppiger Haut, Muskelschwäche und Sterilität.
Zurück zu den Elektronenkonfigurationen und somit zum letzten zweiatomigen Molekül, dem Fluor. Wir können
wiederum bei den AO je ein Elektron hinzufügen, und erhalten bei den MO die Bindungsordnung eins, was der
Einfachbindung entspricht. Hier haben wir es also wieder mit einem Molekül zu tun, das die bekannten Theorien
nicht widerlegt
9.5
Wechselwirkung zwischen den Orbitalen – das Modell der Hybridisierung
Befassen wir uns mit mehratomigen Molekülen, so müssen wir unsere bisher erarbeiteten Konzepte erweitern.
Dies wird bei der genaueren Betrachtung der Bindungsverhältnisse im Methan-Molekül (CH4) offensichtlich:
Wendet man das oben beschriebene Verfahren auf den Kohlenstoff mit der Elektronenkonfiguration
2
2
1
1
1s 2s 2px 2py (s. Abb. 27 und 34) an, so würde man aus der Reaktion von Kohlenstoff mit Wasserstoff
offensichtlich das Molekül CH2 erwarten, da am Kohlenstoff nur zwei einfach besetzten 2p-Orbitale vorhanden
sind. Nun entsteht aber effektiv das Molekül mit der Zusammensetzung CH4 (Methan) mit vier äquivalenten
σ-C-H-Bindungen die im Winkel von 109.5 (regelmässiges Tetraeder) zueinander stehen.
Die Lösung dieses Problems ist das Modell der „Hybridisierung“, welches in den folgenden Abschnitten kurz
erklärt werden soll. Es ist an dieser Stelle deutlich darauf hingewiesen, dass das Phänomen der Hybridisierung
nicht experimentell nachweisbar ist. Es handelt sich dabei lediglich um eine Modellvorstellung, welche in
eleganter Weise die Bindungsverhältnisse mehratomiger, vielfach organischer Moleküle, zu beschreiben
vermag. Dieses Modell findet denn auch in der organischen Chemie seine grösste Akzeptanz und Verbreitung.
Es ist jedoch unter Fachleuten nicht unbestritten
9.5.1
Die Hybridisierung von s- und p-Orbitalen
Der Schlüssel zum oben dargestelltem Problem liegt darin, dass sich die Wellenfunktionen der s- und p-Orbitale
„vermischen“. Man verzichtet auf die Unterscheidung von s- und p-Wellenfunktionen und geht von vier
gleichwertigen Wellenfunktionen aus, die man durch eine Linearkombination aus den ursprünglichen
15
Wellenfunktionen erhalten hat . Mathematisch betrachtet ist eine Linearkombination nichts anderes als eine
Addition von Vektoren, die ihrerseits noch mit einer reellen Zahl multipliziert werden können. In der Chemie
entstehen durch diese Linearkombination vier Atomorbitale (AO) mit genau der gleichen Form. Ihre Gestalt ist
vergleichbar mit den p-Orbitalen, mit dem Unterschied, dass ein Teil der Hantel auf Kosten des anderen Teils
stark anwächst. Der grössere Hantelteil weist dabei in eine Ecke eines Tetraeders (Abb. 36). Dieses
sogenannte sp3-hybridisierte (entstanden aus einem s- und drei p-Orbitalen) C-Atom enthält nun neben einem
3
1s-Orbital in der zweiten Schale vier gleichwertige sp -(Hybrid)orbitale. Die resultierenden vier Wellenfunktionen
sind nun also alle auf dem gleichem Energieniveau und werden je einzeln, gemäss der Hund’schen Regel, mit
einem Elektron gefüllt (Abb. 37). Nun haben wir wieder vier gleichwertige einfach besetzte AO, die tetraedrisch
angeordnet sind, und je eine σ-Bindung mit einem Wasserstoff eingehen können, und so das Molekül CH4
bilden können.
15
http://www.bcpl.net/~kdrews/hybrids.html
Seite 50
Quantenchemie – eine Einführung
2p
HYBRIDISIERUNG
3
2sp
2s
Abbildung 36: Bildung von vier sp3-Hybridorbitale aus einem s-Orbital und drei p-Orbitalen beim C-Atom . Die vier sp3-Orbitale
sind entartet; ihr Energiegehalt liegt zwischen der Energie des 2s- und der drei 2p-Orbitale aus denen sie gebildet
wurden. Siehe auch die folgende Abbildung
E
E
Hybridisierung
2p
2s
1s
Abbildung 37: Energieschema der Hybridisierung im C-Atom
2sp3
1s
Seite 51
Quantenchemie – eine Einführung
Auf der Grundlage dieser Konzepte sind die Bindungen im Methan einfach zu erklären. Die vier σ-Bindungen
sind äquivalent, in gleicher Weise ausgerichtet und bilden einen regelmässigen Tetraeder. Mit ähnlichen
Vorgehensweisen lassen sich auch die Bindungen in anderen Molekülen erklären.
9.5.2
Weitere Hybridisierungsarten - Mehrfachbindungen
Andere Typen von Hybridorbitalen entstehen durch das Verschmelzen von AO in unterschiedlichen Anteilen.
3
Die für die Chemie wichtigsten drei Typen der Hybridisierung sind die tetraedrische (sp , Bindungswinkel
2
109.5 °), die trigonal-planare (sp , Bindungswinkel 120 °) und die lineare (sp, Bindungswinkel 180 °). Sie führen
zu den Konzepten der Mehrfachbindungen.
Betrachten wir die Struktur des Ethens. Aus experimentellen Untersuchungen weiss man, dass alle sechs
Atome des Ethens in einer Ebene liegen und dass die HCH- und die CCH-Bindungswinkel 120 ° betragen.
2
Diese Geometrie deutet darauf hin, dass die C-Atome sp -hybridisiert sind, wobei sich jeweils ein Elektron in
jedem der drei Hybridorbitale „befindet“. Das vierte Elektron muss daher ein unhybridisiertes 2p-Orbital
beschreiben:
2p
2pz
HYBRIDISIERUNG
2
2sp
2s
Abbildung 38: Hybridisierung eines s- mit zwei p-Orbitalen
Dieses unhybridisierte p-Orbital steht senkrecht zu der Ebene, die durch die Hybridorbitale aufgespannt wird
(Abb. 39). Die beiden Kohlenstoffatome sind durch eine σ-Bindung von jeweils einem sp -Hybridorbital der
2
C-Atome
miteinander
verbunden.
Die
H-Atome
bilden
σ-Bindungen
mit
den
zwei
verbleibenden
2
sp -Hybridorbitalen. Die Elektronen in den zwei verbleibenden 2pz-Orbitalen bilden das Elektronenpaar einer
π-Bindung. Daraus folgt, dass die C=C-Doppelbindung aus einer σ-Bindung der Csp -Hybridorbitale und einer
2
π-Bindung der zwei C2p-Orbitale besteht. Die beiden Orbitallappen der π-Bindung befinden sich ober- und
unterhalb der Molekülebene. Diese Vorstellung macht keine Mühe, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es
sich bei den Orbitalen um Ein-Elektronen-Wellenfunktionen handelt.
Seite 52
Quantenchemie – eine Einführung
σ-Bindung
π-Bindung
Abbildung 39: Bindungsverhältnisse im C2H4-Molekül
Durch die grössere Distanz der p-Orbitale und somit der schlechteren Überlagerung im Vergleich der
σ-Bindung, ist die Bindungsenergie der π-Bindung kleiner als diejenige der σ-Bindung (vgl. Tabelle der
Bindungsenergien, Baars/Christen, Seite 61). Dieser Umstand ist auch im Energieschema des Ethen sichtbar:
die Aufspaltung der Orbitale bei einer π-Bindung ist weniger gross als bei einer σ-Bindung (Abb. 40).
E
σ∗
p
π∗
p
σ∗
sp2
sp2
π
σ
σ∗
1s
1s
σ
σ
C
C
1s
H
Abbildung 40: Aufspaltung der MO’s bei der Bildung einer Doppelbindung im Ethen. Die Aufspaltung von zwei sp2-Orbitalen des
linken C und einem sp2-Orbital des rechten C ist nicht gezeigt, kann aber gleich dargestellt werden wie die
Wechselwirkung mit dem gezeigten H. Die Energien sind qualitativ, nicht quantitativ zu verstehen.
Seite 53
Quantenchemie – eine Einführung
Die Struktur von Ethin kann in ähnlicher Weise beschrieben werden. Um eine lineare Geometrie zu erreichen,
müssen die C-Atome sp-hybridisiert sein.
Es befindet sich jeweils ein Elektron in jedem der zwei sp-
Hybridorbitale und je eines in jedem der beiden senkrecht dazu stehenden unhybridisierten 2p-Orbitalen:
2p
2p
HYBRIDISIERUNG
2sp
2s
Abbildung 41: Hybridisierung eines s- mit einem p-Orbital
Zwei σ- und eine π-Bindung oder eine σ- und zwei π-Bindungen? Grundsätzlich gilt, dass zwischen zwei
Atomen nur eine σ-Bindung möglich ist. Also muss das Ethin zwei π-Bindungen haben. Da die zwei
p-Orbitale eines C-Atoms rechtwinklig aufeinander stehen, sind die Elektronen der σ-Bindung oben, unten, links
und rechts von π-Elektronen umgeben. Dies resultiert in einer Art Röhre um die σ-Bindung herum (Abb. 43). Die
Aufspaltung im Energieschema verhält sich ähnlich derjenigen im Ethen (Abb. 42).
MO‘s
E
AO‘s
σ∗
AO‘s
p
π∗
p
sp
π
sp
σ
σ∗
1s
1s
σ
C
C
Abbildung 42: Aufspaltung der MO’s bei der Bildung einer Dreifachbindung im Ethin. Die Wechselwirkung je eines sp-AO’s mit
dem 1s-Orbital des H ist nicht gezeigt. Die Energien sind qualitativ, nicht quantitativ zu verstehen.
Seite 54
Quantenchemie – eine Einführung
py
py
spz
spz
px
px
Abbildung 43: Hybridisierung und Elektronenwolken im Ethin
9.6
Bindungsverhältnisse weiterer Moleküle
Betrachten wir zum Schluss noch den ursprünglichen Grund dieses kleinen Einschubs, nämlich das Benzol
16
2
mit seinen delokalisierten Elektronen. Im Benzol ist jedes der sechs C-Atome, wie beim Ethen, sp -hybridisiert.
Die verbleibenden p-Orbitale, eines pro C-Atom, stehen nun rechtwinklig auf der Ringebene. Die Elektronen der
sp -Hybridorbitale bilden Paare und gehen sechs σ(C-C)-Bindungen ein. Jeweils ein H-1s-Elektron bildet mit
2
dem dritten sp -Hybridorbital der Kohlenstoffe ein Elektronenpaar und es entstehen 6 σ(C-H)-Bindungen. Der
2
sich so bildende Ring bringt die unhybridisierten 2p-Elektronen der Kohlenstoffatome so nahe zusammen, dass
eine Wechselwirkung stattfindet und sich die Orbitale seitlich mit einem ihrer Nachbarn zu einer π-Bindung
überlappen können. Anders als bei einer „normalen“ Doppelbindung können nun in einem solchen System die
π-Elektronen über alle C-Atome delokalisiert sein. Daraus resultieren zwei Ringe von insgesamt 6
delokalisierten π-Elektronen, die dem Molekül eine besondere Stabilität verleihen (Abb. 44).
16
Bearbeiten Sie die Aufgaben und die Links unter folgender Adresse: http://www.merian.fr.bw.schule.de/Bobeth/chemie/organik/benzol1.htm
Quantenchemie – eine Einführung
Abbildung 44:
Seite 55
Oben: σ-Bindungen im Benzolmolekül; links: p-Orbitale senkrecht zu den σ-Bindungen; rechts: delokalisierte
π-Bindungen
Quantenchemie – eine Einführung
Seite 56
Die dazugehörigen bindenden und antibindenden Molekülorbitale haben dabei folgende Formen:
Abbildung 45:
17
MO von Benzol, zu finden unter: http://mc.net/~buckeroo/ARSY.html17; Das unterste Niveau hat keine, das
erste eine, das zweite zwei und das dritte drei Knotenlinien. Die unteren zwei Niveaus sind bindend, die oberen
antibindend.
Molekülorbitale (können bewegt werden) sind auch unter http://www.chem.arizona.edu/~salzmanr/orbitals.html zu finden (Erfordert Plug-in
„Chime“; kann unter http://www.mdli.com/support/chime/default.html heruntergeladen werden)
Quantenchemie – eine Einführung
Seite 57
10 Farben
Was ist Farbe, und was macht einen Stoff farbig? Die Antworten sind unterschiedlich, in den meisten Fällen
handelt es sich aber um eine Absorption gewisser Wellenlängen. Verbindungen, die elektromagnetische Wellen
im sichtbaren Bereich absorbieren, vermitteln in unserem Gehirn den Farbeindruck. Obschon jedes Molekül in
einem ganz bestimmten Bereich des elektromagnetischen Spektrums die Wellen absorbiert, gibt es doch ganz
bestimmte Kriterien, damit wir eine Farbe wahrnehmen: die Absorption muss zwischen 380 nm und 720 nm
liegen. Unsere Augen „sehen“ jedoch nicht die absorbierten Wellen, sondern die übrig bleibenden Anteile des
Spektrums.
Abbildung 46:
Die roten und blauen Anteile des weissen Lichts werden absorbiert und für chemische Reaktionen verwendet.
Übrig bleibt die Farbe grün.
Seite 58
Quantenchemie – eine Einführung
Die absorbierten Wellen bewirken, dass ein Elektron von
einem Orbital in ein höheres gehoben wird. Da die Energien
zwischen den Orbitalen quantisiert sind, sind nur ganz
bestimmte Übergänge möglich. Nämlich diejenigen, die der
Energie der entsprechenden Photonen entsprechen.
Ein
Überblick
zwischen
den
absorbierten
und
den
„gesehenen“ Wellen ist in der nebenstehenden Abbildung
dargestellt.
Doch was macht ein Teilchen zu einem Farbstoff oder einem
Pigment?
18
Abbildung 47:
18
Beziehung zwischen
absorbierter Wellenlänge,
sichtbare Farbe und Energie
In der Farbstoffchemie unterscheidet man zwischen den wasserlöslichen Farbstoffen, die unter anderem für Textilien Verwendung finden und den
unlöslichen Pigmenten, die als Lackfarbstoffe auf den Markt kommen.
Seite 59
Quantenchemie – eine Einführung
10.1 Organische Farbstoffmoleküle19
Vergleicht man die folgenden Stoffe, wird schnell einmal klar, dass die Delokalisation von Elektronen in einem
Molekül von entscheidender Bedeutung ist. Je grösser die Delokalisation in einem Molekül, desto höher ist die
Wellenlänge des absorbierten Lichts, oder desto kleiner ist die Energie, um die Elektronen auf das nächst
höhere Niveau zu heben.
Molekül
Lewis-Formel
Absorptionspeak absorbierte
beobachtete
“Farbe”
Farbe
Benzol
255 nm
UV
farblos
Naphthalin
315 nm
UV
farblos
Anthracen
380 nm
UV
farblos
Naphtacen
480 nm
blau
orange
Pentacen
580 nm
gelb
indigo
Wechseln sich in einem Molekül Doppel- und Einfachbindungen ab, handelt es sich dabei um ein delokalisiertes
System, bei dem alle am System beteiligtem Atome sp -hybridisiert sind. Neben dem σ-Gerüst bleibt eine p2
Elektronenwolke übrig, die senkrecht zum Grundgerüst steht, wie das Beispiel 1,3-Butadien zeigt:
Abbildung 48:
σ-Gerüst und p-Wolken des 1,3-Butadien
Daraus resultieren die entsprechenden π-Orbitale und eine Delokalisation über das ganze Molekül:
C
Abbildung 49:
19
C
Delokalisierte Elektronen im 1.3-Butadien
vgl. dazu Kapitel 10.2 im Duden Chemie und Kapitel 29 im Baars / Christen
C
C
Seite 60
Quantenchemie – eine Einführung
Da eine Delokalisation mit der Lewis-Formel nicht genau wiederzugeben ist, muss man sich oft mit den
Grenzstrukturen behelfen, wie das Beispiel Indigo zeigt:
O
H
O
N
H
N
N
+
N
H
O
O
H
H
O
N
N
H
Abbildung 50:
O
Grenzstrukturen des Indigo. Da das Molekül symmetrisch ist, können die Grenzstrukturen zwei Mal gezeichnet
werden.
Tritt ein Atom bei irgend einer Grenzstruktur mit einer Doppelbindung auf, kann man davon ausgehen, dass es
sicher zum delokalisierten System beiträgt. Für Indigo
20
würde sich dementsprechend folgende Delokalisation
ergeben:
O
H
N
N
H
Abbildung 51:
O
Delokalisation im Indigomolekül
Betrachtet man das Absorptionsspektrum dieses Moleküls, bemerkt man, dass lediglich der blaue Anteil des
Lichts nicht absorbiert wird (siehe Abb. 54).
Will man mit Indigo färben, muss das Molekül unter basischen Bedingungen reduziert werden, damit es
wasserlöslich wird. Während die Erhöhung des pH-Wertes früher mit Urin21 gemacht wurde, geschieht dies
heute mit Ammoniak oder NaOH. Zur Reduktion verwendet man heute Dithionit. Bei der Reduktion verkleinert
sich jedoch das delokalisierte System im Molekül. Die Absorption verschiebt zu kürzeren Wellenlängen: wir
sehen die Farbe gelb:
20
21
Bilder zu dieser Pflanze sind zu sehen unter:
http://hep.itp.tuwien.ac.at/~kreuzer/strings.html
http://m.aei-potsdam.mpg.de/startrek/sld019.htm
http://www.feininger.de/
Die verwendeten Ausdrücke „blau machen“ und „blau“ für alkoholisiert, sind wahrscheinlich auf die Färbemethode mit Indigo zurückzuführen.
Damit möglichst viel Urin produziert werden konnte, wurde ausgiebig Alkohol, der diuretisch wirkt (Vasopressin- (=Antidiuretin-)ausschüttung wird
gehemmt), konsumiert. Dies war natürlich angenehmer als die übliche Arbeit zu verrichten!
Seite 61
Quantenchemie – eine Einführung
O
H
N
N
O
H
Abbildung 52:
Delokalisation der Elektronen in der wasserlöslichen Form des Indigo
Aber nicht nur das delokalisierte System, sondern auch die daran angehängten Gruppen spielen eine wichtige
Rolle bei der Absorption von Licht. Das 6,6’-Dibromindigo ist eine purpurne Farbe, die im Altertum sehr kostbar
war. Es war nur dem jeweiligen Cäsar erlaubt, Kleider mit dieser Farbe zu tragen. Das 6,6’-Dibromindigo wurde
22
aus einer Schnecke gewonnen . Dazu benötigte man 6000 bis 8000 Tiere um ein Gramm Farbstoff zu
gewinnen. Die beiden angehängten Bromatome bewirken aufgrund ihrer relativ hohen EN eine Verschiebung zu
tieferen Wellenlängen (vgl. Abbildung 54), da Elektronen aus dem delokalisierten System gezogen werden:
O
H
N
N
Br
H
Abbildung 53:
Br
O
Lewis-Formel des Purpur aus der Purpurschnecke
OD
Indigo
6,6’-Dibromindigo
λ (nm)
Abbildung 54:
Absorptionsspektrum von Indigo und Dibromindigo
Will man aber die zwischen den Orbitalen liegenden Energie berechnen, stösst man beim Indigo auf einige
Schwierigkeiten. Man muss deshalb davon ausgehen, dass dieses Molekül keine vollständige Delokalisation
aufweist. Grund dafür können die in sich abgeschlossenen Benzolringe sein.
Nicht so bei idealen Farbstoffmolekülen, d.h. Molekülen mit einer vollständigen Delokalisation. Bei ideal
konjugierten Doppelbindungen geht man vom linearen Kasten aus, um die Energien zwischen den Orbitalen zu
berechnen. Dabei ist die Länge des Moleküls der Kasten, in dem die Elektronenwellen Platz haben. Die
Anregungsenergie berechnet sich nach:
22
zu sehen unter www.seilnacht.tuttlingen.com/ Lexikon/Purpur.htm
Seite 62
Quantenchemie – eine Einführung
( z + 1)
8mc
λ=
•d2 •
(N + 1)
h
2
λ:
absorbierte Wellenlänge
m:
Masse des Elektrons (9.11 • 10
c:
Lichtgeschwindigkeit (2.998 • 10 m/s)
h:
Plank’sches Wirkungsquantum (6.626 • 10
d:
Mittlere Bindungslänge (1.39 • 10
z:
Anzahl Atomkerne
N:
Anzahl delokalisierte Elektronen
-31
kg)
8
-34
-10
Js)
m)
_________________________________________________________________________________________________________________________
Einschub
Nach de Broglie (alles hat seine Wellenlänge) gilt für bewegte Teilchen: m • v =
h
λ
Nach Schrödinger gilt für die Energie aller Systeme Eges = Ekin + Epot; da die potentielle Energie gleich bleibt,
interessiert uns nur die kinetische Energie, die sich ganz normal nach E kin =
hier für v de Broglie ein, ergibt dies E
=
1
mv 2 berechnen lässt. Setzt man
2
h2
2mλ2
Die Wellenlänge ist in einem Kasten quantisiert, da nur stehende Wellen mit der Beziehung λ =
kommen. Setzt man dies bei der kinetischen Energie ein, ergibt sich
Für das HOMO gilt n =
E =
h2
8mL
2
2L
in Frage
n
•n2
N
N
+ 1 ist (N: Anzahl π-Elektronen).
, während das LUMO auf n =
2
2
Die Differenz berechnet sich nach
2
2
 h 2 N
h2
   h 2 N  
−
=
∆E = 
+
1




 8mL 2  2
   8mL 2  2   8mL 2
2
2
 N
h2

N  
 + 1  −    =
(N + 1)
 2

 2   8mL 2
è Anregungsenergie des Moleküls
h ist das Plank’sche Wirkungsquantum (6.626 · 10
-34
Js) und m die Masse eines Elektrons (9.11 · 10
-31
kg). Für
die Länge des Kastens wird das konjugierte π-System betrachtet. Die mittlere Bindungslänge beträgt
1.39 · 10
-10
m. Bei beiden Enden wird noch je eine Bindungslänge dazugezählt (oder man zählt die
Kohlenstoffkerne (z), zählt auf beiden Seiten noch eine Bindungslänge (d) dazu und multipliziert mit der
mittleren Bindungslänge: L = (z + 1) · d; Das Resultat ist das gleiche).
Mit ∆E =
hc
hc
oder λ =
ergibt sich die ausserhalb des Einschubs erwähnte Formel.
∆E
λ
Mit anderen Worten: je länger der Kasten, desto kleiner wird die Anregungsenergie. Die Wellenlänge verschiebt
sich in den sichtbaren Bereich.
_________________________________________________________________________________________________________________________
Seite 63
Quantenchemie – eine Einführung
Ein Beispiel dafür sind die Cyaninfarbstoffe:
R
N
CH CH CH
+
n
N
R
Aber auch die Polyene werden gut verstanden, obschon bei ihnen ein Korrekturfaktor eingeführt werden muss,
der aber sehr wohl erklärbar ist. Beispiele für Polyene sind die Carotinoide.
OH
HO
Abbildung 55:
Carotinoide werden in die Carotine (oben: β -Carotin) und in die sauerstoffhaltigen Xanthophylle (unten: Lutein)
eingeteilt. Während α- und β-Carotin eine Vitaminfunktion für den Menschen einnehmen (Sehprozess: vgl.
Retinal) kommen Xanthophylle neben den Carotinen in Blättern vor und helfen Lichtenergie „einzufangen“. Die
gelben und roten Farben der Blätter im Herbst sind auf die Carotinoide zurückzuführen. Im Sommer wird ihre
Farbe vom Chlorophyll überdeckt. Dieses wird aufgrund seines Magnesiumions von den Pflanzen in den Stamm
zurück transportiert, damit es im nächsten Frühling wieder zur Verfügung steht (vergleichen Sie dazu Ihr
Biologiebuch).
10.1.1 Fluoreszierende Farbstoffe
Diese Farbstoffe absorbieren Wellenlängen häufig im UV- oder Blaubereich. Fluorescein sollte uns deshalb rot
erscheinen. Zwischen dem Grundzustand und dem durch die Absorption dieses Photons erreichte angeregte
Zustand gibt es noch ein weiteres Niveau. Das Elektron fällt bei seinem Weg auf den Grundzustand zuerst auf
dieses Niveau. Die Energie gibt es dabei in Form von Wärme ab. Erst beim zweiten Schritt fällt nun das
Elektron in den Grundzustand zurück. Dabei gibt es die Energie in Form von grünem Licht ab, ist also ein
sogenannter aktiver Farbstoff:
Seite 64
Quantenchemie – eine Einführung
O
O
HO
O
OH
Wärme
angeregte
Elektronenzustände
485 nm
Licht: 570 nm
Grundzustand
Abbildung 56:
Lewis-Formel von Fluorescein (oben) und Asorptions- und Emissionsverhältnisse im Fluorescein (unten)
Seite 65
Quantenchemie – eine Einführung
10.2 Anorganische Farbstoffe
Während bei den organischen Farbstoffen die delokalisierten Elektronen eine Rolle spielen, kommen bei den
anorganischen Farbstoffen die d-Wolken ins Spiel. Das Prinzip ist folgendes: In der Mitte befindet sich ein
sogenanntes Zentralion, häufig ein Übergangsmetall. Um das Zentralion befinden sich die Liganden. Je nach
Substanz, d.h. Zusammensetzung des Zentralions und der Liganden, wird das Metallion von unterschiedlichen
Seiten und unterschiedlicher Stärke koordiniert.
Abbildung 57:
23
Dabei sind folgende ausgewählte Situationen möglich:
Alle d-Wolken sind um das Zentralion gezeichnet. Dunkel die dz2- und die dx2-y2-Wolken, hell die dxy-, dxz- und
dyz-Wolken. Das Zentralion kann oktaedrisch (links) oder tetraedrisch (rechts) oder quadratisch planar (rechts
ohne Liganden aufderz-Achse) von den Liganden koordiniert werden.
Je nach Anordnung der negativen oder negativ polarisierten Liganden gegen die Elektronen enthaltenden, also
auch negativen Wolken, befinden sich die d-Orbitale auf einem höheren oder tieferen Energieniveau.
Die Aufspaltung der Orbitale, abhängig vom Ligandenfeld, ist auf der folgenden Seite zusammengefasst:
23
Lesen Sie Kapitel 8 im Duden Chemie
Seite 66
Quantenchemie – eine Einführung
Energie
d z2 d x2 – y2
dxy
dyz
dxz
Energie
dxy
dyz
dxz
d z2 d x2 – y2
Energie
d x2 – y2
d z2 d x2 – y2
dxy
d z2
dxy
dyz
dxz
dyz
Abbildung 58:
dxz
Aufspaltung der d-Orbitale im Oktaederfeld (oben), Tetraederfeld (Mitte) und quadratisch planaren Feld (unten).
Das quadratisch planare Feld ergibt sich aus dem Oktaederfeld, dem die zwei Liganden in der z-Achse
weggenommen werden.
Seite 67
Quantenchemie – eine Einführung
Beim Oktaederfeld muss zusätzlich zwischen high spin und low spin Komplexen unterschieden werden.
Während bei high spin Komplexen die Differenz zwischen den d-Orbitalen relativ klein ist und die Elektronen
über die fünf Orbitale nach Pauli aufgeteilt werden, ist bei low spin Komplexen die Energiedifferenz so gross,
dass die Paarungsenergie (zweites Elektron in das gleiche Orbital) kleiner ist. Die Elektronen werden in die
unteren Orbitale verteilt (vgl. folgende Abb.). Eine Unterscheidung zwischen high und low spin macht nur Sinn,
wenn die d-Orbitale 4, 5, 6 oder 7 Elektronen enthalten.
high spin
low spin
d z2 d x2 – y2
Energie
d z2 d x2 – y2
dxy
dyz
dxz
dxy
schwaches Feld
dxz
starkes Feld
3+
3-
Bsp.: Fe[(H2O)6]
Abbildung 59:
dyz
Bsp.: Fe[(CN)6]
Je nach Ligand und Zentralion werden die höheren und tieferen d-Orbitale energetisch weiter
auseinandergezogen.
Sowohl die Zentralionen als auch die Liganden können nach zunehmender Stärke eingeordnet werden.
-
-
2-
-
-
-
-
-
2-
-
-
-
I < Br < S < SCN < Cl < N3 , F < Harnstoff, OH < O < H2O < NCS < NH3 < NO2 < CN < CO
Energie wird grösser; absorbierte Wellenlänge wird kleiner
und
2+
Mn
2+
< Ni
< Co
2+
< Fe
2+
2+
<V
3+
< Fe
3+
< Co
3+
< Mn
3+
< Mo
3+
< Rh
< Ru
3+
4+
< Pd
< Ir
3+
< Pt
4+
Es kommt also sowohl auf das Zentralion als auch auf den Liganden an, welche Farbe von dem
2+
entsprechenden Komplex absorbiert wird. Während Mn
3+
Co
vor allem high spin Komplexe bildet, trifft man beim
vorwiegend low spin Komplexe an. Je nach Stärke des Liganden werden andere Farben absorbiert, da die
Anregungsenergie jeweils unterschiedlich hoch ist. Das folgende Beispiel soll diesen Zusammenhang
illustrieren. Es handelt sich dabei um einen low spin Komplex:
Seite 68
Quantenchemie – eine Einführung
Komplex
Absorbierte Wellenlänge (nm)
Energiedifferenz
700
klein
3-
[CoF6]
3-
640
3+
600
[Co(CO3)3]
[Co(H2O)6]
2+
[Co(NH3)5Cl]
535
3+
[Co(NH2)6]
[Co(CN)5Br]
475
3-
415
3-
[Co(CN)6]
310
gross
Jedes dieser Zentralionen und alle Liganden können aber auch eine tetraedrische oder quadratisch planare
Anordnung einnehmen. Dabei gibt es Tendenzen, die aber nicht überall stimmen müssen. So kann man sagen,
dass Halogene eine tetraedrische Anordnung bevorzugen, neutrale Liganden eine oktaedrische Anordnung,
2+
2+
und die Zentralionen Ni , Pt
2+
und Pd
häufig eine quadratisch planare Umgebung haben.
10.3 Beispiele
Beispiele von organischen und anorganischen Farbstoffen und Pigmenten finden Sie auf den folgenden Seiten:
http://www.cis.tugraz.at/orgc/hoegroup/naturst/skript/farbstoffe_low.html
http://www.educeth.ch/chemie/diverses/pigmente/pigmente/
http://www.uni-bayreuth.de/departments/ddchemie/umat/komplexfarbe/komplexfarbe.htm (mit Anordnung im
Komplex)
http://www.seilnacht.tuttlingen.com/farbe.htm
http://www.seilnacht.tuttlingen.com/Lexikon/FLexikon.htm
http://neon.chem.ox.ac.uk/vrchemistry/complex/allbottlesmsiedefault.html
Seite 69
Quantenchemie – eine Einführung
Ein Beispiel für Systeme, die sowohl einen organischen Teil als auch ein Zentralion besitzen, sind der
organische delokalisierte Porphyrinring mit unterschiedlichen Zentralionen. Befindet sich ein Fe
2+
in der Mitte,
handelt es sich um das Sauerstofftransport- und -speichersystem im Blut bzw. Muskel. Der Porphyrinring
befindet sich im Innern des Hämoglobins oder Myoglobins. Das Fe
2+
ist an vier Stellen durch den Porphyrinring
koordiniert, an einer Stelle vom Stickstoff eines Histidins und an der sechsten Stelle, falls vorhanden, vom
Sauerstoffmolekül.
R
N
N
2+
Mg
Fe
N
N
COOH
COOH
N
N
2+
N
N
O
O
O
O
O
O
O
R = CH3:
Chlorophyll a
R = CHO: Chlorophyll b
2+
Porphyrinring
Fe
N
His
Abbildung 60:
N
Porphyrinringe des Häm (links) und des Chlorophylls (rechts). Das Histidin ist ein Teil des Hämoglobins.
Enthält das Hämoglobin ein Sauerstoff (Oxy-Form) bildet das Häm einen low spin Komplex. Die sechs
Elektronen sind alle gepaart, was dazu führt, dass das Häm diamagnetisch
24
ist. In der Desoxy-Form, also ohne
25
Sauerstoff, bildet das Häm einen high spin Komplex. Der Komplex ist paramagnetisch . Diese
unterschiedlichen Formen haben auch einen Einfluss auf die Farbe des Blutes. Vollständig mit Sauerstoff
24
richtet sich in einem magnetischen Feld nicht aus
Seite 70
Quantenchemie – eine Einführung
-
gesättigtes arterielles Blut ist hellrot, während venöses Blut dunkelrot bis violett erscheint. Cyanidionen (CN ;
Blausäure: HCN; Cyankali: KCN) und CO können im Hämoglobin den Platz des Sauerstoffs einnehmen.
Obwohl es sich dabei um ein chemisches Gleichgewicht handelt, liegt das Gleichgewicht stark auf der Seite der
beiden Gifte. Ein weiteres Beispiel eines Gleichgewichts, das stark auf einer Seite liegt, ist die im Praktikum
2+
durchgeführte Konkurrenzreaktion von Ammoniak mit Wasser beim Cu -Ion.
2+
Cu
H
+ 6 O
[ Cu(H2O)6]2+
H
hellblau
+4NH3
-2H
O
-4
H22O
[ Cu(NH3)4(H2O)2]2+
dunkelblau
Tetraamminkupfer(II)-Komplex b)
Hexaaquakupfer(II)-Komplex
2+
OH2
OH2
H2O
NH3
H3N
Cu
H2O
2+
OH2
Cu
OH2
OH2
H3N
NH3
OH2
2+
Chlorophyll hat genau das gleiche delokalisierte System wie Häm, jedoch in der Mitte ein Mg . Dieser
Unterschied bewirkt, dass Chlorophyll grün ist. Im Herbst wird das Chlorophyll aus den Blättern zurück
gezogen, damit das Magnesiumion im nächsten Frühling wieder zur Verfügung steht. Übrig bleiben die
Carotinoide. Das Blatt erscheint gelb oder rot.
25
richtet sich in einem magnetischen Feld aus
Quantenchemie – eine Einführung
Seite 71
11 Literatur
-
Baars, G. et al. Quantenchemie – ein Leitprogramm in Chemie, Herausgeber: Günter Baars und Walter
Caprez, ETH Zürich, Institut für Verhaltenswissenschaft & Universität Bern, Abteilung für das höhere
Lehramt
-
Baars, G. et al. Das Denken in Modellen – Skriptum zum Unterricht
-
Hey, T. & Walters P. (1990/98) Das Quantenuniversum; Die Welt der Wellen und Teilchen, Heidelberg,
Spektrum-Verlag
-
Atkins, Peter W. (1988) Physikalische Chemie, 1. vollst. Durchges. U. berichtigter Nachdr. D. 1 Aufl.,
Weinheim, Basel, Cambridge, New York (NY), VCH-Verlag
-
Atkins, Peter W. (1998) Chemie – einfach alles, 2. korr. Auflage, Weinheim, New York, Chichester,
Brisbane, Singapore, Toronto, Wiley-VCH-Verlag
-
Huheey, James E. (1988) Anorganische Chemie, Prinzipien von Struktur und Reaktivität, Berlin, New York,
de Gruyter
-
Christen, H.R. & Baars, G. (1997) Chemie, Verlag Sauerländer, Aarau und Diesterweg Verlag, Frankfurt
am Main
-
Mortimer, Charles E. (1996) Chemie; das Basiswissen der Chemie, 6. völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart,
New York, Thieme
-
Dickerson, Richard E. (1986) Chemie – eine lebendige und anschauliche Einführung, Weinheim, Deerfield
Beach, Florida, Basel, VCH-Verlag
Seite 72
Quantenchemie – eine Einführung
Wichtige Begriffe – kurz erklärt
Photon
komprimierte, diskrete Energieeinheit (“Teilchen”) der elektromagnetischen Strahlung
Photonenenergie
E=h
Wellenmechanik
Die Wellenmechanik baut auf dem Gedanken der Materiewellen von de Broglie auf, die dieser aufgrund des Einsteinschen
Konzepts des Welle-Teilchen-Dualismus für Elektronen in Atomhüllen postulierte.
Als Wellenmechanik bzw. Quantenmechanik bezeichnet man das Teilgebiet der Quantenphysik, dessen Aufgabe es ist, Werte für
ψ (Amplitude der Materiewelle) zu ermitteln. Ausgehend von der Wellenmechanik wird das wellenmechanische Atommodell
entwickelt.
Wahrscheinlichkeitswelle
Die Bahn eines atomaren, sich bewegenden Teilchens, folgt Gesetzen, die die mit dem Teilchen verbundene Welle vorschreibt.
Diese Welle wird als Wahrscheinlichkeitswelle verstanden.
Beziehung nach de Broglie
h: Planck’sches Wirkungsquantum
λ=
h
mv
λ:
m: Masse
v: Geschwindigkeit
Materiewelle
Elektromagnetische Strahlung, sowie materielle Teilchen kann man sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften zuschreiben.
In diesem Zusammenhang spricht man von Materiewellen.
Wahrscheinlichkeitsdichte
Die Wahrscheinlichkeitsdichte vergleicht die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons in gleichen Volumenteilen dV, wenn
diese verschiedene Entfernungen vom Kern aufweisen.
Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsdichten (Elektronendiche, Ladungsdichte) lässt sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines
Elektrons in bestimmten Volumenelementen berechnen.
Radiale Wahrscheinlichkeitsdichte
Die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte vergleicht die Aufenthaltswahscheinlichkeit des Elektrons in Kugelschalen gleich Dicke dr,
wenn diese verschiedene Abstände vom Kern haben. Mit Hilfe der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte lässt sich die
Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einer bestimmten Kugelschale berechnen.
Aufenthaltsraum/Ladungswolke
Raum, in dem sich das Elektron mit z.B. 90%iger Wahrscheinlichkeit aufhält.
Raum, der 90% der Elektronenladung umschliesst.
Hauptquantenzahlen
Zahlen, die den Energiezustand von Elektronen in einem Atom beschreiben; sie entsprechen den Elektronenschalen.
Entartete Energiezustände
Identische Energiewerte innerhalb eines Energieniveau
Quantenchemie – eine Einführung
Seite 73
Pauli Prinzip
Keine zwei Elektronen dürfen in allen Quantenzuständen übereinstimmen. Jede Elektronenwellenfunktion kann so maximal nur
zwei Elektronen mit unterschiedlichem Spin beschreiben
Hund’sche Regel
Die im Atombau mit zunehmender Ordnungszahl hinzukommenden Elektronen werden zunächst die zur Verfügung stehenden
energetisch gleichwertigen Plätze in einer Elektronenschale einzeln besetzen (Schweizerbusprinzip).
Hybridisierung
(Lat.: Hybrida, Mischling) Ein von Linus Pauling eingeführter Begriff. Man versteht darunter eine Linearkombination verschiedener
AO am gleichen Atom zu sogenannten Hybridorbitalen. Bei der Hybridisierung handelt es sich um keinen physikalisch
observablen Effekt, sondern lediglich um ein Hilfsmittel (Modell) zur Erklärung der Elektronenstruktur eines Moleküls.
Orbital
Ein-Elektronen-Wellenfunktion für Elektronen.
Atombindung
Erhöhte Aufenthaltswahrscheinlichkeit von mindestens zwei Elektronen zwischen zwei Atomen. Als Folge von konstruktiver
Interferenz zwischen zwei Elektronenwellenfunktionen (Addition der Amplituden) wird die Elektronendichte erhöht.
Komplex
Ein aus Zentralteilchen und Liganden aufgebautes Teilchen, das durch die anziehenden Kräfte zwischen nichtbindenden
Elektronenpaaren von Liganden und positiver Ladung des Zentralteilchens zusammengehalten wird.
Ligandenfeld
Das elektrische Feld, das die nichtbindenden Elektronenpaare der Liganden erzeugen.
Ligandenfeldaufspaltung
Energiedifferenz zwischen den energiereicheren und den energieärmeren d-Orbitalen im Komplex.
Seite 74
Quantenchemie – eine Einführung
12 Anhang
7.1.1 Polarkoordinaten
Die Wellenfunktionen werden wegen der Kugelsymmetrie des Coulomb-Potentials im Polarkoordinaten
ausgedrückt. Die Beziehungen sind unten dargestellt:
z ·
Q
P(x,y,z)
P(r,θ,φ)
θ
r
θ
y
φ
·
·
x
Wobei die Polarkoordinaten in Abhängigkeit der Raumachsen x, y und z lauten:
cos(θ ) =
7.2
z
r
sin(θ ) =
Q
r
sin(φ ) =
y
r ⋅ sin(θ )
cos(φ ) =
x
r ⋅ sin(θ )
Der erste Energiezustand (Grundzustand) des Elektrons im Wasserstoffatom
Wie sehen aber nun diese Orbitale aus? Nach Max Born ist das Quadrat der Amplitude der angenommenen
Materiewelle proportional zur Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons in einem bestimmten Raumvolumen.
Auf Grund des Coulomb-Potentials kann man annehmen, dass die Elektronendichte nahe des Kerns gross ist
und mit zunehmendem Abstand im Unendlichen gegen Null strebt. Somit bietet sich für die Wellenfunktion eine
abnehmende Exponentialfunktion des Typs Ψ = k·e
-r/C
an. Mit der Bedingung
∞
∫ Ψ dτ = 1
2
0
2
(dτ = 4πr dr; Volumen der Kugelschale der Dicke dr), was nichts anderes heisst, als dass sich das Elektron
irgendwo im Raumvolumen von 0 bis ∞ aufhalten muss. Dadurch kann die Konstante k durch die Konstante C
ausgedrückt werden und es folgt folgende Wellenfunktion:
Ψ=
1
π ⋅C3
⋅e
−
r
C
Seite 75
Quantenchemie – eine Einführung
Diese abgewandelte Wellenfunktion wird nun in die SGL (Schrödinger-Gleichung) eingesetzt, um die
Gesamtenergie zu berechnen. Diese soll minimal sein. Das bedeutet, dass man die erste Ableitung von EGES
Null setzt und auf diese Weise die Konstante C bestimmt:
dE
h2
= 0 → C = 4πε 0 ⋅ 2 2 ≡ a0 = 0.53 ⋅ 10 −10 m
dC
4π me0
1
Für den Grundzustand (Symbol 1s ) findet man eine Wellenfunktion, die mit den oben gemachten Angaben wie
folgt aussieht:
Ψ1s =
Wobei: Ψ:
r:
1
π ⋅ a 03
⋅e
−
r
a0
Amplitude der angenommenen, stehenden Materiewelle
Abstand des Elektrons vom Atomkern
a0: Bohrscher Radius; 0.53·10
-10
m
e0:
Elementarladung
h:
Planksches Wirkungsquantum
m: Elektronenmasse
7.2.1
ε0:
Influenzkonstante
e:
Eulersche Zahl, 2.718
Vereinfachte Wellenfunktion 1s und räumliche Darstellung
Lässt man von der Wellenfunktion die konstanten Faktoren weg, so ergibt sich eine vereinfachte Funktion, die
vollständig zur qualitativen Diskussion der wesentlichen Erscheinungen genügt:
Ψ = e − a ⋅r
Abbildung 61: Graphische Darstellung der Wellenfunktion Ψ für den Grundzustand des H-Atoms
Die Amplitude der angenommenen Materiewelle hat in der Nähe des Atomkerns einen grossen Wert; die
Funktionswerte werden mit zunehmendem Abstand kleiner und streben im Unendlichen gegen Null. Auch hier
sei nochmals erwähnt, dass diesen Amplituden keine physikalische Realität zukommt!
Seite 76
Quantenchemie – eine Einführung
Da die Wellenfunktion 1s nur von der Variablen r abhängig ist, ist der Verlauf von Ψ1s nach allen
Raumrichtungen gleich und die 1s-Funktion lässt sich auf einfache Art räumlich darstellen. Man zeichnet alle
Punkte für r, die den gleichen Funktionswert Ψ1s besitzen. Der entsprechende geometrische Ort ist ein Kreis in
der Zeichenebene, bzw. eine Kugeloberfläche bei Berücksichtigung aller Raumrichtungen.
Ψ = e − a ⋅r
Abbildung 62:
Geometrischer Ort aller Punkte P mit gleichem Funktionswert. Links: in der Zeichenebene; rechts: räumlich
7.2.2 Die Energie des Wasserstoffatoms im Grundzustand 1s
Die Energie des Grundzustandes 1s berechnet sich durch das Einsetzen der Wellenfunktion Ψ1s in die SGL. Als
Ergebnis erhält man:
1
e02
E1s = −
⋅
4πε 0 2 a0
Das negative Vorzeichen bedeutet, dass bei der Bildung des Wasserstoffatoms aus den beiden unabhängigen
Teilchen Proton und Elektron Energie frei wird à exothermer Vorgang.
7.2.3
Wird
Das Quadrat der Wellenfunktion: Wahrscheinlichkeitsdichte und radiale Wahrscheinlichkeitsdichte
die
Wellenfunktion
des
Grundzustandes
quadriert,
so
ergibt
sich
daraus
die
sogenannte
Wahrscheinlichkeitsdichte (Elektronendichte, Ladungsdichte) mit der sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit in
einem bestimmten Volumenelement dV berechnen lässt. Je nach Betrachtungsweise unterscheidet man neben
der Wahrscheinlichkeitsdichte die radialen Wahrscheinlichkeitsdichte.
Die Wahrscheinlichkeitsdichte
Die Wahrscheinlichkeitsdichte (Elektronendichte, Ladungsdichte) vergleicht die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
des Elektrons in gleichen Volumenteilen dV, wenn diese verschiedene Abstände vom Kern aufweisen.
Das Quadrat der Wellenfunktion 1s:
Ψ 2 = e −2 a ⋅ r
Seite 77
Quantenchemie – eine Einführung
Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einem bestimmten Volumenteil dV mit einem bestimmten Abstand vom
Atomkern berechnet sich nach dW = Ψ dV = e
2
-2a·r
dV. Um Ψ graphisch darstellen zu können, muss man die
2
Wahrscheinlichkeit dW für verschiedene Abstände r berechnen und so die erhaltenen Punkte miteinander
verbinden. Untenstehende Abbildung zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, das Elektron in einem Raumelement
dV in der Nähe des Kerns anzutreffen sehr gross ist.
Abbildung 63:
Links
Graphische Darstellung der Elektronendichte im Grundzustand des H-Atoms
Rechts: Elektronendichte für Ψ2 im Grundzustand des H-Atoms
Die Wahrscheinlichkeitsdichte des Wasserstoffelektrons im Grundzustand nimmt mit zunehmendem
Kernabstand stark ab (im Abstand von 0.182 pm ist die Wahrscheinlichkeitsdichte bereits auf 1/1000 des
maximalen Wertes abgesunken); sie wird jedoch erst im Unendlichen Null. Dies bedeutet, dass auch in
grösserer Entfernung vom Kern eine zwar extrem kleine, aber doch endliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht,
das Elektron dort anzutreffen. Mit anderen Worten, das Wasserstoffatom hat (wie natürlich auch die anderen
Atome) nach aussen theoretisch keine scharfe Umgrenzung.
Die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte (radiale Aufenthaltswahrscheinlichkeit, radiale Elektronendichte)
Das Kraftfeld des Atomkerns ist dreidimensional und kugelsymmetrisch. Deshalb ist es sinnvoll, auch die
sogenannte radiale Wahrscheinlichkeitsdichte zu betrachten:
Die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte (radiale Elektronendichte) vergleicht die Aufenthaltswahrscheinlichkeit
des Elektrons in Kugelschalen gleicher Dicke dr, wenn diese verschiedene Abstände vom Kern aufweisen.
Für die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte gilt: dW = Ψ ·4π r dr. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit innerhalb
2
2 2
2ar
2 2
einer derartigen Kugelschale berechnet sich also folgendermassen: dW = e ·4π r dr, wobei dr die Dicke der
2 2
2 2
Kugelschale, 4π r die Oberfläche einer Kugel und 4π r dr das Volumen einer Kugelschale darstellen:
r
dr
r1
r2
r
Quantenchemie – eine Einführung
Seite 78
Abbildung 64: oben: schematische Darstellung der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte; unten: In welchem
Abstand vom Atomkern des Wasserstoffatoms befindet sich die Kugelschale mit der grössten
Aufenthaltswahrscheinlickeit des Elektrons?
Nimmt man nun diese Zählung vor, erhält man folgende radiale Verteilung des Elektrons im 1s-Zustand:
Abbildung 65:
Graphische Darstellung der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte des Elektrons im Wasserstoffatom
(Grundzustand)
Stellt man diese Graphik räumlich dar, erhält man die in Abb. 20 dargestellte kugelsymmetrische Verteilung der
Elektronen im 1s-Zustand.
Abbildung 66: Räumliche Darstellung das Aufenthaltsraumes (Ladungswolke) des Elektrons im Wasserstoff; 1s-Zustand
Quantenchemie – eine Einführung
7.2.4
Seite 79
Aufenthaltsraum (Ladungswolke) des Elektrons im Grundzustand
Es ist oft zweckmässig, den Umriss des Raumes darzustellen, in dem sich das Elektron gemäss der
Wahrscheinlichkeitsdichte mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit aufhält (z.B. 90 %). Diesen Raum
bezeichnet man als Aufenthaltsraum des Elektrons. Das Teilchenmodell steht dabei „Pate“: Dieser
Aufenthaltsraum ist identisch mit dem Raum, der einen bestimmten Betrag der Elektronendichte umschliesst.
Da das Wellenmodell in dieser Betrachtung überwiegt spricht man von einer Ladungswolke. Für den 1s-Zustand
entspricht dies einer Kugel (vgl. Baars/Christen „Chemie – Theorie und Praxis, Sauerländer, 1996/98, Kapitel 4
und Duden Chemie Kapitel 3.1).
Seite 80
Quantenchemie – eine Einführung
7.2.5
Zusammenfassung des Zustandes 1s
Zusammenfassung des Grundzustandes 1s
Oben links: Wellenfunktion 1s, Zeichenbene
Oben rechts: Wellenfunktion 1s, räumlich
Mitte links: Quadrat der Wellenfunktion 1s; bezogen auf
das konstante Volumen dV à
Wahrscheinlichkeitsdichte
Mitte rechts: Quadrat der Wellenfunktion 1s; bezogen auf
das Volumen von Kugelschalen 4πr2 mit
konstanter Dicke dr à radiale
Wahrscheinlichkeitsdichte
unten:
Ladungswolke bzw. Aufenthalstraum (Raum
in dem sich das Elektron zu z.B. 90 % aufhält
Seite 81
Quantenchemie – eine Einführung
7.3
Der zweite Energiezustand des Elektrons im Wasserstoffatom
Als Lösung der SGL findet man für den zweiten Energiezustand (n = 2) des Wasserstoffatoms vier Funktionen,
welche die angenommene Materiewelle des Elektrons beschreiben. Eine 2s-Wellenfunktion (l = 0; m = 0) und
drei 2p-Wellenfunktionen (l = 1; m = -1, 0, +1). 2 bedeutet zweiter Energiezustand; p und s symbolisieren die
räumliche Form der entsprechenden Wellenfunktion
7.3.1
Der 2s-Zustand
7.3.1.1 Die Wellenfunktion des 2s-Zustandes
Die Wellenfunktion Ψ des 2s Zustandes lautet in ihrer vereinfachten Form wie folgt:
Ψ2 s = (2 − r ) ⋅ e − r
Im Vergleich zur Wellenfunktion Ψ1s besitzt sie also eine Nullstelle für r = 2, wie in Abbildung 21 ersichtlich ist.
Abbildung 67: links: Graphische Darstellung der Wellenfunktion 2s entlang einer Raumrichtung und rechts: Geometrischer Ort
aller Punkte mit gleichem Funktionswert Ψ2s (räumlich)
Die Wellenfunktion Ψ2s ist nur von der Variablen r abhängig, ihr Verlauf ist nach allen Raumrichtungen hin also
gleich. Die räumliche Darstellung ist deshalb auch hier sehr einfach und führt mit ähnlichen Überlegungen wie
wir bei der Wellenfunktion 1s angestellt haben (Suche nach Punkten für r mit selbem Funktionswert Ψ2s) zu der
Darstellung in Abbildung 21 rechts. Wir erkennen darin die Knotenfläche (Kugelfläche) bei r = 2 in der
räumlichen Darstellung.
7.3.1.2 Die Energie des Wasserstoffatoms im 2s-Zustand
Durch Einsetzen der Wellenfunktion 2s in die SGL lässt sich der Energiezustand des Wasserstoffatoms für den
ersten angeregten Zustand 2s berechnen:
1
e02 1
E2 s = −
⋅
⋅
4πε 0 2 a0 4
Sie ist damit um den Faktor ¼ grösser als die Energie im Grundzustand 1s.
Seite 82
Quantenchemie – eine Einführung
7.3.1.3 Das Quadrat der Wellenfunktion 2s; Wahrscheinlichkeitsdichte und radiale
Wahrscheinlichkeitsdichte
Wie
im
Grundzustand
unterscheidet
man
auch
hier
die
beiden
Wahrscheinlichkeitsdichten.
Die
Aufenthaltswahrscheinlichkeit in einem bestimmten Volumenteil dV mit einem bestimmten Anstand r vom
dW = Ψ22s ⋅ dV = ( 2 − r ) 2 ⋅ e −2 r ⋅ dV
Atomkern (Wahrscheinlichkeitsdichte) berechnet sich nach:
und dargestellt als Graph:
Abbildung 68:
Geometrischer Ort aller Punkte mit der gleichen Elektronendichte, links in der Zeichenebene und rechts
räumliche Darstellung.
Vergleicht man die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons in Kugelschalen gleicher Dicke dr mit
unterschiedlichen Abständen vom Atomkern, so erhält man die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte:
dW = Ψ22s ⋅ 4πr 2 dr = ( 2 − r ) 2 ⋅ e −2 r ⋅ 4πr 2 dr
Was zu folgendem Funktionsbild führt:
Abbildung 69:
Graphische Darstellung der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass im ersten angeregten Zustand 2s sich das Elektron an
beliebigen Stellen im Wasserstoffatom (mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten) aufhält. Eine Ausnahme
bildet die Kugelschale mit dem Abstand r0, in der die Aufenthaltswahrscheinlichkeit Null ist (Knotenfläche). Mit
grösster Wahrscheinlichkeit hält sich das Elektron in der Kugelschale beim Maximum auf.
Seite 83
Quantenchemie – eine Einführung
7.3.1.4 Zusammenfassung des Zustandes 2s
Zusammenfassung des Grundzustandes 2s
Oben links: Wellenfunktion 2s, Zeichenbene
Oben rechts: Wellenfunktion 2s, räumlich
Mitte links: Quadrat der Wellenfunktion 2s; bezogen auf
das konstante Volumen dV à
Wahrscheinlichkeitsdichte
Mitte rechts: Quadrat der Wellenfunktion 2s; bezogen auf
das Volumen von Kugelschalen 4πr2 mit
konstanter Dicke dr à radiale
Wahrscheinlichkeitsdichte
unten:
Ladungswolke bzw. Aufenthalstraum (Raum
in dem sich das Elektron zu z.B. 90 % aufhält
Seite 84
Quantenchemie – eine Einführung
7.3.2
Der 2p-Zustand
Die drei 2p-Wellenfunktionen, die sich ebenfalls als Lösungen für den zweiten Energiezustand ergeben, sind im
Gegensatz zu den 2s-Wellenfunktionen nicht kugel- sondern achsensymmetrisch. Das bedeutet, dass sie
winkelabhängig sind. Die vereinfachten Wellenfunktionen lauten folgendermassen:
Ψ2 p = r ⋅ e − r ⋅ sin θ ⋅ cos φ
x
Ψ2 p = r ⋅ e − r ⋅ sin θ ⋅ sin φ
y
Ψ2 p = r ⋅ e − r ⋅ cos θ
z
Die Wellenfunktionen lassen erkennen, dass nun gleiche Funktionswerte Ψ in unterschiedlichen Abständen vom
Atomkern auftreten (im Gegensatz zu den s-Funktionen), je nach dem welche Raumrichtung (d.h. welcher
Winkel) gewählt wird. Analoge Überlegungen, wie wir sie bei den Zuständen 1s und 2s gemacht haben ergeben
26
untenstehende zusammenfassende Betrachtung des Zustandes 2p , wobei zu beachten ist, dass die
charakteristische „Hantel“ der p-Wolke zwei Bereiche hat, die man mit + und – bezeichnet (nicht mit den
elektrischen Ladungen zu verwechseln!):
Legende zur folgenden Seite:
Zusammenfassung des ersten angeregten Zustandes 2p
A: Graphische Darstellung der Wellenfunktionen 2p entlang der Koordinatenachsen, von links nach rechts: 2px, 2py, 2pz.
B: Geometrischer Ort aller Punkte (räumlich) mit dem gleichen Funktionswert Ψ
C: Wolkendarstellung der Wahrscheinlichkeitsdichten entlang der drei Raumachsen
D: Graphische Darstellung der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte für das Elektron im Wasserstoffatom im Zustand 2p
E: Aufenthaltsräume (Ladungswolken) des Elektrons im Wasserstoffatom für die Zustände 2px. 2py und 2pz.
26
Für interessiert sei auf das Leitprogramm „Quantenchemie“ von G. Baars et al. unter http://dcbwww.unibe.ch/fachdidaktik/lpqc.htm verwiesen (Verlag
ETHZ, Abteilung für das höhere Lehramt).
Seite 85
Quantenchemie – eine Einführung
A
B
C
D
E
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