Nachhaltige Entwicklung – Die wirtschaftliche

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Nachhaltige Entwicklung – Die
wirtschaftliche Dimension
Entwurf
Dr. Peter Wolff, Deutsches Institut für
Entwicklungspolitik, Bonn
Diskussionspapier für die
Dritte KMK-BMZ-Fachtagung für entwicklungspolitische Bildung an
Schulen
Am 14.12.2004 und 15.12.2004 in Bonn
- nicht zu zitieren -
Im Auftrag von KMK und BMZ :
InWEnt – Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH
Tulpenfeld 5, 53113 Bonn
Nachhaltige Entwicklung – Die wirtschaftliche Dimension
Dr. Peter Wolff, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn
3. ENTWURF
1. Das Leitbild „Nachhaltige Entwicklung“
Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) im Juni
1992 in Rio de Janeiro wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der darauf abzielt, von der Ebene
der internationalen Politik über die nationalen Regierungen bis hin zu den Kommunen eine
gemeinsame Zukunft zu gestalten. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich damals
auf das Leitbild der „nachhaltigen Entwicklung“ (sustainable development) verständigt1.
Damit wurde ein bereits 1987 von der Brundtland-Kommission für Umwelt und Entwicklung2
formuliertes Prinzip von der internationalen Staatengemeinschaft übernommen.
Nach allgemeinem Verständnis bedeutet die zunächst abstrakte Formel des sustainable
development eine Entwicklung, welche den Bedürfnissen der gegenwärtig lebenden
Menschen
entspricht,
ohne
die
Möglichkeiten
zukünftiger
Generationen
zur
Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu gefährden. Unter den vielen Möglichkeiten, diesen
englischen Begriff ins Deutsche zu übersetzen, hat die Enquete-Kommission des 12.
Deutschen Bundestages zum „Schutz des Menschen und der Umwelt“, die nach der RioKonferenz eingesetzt wurde3, die deutsche Formulierung „nachhaltig zukunftsverträgliche
Entwicklung“ gewählt.
Die Unterzeichnerstaaten der Rio-Deklaration haben sich dazu bekannt, diesen politisch
formulierten Anspruch zu konkretisieren, auszugestalten und mit Inhalt zu füllen. Mit der
Agenda 21 wurde im Rahmen der Rio-Konferenz ein globales Aktionsprogramm formuliert,
welches auf allen Ebenen – global, national, regional und lokal – einen Rahmen für das
politische Handeln bilden soll. Eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung steht hierbei
vor der Herausforderung, ökologischen, ökonomischen und sozialen (politischen, kulturellen)
Zielsetzungen gleichgewichtig Rechnung zu tragen und damit die ethische Verantwortung
für die Gerechtigkeit zwischen den heute lebenden Menschen und zukünftigen
1
Rio-Erklärung
Brundtland-Kommission
3
Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ (1994)
2
Generationen wahrzunehmen. Das Leitbild sustainable development geht also weit über die
Betrachtung
der
umweltpolitischen
Komponente
hinaus
und
berührt
unmittelbar
ökonomische, ökologische und soziale Entwicklungsprozesse.
Es wird dabei auch deutlich, dass es nicht nur um die Gerechtigkeit zwischen den heutigen
und den zukünftigen Generationen geht (intergenerative Gerechtigkeit), sondern auch um die
Verteilung
von
Entwicklungschancen
unter
den
gegenwärtigen
Generationen
(intragenerative Gerechtigkeit) auf nationaler Ebene, also zwischen Arm und Reich innerhalb
eines
Landes,
und
auf
internationaler
Ebene,
also
zwischen
Industrie-
und
Entwicklungsländern.
Das Leitbild der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung ist also kein deskriptives
sondern ein normatives Konzept. Es vermittelt schon in seiner Begrifflichkeit die
Vorstellung einer Welt wie sie sein sollte. Alle Eingriffe des Menschen in ökologische,
ökonomische
und
soziale
Systeme
müssen
demnach
unter
dem
Aspekt
der
Verantwortbarkeit für ihre Zukunftsfähigkeit gesehen werden.
Es gibt allerdings unterschiedliche Vorstellungen vom Gewicht, das die verschiedenen
Dimensionen der Nachhaltigkeit – ökologische, ökonomische und soziale (politische,
kulturelle) – in einem normativen Konzept haben sollten:
Das „Drei-Säulen-Modell“ geht von der Vorstellung aus, dass Nachhaltigkeit durch das
gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, sozialen und
wirtschaftlichen
Zielen,
die
jeweils
gesondert
definierten
Nachhaltigkeitsprinzipien
entsprechen, erreicht werden könne.
Das “Leitplankenmodell“ bestreitet die Gleichrangigkeit der drei Säulen. Ihm zufolge bilden
die ökologischen Parameter, die langfristig stabile Lebensbedingungen auf der Welt sichern,
einen Entwicklungskorridor, der unbedingt zu beachten sei. Nur innerhalb dieses Korridors
bestehe ein Spielraum zur Umsetzung wirtschaftlicher und sozialer Ziele.
Demgegenüber betont das „integrative Modell“, welches die politische Umsetzbarkeit einer
Strategie der Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt, dass „...eine ökologisch dominierte
Nachhaltigkeitspolitik im gesellschaftlichen Abwägungsprozess immer dann unterliegen wird,
wenn sich andere Problemlagen als unmittelbarer, spürbarer und virulenter erweisen und
damit auch für politisches Handeln dringlicher und attraktiver sind. Selbst wenn sie sich
durchsetzen kann, bleibt sie ohne Wirkung, denn letztlich dürfte nur eine Politik der
2
Integration der drei Dimensionen in der Lage sein, die konzeptionelle Schwäche einer von
wirtschaftlichen und sozialen Fragestellungen isolierten Umweltdiskussion zu überwinden.
(...) Aufgrund der komplexen Zusammenhänge zwischen den drei Dimensionen bzw.
Sichtweisen von Ökologie, Ökonomie und Sozialem müssen sie integrativ behandelt werden.
Dabei geht es – bildhaft gesprochen – nicht um die Zusammenführung dreier nebeneinander
stehender Säulen, sondern um die Entwicklung einer dreidimensionalen Perspektive aus der
Erfahrungswirklichkeit.“4
Folgt man dem integrativen Ansatz, so bedeutet dies auch, dass Nachhaltigkeit nicht nach
Maßgabe eines einmal festzulegenden Kriterienrasters angestrebt und politisch umgesetzt
werden
kann,
sondern
dass
dies
nur
schrittweise
über
gesellschaftspolitische
Konkretisierungs- und Willensbildungsprozesse zu verwirklichen ist, in denen die
unterschiedlichen Perspektiven und Interessen der Individuen und gesellschaftlichen
Gruppen aufeinander abgestimmt werden.
2. Nachhaltige Entwicklung aus wirtschaftlicher Perspektive
Die gängigen wirtschaftstheoretischen Modelle verwenden als Entscheidungsträger den nur
seinen eigenen Interessen verpflichteten Homo Oeconomicus, dessen Bestreben es ist,
seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Die Theorie der Wirtschaftspolitik sieht seit
jeher das Ziel jeden Wirtschaftens darin, die soziale Wohlfahrt zu maximieren, wobei
Wohlfahrt, wie auch der individuelle Nutzen, sowohl in monetären als auch in nicht4
Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ 1998: 31f.
3
monetären Kategorien gefasst werden kann. Die für das Wirtschaften auf individueller und
gesellschaftlicher Basis verfügbaren Ressourcen gelten zwar auf kurze Sicht als knapp. Auf
längere Sicht sind sie jedoch – im Rahmen von Wachstumsprozessen – reproduzierbar und
vermehrbar. Das Problem endlicher Ressourcen wird von der Wirtschaftstheorie- und –politik
erst seit der Diskussion über die „Grenzen des Wachstums“ in den 70er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts thematisiert. Ökonomische Nachhaltigkeit war bis dahin lediglich
im Sinne einer Bilanz ökonomischer Fluss- oder Bestandsgrößen definiert, d.h.
-
Einnahmen und Ausgaben eines Individuums, eines Unternehmens oder einer
Volkswirtschaft müssen sich auf längere Sicht ausgleichen, um wirtschaftlich
nachhaltig zu sein;
-
der Kapitalstock eines Unternehmens oder einer Volkswirtschaft muss mindestens
erhalten bleiben, damit die Existenz im Sinne wirtschaftlicher Dauerhaftigkeit
gesichert bleibt.
Es ist zwar möglich, durch Kreditaufnahme einen höheren gegenwärtigen Konsum oder die
gegenwärtigen
Investitionen
„vorzufinanzieren“.
Dies
wird
jedoch nur
dann
ohne
Wohlfahrtseinbußen gelingen, wenn die Wirtschaftstätigkeit zu höheren Einnahmen in der
Zukunft
führt,
mit
denen
die
Kredite
finanziert
werden
können,
sonst
ist
die
Wirtschaftstätigkeit eines Individuums, eines Unternehmens oder einer Volkswirtschaft
wirtschaftlich nicht nachhaltig. Ist die Wirtschaftstätigkeit produktiv, werden also zusätzliche
Einnahmen in der Zukunft erwirtschaftet, entsteht wirtschaftliches Wachstum. Einnahmen
und Kapitalstock expandieren. Wirtschaftspolitik hat sich also neben der (statischen)
Maximierung
der
Wohlfahrtsausgleich
gesellschaftlichen
zwischen
den
Wohlfahrt
auch
an
einem
(dynamischen)
Generationen
im
Sinne
eines
wirtschaftlichen
Nachhaltigkeitsbegriffs zu orientieren, d.h. die Kreditaufnahme darf nur so hoch sein, dass
die Wohlfahrt zukünftiger Generationen nicht gefährdet wird. Hieraus definiert sich eine
„tragfähige“
oder
„nachhaltige“
Höhe
der
Kreditaufnahme.
Je
produktiver
die
Wirtschaftstätigkeit und je höher damit das wirtschaftliche Wachstum, desto weniger braucht
man sich um die Nachhaltigkeit im engeren wirtschaftlichen Sinne Gedanken zu machen.
Dem Problem der (kurzfristigen) Ressourcenknappheit kann aus Sicht der Wirtschaftstheorie
durch marktwirtschaftliche Koordinationsmechanismen am besten begegnet werden.
Wettbewerb, Privateigentum und Individualinteresse sorgen für eine sparsame Verwendung
von Produktionsmitteln und gewährleisten auch volkswirtschaftlich eine „optimale Allokation“
der Ressourcen.
4
Mit wachsender Produktion von Gütern und Dienstleistungen ist allerdings immer ein
höherer Ressourcenverbrauch verbunden, es sei denn, es gelingt durch technische
Innovationen
und
durch
effizientere
Organisation
von
Produktionsprozessen
den
Ressourcenverbrauch pro erzeugter Einheit zu verringern. Dies ist die Wirkung des
technischen Fortschritts, der die wesentliche Quelle des Produktivitätswachstums ist.
Produktivitätswachstum entsteht, wenn ein bestimmter „Output“ mit weniger „Inputs“
hergestellt werden kann. Ohne ständige Produktivitätsfortschritte wäre das Wachstum längst
an seine Grenzen gestoßen.
Mit der Einbeziehung endlicher natürlicher Ressourcen wird die Bestimmung eines
wirtschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriffs wesentlich komplizierter. Grundsätzlich gilt zwar
weiterhin
das
Prinzip
einer
effizienten
Ressourcenallokation
im
Rahmen
von
Marktprozessen. Wenn Ressourcen allerdings nicht reproduzierbar sondern absolut begrenzt
sind, dann können sie nicht ohne weiteres – wovon die traditionelle Wirtschaftstheorie
implizit ausging – im Rahmen von Wachstumsprozessen durch vom Menschen geschaffene
Ressourcen ersetzt werden.
Zwei theoretische Konzepte versuchen den Sachverhalt der nicht-Reproduzierbarkeit
natürlicher Ressourcen in ökonomische Betrachtungsweisen einzubeziehen5:
Das Konzept der nicht abnehmenden Wohlfahrt orientiert sich an der Berechnung eines
nachhaltigen Volkseinkommens auf der Basis von Abschreibungen auf das reproduzierbare
und das Naturkapital („Grünes Nettosozialprodukt“). Würde man derartige Abschreibungen
berechnen, dann würde die Wachstumsrate des jährlich ausgewiesenen Sozialprodukts
sinken, möglicherweise sogar negativ werden. Die betreffenden praktischen Versuche
stoßen allerdings auf Kritik, weil die Auswahl der am Nettosozialprodukt vorgenommenen
Korrekturen und ihre Gewichtung nicht auf einer genügend sicheren theoretischen Basis
erfolgen. Besonders umstritten ist die bei der Realisierung dieses Konzepts notwendige
Monetarisierung ökologischer Effekte.
Das
Konzept
des
nicht
Nettovermögensrechnung,
die
abnehmenden
ebenfalls
Kapitals
Abschreibungen
orientiert
auf
sich
an
reproduzierbares
einer
und
Naturkapital berücksichtigt. In einer Definition der „schwachen Nachhaltigkeit“ wird
reproduzierbares und Naturkapital als substituierbar betrachtet, während die „strikte
Nachhaltigkeit“ von einer unüberwindlichen Trennung zwischen dem von Menschen
gemachten Kapital und dem Naturkapital ausgeht und deshalb die Forderung nach einer
5
Vgl. Endres, Alfred (2004), Zur Ökonomik des Hoffens und Bangens, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik
5(1)
5
Konstanz
des
Naturkapitals
erhebt.
In
der
Kompromissvariante
der
„kritischen
Nachhaltigkeit“ wird vorgeschlagen, dass bestimmte Teile des Naturkapitals – nämlich die
für das Überleben notwendigen - physisch erhalten bleiben. Für alle Bestandteile des
menschlichen Vermögens, die jenseits dieser Minimalausstattung vorhanden sind, gelten die
Regeln des schwachen Nachhaltigkeitsprinzips. Natürlich wird es umstritten sein, worin die
Minimalanforderungen an den menschlichen Kapitalbestand, die das Überleben der
Menschheit sichern, tatsächlich bestehen. Die Wissenschaft kann hier Hilfe leisten, der
Gesellschaft aber die Entscheidung nicht abnehmen.
Das wirtschaftliche Nachhaltigkeitsprinzip lässt sich also um die Problematik des endlichen
Naturkapitals erweitern. Es gibt jedoch noch einige den wirtschaftlichen Handlungsprinzipien
inhärente Hindernisse auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaften:
-
Es ist für das wirtschaftliche Verhalten des Menschen typisch, dass die künftige
Bedürfnisbefriedigung geringer geschätzt wird als die gegenwärtige. Diese
Verhaltensweise
führt
auch
schon
ohne
die
Einbeziehung
des
endlichen
Naturkapitals häufig zu problematischen wirtschaftlichen Ergebnissen, die durch
Wirtschaftspolitik korrigiert werden müssen. Für eine nachhaltig zukunftsverträgliche
Entwicklung
unter
Berücksichtigung
des Naturkapitals kann diese typische
Handlungsweise indes fatal, weil mit nicht mehr revidierbaren Schäden verbunden
sein.
-
Bei frei zugänglichen Ressourcen ist es für den Einzelnen rational, die
Ressourcen uneingeschränkt zu konsumieren. Schränkt er seinen Konsum
freiwillig ein, bewirkt er nichts, weil andere seine Ersparnis möglicherweise durch
zusätzlichen Verbrauch überkompensieren („Gefangenendilemma“). Der Anreiz, sich
bei frei zugänglichen Ressourcen sparsam zu verhalten, ist deshalb gering. Dies gilt
sowohl für die Verteilung unter der gegenwärtigen Generation als auch für die intergenerative Verteilung von Ressourcen. Es gibt kein ökonomisches Prinzip, das die
zukünftigen Generationen vor der Ausbeutung der Naturressourcen durch die
gegenwärtige Generation schützt.
Fazit:
Es gibt durchaus Wege, die Endlichkeit des Naturkapitals in ein wirtschaftliches Verständnis
von nachhaltig zukunftsverträglicher Entwicklung einzubeziehen. Darüber hinaus tragen
funktionsfähige Märkte zur Ressourcenschonung bei und können durch Kosteneinsparungen
die Nutzung ressourcensparender Technologien vorteilhaft machen (win-win-Situation). Dem
6
Homo Oeconomicus ist allerdings eine kurzfristige und egoistische Handlungsweise eigen,
die es notwendig macht, durch gesellschaftliches Handeln das Handeln der individuellen
Wirtschaftsakteure zu beeinflussen:
-
Durch die staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter, wie z.B. der Umweltforschung,
um dadurch die Kosten des Umweltverbrauchs berechenbar zu machen.
-
Durch die Internalisierung der Kosten des Umweltverbrauchs in die Güterpreise, um
dadurch Anreize zur Ressourceneinsparung zu geben.
-
Durch öffentliche Debatten und Aufklärung, um das individuelle Handeln der
Wirtschaftsakteure im Sinne eines stärker altruistischen und zukunftsverträglichen
Handelns zu beeinflussen.
Letzteres bedeutet natürlich eine gewisse Abkehr vom Bild des Homo Oeconomicus, der
stets nur seinem Eigennutz verpflichtet ist. Es erfordert Bereitschaft zu moralischem
Handeln, die möglicherweise umso größer sein wird, je besser es gelingt, durch Anreize für
den Einsatz ressourcensparender Technologien („Effizienzrevolution“) und die Einrichtung
funktionsfähiger
nationaler
und
internationaler
politischer
Institutionen
die
Kosten
moralischen Handelns für den Einzelnen zu senken.
Die bisherigen Ausführungen haben sich auf das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaft
und Umwelt, zwischen wirtschaftlichem Wachstum und ökologischer Nachhaltigkeit
konzentriert. Der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ hat jedoch – wie bereits erwähnt – auch
eine soziale und eine politische Dimension:
Die soziale Dimension bezieht sich vor allem auf die intragenerative Gerechtigkeit, also die
Verteilung von Entwicklungschancen unter den gegenwärtigen Generationen. Im nationalen
Rahmen geht es also um die Frage der Teilhabe verschiedener sozialer Gruppen an der
gesellschaftlichen Entwicklung und an den Früchten des wirtschaftlichen Wachstums, im
globalen Rahmen um die Verteilungsgerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern.
Das Verhältnis von wirtschaftlicher Produktivitätssteigerung und sozialer Gerechtigkeit ist ein
uraltes Problem der Entwicklungsgeschichte. Hierfür hat es historisch sehr unterschiedliche
Ansätze
gegeben
und
auch
heute
noch
existieren
sehr
unterschiedliche
„Mischungsverhältnisse“ nebeneinander. Es gibt Länder mit einem hohen Maß an sozialer
Gerechtigkeit und Länder mit großer Ungleichheit zwischen reich und arm. Es ist nicht
möglich, genau zu definieren, welches Mischungsverhältnis mehr oder weniger nachhaltig,
also zukunftsfähig ist. Es geht im Grunde um die angemessene Mischung von Dynamik
7
und Stabilität und man kann meist erst im Nachhinein und über längere Zeiträume
betrachtet feststellen, ob ein Entwicklungsprozess sozial nachhaltig war. Erfolgreiche
wirtschaftliche Entwicklung braucht Dynamik: neue Ideen, neue Produkte, risikobereite
Investoren, individuelles Streben nach Erfolg. Sie braucht aber auch Stabilität: sozialen
Frieden und Vertrauen der Wirtschaftssubjekte in die Belastbarkeit gesellschaftlicher
Beziehungsgeflechte („Sozialkapital“). Wo die soziale Stabilität nicht vorhanden ist, wird die
wirtschaftliche Entwicklung gefährdet. Umgekehrt wird aber die soziale Stabilität gefährdet,
wenn keine wirtschaftliche Dynamik vorhanden ist. Gleiches gilt im globalen Maßstab:
Internationaler
Wettbewerb
und
die
ständige
Erweiterung
der
Möglichkeiten
zur
Kapitalverwertung erhöht die Dynamik und das Wachstum. Gleichzeitig ist aber auch
internationale soziale Stabilität im Sinne einer fairen Verteilung des Wohlstands notwendig,
damit dieser Prozess nachhaltig weitergehen kann. Es läßt sich allerdings nicht sagen, wo
genau die Grenze zwischen sozial nachhaltiger und nicht-nachhaltiger Entwicklung gezogen
werden muss. Es läßt sich aber sicherlich feststellen, dass auf Dauer ein Mindestmaß an
sozialer Gerechtigkeit und sozialer Teilhabe notwendig ist, damit erfolgreiche wirtschaftliche
Entwicklung möglich ist. Im Gegensatz zur ökologischen Nachhaltigkeit läßt sich dieses
Mindestmaß – im Sinne des eingangs erwähnten „Leitplankenmodells“ - nicht objektiv
naturwissenschaftlich definieren, sondern ist ein Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse, die in
verschiedenen
Ländern
und
Kulturen
und
in
verschiedenen
historischen-
und
Entwicklungsphasen unter unterschiedlichen Voraussetzungen stattfinden.
Gleiches gilt für die politische Dimension der Nachhaltigkeit, also dem Verhältnis der
politischen Rahmenbedingungen und Institutionen einer Gesellschaft – oder der globalen
Institutionen – und der wirtschaftlichen Entwicklung. Auch hier hat es historisch sehr
unterschiedliche Entwicklungen gegeben und es ist bis heute umstritten, ob etwa eine
demokratische und rechtsstaatliche Verfassung tatsächlich eine Voraussetzung für
erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung sind. Auch hier wird man sich eher auf ein
Mindestmaß funktionsfähiger Institutionen verständigen können, die für die Wirtschaft im
nationalen und globalen Rahmen notwendig sind. Wobei wiederum im Gegensatz zur
ökologischen Dimension keine objektiven Maßstäbe für nachhaltige oder nicht-nachhaltige
Strukturen zur Verfügung stehen.
3. Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in globaler Perspektive
8
Leitbilder der wirtschaftlichen Entwicklung
Seit den frühen Industrialisierungsprozessen in Europa ist der Prozess der wirtschaftlichen
Entwicklung vom Leitbild der Modernisierung gekennzeichnet. Mit der laufenden
Erneuerung von Technologien, Produkten und Produktionsprozessen wird Produktion und
Produktivität erhöht und damit das wirtschaftliche Wachstum zum Hauptziel der
wirtschaftlichen Entwicklung. Dieses Leitbild hat sich auch in den Ländern durchgesetzt, die
im 20. Jahrhundert den Industrieländern nachstrebten, und zwar unabhängig davon, ob sie
zum kapitalistischen oder zum sozialistischen Lager zu rechnen waren.
Erst mit der Erkenntnis, das dieses Leitbild nicht für alle Menschen umgesetzt werden kann,
sondern
ein
Teil
der
Menschheit
offenbar
nicht
an
Modernisierungs-
und
Wachstumsprozessen teilhat und im Zustand materieller Unterentwicklung verharrt, wurde
das Leitbild der Grundbedürfnisbefriedigung formuliert. Ziel wirtschaftlicher Entwicklung
sollte demnach sein, dass alle Menschen ihre materiellen und sozialen Grundbedürfnisse,
vor allem ausreichende Ernährung, Wohnung, Gesundheitsversorgung und Grundbildung,
erfüllen können. Dies ist bis heute das Hauptziel der Entwicklungszusammenarbeit. Auch die
Millenniumsziele der Vereinten Nationen (siehe unten) sind im Grunde Ausdruck dieses
Leitbilds: Wenn es schon nicht möglich zu sein scheint, allen Menschen in absehbarer Zeit
zu einem annähernd gleichen Wohlstandsniveau zu verhelfen, so sollen sie wenigstens ein
minimales materielles und soziales Lebensniveau erreichen können. Im Zuge der Diskussion
um angemessene wirtschaftlicher Strategien zur Erreichung der Grundbedürfnisbefriedigung
für alle Menschen wurde indes deutlich, dass die Verfolgung dieses Ziels ohne Wachstum
und Modernisierung nicht möglich ist. Auch zur Erfüllung von Grundbedürfnissen müssen
Menschen produktiv tätig sein. Die Produktivität ihrer Arbeit muss mindestens so stark
steigen wie das Bevölkerungswachstum. Das Wachstum muss umso höher sein, je weiter
die Menschen von der Erfüllung der Grundbedürfnisse entfernt sind. Dies wird wiederum
ohne die Nutzung neuer Technologien und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, etwa der
Agrarforschung oder der Medizin, nicht möglich sein. Es gibt also keine Strategie der
Grundbedüfnisbefriedigung, die ohne Wachstum und Modernisierung auskäme.
Das Leitbild der Nachhaltigkeit wurde erst dann propagiert, als in den 70er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts die Begrenztheit der Naturressourcen erstmals stärker ins
Bewußtsein rückte und damit auch in den wirtschaftlich hochentwickelten Ländern
unbegrenztes Wachstum und Modernisierung als problematisch erkannt wurden. Im Sinne
des genannten „Leitplankenmodells“ könnte man sagen, dass Wachstum, Modernisierung
und Grundbedürfnisbefriedigung allgemein anerkannte Leitbilder der Entwicklung sind,
9
allerdings immer unter der Bedingung, dass die Grundsätze der Nachhaltigkeit gewährleistet
sind.
Nachhaltige Entwicklung und Globalisierung
Aus
den
oben
genannten
Möglichkeiten
der
Einbeziehung
der
Endlichkeit
der
Naturressourcen in wirtschaftliches Handeln ergeben sich zunächst Anforderungen für eine
Politik nachhaltig zukunftsverträglicher Entwicklung in den Industrieländern und für die
Menschen in den Industrieländern, da sie im globalen Maßstab die wesentlichen
Verursacher nicht-nachhaltiger Prozesse sind. Die wichtigste Anforderung ist die
Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung vom wirtschaftlichen
Wachstum. Die Instrumente, die hierfür zur Verfügung stehen, wurden bereits erwähnt:
Öffentliche Güter (z.B. Umweltinstitutionen, Umweltforschung)), ökonomische Anreize (z.B.
Handel mit Emissionszertifikaten) und verantwortliches politisch-gesellschaftliches Handeln
(z.B. freiwillige Änderung von Konsummustern).
Die Instrumente haben erst nach vielen Jahren der öffentlichen Diskussion und der
öffentlichen Wahrnehmung globaler Umweltveränderungen in den Industriegesellschaften
eine gewisse – von Land zu Land unterschiedliche
– Akzeptanz erhalten. Nachhaltige
zukunftsverträgliche Entwicklung ist zu einem gesellschaftlich akzeptierten, wenngleich in
der konkreten Ausformung höchst umstrittenen Prinzip in den meisten Industrieländern
geworden. Internationale Vereinbarungen – etwa zum Klimaschutz (Kyoto-Protokoll) – sind in
ihrer Umsetzung auch unter den Industrieländern ein ständiger Konfliktstoff. Kurzfristige
wirtschaftliche Interessen erhalten häufig den Vorrang vor dem Nachhaltigkeitsprinzip.
Betrachtet man die Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung in globaler Perspektive, so
ist es notwendig auch die Entwicklungsländer einzubeziehen. Der Weltkonferenz für Umwelt
und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) kommt das Verdienst zu, das Leitbild der
Nachhaltigkeit zu den spezifischen Problemen der Entwicklungsländer in Beziehung gesetzt
zu haben. Das Wirtschaften und die Lebensstile der reichen Länder des Nordens sind unter
diesem Blickwinkel nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit
problematisch, sondern genauso unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit. Danach
bestehe eine ausgeprägte „Gerechtigkeitslücke“ zwischen den Ländern des Nordens und
des Südens. Das Leitbild „nachhaltige zukunftsverträgliche Entwicklung“ wird
erweitert um eine soziale Dimension in globalem Maßstab.
Die Beziehungs- und Konfliktfelder zwischen Industrie- und Entwicklungsländern werden
akzentuiert durch den Prozess der Globalisierung, der besonders in den vergangenen zwei
10
Jahrzehnten
eine
erhöhte
Dynamik
entfaltet
hat.
Viele
Kritiker
der
heutigen
ressourcenintensiven und sozial inkohärenten Weltwirtschaft machen die Globalisierung für
krisenhafte
Entwicklungen
verantwortlich.
Ursache
der
sich
verstärkenden
Globalisierungstendenzen sind vor allem
-
die fortschreitenden Handelsliberalisierungen, die u.a. zu einer weiteren Vertiefung
der weltweiten Spezialisierung und Arbeitsteilung führen;
-
die erhebliche Ausweitung der weltweiten Kommunikation und immer schnellere
Kommunikationsmöglichkeiten;
-
das Wegfallen der Kontrollen für den Kapitaltransfer und
-
die relativ geringen Kosten für die Mobilität von Menschen und Gütern.
Diese Ursachen wirken im Wesentlichen in eine Richtung: Sie beseitigen oder relativieren
noch bestehende räumliche, soziokulturelle und nationale Grenzen und machen die ganze
Welt zum sozialen Handlungsfeld. Damit erhöht sich der Wettbewerbsdruck unter den
Unternehmen und ihren möglichen Standorten, vor allem aber zwischen Ländern bzw.
Regionen. Unter den Gesichtspunkten einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung
können diese Prozesse sowohl Nachteile als auch Vorteile haben. Mögliche negative
Auswirkungen sind:
-
eine Senkung von sozialen und ökologischen Standards als Folge des zunehmenden
Konkurrenzdrucks („Race to the bottom““);
-
die zunehmende Tendenz von Unternehmen, in Länder mit niedrigen Standards und
günstigeren Produktionsfaktoren auszuweichen;
-
eine weltweit zunehmende kulturelle Harmonisierung und ein damit zunehmender
Verlust nationaler Identitäten und kultureller Eigenarten;
-
eine Verstärkung des Verkehrs infolge des globalen Handels und multinational
angelegter Produktionsprozesse.
11
Mit der Globalisierung können jedoch auch positive Wirkungen im Hinblick auf
Nachhaltigkeit verbunden sein, z.B.
-
eine Tendenz zur Angleichung der ökologischen und sozialen Standards auf hohem
Niveau;
-
die Erhöhung der ökonomischen und sozialen Wohlfahrt der an der Globalisierung
beteiligten Länder;
-
der Austausch von Produktions- und Innovations-Know-how sowie
-
eine höhere Effizienz der Nutzung (natürlicher) Ressourcen.
Wie sich die Globalisierung auf die verschiedenen Teilnehmer an der Weltwirtschaft –
Industrieländer und Entwicklungsländer – auswirkt, hängt stark von deren Entwicklungsstand
und damit von ihrer Anpassungsfähigkeit an neue Entwicklungen ab. Unter den
Entwicklungsländern kann nach den Kriterien des OECD/DAC differenziert werden zwischen
-
den ärmsten Entwicklungsländern (Least Developed Countries, LDCs) und anderen
Ländern mit niedrigem Einkommen (pro-Kopf-Einkommen unter 760 US$). Zu dieser
Gruppe zählen vor allem ca. 40 Länder Subsahara-Afrikas aber auch große
asiatische Länder wie Indonesien und Bangladesch.
-
den Ländern mit mittlerem Einkommen (pro-Kopf-Einkommen unter 9.360 US$) zu
denen Länder wie Sri Lanka, Südafrika oder Kolumbien gehören und schließlich
-
den Schwellenländern, für die es keine einheitliche Definition gibt, die sich aber
dadurch auszeichnen, dass sie sich mit relativ hohen Wachstumsraten des
Volkseinkommens und einem relativ wettbewerbsfähigen Industriesektor langsam an
die Industrieländer annähern.
Die Länder unterscheiden sich nicht nur in ihrem Einkommensniveau und ihrer
wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch in ihrer Ressourcenausstattung,
insbesondere auch ihrer Ausstattung mit natürlichen Ressourcen. Daraus ergibt sich eine
sehr unterschiedliche Betroffenheit durch die Mechanismen der Globalisierung sowie auch
hinsichtlich der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit. Grundsätzlich lässt sich jedoch
12
sagen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Armut und Umwelt, zwischen
sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit gibt. Ökologische Nachhaltigkeit kann kaum
umgesetzt werden, wenn es Menschen aufgrund ihrer materiellen Bedingungen schwer
gemacht wird, Rücksichten auf ökologische Ziele zu nehmen.
In welchem Maße die Entwicklungsländer die Chancen der Globalisierung nutzen, ihre
Risiken beherrschen und
damit eine Strategie nachhaltig zukunftsfähiger Entwicklung
verfolgen können, hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab:
-
Der Qualität ihrer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Institutionen und
deren Anpassungsfähigkeit und Widerstandspotenzial, wenn es darum geht, sich
dem
internationalen
Wettbewerb
zu
stellen,
Technologien
und
neue
Organisationsformen zu absorbieren und an die eigenen Bedingungen anzupassen
sowie die gesellschaftlichen Veränderungen, die mit wirtschaftlichen und technischen
Modernisierungsprozessen verbunden sind, zu bewältigen.
-
Der Qualität internationaler Konventionen und Übereinkommen, also des globalen
Ordnungsrahmens für die Regelung ökonomischer, ökologischer und sozialer
Sachverhalte, die allein durch nationale Politiken nicht (mehr) beherrscht werden
können. Hierbei geht es vor allem darum, einerseits gleiche Bedingungen für alle zu
schaffen, um eine Durchsetzung des „Rechts des Stärkeren“ zu verhindern und
andererseits
für
die
schwächeren
Mitglieder
des
internationalen
Systems
Sonderbedingungen zu schaffen, die ihre schwierigen Ausgangsbedingungen
berücksichtigen.
Nationale Ebene der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik
Wie bereits gesagt, bestimmt vor allem die Qualität der wirtschaftlichen, politischen und
sozialen Institutionen, ob es einem Land möglich ist, sich wirtschaftlich zu entwickeln und vor
allem, sich nachhaltig zukunftsverträglich zu entwickeln. Nun entstehen diese Institutionen
nicht automatisch, sondern sie entwickeln sich in langen historischen Verläufen, die in der
Regel mit Brüchen und vor allem auch mit Konflikten verbunden sind.
Es gibt viele Hypothesen über die Determinanten wirtschaftlicher Entwicklung. Zwei
Elemente bilden jedoch unstrittig die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung im Sinne
von wachsender materieller Wohlfahrt:
1. Die demographische Transition
13
Die demographische Transition beschreibt eine Entwicklung, in der eine Gesellschaft von
hohen zu niedrigen Geburten- und Sterblichkeitsraten übergeht. Wo diese Raten hoch sind,
verfügt weder der einzelne Haushalt noch die Volkswirtschaft über die nötigen Ressourcen,
um in die Gesundheit und Bildung aller Menschen zu investieren. Die Qualität des
„Humankapitals“ hat sich jedoch als die wesentliche Quelle für wirtschaftliche Entwicklung
herausgestellt. Demgegenüber haben sich Länder mit hoher Ausstattung an natürlichen
Ressourcen in der Regel wirtschaftlich nicht oder wesentlich langsamer entwickelt.
Die ärmsten Länder befinden sich in einem Teufelskreis von niedrigem Gesundheits- und
Bildungsstand, hohen Geburten- und Sterblichkeitsraten und niedriger Lebenserwartung. Die
Länder denen es gelungen ist, aus diesem Teufelskreis auszubrechen (die Industrieländer
im 18. und 19. Jahrhundert, ein Teil der Entwicklungsländer in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts) haben damit eine wesentliche Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung
erfüllt.
2. Die industrielle Transition
Fast alle Entwicklungsländer besaßen Mitte des 20. Jahrhunderts noch keine nennenswerte
verarbeitende Industrie. Ihre Wirtschaft beruhte in der Regel auf Nahrungsmittel- und
Rohstofferzeugung, wobei die Rohstoffe zunehmend in die Industrieländer exportiert wurden.
Einem Teil der Entwicklungsländer, insbesondere in Asien und Lateinamerika, ist es
gelungen,
diese traditionellen
Produktionsstrukturen aufzubrechen und
verarbeitete
Industrien aufzubauen. Es waren vor allem diejenigen Länder, die verarbeitete Güter
exportieren und sich damit von der Abhängigkeit von Rohstoffexporten befreiten, bei denen
die Pro-Kopf-Einkommen dauerhaft gestiegen sind und damit eine rasche gegenseitige
Verstärkung von demographischer und industrieller Transition möglich wurde. Für eine halbe
Milliarde Menschen in Ostasien war dieser Prozeß, der in den Industrieländern bis zu 200
Jahre dauerte, innerhalb von ein bis zwei Generationen möglich.
Hinter dieser etwas idealtypischen Darstellung verbergen sich allerdings sehr differenzierte
wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen in Entwicklungsländern. Die Differenzierung
zwischen den Entwicklungsländern nach Einkommen und Entwicklungsstand werden
innerhalb der Länder widergespiegelt.
Typischerweise
sind
Entwicklungsländer
ökonomisch,
sozial
und
regional
stärker
ausdifferenziert, als wir es in Industrieländern, zumindest in Mitteleuropa, gewohnt sind.
Häufig existieren traditionelle Lebens- und Wirtschaftsformen, meist im ländlichen Raum,
und moderne, an internationalen Maßstäben orientierte Lebens- und Wirtschaftsformen,
14
meist in den Städten, nebeneinander. In den ärmsten Ländern, etwa in Sub-Sahara-Afrika,
sind die „modernen“ Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche Enklaven in ganz überwiegend
von traditionellen Wirtschaftsformen, meist der Subsistenz-Landwirtschaft, geprägten
ländlichen Gebieten. Entsprechend scharf ausgeprägt sind die Einkommensunterschiede
und die Unterschiede in den Zugangsmöglichkeiten zu Bildungs- und Gesundheitsleistungen.
In fortgeschritteneren Entwicklungsländern haben sich demgegenüber mehr oder weniger
breite Mittel- und Oberschichten herausgebildet, die sich in Einkommen, Lebensformen und
Lebenseinstellungen
nicht
wesentlich
von
den
Mittelschichten
in
Industrieländern
unterscheiden. Während sich in Asien und Lateinamerika diese Mittelschichten weitgehend
von den armen Bevölkerungsschichten abgekoppelt haben und „zwei Welten“, häufig auf
engem Raum, nebeneinander existieren, gibt es in Afrika häufig noch enge Beziehungen
zwischen städtischer Mittel- und Oberschicht und ländlicher Bevölkerung im Rahmen der
erweiterten Großfamilie.
Die wirtschaftliche und soziale Trennung zwischen städtischen Mittel- und Oberschichten
und ländlicher Bevölkerung wird häufig noch akzentuiert durch ethnische Heterogenität. So
verläuft etwa in einigen lateinamerikanischen Ländern die Trennlinie zwischen Mittel- und
Oberschichten mit höherem Einkommen und Bildungsstand und der ländlichen Bevölkerung
entlang der ethnischen Trennung zwischen spanischstämmiger und indigener Bevölkerung.
In Afrika ist die ethnische Heterogenität innerhalb der Länder aufgrund willkürlicher
Grenzziehungen der Kolonialmächte besonders ausgeprägt.
Für die politischen und wirtschaftlichen Handlungsspielräume der Bevölkerung in
Entwicklungsländern hat die soziale Differenzierung gravierende Auswirkungen:
Individuelle Ebene:
Insbesondere die ärmsten Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern sind dadurch
charakterisiert, dass sie als Individuen keine Wahlmöglichkeiten haben. Ihre wirtschaftliche,
soziale und politische Existenz ist vollständig determiniert. Wirtschaftlich sind sie meist in der
Subsistenzlandwirtschaft
oder
anderen
Formen
der
Familienwirtschaft
tätig.
Ihre
gesellschaftliche Stellung ist durch ihre Rolle in der Familie bestimmt. Über politische
Äußerungs- und Handlungsmöglichkeiten verfügen meist nur die Ältesten bzw. Familien- und
Dorfvorstände.
Die Armutsforschung hat die geringen Handlungsmöglichkeiten der Armen als das
wesentlichste
Kennzeichen
der
Armut
definiert
und
die
Erweiterung
der
15
Handlungsmöglichkeiten zum wesentlichen Indikator für Armutsreduzierung6. Dies hat auch
Konsequenzen für die Spielräume nachhaltiger Entwicklung: Solange auf der individuellen
Ebene keine Handlungsspielräume bestehen, gibt es keine Alternativen zu nichtnachhaltigem Verhalten, also z.B. einer Übernutzung von natürlichen Ressourcen.
Familiäre Ebene:
Die Familie bildet vor allem für die armen Bevölkerungsschichten den Rahmen für ihre
wirtschaftliche und soziale Existenz. Da die Armen in der Regel nicht über eine Renten- und
Krankenversicherung verfügen, ist die Familie die Grundlage für soziale Sicherheit. Die
Strukturen der Großfamilie garantieren ein Mindestmaß an materieller und sozialer
Sicherheit, verlangen aber auch vom Einzelnen im Gegenzug absolute Loyalität. Bei sehr
positiven Wirkungen auf die soziale Stabilität einer Gesellschaft kann sich die enge
Familienbindung negativ auf die wirtschaftliche Dynamik auswirken, wenn z.B. wirtschaftlich
aufstrebende und erfolgreiche Familienmitglieder hohe Abgaben an die Familie leisten
müssen.
Dies
wird
als
eine
Ursache
von
Nepotismus und Korruption
in den
Entwicklungsländern gesehen. Die Erosion von Familienstrukturen durch wirtschaftlich
erzwungene Migration oder durch frühe Sterblichkeit (HIV/AIDS) hat indes noch viel
gravierendere
negative
Auswirkungen
auf
die
soziale
Stabilität
und
die
Handlungsmöglichkeiten der Armen.
Lokale Ebene:
Die wirtschaftliche Stagnation im Rahmen der Subsistenzwirtschaft erlaubt meist nur wenig
lokale Initiative und begrenzt die Möglichkeiten für lokale Investitionen in die Infrastruktur
sowie in Bildung und Gesundheit. Die Dörfer und Städte sind in den meisten
Entwicklungsländern finanziell und politisch vollständig von der Zentralregierung abhängig.
Erst allmählich bilden sich – auch unterstützt von staatlichen und nicht-staatlichen
Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit – Prozesse der lokalen Selbstverwaltung
heraus, in deren Rahmen Kommunen über ihre eigenen Belange entscheiden und eigene
Prioritäten formulieren können. Erst daraus ergeben sich Handlungsspielräume für
Entscheidungen über die eigene Entwicklung und Anknüpfungsmöglichkeiten für lokale
Agenda 21-Prozesse.
Regionale Ebene:
Die regionale Ebene ist vor allem deshalb eine wichtige Handlungsebene, weil sich
Regionen häufig in ihrer Ressourcenausstattung, ihren klimatischen und ökologischen
Bedingungen und damit ihren wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten stark voneinander
6
Bahnbrechend hierzu waren die Arbeiten von Amartya Sen, vgl. z.B. Sen (1999)
16
unterscheiden. Typischerweise sind es die Küstenregionen, die sich wirtschaftlich
dynamischer entwickeln, weil die Infrastruktur besser ausgebaut ist und bessere
Verbindungen zum internationalen Handel bestehen. Demgegenüber sind inländische
Regionen
häufig
infrastrukturell
Gegebenheiten benachteiligt
und
manchmal
und liegen weit
auch
von
den
naturräumlichen
hinter dem Entwicklungsniveau der
Küstenregionen zurück. In den inländischen Regionen Subsahara-Afrikas führt die dünne
Besiedelung auch dazu, dass die Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen in diesen
Regionen überproportional teuer ist. Die regionalen Unterschiede erfordern Politiken des
regionalen Ausgleichs und eine spezifische Standortpolitik zur Wirtschaftsförderung unter
Berücksichtigung
der
naturräumlichen
Gegebenheiten.
Es
ist
der
Kern
der
Nachhaltigkeitspolitik der Agenda 21, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen
Bedingungen auf der Ebene der Regionen produktiv miteinander zu verknüpfen. Eine
Schwierigkeit besteht häufig darin, dass die hierfür notwendigen institutionellen Kapazitäten
bis hin zur Qualifikation des Personals auf dieser Ebene nicht ausreichend sind. Traditionell
sind in Entwicklungsländern die städtischen Regionen bevorzugt und es ist in vielen Ländern
bis heute nicht gelungen, die ländlichen Regionen bei der Verteilung von staatlichen Mitteln
ausreichend zu berücksichtigen.
Nationale Ebene:
Die nationale Ebene ist nach wie vor die wichtigste Ebene zur Gestaltung von Politiken, weil
auf dieser Ebene die Weichen für die Entwicklungsstrategien gestellt werden und auch die
Institutionen in der Regel am besten ausgebaut sind. In den vergangenen Jahren sind vor
allem in den ärmsten Ländern verstärkte Anstrengungen unternommen worden, kohärente
Entwicklungsstrategien zu formulieren, die unter Beteiligung der Bevölkerung, also in einem
partizipativen Prozeß, erstellt werden. Eine Herausforderung besteht darin, diese Strategien
zur Armutsreduzierung (Poverty Reduction Strategy Papers/PRSP) mit den ebenfalls in
vielen Ländern entstandenen Nachhaltigkeitsstrategien und Agenda 21-Prozessen zu
verknüpfen.
Supranationale Ebene:
Die supranationale Ebene ist zum einen aus wirtschaftlichen Erwägungen von Bedeutung,
weil viele Länder durch Kooperation oder Integration mit Nachbarländern erst zu
wirtschaftlich effizienten Größenordnungen gelangen. Zum anderen sind es aber auch
grenzüberschreitende naturräumliche Gegebenheiten, die Länder zur Kooperation zwingen.
Dies gilt vor allem für grenzüberschreitende Flußläufe und Wassereinzugsgebiete (z.B.
Mekong, Aral-See). Nachhaltige Entwicklung ist dort nur bei enger Kooperation der Länder
17
möglich. Wo diese fehlt, wie z.B. in Zentralasien, schreitet die nicht-nachhaltige Nutzung der
Ressourcen rapide fort.
Globaler Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik
Mit der zunehmenden wirtschaftlichen und technologischen Verflechtung und dem
gestiegenen
Bewußtsein
Regelungsbedarf
auf
der
für
die
globalen
globalen
Ebene
ökologischen
gestiegen.
Wirkungsketten
Ausgangspunkt
ist
für
der
globale
Vereinbarungen im wirtschaftlichen Bereich waren traditionell die Vermeidung von
internationalen Wirtschaftskrisen und die Gestaltung eines freien Welthandels. Am Ende des
Zweiten Weltkriegs wurden hierzu die Institutionen gegründet, die auch heute noch für die
Gestaltung der Weltwirtschaft von großer Bedeutung sind7: Das General Agreement on
Tariffs and Trade (GATT) – heute: World Trade Organisation (WTO), der Internationale
Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Hinzu kommen eine ganze Reihe weiterer
Institutionen, z.T. im Rahmen des UN-Systems, wie z.B. die International Labour
Organisation (ILO), die für die Gestaltung internationaler Wirtschaftsbeziehungen von
Bedeutung sind.
Nachdem dieses System bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein einen
stabilen Rahmen für die wirtschaftliche Entwicklung abgab, der Ländern wie Deutschland
einen unvergleichlichen Wohlstand bescherte, sind seither zwei Defizite dieses Systems
zunehmend thematisiert worden:
•
Die Entwicklungsländer fühlen sich im Rahmen eines von den Industrieländern
dominierten internationalen Systems unfair behandelt und verlangen seither
Korrekturen an diesem System, so z.B. in den 70er Jahren eine „Neue
Weltwirtschaftsordnung“ .
•
In dem von wirtschaftlichen Erwägungen dominierten internationalen System hat die
Nachhaltigkeit keinen Platz. Deshalb soll durch internationale Institutionen und
Vereinbarungen das Konzept der nachhaltigen Entwicklung zunehmend zur
Grundlage für die internationale Kooperation werden.
Im folgenden werden die Handlungsfelder der globalen Wirtschafts- und Umweltpolitik kurz
skizziert und die Bezüge zu den beiden genannten Defiziten hervorgehoben:
7
Es wird hier nicht auf das Kooperationssystem der sozialistischen Länder – den Rat für Gegenseitige
Wirtschaftshilfe (COMECON) – eingegangen, das sich im Nachhinein, nach dem Zusammenbruch der
dominierenden Sowjetunion, als ökonomisch nicht nachhaltig herausstellte.
18
Internationaler Handel:
Das System der internationalen Handelsabkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation
(WTO) folgt einerseits dem Gleichheitsprinzip, etwa im Bereich der internationalen
Schiedsverfahren, wo sich bei Streitigkeiten schwache Länder gegen die großen
Welthandelsnationen
durchsetzen
können.
Es
gibt
auf
der
anderen
Seite
Vorzugsbedingungen für die ärmsten Länder (LDCs), was den Zugang zu den Märkten der
Industrieländer angeht. Weiterhin umstritten ist, ob diese Bedingungen der Lage der
Entwicklungsländer tatsächlich gerecht werden. Es ist aber vor allem umstritten, ob die
Industrieländer ihre Märkte vor allem in den Bereichen weiterhin schützen und ihre eigene
Wirtschaft subventionieren dürfen, wo die Entwicklungsländer besonders wettbewerbsfähig
sind, also vor allem in der Landwirtschaft.
Im Zuge der Welthandelsrunden (derzeit: Doha-Runde bis 2006/7), stehen sich die
Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern gegenüber, wobei mittlerweile einige
Entwicklungsländer, wie z.B. China, so weit zu den Welthandelsnationen aufgeschlossen
haben, dass sich ihre Interessen denen der Industrieländer annähern und Industrie- wie
Entwicklungsländer von ihnen ebenfalls eine Öffnung ihrer Märkte verlangen.
Die große Schwäche der ärmsten Entwicklungsländer (ca. 60 – 70 überwiegend kleine
Länder) besteht darin, dass es ihnen nicht gelungen ist, eine verarbeitende Industrie und
einen Dienstleistungssektor aufzubauen und damit von Rohstoffexporten unabhängig zu
werden. Sie sind damit dauerhaft anfällig für die Schwankungen und den langfristigen
relativen Rückgang der Rohstoffpreise, wodurch ihre Handlungsmöglichkeiten drastisch
eingeschränkt und sie auch besonders verletzlich gegenüber Veränderungen der
naturräumlichen Gegebenheiten und des Klimas sind.
Die Entwicklungsstrategien dieser Länder und die internationale Unterstützung gehen in die
Richtung, dieses Defizit zu beheben und eine Exportwirtschaft auf der Basis einheimischer
Rohstoffe aufzubauen. Die Bedingungen hierfür – insbesondere was die Infrastruktur und die
Ausbildung der Arbeitskräfte angeht, sind jedoch in vielen Ländern schlecht. Dennoch gibt es
keine realistische Alternative, als diesen Weg zu gehen, unter Berücksichtigung des
Nachhaltigkeitsgrundsatzes. Gelingt dies nicht, werden diese Länder dauerhaft von der
Unterstützung der Industrieländer abhängig sein. Ein Gegensatz zwischen der Erzeugung
von Nahrungsmitteln für den einheimischen Verbrauch und für den Export besteht im
Übrigen kaum. Grundsätzlich gibt es in fast allen Ländern genügend Spielraum für eine
Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität und damit auch für den Export eines Teils
der Produktion.
19
Wenn von unfairen Handelsbedingungen für die Entwicklungsländer die Rede ist, dann ist in
der Regel damit gemeint, dass die Weltmarktpreise durch die Subventionen der
Industrieländer verzerrt werden und die Zugangsbedingungen zu den Märkten der
Industrieländer zu restriktiv sind. Von einer Veränderung dieser Bedingungen wird ein
deutlicher Zuwachs des Handels der Entwicklungsländer erwartet, mit positiven Folgen für
Wachstum und Armutsreduzierung. Ein anderes Verständnis von „Fair Trade“ bezieht sich
auf die Tatsache, dass die kleinbäuerlichen Erzeuger von Nahrungsmitteln und Rohstoffen in
den Entwicklungsländern häufig unter sehr schlechten Bedingungen leben und arbeiten
müssen, meist ein Resultat der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung in den Ländern, die
den Kleinbauern keine Alternative läßt, aber auch der langfristig sinkenden Weltmarktpreise,
z.B. für Kaffee. Durch den Aufbau direkter Beziehungen zu den Erzeugern und die freiwillige
Weiterleitung eines Teils des Erlöses an die Bauern wird eine Verbesserung der
Lebensverhältnisse der Bauern angestrebt. Die Schwierigkeit hierbei ist, dass meist nur ein
kleiner Teil der Erzeuger erreicht werden kann und auch nur ein Teil der Konsumenten bereit
ist, einen höheren Preis für „fair gehandelte“ Produkte zu bezahlen. Deshalb ist es
unabdingbar, dass der erstgenannte Weg, die internationalen Bedingungen für den Handel
der Entwicklungsländer generell zu verbessern, weitergegangen wird. Dies kann im
günstigen Fall zur Folge haben, dass sich die Handlungsspielräume für die Länder wie für
die Individuen erweitern und beispielsweise die Kinder der heutigen Kaffeebauern – eine
gute Ausbildung vorausgesetzt – etwas anderes werden können als Kaffeebauer.
Da der zunehmende Welthandel wenigstens teilweise negative ökologische Auswirkungen
hat, wird häufig vorgeschlagen, den Handel mit Entwicklungsländern an Bedingungen der
umweltverträglichen Erzeugung der betreffenden Produkte zu knüpfen. Dies wird von den
Handelsunternehmen und von den meisten Entwicklungsländern abgelehnt, weil es ihre
Handlungsspielräume zu sehr einschränken würde. Einige Unternehmen haben indes
freiwillig eine Zertifizierung der Umweltverträglichkeit (oder auch der Arbeitsbedingungen der
Beschäftigten, z.B. Kinderarbeit) in die Wege geleitet und kontrollieren deren Einhaltung. Es
wird aber darüber hinaus notwendig sein, die Kosten des Umweltverbrauchs stärker den
Produzenten und dem Handel (Transportkosten) anzulasten. Höhere Preise werden dann zu
einem Rückgang bzw. zu einer Umstrukturierung des internationalen Handels führen. Es
liegt auf der Hand, dass sich dagegen der Widerstand der Produzenten und des Handels
regen wird.
Internationale Finanzwirtschaft:
Mit der Liberalisierung internationaler Finanzströme sind auch viele Entwicklungsländer Teil
des internationalen Finanzsystems geworden. Dieses wird dominiert von den Banken und
20
Investoren aus den Industrieländern und von internationalen Institutionen, wie IWF und
Weltbank, die
wiederumvon den Ländern des Nordens beherrscht werden. Die
Entwicklungsländer können von der Integration in das internationale Finanzsystem
profitieren. Die Risiken in Bezug auf eine Destabilisierung schwacher Wirtschaften durch
wechselhafte Finanzströme und in Bezug auf eine übermäßige Verschuldung sind jedoch
hoch und erfordern starke und anpassungsfähige nationale Institutionen.
Für die ärmesten Entwicklungsländer ist vor allem das Verschuldungsproblem virulent.
Aufgrund der geringen Mobilisierung eigener Finanzmittel und ihrer Exportschwäche sind sie
auf externe Finanzierung angewiesen – entweder in Form von privaten und öffentlichen
Krediten oder in Form von Zuschüssen aus Entwicklungshilfe. Die Forderung nach
weitgehendem Schuldenerlass für die ärmsten Länder und nach einer Erhöhung der
Entwicklungshilfe ist zwar gerechtfertigt. Ihre Erfüllung wird aber nicht automatisch dazu
führen, dass diese Länder langfristig von externer Finanzierung unabhängig werden. Es
muss schließlich auch berücksichtigt werden, dass die Steuerzahler in den Industrieländern,
die die Entwicklungshilfe und den Schuldenerlaß finanzieren müssen, nur begrenzt belastbar
sind. Dies gilt insbesondere für die „alternden Gesellschaften“ des Nordens, in denen die
finanzpolitischen Spielräume langfristig immer weiter abnehmen werden. Es geht also kein
Weg daran vorbei, die eigene Wirtschaftskraft der ärmsten Entwicklungsländer zu stärken
und sie selbst in die Lage zu versetzen, ihre Entwicklung zu finanzieren.
Internationale Unternehmen:
Ein großer Teil des internationalen Handels und der Investitionen wird mittlerweile von einer
nicht allzu großen Zahl internationale Unternehmen, überwiegend aus den Industrieländern,
abgewickelt. Der Umsatz einiger dieser Unternehmen ist größer als das Volkseinkommen
vieler Entwicklungsländer und ihre Gestaltungsmacht wird von vielen als größer eingeschätzt
als die von nationalen Regierungen. Es wird deshalb versucht, durch internationale
Regelungen für Unternehmen, z.B. für internationale Investitionen, den Handlungsspielraum
der Unternehmen zu begrenzen und ihre Aktivitäten möglichst „entwicklungsfreundlich“ zu
gestalten. Da es hierfür keine internationale Instanz und keinen internationalen
Rechtsrahmen gibt, ist man im Wesentlichen auf freiwillige Vereinbarungen, z.B.
Verhaltenskodizes, angewiesen, deren Einhaltung von privaten internationalen Einrichtungen
überprüft wird (z.B. Transparency International für die Überwachung im Bereich der
Korruption). Zunehmend wird es für Unternehmen wichtig, sich öffentlich zur Einhaltung von
Verhaltensregeln und damit zu ihrer sozialen Unternehmensverantwortung (Corporate Social
Resonsibility) zu bekennen. Hierbei spielt die Umweltfreundlichkeit der Produktion ebenfalls
eine
Rolle.
Es
gibt
zunehmend
freiwillige
internationale
Vereinbarungen
großer
21
Unternehmen, hier mit gutem Beispiel voranzugehen. So haben z.B. große internationale
Banken im Equator-Agreement vereinbart, bei der Kreditvergabe an Unternehmen die
gleichen strengen Umwelt- und Sozialkriterien anzulegen wie die Weltbank.
Internationale Sozialpolitik:
Insbesondere
im
Bereich
der
Arbeits-
und
Sozialnormen
gibt
es
internationale
Vereinbarungen, z.B. im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die z.B.
Kinderarbeit verbieten. Viele Entwicklungsländer wehren sich gegen eine Erweiterung dieses
Normenkatalogs, weil sie befürchten, damit weniger wettbewerbsfähig zu sein. Dem halten
die Industrieländer entgegen, dass ein „Sozialdumping“ vermieden werden muss, weil
dadurch
die
Unternehmen
und
die
Arbeitskräfte
in
Industrieländern,
die
einem
umfangreichen nationalen Normenkatalog unterworfen sind, unfairem Wettbewerb aus den
Entwicklungsländern ausgesetzt wären. Wie auch in anderen Bereichen des globalen
Ordnungsrahmens geht es auch hier weniger um eine Auseinandersetzung zwischen
Industrieländern
und
den
ärmsten
Ländern.
Konfliktbeladen
ist
vor
allem
die
Auseinandersetzung mit den Schwellenländern, die einerseits die Vorzugsbedingungen für
Entwicklungsländer behalten wollen, andererseits aber bereits starke Wettbewerber für die
Industrieländer sind.
Internationale Umweltpolitik:
Eine wachsende Zahl von Verträgen zur Umweltpolitik begrenzen inzwischen die
Handlungsfreiheit der Staaten und geben allgemeine, zunehmend auch spezifische
Handlungsstandards vor, die von den Staaten in ihre nationale Umweltpolitik übernommen
werden sollen. Zu den wichtigsten internationalen Akteuren gehören das Umweltprogramm
der Vereinten Nationen (UNEP), das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen
(UNDP), das Montrealer Protokoll, die globale Umweltfazilität (GEF), die Kommission für
Nachhaltige
Entwicklung
(CSD)
und
die
Vertragsstaatenkonferenzen
zur
Klima-,
Biodiversitäts- und Desertifikationskonvention. Wie auch in den anderen Bereichen gibt es
eine große Zahl von Konfliktfeldern in der Umweltpolitik, wobei die Konfliktlinien nicht nur
zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verlaufen. Die globale Architektur der
Umweltpolitik ist sicherlich noch nicht ausgereift und es ist eine Aufgabe für die Zukunft, die
internationalen Institutionen und Vereinbarungen schrittweise an dem Ziel einer nachhaltig
zukunftsverträglichen globalen Entwicklung zu orientieren.8
Fazit: Von der individuellen bis zur globalen Ebene haben wir es mit einem komplexen Feld
von Interessen, Handlungsmöglichkeiten und spezifischer Verantwortung zu tun. Um in
8
Vgl. hierzu Globale Trends (2004), Stiftung Entwicklung und Frieden, S. 181 ff.
22
diesem Feld einen gangbaren Weg für nachhaltige Entwicklung zu finden, sind Regeln
notwendig, aber auch individuelle und gesellschaftliche Initiativen, welche die Regeln auf den
jeweiligen politischen Ebenen weiter entwickeln. Die Interessen stehen sich hierbei nicht
Schwarz/Weiss gegenüber, sondern es gibt Interessengegensätze in den Ländern wie
zwischen verschiedenen Ländergruppen. Anzustreben sind gewaltfreie Formen und Foren
der Auseinandersetzung, mit denen ein Interessenausgleich hergestellt werden kann. Da
derartige Prozesse notorisch langwierig sind, bedarf es indes auch der Visionen und der
Führung auf hoher internationaler Ebene, um von Zeit zu Zeit zu politischen Durchbrüchen
zu kommen.
4. Entwicklungspolitik und Nachhaltige Entwicklung
Die internationale Entwicklungspolitik orientiert sich grundsätzlich an zwei Aufgabenfeldern:
-
Gestaltung
der
internationalen
Rahmenbedingungen
für
eine
nachhaltig
zukunftsverträgliche Entwicklung („Globale Strukturpolitik“).
-
Unterstützung der Entwicklungsländer, insbesondere der ärmsten Länder, bei der
Armutsbekämpfung.
Beide Handlungsebenen hängen eng miteinander zusammen. Ohne angemessene
internationalen
Rahmenbedingungen,
die
den
besonderen
Verhältnissen
in
den
Entwicklungsländern Rechnung tragen, wird es den ärmsten Ländern nicht gelingen können,
im internationalen Wettbewerb zu bestehen, negative Auswirkungen der Globalisierung auf
ihre Länder zu vermeiden und eigene Institutionen aufzubauen, welche die Politik auf
nationaler Ebene nachhaltig zukunftsverträglich steuern können.
Auf der anderen Seite werden internationale Vereinbarungen und Regeln insbesondere in
den ärmsten Ländern nicht ausreichen, um eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung
zu ermöglichen. Insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung und die damit verbundene
Reduzierung der absoluten Armut erfordert umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen aus
den Industrieländern. Oft müssen die Entwicklungsländer auch erst durch ausländische
Unterstützung beim Aufbau von Institutionen in die Lage versetzt werden, die zahlreichen
internationalen Vereinbarungen, z.B. in Bezug auf Umweltstandards, auf nationaler Ebene
umzusetzen.
23
Die internationale Gemeinschaft hat mit einer Reihe von Konferenzen auf der Ebene der
Vereinten Nationen seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine internationale
„Entwicklungsagenda“ formuliert, auf die sich alle VN-Mitgliedsstaaten verpflichtet haben. Auf
dem UN-Millenniumsgipfel in New York im September 2000 wurden die Ziele und
Grundsätze dieser Agenda in acht Millenniumszielen (Millennium Development Goals) mit
achtzehn konkreten, messbaren Zielvorgaben zusammengefasst. Diese Ziele haben einen
Zeithorizont bis 2015 und sind verpflichtend für alle VN-Mitgliedsstaaten.
Millenniums-Entwicklungsziele und Zielvorgaben:
Ziel 1. Beseitigung der extremen Armut und des Hungers
Zielvorgabe 1. Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, deren Einkommen
weniger als 1 Dollar pro Tag beträgt
Zielvorgabe 2. Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, die Hunger leiden
Ziel 2. Verwirklichung der allgemeinen Primarschulbildung
Zielvorgabe 3. Bis zum Jahr 2015 sicherstellen, dass Kinder in der ganzen Welt, Jungen wie
Mädchen, eine Primarschulbildung vollständig abschließen können
Ziel 3: Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Ermächtigung der Frau
Zielvorgabe 4. Das Geschlechtergefälle in der Primar- und Sekundarschulbildung beseitigen,
vorzugsweise bis 2005 und auf allen Bildungsebenen bis spätestens 2015
Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit
Zielvorgabe 5. Zwischen 1990 und 2015 die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei
Drittel senken
Ziel 5. Verbesserung der Gesundheit von Müttern
Zielvorgabe 6. Zwischen 1990 und 2015 die Müttersterblichkeitsrate um drei Viertel senken
Ziel 6. Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Krankheiten
Zielvorgabe 7. Bis 2015 die Ausbreitung von HIV/Aids zum Stillstand bringen und allmählich
umkehren
Zielvorgabe 8. Bis 2015 die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten zum
Stillstand bringen und allmählich umkehren
Ziel 7. Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit
Zielvorgabe 9. Die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung in einzelstaatliche Politiken und
Programme einbauen und den Verlust von Umweltressourcen umkehren
24
Zielvorgabe 10. Bis 2015 den Anteil der Menschen um die Hälfte senken, die keinen
nachhaltigen Zugang zu hygienischem Trinkwasser haben
Erweiterung vom WSSD in Johannesburg: Halbierung der Anzahl von Menschen bis 2015, die
keinen Zugang zu sanitärer Basisversorgung haben
Zielvorgabe 11. Bis 2020 eine erhebliche Verbesserung der Lebensbedingungen von mindestens 100
Millionen Slumbewohnern herbeiführen
Ziel 8. Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft
Zielvorgabe 12. Ein offenes, regelgestütztes, berechenbares und nichtdiskriminierendes Handelsund Finanzsystem weiterentwickeln (Umfasst die Verpflichtung auf eine gute Regierungs- und
Verwaltungsführung, die Entwicklung und die Armutsreduzierung sowohl auf nationaler als auch auf
internationaler Ebene.)
Zielvorgabe 13. Den besonderen Bedürfnissen der am wenigsten entwickelten Länder Rechnung
tragen (Umfasst einen zoll- und quotenfreien Zugang für die Exportgüter der am wenigsten
entwickelten Länder, ein verstärktes Schuldenerleichterungsprogramm für die hochverschuldeten
armen Länder und die Streichung der bilateralen öffentlichen Schulden sowie die Gewährung
großzügigerer öffentlicher Entwicklungshilfe für Länder, die zur Armutsminderung entschlossen sind.)
Zielvorgabe 14. Den besonderen Bedürfnissen der Binnen- und kleinen Inselentwicklungsländer
Rechnung tragen (durch das Aktionsprogramm für die nachhaltige Entwicklung der kleinen
Inselstaaten
unter
den
Entwicklungsländern
und
die
Ergebnisse
der
zweiundzwanzigsten
Sondertagung der Generalversammlung)
Zielvorgabe 15. Die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer durch Maßnahmen auf nationaler und
internationaler Ebene umfassend angehen und so die Schulden langfristig tragbar werden lassen.
Zielvorgabe 16. In Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern Strategien zur Beschaffung
menschenwürdiger und produktiver Arbeit für junge Menschen erarbeiten und umsetzen
Zielvorgabe 17. In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen erschwingliche unentbehrliche
Arzneimittel in den Entwicklungsländern verfügbar machen
Zielvorgabe 18. In Zusammenarbeit mit dem Privatsektor dafür sorgen, dass die Vorteile der neuen
Technologien, insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologien, genutzt werden
können
Die Bundesregierung hat auf Grundlage der Millenniumsziele ein Aktionsprogramm
verabschiedet 9, das sich vor allem am ersten und übergreifenden Ziel, der Halbierung der
absoluten Armut bis 2015, orientiert.
Die Millenniumsziele und die damit verbundenen internationalen Vereinbarungen machen
deutlich, dass inzwischen ein internationaler Konsens darüber besteht, dass nachhaltige
9
BMZ (2001), Armutsbekämpfung – eine globale Aufgabe. Aktionsprogramm 2015. Der Beitrag der
Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut
25
Entwicklung mehrdimensional zu definieren ist. Sie umfasst wirtschaftliche, ökologische und
soziale Ziele und Handlungsebenen, die untrennbar miteinander verbunden sind.
Es besteht auch Konsens darüber, dass zur Erreichung der umfassenden Ziele ein
gemeinsames
Vorgehen
und
gemeinsame
Verpflichtungen
von
Industrie-
und
Entwicklungsländern notwendig sind. Während sich die Industrieländer insbesondere zu
einer „entwicklungsfreundlichen“ Gestaltung der internationalen Rahmenbedingungen (Ziel
8) und zu einer höheren und effektiveren Entwicklungshilfe verpflichtet haben, übernehmen
die Entwicklungsländer die Verantwortung dafür, die wirtschaftlichen und politischen
Rahmenbedingungen in ihren Ländern so zu gestalten, dass die externe Hilfe effektiv
verwendet und die Armut gezielt bekämpft werden kann. Da dieser Grundsatz auf einer
Weltkonferenz in Monterrey/Mexiko im März 2002 (Financing for Development) vereinbart
wurde, wird er auch als Monterrey-Konsens bezeichnet.
Nicht erst mit der Vereinbarung über die Millenniumsziele ist die politische Dimension einer
nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung stärker ins Bewusstsein gerückt. In den
Industrieländern ist es nicht zuletzt eine politische Frage, wie umfassend die
Anforderungen an eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung umgesetzt werden
können. Hier gibt es Interessenkonflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen, die sich
insbesondere an den Zielkonflikten zwischen wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit
festmachen. Auf der internationalen Ebene ist eine umfassende Kooperationsfähigkeit der
staatlichen und privaten internationalen Akteure erforderlich, um zu gemeinsamen
Vereinbarungen zu kommen und diese auch umzusetzen. Schliesslich ist in den
Entwicklungsländern ein politischer Gestaltungswille und eine Gestaltungsfähigkeit
erforderlich, die in vielen Fällen, vor allem in den ärmsten Ländern, bisher nicht gegeben
war. Die große Zahl internationaler und nationaler militärischer Konflikte – ganz überwiegend
in Entwicklungsländern – welche einen geordneten Entwicklungsprozess in vielen Ländern
verhindern, macht deutlich, dass die politische Dimension nachhaltiger Entwicklung auch mit
Sicherheit im militärischen Sinne zu tun hat. Daraus ergeben sich Forderungen, das System
der internationalen Vereinbarungen um eine sicherheitspolitische Dimension im Interesse
einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung zu erweitern.
26
5. Wahrnehmungsprobleme in der Öffentlichkeit und Ausgangspunkte für die
Schule
Zentrales Wahrnehmungsproblem ist die Komplexität der globalen Zusammenhänge
einerseits und die Selektivität der Informationen, die der Einzelne über die Medien und über
vereinzelte persönliche Erfahrungen erhält. Aufgabe von BfNE ist
•
eine größere Durchdringung der Komplexität im Sinne eines Abgleichs von Fakten
mit persönlichen Wahrnehmungen,
•
Verständnis für die Handlungsspielräume der Akteure auf verschiedenen Ebenen
(vom Individuum bis zur globalen Ebene),
•
realistische Einschätzung von eigenen Handlungsmöglichkeiten (als Schüler,
Arbeitnehmer, Staatsbürger...).
Komplexität: Das Bild der „Dritten Welt“ ist geprägt von Bildern extremer Armut, von
Katastrophen und Kriegen. Diese Wahrnehmung kontrastiert mit einer sehr vielgestaltigen
Realität in den Entwicklungsländern. Diese Realität reicht von raschen wirtschaftlichen und
technologischen Aufholprozessen vor allem in Asien, teilweise auch in Lateinamerika, bis zu
einer Verschlechterung der Lebensbedingungen in Subsahara-Afrika. Eine realistische
Einschätzung der Realitäten macht eine Wahrnehmung dieser Vielgestaltigkeit erforderlich,
wie auch eine Wahrnehmung der Dynamik von Entwicklungen. Letzteres kann vor allem
dadurch erleichtert werden, dass historische Bezüge hergestellt werden – zur Geschichte der
Entwicklungsländer wie auch zur deutschen und europäischen Wirtschaftsgeschichte.
Ökonomische Sachzwänge: Die Ökonomie wird häufig als eine Welt der Sachzwänge
wahrgenommen, mit wenig Handlungsmöglichkeiten für die Wirtschaftssubjekte. Dies wird
noch akzentuiert durch den Prozess der Globalisierung, der als weitere Einschränkung
nationaler Handlungsspielräume wahrgenommen wird. BfNE sollte die Aufgabe haben, eine
Differenzierung zwischen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und individuellen/staatlichen
Handlungsspielräumen zu ermöglichen. Diese Trennung ist nicht einfach, weil Schüler
sicherlich häufig zu „einfachen“ Lösungen neigen und die ökonomischen Wirkungsketten,
wie auch die Wirkungsketten zu den anderen Dimensionen der Nachhaltigkeit nicht
überblicken. Wichtig ist jedoch, herauszuarbeiten, dass wirtschaftliche Entwicklung und der
Prozess der Globalisierung auch zu einer Erweiterung von Handlungsspielräumen sowohl für
Individuen als auch für Länder führt, was man insbesondere an den fortgeschrittenen
Entwicklungsländern zeigen kann.
Interdependenzen:
Interdependenzen
Eine
Herausforderung
zwischen
den
ist
Dimensionen
die
systematische
der
Erarbeitung
Nachhaltigkeit.
Inter-
der
bzw.
27
multidisziplinäres Herangehen an Problemfelder ist ein oft beschworenes und selten
eingelöstes Prinzip.
In
der
Schule besteht
die
Chance,
natur-, geistes-
und
sozialwissenschaftliche Fächer problemorientiert zu verbinden und damit die verschiedenen
Sichtweisen exemplarisch herauszuarbeiten.
Chancen und Grenzen der Politik: Es wird häufig die Wahrnehmung vorherrschen, dass
Politik machtlos ist gegenüber globalen Entwicklungen. Aufgabe der BfNE ist es, realistische
Handlungsmöglichkeiten auf den verschiedenen politischen Ebenen herauszuarbeiten und
beispielhaft zu zeigen, wie man von Interessenkonflikten zu einem Interessenausgleich
kommen kann.
Kooperation – Wettbewerb - Solidarität: Die Vielgestaltigkeit der Probleme im
Zusammenhang mit Nachhaltiger Entwicklung erfordern unterschiedliche Formen bzw.
unterschiedliche Prinzipien der Zusammenarbeit. Es mag die Wahrnehmung vorherrschen,
dass gegenüber Entwicklungsländern das Prinzip der Solidarität vorherrschen sollte und die
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit Ausdruck dieses Prinzips sei. Diese Sicht
abstrahiert jedoch von der Tatsache, dass sich sowohl der Einzelne als auch die nationale
Politik
gleichzeitig
im
Wettbewerb
–
auch
gegenüber
Entwicklungsländern
-
auseinandersetzen und hierfür entsprechende Anstrengungen unternehmen müssen.
Hiervon unterscheidet sich wiederum das Prinzip der Kooperation im wohlverstandenen
Eigeninteresse und in globaler Verantwortung, das insbesondere für Verhandlungsprozesse
im internationalen Rahmen von Bedeutung ist. Es sollte gelernt werden, dass alle Formen
der Zusammenarbeit ihre Berechtigung haben und ein unreflektiertes Solidaritäts-Prinzip
eher von den tatsächlich relevanten Handlungsebenen ablenken würde.
28
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