Nachhaltige Entwicklung – Die wirtschaftliche Dimension Entwurf Dr. Peter Wolff, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn Diskussionspapier für die Dritte KMK-BMZ-Fachtagung für entwicklungspolitische Bildung an Schulen Am 14.12.2004 und 15.12.2004 in Bonn - nicht zu zitieren - Im Auftrag von KMK und BMZ : InWEnt – Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH Tulpenfeld 5, 53113 Bonn Nachhaltige Entwicklung – Die wirtschaftliche Dimension Dr. Peter Wolff, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn 3. ENTWURF 1. Das Leitbild „Nachhaltige Entwicklung“ Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) im Juni 1992 in Rio de Janeiro wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der darauf abzielt, von der Ebene der internationalen Politik über die nationalen Regierungen bis hin zu den Kommunen eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich damals auf das Leitbild der „nachhaltigen Entwicklung“ (sustainable development) verständigt1. Damit wurde ein bereits 1987 von der Brundtland-Kommission für Umwelt und Entwicklung2 formuliertes Prinzip von der internationalen Staatengemeinschaft übernommen. Nach allgemeinem Verständnis bedeutet die zunächst abstrakte Formel des sustainable development eine Entwicklung, welche den Bedürfnissen der gegenwärtig lebenden Menschen entspricht, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu gefährden. Unter den vielen Möglichkeiten, diesen englischen Begriff ins Deutsche zu übersetzen, hat die Enquete-Kommission des 12. Deutschen Bundestages zum „Schutz des Menschen und der Umwelt“, die nach der RioKonferenz eingesetzt wurde3, die deutsche Formulierung „nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung“ gewählt. Die Unterzeichnerstaaten der Rio-Deklaration haben sich dazu bekannt, diesen politisch formulierten Anspruch zu konkretisieren, auszugestalten und mit Inhalt zu füllen. Mit der Agenda 21 wurde im Rahmen der Rio-Konferenz ein globales Aktionsprogramm formuliert, welches auf allen Ebenen – global, national, regional und lokal – einen Rahmen für das politische Handeln bilden soll. Eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung steht hierbei vor der Herausforderung, ökologischen, ökonomischen und sozialen (politischen, kulturellen) Zielsetzungen gleichgewichtig Rechnung zu tragen und damit die ethische Verantwortung für die Gerechtigkeit zwischen den heute lebenden Menschen und zukünftigen 1 Rio-Erklärung Brundtland-Kommission 3 Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ (1994) 2 Generationen wahrzunehmen. Das Leitbild sustainable development geht also weit über die Betrachtung der umweltpolitischen Komponente hinaus und berührt unmittelbar ökonomische, ökologische und soziale Entwicklungsprozesse. Es wird dabei auch deutlich, dass es nicht nur um die Gerechtigkeit zwischen den heutigen und den zukünftigen Generationen geht (intergenerative Gerechtigkeit), sondern auch um die Verteilung von Entwicklungschancen unter den gegenwärtigen Generationen (intragenerative Gerechtigkeit) auf nationaler Ebene, also zwischen Arm und Reich innerhalb eines Landes, und auf internationaler Ebene, also zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das Leitbild der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung ist also kein deskriptives sondern ein normatives Konzept. Es vermittelt schon in seiner Begrifflichkeit die Vorstellung einer Welt wie sie sein sollte. Alle Eingriffe des Menschen in ökologische, ökonomische und soziale Systeme müssen demnach unter dem Aspekt der Verantwortbarkeit für ihre Zukunftsfähigkeit gesehen werden. Es gibt allerdings unterschiedliche Vorstellungen vom Gewicht, das die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit – ökologische, ökonomische und soziale (politische, kulturelle) – in einem normativen Konzept haben sollten: Das „Drei-Säulen-Modell“ geht von der Vorstellung aus, dass Nachhaltigkeit durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, sozialen und wirtschaftlichen Zielen, die jeweils gesondert definierten Nachhaltigkeitsprinzipien entsprechen, erreicht werden könne. Das “Leitplankenmodell“ bestreitet die Gleichrangigkeit der drei Säulen. Ihm zufolge bilden die ökologischen Parameter, die langfristig stabile Lebensbedingungen auf der Welt sichern, einen Entwicklungskorridor, der unbedingt zu beachten sei. Nur innerhalb dieses Korridors bestehe ein Spielraum zur Umsetzung wirtschaftlicher und sozialer Ziele. Demgegenüber betont das „integrative Modell“, welches die politische Umsetzbarkeit einer Strategie der Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt, dass „...eine ökologisch dominierte Nachhaltigkeitspolitik im gesellschaftlichen Abwägungsprozess immer dann unterliegen wird, wenn sich andere Problemlagen als unmittelbarer, spürbarer und virulenter erweisen und damit auch für politisches Handeln dringlicher und attraktiver sind. Selbst wenn sie sich durchsetzen kann, bleibt sie ohne Wirkung, denn letztlich dürfte nur eine Politik der 2 Integration der drei Dimensionen in der Lage sein, die konzeptionelle Schwäche einer von wirtschaftlichen und sozialen Fragestellungen isolierten Umweltdiskussion zu überwinden. (...) Aufgrund der komplexen Zusammenhänge zwischen den drei Dimensionen bzw. Sichtweisen von Ökologie, Ökonomie und Sozialem müssen sie integrativ behandelt werden. Dabei geht es – bildhaft gesprochen – nicht um die Zusammenführung dreier nebeneinander stehender Säulen, sondern um die Entwicklung einer dreidimensionalen Perspektive aus der Erfahrungswirklichkeit.“4 Folgt man dem integrativen Ansatz, so bedeutet dies auch, dass Nachhaltigkeit nicht nach Maßgabe eines einmal festzulegenden Kriterienrasters angestrebt und politisch umgesetzt werden kann, sondern dass dies nur schrittweise über gesellschaftspolitische Konkretisierungs- und Willensbildungsprozesse zu verwirklichen ist, in denen die unterschiedlichen Perspektiven und Interessen der Individuen und gesellschaftlichen Gruppen aufeinander abgestimmt werden. 2. Nachhaltige Entwicklung aus wirtschaftlicher Perspektive Die gängigen wirtschaftstheoretischen Modelle verwenden als Entscheidungsträger den nur seinen eigenen Interessen verpflichteten Homo Oeconomicus, dessen Bestreben es ist, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Die Theorie der Wirtschaftspolitik sieht seit jeher das Ziel jeden Wirtschaftens darin, die soziale Wohlfahrt zu maximieren, wobei Wohlfahrt, wie auch der individuelle Nutzen, sowohl in monetären als auch in nicht4 Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ 1998: 31f. 3 monetären Kategorien gefasst werden kann. Die für das Wirtschaften auf individueller und gesellschaftlicher Basis verfügbaren Ressourcen gelten zwar auf kurze Sicht als knapp. Auf längere Sicht sind sie jedoch – im Rahmen von Wachstumsprozessen – reproduzierbar und vermehrbar. Das Problem endlicher Ressourcen wird von der Wirtschaftstheorie- und –politik erst seit der Diskussion über die „Grenzen des Wachstums“ in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts thematisiert. Ökonomische Nachhaltigkeit war bis dahin lediglich im Sinne einer Bilanz ökonomischer Fluss- oder Bestandsgrößen definiert, d.h. - Einnahmen und Ausgaben eines Individuums, eines Unternehmens oder einer Volkswirtschaft müssen sich auf längere Sicht ausgleichen, um wirtschaftlich nachhaltig zu sein; - der Kapitalstock eines Unternehmens oder einer Volkswirtschaft muss mindestens erhalten bleiben, damit die Existenz im Sinne wirtschaftlicher Dauerhaftigkeit gesichert bleibt. Es ist zwar möglich, durch Kreditaufnahme einen höheren gegenwärtigen Konsum oder die gegenwärtigen Investitionen „vorzufinanzieren“. Dies wird jedoch nur dann ohne Wohlfahrtseinbußen gelingen, wenn die Wirtschaftstätigkeit zu höheren Einnahmen in der Zukunft führt, mit denen die Kredite finanziert werden können, sonst ist die Wirtschaftstätigkeit eines Individuums, eines Unternehmens oder einer Volkswirtschaft wirtschaftlich nicht nachhaltig. Ist die Wirtschaftstätigkeit produktiv, werden also zusätzliche Einnahmen in der Zukunft erwirtschaftet, entsteht wirtschaftliches Wachstum. Einnahmen und Kapitalstock expandieren. Wirtschaftspolitik hat sich also neben der (statischen) Maximierung der Wohlfahrtsausgleich gesellschaftlichen zwischen den Wohlfahrt auch an einem (dynamischen) Generationen im Sinne eines wirtschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriffs zu orientieren, d.h. die Kreditaufnahme darf nur so hoch sein, dass die Wohlfahrt zukünftiger Generationen nicht gefährdet wird. Hieraus definiert sich eine „tragfähige“ oder „nachhaltige“ Höhe der Kreditaufnahme. Je produktiver die Wirtschaftstätigkeit und je höher damit das wirtschaftliche Wachstum, desto weniger braucht man sich um die Nachhaltigkeit im engeren wirtschaftlichen Sinne Gedanken zu machen. Dem Problem der (kurzfristigen) Ressourcenknappheit kann aus Sicht der Wirtschaftstheorie durch marktwirtschaftliche Koordinationsmechanismen am besten begegnet werden. Wettbewerb, Privateigentum und Individualinteresse sorgen für eine sparsame Verwendung von Produktionsmitteln und gewährleisten auch volkswirtschaftlich eine „optimale Allokation“ der Ressourcen. 4 Mit wachsender Produktion von Gütern und Dienstleistungen ist allerdings immer ein höherer Ressourcenverbrauch verbunden, es sei denn, es gelingt durch technische Innovationen und durch effizientere Organisation von Produktionsprozessen den Ressourcenverbrauch pro erzeugter Einheit zu verringern. Dies ist die Wirkung des technischen Fortschritts, der die wesentliche Quelle des Produktivitätswachstums ist. Produktivitätswachstum entsteht, wenn ein bestimmter „Output“ mit weniger „Inputs“ hergestellt werden kann. Ohne ständige Produktivitätsfortschritte wäre das Wachstum längst an seine Grenzen gestoßen. Mit der Einbeziehung endlicher natürlicher Ressourcen wird die Bestimmung eines wirtschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriffs wesentlich komplizierter. Grundsätzlich gilt zwar weiterhin das Prinzip einer effizienten Ressourcenallokation im Rahmen von Marktprozessen. Wenn Ressourcen allerdings nicht reproduzierbar sondern absolut begrenzt sind, dann können sie nicht ohne weiteres – wovon die traditionelle Wirtschaftstheorie implizit ausging – im Rahmen von Wachstumsprozessen durch vom Menschen geschaffene Ressourcen ersetzt werden. Zwei theoretische Konzepte versuchen den Sachverhalt der nicht-Reproduzierbarkeit natürlicher Ressourcen in ökonomische Betrachtungsweisen einzubeziehen5: Das Konzept der nicht abnehmenden Wohlfahrt orientiert sich an der Berechnung eines nachhaltigen Volkseinkommens auf der Basis von Abschreibungen auf das reproduzierbare und das Naturkapital („Grünes Nettosozialprodukt“). Würde man derartige Abschreibungen berechnen, dann würde die Wachstumsrate des jährlich ausgewiesenen Sozialprodukts sinken, möglicherweise sogar negativ werden. Die betreffenden praktischen Versuche stoßen allerdings auf Kritik, weil die Auswahl der am Nettosozialprodukt vorgenommenen Korrekturen und ihre Gewichtung nicht auf einer genügend sicheren theoretischen Basis erfolgen. Besonders umstritten ist die bei der Realisierung dieses Konzepts notwendige Monetarisierung ökologischer Effekte. Das Konzept des nicht Nettovermögensrechnung, die abnehmenden ebenfalls Kapitals Abschreibungen orientiert auf sich an reproduzierbares einer und Naturkapital berücksichtigt. In einer Definition der „schwachen Nachhaltigkeit“ wird reproduzierbares und Naturkapital als substituierbar betrachtet, während die „strikte Nachhaltigkeit“ von einer unüberwindlichen Trennung zwischen dem von Menschen gemachten Kapital und dem Naturkapital ausgeht und deshalb die Forderung nach einer 5 Vgl. Endres, Alfred (2004), Zur Ökonomik des Hoffens und Bangens, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 5(1) 5 Konstanz des Naturkapitals erhebt. In der Kompromissvariante der „kritischen Nachhaltigkeit“ wird vorgeschlagen, dass bestimmte Teile des Naturkapitals – nämlich die für das Überleben notwendigen - physisch erhalten bleiben. Für alle Bestandteile des menschlichen Vermögens, die jenseits dieser Minimalausstattung vorhanden sind, gelten die Regeln des schwachen Nachhaltigkeitsprinzips. Natürlich wird es umstritten sein, worin die Minimalanforderungen an den menschlichen Kapitalbestand, die das Überleben der Menschheit sichern, tatsächlich bestehen. Die Wissenschaft kann hier Hilfe leisten, der Gesellschaft aber die Entscheidung nicht abnehmen. Das wirtschaftliche Nachhaltigkeitsprinzip lässt sich also um die Problematik des endlichen Naturkapitals erweitern. Es gibt jedoch noch einige den wirtschaftlichen Handlungsprinzipien inhärente Hindernisse auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaften: - Es ist für das wirtschaftliche Verhalten des Menschen typisch, dass die künftige Bedürfnisbefriedigung geringer geschätzt wird als die gegenwärtige. Diese Verhaltensweise führt auch schon ohne die Einbeziehung des endlichen Naturkapitals häufig zu problematischen wirtschaftlichen Ergebnissen, die durch Wirtschaftspolitik korrigiert werden müssen. Für eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung unter Berücksichtigung des Naturkapitals kann diese typische Handlungsweise indes fatal, weil mit nicht mehr revidierbaren Schäden verbunden sein. - Bei frei zugänglichen Ressourcen ist es für den Einzelnen rational, die Ressourcen uneingeschränkt zu konsumieren. Schränkt er seinen Konsum freiwillig ein, bewirkt er nichts, weil andere seine Ersparnis möglicherweise durch zusätzlichen Verbrauch überkompensieren („Gefangenendilemma“). Der Anreiz, sich bei frei zugänglichen Ressourcen sparsam zu verhalten, ist deshalb gering. Dies gilt sowohl für die Verteilung unter der gegenwärtigen Generation als auch für die intergenerative Verteilung von Ressourcen. Es gibt kein ökonomisches Prinzip, das die zukünftigen Generationen vor der Ausbeutung der Naturressourcen durch die gegenwärtige Generation schützt. Fazit: Es gibt durchaus Wege, die Endlichkeit des Naturkapitals in ein wirtschaftliches Verständnis von nachhaltig zukunftsverträglicher Entwicklung einzubeziehen. Darüber hinaus tragen funktionsfähige Märkte zur Ressourcenschonung bei und können durch Kosteneinsparungen die Nutzung ressourcensparender Technologien vorteilhaft machen (win-win-Situation). Dem 6 Homo Oeconomicus ist allerdings eine kurzfristige und egoistische Handlungsweise eigen, die es notwendig macht, durch gesellschaftliches Handeln das Handeln der individuellen Wirtschaftsakteure zu beeinflussen: - Durch die staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter, wie z.B. der Umweltforschung, um dadurch die Kosten des Umweltverbrauchs berechenbar zu machen. - Durch die Internalisierung der Kosten des Umweltverbrauchs in die Güterpreise, um dadurch Anreize zur Ressourceneinsparung zu geben. - Durch öffentliche Debatten und Aufklärung, um das individuelle Handeln der Wirtschaftsakteure im Sinne eines stärker altruistischen und zukunftsverträglichen Handelns zu beeinflussen. Letzteres bedeutet natürlich eine gewisse Abkehr vom Bild des Homo Oeconomicus, der stets nur seinem Eigennutz verpflichtet ist. Es erfordert Bereitschaft zu moralischem Handeln, die möglicherweise umso größer sein wird, je besser es gelingt, durch Anreize für den Einsatz ressourcensparender Technologien („Effizienzrevolution“) und die Einrichtung funktionsfähiger nationaler und internationaler politischer Institutionen die Kosten moralischen Handelns für den Einzelnen zu senken. Die bisherigen Ausführungen haben sich auf das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaft und Umwelt, zwischen wirtschaftlichem Wachstum und ökologischer Nachhaltigkeit konzentriert. Der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ hat jedoch – wie bereits erwähnt – auch eine soziale und eine politische Dimension: Die soziale Dimension bezieht sich vor allem auf die intragenerative Gerechtigkeit, also die Verteilung von Entwicklungschancen unter den gegenwärtigen Generationen. Im nationalen Rahmen geht es also um die Frage der Teilhabe verschiedener sozialer Gruppen an der gesellschaftlichen Entwicklung und an den Früchten des wirtschaftlichen Wachstums, im globalen Rahmen um die Verteilungsgerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern. Das Verhältnis von wirtschaftlicher Produktivitätssteigerung und sozialer Gerechtigkeit ist ein uraltes Problem der Entwicklungsgeschichte. Hierfür hat es historisch sehr unterschiedliche Ansätze gegeben und auch heute noch existieren sehr unterschiedliche „Mischungsverhältnisse“ nebeneinander. Es gibt Länder mit einem hohen Maß an sozialer Gerechtigkeit und Länder mit großer Ungleichheit zwischen reich und arm. Es ist nicht möglich, genau zu definieren, welches Mischungsverhältnis mehr oder weniger nachhaltig, also zukunftsfähig ist. Es geht im Grunde um die angemessene Mischung von Dynamik 7 und Stabilität und man kann meist erst im Nachhinein und über längere Zeiträume betrachtet feststellen, ob ein Entwicklungsprozess sozial nachhaltig war. Erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung braucht Dynamik: neue Ideen, neue Produkte, risikobereite Investoren, individuelles Streben nach Erfolg. Sie braucht aber auch Stabilität: sozialen Frieden und Vertrauen der Wirtschaftssubjekte in die Belastbarkeit gesellschaftlicher Beziehungsgeflechte („Sozialkapital“). Wo die soziale Stabilität nicht vorhanden ist, wird die wirtschaftliche Entwicklung gefährdet. Umgekehrt wird aber die soziale Stabilität gefährdet, wenn keine wirtschaftliche Dynamik vorhanden ist. Gleiches gilt im globalen Maßstab: Internationaler Wettbewerb und die ständige Erweiterung der Möglichkeiten zur Kapitalverwertung erhöht die Dynamik und das Wachstum. Gleichzeitig ist aber auch internationale soziale Stabilität im Sinne einer fairen Verteilung des Wohlstands notwendig, damit dieser Prozess nachhaltig weitergehen kann. Es läßt sich allerdings nicht sagen, wo genau die Grenze zwischen sozial nachhaltiger und nicht-nachhaltiger Entwicklung gezogen werden muss. Es läßt sich aber sicherlich feststellen, dass auf Dauer ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit und sozialer Teilhabe notwendig ist, damit erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Im Gegensatz zur ökologischen Nachhaltigkeit läßt sich dieses Mindestmaß – im Sinne des eingangs erwähnten „Leitplankenmodells“ - nicht objektiv naturwissenschaftlich definieren, sondern ist ein Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse, die in verschiedenen Ländern und Kulturen und in verschiedenen historischen- und Entwicklungsphasen unter unterschiedlichen Voraussetzungen stattfinden. Gleiches gilt für die politische Dimension der Nachhaltigkeit, also dem Verhältnis der politischen Rahmenbedingungen und Institutionen einer Gesellschaft – oder der globalen Institutionen – und der wirtschaftlichen Entwicklung. Auch hier hat es historisch sehr unterschiedliche Entwicklungen gegeben und es ist bis heute umstritten, ob etwa eine demokratische und rechtsstaatliche Verfassung tatsächlich eine Voraussetzung für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung sind. Auch hier wird man sich eher auf ein Mindestmaß funktionsfähiger Institutionen verständigen können, die für die Wirtschaft im nationalen und globalen Rahmen notwendig sind. Wobei wiederum im Gegensatz zur ökologischen Dimension keine objektiven Maßstäbe für nachhaltige oder nicht-nachhaltige Strukturen zur Verfügung stehen. 3. Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in globaler Perspektive 8 Leitbilder der wirtschaftlichen Entwicklung Seit den frühen Industrialisierungsprozessen in Europa ist der Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung vom Leitbild der Modernisierung gekennzeichnet. Mit der laufenden Erneuerung von Technologien, Produkten und Produktionsprozessen wird Produktion und Produktivität erhöht und damit das wirtschaftliche Wachstum zum Hauptziel der wirtschaftlichen Entwicklung. Dieses Leitbild hat sich auch in den Ländern durchgesetzt, die im 20. Jahrhundert den Industrieländern nachstrebten, und zwar unabhängig davon, ob sie zum kapitalistischen oder zum sozialistischen Lager zu rechnen waren. Erst mit der Erkenntnis, das dieses Leitbild nicht für alle Menschen umgesetzt werden kann, sondern ein Teil der Menschheit offenbar nicht an Modernisierungs- und Wachstumsprozessen teilhat und im Zustand materieller Unterentwicklung verharrt, wurde das Leitbild der Grundbedürfnisbefriedigung formuliert. Ziel wirtschaftlicher Entwicklung sollte demnach sein, dass alle Menschen ihre materiellen und sozialen Grundbedürfnisse, vor allem ausreichende Ernährung, Wohnung, Gesundheitsversorgung und Grundbildung, erfüllen können. Dies ist bis heute das Hauptziel der Entwicklungszusammenarbeit. Auch die Millenniumsziele der Vereinten Nationen (siehe unten) sind im Grunde Ausdruck dieses Leitbilds: Wenn es schon nicht möglich zu sein scheint, allen Menschen in absehbarer Zeit zu einem annähernd gleichen Wohlstandsniveau zu verhelfen, so sollen sie wenigstens ein minimales materielles und soziales Lebensniveau erreichen können. Im Zuge der Diskussion um angemessene wirtschaftlicher Strategien zur Erreichung der Grundbedürfnisbefriedigung für alle Menschen wurde indes deutlich, dass die Verfolgung dieses Ziels ohne Wachstum und Modernisierung nicht möglich ist. Auch zur Erfüllung von Grundbedürfnissen müssen Menschen produktiv tätig sein. Die Produktivität ihrer Arbeit muss mindestens so stark steigen wie das Bevölkerungswachstum. Das Wachstum muss umso höher sein, je weiter die Menschen von der Erfüllung der Grundbedürfnisse entfernt sind. Dies wird wiederum ohne die Nutzung neuer Technologien und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, etwa der Agrarforschung oder der Medizin, nicht möglich sein. Es gibt also keine Strategie der Grundbedüfnisbefriedigung, die ohne Wachstum und Modernisierung auskäme. Das Leitbild der Nachhaltigkeit wurde erst dann propagiert, als in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Begrenztheit der Naturressourcen erstmals stärker ins Bewußtsein rückte und damit auch in den wirtschaftlich hochentwickelten Ländern unbegrenztes Wachstum und Modernisierung als problematisch erkannt wurden. Im Sinne des genannten „Leitplankenmodells“ könnte man sagen, dass Wachstum, Modernisierung und Grundbedürfnisbefriedigung allgemein anerkannte Leitbilder der Entwicklung sind, 9 allerdings immer unter der Bedingung, dass die Grundsätze der Nachhaltigkeit gewährleistet sind. Nachhaltige Entwicklung und Globalisierung Aus den oben genannten Möglichkeiten der Einbeziehung der Endlichkeit der Naturressourcen in wirtschaftliches Handeln ergeben sich zunächst Anforderungen für eine Politik nachhaltig zukunftsverträglicher Entwicklung in den Industrieländern und für die Menschen in den Industrieländern, da sie im globalen Maßstab die wesentlichen Verursacher nicht-nachhaltiger Prozesse sind. Die wichtigste Anforderung ist die Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung vom wirtschaftlichen Wachstum. Die Instrumente, die hierfür zur Verfügung stehen, wurden bereits erwähnt: Öffentliche Güter (z.B. Umweltinstitutionen, Umweltforschung)), ökonomische Anreize (z.B. Handel mit Emissionszertifikaten) und verantwortliches politisch-gesellschaftliches Handeln (z.B. freiwillige Änderung von Konsummustern). Die Instrumente haben erst nach vielen Jahren der öffentlichen Diskussion und der öffentlichen Wahrnehmung globaler Umweltveränderungen in den Industriegesellschaften eine gewisse – von Land zu Land unterschiedliche – Akzeptanz erhalten. Nachhaltige zukunftsverträgliche Entwicklung ist zu einem gesellschaftlich akzeptierten, wenngleich in der konkreten Ausformung höchst umstrittenen Prinzip in den meisten Industrieländern geworden. Internationale Vereinbarungen – etwa zum Klimaschutz (Kyoto-Protokoll) – sind in ihrer Umsetzung auch unter den Industrieländern ein ständiger Konfliktstoff. Kurzfristige wirtschaftliche Interessen erhalten häufig den Vorrang vor dem Nachhaltigkeitsprinzip. Betrachtet man die Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung in globaler Perspektive, so ist es notwendig auch die Entwicklungsländer einzubeziehen. Der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) kommt das Verdienst zu, das Leitbild der Nachhaltigkeit zu den spezifischen Problemen der Entwicklungsländer in Beziehung gesetzt zu haben. Das Wirtschaften und die Lebensstile der reichen Länder des Nordens sind unter diesem Blickwinkel nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit problematisch, sondern genauso unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit. Danach bestehe eine ausgeprägte „Gerechtigkeitslücke“ zwischen den Ländern des Nordens und des Südens. Das Leitbild „nachhaltige zukunftsverträgliche Entwicklung“ wird erweitert um eine soziale Dimension in globalem Maßstab. Die Beziehungs- und Konfliktfelder zwischen Industrie- und Entwicklungsländern werden akzentuiert durch den Prozess der Globalisierung, der besonders in den vergangenen zwei 10 Jahrzehnten eine erhöhte Dynamik entfaltet hat. Viele Kritiker der heutigen ressourcenintensiven und sozial inkohärenten Weltwirtschaft machen die Globalisierung für krisenhafte Entwicklungen verantwortlich. Ursache der sich verstärkenden Globalisierungstendenzen sind vor allem - die fortschreitenden Handelsliberalisierungen, die u.a. zu einer weiteren Vertiefung der weltweiten Spezialisierung und Arbeitsteilung führen; - die erhebliche Ausweitung der weltweiten Kommunikation und immer schnellere Kommunikationsmöglichkeiten; - das Wegfallen der Kontrollen für den Kapitaltransfer und - die relativ geringen Kosten für die Mobilität von Menschen und Gütern. Diese Ursachen wirken im Wesentlichen in eine Richtung: Sie beseitigen oder relativieren noch bestehende räumliche, soziokulturelle und nationale Grenzen und machen die ganze Welt zum sozialen Handlungsfeld. Damit erhöht sich der Wettbewerbsdruck unter den Unternehmen und ihren möglichen Standorten, vor allem aber zwischen Ländern bzw. Regionen. Unter den Gesichtspunkten einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung können diese Prozesse sowohl Nachteile als auch Vorteile haben. Mögliche negative Auswirkungen sind: - eine Senkung von sozialen und ökologischen Standards als Folge des zunehmenden Konkurrenzdrucks („Race to the bottom““); - die zunehmende Tendenz von Unternehmen, in Länder mit niedrigen Standards und günstigeren Produktionsfaktoren auszuweichen; - eine weltweit zunehmende kulturelle Harmonisierung und ein damit zunehmender Verlust nationaler Identitäten und kultureller Eigenarten; - eine Verstärkung des Verkehrs infolge des globalen Handels und multinational angelegter Produktionsprozesse. 11 Mit der Globalisierung können jedoch auch positive Wirkungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit verbunden sein, z.B. - eine Tendenz zur Angleichung der ökologischen und sozialen Standards auf hohem Niveau; - die Erhöhung der ökonomischen und sozialen Wohlfahrt der an der Globalisierung beteiligten Länder; - der Austausch von Produktions- und Innovations-Know-how sowie - eine höhere Effizienz der Nutzung (natürlicher) Ressourcen. Wie sich die Globalisierung auf die verschiedenen Teilnehmer an der Weltwirtschaft – Industrieländer und Entwicklungsländer – auswirkt, hängt stark von deren Entwicklungsstand und damit von ihrer Anpassungsfähigkeit an neue Entwicklungen ab. Unter den Entwicklungsländern kann nach den Kriterien des OECD/DAC differenziert werden zwischen - den ärmsten Entwicklungsländern (Least Developed Countries, LDCs) und anderen Ländern mit niedrigem Einkommen (pro-Kopf-Einkommen unter 760 US$). Zu dieser Gruppe zählen vor allem ca. 40 Länder Subsahara-Afrikas aber auch große asiatische Länder wie Indonesien und Bangladesch. - den Ländern mit mittlerem Einkommen (pro-Kopf-Einkommen unter 9.360 US$) zu denen Länder wie Sri Lanka, Südafrika oder Kolumbien gehören und schließlich - den Schwellenländern, für die es keine einheitliche Definition gibt, die sich aber dadurch auszeichnen, dass sie sich mit relativ hohen Wachstumsraten des Volkseinkommens und einem relativ wettbewerbsfähigen Industriesektor langsam an die Industrieländer annähern. Die Länder unterscheiden sich nicht nur in ihrem Einkommensniveau und ihrer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch in ihrer Ressourcenausstattung, insbesondere auch ihrer Ausstattung mit natürlichen Ressourcen. Daraus ergibt sich eine sehr unterschiedliche Betroffenheit durch die Mechanismen der Globalisierung sowie auch hinsichtlich der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit. Grundsätzlich lässt sich jedoch 12 sagen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Armut und Umwelt, zwischen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit gibt. Ökologische Nachhaltigkeit kann kaum umgesetzt werden, wenn es Menschen aufgrund ihrer materiellen Bedingungen schwer gemacht wird, Rücksichten auf ökologische Ziele zu nehmen. In welchem Maße die Entwicklungsländer die Chancen der Globalisierung nutzen, ihre Risiken beherrschen und damit eine Strategie nachhaltig zukunftsfähiger Entwicklung verfolgen können, hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab: - Der Qualität ihrer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Institutionen und deren Anpassungsfähigkeit und Widerstandspotenzial, wenn es darum geht, sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen, Technologien und neue Organisationsformen zu absorbieren und an die eigenen Bedingungen anzupassen sowie die gesellschaftlichen Veränderungen, die mit wirtschaftlichen und technischen Modernisierungsprozessen verbunden sind, zu bewältigen. - Der Qualität internationaler Konventionen und Übereinkommen, also des globalen Ordnungsrahmens für die Regelung ökonomischer, ökologischer und sozialer Sachverhalte, die allein durch nationale Politiken nicht (mehr) beherrscht werden können. Hierbei geht es vor allem darum, einerseits gleiche Bedingungen für alle zu schaffen, um eine Durchsetzung des „Rechts des Stärkeren“ zu verhindern und andererseits für die schwächeren Mitglieder des internationalen Systems Sonderbedingungen zu schaffen, die ihre schwierigen Ausgangsbedingungen berücksichtigen. Nationale Ebene der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik Wie bereits gesagt, bestimmt vor allem die Qualität der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Institutionen, ob es einem Land möglich ist, sich wirtschaftlich zu entwickeln und vor allem, sich nachhaltig zukunftsverträglich zu entwickeln. Nun entstehen diese Institutionen nicht automatisch, sondern sie entwickeln sich in langen historischen Verläufen, die in der Regel mit Brüchen und vor allem auch mit Konflikten verbunden sind. Es gibt viele Hypothesen über die Determinanten wirtschaftlicher Entwicklung. Zwei Elemente bilden jedoch unstrittig die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung im Sinne von wachsender materieller Wohlfahrt: 1. Die demographische Transition 13 Die demographische Transition beschreibt eine Entwicklung, in der eine Gesellschaft von hohen zu niedrigen Geburten- und Sterblichkeitsraten übergeht. Wo diese Raten hoch sind, verfügt weder der einzelne Haushalt noch die Volkswirtschaft über die nötigen Ressourcen, um in die Gesundheit und Bildung aller Menschen zu investieren. Die Qualität des „Humankapitals“ hat sich jedoch als die wesentliche Quelle für wirtschaftliche Entwicklung herausgestellt. Demgegenüber haben sich Länder mit hoher Ausstattung an natürlichen Ressourcen in der Regel wirtschaftlich nicht oder wesentlich langsamer entwickelt. Die ärmsten Länder befinden sich in einem Teufelskreis von niedrigem Gesundheits- und Bildungsstand, hohen Geburten- und Sterblichkeitsraten und niedriger Lebenserwartung. Die Länder denen es gelungen ist, aus diesem Teufelskreis auszubrechen (die Industrieländer im 18. und 19. Jahrhundert, ein Teil der Entwicklungsländer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) haben damit eine wesentliche Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung erfüllt. 2. Die industrielle Transition Fast alle Entwicklungsländer besaßen Mitte des 20. Jahrhunderts noch keine nennenswerte verarbeitende Industrie. Ihre Wirtschaft beruhte in der Regel auf Nahrungsmittel- und Rohstofferzeugung, wobei die Rohstoffe zunehmend in die Industrieländer exportiert wurden. Einem Teil der Entwicklungsländer, insbesondere in Asien und Lateinamerika, ist es gelungen, diese traditionellen Produktionsstrukturen aufzubrechen und verarbeitete Industrien aufzubauen. Es waren vor allem diejenigen Länder, die verarbeitete Güter exportieren und sich damit von der Abhängigkeit von Rohstoffexporten befreiten, bei denen die Pro-Kopf-Einkommen dauerhaft gestiegen sind und damit eine rasche gegenseitige Verstärkung von demographischer und industrieller Transition möglich wurde. Für eine halbe Milliarde Menschen in Ostasien war dieser Prozeß, der in den Industrieländern bis zu 200 Jahre dauerte, innerhalb von ein bis zwei Generationen möglich. Hinter dieser etwas idealtypischen Darstellung verbergen sich allerdings sehr differenzierte wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen in Entwicklungsländern. Die Differenzierung zwischen den Entwicklungsländern nach Einkommen und Entwicklungsstand werden innerhalb der Länder widergespiegelt. Typischerweise sind Entwicklungsländer ökonomisch, sozial und regional stärker ausdifferenziert, als wir es in Industrieländern, zumindest in Mitteleuropa, gewohnt sind. Häufig existieren traditionelle Lebens- und Wirtschaftsformen, meist im ländlichen Raum, und moderne, an internationalen Maßstäben orientierte Lebens- und Wirtschaftsformen, 14 meist in den Städten, nebeneinander. In den ärmsten Ländern, etwa in Sub-Sahara-Afrika, sind die „modernen“ Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche Enklaven in ganz überwiegend von traditionellen Wirtschaftsformen, meist der Subsistenz-Landwirtschaft, geprägten ländlichen Gebieten. Entsprechend scharf ausgeprägt sind die Einkommensunterschiede und die Unterschiede in den Zugangsmöglichkeiten zu Bildungs- und Gesundheitsleistungen. In fortgeschritteneren Entwicklungsländern haben sich demgegenüber mehr oder weniger breite Mittel- und Oberschichten herausgebildet, die sich in Einkommen, Lebensformen und Lebenseinstellungen nicht wesentlich von den Mittelschichten in Industrieländern unterscheiden. Während sich in Asien und Lateinamerika diese Mittelschichten weitgehend von den armen Bevölkerungsschichten abgekoppelt haben und „zwei Welten“, häufig auf engem Raum, nebeneinander existieren, gibt es in Afrika häufig noch enge Beziehungen zwischen städtischer Mittel- und Oberschicht und ländlicher Bevölkerung im Rahmen der erweiterten Großfamilie. Die wirtschaftliche und soziale Trennung zwischen städtischen Mittel- und Oberschichten und ländlicher Bevölkerung wird häufig noch akzentuiert durch ethnische Heterogenität. So verläuft etwa in einigen lateinamerikanischen Ländern die Trennlinie zwischen Mittel- und Oberschichten mit höherem Einkommen und Bildungsstand und der ländlichen Bevölkerung entlang der ethnischen Trennung zwischen spanischstämmiger und indigener Bevölkerung. In Afrika ist die ethnische Heterogenität innerhalb der Länder aufgrund willkürlicher Grenzziehungen der Kolonialmächte besonders ausgeprägt. Für die politischen und wirtschaftlichen Handlungsspielräume der Bevölkerung in Entwicklungsländern hat die soziale Differenzierung gravierende Auswirkungen: Individuelle Ebene: Insbesondere die ärmsten Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern sind dadurch charakterisiert, dass sie als Individuen keine Wahlmöglichkeiten haben. Ihre wirtschaftliche, soziale und politische Existenz ist vollständig determiniert. Wirtschaftlich sind sie meist in der Subsistenzlandwirtschaft oder anderen Formen der Familienwirtschaft tätig. Ihre gesellschaftliche Stellung ist durch ihre Rolle in der Familie bestimmt. Über politische Äußerungs- und Handlungsmöglichkeiten verfügen meist nur die Ältesten bzw. Familien- und Dorfvorstände. Die Armutsforschung hat die geringen Handlungsmöglichkeiten der Armen als das wesentlichste Kennzeichen der Armut definiert und die Erweiterung der 15 Handlungsmöglichkeiten zum wesentlichen Indikator für Armutsreduzierung6. Dies hat auch Konsequenzen für die Spielräume nachhaltiger Entwicklung: Solange auf der individuellen Ebene keine Handlungsspielräume bestehen, gibt es keine Alternativen zu nichtnachhaltigem Verhalten, also z.B. einer Übernutzung von natürlichen Ressourcen. Familiäre Ebene: Die Familie bildet vor allem für die armen Bevölkerungsschichten den Rahmen für ihre wirtschaftliche und soziale Existenz. Da die Armen in der Regel nicht über eine Renten- und Krankenversicherung verfügen, ist die Familie die Grundlage für soziale Sicherheit. Die Strukturen der Großfamilie garantieren ein Mindestmaß an materieller und sozialer Sicherheit, verlangen aber auch vom Einzelnen im Gegenzug absolute Loyalität. Bei sehr positiven Wirkungen auf die soziale Stabilität einer Gesellschaft kann sich die enge Familienbindung negativ auf die wirtschaftliche Dynamik auswirken, wenn z.B. wirtschaftlich aufstrebende und erfolgreiche Familienmitglieder hohe Abgaben an die Familie leisten müssen. Dies wird als eine Ursache von Nepotismus und Korruption in den Entwicklungsländern gesehen. Die Erosion von Familienstrukturen durch wirtschaftlich erzwungene Migration oder durch frühe Sterblichkeit (HIV/AIDS) hat indes noch viel gravierendere negative Auswirkungen auf die soziale Stabilität und die Handlungsmöglichkeiten der Armen. Lokale Ebene: Die wirtschaftliche Stagnation im Rahmen der Subsistenzwirtschaft erlaubt meist nur wenig lokale Initiative und begrenzt die Möglichkeiten für lokale Investitionen in die Infrastruktur sowie in Bildung und Gesundheit. Die Dörfer und Städte sind in den meisten Entwicklungsländern finanziell und politisch vollständig von der Zentralregierung abhängig. Erst allmählich bilden sich – auch unterstützt von staatlichen und nicht-staatlichen Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit – Prozesse der lokalen Selbstverwaltung heraus, in deren Rahmen Kommunen über ihre eigenen Belange entscheiden und eigene Prioritäten formulieren können. Erst daraus ergeben sich Handlungsspielräume für Entscheidungen über die eigene Entwicklung und Anknüpfungsmöglichkeiten für lokale Agenda 21-Prozesse. Regionale Ebene: Die regionale Ebene ist vor allem deshalb eine wichtige Handlungsebene, weil sich Regionen häufig in ihrer Ressourcenausstattung, ihren klimatischen und ökologischen Bedingungen und damit ihren wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten stark voneinander 6 Bahnbrechend hierzu waren die Arbeiten von Amartya Sen, vgl. z.B. Sen (1999) 16 unterscheiden. Typischerweise sind es die Küstenregionen, die sich wirtschaftlich dynamischer entwickeln, weil die Infrastruktur besser ausgebaut ist und bessere Verbindungen zum internationalen Handel bestehen. Demgegenüber sind inländische Regionen häufig infrastrukturell Gegebenheiten benachteiligt und manchmal und liegen weit auch von den naturräumlichen hinter dem Entwicklungsniveau der Küstenregionen zurück. In den inländischen Regionen Subsahara-Afrikas führt die dünne Besiedelung auch dazu, dass die Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen in diesen Regionen überproportional teuer ist. Die regionalen Unterschiede erfordern Politiken des regionalen Ausgleichs und eine spezifische Standortpolitik zur Wirtschaftsförderung unter Berücksichtigung der naturräumlichen Gegebenheiten. Es ist der Kern der Nachhaltigkeitspolitik der Agenda 21, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedingungen auf der Ebene der Regionen produktiv miteinander zu verknüpfen. Eine Schwierigkeit besteht häufig darin, dass die hierfür notwendigen institutionellen Kapazitäten bis hin zur Qualifikation des Personals auf dieser Ebene nicht ausreichend sind. Traditionell sind in Entwicklungsländern die städtischen Regionen bevorzugt und es ist in vielen Ländern bis heute nicht gelungen, die ländlichen Regionen bei der Verteilung von staatlichen Mitteln ausreichend zu berücksichtigen. Nationale Ebene: Die nationale Ebene ist nach wie vor die wichtigste Ebene zur Gestaltung von Politiken, weil auf dieser Ebene die Weichen für die Entwicklungsstrategien gestellt werden und auch die Institutionen in der Regel am besten ausgebaut sind. In den vergangenen Jahren sind vor allem in den ärmsten Ländern verstärkte Anstrengungen unternommen worden, kohärente Entwicklungsstrategien zu formulieren, die unter Beteiligung der Bevölkerung, also in einem partizipativen Prozeß, erstellt werden. Eine Herausforderung besteht darin, diese Strategien zur Armutsreduzierung (Poverty Reduction Strategy Papers/PRSP) mit den ebenfalls in vielen Ländern entstandenen Nachhaltigkeitsstrategien und Agenda 21-Prozessen zu verknüpfen. Supranationale Ebene: Die supranationale Ebene ist zum einen aus wirtschaftlichen Erwägungen von Bedeutung, weil viele Länder durch Kooperation oder Integration mit Nachbarländern erst zu wirtschaftlich effizienten Größenordnungen gelangen. Zum anderen sind es aber auch grenzüberschreitende naturräumliche Gegebenheiten, die Länder zur Kooperation zwingen. Dies gilt vor allem für grenzüberschreitende Flußläufe und Wassereinzugsgebiete (z.B. Mekong, Aral-See). Nachhaltige Entwicklung ist dort nur bei enger Kooperation der Länder 17 möglich. Wo diese fehlt, wie z.B. in Zentralasien, schreitet die nicht-nachhaltige Nutzung der Ressourcen rapide fort. Globaler Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik Mit der zunehmenden wirtschaftlichen und technologischen Verflechtung und dem gestiegenen Bewußtsein Regelungsbedarf auf der für die globalen globalen Ebene ökologischen gestiegen. Wirkungsketten Ausgangspunkt ist für der globale Vereinbarungen im wirtschaftlichen Bereich waren traditionell die Vermeidung von internationalen Wirtschaftskrisen und die Gestaltung eines freien Welthandels. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden hierzu die Institutionen gegründet, die auch heute noch für die Gestaltung der Weltwirtschaft von großer Bedeutung sind7: Das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) – heute: World Trade Organisation (WTO), der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Hinzu kommen eine ganze Reihe weiterer Institutionen, z.T. im Rahmen des UN-Systems, wie z.B. die International Labour Organisation (ILO), die für die Gestaltung internationaler Wirtschaftsbeziehungen von Bedeutung sind. Nachdem dieses System bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein einen stabilen Rahmen für die wirtschaftliche Entwicklung abgab, der Ländern wie Deutschland einen unvergleichlichen Wohlstand bescherte, sind seither zwei Defizite dieses Systems zunehmend thematisiert worden: • Die Entwicklungsländer fühlen sich im Rahmen eines von den Industrieländern dominierten internationalen Systems unfair behandelt und verlangen seither Korrekturen an diesem System, so z.B. in den 70er Jahren eine „Neue Weltwirtschaftsordnung“ . • In dem von wirtschaftlichen Erwägungen dominierten internationalen System hat die Nachhaltigkeit keinen Platz. Deshalb soll durch internationale Institutionen und Vereinbarungen das Konzept der nachhaltigen Entwicklung zunehmend zur Grundlage für die internationale Kooperation werden. Im folgenden werden die Handlungsfelder der globalen Wirtschafts- und Umweltpolitik kurz skizziert und die Bezüge zu den beiden genannten Defiziten hervorgehoben: 7 Es wird hier nicht auf das Kooperationssystem der sozialistischen Länder – den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) – eingegangen, das sich im Nachhinein, nach dem Zusammenbruch der dominierenden Sowjetunion, als ökonomisch nicht nachhaltig herausstellte. 18 Internationaler Handel: Das System der internationalen Handelsabkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) folgt einerseits dem Gleichheitsprinzip, etwa im Bereich der internationalen Schiedsverfahren, wo sich bei Streitigkeiten schwache Länder gegen die großen Welthandelsnationen durchsetzen können. Es gibt auf der anderen Seite Vorzugsbedingungen für die ärmsten Länder (LDCs), was den Zugang zu den Märkten der Industrieländer angeht. Weiterhin umstritten ist, ob diese Bedingungen der Lage der Entwicklungsländer tatsächlich gerecht werden. Es ist aber vor allem umstritten, ob die Industrieländer ihre Märkte vor allem in den Bereichen weiterhin schützen und ihre eigene Wirtschaft subventionieren dürfen, wo die Entwicklungsländer besonders wettbewerbsfähig sind, also vor allem in der Landwirtschaft. Im Zuge der Welthandelsrunden (derzeit: Doha-Runde bis 2006/7), stehen sich die Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern gegenüber, wobei mittlerweile einige Entwicklungsländer, wie z.B. China, so weit zu den Welthandelsnationen aufgeschlossen haben, dass sich ihre Interessen denen der Industrieländer annähern und Industrie- wie Entwicklungsländer von ihnen ebenfalls eine Öffnung ihrer Märkte verlangen. Die große Schwäche der ärmsten Entwicklungsländer (ca. 60 – 70 überwiegend kleine Länder) besteht darin, dass es ihnen nicht gelungen ist, eine verarbeitende Industrie und einen Dienstleistungssektor aufzubauen und damit von Rohstoffexporten unabhängig zu werden. Sie sind damit dauerhaft anfällig für die Schwankungen und den langfristigen relativen Rückgang der Rohstoffpreise, wodurch ihre Handlungsmöglichkeiten drastisch eingeschränkt und sie auch besonders verletzlich gegenüber Veränderungen der naturräumlichen Gegebenheiten und des Klimas sind. Die Entwicklungsstrategien dieser Länder und die internationale Unterstützung gehen in die Richtung, dieses Defizit zu beheben und eine Exportwirtschaft auf der Basis einheimischer Rohstoffe aufzubauen. Die Bedingungen hierfür – insbesondere was die Infrastruktur und die Ausbildung der Arbeitskräfte angeht, sind jedoch in vielen Ländern schlecht. Dennoch gibt es keine realistische Alternative, als diesen Weg zu gehen, unter Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsgrundsatzes. Gelingt dies nicht, werden diese Länder dauerhaft von der Unterstützung der Industrieländer abhängig sein. Ein Gegensatz zwischen der Erzeugung von Nahrungsmitteln für den einheimischen Verbrauch und für den Export besteht im Übrigen kaum. Grundsätzlich gibt es in fast allen Ländern genügend Spielraum für eine Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität und damit auch für den Export eines Teils der Produktion. 19 Wenn von unfairen Handelsbedingungen für die Entwicklungsländer die Rede ist, dann ist in der Regel damit gemeint, dass die Weltmarktpreise durch die Subventionen der Industrieländer verzerrt werden und die Zugangsbedingungen zu den Märkten der Industrieländer zu restriktiv sind. Von einer Veränderung dieser Bedingungen wird ein deutlicher Zuwachs des Handels der Entwicklungsländer erwartet, mit positiven Folgen für Wachstum und Armutsreduzierung. Ein anderes Verständnis von „Fair Trade“ bezieht sich auf die Tatsache, dass die kleinbäuerlichen Erzeuger von Nahrungsmitteln und Rohstoffen in den Entwicklungsländern häufig unter sehr schlechten Bedingungen leben und arbeiten müssen, meist ein Resultat der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung in den Ländern, die den Kleinbauern keine Alternative läßt, aber auch der langfristig sinkenden Weltmarktpreise, z.B. für Kaffee. Durch den Aufbau direkter Beziehungen zu den Erzeugern und die freiwillige Weiterleitung eines Teils des Erlöses an die Bauern wird eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bauern angestrebt. Die Schwierigkeit hierbei ist, dass meist nur ein kleiner Teil der Erzeuger erreicht werden kann und auch nur ein Teil der Konsumenten bereit ist, einen höheren Preis für „fair gehandelte“ Produkte zu bezahlen. Deshalb ist es unabdingbar, dass der erstgenannte Weg, die internationalen Bedingungen für den Handel der Entwicklungsländer generell zu verbessern, weitergegangen wird. Dies kann im günstigen Fall zur Folge haben, dass sich die Handlungsspielräume für die Länder wie für die Individuen erweitern und beispielsweise die Kinder der heutigen Kaffeebauern – eine gute Ausbildung vorausgesetzt – etwas anderes werden können als Kaffeebauer. Da der zunehmende Welthandel wenigstens teilweise negative ökologische Auswirkungen hat, wird häufig vorgeschlagen, den Handel mit Entwicklungsländern an Bedingungen der umweltverträglichen Erzeugung der betreffenden Produkte zu knüpfen. Dies wird von den Handelsunternehmen und von den meisten Entwicklungsländern abgelehnt, weil es ihre Handlungsspielräume zu sehr einschränken würde. Einige Unternehmen haben indes freiwillig eine Zertifizierung der Umweltverträglichkeit (oder auch der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, z.B. Kinderarbeit) in die Wege geleitet und kontrollieren deren Einhaltung. Es wird aber darüber hinaus notwendig sein, die Kosten des Umweltverbrauchs stärker den Produzenten und dem Handel (Transportkosten) anzulasten. Höhere Preise werden dann zu einem Rückgang bzw. zu einer Umstrukturierung des internationalen Handels führen. Es liegt auf der Hand, dass sich dagegen der Widerstand der Produzenten und des Handels regen wird. Internationale Finanzwirtschaft: Mit der Liberalisierung internationaler Finanzströme sind auch viele Entwicklungsländer Teil des internationalen Finanzsystems geworden. Dieses wird dominiert von den Banken und 20 Investoren aus den Industrieländern und von internationalen Institutionen, wie IWF und Weltbank, die wiederumvon den Ländern des Nordens beherrscht werden. Die Entwicklungsländer können von der Integration in das internationale Finanzsystem profitieren. Die Risiken in Bezug auf eine Destabilisierung schwacher Wirtschaften durch wechselhafte Finanzströme und in Bezug auf eine übermäßige Verschuldung sind jedoch hoch und erfordern starke und anpassungsfähige nationale Institutionen. Für die ärmesten Entwicklungsländer ist vor allem das Verschuldungsproblem virulent. Aufgrund der geringen Mobilisierung eigener Finanzmittel und ihrer Exportschwäche sind sie auf externe Finanzierung angewiesen – entweder in Form von privaten und öffentlichen Krediten oder in Form von Zuschüssen aus Entwicklungshilfe. Die Forderung nach weitgehendem Schuldenerlass für die ärmsten Länder und nach einer Erhöhung der Entwicklungshilfe ist zwar gerechtfertigt. Ihre Erfüllung wird aber nicht automatisch dazu führen, dass diese Länder langfristig von externer Finanzierung unabhängig werden. Es muss schließlich auch berücksichtigt werden, dass die Steuerzahler in den Industrieländern, die die Entwicklungshilfe und den Schuldenerlaß finanzieren müssen, nur begrenzt belastbar sind. Dies gilt insbesondere für die „alternden Gesellschaften“ des Nordens, in denen die finanzpolitischen Spielräume langfristig immer weiter abnehmen werden. Es geht also kein Weg daran vorbei, die eigene Wirtschaftskraft der ärmsten Entwicklungsländer zu stärken und sie selbst in die Lage zu versetzen, ihre Entwicklung zu finanzieren. Internationale Unternehmen: Ein großer Teil des internationalen Handels und der Investitionen wird mittlerweile von einer nicht allzu großen Zahl internationale Unternehmen, überwiegend aus den Industrieländern, abgewickelt. Der Umsatz einiger dieser Unternehmen ist größer als das Volkseinkommen vieler Entwicklungsländer und ihre Gestaltungsmacht wird von vielen als größer eingeschätzt als die von nationalen Regierungen. Es wird deshalb versucht, durch internationale Regelungen für Unternehmen, z.B. für internationale Investitionen, den Handlungsspielraum der Unternehmen zu begrenzen und ihre Aktivitäten möglichst „entwicklungsfreundlich“ zu gestalten. Da es hierfür keine internationale Instanz und keinen internationalen Rechtsrahmen gibt, ist man im Wesentlichen auf freiwillige Vereinbarungen, z.B. Verhaltenskodizes, angewiesen, deren Einhaltung von privaten internationalen Einrichtungen überprüft wird (z.B. Transparency International für die Überwachung im Bereich der Korruption). Zunehmend wird es für Unternehmen wichtig, sich öffentlich zur Einhaltung von Verhaltensregeln und damit zu ihrer sozialen Unternehmensverantwortung (Corporate Social Resonsibility) zu bekennen. Hierbei spielt die Umweltfreundlichkeit der Produktion ebenfalls eine Rolle. Es gibt zunehmend freiwillige internationale Vereinbarungen großer 21 Unternehmen, hier mit gutem Beispiel voranzugehen. So haben z.B. große internationale Banken im Equator-Agreement vereinbart, bei der Kreditvergabe an Unternehmen die gleichen strengen Umwelt- und Sozialkriterien anzulegen wie die Weltbank. Internationale Sozialpolitik: Insbesondere im Bereich der Arbeits- und Sozialnormen gibt es internationale Vereinbarungen, z.B. im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die z.B. Kinderarbeit verbieten. Viele Entwicklungsländer wehren sich gegen eine Erweiterung dieses Normenkatalogs, weil sie befürchten, damit weniger wettbewerbsfähig zu sein. Dem halten die Industrieländer entgegen, dass ein „Sozialdumping“ vermieden werden muss, weil dadurch die Unternehmen und die Arbeitskräfte in Industrieländern, die einem umfangreichen nationalen Normenkatalog unterworfen sind, unfairem Wettbewerb aus den Entwicklungsländern ausgesetzt wären. Wie auch in anderen Bereichen des globalen Ordnungsrahmens geht es auch hier weniger um eine Auseinandersetzung zwischen Industrieländern und den ärmsten Ländern. Konfliktbeladen ist vor allem die Auseinandersetzung mit den Schwellenländern, die einerseits die Vorzugsbedingungen für Entwicklungsländer behalten wollen, andererseits aber bereits starke Wettbewerber für die Industrieländer sind. Internationale Umweltpolitik: Eine wachsende Zahl von Verträgen zur Umweltpolitik begrenzen inzwischen die Handlungsfreiheit der Staaten und geben allgemeine, zunehmend auch spezifische Handlungsstandards vor, die von den Staaten in ihre nationale Umweltpolitik übernommen werden sollen. Zu den wichtigsten internationalen Akteuren gehören das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), das Montrealer Protokoll, die globale Umweltfazilität (GEF), die Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) und die Vertragsstaatenkonferenzen zur Klima-, Biodiversitäts- und Desertifikationskonvention. Wie auch in den anderen Bereichen gibt es eine große Zahl von Konfliktfeldern in der Umweltpolitik, wobei die Konfliktlinien nicht nur zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verlaufen. Die globale Architektur der Umweltpolitik ist sicherlich noch nicht ausgereift und es ist eine Aufgabe für die Zukunft, die internationalen Institutionen und Vereinbarungen schrittweise an dem Ziel einer nachhaltig zukunftsverträglichen globalen Entwicklung zu orientieren.8 Fazit: Von der individuellen bis zur globalen Ebene haben wir es mit einem komplexen Feld von Interessen, Handlungsmöglichkeiten und spezifischer Verantwortung zu tun. Um in 8 Vgl. hierzu Globale Trends (2004), Stiftung Entwicklung und Frieden, S. 181 ff. 22 diesem Feld einen gangbaren Weg für nachhaltige Entwicklung zu finden, sind Regeln notwendig, aber auch individuelle und gesellschaftliche Initiativen, welche die Regeln auf den jeweiligen politischen Ebenen weiter entwickeln. Die Interessen stehen sich hierbei nicht Schwarz/Weiss gegenüber, sondern es gibt Interessengegensätze in den Ländern wie zwischen verschiedenen Ländergruppen. Anzustreben sind gewaltfreie Formen und Foren der Auseinandersetzung, mit denen ein Interessenausgleich hergestellt werden kann. Da derartige Prozesse notorisch langwierig sind, bedarf es indes auch der Visionen und der Führung auf hoher internationaler Ebene, um von Zeit zu Zeit zu politischen Durchbrüchen zu kommen. 4. Entwicklungspolitik und Nachhaltige Entwicklung Die internationale Entwicklungspolitik orientiert sich grundsätzlich an zwei Aufgabenfeldern: - Gestaltung der internationalen Rahmenbedingungen für eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung („Globale Strukturpolitik“). - Unterstützung der Entwicklungsländer, insbesondere der ärmsten Länder, bei der Armutsbekämpfung. Beide Handlungsebenen hängen eng miteinander zusammen. Ohne angemessene internationalen Rahmenbedingungen, die den besonderen Verhältnissen in den Entwicklungsländern Rechnung tragen, wird es den ärmsten Ländern nicht gelingen können, im internationalen Wettbewerb zu bestehen, negative Auswirkungen der Globalisierung auf ihre Länder zu vermeiden und eigene Institutionen aufzubauen, welche die Politik auf nationaler Ebene nachhaltig zukunftsverträglich steuern können. Auf der anderen Seite werden internationale Vereinbarungen und Regeln insbesondere in den ärmsten Ländern nicht ausreichen, um eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung zu ermöglichen. Insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung und die damit verbundene Reduzierung der absoluten Armut erfordert umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen aus den Industrieländern. Oft müssen die Entwicklungsländer auch erst durch ausländische Unterstützung beim Aufbau von Institutionen in die Lage versetzt werden, die zahlreichen internationalen Vereinbarungen, z.B. in Bezug auf Umweltstandards, auf nationaler Ebene umzusetzen. 23 Die internationale Gemeinschaft hat mit einer Reihe von Konferenzen auf der Ebene der Vereinten Nationen seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine internationale „Entwicklungsagenda“ formuliert, auf die sich alle VN-Mitgliedsstaaten verpflichtet haben. Auf dem UN-Millenniumsgipfel in New York im September 2000 wurden die Ziele und Grundsätze dieser Agenda in acht Millenniumszielen (Millennium Development Goals) mit achtzehn konkreten, messbaren Zielvorgaben zusammengefasst. Diese Ziele haben einen Zeithorizont bis 2015 und sind verpflichtend für alle VN-Mitgliedsstaaten. Millenniums-Entwicklungsziele und Zielvorgaben: Ziel 1. Beseitigung der extremen Armut und des Hungers Zielvorgabe 1. Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, deren Einkommen weniger als 1 Dollar pro Tag beträgt Zielvorgabe 2. Zwischen 1990 und 2015 den Anteil der Menschen halbieren, die Hunger leiden Ziel 2. Verwirklichung der allgemeinen Primarschulbildung Zielvorgabe 3. Bis zum Jahr 2015 sicherstellen, dass Kinder in der ganzen Welt, Jungen wie Mädchen, eine Primarschulbildung vollständig abschließen können Ziel 3: Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Ermächtigung der Frau Zielvorgabe 4. Das Geschlechtergefälle in der Primar- und Sekundarschulbildung beseitigen, vorzugsweise bis 2005 und auf allen Bildungsebenen bis spätestens 2015 Ziel 4: Senkung der Kindersterblichkeit Zielvorgabe 5. Zwischen 1990 und 2015 die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel senken Ziel 5. Verbesserung der Gesundheit von Müttern Zielvorgabe 6. Zwischen 1990 und 2015 die Müttersterblichkeitsrate um drei Viertel senken Ziel 6. Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Krankheiten Zielvorgabe 7. Bis 2015 die Ausbreitung von HIV/Aids zum Stillstand bringen und allmählich umkehren Zielvorgabe 8. Bis 2015 die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten zum Stillstand bringen und allmählich umkehren Ziel 7. Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit Zielvorgabe 9. Die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung in einzelstaatliche Politiken und Programme einbauen und den Verlust von Umweltressourcen umkehren 24 Zielvorgabe 10. Bis 2015 den Anteil der Menschen um die Hälfte senken, die keinen nachhaltigen Zugang zu hygienischem Trinkwasser haben Erweiterung vom WSSD in Johannesburg: Halbierung der Anzahl von Menschen bis 2015, die keinen Zugang zu sanitärer Basisversorgung haben Zielvorgabe 11. Bis 2020 eine erhebliche Verbesserung der Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern herbeiführen Ziel 8. Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft Zielvorgabe 12. Ein offenes, regelgestütztes, berechenbares und nichtdiskriminierendes Handelsund Finanzsystem weiterentwickeln (Umfasst die Verpflichtung auf eine gute Regierungs- und Verwaltungsführung, die Entwicklung und die Armutsreduzierung sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.) Zielvorgabe 13. Den besonderen Bedürfnissen der am wenigsten entwickelten Länder Rechnung tragen (Umfasst einen zoll- und quotenfreien Zugang für die Exportgüter der am wenigsten entwickelten Länder, ein verstärktes Schuldenerleichterungsprogramm für die hochverschuldeten armen Länder und die Streichung der bilateralen öffentlichen Schulden sowie die Gewährung großzügigerer öffentlicher Entwicklungshilfe für Länder, die zur Armutsminderung entschlossen sind.) Zielvorgabe 14. Den besonderen Bedürfnissen der Binnen- und kleinen Inselentwicklungsländer Rechnung tragen (durch das Aktionsprogramm für die nachhaltige Entwicklung der kleinen Inselstaaten unter den Entwicklungsländern und die Ergebnisse der zweiundzwanzigsten Sondertagung der Generalversammlung) Zielvorgabe 15. Die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer durch Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene umfassend angehen und so die Schulden langfristig tragbar werden lassen. Zielvorgabe 16. In Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern Strategien zur Beschaffung menschenwürdiger und produktiver Arbeit für junge Menschen erarbeiten und umsetzen Zielvorgabe 17. In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen erschwingliche unentbehrliche Arzneimittel in den Entwicklungsländern verfügbar machen Zielvorgabe 18. In Zusammenarbeit mit dem Privatsektor dafür sorgen, dass die Vorteile der neuen Technologien, insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologien, genutzt werden können Die Bundesregierung hat auf Grundlage der Millenniumsziele ein Aktionsprogramm verabschiedet 9, das sich vor allem am ersten und übergreifenden Ziel, der Halbierung der absoluten Armut bis 2015, orientiert. Die Millenniumsziele und die damit verbundenen internationalen Vereinbarungen machen deutlich, dass inzwischen ein internationaler Konsens darüber besteht, dass nachhaltige 9 BMZ (2001), Armutsbekämpfung – eine globale Aufgabe. Aktionsprogramm 2015. Der Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut 25 Entwicklung mehrdimensional zu definieren ist. Sie umfasst wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele und Handlungsebenen, die untrennbar miteinander verbunden sind. Es besteht auch Konsens darüber, dass zur Erreichung der umfassenden Ziele ein gemeinsames Vorgehen und gemeinsame Verpflichtungen von Industrie- und Entwicklungsländern notwendig sind. Während sich die Industrieländer insbesondere zu einer „entwicklungsfreundlichen“ Gestaltung der internationalen Rahmenbedingungen (Ziel 8) und zu einer höheren und effektiveren Entwicklungshilfe verpflichtet haben, übernehmen die Entwicklungsländer die Verantwortung dafür, die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in ihren Ländern so zu gestalten, dass die externe Hilfe effektiv verwendet und die Armut gezielt bekämpft werden kann. Da dieser Grundsatz auf einer Weltkonferenz in Monterrey/Mexiko im März 2002 (Financing for Development) vereinbart wurde, wird er auch als Monterrey-Konsens bezeichnet. Nicht erst mit der Vereinbarung über die Millenniumsziele ist die politische Dimension einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung stärker ins Bewusstsein gerückt. In den Industrieländern ist es nicht zuletzt eine politische Frage, wie umfassend die Anforderungen an eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung umgesetzt werden können. Hier gibt es Interessenkonflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen, die sich insbesondere an den Zielkonflikten zwischen wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit festmachen. Auf der internationalen Ebene ist eine umfassende Kooperationsfähigkeit der staatlichen und privaten internationalen Akteure erforderlich, um zu gemeinsamen Vereinbarungen zu kommen und diese auch umzusetzen. Schliesslich ist in den Entwicklungsländern ein politischer Gestaltungswille und eine Gestaltungsfähigkeit erforderlich, die in vielen Fällen, vor allem in den ärmsten Ländern, bisher nicht gegeben war. Die große Zahl internationaler und nationaler militärischer Konflikte – ganz überwiegend in Entwicklungsländern – welche einen geordneten Entwicklungsprozess in vielen Ländern verhindern, macht deutlich, dass die politische Dimension nachhaltiger Entwicklung auch mit Sicherheit im militärischen Sinne zu tun hat. Daraus ergeben sich Forderungen, das System der internationalen Vereinbarungen um eine sicherheitspolitische Dimension im Interesse einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung zu erweitern. 26 5. Wahrnehmungsprobleme in der Öffentlichkeit und Ausgangspunkte für die Schule Zentrales Wahrnehmungsproblem ist die Komplexität der globalen Zusammenhänge einerseits und die Selektivität der Informationen, die der Einzelne über die Medien und über vereinzelte persönliche Erfahrungen erhält. Aufgabe von BfNE ist • eine größere Durchdringung der Komplexität im Sinne eines Abgleichs von Fakten mit persönlichen Wahrnehmungen, • Verständnis für die Handlungsspielräume der Akteure auf verschiedenen Ebenen (vom Individuum bis zur globalen Ebene), • realistische Einschätzung von eigenen Handlungsmöglichkeiten (als Schüler, Arbeitnehmer, Staatsbürger...). Komplexität: Das Bild der „Dritten Welt“ ist geprägt von Bildern extremer Armut, von Katastrophen und Kriegen. Diese Wahrnehmung kontrastiert mit einer sehr vielgestaltigen Realität in den Entwicklungsländern. Diese Realität reicht von raschen wirtschaftlichen und technologischen Aufholprozessen vor allem in Asien, teilweise auch in Lateinamerika, bis zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen in Subsahara-Afrika. Eine realistische Einschätzung der Realitäten macht eine Wahrnehmung dieser Vielgestaltigkeit erforderlich, wie auch eine Wahrnehmung der Dynamik von Entwicklungen. Letzteres kann vor allem dadurch erleichtert werden, dass historische Bezüge hergestellt werden – zur Geschichte der Entwicklungsländer wie auch zur deutschen und europäischen Wirtschaftsgeschichte. Ökonomische Sachzwänge: Die Ökonomie wird häufig als eine Welt der Sachzwänge wahrgenommen, mit wenig Handlungsmöglichkeiten für die Wirtschaftssubjekte. Dies wird noch akzentuiert durch den Prozess der Globalisierung, der als weitere Einschränkung nationaler Handlungsspielräume wahrgenommen wird. BfNE sollte die Aufgabe haben, eine Differenzierung zwischen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und individuellen/staatlichen Handlungsspielräumen zu ermöglichen. Diese Trennung ist nicht einfach, weil Schüler sicherlich häufig zu „einfachen“ Lösungen neigen und die ökonomischen Wirkungsketten, wie auch die Wirkungsketten zu den anderen Dimensionen der Nachhaltigkeit nicht überblicken. Wichtig ist jedoch, herauszuarbeiten, dass wirtschaftliche Entwicklung und der Prozess der Globalisierung auch zu einer Erweiterung von Handlungsspielräumen sowohl für Individuen als auch für Länder führt, was man insbesondere an den fortgeschrittenen Entwicklungsländern zeigen kann. Interdependenzen: Interdependenzen Eine Herausforderung zwischen den ist Dimensionen die systematische der Erarbeitung Nachhaltigkeit. Inter- der bzw. 27 multidisziplinäres Herangehen an Problemfelder ist ein oft beschworenes und selten eingelöstes Prinzip. In der Schule besteht die Chance, natur-, geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer problemorientiert zu verbinden und damit die verschiedenen Sichtweisen exemplarisch herauszuarbeiten. Chancen und Grenzen der Politik: Es wird häufig die Wahrnehmung vorherrschen, dass Politik machtlos ist gegenüber globalen Entwicklungen. Aufgabe der BfNE ist es, realistische Handlungsmöglichkeiten auf den verschiedenen politischen Ebenen herauszuarbeiten und beispielhaft zu zeigen, wie man von Interessenkonflikten zu einem Interessenausgleich kommen kann. Kooperation – Wettbewerb - Solidarität: Die Vielgestaltigkeit der Probleme im Zusammenhang mit Nachhaltiger Entwicklung erfordern unterschiedliche Formen bzw. unterschiedliche Prinzipien der Zusammenarbeit. Es mag die Wahrnehmung vorherrschen, dass gegenüber Entwicklungsländern das Prinzip der Solidarität vorherrschen sollte und die Entwicklungspolitische Zusammenarbeit Ausdruck dieses Prinzips sei. Diese Sicht abstrahiert jedoch von der Tatsache, dass sich sowohl der Einzelne als auch die nationale Politik gleichzeitig im Wettbewerb – auch gegenüber Entwicklungsländern - auseinandersetzen und hierfür entsprechende Anstrengungen unternehmen müssen. Hiervon unterscheidet sich wiederum das Prinzip der Kooperation im wohlverstandenen Eigeninteresse und in globaler Verantwortung, das insbesondere für Verhandlungsprozesse im internationalen Rahmen von Bedeutung ist. Es sollte gelernt werden, dass alle Formen der Zusammenarbeit ihre Berechtigung haben und ein unreflektiertes Solidaritäts-Prinzip eher von den tatsächlich relevanten Handlungsebenen ablenken würde. 28