Heilpädagogische Gesellschaft Schwerpunkttag: Belastungen

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Heilpädagogische Gesellschaft
Schwerpunkttag: Belastungen blockieren – Blockaden belasten
„Schüler/innen mit psychischen Belastungen bzw.
als Angehörige von psychisch erkrankten Menschen“
Pädagogische Hochschule Innsbruck 19.01.2013
Mag. Maria FISCHER
Mag. Norbert ERLACHER
HPE-Tirol
www.verrueckte-kindheit.at
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Gliederung
•  Wie erleben Kinder psychische Erkrankung der Eltern?
•  Welche Auswirkungen hat elterliche psychische Erkrankung
auf die Kinder /Jugendlichen / jungen Erwachsenen?
•  Was hilft Familien mit elterlicher psychischer Erkrankung?
•  Was hält Kinder psychisch kranker Eltern gesund? Neues zur
Resilienz
•  Bedeutung der Schule für diese Kinder
•  Wovon sprechen wir? Wen betrifft psychische Belastung?
Wer ist konkret betroffen?
•  Warum hat sich Schule mit psychischen Belastungen zu
befassen?
•  Was ist zu tun? Wahrnehmen – verstehen – handeln!
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Wie häufig sind in Österreich
Kinder von psychischer Erkrankung der Eltern
betroffen?
•  Die Zahlen variieren stark, hohe Dunkelziffer
•  Etwa 20-30% der schwer psychisch Erkrankten haben minderjährige
Kinder, Frauen häufiger als Männer [SCHONE & WAGENBLASS 2002, GURNY 2007, LENZ 2012]
•  Ca. 50 000 Kinder leben mit zumind. einem Elternteil mit psychischer
Erkrankung [LEIXNERING 2002]
•  Ca. 8% der Kinder haben psychisch erkrankte Eltern(-teile) [ABERMANN 2012, CH],
wären in Österr. ca. 570.000 Kinder und Jugendliche
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Wie erleben Kinder die psychische
Erkrankung der Eltern? [1]
•  Unberechenbarkeit in der affektiven Zuwendung
(Fehlende Verlässlichkeit):
Schwanken zwischen Nähe und Distanz, zwischen
Verwöhnung und Entwertung
•  Vermindertes Einfühlungsvermögen,
geringe emotionale Schwingungsfähigkeit
•  Starkes Hervortreten negativer Gefühle:
Angst, Aggression, Wut, Feindseligkeit, Reizbarkeit,
Depressivität
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Wie erleben Kinder die psychische
Erkrankung der Eltern? [2]
•  Beeinträchtigte Verhaltenssteuerung (Impulsivität):
Tendenz zu Fremd- oder Autoaggression (Gewalt,
Suizidalität, Selbstverletzung)
•  Antriebsstörung mit Passivität, Apathie, Interesselosigkeit
und geringer emotionaler Beteiligung –
oder: Unruhe, Getriebenheit, Nervosität
•  Ängstigender Umgang mit der Realität:
Durchlässigkeit der Grenze zwischen Fantasie und
Wirklichkeit. Kind in Konflikt zwischen eigener Realitätswahrnehmung und der Loyalität zum kranken Elternteil
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Wie erleben Kinder die psychische
Erkrankung der Eltern? [3]
•  Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveaus:
chaotischer Umgang mit Zeit und Geld; sozialer Abstieg;
Desorganisation des Haushaltes, Konflikte mit dem sozialen
Umfeld. Kommunikationsverbote
•  Beziehungsdiskontinuität, gehäufte Beziehungsabbrüche:
Häufige Identitätswechsel durch Krankheitsrezidive,
Abwesenheit durch stationäre Aufenthalte,
Fremdunterbringung
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Belastungen psychisch erkrankter Eltern
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Gesellschaftliche Tabuisierung
Angst vor Stigmatisierung
Verleugnung / Verdrängung
Isolation.
Sprachlosigkeit
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Angst um das Kind
Angst vor Sorgerechtsentzug
Angst vor Abwertung und Kritik in der Erziehung
(zeitweise) Überforderung in der Elternrolle
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Folgewirkungen psych. Erkrankung der
Eltern auf die Kinder [1]
•  Entwicklungsstörungen bes. bei Kleinkindern
•  Desorientierung, Verwirrung, Verunsicherung:
durch manchmal massive Änderung von einem Tag auf den anderen
•  Betreuungsdefizite:
Verwahrlosung, Vernachlässigung, Missbrauch
•  Traumatisierungen
•  Angst-, Scham-, Schuldgefühle („egozentrische“
Erklärungsversuche, magisches Denken)
•  Parentifizierung
•  Loyalitätskonflikte
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Folgewirkungen psych. Erkrankung der
Eltern auf die Kinder [2]
•  Tabuisierung der psychischen Erkrankung:
verminderte sprachliche Kommunikation bis Kommunikationsverbot
•  Soziale Isolierung:
Verlust der Möglichkeit zu korrigierenden Erfahrungen außerhalb der Familie
•  Störung der Selbstwahrnehmung: hohe Leidensfähigkeit
bei fehlender Respektierung der eigenen Grenzen à häufige Überforderung.
•  Aufbau eines negativen oder instabilen
Selbstkonzeptes, erschwerte Identitätsfindung:
erhöhte Vulnerabilität gegenüber jeder Form psychosozialer Belastung
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Folgewirkungen psych. Erkrankung der
Eltern auf die Kinder [3]
•  Verlust des Vertrauens in die Selbstwirksamkeit
(Kontrolle äußerer Ereignisse).
•  Bindungsstörungen: Beziehungsunsicherheit
•  Verlust der Fähigkeit zu Unbeschwertheit,
Entspannung, Genuss, Spiel und Spaß;
zu Abgabe von Verantwortung und Kontrolle,
(Ständige Anspannung, immer in Erwartung des Bedrohlichen)
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Die negativen Auswirkungen
elterlicher psychischer Erkrankung
sind umso schwerwiegender:
•  je jünger die Kinder sind
•  je intensiver sie in die Symptomatik des kranken Elternteiles
einbezogen werden
•  je schwerer die Ausprägung der psychischen Erkrankung +
je schlechter die Krankheitsbewältigung des Patienten
selbst ist
•  je geringer der Informationsgrad des Kindes ist
•  je weniger kognitive Fähigkeiten das Kind hat
•  je mehr die kompensatorische Funktion eines stabilen
gesunden Elternteiles fehlt
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Jugendliche mit psychisch erkrankten Eltern
•  … schämen sich besonders für auffällige Eltern
•  … können in ihrer Ablösephase nicht unbeschwert gegen einen kranken
Elternteil auftreten, nicht so kritisch, wütend, abwertend sein
•  … erleben starke Ambivalenz zwischen Verantwortungsübernahme für
erkrankte Eltern vs. eigener Autonomiewünsche. Loyalitätskonflikte
•  … hadern besonders oft mit ihrem Schicksal, psychisch kranke Eltern zu
haben und leiden oft im Stillen.
•  … haben besondere Schwierigkeiten, sich jemandem anzuvertrauen,
Unterstützung anzunehmen.
•  … müssen sich cool und lässig geben, suchen Austausch unter peers
•  … nützen öfter Online-Hilfe, Chat + Information im Internet
•  … bräuchten starke Erwachsene zum Sich-Reiben, gute Vorbilder,
Abenteuer…
•  … haben Angst, selbst psychisch zu erkranken
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Erwachsene Kinder
von Eltern mit psychischer Erkrankung
haben meist Probleme mit:
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der Ablösung vom erkrankten Elternteil, Loyalitätskonflikten
der Rückgabe der Verantwortung an die/den Erkrankten,
dem Finden der eigenen Lebensbedürfnisse
der Angst vor eigener Erkrankung od. deren möglicher
Weitergabe an eigene Kinder
Kind eines psychisch erkrankten Elternteiles bleibt man lebenslang!
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Kinder psychisch Erkrankter entwickeln
öfter besondere KOMPETENZEN:
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Überdurchschnittliche Fähigkeit zum Krisenmanagement
Hohe Selbständigkeit
Großes Verantwortungsbewusstsein
Ausgeprägtes Einfühlungsvermögen, feines Sensorium für
Stimmungen (à Tendenz zu Helferberufen)
•  Hohe Leidensfähigkeit
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Was hilft den Eltern
mit psychischer Erkrankung?
•  Haltung: Wertschätzung, Empathie, Akzeptanz, respektvolle
Neugier, Geduld, Zeit, Ruhe
•  Klarheit - Zuversicht: Ressourcenwürdigung + -stärkung,
gemeinsamer Blick nach vorne
•  Information über psychische Erkrankungen, Hilfsmöglichkeiten,
Hilfreiches
•  Unterstützende Netzwerke
•  Notfallplan für Krisenzeit
•  Stationäre Mutter–Kind-Betreuung (bes. nach
Geburten)
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Was hilft Kindern psychisch Erkrankter?
•  Offenes Reden über die Erkrankung – kindgerechte Informationen
•  Mind. eine stabile, Halt gebende Bezugsperson,
die gefühlsmäßig auf das Kind reagieren kann
•  Alltagspraktische Unterstützung / Entlastung, Abnahme von
Verantwortung für kranke Erwachsene
•  Entlastung von Schuld- + Schamgefühlen
•  Notfallplan für Krisenzeiten besprechen - „Sicherer Ort“.
Patenschaften
•  Schutz vor traumatisierenden Erfahrungen
•  Fähigkeiten stärken, gute Außenkontakte,
bes. zu Gleichaltrigen, ev. Kinder-/Jugendgruppen ähnlich Betroffener
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Was hält Kinder psychisch kranker Eltern gesund?
RESILIENZ (Widerstandsfähigkeit)
[u.a. aus www.strong-kids.eu]
1. Protektive Faktoren aus dem Kind selbst
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Allg. Gesundheit und gute Kindesentwicklung
Ausgeglichenes Temperament
Kognitive Fähigkeiten
Schulleistungen, Selbstwertgefühl
Selbsthilfe, Selbstwirksamkeitsüberzeugung
Optimismus / Freude / positive Zukunftsorientierung
Soziale Kompetenz
Hardiness (Durchhaltevermögen, Widerstandsfähigkeit)
Informationen über und Verständnis für die Krankheit oder
die Verletzlichkeit der Eltern
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Was hält Kinder psychisch kranker Eltern gesund?
RESILIENZ (Widerstandsfähigkeit)
2. Protektive Faktoren aus dem familiären Umfeld
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Mind. eine gesunde (erwachsene) Bezugsperson
Unterstützung innerhalb der (Groß-)Familie
Positives „Parenting“ (Erziehungsverhalten der Eltern)
Routinen, Rollen und Struktur in der Familie
Positive Beziehung der Eltern zueinander
Ausbildungsstand / aufrechtes Arbeitsverhältnis der Eltern
Die psychische Gesundheit der Eltern und ihre Compliance
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Was hält Kinder psychisch kranker Eltern gesund?
RESILIENZ (Widerstandsfähigkeit)
3. Protektive Faktoren aus dem sozialen Umfeld
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Verfügbarkeit von Unterstützung und Hilfe
Kindergarten, Schule, Vereine,…
Andere gesunde Erwachsene (Nachbarn, Freunde, Paten)
Sozialer Kontakt mit Peer Group-Angehörigen, die ‘sozial
angepasst‘ sind
•  Interessen, Aktivitäten innerhalb der Gemeinschaft
•  Spiritualität / Kohärenzsinn
•  Umweltbedingte Faktoren
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Bedeutung von Schule für Kinder
mit psychisch erkrankten Eltern
Schule als Ort für:
a) positive Erfahrungen:
•  Neutraler Ort, fern der emotionalen Belastungen und Spannungen daheim
•  Mit anderen geteilte Realitäten, Bestärkung eigener
Wahrnehmungen
•  Ort der guten, ‚gesunden‘, mitmenschlichen Kontakte und des
sozialen Miteinanders
•  Ort der Leistung, Bestätigung, Anerkennung, Ermutigung,
Selbstwertsteigerung
•  Ort der Unbeschwertheit, des Spaßes
•  Ort unterstützender LehrerInnen, verständnisvoller
Ansprechpartner?
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Bedeutung von Schule für Kinder
mit psychisch erkrankten Eltern
Schule als Ort für:
b) negative Erfahrungen:
•  Hänseleien, Ausgrenzung bei Bekanntwerden der familiären
psychischen Erkrankung
•  Probleme mit anderen durch eigenes auffälliges Verhalten
•  Sanktionen oder Sonderstellungen durch eigene öffentlich
werdende Probleme
•  Beschämung, Bloßstellung durch Ansprechen der elterlichen
psychischen Erkrankung vor allen
•  Scham, wenn die erkrankten Eltern sich auch in / vor der Schule
auffällig verhalten
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Hilfreiche Literatur
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Internetadressen zum Thema
„Kinder psychisch kranker Eltern“:
EU: www.strong-kids.eu
BRD: www.netz-und-boden.de
www.kipsy.net
www.kinder-psychisch-kranker.de, www.psychiatrie.de/dachverband/kinder
www.bag-kipe.de
Bundes-Arbeitsgemeinschaft Kinder psychisch kranker Eltern Deutschland
www.kip.uni-marburg.de (Infos über Kinder psychisch kranker Eltern)
www.kipkel.de
www.seelennot-ev.de, www.wuerzburger-projekt.de, www.nummergegenkummer.de
Österreich: www.verrueckte-kindheit.at Online-Portal für Kinder der HPE-Österreich
www.aha-salzburg.at
JOJO-Projekt: Kinder im Schatten der HPE-Salzburg
www.aks.or.at
KIESEL-Programm Vorarlberg
www.psz.co.at/angebote/kinder-psychisch-kranker-eltern
KIPKE – Projekt der PSZ GmbH in NÖ
www.sinn-evaluation.at Projekt von PRETIS & DIMOVA, Graz
www.kinderplattform.tsn.at
www.kinderstimmen.at
www.psyweb.at/kjnp
Seiten der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie
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Kinder von psychisch kranken Eltern haben dann gute Entwicklungschancen,
wenn Eltern, Angehörige und Fachleute lernen, in sinnvoller und angemessener
Weise mit der Erkrankung umzugehen, und wenn sich die Patienten und ihre
Kinder auf tragfähige Beziehungen stützen können [MATTEJAT & LISOFSKY 2001]
DANKE
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