Schlafstörungen - MediClin Bliestal Kliniken

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Schlafstörungen
2
V. Köllner
3
4
5
6
7
8
9
10
20.1
Krankheitsbild
11
12
Schlafstörungen gehören in Industriegesellschaf13
ten zu den häufigsten gesundheitlichen Beein14
trächtigungen. Bei der Untersuchung repräsentati15
ver Bevölkerungsstichproben in Deutschland und
16
den USA klagten etwa 10–15% der Befragten über
17
eine chronische, mehr als 3–6 Monate anhaltende
18
Schlafstörung. Wenn kürzer dauernde Störungen
19
mitgezählt wurden, erhöhte sich diese Quote auf
20
etwa 35%. Etwa 20% der Patienten, die ihren Haus21
arzt konsultieren, leiden unter ausgeprägten
22
Schlafstörungen, bei 3/4 dieser Patienten bestehen
23
diese Störungen bereits länger als ein Jahr. Nur in
24
etwa 40% der Fälle ist dem Hausarzt die Schlafstö25
rung auch bekannt, häufig wird das Problem von
26
den Patienten in der Konsultation nicht angespro27
chen. Allerdings ist unklar, ob die vorhandenen
28
Schlafstörungen zwangsläufig Krankheitswert be29
sitzen. Bei Anwendung strikterer Befragungskrite30
rien konnte nachgewiesen werden, dass nur etwa
31
1
/ aller Personen mit Schlafstörungen auch unter
324
diesen leiden.
33
34
Schlafmythen. Diese Diskrepanz lässt sich teil35
weise durch falsche Vorstellungen erklären, darü36
ber, was gesunder Schlaf ist und welche Auswir37
38
39
psychophysio40
logische Erregung
durch Angst
41
und Ärger
42
43 Befürchtung,
44 nicht einschlafen
45 zu können
46
47
verlängerte Schlaflatenz,
48
Grübeln über die Folgen
49
des Schlafmangels
50
51
Abb. 20.1 Beispiele für Insomnie-Teufelskreise.
52
kungen gestörter Schlaf haben kann. Häufig sind
folgende Überzeugungen:
Man muss mindestens 8 Stunden/Nacht schlafen.
Man muss tief und fest schlafen, nächtliches Erwachen ist ein Zeichen für eine Schlafstörung.
Verpasster Schlaf muss nachgeholt werden.
Wenn man nicht 8 Stunden geschlafen hat, ist
man am nächsten Tag nicht leistungsfähig.
Wer nicht darauf achtet, genug Schlaf zu bekommen, wird krank.
Diese weit verbreiteten Mythen zum Thema Schlaf
führen dazu, dass Menschen ihr eigentlich gesundes Schlafverhalten als krankhaft oder gefährlich
interpretieren und beginnen, sich über ihren Schlaf
sorgen zu machen, obwohl Symptome einer Insomnie wie z.B. Tagesmüdigkeit fehlen (Abb. 20.1).
Gesunder Schlaf. Zur ausführlichen Darstellung
der Schlafphysiologie sei auf die weiterführende
Literatur verwiesen. Zur Beratung von Patienten
ist es wichtig, zu wissen, dass der individuelle
Schlafbedarf zwischen 4 und 10 Stunden schwanken kann. Entscheidendes Kriterium ist, dass man
sich am Morgen erholt und ausgeruht fühlt. Eine
kurze Schlafdauer ist nicht mit einer verkürzten
Befürchtung, zu
wenig Schlaf zu
bekommen
verlängerte
Schlaflatenz, Grübeln
über die Folgen des
Schlafmangels
Versuch, Schlaf nachzuholen:
– früher zu Bett gehen
– morgens länger schlafen
– Mittagsschlaf
fehlende Müdigkeit
am nächsten Abend
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
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20 Schlafstörungen
Lebenserwartung korreliert. Verpasster Schlaf
1
wird in der nächsten Nacht vor allem durch eine
2
höhere Schlafintensität (höherer Anteil an Tief3
und REM-Schlaf) ausgeglichen. Ein „Nachschlafen“
4
ist also nicht erforderlich. Über diesen Mechanis5
mus kann der Körper seinen Schlafbedarf im Sinne
6
einer Selbstregulation decken. Eine bewusste Kon7
trolle ist nicht erforderlich. Dieses System kann al8
lerdings durch körperliche Erkrankungen (sekun9
däre Insomnie), die Einnahme von Drogen und
10
Medikamenten oder schlafinkompatible Verhal11
tensweisen gestört werden. Mehrere kurze Wach12
phasen in der Nacht sind physiologisch, die Mehr13
zahl von ihnen wird allerdings nicht erinnert. Im
14
Alter nehmen Schlafbedarf und Schlaftiefe ab,
15
während die Wachphasen länger und häufiger
16
werden. Auch dies ist nicht als krankhaft zu be17
werten.
18
19
Primäre Insomnie. Die primäre Insomnie ist die
20
häufigste Schlafstörung. Diese Diagnose wird ge21
stellt bei Ein- und Durchschlafstörungen, die län22
ger als 4 Wochen bestehen, mit Tagesmüdigkeit
23
und klinisch relevanten Beeinträchtigungen ein24
hergehen und die nicht durch eine körperliche
25
oder psychische Erkrankung bedingt sind. Es kön26
nen drei Subtypen unterschieden werden:
27
Psychophysiologische Insomnie, die mit er28
höhtem Erregungsniveau einhergeht. Dieses
29
kann emotional, kognitiv oder physiologisch
30
ausgelöst sein.
31
Fehlbeurteilung des Schlafes, ohne dass sich
32
polysomnographisch eine Schlafstörung nach33
weisen lässt.
34
Idiopathische Insomnie mit Krankheitsbeginn
35
in der Kindheit.
36
37
Fallbeispiel
38
39
Fallbeispiel 1, Teil 1
40
Frau F., eine 42-jährige Chefsekretärin, leidet seit sechs
41
Jahren unter Ein- und Durchschlafstörungen. Damals
42
musste sie nachts immer „mit einem Ohr bei ihrem
43
asthmakranken Sohn sein“. Dieser ist seit Jahren wie44
der gesund, Frau F. braucht seit dem jedoch weiterhin
45
1–2 Stunden, um einschlafen zu können und liegt lan46
ge wach, wenn sie nachts aufwacht. Während dieser
47
Zeit grübelt sie darüber nach, dass sie am nächsten
48
Tag unkonzentriert sein und Ringe unter den Augen
49
haben wird, was sie sich als Chefsekretärin eigentlich
50
nicht leisten kann. Unter der Woche unternimmt sie
51
52
abends nichts mehr, da sie schon um 21 Uhr ins Bett
geht, um auf mindestens 7,5 Stunden Schlaf zu kommen. Morgens steht sie um 6.30 auf, nach ihrem Gefühl liegt sie mindestens zwei Stunden wach. Schon
beim Gedanken an das Thema Schlaf steigen Angst
und Ärger in ihr hoch. Sie fürchtet sich davor, ins Bett
zu gehen und wieder Stunden wachliegen zu müssen.
Die Ehe ist dadurch belastet, dass sich alle Planungen
nur noch um das Thema Schlaf drehen. Schlafmittel
lehnt Frau F. ab, da sie Angst hat, abhängig zu werden.
Fallbeispiel
Fallbeispiel 2, Teil 1
Herr T., ein 62-jähriger pensionierter Ingenieur, leidet
unter Einschlafstörungen, seit er vor drei Jahren von
seinem Betrieb gekündigt worden war. Bis dahin war
er um 6 Uhr aufgestanden, hatte 10–12 Stunden/Tag
gearbeitet und war nie vor Mitternacht ins Bett gegangen. Trotzdem fühlte er sich immer ausgeruht. Nun
liegt er lange wach, grübelt über das Unrecht nach,
das ihm mit der Kündigung angetan wurde, und
schmiedet Rachepläne. Die Situation spitzte sich zu,
als ihm nach einem Herzinfarkt vor 2 1/2 Jahren ein
Arzt gesagt hatte, er müsse unbedingt genug schlafen,
um sein Herz nicht zu gefährden. Er nimmt jede Nacht
ein Schlafmittel (Benzodiazepin), das ihm jedoch nur
in den ersten Wochen Erleichterung brachte. Zweimal
versuchte Herr T., das Medikament abzusetzen. In diesen Nächten hatte er aber Albträume und schlief sehr
unruhig, so dass er lieber wieder Tabletten nahm.
Tagsüber fühlt er sich häufig müde und unkonzentriert. Er geht zwischen 20.30 und 22.00 ins Bett und
stellt sich keinen Wecker. Morgens steht er nie vor
8 Uhr auf, auch wenn er schon früher aufwacht. Er hat
das Gefühl, nie vor Mitternacht einschlafen zu können
und achtet wegen seines Herzens darauf, mindestens
8 Stunden zu schlafen.
20.2
Diagnostik
Bevor eine Insomnie diagnostiziert wird, sollte
sichergestellt sein, dass eine klinisch relevante
Schlafstörung vorliegt. Hierzu eignen sich folgende Fragen:
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
20.2 Diagnostik
Tabelle 20.1 Krankheitsbilder, die häufig Schlafstörungen auslösen
191
1
psychische Störungen
2organische Krankheitsbilder
3Herz- oder Lungenerkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz) affektive Störungen (Depression, Manie)
4Magen- Darmerkrankungen (z.B. ösophagealer Reflux) posttraumatische Belastungsstörung
Angststörungen (v.a. nächtliche Panikanfälle oder Grü5endokrinologische Erkrankungen
beln bei generalisierter Angststörung)
6Schlafapnoe-Syndrom
Alkoholabusus
7Restless-Legs-Syndrom
Drogenabusus (v.a. Stimulanzien)
chronische Schmerzen
8Epilepsien und andere neuro-logische Krankheitsbilder demenzielle Erkrankungen
9Nebenwirkung von Medikamenten
Schizophrenie
10
11
12
figste psychische Störung, die zu Schlafproblemen
13Praktisches Vorgehen
führt, ist die Depression. Typisch ist hier der Bericht
14
„Haben Sie Ein- oder Durchschlafstörungen
über morgendliches Früherwachen. Beim Restless15
oder frühzeitiges Erwachen, ohne wieder einLegs-Syndrom ist die Klage über quälendes Unruhe16
schlafen zu können? Oder haben Sie das Gefühl,
gefühl sowie über Bewegungsdrang in den Beinen
17
dass Ihr Schlaf nicht erholsam ist?“
richtungweisend. Patienten mit Schlafapnoe klagen
18
„Wenn Sie schlecht geschlafen haben, hat dies
in der Regel nicht über Schlaflosigkeit, sondern über
19
Auswirkungen auf den Tag? Fühlen Sie sich müerhöhten Schlafbedarf und Tagesmüdigkeit. In
20
de, unkonzentriert oder ohne Energie?“
Tab. 20.1 sind die Krankheitsbilder aufgelistet, die
21
„Seit wann bestehen diese Probleme?“
häufig zu Schlafstörungen führen.
22
„Wann gehen Sie in der Regel zu Bett, wann schla23
fen Sie ein und wann stehen Sie morgens auf?“
Schlafprotokoll. Um einen genaueren Überblick
24
über Art und Ausmaß der Schlafstörung zu erhal25
ten und später den Behandlungserfolg prüfen zu
26
können, ist es sinnvoll, dass der Patient für zwei
Störungsdauer unter vier Wochen. Bei einer Stö27
Wochen ein Schlafprotokoll führt (Tab. 20.2). Häurungsdauer unter vier Wochen sollte eine Auf28
fig zeigt sich bei der gemeinsamen Auswertung
klärung darüber erfolgen, dass kurz dauernde
29
des Schlafprotokolls, dass der Patient deutlich
Schlafprobleme häufig sind und meist wieder ver30
mehr Stunden/Nacht schläft, als er zunächst eingeschwinden, ohne dass eine spezifische Behandlung
31
schätzt hatte. Patienten neigen dazu, selektiv nur
notwendig ist. Zusätzlich kann eine Beratung zur
32
die Nächte wahrzunehmen, in denen sie besonSchlafhygiene erfolgen und ein Kontrolltermin
33
ders schlecht geschlafen haben und diese zur
vereinbart werden. Wenn keine Beeinträchtigung
34
Grundlage ihrer Einschätzung zu machen.
am Tag angegeben wird, liegt in der Regel keine
35
0 = gar nicht; 6 = extrem
Schlafstörung, sondern eine Fehlbewertung des ei36
genen Schlafverhaltens vor.
37
Inhalte nächtlichen Grübelns. Zur weiteren Ab38
klärung der Insomnie ist neben der Exploration von
Länger dauernde Störung. Wenn eine länger dau39
Veränderungen der Lebenssituation und der Leernde Störung vorliegt, muss zunächst eine sekun40
bensumstände die Frage hilfreich, was den Patiendäre Insomnie ausgeschlossen werden. Auch hier ist
41
ten beschäftigt, während er wach liegt (Tab. 20.3).
eine sorgfältige Anamnese richtungweisend. Häu42
43
Tabelle 20.2 Schlafprotokoll mit beispielhaftem Eintrag
44
45
eingein der Nacht aufgewacht/ aufgewacht/
TagesmüdigDatum
ins Bett
Schlafzeit
46
schlafen wach gelegen
aufgestanden
keit (0–61)
47
Mo, 23.10. 21.30
23.00
3 x 50 Minuten
6.00/6.30
6 h 10 min
3
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20 Schlafstörungen
Tabelle 20.3 Weitere diagnostische Abklärung der Insomnie: „Woran denken Sie, wenn Sie nachts im Bett wach liegen?“
1
2Antwort
Hinweis auf
3„Daran, dass ich nicht einschlafen kann und wie schrecklich der
4Tag morgen sein wird…“
primäre Insomnie, Aufrechterhaltung über
Teufelskreis
5an eine Situation, die aktuell belastend ist (z.B. Partnerschaftskon- aktuelle Belastungssituation, evtl. Anpas6flikt, Arbeitsplatz …)
sungsstörung (F43.2)
7abwechselnd Sorgen über verschiedene Lebensbereiche, ohne
generalisierte Angststörung (F41.1)
8dass ein aktueller Grund vorliegt
9
Grübeln mit negativen Denkinhalten
Depression
10
11
12
20.3
Interventionsmöglichkeiten ihn plausibel macht. Hierfür eignet sich das oben
13
dargestellte Teufelskreis-Modell, wobei es sich be14
währt hat, mit jedem Patienten seinen individuel15
20.3.1 Erarbeiten eines
len Insomnie-Teufelskreis zu erarbeiten, mit seinen
16
Worten aufzuschreiben und ihm zum Nachlesen
Krankheitskonzepts
und
17
mitzugeben.
Psychoedukation
18
Wenn aktuelle Belastungssituationen Auslöser
19
der Schlafstörung sind, sollte der Patient ermutigt
Bei Patienten, die durch falsche Vorstellungen zum
20
werden, diese zu lösen, bevor therapeutische
Thema Schlaf beunruhigt sind, ohne dass eine In21
Schritte erwogen werden. Häufig ist Patienten der
somnie vorliegt, ist Aufklärung über gesunden
22
Zusammenhang zwischen Problemsituation und
Schlaf und Hilfe beim Wiedererlangen des Ver23
Insomnie nicht bewusst, so dass dessen Verdeutlitrauens in die Fähigkeit des Körpers zur Selbstre24
chung Bewältigungsressourcen mobilisieren kann.
gulation indiziert. Bei älteren Patienten kann es je25
Wenn die Insomnie Folge einer psychischen Stödoch ein Problem sein, dass der Schlafbedarf
26
rung ist, sollte zunächst diese behandelt werden.
gerade dann zurückgeht, wenn durch die Pensio27
nierung mehr Freizeit zur Verfügung steht und
28
Langeweile droht und die Betroffenen den Wunsch
29
20.3.2 Psychosomatische
haben, mehr Zeit mit Schlaf zu verbringen, als phy30
siologisch möglich ist. In diesem Fall ist es notwenGrundversorgung
31
dig, nach alternativen Beschäftigungen zu suchen.
32
Schlafstörungen lassen sich sehr gut im Rahmen
33
der psychosomatischen Grundversorgung behan34Praktisches Vorgehen
deln. In der Verhaltenstherapie wurden zahlreiche
35
Sinnvoll ist die Empfehlung, mehr Bewegung und
Techniken entwickelt, die sehr effektiv sind und
36
körperliches Training in den Alltag zu integrieren.
nur wenig Zeit in Anspruch nehmen. Bereits mit
37
Hierdurch werden die Schlaflatenz (Zeit vom Zueiner Stunde verteilt auf 4–5 Beratungstermine
38
bettgehen bis zum Einschlafen) verkürzt sowie
kann vielen Patienten geholfen werden. Sinnvoll
39
Schlafdauer und -qualität verbessert. Allerdings
ist es, zusätzlich schriftliches Informationsmateri40
sollte sportliche Aktivität nicht unmittelbar vor
al einzusetzen.
41
dem Zubettgehen durchgeführt werden.
42
Schlafhygiene. Am Anfang der Insomnie-Behand43
lung steht die Beratung zum Thema Schlafhygiene.
44
Als nächster Schritt kann mit dem Patienten ein
Die wichtigsten Regeln sind in Tab. 20.4 zusam45
Krankheitsmodell erarbeitet werden, das die Anmengefasst.
46
wendung verhaltensmedizinischer Techniken für
47
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Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
20.3 Interventionsmöglichkeiten
Tabelle 20.4 Regeln zur Schlafhygiene
193
1
1. Keine koffein- und teeinhaltigen (auch grüner Tee) Getränke nach dem Mittagessen.
2
32. Vermeiden von Alkohol. Alkohol erleichtert zwar u.U. das Einschlafen, beeinträchtigt aber Schlafkontinuität,
Tief- und REM-Schlaf.
4
3.
5 Das Schlafzimmer sollte kühl, dunkel und leise sein.
64. Keine anstrengenden geistigen oder körperlichen Aktivitäten vor dem Zubettgehen.
7
5. Keine schweren Mahlzeiten vor dem Zubettgehen.
8
96. Persönliche Einschlafrituale (z.B. Abendspaziergang, Entspannungsmusik) können hilfreich sein.
7. Nicht ständig auf die Uhr schauen. Das erhöht den Leistungsdruck, schlafen zu müssen. Uhr mit Leuchtziffern
10
11 umdrehen.
12
8. Versäumten Schlaf weder durch späteres Aufstehen noch durch Mittagsschlaf nachholen, sondern möglichst
13 gleichmäßig zu einer gewohnten Zeit aufstehen. Mittagsschlaf nur, wenn er regelmäßige Gewohnheit ist, nicht
14 länger als 1/2 Stunde.
15
16
17
denken, wachträumen etc, aber nicht willentlich
Stimuluskontrolle
18
versuchen einzuschlafen. Zur Durchführung der
19
paradoxen Intention wird der Patient aufgefordert,
Diese Intervention basiert auf der Annahme, dass
20
sich so ins Bett zu legen, dass Einschlafen prinzipiell
Bett und Schlafzimmer für Patienten mit chroni21
möglich ist und das Licht auszumachen. Dann soll
scher Insomnie ihren Hinweischarakter für Schlaf
22
aber versucht werden, die Augen offen zu lassen
verloren haben und stattdessen Hinweisreize für
23
und möglichst nicht einzuschlafen. Paradoxe IntenÄrger, Frustration oder Aktivitäten wie Fernsehen
24
tion hat sich als wirksamer erwiesen, wenn sie
oder Lesen geworden sind. Dem entspricht die
25
nicht verdeckt durchgeführt wird (z.B. „Wir wollen
Aussage „Abends bin ich oft todmüde, aber sobald
26
sehen, was geschieht, wenn Sie eine Nacht gar nicht
ich das Schlafzimmer betrete, bin ich wieder hell27
schlafen“), sondern wenn zuvor eine Aufklärung
wach.“ Grundregel der Stimuluskontrolle ist, dass
28
über das Rational der Therapie erfolgt.
die Patienten nur zu Bett gehen sollen, wenn sie
29
müde sind und das Bett nur zum Schlafen verwen30
den dürfen (Ausnahme: sexuelle Aktivitäten).
31
Wenn das Einschlafen nicht gelingt, soll der PaEntspannungsverfahren
32
tient wieder aufstehen und Aktivitäten (z.B. Lesen,
33
Musik hören) in einem anderen Raum durchfühEntspannungsverfahren (siehe Kap. 6) sind sehr
34
ren. Das Bett sollte erst wieder aufgesucht werden,
gut zur Therapie von Schlafstörungen geeignet. In35
wenn Müdigkeit aufkommt. Wenn notwendig,
somnie-Patienten sollten das Entspannungsver36
muss dieses Vorgehen einige Male wiederholt
fahren zunächst nur tagsüber üben, bis sie es si37
werden. Um mit Stimuluskontrolle Erfolg zu hacher anwenden können. Erst dann sollten sie es als
38
ben, ist es notwendig, immer zur gleichen Zeit aufEinschlafhilfe verwenden. Als angenehm wird der
39
zustehen (möglichst auch am Wochenende) und
Einsatz von Imaginationsübungen empfunden.
40
„Nickerchen“ am Tag zu vermeiden.
Diese gehen dann leicht beim Einschlafen in einen
41
Traum über.
42
Paradoxe Intention Diese auf Frankl (1960) zu43
rückgehende Technik geht davon aus, dass Erwar44
tungsangst und Leistungsdruck das Einschlafen
Gedankenstopp
45
verhindern. Dem entspricht die Erfahrung vieler
46
Patienten, im Schlaflabor, wenn dem Behandler die
Patienten, die nach dem Zubettgehen dazu neigen,
47
Schwere des Problems gezeigt werden soll, überraüber Probleme nachzugrübeln und sich dadurch
48
schend gut einschlafen zu können. Das Rational der
wach zu halten, können von dieser Technik beson49
Methode kann Patienten auch damit verdeutlicht
ders profitieren. Zunächst sollte mit dem Patienten
50
werden, dass sie sich vorstellen sollen, was gesunde
erarbeitet werden, dass nächtliches Grübeln kein
51
Schläfer vor dem Einschlafen tun: über etwas nachgeeigneter Weg ist, um effektiv Probleme zu lösen.
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20 Schlafstörungen
Dann wird er aufgefordert, sich immer dann, wenn
1
er nachts anfängt, über Probleme nachzugrübeln,
2
ein großes rotes Stoppschild vorzustellen, um die
3
Grübelkette zu beenden. Allerdings muss zuvor
4
festgelegt werden, an was der Patient danach den5
ken soll, da sonst das Grübeln schnell wieder ein6
setzt. Hier sind Entspannungs- oder Imaginations7
übungen eine gute Alternative.
8
9
Schlafrestriktion. Gesunde Schläfer reagieren auf
10
Schlafentzug in der folgenden Nacht mit einer kür11
zeren Schlaflatenz und mit einer besseren Schlaf12
tiefe. Aus dieser Beobachtung wurde die Schlaf13
restriktion entwickelt. Hierzu wird zunächst mit
14
Hilfe des Schlaftagebuches die Schlafeffizienz
15
(in %) errechnet = Schlafdauer/Zeit im Bett x 100.
16
Ein Patient, der im Wochendurchschnitt 9 Stun17
den im Bett ist und davon 6 Stunden schläft, hat
18
demnach eine Schlafeffizienz von 66,6%. Nun wird
19
die Bettzeit pro Nacht in wöchentlichen Schritten
20
von 15–30 Minuten verringert, bis eine Schlafeffi21
zienz von 85–90% erreicht ist. 4,5 Stunden sollten
22
hierbei aber nicht unterschritten werden. Danach
23
kann die Zeit im Bett wieder in 15-Minuten-Schrit24
ten gesteigert werden, solange die Schlafeffizienz
25
über 85% bleibt. Die Bettzeit sollte möglichst im26
mer zur gleichen Zeit liegen, auch am Wochenen27
de. Der Patient kann entscheiden, ob er lieber sehr
28
spät zu Bett gehen oder früh aufstehen möchte.
29
Schlafrestriktion erfordert viel Selbstdisziplin, ist
30
aber insbesondere bei schweren, chronischen
31
Krankheitsbildern sehr erfolgreich. Im Rahmen der
32
psychosomatischen Grundversorgung sollte die
33
Bettzeit nicht unter 6 Stunden gekürzt werden.
34
Wenn dies nicht ausreichend ist, sollte die Über35
weisung zum Fachpsychotherapeuten erfolgen.
36
37
38
20.3.3 Psychotherapie
39
40
Fachpsychotherapie ist indiziert bei Patienten, de41
ren Insomnie sich im Rahmen der psychosomati42
schen Grundversorgung nicht behandeln lässt
43
oder die Symptom einer anderen psychischen
44
Erkrankung ist. Neben den oben genannten In45
terventionstechniken kommen kognitive Um46
strukturierung dysfunktionaler Annahmen und
47
automatischer Gedanken zum Thema Schlaf sowie
48
multimodale Programme zur Anwendung. In der
49
Regel ist eine Kurztherapie (25 Sitzungen) ausrei50
chend. Die überwiegende Mehrzahl der Patienten
51
profitiert von der Behandlung und in Katamnesen
52
bis zu 36 Monaten erwies sich der Therapieeffekt
als stabil oder nahm während der Katamnese noch
zu.
20.3.4 Medikamentöse Behandlung
Hypnotika sind in ihrer Wirksamkeit bezogen auf
die Verkürzung der Schlaflatenz der kognitiven
Verhaltenstherapie unterlegen, bezogen auf die
Schlafdauer ist die Wirksamkeit gleich. Zusätzlich
sind Medikamente jedoch mit dem Risiko verstärkter Tagesmüdigkeit (Hang-over), kognitiver
Beeinträchtigungen und der Entwicklung einer
Abhängigkeit belastet. Ältere Patienten haben bei
der Behandlung mit Benzodiazepinen ein erhöhtes
Risiko für paradoxe Effekte, Halluzinationen,
Atemdepression, Muskelschwäche und in der Folge für häufigere Traumata mit schwerwiegenden
Verletzungen. Die Effektivität von Benzodiazepinen ist nur für eine Behandlungsdauer von maximal 4 Wochen dokumentiert. Neue, von den Benzodiazepinen abgeleitete Hypnotika (Zolpidem,
Zopiclon) haben ein günstigeres Nebenwirkungsspektrum. Das Abhängigkeitsrisiko ist geringer,
obwohl auch hier inzwischen Berichte über Dosissteigerungen, Toleranzentwicklung und Kreuzabhängigkeit mit Benzodiazepinen vorliegen. Für
Zolpidem liegen Studien vor, die eine Effektivität
für eine Behandlungsdauer von maximal einem
Jahr belegen.
Wenn die Insomnie als Symptom einer Depression
auftritt, so ist primär die Einstellung auf ein sedierend wirkendes Antidepressivum mit Dosisschwerpunkt am Abend sinnvoll (z.B. Amitriptylin oder
Doxepin).
Zur Behandlung mit Hypnotika können folgende
Empfehlungen gegeben werden:
Nichtmedikamentösen Behandlungen ist wegen der geringeren Nebenwirkungen/Risiken
der Vorzug zu geben.
Neue, von den Benzodiazepinen abgeleitete
Hypnotika (Zolpidem, Zopiclon) scheinen das
günstigste Verhältnis von Wirkungen und Nebenwirkungen zu haben. Pflanzliche Präparate
(Baldrian) haben eine geringere Wirksamkeit,
dafür aber auch weniger Nebenwirkungen.
Eine Indikation besteht vor allem bei kurzfristigen Schlafstörungen wie Jetlag, Schichtwechsel
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
20.3 Interventionsmöglichkeiten
bei Schichtarbeitern oder besonderen Belas1
tungssituationen (z.B. Prüfungszeit).
2
Die Behandlung sollte nicht länger als 4–8 Wo3
chen erfolgen. Ziel ist vor allem, das Gefühl der
4
Selbstkontrolle wiederzuerlangen. Danach soll5
ten auf jeden Fall psychotherapeutische Behand6
lungsmöglichkeiten zur Anwendung kommen.
7
Mit dem Patienten sollten Zeitpunkt und Dauer
8
der Hypnotika-Einnahme klar abgesprochen
9
werden. Zu vermeiden ist eine Einnahme nach
10
24 Uhr („Ich versuche erst mal, ob es ohne
11
Tablette geht …“), da dies zu einer chaotischen
12
Schlafstruktur führt.
13
Wenn bei therapierefraktären Schlafstörungen
14
eine Langzeitbehandlung notwendig ist, sollte
15
diese diskontinuierlich mit medikamentenfrei16
en Intervallen erfolgen.
17
Hypnotika dürfen nicht plötzlich, sondern nur
18
ausschleichend abgesetzt werden. Patienten
19
müssen hierüber aufgeklärt werden, damit sie
20
nicht durch eigenmächtiges plötzliches Abset21
zen eine Rebound-Insomnie auslösen.
22
23
24
20.3.5 Empirische Absicherung
25
26
Multimodale kognitive Verhaltenstherapie und
27
die oben genannten Einzeltechniken haben in kon28
trollierten Studien und Metaanalysen ihre Wirk29
samkeit unter Beweis gestellt. Auch Programme
30
von nur zwei Sitzungen, die sich in die Grundver31
sorgung integrieren lassen, erwiesen sich als hoch
32
wirksam. Die American Academy of Sleep Medici33
ne empfiehlt aufgrund der vorhandenen Daten vor
34
allem Stimuluskontrolle, progressive Muskelrela35
xation und paradoxe Intention, in zweiter Linie
36
multimodale kognitive Verhaltenstherapie und
37
Schlafrestriktion. Entspannungsverfahren verlän38
gern besonders effektiv die Schlafdauer, die übri39
gen Verfahren sind vor allem bei der Verkürzung
40
der Schlaflatenz wirksam.
41
42
Fallbeispiel
43
44
Fallbeispiel 1, Teil 2
45
Bei Frau F. war eine vorübergehende exogene Störung
46
(asthmakranker Sohn) Auslöser einer primären Insom47
nie, die durch einen Teufelskreis aus katastrophisieren48
den Erwartungen, Leistungsdruck und ungünstigen
49
Verhaltensmustern (Abbau von Aktivitäten, zu lange
50
Zeit im Bett) aufrechterhalten wurde. In einer zehn51
52
195
stündigen kognitiven Verhaltenstherapie wurden vor
allem kognitives Umstrukturieren (Entkatastrophisieren), Stimuluskontrolle und Aktivitätsaufbau eingesetzt. Die Patientin war nach der Therapie sowie bei
der Katamnese nach einem Jahr mit Schlafdauer und qualität zufrieden.
Fallbeispiel
Fallbeispiel 2. Teil 2
Bei Herrn T. war die Schlafstörung zunächst Symptom
einer depressiven Anpassungsstörung als Folge der
Kündigung. Durch die Angst, Schlafmangel könnte einen zweiten Herzinfarkt auslösen, wurde zusätzlich
ein Insomnie-Teufelskreis aktiviert. Schwerpunkt der
Therapie (8 Sitzungen) waren die Verarbeitung der erlittenen Kränkung und das Erarbeiten neuer Lebensziele. Zur Behandlung der Insomnie wurden zusätzlich
Stimuluskontrolle (Herr T. geht nun, wenn er nicht
schlafen kann, seinem Hobby als Amateurfunker nach,
anstatt sich im Bett zu wälzen), PMR und Imaginationsübungen eingesetzt. Bei der 1-Jahres-Katamnese
war er mit seinem Schlaf zufrieden, die kardiale Situation hatte sich entgegen seiner Befürchtung trotz des
nächtlichen Funkens nicht verschlechtert.
Zusammenfassung
Schlafstörungen gehören zu den häufigsten
Problemen in der Allgemeinpraxis.
Ursächlich sind häufig falsche Annahmen über
gesunden Schlaf und katastrophisierende Erwartungen über die Folgen von Schlafmangel.
Die Gedanken, Schlaf erzwingen und fehlenden
Schlaf nachholen zu müssen, sind wesentliche
Elemente des aufrechterhaltenden InsomnieTeufelskreises.
Wenn die Insomnie Symptom einer anderen
körperlichen oder psychischen Erkrankung ist,
so sollte diese primär behandelt werden.
Grundlage der Behandlung ist die Einhaltung
von Regeln zur Schlafhygiene und zum SchlafWach-Rhythmus durch den Patienten.
Verhaltenstherapeutische Techniken, wie Stimuluskontrolle, paradoxe Intention und progressive Muskelentspannung sind hoch wirksam und mit wenig Zeitaufwand anzuwenden.
Sie sind tendenziell wirksamer als Hypnotika,
haben aber weder deren Nebenwirkungen noch
ein Abhängigkeitsrisiko.
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
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