Fachgesprach PTBS.Burkard - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft

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Trauma und Sucht
Behandlungsmöglichkeiten und
-ansätze in der stationären
Suchtrehabilitation
„Den Alptraum bewältigen“ Fachgespräch am 07.07.2016
AHG Kliniken Daun Thommener Höhe
Patrick Burkard, Ltd. Psych. AHG Kliniken Daun Thommener Höhe
Überblick
1. Aspekte der Posttraumatischen Belastungsstörung
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und
Substanzkonsum
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der
stationären Suchtrehabilitation
4. Zwei Fallbeispiele
5. Fazit
Überblick
1. Kennzeichen der Posttraumatischen
Belastungsstörung
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und
Substanzkonsum
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS
4. Zwei Fallbeispiele
5. Fazit
Definition der PTBS nach Flatten:
Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine
mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer
traumatischer Erlebnisse, die an der eigenen
Person, aber auch an fremden Personen erlebt
werden können. In vielen Fällen kommt es zum
Gefühl von Hilflosigkeit, Angst und Entsetzen,
und durch das traumatische Erleben zu einer
Erschütterung des Selbst- und
Weltverständnisses.
1. Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung
Facebook-Eintrag von Isobel Bowdery am 14.11.2015:
“you never think it will happen to you. It was just a friday night at a rock show.
the atmosphere was so happy and everyone was dancing and smiling. and
then when the men came through the front entrance and began the shooting,
we naively believed it was all part of the show. It wasn't just a terrorist attack,
it was a massacre. Dozens of people were shot right infront of me. Pools of
blood filled the floor. Cries of grown men who held their girlfriends dead
bodies pierced the small music venue. Futures demolished, families
heartbroken. in an instant. Shocked and alone, I pretended to be dead for
over an hour, lying among people who could see their loved ones motionless.
Holding my breath, trying to not move, not cry - not giving those men the fear
they longed to see. I was incredibly lucky to survive. But so many didn't. ...“
1. Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung
„Die psychischen Nachwirkungen,
die sind bis heute geblieben. Die
bestehen immer noch, und es trifft
mich aus heiterem Himmel.
Erinnerungen daran können ganz
unterschiedlichster Art sein, das
kann Geruch sein, Feuer als
solches, das können Geräusche
sein, Schreie von Kindern, die mich
plötzlich in die Erinnerung
zurückrufen ...
... Ramstein “
1. Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung
William James:
"An impression may be so
exciting emotionally as
almost to leave a scar upon
the cerebral tissues."
1. Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung
Beispiele:
Erleben von:
körperlicher und sexualisierter Gewalt,
sexueller Mißbrauch
Vergewaltigung, gewalttätige Angriffe auf die
eigene Person, Entführung, Geiselnahme,
Terroranschlag, Krieg, Kriegsgefangenschaft,
politische Haft, Folterung, Gefangenschaft in
einem Konzentrationslager, Natur- oder durch
Menschen verursachte Katastrophen, Unfälle
oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen
Krankheit ...
Sowie: Erleben sämtlicher Ereignisse in Zeugenschaft
1. Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung
Klassifikation unterschiedlicher Arten
von Traumatisierungen:
1. Typ-1-Traumata:
• einmaliges Auftreten
• kurze Dauer
Beispiele: Naturkatastrophen, Unfälle, technische Katastrophen, kriminelle
Gewalttaten
2. Typ-II-Traumata:
• wiederholtes Auftreten
• längere Dauer
Beispiele: Geiselhaft, Folter, Kriegsgefangenschaft, Kriegserlebnisse, KZ-Haft,
wiederholte sexuelle und körperliche Gewalt, wiederholte Vergewaltigung
Weitere Unterscheidung:
=> Einzelereignisse abgrenzbar/nicht abgrenzbar
Man-made-Traumata: Von Menschen verursachte traumatische Einwirkungen
Non-man-made-Traumata: Unfälle oder Katastrophen
Höchste posttraumatische Belastungen durch:
Typ-II, man-made, nicht abgrenzbar (auch „Komplexe Traumafolgestörung“,
„DESNOS – Disorder of extreme stress not otherwise specified“)
1. Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung
Epidemiologie der PTBS
• 50% Prävalenz nach Vergewaltigung
• 25% Prävalenz nach anderen Gewaltverbrechen
• 50% Prävalenz bei Kriegs-, Vertreibungss- und
Folteropfern
• 10% nach Verkehrsunfällen
• 10% nach schweren Organerkrankungen
(Herzinfarkt, Malignome)
• Lebenszeitprävalenz 1,5 – 2% (Deutschland)
1. Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung
Epidemiologie der PTBS
•
•
•
•
•
•
•
•
8-10% Lebenszeitprävalenz i. Allgemeinbevölkerung
25-40% Lebenszeitprävalenz bei Feuerwehrleuten
> 50% bei Rettungskräften, Polizisten, Ärzten
10% Lebenszeitprävalenz bei Frauen, 5% bei
Männern
Kinder und Jugendliche besonders vulnerabel
Durchschnittliche Beschwerdedauer 36 Monate mit
und 64 Monate ohne Behandlung
Wahrscheinlichkeit Chronifizierung 30%
Wahrscheinlichkeit Spontanremission 50%
1. Kennzeichen der Posttraumatischen Belastungsstörung
Überblick
1. Kennzeichen der Posttraumatischen
Belastungsstörung
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und
Substanzkonsum
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der
stationären Suchtrehabilitation
4. Zwei Fallbeispiele
5. Fazit
Traumatischer Prozeß:
1.
2.
3.
4.
Akute Belastungsreaktion (ICD-10: F43.0)
PTBS (ICD-10: F43.1)
Depressive Störung (ICD-10: F32 bzw. F33)
Suchterkrankung (ICD-10: F10.2, F12.2,
F13.2)
5. Andauernde Persönlichkeitsänderung n.
Extrembelastung (ICD-10: F62.0)
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
(aus: S3-Leitlinie PTBS, 2010)
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Komorbidität
Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine
spezifische Form einer Traumafolgestörung.
Verwandte Störungsbilder sind:
• Akute Belastungsreaktion ICD10: F 43.0
• Anpassungsstörung ICD10: F 43.2
• Andauernde Persönlichkeitsänderung nach
Extrembelastung ICD10: F 62.0
Weitere Traumafolgestörungen sind:
• Dissoziative Störungsbilder ICD10: F 44
• Somatoforme Schmerzstörung ICD10: F45.4
• Emotional Instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline)
ICD10: F 60.3
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Komorbidität
Weitere Störungen, bei denen traumatische
Belastungen maßgeblich mitbedingend sind:
•
•
•
•
•
Dissoziale Persönlichkeitsstörung ICD10: F 60.2
Essstörungen ICD10: F 50
Affektive Störungen ICD10: F 32, 33, 34
Substanzabhängigkeit ICD10: F 1x
Somatoforme Störungen ICD10: F 45
Weiterhin:
• Bindungsstörungen, Selbstverletzung, Suizidalität
Komorbide Störungen sind eher die Regel als die Ausnahme
40-70% der BPS-Patienten haben sexualisierte Gewalt in
der Kindheit erlebt
Prävalenz: Sucht und PTSD 25 – 55% (Selbstmedikationshypothese – Auswahl der Droge je nach modulierender
Wirkung)
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Sucht und Trauma:
Prävalenz von PTBS
Hoher Anteil an Gewalterfahrungen in der Kindheit:
•
Berichte von Frauen in stationärer Sucht-Reha:
53 % hatten körperliche Gewalt erlebt
34 % hatten sexuelle Gewalt erlebt
(Zenker et al., 2002)
•
Erhebung in stationärer Sucht-Reha:
39 % der Frauen
31 % der Männer
berichten über Gewalterfahrungen
(Kemmner et. al., 2004)
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
• Traumatisierungsrate bei Drogenabhängigen durch
sexuellen Missbrauch in der Kindheit:
Frauen: 50 – 60 %
Männer: 25 – 40 %
(Schäfer et al., 2000; Schmid, 2000)
• Akute PTBS bei alkoholabhängigen PatientInnen:
ca. 15 %
(Driessen et al., 2008)
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Leitsymptome der PTBS
• Sich aufdrängende, belastende Gedanken und
Erinnerungen (Intrusionen, Bilder, Alpträume,
Flashbacks), Erinnerungslücken (partielle
Amnesie)
• autonome Übererregung od. Hyperarousal
(Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrte
Reizbarkeit, Affektintoleranz,
Konzentrationsstörungen)
• Vermeidungsverhalten (traumassoziierte Stimuli)
• emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug,
Interesseverlust, innere Teilnahmslosigkeit)
=> Auftreten unmittelbar oder mit Verzögerung
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Wirkungen ausgewählter
psychotroper Substanzen:
F10 Alkohol
beruhigend, schlaffördernd, entspannend,
angstlösend, euphorisierend,
stimmungsverbessernd
F11 Opioide
schmerzstillend, euphorisierend, Entrücktsein von
der Welt, Schläfrigkeit
F12 Cannabinoide entspannend, beruhigend, euphorisierend,
Veränderungen im Denken
F13 Sedativa/Hypn. sedierend, dämpfend, schlaffördernd,
entängstigend, Verlangsamung
F14 Kokain
euphorisierend, antriebssteigernd
F15 Stimulanzien
euphorisierend, antriebssteigernd,
stimmungsverbessernd, leistungssteigernd,
F17 Tabak
euphorisierend, sedierend, antriebssteigernd,
Zunahme Stresstoleranz, beruhigend
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Folgestörungen nach sexuellem Missbrauch
(29 Langzeitstudien)
Störungen
OR
Schlafstörungen
Suizidversuche
Borderline-Störung
Angststörung
Sucht
Depressionen
Essstörungen
PTBS
16.1
4.1
3.1
3.0
2.7
2.7
2.7
2.3
Chen et.al (2010)
D. h. das Risiko, eine entsprechende Störung zu erleiden, ist nach
Erleben eines sexuellen Missbrauchs um den jeweiligen Faktor
erhöht
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Klinische Besonderheiten bei
traumatisierten Personen:
•
•
•
•
•
entwickeln in jüngeren Jahren eine Abhängigkeit
werden im weiteren Lebensverlauf häufiger Opfer von Gewalt
(„Abwärtsspirale“)
berichten mehr Suizidversuche
weisen höhere Komorbiditätsraten auf
haben mehr Vorbehandlungen (Krausz et al., 2002, Driessen et al.,
2008)
•
Behandlungsergebnisse von Patienten mit Sucht und PTBS
sind schlechter als die von Patienten mit alleiniger
Suchtdiagnose oder anderen Doppeldiagnosen (Ouimette et al.,
1999)
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Risikofaktoren (Persönlichkeit)
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
lange Dauer und schwere Stärke des Traumas
psychische Probleme schon vor dem Trauma
fehlende/s soziales Netzwerk/soziale Unterstützung
„mental defeat“ – sich aufgeben
fehlende Information bei professionellen Kräften
weitere Traumata
kritische Lebensereignisse
frühe Trennungen/Verluste
familiäre Vorbelastung mit traumatischen Ereignissen
jugendliches oder hohes Alter
niedriger sozioökonomischer Status
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Risikofaktoren (Ereignis):
•
•
•
•
•
•
•
•
intensive Bedrohung
wiederholtes Vorkommen
absichtlich herbeigeführt
unerwartetes Eintreten
keine Kontrolle
Hilfe bleibt aus
Irreversible Schäden/Verluste
Keine Hilfe
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Feststellungen:
1. Suchtpatienten weisen aufgrund ihrer besonderen
familiären, biografischen und störungsassoziierten
Vulnerabilität ein erhöhtes Traumatisierungsrisiko
auf.
2. Traumatisierungen stellen Entstehungs- und
aufrechterhaltende Bedingungen für eine
Suchtproblematik dar.
3. Traumatisierungen kommen bei Suchtkranken als
Folge bzw. Auswirkung des Suchtverlaufs häufiger
vor.
4. Suchtmittelwirkungen und Traumafolgesymptome
weisen eine hohe – dysfunktionale – Passung auf.
5. Traumatisierungen bzw. PTBS werden häufig
übersehen.
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und Substanzkonsum
Überblick
1. Kennzeichen der Posttraumatischen
Belastungsstörung
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und
Substanzkonsum
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der
stationären Suchtrehabilitation
4. Zwei Fallbeispiele
5. Fazit
Möglichkeiten der integrativen
stationären Behandlung
•
•
•
•
•
•
•
Klinikrahmen bietet: Schutz und Sicherheit, Auszeit vom
Alltag, Etablierung/Aufrechterhaltung von Abstinenz
Umfassende/differentielle medizinische und psychologische
Diagnostik möglich
Dichte und Auswahl passender therapeutischer
Methoden/Interventionen
zeitgleiche Behandlung von Sucht und PTBS
Begleitende Krisenintervention und Pharmakotherapie
Anwendung wirksamer integrativer Therapieprogramme
(z. B. Kognitive VT, „Seeking Safety“, EMDR)
Heranführung an Aktivität und Teilhabe durch Unterstützung
bei der beruflichen Reintegration
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Achtung: Übersehen einer PTBS … (1.) Symptom-/Problembezogen:
•
•
•
•
•
bei lange zurückliegender Traumatisierung (z.B. körperliche
und sexualisierte Gewalt bei Kindern, frühere Kriegserfahrungen)
bei klinisch auffälliger Komorbidität (Depression, Angst,
Somatisierung, Sucht, Dissoziation) bei unklaren, therapieresistenten Schmerzsyndromen (z.B.
somatoforme Schmerzstörung)
bei misstrauischen, feindseligen und emotional-instabilen
Verhaltensmustern (z.B. insbesondere bei
Persönlichkeitsstörungen)
bei medizinischen Eingriffen und Erkrankungen
(z.B.
Malignome, Patienten nach Intensivbetreuung, Problemgeburten)
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Achtung: Übersehen einer PTBS … (2.) Patientenbezogen:
•
•
•
•
Patienten bringen Symptome nicht in Zusammenhang mit
zurückliegenden Traumatisierungen
Patienten können sich schlecht als hilfsbedürftig definieren
Patienten haben im Erstkontakt Schwierigkeiten, sich mit
ihren Problemen mitzuteilen (Vertrauensverlust)
Patienten ist die Symptomatik als solche nicht bewusst (z.
B. bei dissoziativen Symptomen)
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
DIAGNOSTIK
•
•
•
•
IES (Impact of Event Scale): Selbstbeurteilungsverfahren mit guter bis
sehr guter Reliabilität und Konsistenz, deutsche Version: IES-R, erfasst
Häufigkeit posttraumatischer Symptome, revidierte Version gestattet im
Unterschied zur IES auch Erfassung von Hyperarousal. Verfahren kann
Verdacht auf PTBS überprüfen, weitere differenzialdiagnostische
Abklärung notwendig (=> Einsatz als Screening-Instrument)
SKID I (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV Achse I): Ein 20- bis
30-minütiges Interview erfasst die traumaspezifischen Symptomgruppen
und wird als ein sehr reliables und valides Instrument bewertet (Wittchen
et al. 1990).
FDS-20 (Fragebogen zur Feststellung Dissoziativer Symptome): 20
Fragen, Skalierung: 10-stufig, 0 -100, Auswertung: Summe der Punkte/20
=> Vergleichspopulationen. Aussage: Ausmaß an dissoziativen
Symptomen, erlaubt keine Diagnosestellung
Trauma-Landkarte: Zur Erfassung möglicher weiterer Traumatisierungen
können Patienten gebeten werden, die 10 belastendsten Lebensereignisse
aufzulisten, die nach Alter, wichtigen Lebensabschnitten und ggf.
zunehmendem Suchtmittelkonsum in einer Kurve skizziert werden können.
Es ergeben sich Anhaltspunkte für prämorbide oder retraumatisierende
Konstellationen.
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Das diagnostische Gespräch (1.)
Umfassende Diagnostik mit Erhebung folgender Daten:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Spontanabgaben
Symptomatik
Erfassung belastender und traumatischer Ereignisse
=> Traumalandkarte
Aus- u. Nachwirkungen auf aktuelle Situation
Komorbide Symptome
Salutogenetische Faktoren
Prätraumatischer Status
Gesamtsituation des Betroffenen
Aktuelle Lebenssituation
Aktuelle Gefährdungsfaktoren
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Das diagnostische Gespräch (2.)
Folgende Kriterien sind zu beachten:
•
•
•
•
•
•
•
•
Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung
Erhöhtes Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstbestimmtheit
Posttraumatische Symptome aktiv erfragen
Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene
berücksichtigen
Haltung einer „parteilichen Abstinenz“
Erklärungsmodell vermitteln und Psychoedukation =>
Entlastung
Aufklärung über zu erwartende Symptome bei akuter
Traumatisierung
Erstgespräch prognostisch relevant für weiteren Verlauf
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Indikation und Kontraindikation
Patienten setzen bezüglich ihrer Erkrankungen
unterschiedliche motivationale Schwerpunkte:
a)
b)
c)
d)
e)
Ambivalenz bezüglich der Veränderbarkeit der PTBSSymptome
Angst vor Impulsdurchbrüchen, Kontrollverlust, emotionalem
Schmerz, Schuld- und Schamgefühlen (Angst vor der
Erfahrung eines „Dammbruchs“)
Klar formulierter Wunsch nach weiterer Verdrängung bzw.
Ignoranz des Problems im Sinne eines (scheinbar)
erfolgreichen Bewältigungsmechanismus
Wunsch nach Symptomreduktion bzw. –auflösung
Erkenntnis aus Vorbehandlungen, dass Symptomvermeidung
oder -negation nur kurzfristige Bewältigungsansätze
darstellen. Hohe Veränderungsmotivation und Wissen um die
Notwendigkeit einer Traumakonfrontation.
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Behandlungsphasen
1. Stadium
Diagnostik, Stabilisierung, Aufbau einer tragfähigen
Arbeitsbeziehung und Ressourcenarbeit
2. Stadium
Umgang mit brisanten Affekten, Distanzierung von
belastendem Traumamaterial
3. Stadium
Traumasynthese, Integration und Trauerarbeit.
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Behandlungsansätze im
stationären Kontext:
•
•
•
•
•
•
Störungsspezifische Informations- und
Wissensvermittlung (Psychoedukation)
Behandlungsatmosphäre & Beziehungsgestaltung
Herstellung äußerer Sicherheit
Herstellung „innerer“ Sicherheit: Erlernen von
Symptomkontrolle
Einsatz traumakonfrontativer Verfahren
Weitervermittlung bzw. Nachbehandlung
Spezielle Aspekte:
•
Psychopharmakologische Begleitbehandlung
•
Traumabehandlung von russischsprachigen Patienten
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Stabilisierung und
Symptomkontrolle
• medizinische Stabilisierung
• soziale Stabilisierung
Opferschutz
Wohn-, Arbeits- und Einkommensverhältnisse
Distanzierung von schädigenden Kontakten
Herstellung unterstützender Kontakte
• (Re-)Aktivierung von Ressourcen
• psychische Stabilisierung
Vertrauensvolle therapeutische Beziehung
Vermittlung von Entspannungs- und Distanzierungstechniken
Umgang mit emotionalen/physiologischen Erregungszuständen
Symptomkontrolle und Selbstwirksamkeit (z. B. bei Flashbacks)
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Das Therapieprogramm „Sicherheit finden“
(Lisa M. Najavits):
5 Grundprinzipien:
1.
2.
3.
4.
5.
Sicherheit als oberste Priorität
Integrierte Behandlung von PTBS und Sucht
Die Betonung von Idealen und Werten
Der Ansatz der kognitiven Verhaltenstherapie
Berücksichtigung des therapeutischen Prozesses
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Das Therapieprogramm „Sicherheit
finden“ (Lisa M. Najavits):
Das Therapiemanual von Najavits umfasst 25
ausgearbeitete Themenbereiche inklusive Informations- und
Arbeitsblätter für Patienten und kann bedarfsorientiert
angewendet werden. Empfehlenswert sind bei kurzer
Therapiedauer oder als Programm einer Indikativen Gruppe
folgende Module:
Sichere Bewältigungsstrategien
PTBS: Die eigene Stärke zurückgewinnen
Distanzierung von emotionalem Schmerz
Wenn Substanzen Sie beherrschen
Um Hilfe bitten
Gut für sich sorgen
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Durchführung einer Traumakonfrontation
(nur nach sorgfältiger vorheriger Abklärung!)
1. Kognitiv-behaviorale Methoden (z. B. Pieper)
2. schonende Traumakonfrontation (z. B. Sack)
3. EMDR
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Behandlungsziele und
Behandlungsmaßnahmen
Behandlungsziele
Behandlungsmaßnahmen
STABILISIERUNGSPHASE
Aufbau einer tragfähigen
Arbeitsbeziehung
Förderung von Sicherheit und Vertrauen
Informationsvermittlung
Einzelgespräche, Einzelpsychotherapie,
Gruppenpsychotherapie „Wohngruppentherapie“
(soziales Lernen in der Wohngruppe),
Patientengruppe
Vorträge (Gesundheitsbildung), Lehrfilme
Ausgabe patientenzentrierter Ratgeber
Erwerb von Strategien zur
Spannungsreduktion
Sport- und Körpertherapie, Physiotherapeutische
Maßnahmen Entspannungsverfahren (AT, PMR,
Feldenkrais)
Erlernen von Distanzierungstechniken
Atemtechniken, Grounding-Übungen
IG Traumabewältigung („Sicherheit finden“)
IG Stabilisierung bei belastenden
Lebensereignissen
Erwerb von Imaginationstechniken (Einzel- und
Gruppenübungen)
Ausdauersport, Lauftraining, Fitnesstraining
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Behandlungsziele und
Behandlungsmaßnahmen
Behandlungsziele
Behandlungsmaßnahmen
IG Angstbewältigung
IG Depressionsbewältigung
IG Rückfallprävention
Projekt
Projekttag Trauerbewältigung
Projekttag Stressbewältigung
Projekttag Schmerzbewältigung
Ergotherapie (Malen, Ton- und Skulpturarbeiten)
Training sozialer Kompetenzen
IG Soziales Kompetenztraining
IG Berufliche Orientierung
IG Freizeitgestaltung (Patientengruppe)
Angehörigenseminare
Ergotherapie (projektzentrierte Arbeiten)
Gruppenpsychotherapie (Elemente aus
Therapieprogramm „Sicherheit finden“)
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Behandlungsziele und
Behandlungsmaßnahmen
Behandlungsziele
Behandlungsmaßnahmen
KONFRONTATIONSPHASE
- Einzelpsychotherapie
- Kognitive Verhaltenstherapie
- EMDR
- Stabilisierungsübungen
Auseinandersetzung mit dem Trauma
ABLÖSUNGSPHASE
Aufbau neuer Zukunftsperspektiven
Soziale und berufliche Reintegration
Einzelberatung zur beruflichen
Reintegration Sozialberatung (Wohnen,
Finanzen, Betreuung, etc.)
Einleitung von Nachsorgemaßnahmen
(z. B. ambulante oder stationäre
Traumatherapie, SHG, psychiatrische
Weiterbehandlung).
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der stationären Suchtrehabilitation
Überblick
1. Kennzeichen der Posttraumatischen
Belastungsstörung
2. Zusammenhänge zwischen Traumatisierung und
Substanzkonsum
3. Therapeutische Ansätze bei PTBS in der
stationären Suchtrehabilitation
4. Zwei Fallbeispiele
5. Fazit
1. Der Reitunfall
-
Reitlehrerein, 45 J.
12 Jahre v. Behandlung: Tödlicher Reitunfall einer Schülerin
PTBS mittlerer Ausprägung
Suchtproblematik, Trennung, soziale Vereinsamung
Diagnostik (prä):
SKID-PTBS erfüllt, IES = 39, SUD = 7, FDS = 8, BDI = 9.
Behandlung:
8 Wochen Einzelbehandlung, 14 Sitzungen, 4 EMDR-Beh.
Diagnostik (post):
SKID-PTBS n. erfüllt, IES = 0, SUD = 1, FDS = 0,5, BDI = 1.
Nach halbem Jahr:
Neue, stabile Partnerschaft, intensivierter, regelmäßiger Kontakt
zur Tochter, Aufnahme von Freizeitaktivitäten, berufliche Tätigkeit,
…
4. Zwei Fallbeispiele
2. Die Messerattacke
-
Sachbearbeiterin, 55 J.
2 Jahre v. Behandlung: Messerattacke durch damaligen
Lebensgefährten
PTBS
Suchtproblematik, Depression, sozialer Rückzug, diverse Angstund Paniksymptome
Diagnostik (prä):
SKID-PTBS erfüllt, IES = 75, SUD = 8, FDS = 28, BDI = 28.
Behandlung:
12 Wochen Einzelbehandlung, 15 Sitzungen, 7 EMDR-Beh.
Diagnostik (post):
SKID-PTBS n. erfüllt, IES = 10, SUD = 3, FDS = 10, BDI = 2.
Nach einem Jahr:
Problematische Partnerschaft beendet, wieder berufstätig,
neue Wohnung, positive u. regelmäßige soziale Kontakte
4. Zwei Fallbeispiele
FAZIT
1.
2.
3.
4.
5.
5. Fazit
Erforderlich ist eine achtsame Diagnostik und
Indikationsstellung, gemeinsame Auftrags- und
Zielklärung und ein respektvoller Umgang mit dem
individuellen Entwicklungstempo des Patienten/der
Patientin
Die stationäre Behandlungszeit ist (oft) nicht ausreichend,
sondern die Grundlage
Ggfs. umfassende Behandlungsplanung über die stationäre
Phase hinaus geboten
Falls erforderlich, rechtzeitige Einleitung von
Folgemaßnahmen
Zielsetzung: Mut machen, den begonnenen
Entwicklungsprozess fortzusetzen!
Der Psychiater Viktor E. Frankl wurde 1945 aus dem Konzentrationslager
befreit. Er verlor seine Ehefrau und seine gesamte Familie. Anschließend
verfasste er das Buch „... trotzdem Ja zum Leben sagen“:
„... man ... (kann) dem
Menschen alles nehmen ...,
nur nicht die letzte
menschliche Freiheit, sich
zu den gegebenen
Verhältnissen so oder so
einzustellen.“
(Viktor Frankl, 1977: „Trotzdem
Ja zum Leben sagen“)
„Viktor Frankl2“ von Prof. Dr. Franz Vesely. Lizenziert
unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Viktor_Frankl2.jpg
#/media/File:Viktor_Frankl2.jp
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