Fachbereich Mathematik Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg Kurzskriptum zur Vorlesung Analysis 1 WS 2013/14 Prof. Dr. Michael Fröhlich Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen 1.1 Aussagenlogik . . . . . . . . 1.2 Mengenlehre . . . . . . . . . 1.3 Die Zahlensysteme . . . . . 1.4 Komplexe Zahlen . . . . . . 1.5 Funktionen . . . . . . . . . . 1.6 Topologische Grundbegriffe . . . . . . 5 5 6 10 22 27 47 2 Folgen und Reihen 2.1 Konvergente Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 50 61 3 Grenzwerte und Stetigkeit 3.1 Definition der Stetigkeit von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Eigenschaften stetiger Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 64 67 4 Differentialrechnung 4.1 Definition der Differenzierbarkeit . . . . . . . . 4.2 Ableitungen elementarer Funktionen . . . . . . 4.3 Differentiationsregeln . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Kurvendiskussion und Extremwertaufgaben . 4.5 Mitterlwertsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Regeln von l’Hospital . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Newton’sches Iterationsverfahren . . . . . . . 4.8 Höhere Ableitungen und Taylor-Entwicklung . 69 69 71 72 77 84 87 89 91 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 3 Prof. Dr. Michael Fröhlich Fakultät Informatik und Mathematik OTH Regensburg Postfach 12 03 27 93 025 Regensburg [email protected] Tel.: +49 941/943-9786. Raum U 320, Sammelgebäude, Universitätsstraße 31. Sprechzeiten in der Vorlesungszeit: Montag, 17 - 18 Uhr, und nach Vereinbarung. Während der vorlesungsfreien Zeit nur nach Vereinbarung. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 4 Kapitel 1 Grundlagen 1.1 Aussagenlogik Für eine exakte Wissenschaft wie die Mathematik wird folgendes Formales System aufgebaut: 1. Eine Aussage ist die Beschreibung eines Sachverhaltes, von dem eindeutig entschieden werden kann, ob er wahr oder falsch ist. Die Gültigkeit einer Aussage kann durch einen Beweis erbracht bzw. bewiesen werden. 2. Wahre Aussagen, die ohne Beweis an den Anfang einer Theorie gestellt werden, heißen Axiome. 3. Aussagen, die aus den Axiomen folgen und bewiesen werden müssen, heißen Sätze bzw. Theoreme. Ein Axiomensystem muß folgende Kriterien erfüllen: 1. Widerspruchsfreiheit: Die aus den Axiomen hergeleiteten Aussagen müssen allgemeingültig sein. 2. Vollständigkeit: Es darf keine allgemeingültigen Aussagen geben, die nicht aus dem Axiomensystem hergeleitet sind. 3. Entscheidbarkeit: Es muß formal feststellbar sein, ob die hergeleiteten Ausdrücke wahr oder falsch sind. 4. Unabhängigkeit: Die Axiome müssen unabhängig sein, d.h. es darf sich kein Axiom aus einem anderen Axiom herleiten lassen. Allgemeine Beweisführung: Viele Sätze der Mathematik haben die Form ”Aus Aussage A folgt Aussage B” Diese Form nennt man eine Implikation und verwendet die Schreibweise A =⇒ B Aus der Richtigkeit des Satzes A =⇒ B ergibt sich i.a. nicht, daß A und B wahre Aussagen sind. Behauptet wird lediglich: Sobald die Richtigkeit von A verifiziert ist, ist auch B richtig. Man sagt A ist hinreichend für B, und B ist notwendig für A. 5 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 6 Beispiel für notwendig und hinreichend: ”Wenn es regnet, wird die Straße naß.” Die Aussage B :=”die Straße ist naß” ist notwendig für Aussage A := ”es regnet.” Aber B ist nicht hinreichend für A, da die Straße auch aus einem anderen Grund als Regen naß sein kann. Aus der Richtigkeit des Satzes A =⇒ B ergibt sich also i.a. nicht die Richtigkeit des Satzes B =⇒ A. Aber A =⇒ B ist gleichbedeutend mit ¬B =⇒ ¬A, wobei das Symbol ¬ vor einer Aussage die Verneinung der Aussage bedeutet. Wenn Aussage A notwendig und hinreichend für Aussage B ist, sagt man ”A und B sind äquivalent zueinander”und schreibt A ⇐⇒ B. Bemerkung: Man kann die Behauptung eines Satzes der Form A =⇒ B direkt oder indirekt beweisen oder widerlegen: Bei einem direkten Beweis ist die Aussage √ B aus der Aussage A durch logische Schlüsse herzuleiten.(Beispiel in Vorlesung bringen ab ≤ a+b 2 ) Beim indirekten Beweis oder Beweis durch Widerspruch leitet man aus der Annahme, daß Aussage B falsch ist, mit logischen Schlüssen ab, daß Aussage A auch falsch ist bzw. man konstruiert einen Widerspruch (Beispiel: Beweis, daß es unendlich viele Primzahlen gibt, Euklid.) Bei einer Widerlegung einer Behauptung reicht gegebenfalls die Angabe eines einzigen Gegenbeispiels: Die Negation einer Aussage der Form ”Für alle x gilt A(x)”lautet: ”Es existiert ein x für das A(x) nicht gilt.” 1.2 Mengenlehre Mengen und Elemente ”Unter einer Menge M verstehen wir jede Zusammenfassung von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen”(G.Cantor 1895) . Z.B. Zahlen oder andere unterscheidbare Objekte werden also in der Mathematik zu einer Menge zusammengefaßt. Die Objekte einer Menge heißen Elemente der Menge M mit den Schreibweisen: a ∈ M, a < M, M = {2, 3, 5, 7, 11} oder M = {x | x ist eine Primzahl ≤ 11}. Mit ∅ bzw. {} wird die leere Menge bezeichnet als diejenige Menge, die keine Elemente enthält. Die Reihenfolge der Elemente einer Menge spielt keine Rolle. Es ist daher {a, b, c} = {c, a, b}, und jedes Element einer Menge wird nur einmal aufgezählt, d.h. {a, b, b, c, c, c} = {a, b, c}. Unter einem geordneten Paar (a, b) versteht man die Zusammenfassung zweier Objekte a und b, wobei die Reihenfolge bedeutsam ist. Charakterisiert sind die geordneten Paare über die Definition ihrer Gleichheit: Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 7 (a, b) = (c, d) ⇐⇒ a = c und b = d. Man muß das geordnete Paar (a, b) von der Zweiermenge {a, b} genau unterscheiden. Für Mengen gilt stets {a, b} = {b, a}, während für geordnete Paare nur dann (a, b) = (b, a) ist, wenn a = b. Geordnete Paare können auch mengentheoretisch definiert werden (a, b) := {a, {a, b}}. Enthält M endlich viele Elemente, wird die Anzahl ihrer Elemente mit |M| als die Mächtigkeit von M bezeichnet. Definition von Teilmengen und Gleichheit zweier Mengen Eine Menge A heißt Teilmenge von einer Menge B, wenn alle Elemente von A in B enthalten sind, in Zeichen: A ⊆ B (Für alle x gilt x ∈ A =⇒ x ∈ B). A heißt echte Teilmenge von B, in Zeichen ist A ⊂ B, falls A eine Teilmenge von B ist und in B Elemente enthalten sind, die in A nicht vorkommen. Zwei Mengen A und B sind genau dann gleich, wenn sie die gleichen Elemente enthalten, d.h. A = B ⇐⇒ A ⊆ B und B ⊆ A. Definition der Potenzmenge Die Menge aller Teilmengen einer Menge M heißt Potenzmenge P(M) := {A | A ⊆ M}. Da für jede Menge M immer gilt ∅ ∈ P(M), folgt P(M) , ∅. Falls M endlich, gilt |P(M)| = 2|M| . Sei M = {a, b}. Dann gilt P(M) = {∅, {a}, {b}, {a, b}}. Durchschnitt und Vereinigung von Mengen Die Schnittmenge A∩B zweier Mengen A und B enthält genau diejenigen Elemente, die sowohl in A als auch in B enthalten sind: A ∩ B := {x | x ∈ A und x ∈ B}. Gilt A ∩ B = ∅, so heißen A und B zueinander disjunkte Mengen. Die Vereinigungsmenge A ∪ B zweier Mengen A und B enthält genau diejenigen Elemente, die in A oder in B, d.h. in mindestens einer der beiden Mengen enthalten sind: A ∪ B := {x | x ∈ A oder x ∈ B}. Sind A und B endliche Mengen, so ist auch A ∪ B endlich und |A ∪ B| = |A| + |B| − |A ∩ B|. Differenz und Komplement von Mengen Die Differenzmenge A \ B enthält alle Elemente aus A, die nicht in B enthalten sind: A \ B := {x | x ∈ A und x < B}. Betrachtet man die Menge A in einer Grundmenge Ω, so bilden diejenigen Elemente aus A, die nicht in Ω enthalten sind, das Komplement A von A in Ω: Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg A := {x | x ∈ Ω und x < A}. Für zwei Mengen A und B ist die symmetrische Differenz definiert durch: A∆B := (A \ B) ∪ (B \ A). 8 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 9 Seien A, B, C Mengen. Dann gelten die folgenden Grundgesetze der Mengenalgebra: 1. Kommutativgesetze A ∪ B = B ∪ A und A ∩ B = B ∩ A 2. Reflexivität A ∪ A = A = A ∩ A 3. Assoziativgesetze A ∪ (B ∪ C) = (A ∪ B) ∪ C und A ∩ (B ∩ C) = (A ∩ B) ∩ C 4. Distributivgesetze A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C) und A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C) 5. (A \ B) \ C = A \ (B ∪ C) 6. A ⊆ B ⇐⇒ A ∩ B = A ⇐⇒ A ∪ B = B ⇐⇒ A \ B = ∅. 7. A ∩ B = A ∪ B und A ∪ B = A ∩ B. (Gesetze von De Morgan) Anschaulicher Beweis mit sogenannten Venn-Diagrammen. Kartesisches Produkt von Mengen Das kartesische Produkt zweier nichtleerer Mengen A und B ist diejenige Menge, die aus den geordneten Paaren (a, b) besteht mit a ∈ A und b ∈ B: A × B := {(x, y) | x ∈ A und y ∈ B}. Die Anzahl der Elemente ergibt sich aus |A × B| = |A||B|, falls A, B endlich. I.a. gilt nicht das Kommutativgesetz, d.h. A × B , B × A. Bemerkung: Für A, B , ∅ gilt A × B = B × A genau dann, wenn (⇐⇒)A = B. Beweis: Die Äquivalenz folgt, wenn wir die beiden Implikationen A × B = B × A =⇒ A = B und A = B =⇒ A × B = B × A zeigen. Letztere Implikation folgt sofort. Beweis der ersten Implikation: Mit der Voraussetzung A × B = B × A ist zu zeigen A = B, d.h. zu zeigen A ⊆ B und B ⊆ A. Zu ”A ⊆ B”: Sei a ∈ A beliebig. Wähle ein b ∈ B mit (a, b) ∈ A × B. Da A × B = B × A , folgt (a, b) ∈ B × A und insbesondere a ∈ B. Da a beliebig aus A gewählt war, ist also A ⊆ B. Der Beweis für B ⊆ A verläuft analog mit derselben Argumentation. Beispiel für ein kartesisches Produkt: A = {1, 2}, B = {3, 4, 5}, A × B = {(1, 3), (1, 4), (1, 5), (2, 3), (2, 4), (2, 5)}. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 1.3 10 Die Zahlensysteme Bezeichnungen der Zahlenbereiche N = {1, 2, 3, 4, ...} Menge der natürlichen Zahlen N0 = {0, 1, 2, 3, 4, ...} Menge der natürlichen Zahlen mit 0 Z = {..., −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, ...} Menge der ganzen Zahlen p Q = { q | p ∈ Z und q ∈ Z \ {0}} Menge der rationalen Zahlen R Menge der reellen Zahlen - die Zahlengerade. R≥0 := {x ∈ R | x ≥ 0}, R>0 := {x ∈ R | x > 0}. R≤0 := {x ∈ R | x ≤ 0}, R<0 := {x ∈ R | x < 0}. I := R \ Q Menge der irrationalen Zahlen. C = {z | z = a + jb mit a, b ∈ R} Menge der komplexen Zahlen, wobei j als eine Lösung der quadratischen Gleichung z2 + 1 = 0 definiert ist, d.h. j2 = −1. Die Menge der komplexen Zahlen wird im nächsten Kapitel bzw. in der Vorlesung Lineare Algebra 2 genauer untersucht. Es gilt N ⊂ N0 ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C. Axiome der natürlichen Zahlen Die 5 Axiome von Peano für die Konstruktion von N: 1. Eins ist eine natürliche Zahl. 2. Zu jeder natürlichen Zahl gibt es genau einen Nachfolger, der wieder eine natürliche Zahl ist. 3. Es gibt keine natürliche Zahl, deren Nachfolger Eins ist. 4. Verschiedene natürliche Zahlen haben verschiedene Nachfolger 5. Enthält eine Teilmenge T von N die Zahl Eins und mit jeder natürlichen Zahl n auch deren Nachfolger n + 1, so gilt T = N. Auf dem 5. Peano-Axiom beruht das Beweisverfahren der vollständigen Induktion: Um die Richtigkeit einer von n ∈ N abhängigen Aussage A(n) für alle n ∈ N zu beweisen, zeigt man 1. A(1) ist richtig (Induktionsanfang) 2. Unter der Induktionsvoraussetzung, daß für ein beliebiges n ∈ N die Aussage A(n) richtig ist, ist auch A(n + 1) richtig (Induktionsschritt). Wohlordnungsprinzip in N: Jede nichtleere Teilmenge von N besitzt ein Minimum (kleinstes Element). Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 11 Axiome der reellen Zahlen 1. Kommutativgesetze bzgl. Addition und Multiplikation: a + b = b + a und ab = ba für alle a, b ∈ R. 2. Assoziativgesetze bzgl. Addition und Multiplikation: (a+b)+c = a+(b+c) und (ab)c = a(bc) für alle a, b, c ∈ R. 3. Distributivgesetz: a(b + c) = ab + ac und (a + b)c = ac + bc für alle a, b, c ∈ R. 4. Für alle a ∈ R ist 0 + a = a und 1 · a = a. 0 heißt das neutrale Element von R bzgl. der Addition, und 1 heißt das neutrale Element von R bzgl. der Multiplikation. 5. Für alle a ∈ R existiert genau ein −a ∈ R mit a + (−a) = 0, und für alle a ∈ R \ {0} existiert genau ein a−1 ∈ R mit a · a−1 = 1 . −a heißt das inverse Element zu a bzgl. der Addition, und a−1 heißt das inverse Element zu a bzgl. der Multiplikation. Definitionen von Potenzen: Für alle a ∈ R und alle n ∈ N ist die Potenz von a induktiv definiert durch: a0 := 1 und an := an−1 a, d.h. an := a · ... · a. | {z } n n mal := = für a , 0. n heißt Exponent. a−n (a−1 )n 1 a Potenzrechenregeln: Es gelten für alle a, b ∈ R und m, n ∈ N die folgenden Potenzrechenregeln 1. am an = am+n . 2. an bn = (ab)n . 3. an bn = ( ba )n für b , 0. 4. an am = an−m für a , 0. 5. (am )n = anm = (an )m . Anwendung von: (a3 b3 )2 a6 b6 (ab)6 ab = 6 = 6 = 6 c c c c !6 . Als Abkürzung für Summen und Produkte führt man folgende Notation ein: Für die Summe der Zahlen am , am+1 , ..., an ∈ R mit m, n ∈ N0 und m ≤ n schreibt man n X k=m ak := am + am+1 + ... + an . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 12 Für das Produkt der Zahlen am , am+1 , ..., an ∈ R mit m, n ∈ N0 m ≤ n schreibt man n Y ak := am · am+1 · ... · an . k=m Zu jedem n ∈ N definiert man n! := 1 · 2 · ... · n = n Q k (Fakultät von n) und 0! := 1. k=1 Beispiele der Produkt - und Summennotation: 6 P (k + 1) = 3 + 4 + 5 + 6 + 7 = 25. k=2 3 Q (2k + 1) = 1 · 3 · 5 · 7 = 105. k=0 4! = 1 · 2 · 3 · 4 = 24. Beispiel (Beweis durch vollständige Induktion): Für alle n ∈ N gilt n P k=1 k = 12 n(n + 1) (Aussage A(n)) Beweis durch vollständige Induktion. Induktionsanfang: Die Richtigkeit von A(1) folgt unmittelbar. Induktionsschritt von n auf n + 1: Sei n ∈ N beliebig und A(n) richtig (Induktionsvoraussetzung (IV)). Dann gilt: n+1 P k=1 k= n P k=1 (IV) 1 2 n(n k + (n + 1) = + 1) + (n + 1) = 21 (n + 1)(n + 2), und A(n + 1) ist richtig. Anwendung: Wie groß ist die Summe der Zahlen 1 bis 100? (Der kleine Gauss) Die Definition eines geordneten Paares aus (1.1) kann man induktiv auf sogenannte n-Tupel erweitern: Für alle n ∈ N≥3 definiert man (a1 , a2 , ..., an ) := ((a1 , a2 , ..., an−1 ), an ). Diese Objekte heißen n-Tupel oder einfach Tupel. Mittels vollständiger Induktion kann man zeigen, daß zwei n-Tupel genau dann gleich sind, wenn sie in allen Komponenten übereinstimmen. Unter einer n-stelligen Permutation versteht man die Anordnung einer Menge M mit n Elementen. Beispielsweise sind (cba) und (acb) zwei verschiedene Permutationen der Menge M = {a, b, c}. Satz (Permutationen einer endlichen Menge) Die Anzahl aller n-stelligen Permutationen einer n-elementigen Menge ∅ , M = {a1 , a2 , ..., an } ist n!. Beweis durch vollständige Induktion. Induktionsanfang: Für n = 1 ist M = {a1 }, und insbesondere gibt es genau eine 1-stellige Permutation von M. Da 1 = 1!, folgt die Behauptung. Induktionsschritt von n auf n + 1: Sei die Behauptung richtig für ein beliebiges n ∈ N (IV). Dann ist zu zeigen, daß die Anzahl aller (n+1)-stelligen Permutationen einer n+1-elementigen Menge M = {a1 , a2 , ..., an+1 } gleich (n + 1)! ist. Dazu betrachten wir a1 ∈ M und dessen mögliche Positionen in den (n + 1)-stelligen Permutationen von M: a1 kann an n + 1 verschiedenen Positionen stehen, und für die verbleibenden n Elemente gibt es nach (IV) n! verschiedene Permutationen. Insgesamt gibt es daher (n + 1)n! = (n + 1)! verschiedene Permutationen in M. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 13 Satz: Die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge ist n! . k!(n − k)! Beweis mit vollständiger Induktion nach n: Für n = 1 ist die Gültigkeit leicht zu sehen. Induktionsschritt von n nach n + 1: Sei A eine k-elementige Teilmenge der (n + 1)-elementigen Menge {m1 , ..., mn , mn+1 } und M = {m1 , ..., mn }. n! Ist mn+1 < A, so folgt A ⊆ M, und nach (IV) gibt es für A genau k!(n−k)! Möglichkeiten. Ist 0 0 mn+1 ∈ A, so hat A die Form A = A ∪ {mn+1 }, und A ist eine (k − 1)-elementige Teilmenge von M. Insbesondere gibt es nach (IV) genau n! 0 (k−1)!(n−(k−1))! Möglichkeiten für A und damit A. Also insgesamt n!(n + 1) (n + 1)! n! n! + = = k!(n − k)! (k − 1)!(n − (k − 1))! k!(n + 1 − k)! k!(n + 1 − k)! Möglichkeiten für A. Anwendung: Chance auf 6 Richtige beim Lotto ”6 aus 49” ist etwas über 1 zu 14 Millionen, denn gemäß (2.2.4) ist die Anzahl der 6-elementigen Teilmengen einer 49-elementigen Teilmenge gleich 49! 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44 = = 13.983.816. 6!43! 1·2·3·4·5·6 Für k, n ∈ N mit 0 ≤ k ≤ n bezeichnet man die Zahl ! n n! := k k!(n − k)! als Binomialkoeffizient, und man spricht ”n über k”. Bemerkung: Es gilt für alle k, n ∈ N0 mit k ≤ n ! ! n n = und k n−k ! ! ! n+1 n n = + . k k k−1 Letztere Gleichung zeigt, daß man die Binomialkoeffizienten geschickt zu einem ”Dreieck”anordnen kann - das sogenannte Pascalsche Dreieck: Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg Satz: (Binomischer Satz, Binomische Formel). Für alle a, b ∈ R und alle n ∈ N0 gilt: ! n X n n−k k (a + b) = a b. k n k=0 Anwendungsbeispiele: Mit Hilfe des Pascalschen Dreiecks folgt: (x + y)4 = 1 · x4 y0 + 4x3 y1 + 6x2 y2 + 4x1 y3 + 1 · x0 y4 = x4 + 4x3 y + 6x2 y2 + 4xy3 + y4 . (x + y)7 = x7 + 7x6 y + 21x5 y2 + 35x4 y3 + 35x3 y4 + 21x2 y5 + 7xy6 + y7 . 14 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 15 Darstellungen von Zahlen mit B-adischen Systemen Man unterscheidet zwei Systeme zur Darstellung von Zahlen: Das Additionssystem (z.B. römische Zahlen) und das Stellen - und Positionssystem. Bei Letzterem benötigt man eine natürliche Zahl B als Basiszahl, und man benötigt B Variablen zi ∈ {0, 1, 2, ..., B − 1}, auch Ziffern genannt. Dann hat jede natürliche Zahl n genau eine B-adische Darstellung n= m X zi Bi . i=0 1. Binär - oder Dualsystem: 1101001 = 1 · 26 + 1 · 25 + 0 · 24 + 1 · 23 + 0 · 22 + 0 · 21 + 1 · 20 = 105 ist das System mit kleinster Basis B = 2 und Ziffern 0,1. 2. Dezimalsystem: 45.331 = 4 · 104 + 5 · 103 + 3 · 102 + 3 · 101 + 1 · 100 ist das System mit Basis B = 10 und Ziffern 0,1,2,3,4,5,6,7,8,9. 3. Hexadezimalsystem: EA43023 = 15 · 166 + 10 · 165 + 4 · 164 + 3 · 163 + 0 · 162 + 2 · 161 + 3 · 160 = 262.182.467 ist das System mit mit Basis B = 16 und Ziffern 0,1,2,3,4,5,6,7,8,9,A,B,C,D,E,F. Ungleichungen und Anordnungsrelationen Um die Zahlen aus R auf einer Zahlengeraden darstellen zu können, braucht man Relationen zwischen den Zahlen, und wir verwenden im Folgenden die Relationssymbole: 1. = ”gleich”, 2. ≥ ”größer gleich”, 3. ≤ ”kleiner gleich”, 4. ,”ungleich”, 5. < ”kleiner”, 6. > ”größer” Bemerkung: Für die komplexen Zahlen C sind obige Relationen nicht verwendbar. Das Rechnen mit Ungleichungen ist genauso wichtig wie das Rechnen mit Gleichungen und beruht auf den sogenannten Anordnungsaxiomen: In R sind gewisse Elemente als positiv ausgezeichnet (Schreibweise: x > 0), so daß folgende Anordungsaxiome erfüllt sind: 1. Für jedes x ∈ R gilt genau eine der drei Relationen (Trichonometrie) (a) x > 0 (b) x = 0 (c) −x > 0. 2. Sind x > 0 und y > 0, so folgt x + y > 0 für alle x, y ∈ R. 3. Sind x > 0 und y > 0, so folgt xy > 0 für alle x, y ∈ R. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 16 Zusammengefaßt bedeuten die Axiome, daß Summe und Produkt positiver Zahlen wieder positiv ist. Definition: Man setzt x > y, falls x − y > 0 gilt. x ≥ y bedeutet x > y oder x = y. Statt x > y (bzw. x ≥ y) schreibt man auch y < x (bzw. y ≤ x). Diese drei Axiome liefern wichtige Folgerungen für den Umgang mit den reellen Zahlen: 1. x < 0 ⇐⇒ −x > 0. 2. x < y und y < z =⇒ x < z (Transitivität). 3. Aus x < y und a ∈ R folgt a + x < a + y. 4. Aus x < y und a > 0 folgt ax < ay. 5. Aus x < y und x0 < y0 folgt x + x0 < y + y0 . 6. Aus 0 ≤ x < y und 0 ≤ a < b folgt ax < by. 7. Aus x < y und a < 0 folgt ax > ay. 8. Für alle x , 0 gilt x2 > 0. 9. Für x > 0 gilt x−1 > 0, und für x < 0 gilt x−1 < 0. 10. Aus 0 < x < y folgt x−1 > y−1 . 11. Es gilt 1 > 0. Bemerkung: Es kann also alles auf den Begriff des positiven Elements zurückgeführt werden. Beispiel einer Ungleichung: Gesucht ist die Lösungsmenge aus R der Ungleichung −6 ≤2: 1+x Fallunterscheidung a) 1 + x > 0 und b) 1 + x < 0. Im Fall a) gilt x > −1 und −6 ≤ 2(1 + x) = 2 + 2x bzw. x ≥ −4. Es folgt in diesem Fall die Lösungsmenge {x ∈ R | x > −1}. Im Fall b) gilt x < −1 und −(x + 1) > 0 und −6 6 = ≤ 2 bzw. 6 ≤ −(1 + x)2 1 + x −(1 + x) und daher x ≤ −4. Es folgt in diesem Fall die Lösungsmenge {x ∈ R | x ≤ −4}. Insgesamt ist die Lösungsmenge {x ∈ R | x ≤ −4 oder x > −1}. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 17 Definition Maximum, Minimum: Ist M ⊂ R, dann heißt eine reelle Zahl c Maximum von M, in Zeichen max M, falls gilt 1. c ∈ M. 2. Für alle x ∈ M ist x ≤ c. Völlig analog definiert man das Minimum von M, in Zeichen min M. Bemerkung: Jede Teilmenge M ⊂ R hat höchstens ein Maximum und Minimum, d.h. die Bezeichnungen max M und min M sind sinnvoll. Definition obere und untere Schranke: Ist M ⊂ R, dann heißt eine reelle Zahl s obere (bzw. untere) Schranke von M, falls für alle x ∈ M gilt x ≤ s (bzw. x ≥ s). Bemerkungen: Ist s eine obere (bzw. untere) Schranke von M, dann ist auch jede größere (kleinere) Zahl s0 obere (untere) Schranke von M. Besitzt M ein Maximum c, dann ist c obere Schranke von M und offensichtlich das Minimum in der Menge der oberen Schranken von M. Definition der Beschränktheit einer Menge: Eine Menge M ⊆ R heißt nach oben (bzw. nach unten ) beschränkt, falls M eine obere (untere) Schranke besitzt. Die Menge M ⊆ R heißt beschränkt, wenn sie sowohl nach oben als auch nach unten beschränkt ist. Vollständigkeitsaxiom: Jede nichtleere nach oben beschränkte Menge M reeller Zahlen besitzt eine kleinste obere Schranke, d.h. es gibt ein s0 ∈ R mit 1. Für alle x ∈ M ist x ≤ s0 (s0 ist obere Schranke) 2. Für jede obere Schranke s von M gilt s0 ≤ s. Bemerkungen: Die kleinste obere Schranke einer nichtleeren nach oben beschränkte Menge M reeller Zahlen ist eindeutig bestimmt und wird mit sup M bezeichnet (Supremum von M). Sie kann zu M gehören oder auch nicht. Ist M ⊂ R nach oben beschränkt, dann ist die am Nullpunkt gespiegelte Menge −M := {x ∈ R | −x ∈ M} nach unten beschränkt, und es ergibt sich: Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 18 Folgerung: Ist M eine nichtleere nach unten beschränkte Menge reeller Zahlen, dann besitzt M eine eindeutig bestimmte größte untere Schranke, für die die Bezeichnung inf M (Infimum von M) verwendet wird. Ist M eine nichtleere Menge reeller Zahlen, die ein Maximum bzw. ein Minimum besitzt, dann ist max M = sup M ∈ M bzw. min M = inf M ∈ M. Existieren umgekehrt sup M bzw. inf M und gilt sup M ∈ M bzw. inf M ∈ M, dann ist sup M = max M bzw. inf M = min M . Satz (-Charakterisierung von inf und sup) Ist s0 ∈ R eine obere (untere) Schranke der nichtleeren Menge M ⊂ R, dann ist s0 = sup M (s0 = inf M) genau dann, wenn es zu jedem ∈ R>0 ein x ∈ M gibt mit s0 − < x (bzw. x < s0 + ) gibt. Wir werden sehen, daß das Vollständigkeitsaxiom die rationalen Zahlen von den reellen Zahlen unterscheidet. Die rationalen Zahlen bilden ebenfalls einen angeordneten Körper, in dem aber die Gleichung r2 = 2 keine Lösung hat, d.h. es gibt keine rationale Zahl r mit r2 = 2. Schlagwort: √ 2 ist irrational. Wir zeigen als Anwendung des Vollständigkeitsaxioms, daß es zu jeder nicht negativen reellen Zahl a eine eindeutig bestimmte nicht negative √ Zahl x gibt mit x2 = a. x heißt die Quadratwurzel aus a und wird mit a bezeichnet. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 19 Archimedisches Axiom bzw. archimedische Eigenschaft von R: N ist nach oben nicht beschränkt, d.h.zu jeder reellen Zahl x gibt es eine natürliche Zahl n mit n > x. Korollar: Zu jeder reellen Zahl x gibt es genau eine ganze Zahl z mit z ≤ x < z+1 (Schreibweise bxc := z). Beweis: Falls x ≥ 0, wähle z ∈ N0 minimal mit x < z + 1. Es folgt z ≤ x < z + 1. Falls x < 0, ist −x > 0, und analog wie im 1.Fall existiert ein z ∈ N0 mit z ≤ −x < z + 1. Es folgt −(z + 1) < x ≤ −z. Falls x < −z, erfüllt −(z + 1) die Behauptung. Falls x = −z, gilt −z ≤ x < −z + 1, und −z erfüllt die Behauptung. Satz von Eudoxos: Zu jeder reellen Zahl a > 0 und jedem b ∈ R gibt es eine natürliche Zahl n mit na > b. Folgerung: Für alle > 0 existiert ein n ∈ N mit n > 1 . Bemerkung:Das Archimedische Axiom und der Satz von Eudoxos bedeuten, daß der Körper R archimedisch angeordnet ist. Es gibt angeordnete Körper, die nicht archimedisch angeordnet sind, und aus der archimedischen Eigenschaft der reellen Zahlen folgt, daß zwischen je zwei reellen Zahlen stets eine (und damit auch unendlich viele) rationale Zahlen liegen, man sagt Q liegt dicht in R. Sind a, b ∈ R, dann gibt es im Intervall ]a, b[ sowohl rationale als auch nicht rationale (irrationale) Zahlen. Hieraus folgt: Für jedes x ∈ R und > 0 gibt es ein q ∈ Q mit |x − q| < . Satz Division mit Rest: Zu einer ganzen Zahl z und einen natürlichen Zahl n existieren eindeutig bestimmte ganze Zahlen q und r mit z = nq + r, 0 ≤ r < q. r heißt der reduzierte Rest modulo n. Der vorangehende Satz ist ein fundamentaler Satz der elementaren Zahlentheorie. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 20 Der Absolutbetrag einer Zahl x ∈ R ist definiert als x für x ≥ 0 |x| := . −x für x < 0 Es folgen aus der Definition des Absolutbetrags für alle x, y ∈ R die folgenden Relationen: 1. |x| = | − x|. 2. |x| ≥ 0 und |x| = 0 ⇐⇒ x = 0. 3. |xy| = |x||y| ( und | xy | = |x| |y| , falls y , 0). 4. |x + y| ≤ |x| + |y| (Dreiecksungleichung) und ||x| − |y|| ≤ |x − y|. Anwendung des Absolutbetrags: Gesucht ist die Lösungsmenge der Gleichung |x − 2| = 2x − 1: Fallunterscheidung a) x − 2 ≥ 0 und b) x − 2 < 0 Im Fall a) gilt 2x − 1 = |x − 2| = x − 2, und es folgt x = −1 im Widerspruch zu x ≥ 2. Im Fall b) gilt 2x − 1 = |x − 2| = −x + 2, und es folgt x = 1, also Lösungsmenge {1}. Exkurs: Die erweiterte Zahlengerade und Operationen mit +∞, −∞ Indem wir die Symbole −∞ und +∞ hinzufügen (statt +∞ schreiben wir häufig einfach ∞), definieren wir die sogenannte erweiterte Zahlengerade R := R ∪ {−∞, +∞}. Die Menge R besitzt zwar von Haus aus weder eine algebraische noch eine Ordnungsstruktur, läßt sich aber zu einer geordneten Menge machen, indem man die übliche Ordnung von R durch die Festsetzung −∞ < x < +∞ für alle x ∈ R ergänzt. Neben R werden auch die folgenden neuen Intervalltypen von Interesse sein: [0, +∞] := [0, +∞[∪ {+∞} und [−∞, 0] :=] − ∞, 0] ∪ {−∞} . Die Rechenverknüpfungen zwischen reellen Zahlen und den Symbolen −∞ und +∞ definieren wir wie folgt, wobei wir jeweils auch die Kommutativität der Summen- und Produktbildung voraussetzen: a + ∞ := +∞, a + (−∞) := −∞ x x := := 0 ∀a ∈ R; +∞ −∞ Diese naheliegenden Definitionen ergänzen wir noch durch: +∞ + ∞ := +∞ − ∞ − ∞ := −∞ +∞ für a > 0, a · (+∞) := 0 für a = 0, . −∞ für a < 0 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 21 −∞ für a > 0, a · (−∞) := 0 für a = 0, . +∞ für a < 0 (−∞) · (−∞) := +∞; (+∞) · (+∞) := +∞, (+∞) · (−∞) := −∞. Es wäre nun ein Trugschluß zu glauben, daß die geordnete Menge R durch diese Rechenoperationen ein geordneter Körper würde. R ist nämlich nicht einmal ein Körper. Dies erkennt man daran, daß in R verschiedene Verknüpfungen (wie etwa +∞ + (−∞)) nicht erklärt sind und daß weder das Assoziativ - noch das Distributivgesetz der Multiplikation gilt. Eins der Vorteile von R gegenüber R ist, daß in R jede Teilmenge beschränkt ist, denn −∞ ist für jede Teilmenge untere Schranke und +∞ ist für jede Teilmenge obere Schranke. Darüberhinaus besitzt in R jede Teilmenge sowohl Infimum als auch Supremum. Ist eine Teilmenge A aus R etwa nach oben (unten) unbeschränkt, so definiere supA := +∞ (infA := −∞). sup R = +∞ inf ∅ = +∞ Ferner setzen wir inf R = −∞ sup ∅ = −∞. Definition von Intervallen: Lösungen von Ungleichungen werden im allgemeinen als Intervalle angegeben, und man unterscheidet für a, b ∈ R mit a ≤ b die folgenden Fälle der Intervallänge b − a: 1. (a, b) := {x ∈ R | a < x < y} offenes Intervall 2. [a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < y} rechtsseitig halboffenes Intervall 3. (a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ y} linksseitig halboffenes Intervall 4. [a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ y} geschlossenes Intervall Desweiteren gibt es mit ∞ := ”unendlich” unbeschränkte Intervalle der Form (−∞, a) := {x ∈ R | a > x} (−∞, a] := {x ∈ R | a ≥ x} (a, +∞) := {x ∈ R | a < x} [a, +∞) := {x ∈ R | a ≤ x}. Definition der -Umgebung: Sei > 0 und r ∈ R. Dann wird U (r) := (r − , r + ) als -Umgebung von r bezeichnet. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 1.4 22 Komplexe Zahlen Einführung Die historische Entwicklung der komplexen Zahlen stellt sich wie folgt dar: 1545 Einführung komplexer Zahlen zur Lösung quadratischer Gleichungen, G. Cardano 1748 Einführung der imaginären Einheit i mit i2 = −1, L. Euler 1811 Einführung der komplexen Zahlenebene, C.F. Gauß 19 Jhdt. Entwicklung der Theorie komplexer Funktionen (Funktionentheorie) Der Anlaß für die Einführung komplexer Zahlen war die Tatsache, daß die Gleichung x2 + 1 = 0 √ in R keine Lösung besitzt, da −1 in R nicht definiert ist. Die sauberste mathematische Definition für die Menge C der komplexen Zahlen ist die Einführung von C als Erweiterungskörper von R. Dazu werden zunächst die Begriffe Gruppe und Körper definiert: Definition Gruppe: Eine Gruppe ist ein Paar (G, ◦), bestehend aus einer nichtleeren Menge G und einer Abbildung ◦ : G × G → G, (a, b) 7→ a ◦ b mit folgenden Eigenschaften (Gruppenaxiome): G1 G2 (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c) für alle a, b, c ∈ G (Assoziativgesetz). Es existiert ein e ∈ G (neutrales Element in G) mit folgenden Eigenschaften: G2a e ◦ g = g für alle g ∈ G G2b Für alle g ∈ G existiert ein g∗ ∈ G (inverses Element zu g) mit g∗ ◦ g = e. Eine Gruppe (G, ◦) heißt abelsch, falls außerdem noch gilt: a ◦ b = b ◦ a für alle a, b ∈ G. Falls klar ist, welche Verknüpfung ◦ eine Menge G zu einer Gruppe macht, schreibt man auch kurz G statt (G, ◦). Für a ◦ b schreibt man meist nur ab. G1 = (R, +) und G2 = (R \ {0}, ·) sind z.B. abelsche Gruppen. Das neutrale Element von G1 ist 0, und das inverse Element zu r ∈ G1 ist −r. Das neutrale Element von G2 ist 1, und das inverse Element zu r ∈ G2 ist 1r . Definition Körper: Ein Körper ist ein Tripel (K, +, ·), bestehend aus einer nichtleeren Menge K und zwei Abbildungen +, · : K × K → K, (a, b) 7→ a + b bzw. (a, b) 7→ a · b (Addition und Multiplikation) mit folgenden Eigenschaften (Körperaxiome): Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 23 K1 (K, +) ist eine abelsche Gruppe. (Ihr neutrales Element wird mit 0 bezeichnet, das zu k ∈ K inverse Element mit −k.) K2 Die Multiplikation von K läßt sich auf K∗ := K \ {0} beschränken (d.h. für alle a, b ∈ K∗ ist auch a · b ∈ K∗ ), und K∗ mit der so erhaltenen Multiplikation ist eine abelsche Gruppe. (Ihr neutrales Element wird mit 1 bezeichnet, das zu k ∈ K∗ inverse Element mit k−1 .) K3 a · (b + c) = (a · b) + (a · c) und (a + b) · c = (a · c) + (b · c) für alle a, b, c ∈ K (Distributivgesetz). Falls klar ist, welche Verknüpfungen +, · eine Menge K zu einem Körper machen, schreibt man auch kurz K statt (K, +, ·). Für a + (−b) schreibt man a − b, und für a · b−1 schreibt man ba . (R, +, ·) ist z.B. ein Körper. Definition des Körpers C der komplexen Zahlen: Die Menge R2 aller reellen Zahlenpaare zusammen mit den Verknüpfungen ⊕ : R2 × R2 → R, (x, y), (u, v) 7→ (x + u, y + v) und : R2 × R2 → R, (x, y), (u, v) → 7 (xu − yv, xv + yu) bildet einen Körper und heißt Körper C der komplexen Zahlen (Beweis Übungsaufgabe). Bemerkungen: 1. In C gelten allgemein für R hergeleitete Rechenregeln wie z.B. der binomische Lehrsatz oder die geometrische Summenformel. 2. Der Körper R wird in C eingebettet durch die Identifikation von (x, 0) ∈ C mit x ∈ R. 3. Da (0, 1)2 = (0, 1)(0, 1) = (−1, 0), ergibt sich die naheliegende Definiton für die imaginäre Einheit i ∈ C: i := (0, 1). 4. Für z ∈ C definiert man die Normaldarstellung x + iy := (x, 0) ⊕ ((0, 1) (y, 0)) = (x, y) = z. Arithmetische Eigenschaften Definitionen: Es sei z = x + iy ∈ C mit x, y ∈ R. Dann heissen 1. Re(z) := x und Im(z) := y Real- und Imaginäranteil von z. p 2. |z| := x2 + y2 der Betrag von z. 3. z := x − iy die zu z konjugiert komplexe Zahl. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg Beispiele: Für w := −2 + 6i und z := 3 + 2i gilt 1. w + z = (−2 + 6i) + (3 + 2i) = 1 + 8i w · z = (−2 + 6i) · (3 + 2i) = −6 − 4i + 18i + 12i2 = −6 + 14i − 12 = −18 + 14i. 2. 1 −2 − 6i −2 − 6i 1 3 1 = = = =− − i w −2 + 6i (−2 + 6i)(−2 − 6i) 4 + 36 20 20 √ √ |z| = 32 + 22 = 13 w = −2 − 6i. Satz (Rechenregeln für Betrag und Kunjugation) Für w, z ∈ C gilt: 1. w + z = w + z, w · z = w · z, z = z. Im(z) = − z). 2. Re(z) = 12 (z + z), 1 2i (z 3. |z| = 0 ⇐⇒ z = 0. 4. |w · z| = |w| · |z|, |z|2 = z · z. 5. |w + z| ≤ |w| + |z|. (Dreiecksungleichung) 6. |w + z| ≥ ||w| − |z||. 7. Für alle x, y, u, v ∈ R gilt: |xu + yv| ≤ (x2 + y2 )(u2 + v2 ). (Cauchy-Schwarsche Ungleichung) 24 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 25 Geometrische Eigenschaften Die geometrische Interpretation komplexer Zahlen ist in der Gausschen Zahlenebene möglich. Bemerkungen zur obigen Abbildung: 1. z wird wie ein Ortsvektor dargestellt. 2. |z| beschreibt den Abstand von z zum Ursprung. 3. z ist an der reellen Achse zu z gespiegelt. 4. w + z entsteht durch Vektoraddition. 5. |w + z| ≤ |w| + |z| entspricht anschaulich der Dreiecksungleichung: längste Seite ist kleiner gleich der Summe der übrigen beiden Seiten. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 26 Beschreibungen von Punktmengen in der komplexen Ebene: Beispiele: 1. Die Menge M := {z ∈ C | |z| = |z − i|} besteht genau aus den Punkten der komplexen Zahlenebene, die vom Nullpunkt (0, 0) und i denselben Abstand haben, d.h. die sich auf der Mittelsenkrechten zwischen (0, 0) und (i, 0) befinden. Man zeige als Übungsaufgabe, daß gilt M = {z ∈ C | Im(z) = 21 }. 2. Die Menge Br (m) := {z ∈ C | |z−m| < r} beschreibt eine offene Kreisscheibe mit Mittelpunkt m und Radius r, und ∂Br (m) := {z ∈ C | |z−m| = r} beschreibt den Rand dieser Kreisscheibe. 3. M := {z ∈ C | |z − (i + 1)| ≤ 1} beschreibt eine abgeschlossene Kreisscheibe. 4. M := {z ∈ C | r < |z − m| ≤ R} beschreibt einen Kreisring. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 27 5. M := {z ∈ C | 1 ≤ |z| ≤ 2, Re(z) ≥ Im(z)} beschreibt einen abgeschlossenen Kreisscheibensektor. 1.5 Funktionen Definition einer Funktion: Sei D ⊆ R und W ⊆ R. Eine reellwertige Funktion f ist eine Zuordnungsvorschrift f : D −→ W, die jedem Element x ∈ D eindeutig bzw. wohldefiniert genau ein Element y := f (x) in W zuordnet. Man schreibt x 7−→ f (x) und bezeichnet x üblicherweise als unabhängige Veränderliche (Variable) oder Argument und y als abhängige Veränderliche oder Funktionswert. D wird als Definitionsbereich von f , W als Zielbereich von f und W f := { f (x) | x ∈ D} ⊆ W als Wertebereich von f bezeichnet. Für M ⊆ D ist f (M) := {x | es existiert ein m ∈ M mit f (m) = x}. Zur graphischen Darstellung einer Funktion verwendet man das kartesische Koordinatensystem mit zueinander rechtwinkliger x-Achse und y-Achse. Die Koordinaten werden durch die Menge R2 := R × R := {(x, y) | x, y ∈ R} dargestellt. Für einen Punkt P = (x, y) des Koordinatensystems nennt man den x-Wert Abzisse und den y-Wert Ordinate. Der Schnittpunkt (0, 0) von x-Achse und y-Achse heißt Ursprung. Der Graph von f ist die Menge der Zahlenpaare Γ f := {(x, y) ∈ D × W f | f (x) = y}. Bemerkungen: ”eindeutig” bzw. ”wohldefiniert ” bedeutet, daß f jedem x ∈ D genau einen Funktionswert in W f zuordnet, d.h. aus x1 = x2 folgt f (x1 ) = f (x2 ). Die Umkehrung gilt i.a. nicht, d.h. verschiedene x1 , x2 ∈ D können auf den gleichen Funktionswert f (x1 ) = y = f (x2 ) in W f abgebildet werden. Seien f, g : D −→ R Funktionen und λ ∈ R. Dann sind mit f + g, λ · f und f · g folgende Funktionen definiert: f + g : D −→ R, x 7→ ( f + g)(x) := f (x) + g(x) λ · f : D −→ R, x 7→ (λ · f )(x) := λ · f (x) f · g : D −→ R, x 7→ ( f · g)(x) := f (x) · g(x). Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg Ist g(x) , 0 für alle x ∈ D, so ist f g 28 definiert durch ! f f f (x) : D −→ R, x 7→ (x) := . g g g(x) Für eine Funktion f : D −→ R und E ⊆ D ist die Funktion f |E : E −→ R ( f eingeschränkt auf E) wie folgt definiert: ( f |E)(x) = f (x) für alle x ∈ E. Ist W g ⊆ D, so heißt f ◦ g : D −→ R, x 7→ ( f ◦ g)(x) := f (g(x)) die zusammengesetzte Funktion. Die Verknüpfung ◦ nennt man die Hintereinanderausführung von erst g und dann f oder Verkettung von f mit g. Beispiele von Funktionen: 1. Konstante Funktionen f : R −→ R, x 7−→ f (x) = c mit c ∈ R. 2. Identität (Winkelhalbierende) idR : R −→ R, x 7−→ x. 3. Entier Funktion oder untere Gaußklammer (vgl. (2.2.7)) entier : R −→ Z, x 7−→ bxc. (Diese Funktion wird z.B. in der Informatik verwendet, wenn double-Variablen zu einer integer-Variablen umdeklariert werden - die Nachkommastellen werden gekappt). Es ist z.B. b2, 8c = 2 und b−2, 8c = −3. x für x ≥ 0 . 4. Absolutbetrag | | : R −→ R, x 7−→ |x| = −x für x < 0 √ √ 5. Quadratwurzel : R≥0 −→ R≥0 , x 7−→ x. 1 falls x ≥ 0 . 6. Sprungfunktion (Heavysidefunktion) S : R −→ {0, 1}, x 7−→ 0 falls x < 0 S dient zur Beschreibung von Einschaltvorgängen. 7. Treppenfunktionen f : [a, b] −→ R mit a, b ∈ R und a ≤ b heißt Treppenfunktion, wenn es eine Zerlegung a = t0 < t1 < ... < tn = b des Intervalls gibt und Konstanten c1 , c2 , ..., cn ∈ R mit f (x) = ci für alle x ∈ (ti−1 , ti ), 1 ≤ i ≤ n. Die Funktionswerte an den Stellen ti können beliebig sein. Beispiel 3. ist eine Treppenfunktion. 0 falls x rational 8. Eine Funktion ”ohne Graph” f : R −→ {0, 1}, x 7−→ f (x) = . 1 falls x irrational Definition einer Nullstelle Eine Funktion f besitzt in x0 eine Nullstelle, wenn f (x0 ) = 0. Bemerkung: Wenn die Funktion zeichenbar ist, schneidet der Graph von f genau in den Nullstellen die x-Achse. Polynomfunktionen Eine Funktion p vom Typ p(x) = an x + an−1 x n n−1 + ... + a1 x + a0 = n X i=0 ai xi Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 29 mit a0 , ..., an ∈ R und an , 0 heißt Polynomfunktion oder auch ganzrationale Funktion oder einfach Polynom vom Grad n. Man schreibt auch: Grad(p) = n. Beispiele für Polynome: 1. Polynom 0.Grades (konstante Funktion) p(x) = 5. 2. Polynom 1.Grades (lineare Funktion) p(x) = 6x − 3. 3. Polynom 2.Grades (quadratische Funktion) p(x) = 2x2 − 5x + 1. 4. Polynom 3.Grades (kubische Funktion) p(x) = −x3 + x − 2. Besitzt das Polynom k < n Nullstellen x1 , ..., xk , gilt p(x) = an (x − x1 )(x − x2 )...(x − xk )q(x), wobei q ein Polynom vom Grad n − k ist. Kennt man die Nullstellen von p, erhält man q mit Hilfe einer Polynomdivision bzw. Anwendung des Hornerschemas. Produktdarstellung eines Polynoms: n P Besitzt ein Polynom p mit p(x) = ai xi n-ten Grades n reelle Nullstellen x1 , ..., xn , so läßt sich p i=0 als Produkt schreiben: p(x) = an (x − x1 )(x − x2 )...(x − xn ). Die Faktoren (x − xi ) nennt man Linearfaktoren von p. Das Polynom p(x) = x2 + x − 2 hat z.B. genau zwei Nullstellen x0 ∈ {1, −2}, und es gilt: x2 + x − 2 = (x − 1)(x + 2). Bemerkung: Ein Polynom n-ten Grades besitzt höchstens n reelle Nullstellen, und es werden mehrfach auftretende Nullstellen natürlich auch mehrfach gezählt, z.B. tritt im Polynom p(x) = x3 + x2 − x − 1 = (x + 1)(x + 1)(x − 1) = (x − (−1))(x − (−1))(x − 1) die Nullstelle x = −1 zweimal auf. Man nennt dann x = −1 eine 2-fache Nullstelle bzw. doppelte Nullstelle und definiert allgemein für m ∈ N eine m-fache Nullstelle xi als eine Nullstelle, so daß der Linearfaktor x − xi in der Produktdarstellung genau m-mal auftritt. Vorgehen zur Bestimmung der Nullstellen eines Polynoms p 3.Grades: 1. Erraten einer Nullstelle x1 . 2. Abspaltung des Linearfaktors x − x1 von p mittels Polynomdivision p : x − x1 . Dann erhält man das reduzierte Polynom q vom Grad 2 mit p = (x − x1 )q. 3. Überprüfen, ob die quadratische Gleichung q(x) = 0 Lösungen besitzt. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 30 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 31 Definition der p-Periodizität: Eine Funktion f : D −→ R heißt p-periodisch mit der Periode p, falls für alle x ∈ D gilt x + p ∈ D und f (x) = f (x + p). Bemerkung: Wenn p eine Periode von f ist, dann auch kp mit k ∈ N. Im allgemeinen wird aber immer die kleinste Periode p angegeben. Diese wird auch als primitive Periode bezeichnet. Trigonometrische Funktionen Die vier trigonometrischen Funktionen bzw. Winkelfunktionen Sinus, Cosinus, Tangens und Cotangens sind aus der Schule bekannt für Winkel α mit 0◦ < α < 90◦ als gewisse Seitenverhältnisse in einem rechtwinkligen Dreieckt: 1. sin(α) = a c (Gegenkathete/Hypothenuse) 2. cos(α) = b c (Ankathete/Hypothenuse) 3. tan(α) = a b = sin(α) cos(α) 4. cot(α) = b a = cos(α) sin(α) = 1 tan(α) Winkelmaße: Es gibt für die Winkelmessung die beiden Einheiten Gradmaß (360◦ für den Vollkreis bzw. eine Unterteilung des Kreises in 360 Grade) und das Bogenmaß (Einheit ”rad”), welches wie folgt definiert ist: Ist b die Länge des Bogens, der in einem Kreis vom Radius r dem Winkel α (im Gradmaß) gegenüber liegt, so gilt für das zugehörige Bogenmaß x = br . Bei einem vollen Umlauf wird der Winkel 2π (Umfang des Einheitskreises) überstrichen. α x Zwischen Grad - und Bogenmaß besteht der lineare Zusammenhang 360 ◦ = 2π . ◦ ◦ ◦ Für die Einheiten 1 rad bzw. 1 gilt: 1 rad ≈ 57, 3 und 1 ≈ 0, 0175 rad. Drehsinn eines Winkels: Beim Abtragen der Winkel im Einheitskreis wird folgender Drehsinn definiert: Im Gegenuhrzeigersinn überstrichene Winkel werden positiv gezählt, im Uhrzeigersinn überstrichene Winkel werden negativ gezählt. Darstellung und Definition der Sinus- und Cosinusfunktion im Einheitskreis: Ist P der zum Winkel α mit 0◦ < α < 90◦ gehörende Punkt auf dem Einheitskreis, so gelten mit dem zu α gehörigen Bogenmaß x folgende Definitionen: sin x und cos x sind als Ordinate bzw. Abzisse des Schnittpunktes P des freien Schenkels Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 32 des Winkels α mit dem Einheitskreis definiert. Bei einem vollen Umlauf auf dem Einheitskreis:(im positiven Drehsinn) durchläuft der Winkel α alle Werte zwischen 0 und 2π im Bogenmaß, und es gilt sin x, cos x ∈ [−1, 1]. Bei nochmaligem Umlauf wiederholen sich diese Funktionswerte, und sin x und cos x sind daher 2π-periodische Funktionen. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg Insbesondere kann man nun die Sinus- und Cosinusfunktion auf ganz R definieren: sin : R −→ [−1, 1], x 7→ sin x cos : R −→ [−1, 1], x 7→ cos x Für alle x ∈ R mit cos x , 0 definiert man tan x := sin x , cos x und für alle x ∈ R mit sin x , 0 definiert man cot x := cos x . sin x 33 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg Bemerkung über Nullstellen von sin x und cos x: sin x besitzt unendlich viele Nullstellen in x = kπ, k ∈ Z. cos x besitzt unendlich viele Nullstellen in x = (2k + 1) π2 , k ∈ Z. Bemerkung: Tangens und Cotangens sind π-periodisch. Aus den Definitionen folgt für alle x ∈ R folgendes Symmetrieverhalten: 1. sin(−x) = − sin x 2. cos(−x) = cos x 3. tan(−x) = − tan x für cos x , 0. 4. cot(−x) = − cot x für sin x , 0. Mit Pythagoras folgt sin2 (x) + cos2 (x) = 1 für alle x ∈ R und daraus: p 1 − cos2 (x) falls 0 ≤ x ≤ π p sin x = . − 1 − cos2 (x) falls π ≤ x ≤ 2π Es gelten die Verschiebungsidentitäten sin x = cos(x − π2 ) und cos x = sin(x + π2 ) für alle x ∈ R. sowie die Additionstheoreme 1. sin(x1 + x2 ) = sin x1 cos x2 + sin x2 cos x1 , 2. cos(x1 + x2 ) = cos x1 cos x2 − sin x2 sin x1 , 3. tan(x1 + x2 ) = tan x1 +tan x2 1−tan x1 ·tan x2 für alle x1 , x2 ∈ R. Aus den Additionstheoremen folgen weitere oft verwendete Formeln: 1. sin(2x) = 2 sin x cos x, 2. sin(3x) = 3 sin x − 4 sin3 (x), 3. cos(2x) = 1 − sin2 (x), 4. cos(3x) = −3 cos x + 4 cos3 (x) 34 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 35 Exponentialfunktion Definition der Exponentialfunktion: Die Funktion exp : R −→ R>0 , x 7−→ ex heißt Exponentialfunktion mit der Eulerschen Zahl e = 2, 71828... Es gelten für alle x, y ∈ R folgende Rechenregeln: 1. e0 = 1 2. ex+y = ex e y 3. ex−y = ex ey 4. e−x = (ex )−1 5. exy = (ex ) y Bemerkung: exp(x) besitzt keine Nullstellen. Definition der Symmetrie von Funktionen Eine Funktion f : D −→ R heißt gerade bzw. spiegelsymmetrisch zur y-Achse, wenn für alle x ∈ D gilt −x ∈ D und f (−x) = f (x). Eine Funktion f : D −→ R heißt ungerade bzw. punktsymmetrisch zum Ursprung, wenn für alle x ∈ D gilt −x ∈ D und f (−x) = − f (x). Beispiele: 1. Die Funktion f (x) = |x| ist gerade. 2. Die Funktion f (x) = sin(x) ist ungerade. 3. Die Funktion f (x) = cos(x) ist gerade. 4. Die Funktion f (x) = x · sin(x) ist gerade. 5. Die Funktion f (x) = x3 · cos(x) ist ungerade. 6. Die Funktion f (x) = ex + e−x ist gerade. Definition der Monotonie von Funktionen Eine Funktion f : D −→ R heißt: 1. monoton wachsend, falls f (x1 ) ≤ f (x2 ). 2. streng monoton wachsend, falls f (x1 ) < f (x2 ). 3. monoton fallend, falls f (x1 ) ≥ f (x2 ). 4. streng monoton fallend, falls f (x1 ) > f (x2 ). Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 36 für alle x1 , x2 ∈ D mit x1 < x2 gilt. Beispiele: exp(x) ist streng monoton wachsend. x für x ≥ 0 Die Funktion f : R −→ R, f (x) = |x| = ist weder monoton wachsend noch −x für x < 0 monoton fallend. Schränkt man jedoch ihren Definitionsbereich auf R≥0 oder R≤0 ein, so ist sie dort monoton: f+ : R≥0 −→ R, f (x) = |x| ist streng monoton wachsend. f− : R≤0 −→ R, f (x) = |x| ist streng monoton fallend. Definition der Umkehrbarkeit von Funktionen: 1. Eine Funktion f : D −→ W heßt umkehrbar, wenn für alle x1 , x2 ∈ D mit f (x1 ) = f (x2 ) folgt x1 = x2 . (Äquivalent dazu ist x1 , x2 =⇒ f (x1 ) , f (x2 )). 2. Falls f umkehrbar ist, gibt es zu jedem y ∈ W genau ein x ∈ D mit f (x) = y. Insbesondere liefert diese Zuordnung eine Funktion, die man Umkehrfunktion von f oder Inverse zu f nennt und mit f −1 : W f −→ D bezeichnet. Beachte f −1 ( f (x)) = x = f ( f −1 (x)), also f ◦ f −1 = id = f −1 ◦ f . Korollar: Jede streng monoton wachsende und streng monoton fallende Funktion f , bei der Ziel- und Wertebereich zusammen fallen, ist umkehrbar. Definition von Injektivität, Surjektivität und Bijektivität einer Funktion: Sei f : D −→ E eine Funktion. f heißt 1. injektiv, falls gilt: für alle x1 , x2 ∈ D mit f (x1 ) = f (x2 ) folgt x1 = x2 . 2. surjektiv auf E, falls für alle y ∈ E ein x ∈ D existiert mit f (x) = y. 3. bijektiv, falls f injektiv und surjektiv ist. Injektivität bedeutet anschaulich, daß jede Parallele zur x-Achse den Graphen der Funktion f höchstens einmal schneidet. Surjektivität bedeutet, wenn auf jedes y aus dem Zielbereich von f mindestens ein x ∈ D via f auf y abgebildet wird, d.h. der Ziel - und Wertebereich von f sind gleich. Bemerkungen: Zu einer Funktion f existiert die Umkehrfunktion f −1 genau dann, wenn f bijektiv ist. Zeichnerisch erhält man den Funktionsgraph der Umkehrfunktion durch Spiegelung von f an der Winkelhalbierenden idR . Beispiele von umkehrbaren und nicht umkehrbaren Funktionen: x für x ≥ 0 1. Die Funktion f : R −→ R, f (x) = |x| = ist nicht umkehrbar, da |2| = 2 = −x für x < 0 | − 2|. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 37 2. Die Funktion f : R≥0 −→ R, f (x) = |x| ist nicht umkehrbar, da der Zielbereich nicht gleich dem Wertebereich ist - es existieren für die negativen Werte aus R keine zugehörigen x-Werte (auch Urbilder) genannt. 3. Die Funktion f : R≥0 −→ R≥0 , f (x) = |x| ist umkehrbar nach (2.4.5), da f streng monoton wachsend ist und Ziel- und Wertebereich zusammen fallen. Es ist f −1 = f . 4. Die Funktion f : R>0 −→ R>0 , f (x) = xn mit n ∈ N ist streng monoton wachsend und besitzt die Umkehrfunktion √ 1 n f −1 : R>0 −→ R>0 , f (x) = x := x n , die als n-te Wurzel bezeichnet wird. Anwendung: Bestimmung einer Umkehrfunktion Die Funktion f : R −→ R, x 7−→ 3x − 2 stellt eine Gerade dar (siehe Funktionsgraph). f ist auf ganz R streng monoton wachsend mit Wertebereich R und daher umkehrbar gemäß (1.4.5) Duch Auflösen von y = f (x) = 3x − 2 nach x folgt x = 31 y + 23 , und durch formales Vertauschen von x und y erhält man die Umkehrfunktion f −1 : R −→ R, x 7−→ 13 x + 23 . Logarithmus und allgemeine Potenz: Definition des natürlichen Logarithmus ln: Die Exponentialfunktion exp : R −→ R>0 , x 7−→ ex ist auf R streng monoton wachsend, und es existiert folglich auf ihrem Wertebereich R>0 die Umkehrfunktion. Diese Umkehrfunktion wird natürlicher Logarithmus genannt mit der Bezeichnung ln : R>0 −→ R, x 7−→ ln x Es folgt ln(ex ) = x für alle x ∈ R und x = elnx für alle x ∈ R>0 . Aus den Rechenregeln der Exponentialfunktion ergeben sich für alle x, y ∈ R>0 direkt folgende Rechenregeln für die natürliche Logarithmusfunktion: 1. ln 1 = 0 2. ln(xy) = ln x + ln y 3. ln( xy ) = ln x − ln y Mit der Exponentialfunktion und der Logarithmusfunktion kann man nun die allgemeine Potenz - und Exponentialfunktion definieren: Die Funktion f : R>0 −→ R, x 7−→ xa := ea ln x , a ∈ R heißt allgemeine Potenzfunktion. Die Funktion f : R −→ R>0 , x 7−→ bx := ex ln b , b ∈ R>0 heißt allgemeine Exponentialfunktion. Hieraus folgen für alle a, b ∈ R>0 und x, y ∈ R die allgemeinen Potenzregeln: Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 1. (ax ) y = axy (insbesondere √ n 38 m am = a n für alle m, n ∈ N) 2. ax bx = (ab)x . x 3. 1a = a−x . 4. ln (x y ) = y ln x für x ∈ R>0 , y ∈ R. Anwendung der allgemeinen Potenzregeln: Für alle a, b ∈ R>0 gilt √ 1 3 11 1 (ab3 )2 = a2 b6 a− 2 b− 2 = a 2 b 2 = a3 b11 . √ ab Definition des allgemeinen Logarithmus: Die allgemeinen Exponentialfunktionen sind streng monoton und somit in ihrem Definitionsbereich umkehrbar. Ihre Umkehrfunktionen werden als allgemeine Logarithmusfunktionen bezeichnet: Für alle b ∈ R>0 , b , 1 versteht man unter der allgemeinen Logarithmusfunktion logb : R>0 −→ R, x 7→ logb (x) die Umkehrfunktion der allgemeinen Exponentialfunktion bx . Insbesondere ist für a, b > 0, b , 1 die Gleichung a = bx eindeutig lösbar, und der Exponent x =: logb (a) heißt Logarithmus von a zur Basis b. Es gelten zur festen Basis b > 0, b , 1 für alle u, v > 0 und x ∈ R die folgenden Logarithmenregeln 1. logb 1 = 0. 2. logb (uv) = logb (u) + logb (v). 3. logb ( uv ) = logb (u) − logb (v). 4. logb (ux ) = x · logb (u). Zahlenbeispiele für Logarithmen 1. 2x = 1 4 =⇒ x = log2 ( 41 ) = log2 (4−1 ) = −log2 (4) = −2. 2. log10 (500) = log10 (5 · 100) = log10 (5) + log10 (100) = log10 (5) + 2. 3. log3 (2434 ) = 4log3 (243) = 4 · 5 = 20. 32 4. log2 ( 1024 ) = log2 (32) − log2 (1024) = 5 − 10 = −5. Die häufig verwendeten Logarithmen sind der Logarithmus zur Basis 10 log(a) := log10 a und der Logarithmus zur Basis 2 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 39 ld(a) := log2 a Der natürliche Logarithmus ist der Logarithmus zur Basis e mit ln(a) = loge a für alle a ∈ R>0 . Zwischen unterschiedlichen Logarithmen besteht der Zusammenhang logb y = logc y für b, c, y > 0, b , 1 , c. logc b Beweis: Sei x = logb (y). Dann ist bx = y und logc (y) = logc (bx ) = x · logc (b). Daraus folgt x = und somit die Behauptung. logc y logc b Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 40 Arcusfunktionen 1. Die eingeschränkte Sinusfunktion sin : [− π2 , π2 ] −→ [−1, 1], x 7−→ sin x ist im Intervall [− π2 , π2 ] streng monoton wachsend. Folglich existiert die Umkehrfunktion Arcussinus mit arcsin : [−1, 1] −→ [− π2 , π2 ], x 7−→ arcsin x. 2. Die eingeschränkte Cosinusfunktion cos : [0, π] −→ [−1, 1], x 7−→ cos x ist im Intervall [0, π] streng monoton fallend. Folglich existiert die Umkehrfunktion Arcuscosinus mit arccos : [−1, 1] −→ [0, π], x 7−→ arccos x. 3. Die eingeschränkte Tangensfunktion tan : (− π2 , π2 ) −→ R, x 7−→ tan x ist im Intervall (− π2 , π2 ) streng monoton wachsend und hat den Wertebereich R. Folglich existiert die Umkehrfunktion Arcustangens mit arctan : R −→ (− π2 , π2 ), x 7−→ arctan x. 4. Die eingeschränkte Cotangensfunktion cot : (0, π) −→ R, x 7−→ cot x ist im Intervall (0, π) streng monoton fallend und hat den Wertebereich R. Folglich existiert die Umkehrfunktion Arcuscotangens mit arccot: R −→ (0, π), x 7−→ arccot x. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 41 Hyperbelfunktionen: Für alle x ∈ R ist sinh x := 21 (ex − e−x ). Man sagt: Sinus Hyperbolicus. und cosh x := 12 (ex + e−x ). Man sagt: Cosinus Hyperbolicus. tanh x := sinh x , cosh x cothx := 1 (x ∈ R \ {0}). tanh x Als Übungsaufgabe die Umkehrfunktionen (Areafunktionen) arsinh x, arcosh x, artanh x und arcoth x bestimmen: √ arsinh x = ln(x + √x2 + 1) für x ∈ R. arcosh x = ln(x + x2 − 1) für x ∈ R≥1 . artanh x = 12 ln( 1+x 1−x ) für |x| < 1. arcoth x = 21 ln( x+1 x−1 ) für |x| > 1. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 42 Gebrochenrationale Funktionen p(x) Eine Funktion r : D −→ R, x 7−→ r(x) = q(x) heißt gebrochenrationale Funktion mit n m P P D := {x ∈ R | q(x) , 0}, wenn p(x) = ai xi und q(x) = b j x j Polynomfunktionen sind. r heißt j=0 i=0 ”unecht gebrochenrational”, falls n ≥ m und ”echt gebrochenrational”, falls n < m. Beispiele für gebrochenrationale Funktionen: 1. r(x) = 3 x3 2. r(x) = 2x2 +3 x2 +1 3. r(x) = −x2 −5x+1 x3 +2x2 −4x+3 ist echt gebrochenrational. ist unecht gebrochenrational. ist echt gebrochenrational. Definitionen von Nullstellen, Polstellen und Definitionslücken von gebrochenrationalen Funktionen p 1. x0 ∈ D heißt Nullstelle einer gebrochenrationalen Funktion r = q , wenn p(x0 ) = 0. p 2. x1 ∈ R heißt Polstelle einer gebrochenrationalen Funktion r = q , wenn p(x1 ) , 0 = q(x1 ). Die betreffende Polstelle x1 ist ohne Vorzeichenwechsel, wenn ein > 0 existiert, so daß für alle a, b ∈ U (x1 ) ∩ D mit a < x1 < b gilt: r(a)r(b) > 0, z.B. r(x) = x12 . Die betreffende Polstelle x1 ist mit Vorzeichenwechsel, wenn ein > 0 existiert, so daß für alle a, b ∈ U (x1 ) ∩ D mit a < x1 < b gilt: r(a)r(b) < 0, z.B. r(x) = 1x . 3. x2 ∈ R heißt ”hebbare”Definitionslücke einer gebrochenrationalen Funktion p r = q , wenn p(x2 ) = 0 = q(x2 ) und lim r(x) existiert. x→x2 Beispiel für Linearfaktorzerlegung: Für r(x) = x2 − 1 x4 − 10x3 + 35x2 − 50x + 24 gilt nach Zerlegung in Linearfaktoren: r(x) = (x − 1)(x + 1) x+1 = . (x − 1)(x − 2)(x − 3)(x − 4) (x − 2)(x − 3)(x − 4) Inbesondere ist bei x0 = −1 eine Nullstelle; an der Stelle x = 1 ist eine hebbare Definitionslücke, und es gibt drei Polstellen mit den Abzissenwerten x = 2, 3 und 4. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 43 Bemerkung: Polstellen und hebbare Definitionslücken kann man allgemein definieren für eine Funktion f h : D −→ R der Form h = g , wobei f, g : D −→ R Funktionen sind. Z.B. Sind die unendlich vielen Polstellen von h(x) = tan x = für k ∈ Z von der Funktion cos x. sin x cos x gleich den Nullstellen (2k + 1) π2 Asymptotisches Verhalten im Unendlichen: Echt gebrochenrationale Funktionen r nähern sich für x → ∞ und x → −∞ immer der x-Achse an, weil der höchste Exponent im Nenner am meisten ins Gewicht fällt. Die x-Achse heißt in diesem Fall Asymptote von r bzw. ist mit r asymptotisch gleich. Man sagt, zwei Funktionen f und g sind asymptotisch gleich, falls f (x) lim x→∞ g(x) f (x) x→−∞ g(x) = 1 und/oder lim =1. Unecht gebrochenrationale Funktionen r lassen sich durch Polynomdivision stets in die Summe aus einem Polynom p(x) und einer echt gebrochenrationalen Funktion f zerlegen, d.h. r(x) = p(x) + f (x). Da f asymptotisch gleich mit der x-Achse ist ( lim f (x) = 0 = lim f (x)), ist x→∞ x→−∞ r asymptotisch gleich mit dem Polynom p. In diesem Fall nennt man p(x) eine Asymptote von r. Beispiele: Die Funktion x3 − x2 + 5 1 2 1 = x + 5x − 5 5 x−1 besitzt eine Polstelle mit Vorzeichenwechsel bei x = 1, und A(x) := 51 x2 ist eine Asymptote von f . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 44 Algebraische Funktionen Jede Funktion f (x) = y, die als Lösung einer algebraischen Gleichung vom Typ an (x)yn + an−1 (x)yn−1 + ... + a1 (x)y + a0 (x) = 0 auftritt, wobei ai (x), i ∈ 0, 1, ..., n Polynome sind, heißt algebraische Funktion. Beispiele für algebraische Funktionen: 1. 3y − 3x2 + 9x − 12 = 0 : Die Lösung ist y = x2 − 3x + 4. 2. (x2 + 1)y + x − 3 = 0 : Die Lösung ist y = −x+3 . x2 +1 3. Kegelschnitte: Die durch Schnitt eines Doppelkegels mit einer Ebene entstehenden ebenen Kurven werden als Kegelschnitte bezeichnet. Zu ihnen gehören Kreis, Ellipse, Hyperbel und Parabel, die durch eine algebraische Gleichung 2.Grades der Form Ax2 + By2 + Cx + Dy + E = 0 mit A , 0 , B dargestellt werden. (a) Ist der Kegelschnitt ein Kreis, so ist notwendigerweise A = B. Bemerkung: Die Bedingung A = B ist nicht hinreichend für einen Kreis, da z.B. die algebraische Gleichung x2 + y2 + 1 = 0 in R2 keine Lösung besitzt. (b) Ist der Kegelschnitt eine Ellipse, so ist notwendigerweise AB > 0, A , B. (c) Ist der Kegelschnitt eine Hyperbel, so ist notwendigerweise AB < 0. (d) Ist der Kegelschnitt eine Parabel, so ist notwendigerweise A = 0, B , 0 oder B = 0, A , 0 . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 45 Gleichung eines Kreises: Der Kreis ist definitionsgemäß die Menge aller Punkte P einer Ebene, die vom Kreismittelpunkt M den gleichen Abstand (Radius) r besitzen. Für M = (x0 , y0 ) lautet die Kreisgleichung (x − x0 )2 + (y − y0 )2 = r2 . Gleichung einer Ellipse: Die Ellipse ist definitionsgemäß die Menge aller Punkte P einer Ebene, für welche die Summe der Entfernungen von zwei festen Punkten F1 und F2 (den Brennpunkten) konstant ist. Mit den Halbachsen a und b und Mittelpunkt M = (x0 , y0 ) lautet die Ellipsengleichung (x − x0 )2 (y − y0 )2 + = 1. a2 b2 Gleichung einer Hyperbel: Die Hyperbel ist definitionsgemäß die Menge aller Punkte P einer Ebene, für welche die Differenz der Entfernungen von zwei festen Punkten F1 und F2 (den Brennpunkten) konstant ist. Mit den Halbachsen a und b und Mittelpunkt M = (x0 , y0 ) lautet die Hyperbelgleichung (x − x0 )2 (y − y0 )2 − = 1. a2 b2 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 46 Gleichung einer Parabel: Die Parabel ist definitionsgemäß die Menge aller Punkte P einer Ebene, die von einem festen Punkt F (Brennpunkt) und einer festen Geraden l (Leitlinie) gleich weit entfernt sind. Mit Scheitelpunkt A = (x0 , y0 ) und Abstand p zwischen Brennpunkt und Leitlinie l lautet die Parabelgleichung (y − y0 )2 = 2p(x − x0 ). Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 1.6 47 Topologische Grundbegriffe Definition metrischer Raum: Ein metrischer Raum ist ein Paar (X, d), wobei X eine Menge und d (die Metrik) eine Abbildung d : X × X → R ist, so daß 1. d(x, y) ≥ 0 ∀x, y ∈ X, d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y. 2. d(x, y) = d(y, x) ∀x, y ∈ X. 3. d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) ∀x, y, z ∈ X. (Dreiecksungleichung) Beispiele für metrischen Räume: (R, d) mit d(x, y) = |x − y|. d heißt die euklidische Metrik. (X, d) mit X beliebige Teilmenge von R und d(x, x) = 0 und d(x, y) = 1 für alle x , y. d heißt die diskrete Metrik. Definition -Umgebung: Sei eine beliebige positive reelle Zahl und a ∈ R. Dann heißt U (a) := {x ∈ R | |x − a| < } =]a − , a + [ -Umgebung von a. Bemerkung: Die Umgebungen U (a) bzgl. der diskreten Metrik bestehen für ≤ 1 nur aus dem Mittelpunkt a und sind ganz X für > 1. Definitionen: Sei (X, d) ein metrischer Raum. V ⊂ X heißt offen, falls für alle x ∈ V ein > 0 existiert mit U (x) ⊂ V. B ⊂ X heißt abgeschlossen, falls X \ B offen ist. Bemerkungen: Viele Dinge in der Analysis basieren auf dem Konzept der offenen Mengen (Konvergenz und Stetigkeit z.B., wie wir später sehen werden). Zwei Metriken d und d0 auf X heißen äquivalent, wenn ihre Systeme offener Mengen übereinstimmen. Satz Trennungseigenschaft: (X, d) sei ein metrischer Raum. Dann gilt die folgende Trennungseigenschaft: Zu je zwei verschiedenen Punkten x, y ∈ X gibt es Umgebungen U (x), Uδ (y) mit U (x) ∩ Uδ (y) = ∅ . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 48 Definition: Eine Menge X ⊆ R zusammen mit einem System O ⊆ P(X) von Untermengen O ⊆ X, den offenen Mengen von X, heißt topologischer Raum, wenn O das folgende Axiomensystem erfüllt: 1. X und ∅ sind offen. 2. Beliebige Vereingungen offener Mengen sind offen. 3. Endliche Durchschnitte offener Mengen sind offen. Definition: In einem topologischen Raum X heißt eine Menge A ⊆ X abgeschlossen, wenn ihr Komplement X \ A offen ist. U = U(x) heißt Umgebung des Punktes x ∈ X wenn es eine offene Menge O gibt mit x ∈ O ⊆ U. Bemerkungen: Alle metrischen Räume sind topologische Räume. Für die diskrete Metrik ist O = P(X). Genau wie man einen metrischen Raum durch Restriktion der Metrik zu einem neuen metrischen Raum auf einer Untermenge machen kann, läßt sich jede Untermenge Y eines topologischen Raums (X, O) zu einem neuen topologischen Raum machen mit der Relativtopologie, welche durch das System OY der offenen Mengen O ∩ Y, O ∈ O definiert ist. Vorsicht: Das halboffene Intervall [0, 1[= {x ∈ R | 0 ≤ x < 1} ist keineswegs offen in R, wohl aber in der Halbgeraden aller reeller Zahlen ≥ 0. Hülle, Kern und Rand Definitionen: Sei M eine Untermenge eines topologischen Raums X. Dann ist der offene Kern M◦ von M die Menge aller x ∈ M, für die eine Umgebung U(x) ⊆ M existiert. Die abgeschlossene Hülle M von M besteht aus allen Punkten x ∈ X mit der Eigenschaft, daß U(x) ∩ M , ∅ für alle Umgebungen U(x) von x. Ein Punkt x ∈ X heißt Randpunkt von M, wenn in jeder Umgebung von x sowohl Punkte aus M als auch aus dem Komplement X \ M liegen. Die Menge aller Randpunkte von M heißt der Rand ∂M von M. Satz Unter den gleichen Annahmen wie oben gilt: 1. M◦ ist die Vereinigung aller offenen Mengen, die in M enthalten sind. 2. M ist der Durchschnitt aller abgeschlossenen Mengen, die M enthalten. 3. Der Rand ∂M ist genau die Differenzmenge M \ M◦ . Kompakte Mengen und Hausdorffräume Definitionen: Eine Menge U heißt Überdeckung von einer Menge A, wenn A in der Vereinigung der zu U gehörenden Elemente (welche auch Mengen sind) enthalten ist. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 49 Eine Überdeckung U heißt endlich, wenn |U| ∈ N. Eine Überdeckung U heißt offen, wenn jedes Element aus U eine offene Menge ist. Definition: Ein topologischer Raum (X, O) heißt quasikompakt, wenn jede offene Überdeckung von X eine endliche Teil S überdeckung besitzt. Ausführlicher Sund formaler: ∀{Oi ∈ O | i ∈ I} mit Oi = X existiert endliches J ⊆ I mit Oi = X. i∈I i∈J Eine Untermenge K ⊆ X heißt quasikompakt, S wenn sie in der von X induzierten Relativtopologie quasikompakt ist, wenn also K ⊆ Oi zu einer endlichen Vereinigung (genauer: aus i∈I endlich vielen der Oi ) verkleinert werden kann. Vorsicht: quasikompakt heißt also nicht, daß eine endliche Überdeckung existiert - diese existiert immer, wenn man X zu den offenen Mengen hinzunimmt - , sondern daß aus jeder gegebenen offenen Überdeckung eine endliche Überdeckung ausgewählt werden kann. Definition: Ein topologischer Raum X heißt Hausdorffraum (oder separiert), wenn zu je zwei verschiedenen Punkten x, y ∈ X Umgebungen U(x) und U(y) mit U(x) ∩ U(y) = ∅ existieren, welche also die beiden Punkte trennen. Insbesondere sind metrische Räume immer hausdorffsch. Definition: Ein quasikompakter Hausdorffraum X heißt kompakt. Entsprechend heißt wieder eine Untermenge K eines topologischen Raums kompakt, wenn sie in der von X induzierten Relativtopologie kompakt ist. Beispiel: Das halboffene Intervall (0, 1] ist auf R nicht kompakt, da die Überdeckung 1 1 U = { ,1 + | n ∈ N} n n zwar offen ist, U sich jedoch nicht auf eine endliche Teilüberdeckung reduzieren läßt. Satz Heine-Borel In der üblichen Topologie von R ist eine Menge K genau dann kompakt, wenn sie beschränkt und abgeschlossen ist. Kapitel 2 Folgen und Reihen 2.1 Konvergente Folgen und Reihen Definition von reellen Zahlenfolgen Unter einer Folge reeller Zahlen versteht man eine Abbildung a: N −→ R, die jedem n ∈ N ein an ∈ R zuordnet. Man schreibt hierfür (an )n∈N oder (a1 , a2 , a3 , ...). Die reellen Zahlen an heißen Folgenglieder. Bemerkung: Anstatt auf N kann man Folgen analog auf N0 oder jeder beliebigen Teilmenge von N0 definieren. Man kann eine Folge als Liste ihrer Folgenglieder aufschreiben oder die Abbildungsvorschrift, wie sich aus der natürlichen Zahl n die reelle Zahl an ergibt, z.B.: an = 2n − 1 oder (1, 3, 5, 7, ...). Eine Folge (an )n∈N heißt arithmetische Folge, wenn die Differenz zweier aufeinanderfolgender Folgenglieder immer die gleiche Konstante k ergibt an+1 − an = k (Rekursionsformel). Es folgt an = a1 + (n − 1)k für alle n ∈ N. Eine Folge (an )n∈N heißt geometrische Folge, wenn alle an , 0 und der Quotient zweier aufeinanderfolgender Folgenglieder immer die gleiche Konstante q ergibt an+1 = q für alle n ∈ N (Rekursionsformel). an Es folgt an = a1 qn−1 für alle n ∈ N. Beispiele und Anwendung von arithmetischen und geometrischen Folgen: an = 2n + 1 ist eine arithmetische Folge mit k = 2. an = ( 13 )n ist eine geometrische Folge mit q = 13 . Zinseszinsrechnung: Mit Startkapital K0 und Zinssatz p hat man nach n Jahren zusammen mit p p Zinseszins ein Kapital von Kn = Kn−1 · (1 + 100 ) = Kn−1 · q = K0 · qn mit q := 1 + 100 . 50 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 51 Definition der Beschränktheit einer Folge Eine Folge (an )n∈N heißt nach oben (nach unten) beschränkt, wenn ein S ∈ R existiert, so daß an ≤ S (an ≥ S) für alle n ∈ N gilt. Die Folge heißt beschränkt, wenn sie nach oben und nach unten beschränkt ist. Definition der Monotonie von Folgen Eine Folge (an )n∈N heißt 1. monoton wachsend, falls an ≤ an+1 für alle n ∈ N. 2. monoton fallend, falls an ≥ an+1 für alle n ∈ N. 3. streng monoton wachsend, falls an < an+1 für alle n ∈ N. 4. streng monoton fallend, falls an > an+1 für alle n ∈ N. 5. monoton, falls eine der obigen 4 Eigenschaften gilt. Beispiel für eine monotone Folge: Die Folge ( n1 )n∈N ist beschränkt (nach unten durch 0, nach oben durch 1) und streng monoton 1 fallend, da n+1 < n1 für alle n ∈ N. Definition -Umgebung: Sei eine beliebige positive reelle Zahl und a ∈ R. Dann heißt U (a) := {x ∈ R | |x − a| < } =]a − , a + [ -Umgebung von a. Definition der Konvergenz von Folgen Eine Folge (an )n∈N heißt konvergent mit Grenzwert bzw. Limes g ∈ R , wenn zu jedem > 0 eine natürliche Zahl n0 existiert, so daß für alle n ≥ n0 der Abstand der Folgenglieder an von g kleiner als ist (|an − g| < ). Man kann zeigen, daß der Limes einer konvergenten Folge eindeutig ist und schreibt lim an = g oder an −→ g. n→∞ Andere Formulierung für Folgenkonvergenz: Die Folge (an )n∈N heißt konvergent mit Grenzwert g, wenn in jeder -Umgebung von g fast alle (bis auf endlich viele) Folgenglieder liegen. Es gilt also genau dann lim an = g, wenn in jeder -Umgebung U (g) von g (für beliebig klein→∞ nes > 0) unendlich viele, außerhalb aber höchstens endlich viele Folgenglieder enthalten sind. Eine Folge (an )n∈N heißt divergent bzw. divergiert, wenn sie gegen keine reelle Zahl konvergiert. Beispiele für Konvergenz und Divergenz von Folgen: lim 1 n→∞ n = 0. Beweis: Sei > 0. Das Archimedische Axiom liefert die Existenz eines n0 ∈ N mit n0 > 1 . Es folgt für alle natürlichen Zahlen n ≥ n0 : 1 1 1 n − 0 = n ≤ n0 < . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 52 Die Folge ((−1)n )n∈N divergiert. Beweis: Angenommen, die Folge (an )n∈N := ((−1)n )n∈N konvergiert gegen eine reelle Zahl g. Dann existiert für = 1 ein n0 ∈ N mit |an − g| < 1 für alle natürlichen Zahlen n ≥ n0 . Dann gilt nach der Dreicksungleichung: 2 = |an+1 − an | = |(an+1 − g) + (g − an )| ≤ |(an+1 − g)| + |(g − an )| < 1 + 1 = 2, ein Widerspruch! 1 lim (1 + )n = e. n n→∞ Bemerkung: Eine konvergente Folge ist notwendigerweise beschränkt, aber es gilt nicht die Umkehrung, d.h. Beschränktheit ist nicht hinreichend für Folgenkonvergenz. Satz: Ein Konvergenzkriterium für Folgen Eine Folge (an )n∈N konvergiert, wenn sie beschränkt und monoton ist. Die Umkehrung obigen Satzes gilt nicht: 1 − n n ! n∈N konvergiert gegen Null, ist aber nicht monoton. Man führt häufig Konvergenzanalysen von Folgen auf das Konvergenzverhalten schon bekannter Folgen zurück. Dazu dient der folgende Satz: Grenzwertregeln für Folgen: Seien (an )n∈N und (bn )n∈N konvergente Folgen mit den Grenzwerten a und b, und sei c ∈ R. Dann sind auch die Folgen (an + bn )n∈N , (an − bn )n∈N , (an · bn )n∈N , (c · an )n∈N , ( bann )n∈N (mit bn , 0 und b , 0) konvergent, und es gilt: 1. lim (an + bn ) = a + b n→∞ 2. lim (an − bn ) = a − b n→∞ 3. lim (an · bn ) = a · b n→∞ 4. lim (c · an ) = c · a n→∞ 5. lim ( n→∞ an a ) = , falls bn , 0 , b. bn b Anwendungen der Grenzwertregeln für Folgen: Die Folge n+1 n2 n∈N ist Summe der gegen Null konvergenten Folgen 2 ! 1 1 und n n∈N n n∈N und konvergiert daher gegen 0. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 53 Satz: Seien (an )n∈N und (bn )n∈N konvergente Folgen mit den Grenzwerten a und b, und sei an ≤ bn für hinreichend große n, d.h. es gebe ein n0 ∈ N, so daß an ≤ bn für alle n ≥ n0 . Dann gilt a ≤ b. Vorsicht: Aus an < bn für alle n folgt nicht unbedingt lim an < lim bn , sondern i.a. nur n→∞ n→∞ lim an ≤ lim bn . n→∞ n→∞ Beispiel: Wähle an := 0 und bn := n1 . Eine unmittelbare Folgerung aus dem vorangehenden Satz ist: Korollar: Sei (an )n∈N eine konvergente Folge mit Grenzwert a und A ≤ an ≤ B für genügend große n. Dann gilt auch A ≤ a ≤ B. Satz: Sei A eine nichtleere nach oben (bzw. unten) beschränkte Teilmenge von R. Dann existiert eine konvergente Folge (an )n∈N in A mit sup A = lim an (bzw. inf A = lim an ). n→∞ n→∞ Als Anwendung dieser Sätze beweisen wir die Existenz und Eindeutigkeit k-ter Wurzeln: Sind x > 0 eine relle Zahl und k ≥ 1 eine natürliche Zahl, so heißt y ∈ R k-te Wurzel aus x, falls yk = x. Satz: Jede positive reelle Zahl a > 0 besitzt für jedes k ≥ 2 aus N eine und nur eine positive reelle k-te Wurzel. Einschließungssatz: Besitzen die konvergenten Folgen (an )n∈N und (bn )n∈N denselben Grenzwert a, und gilt für die Folge (cn )n∈N : an ≤ bn ≤ cn für alle n ≥ n0 , so hat die Folge (cn )n∈N auch den Grenzwert a. Definition: Eine Folge (an )n∈N heißt Nullfolge, falls lim an = 0. n→∞ Teilfolgen und Häufungspunkte Definition: Sei (an )n∈N eine Folge reeller Zahlen, und sei n1 < n2 < n3 < . . . eine aufsteigende Folge (nk )k∈N natürlicher Zahlen. Dann heißt die Folge (ank )k∈N eine Teilfolge der Folge (an )n∈N . Mit anderen Worten: Bezeichnen f : N → R die Abbildung f : n 7→ an und g : N → N die streng monoton wachsende Abbildung g : k 7→ nk , so ist (ank )k∈N die zusammengesetzte Abbildung f ◦ g. (−1)n Beispiel: Ist (an )n∈N die Folge an := n+1 , so ist mit nk = 2k die Teilfolge ank := d.h. die Teilfolge (1, 13 , 51 , 71 , ...) der Folge (1, − 12 , 13 , − 14 , 15 , ...). Satz: Ist lim an = a, so hat auch jede Teilfolge von (an )n∈N den Grenzwert a. n→∞ (−1)2k n+1 gewählt, Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 54 Definition: Ein Punkt a ∈ R heißt Häufungspunkt der Zahlenfolge (an )n∈N , wenn in jeder (noch so kleinen) -Umgebung von a unendlich viele Folgenglieder an liegen, d.h. wenn es zu jedem > 0 und zu jedem n0 ∈ N ein n > n0 gibt mit an ∈ U (a). Beispielsweise besitzt die Folge an = (−1)n die beiden Häufungspunkte 1 und -1. Satz: Seien (an )n∈N eine Zahlenfolge und a ∈ R. Dann ist a ein Häufungspunkt der Folge (an )n∈N dann und nur dann, wenn es eine Teilfolge (ank )k∈N gibt mit lim ank = a. n→∞ Wir haben bereits gesehen, daß nicht jede beschränkte Folge konvergent ist. Es gilt aber der wichtige Satz von Bolzano-Weierstraß Jede beschränkte Folge reeller Zahlen besitzt eine konvergente Teilfolge. Wir kommen nun zu dem wohl wichtigsten Konvergenzkriterium für reelle Folgen, dem Cauchy-Kriterium: Definition: Eine reelle Folge (an )n∈N heißt Cauchy-Folge, wenn es zu jedem > 0 ein n() ∈ N gibt, so daß | an − am |< für alle natürlichen Zahlen n, m ≥ n(). Grob gesprochen: Eine Folge ist eine Cauchy-Folge, wenn der Abstand beliebiger Folgenglieder beliebig klein wird, falls deren Indizes genügend hoch sind. Lemma: Sei (an )n∈N eine Cauchy-Folge in R. Dann gilt 1. Die Folge (an )n∈N ist beschränkt. 2. Besitzt die Folge (an )n∈N eine konvergente Teilfolge (ank )k∈N mit Grenzwert a := lim ank , n→∞ so konvergiert auch die komplette Folge (an )n∈N gegen a. Satz Eine reelle Zahlenfolge (an )n∈N ist konvergent dann und nur dann, wenn sie eine Cauchy-Folge ist. Bemerkungen: Die Tatsache, daß in R jede Cauchy-Folge konvergent ist, ist von so fundamentaler Bedeutung, daß man für sie einen Begriff eingeführt hat: Man sagt, der Körper R sei vollständig. Allgemein gilt: Ein metrischer Raum heißt vollständig, wenn in ihm jede Cauchy-Folge konvergiert. Q ist nicht vollständig. Der große Vorteil des Cauchy-Kriteriums besteht darin, daß es mit ihm oft gelingt, die Konvergenz einer gegebenen Folge nachzuweisen, ohne daß der Grenzwert explizit bekannt ist. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 55 Definition von Partialsummen und Reihen Sei (an )n∈N eine Folge. Die Folge der sogenannten Partialsummen sn := (unendliche) Reihe und wird mit ∞ P Grenzwert lim sn ebenfalls mit n→∞ ∞ P n P ak heißt k=1 ak bezeichnet. Konvergiert die Folge (sn )n∈N , so wird ihr k=1 ak bezeichnet. k=1 Bemerkungen: Analog zu Zahlenfolgen kann man Reihen anstatt auf N auch auf N0 definieren. n P Konvergiert sogar die Folge ( |ak |)n∈N , so heißt diese Reihe absolut konvergent. k=1 Lemma: Vereinfachung der geometrischen Reihe Für alle q ∈ R \ {1} und alle n ∈ N0 gilt: n X qk = k=0 1 − qn+1 . 1−q Beweis durch vollständige Induktion. Induktionsanfang: Für n = 0 gilt 0 X qk = q0 = 1 = k=0 1 − q1 . 1−q Induktionsschritt von n auf n + 1: Sei n ∈ N0 beliebig, und die Summenformel richtig für n (IV). Dann gilt für n + 1: n+1 X n X qk = (IV) qk + qn+1 = i=0 k=0 1 − qn+1 1 − qn+1 + (1 − q)qn+1 1 − qn+2 + qn+1 = = . 1−q 1−q 1−q Satz über die Konvergenz der geometrischen Reihe: Für alle q ∈ R mit |q| < 1 konvergiert die Geometrische Reihe ∞ P qk , und es gilt für den Grenzwert k=0 ∞ X qk = k=0 1 . 1−q Beweis: Da |q| < 1 , folgt lim qn = 0. Dann liefern das vorherige Lemma und ein Satz aus MA1 n→∞ Vorlesung die Behauptung. Satz: Limesregeln für Reihen Seien ∞ P k=1 ∞ P ak und k=1 (ak − bk ) und ∞ P k=1 ∞ P bk zwei konvergente Reihen und λ ∈ R. Dann sind auch die Reihen (λak ) konvergent, und es gilt: k=1 ∞ P (ak + bk ), k=1 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg ∞ P (ak + bk ) = k=1 ∞ P (λak ) = λ k=1 ∞ P ak + k=1 ∞ P ∞ P bk , k=1 ∞ P (ak − bk ) = k=1 ∞ P ak − k=1 ∞ P 56 bk und k=1 ak . k=1 Bemerkung: Für das Produkt zweier unendlicher Reihen gilt keine so einfache Formel, sondern vielmehr folgender Satz: ∞ P Satz (Cauchy-Produkt von Reihen): Seien ak und k=1 n ∈ N setzen wir cn := ∞ P bk zwei absolut konvergente Reihen. Für k=1 n X an−l bl l=1 . ∞ P Dann ist auch die Reihe cn absolut konvergent, und es gilt n=1 ∞ X n=1 ∞ ∞ X X bk . ak cn = k=1 k=1 Beispiel: Anwendung unendlicher Reihen Periodischer Dezimalbruch x = 0, 0354747. Es ist ∞ X 47 47 35 35 47 x= + 5 + 7 + ... = + . 1000 10 1000 10 105+2k k=0 Es folgt ∞ X k=0 ∞ ∞ 47 47 X 1 47 X −2 k 47 1 47 = 5 = 5 (10 ) = 5 = , −2 5+2k 2k 99000 10 10 10 1 − 10 10 10 k=0 k=0 also x= 35 47 439 + = . 1000 99000 12375 Satz (Cauchy-Kritrium für Reihen): Eine Reihe > 0 ein n() ∈ N gibt, so daß | m X k=n ak | < ∞ P ak ist genau dann konvergent, wenn es zu jedem k=1 für alle natürlichen Zahlen m ≥ n ≥ n(). Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 57 Limes Superior und Limes Inferior Definitionen Wir setzen zunächst die Ordnung auf R zu einer totalen Ordnung ≤ auf der erweiterten Zahlengerade R = R ∪ {−∞, +∞} fort, indem wir definieren, daß −∞ ≤ a und a ≤ +∞ für alle a ∈ R. Es sei (an )n∈N eine Folge reeller Zahlen. Wir setzen für n ∈ N An := {ak | k ≥ n}, sowie an := supAn ∈ R ∪ {+∞}, an := in f An ∈ R ∪ {−∞}. Aus An+1 ⊂ An folgt dann an ≤ an+1 ≤ an+1 ≤ an für alle n, woraus mittels Induktion leicht folgt: an ≤ an+1 ≤ am+1 ≤ am für alle n, m. Hieraus erhält man a := sup{an | n ∈ N} ≤ in f {an | n ∈ N} := a. a ∈ R bezeichnet man als den Limes inferior, a ∈ R als den Limes superior der Folge (an )n∈N , und schreibt dafür auch: a := lim in f an n→∞ bzw. a := lim sup an . n→∞ Die Definitionen von Limes inferior und Limes superior mögen auf den ersten Blick sehr technisch erscheinen. Die wahre Bedeutung dieser Begriffe erschließt sich durch die beiden folgenden Sätze: Satz: Es sei (an )n∈N eine Folge reeller Zahlen. 1. Dann besitzt diese einen größten (eventuell uneigentlichen) Häufungspunkt, und zwar ist dies gerade lim sup an . Entsprechend ist lim in f an gerade der kleinste (eventuell uneigentliche) n→∞ n→∞ Häufungspunkt. 2. Ist c ∈ R mit lim sup an < c, so gibt es nur endlich viele k mit ak ≥ c, und ist d ∈ R mit n→∞ lim in f an > d, so gibt es nur endlich viele k mit ak ≤ d. n→∞ Korollar: Bezeichnet H ⊂ R die Menge aller eigentlichen oder auch uneigentlichen Häufungspunkte der reellen Folge (an )n∈N , so gilt bzgl. der Ordnung auf R lim sup an = sup H = max H, n→∞ lim in f an = in f H = min H. n→∞ Satz: Die reelle Zahlenfolge (an )n∈N konvergiert dann und nur dann, wenn lim in f an = lim sup an ∈ R n→∞ ist, d.h. wenn sie genau einen, endlichen Häufungspunkt besitzt. n→∞ Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 58 Satz: Konvergenzkriterien für Reihen 1. Ist ∞ P ak konvergent, so ist (ak )k∈N eine Nullfolge (notwendiges Kriterium). Die Umkehrung k=1 ∞ P gilt nicht, da die harmonische Reihe k=1 1 k divergent ist. 2. Ist (ak )k∈N eine monoton fallende Nullfolge, so konvergiert (−1)k ak . (Leibniz-Kriterium) Die k=1 ∞ P (−1)k 1k k=1 alternierend harmonische Reihe ∞ P ist daher konvergent. 3. Seien (ak )k∈N und (bk )k∈N Folgen. Konvergiert die Reihe beschränkt, so konvergiert auch die Reihe ∞ P ak absolut, und ist die Folge (bk )k∈N k=1 ∞ P ak · bk absolut. k=1 ∞ P 4. Seien (ak )k∈N und (bk )k∈N Folgen mit |ak | ≤ bk für alle k ≥ k0 ∈ N und ist ∞ P k=1 ∞ P |ak | konvergent.(Majoranten-Kriterium) k=1 1 kr ist konvergent für r ≥ 2, da 1 kr 1 k2 ≤ ∞ P und k=1 1 k2 konvergent nach MA1 Vorlesung. 5. Seien (ak )k∈N und (bk )k∈N Folgen mit ak ≥ |bk | für alle k ≥ k0 ∈ N und ∞ P k=1 ∞ P k=1 bk konvergent. Dann k=1 ∞ P |bk | divergent. Dann ist k=1 ak divergent.(Minoranten-Kriterium) 1 kr ist divergent für r ≤ 1, da 1 kr ≥ 1 k und ∞ P k=1 1 k divergent. 6. Gilt für die Folge (ak )k∈N lim p k k→∞ lim p k k→∞ |ak | < 1, so ist |ak | > 1, so ist ∞ X k=1 ∞ X |ak | konvergent, ak divergent (Wurzelkriterium) k=1 ∞ X 2 + (−1)k 2k k=1 r ist konvergent, da lim k k→∞ 2 + (−1)k 1 = < 1. 2 2k 7. Gilt für die Folge (ak )k∈N ∞ X ak+1 lim | | < 1, so ist |ak | konvergent, k→∞ ak k=1 lim | k→∞ ak+1 | > 1, so ist ak ∞ X k2 k=1 2k ∞ X ak divergent (Quotientenkriterium) k=1 (k + 1)2 2k 1 · 2 = < 1. 2 k→∞ 2k+1 k ist konvergent, da lim Bemerkung: Die Konvergenz nach dem Quotientenkriterium impliziert Konvergenz nach dem Wurzelkriterium, aber die Umkehrung gilt nicht - vgl. Beispiel 5. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 59 Umordnungssätze für Reihen Die Hauptregeln für das Rechnen mit endlichen Summen sind das Assoziativgesetz, Kommutativgesetz und das Distributivgesetz. Wie übertragen sich diese Regeln auf das Rechnen mit (unendlichen) Reihen? ∞ P Satz: Ist ak eine konvergente Reihe, und faßt man ihre Summanden durch Klammern zu neuen k=1 Summanden zusammen, d.h. setzt man für 0 < k1 < k2 < ...km < ... A1 := a0 + ... + ak1 , A2 := a0 + ... + ak2 , ... dann ist auch die Reihe ∞ P Am konvergent, und es gilt m=1 ∞ X ak = ∞ X Am . m=1 k=1 Zusatz: Schon vorhandene Klammern in einer konvergenten Reihe darf man jedoch dann und nur dann weglassen, wenn die so entstehende (ungeklammerte) Reihe wieder konvergiert. Definition Umordung Folge: Ist (ak )k∈N eine reelle Zahlenfolge und φ : N → N eine Permutation, dann heißt die Folge aφ(k) eine Umordung von (ak )k∈N , und ist (ak )k∈N konvergent mit k∈N Grenzwert a, so ist auch aφ(k) konvergent mit Grenzwert a. k∈N Eine Permutation φ : N → N kann sich sehr wohl auf das Konvergenzverhalten und den Grenzwert einer Reihe auswirken! Definition Umordung Reihe: Ist die Reihe ∞ P k=1 ∞ P ak eine Reihe und φ : N → N eine Permutation, dann heißt k=1 aφ(k) eine Umordnung von ∞ P Satz (Kleiner Umordungssatz): Ist ∞ P ak . k=1 ak absolut konvergent, dann ist auch jede Umordung k=1 ∞ P k=1 aφ(k) (absolut) konvergent, und es gilt ∞ X k=1 Eine absolut konvergente Reihe ∞ P ak = ∞ X aφ(k) . k=1 ak ist also gegenüber einer Umordung ihrer Summanden k=1 unempfindlich. Ganz anders ist die Situation, wenn ∞ P ak zwar konvergiert, aber k=1 konvergiert. Eine solche Reihe nennt man gelegentlich auch bedingt konvergent. ∞ P k=1 |ak | nicht Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg Satz: Ist ∞ P ak eine bedingt konvergente Reihe, dann gibt es eine Umordung φ, so daß k=1 60 ∞ P k=1 ∞ P Nennt man eine konvergente Reihe aφ(k) divergiert. ak unbedingt konvergent, wenn auch jede Umordung k=1 konvergiert, und zwar gegen denselben Grenzwert wie die Ausgangsreihe, dann kann man sagen: ∞ P Satz von Dirichlet Eine Reihe ak ist genau dann absolut konvergent, wenn sie unbedingt konvergent k=1 ist. ∞ P Riemannscher Umordungssatz: Ist ak eine bedingt reelle konvergente Reihe und s ∈ R beliebig, k=1 dann gibt es eine Umordung φ mit ∞ X aφ(k) = s. k=1 Produktreihensatz: Seien Produkt- Reihe ∞ P ∞ P ak und k=1 ∞ P bk zwei absolut konvergente Reihen. Dann ist auch jede k=1 pn absolut konvergent, und es gilt n=1 ∞ X n=1 ∞ ∞ X X bk . ak pn = k=1 k=1 Insbesondere ist die Cauchy-Produktreihe absolut konvergent. b-adische Brüche Definitionen: Sei b eine natürliche Zahl ≥ 2. Unter einem b-adischen Bruch versteht man eine Reihe der Gestalt ∞ X ± an · b−n . n=−k Dabei ist k ≥ 0 und die an sind natürliche Zahlen mit 0 ≤ an < b. Falls die Basis b festgelegt ist, kann man den b-adischen Bruch auch einfach durch Aneinanderreihung der Ziffern an als unendlicheb-adische Zahl ±a−k a−k+1 . . . a−1 a0 , a1 a2 a3 . . . angeben. Für b = 10 spricht man von Dezimalbrüchen, für b = 2 von dyadischen Brüchen. Satz:Jeder b-adische Bruch konvergiert gegen eine reelle Zahl, und umgekehrt läßt sich reelle Zahl in einen b-adischen Bruch entwickeln. Korollar: Die rationalen Zahlen liegen dicht in R, d.h. zu jedem x ∈ R gibt es (mindestens) eine Folge rationaler Zahlen (qn )n∈N mit x = lim qn . n→∞ Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 2.2 61 Potenzreihen Motivation: Aufgrund des Satzes von der geometrischen Reihe, stimmt die Reihe ∞ X xk für x ∈] − 1, 1[ mit k=0 1 überein. 1−x Definition einer Potenzreihe Es sei (ak )k∈N0 eine Folge reeller Zahlen und x0 ∈ R. Für x ∈ R heißt die Reihe ∞ X ak (x − x0 )k k=0 Potenzreihe mit Entwicklungspunkt x0 und Koeffizienten ak . Ω := {x ∈ R | ∞ P k=0 der Potenzreihe ak (x − x0 )k ist konvergent} heißt Konvergenzbereich bzw. Konvergenzintervall ∞ P ak (x − x0 )k , und R \ Ω heißt Divergenzbereich. k=0 Satz: ∞ P Ist ak (x − x0 )k konvergent in x1 , so auch für alle x ∈ R mit |x − x0 | < |x1 − x0 |. Ist k=0 ∞ P ak (x − x0 )k divergent in x1 , so auch für alle x ∈ R mit |x − x0 | > |x1 − x0 |. k=0 Satz von Cauchy-Hadamard: Existenz des Konvergenzradius ∞ P Für jede Potenzreihe ak (x − x0 )k existiert ein eindeutig bestimmtes r ∈ R≥0 ∪ {∞} mit k=0 1. Im Fall r = 0 konvergiert die Potenzreihe nur für x = x0 . 2. Im Fall r = ∞ konvergiert die Potenzreihe für alle x ∈ R. 3. Im Fall r ∈]0, ∞[ konvergiert die Potenzreihe für alle x ∈ R mit |x − x0 | < r und divergiert für alle x ∈ R mit |x − x0 | > r. Für die x ∈ R mit |x − x0 | = r ist keine allgemeine Aussage möglich. r heißt Konvergenzradius der Potenzreihe ∞ P ak (x − x0 )k . k=0 Bemerkung: Es genügt, Potenzreihen der Form Potenzreihe ∞ P ∞ P ak xk zu untersuchen, da man die allgemeine k=0 ak (x − x0 )k durch die Transformation y := x − x0 in diese einfachere Form k=0 übertragen kann. Satz: Bestimmung des Konvergenzradius Es sei die Potenzreihe ∞ P k=0 ak xk mit Konvergenzradius r gegeben. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 1. Existiert w := lim k→∞ √k |ak |, so gilt r = ak+1 |, k→∞ ak 2. Existiert q := lim | 62 1 w. so gilt r = 1q . Bemerkung: Im allgemeinen gilt immer r= 1 √ . lim sup k |ak | k→∞ √ Der Ausdruck lim sup k |ak | ist der größte Häufungspunkt der Folge (”Limes Superior”) k→∞ √ ( k |ak |)k∈N , falls die Folge beschränkt√ist; andernfalls ist der Ausdruck gleich ∞. Im letzteren 1 := 0. Ist lim sup k |ak | = 0, setzt man r = 01 := ∞, wobei dieses Rechnen mit Fall setzt man r = ∞ k→∞ ∞ nur in diesem Zusammenhang erlaubt ist! Beispiele: 1. Der Konvergenzradius der Potenzreihe ∞ X xk k=0 k! = ex für x ∈ R ist ∞, da lim | k→∞ ak+1 1 = 0. | = lim ak k→∞ 1 + k 2. Der Konvergenzradius der Potenzreihe ∞ X kk xk ist 0, da lim p k k→∞ k=0 |ak | = lim k = ∞. k→∞ 3. Der Konvergenzradius der Potenzreihe ∞ X k=0 kxk ist 1, da lim k→∞ p k |ak | = lim k→∞ √k k = 1. Insbesondere ist ] − 1, 1[ das Konvergenzintervall der Potenzreihe. Für x = 1 und x = −1 ist die Reihe offensichtlich divergent. Kapitel 3 Grenzwerte und Stetigkeit Mit Hilfe der im 2.Kapitel definierten Konvergenz reeller Zahlenfolgen kann man den Begriff Grenzwert wie folgt auf Funktionen übertragen: Definition des Grenzwertes von Funktionen Sei x0 ∈ D und f : D −→ R in einer Umgebung von x0 definiert. g ∈ R heißt Grenzwert von f an der Stelle x0 , falls für alle gegen x0 konvergenten Zahlenfolgen (xn )n∈N aus D gilt lim f (xn ) = g. n→∞ Man schreibt lim f (x) := g. x→x0 Bemerkungen: 1. Der Grenzwert von f an einer Stelle x0 ∈ R kann analog auch für x0 < D definiert werden. Beispiel: Für x ∈ D := R \ {−2} ist f (x) = x2 − 4 (x + 2)(x − 2) = = x − 2, x+2 x+2 und es folgt lim f (x) = −4 und −2 < D. x→−2 2. x → x0 wird Grenzübergang genannt, d.h. x kommt x0 beliebig nah, erreicht es aber nicht notwendigerweise. 3. Der linksseitige Grenzwert g` (x0 ) an der Stelle x0 ∈ R und rechtsseitige Grenzwert gr (x0 ) an der Stelle x0 ∈ R sind wie folgt definiert: g` (x0 ) := lim x→x0 ,x<x0 f (x) und gr (x0 ) := Besitzt f an der Stelle x0 einen Grenzwert, dann gilt: g` (x0 ) = lim f (x) = gr (x0 ). x→x0 63 lim x→x0 ,x>x0 f (x). Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 3.1 64 Definition der Stetigkeit von Funktionen Die Funktion f : D −→ R heißt stetig an der Stelle x0 ∈ D, wenn f (x0 ) der Grenzwert von f an der Stelle x = x0 ist, d.h. lim f (x) = f (x0 ) = f ( lim x). x→x0 x→x0 Äquivalent dazu ist die folgende , δ-Definition: Die Funktion f heißt stetig an der Stelle x0 ∈ D, wenn für alle reellen Zahlen > 0 ein δ > 0 existiert, so daß für alle x ∈ D mit |x − x0 | < δ folgt | f (x) − f (x0 )| < . Die Funktion f heißt stetig, falls f in jedem x0 ∈ D stetig ist. Bemerkungen: 1. Bei Stetigkeit dürfen Grenzwertbildung und Funktionsauswertung vertauscht werden. 2. f ist stetig in x0 ∈ D ⇐⇒ g` (x0 ) = gr (x0 ) = f (x0 ). Insbesondere ist f unstetig in x0 ∈ D, wenn g` (x0 ) , gr (x0 ). Satz: Stetigkeit bleibt bei algebraischen Verknüpfungen erhalten: 1. Sind die Funktionen f, g : D −→ R in x0 ∈ D stetig, so sind auch f + g, f − g, f · g in x0 stetig. f Ist g(x0 ) , 0, so ist g ebenfalls in x0 stetig. 2. Die Verkettung zweier Funktionen f und g möge existieren. Sei g in x0 und f in g(x0 ) stetig. Dann ist auch f ◦ g in x0 stetig. Beweis: Teil 1. Folgt unmittelbar aus den Limes-Regeln konvergenter Folgen. Zu 2.: Es folgt zunächst lim g(x) = g(x0 ) wegen der Stetigkeit von g in x0 und dann x→x0 lim f (g(x)) = f (g(x0 )) wegen der Stetigkeit von f in g(x0 ). x→x0 Da f (g(x0 )) = ( f ◦ g)(x0 ) und f (g(x)) = ( f ◦ g)(x), folgt die Behauptung. Beispiele für stetige und unstetige Funktionen: x für x ≥ 0 1. Die Betragsfunktion f : R −→ R, f (x) = |x| = ist in x0 = 0 stetig, da −x für x < 0 g` (0) = lim f (x) = | − 0| = 0 = |0| = lim f (x) = gr (0) und f (0) = 0. x→0,x<0 x→0,x>0 1 falls x ≥ 0 2. Die Sprungfunktion S(x) = 0 falls x < 0 aus (2.4.1) ist in x0 = 0 nicht stetig, da g` (0) = lim S(x) = 0 , 1 = lim S(x) = gr (0). x→0,x<0 x→0,x>0 0 falls x , 0 3. Die Funktion f mit f (x) = 1 falls x = 0 stetig, da g` (0) = gr (0) = 0 , 1 = f (0) . ist in x0 = 0 nicht Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 65 4. sin x und cos x sind stetig Beweisskizze: Mit Hilfe des Einheitskreises und der p-Periodizität von sin x folgt | sin x| ≤ |x| für alle x ∈ R. Das Sinus-Additionstheorem liefert | sin x − sin y| ≤ | sin(x − y)| für alle x, y ∈ R. Sei nun x0 ∈ R und > 0. Wähle δ := , und es folgt für alle x ∈ Uδ (x0 ), daß | sin x − sin x0 | ≤ | sin(x − x0 )| ≤ |x − x0 | ≤ . Also ist sin x stetig, und wegen sin x = cos(x − π2 ) ist auch cos x stetig. Definition von Grenzwerten für x → ∞: g ∈ R heißt Grenzwert von f : R −→ R für x → ∞, falls für jede über alle Grenzen hinaus wachsende reelle Zahlenfolge (xn )n∈N aus R gilt lim f (xn ) = g. Man schreibt n→∞ lim f (x) := g (für x → −∞ definiert man analog lim f (x)). x→∞ 1 x→∞ x Beispiel lim x→−∞ = 0 = lim 1 . x→−∞ x Exkurs: Die erweiterte Zahlengerade und Operationen mit +∞, −∞ Indem wir die Symbole −∞ und +∞ hinzufügen (statt +∞ schreiben wir häufig einfach ∞), definieren wir die sogenannte erweiterte Zahlengerade R := R ∪ {−∞, +∞}. Die Menge R besitzt zwar von Haus aus weder eine algebraische noch eine Ordnungsstruktur, läßt sich aber zu einer geordneten Menge machen, indem man die übliche Ordnung von R durch die Festsetzung −∞ < x < +∞ für alle x ∈ R ergänzt. Neben R werden auch die folgenden neuen Intervalltypen von Interesse sein: [0, +∞] := [0, +∞[∪ {+∞} und [−∞, 0] :=] − ∞, 0] ∪ {−∞} . Die Rechenverknüpfungen zwischen reellen Zahlen und den Symbolen −∞ und +∞ definieren wir wie folgt, wobei wir jeweils auch die Kommutativität der Summen- und Produktbildung voraussetzen: a + ∞ := +∞, a + (−∞) := −∞ x x := := 0 ∀a ∈ R; +∞ −∞ Diese naheliegenden Definitionen ergänzen wir noch durch: +∞ + ∞ := +∞ − ∞ − ∞ := −∞ Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg +∞ a · (+∞) := 0 −∞ −∞ a · (−∞) := 0 +∞ (−∞) · (−∞) := +∞; 66 für a > 0, für a = 0, . für a < 0 für a > 0, für a = 0, . für a < 0 (+∞) · (+∞) := +∞, (+∞) · (−∞) := −∞. Es wäre nun ein Trugschluß zu glauben, daß die geordnete Menge R durch diese Rechenoperationen ein geordneter Körper würde. R ist nämlich nicht einmal ein Körper. Dies erkennt man daran, daß in R verschiedene Verknüpfungen (wie etwa +∞ + (−∞)) nicht erklärt sind und daß weder das Assoziativ - noch das Distributivgesetz der Multiplikation gilt. Eins der Vorteile von R gegenüber R ist, daß in R jede Teilmenge beschränkt ist, denn −∞ ist für jede Teilmenge untere Schranke und +∞ ist für jede Teilmenge obere Schranke. Darüberhinaus besitzt in R jede Teilmenge sowohl Infimum als auch Supremum. Ist eine Teilmenge A aus R etwa nach oben (unten) unbeschränkt, so definiere supA := +∞ (infA := −∞). sup R = +∞ inf ∅ = +∞ Ferner setzen wir inf R = −∞ sup ∅ = −∞. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 3.2 67 Eigenschaften stetiger Funktionen Zwischenwertsatz: Sei f : [a, b] −→ R eine stetige Funktion und c ∈ R mit f (a) ≤ c ≤ f (b). Dann existiert ein x0 ∈ [a, b] mit f (x0 ) = c. Minimum-Maximum Satz: Jede stetige Funktion f : [a, b] −→ R nimmt ihr Minimum und Maximum an, d.h. es existieren x1 , x2 ∈ [a, b] mit f (x1 ) ≤ f (x) ≤ f (x2 ) für alle x ∈ [a, b]. Schreibweise f (x1 ) =: min{ f (x) | x ∈ [a, b]} und f (x2 ) =: max{ f (x) | x ∈ [a, b]}. Rechenregeln für Grenzwerte Falls alle Einzelgrenzwerte existieren, folgt für Funktionen f, g analog: 1. lim c f (x) = c lim f (x) mit c ∈ R konstant x→x0 x→x0 2. lim ( f (x) + g(x)) = lim f (x) + lim g(x) x→x0 x→x0 x→x0 3. lim ( f (x) · g(x)) = lim f (x) · lim g(x) x→x0 x→x0 f (x) x→x0 g(x) 4. lim 5. lim x→x0 p n = x→x0 lim f (x) x→x0 lim g(x) , falls g(x) , 0 , lim g(x) x→x0 x→x0 f (x) = q n lim f (x), falls f (x) ≥ 0 x→x0 6. lim ( f (x)n ) = ( lim f (x))n x→x0 x→x0 lim f (x) 7. lim a f (x) = ax→x0 x→x0 8. lim (ln( f (x)) = ln( lim f (x)). x→x0 x→x0 9. Aus f (x) ≤ g(x) folgt lim f (x) ≤ lim g(x) (Monotonie der Grenzwerte). x→x0 x→x0 Bemerkungen: 1. Für x → ∞ und x → −∞ gelten alle Aussagen analog. 2. Für Grenzwerte vom Typ ” 00 ”und ” ∞ ∞ ”gelten die Regeln von l’Hopital, auf die im 3.Kapitel näher eingegangen wird. Anwendungen der Grenzwert-Rechenregeln: 1. Für √ ln( x2 + 1) + 3(x + 1) f (x) = x+3 erhält man: lim f (x) = x→0 3 3 = 1. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 2. Für f (x) = 3x2 +2 x2 +3 68 erhält man mit (2.4.10) lim f (x) = lim x→∞ x→∞ 3+ 1+ 2 x2 3 x2 = 3 = 3. 1 3. Behauptung lim sinx x = 1. x→0 Beweis: Für 0 < x < π 2 gilt im Einheitskreis (∗) tan x > x > sin x, also 1 cos x > x sin x > 1 und cos x < sin x x < 1. Aufgrund der Stetigkeit von cos x und (∗) und folgt 1 = lim cos x ≤ lim sinx x ≤ 1 und daraus die Behauptung. x→0 x→0 Definition: Seinen (X, OX ) und (Y, OY ) zwei topologische Räume und f : X → Y eine Abbildung. f heißt stetig, wenn für alle O ∈ OY auch das Urbild f −1 (O) offen in X ist. Satz (Topologische Charakterisierungen stetiger Funktionen): 1. Eine Abbildung f : X → Y topologischer Räume ist genau dann stetig, wenn für jede abgeschlossene Menge A ⊆ Y das Urbild f −1 (A) abgeschlossen in X ist. 2. Wenn es sich bei X und Y darüberhinaus um metrische Räume handelt mit Metriken d und d0 , ist f genau dann stetig, wenn zu jedem > 0 und jedem x0 ∈ X ein δ > 0 existiert, so daß für alle x ∈ X mit d(x0 , x) < δ folgt d0 ( f (x0 ), f (x)) < . 3. Eine stetige Abbildung f : X → Y topologischer Räume bildet quasikompakte Mengen auf quasikompakte Mengen ab. Definition: Eine bijektive Abbildung f : X → Y topologischer Räume heißt ein Homöomorphismus, wenn sowohl f als auch die Umkehrabbildung f −1 stetig sind. Wenn eine solche Abbildung existert, heißen X und Y homöomorph. Kapitel 4 Differentialrechnung Prinzipielle Fragestellung: Wie ist das Änderungsverhalten der Funktionswerte f (x) einer Funktion f bei einer ”kleinen”Veränderung von x, d.h. wenn x sich zu x + ∆x verändert, wie verändert sich dann f (x) zu f (x + ∆x)? 4.1 Definition der Differenzierbarkeit Definitionen von Differenzenquotienten und Differentialquotienten: Sei f : D −→ R eine Funktion und x0 ∈ D. Ist f in einer Umgebung von x0 definiert, so heißt für kleine ∆x , 0 f (x0 + ∆x) − f (x0 ) f (x0 + ∆x) − f (x0 ) = (x0 + ∆x) − x0 ∆x Differenzenquotient an der Stelle x = x0 und stellt die Steigung der sogenannten Sekante durch die Punkte (x0 , f (x0 )) und (x0 + ∆x, f (x0 + ∆x)) dar. Wenn man den Grenzübergang für sehr kleine Abstände zwischen diesen beiden Punkten betrachtet, wird die Sekante geometrisch zur Tangente an dem Funktionsgraphen im Punkt (x0 , f (x0 )). Dieser Grenzübergang wird von dem sogenannten Differentialquotienten f (x0 + ∆x) − f (x0 ) ∆x→0 ∆x an der Stelle x0 beschrieben. Der Differentialquotient an der Stelle x = x0 ist also der Grenzwert des Differenzenquotienten für ∆x → 0, falls der Grenzwert existiert. ”∆x → 0”bedeutet hier, daß bei der Limesbildung nur Folgen (hn )n∈N mit lim hn = 0 zugelassen lim n→∞ sind, für die gilt hn , 0 und x0 + hn ∈ D. 69 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 70 Definition der Differenzierbarkeit einer Funktion: Eine Funktion f : D −→ R heißt in x0 ∈ D differenzierbar, falls der Grenzwert f 0 (x0 ) := lim ∆x→0 f (x0 + ∆x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 ) = lim ∆x x − x0 x→x0 ,x∈D\{x0 } existiert. Man bezeichnet ihn als erste Ableitung der Funktion f in x0 ∈ D. Eine Funktion heißt differenzierbar, falls sie in jedem x0 ∈ D differenzierbar ist. Die (erste)Ableitung der Funktion f ist definiert als Funktion f 0 : D f 0 −→ R, x 7→ f 0 (x). Bemerkungen zur Differenzierbarkeit: 1. Geometrisch interpretiert bedeutet die Existenz der Ableitung an der Stelle x0 , daß der Funktionsgraph in x0 eine eindeutig bestimmte Tangente mit endlicher Steigung besitzt, und die Ableitung einer Funktion in x0 ist gleich der Steigung der Tangente am Funktionsgraphen im Punkt (x0 , f (x0 )), d.h. f 0 (x0 ) = tan α, wobei α der Neigungswinkel der Tangente ist. 2. Die Bestimmung der Ableitung bzw. das Bilden des Differentialquotienten bezeichnet man als Differentiation / Differenzieren der Funktion f . 3. Mit folgenden Symbolen wird die Ableitung der Funktion f (x) = y notiert: f 0 (x), y0 , dy d f (x) , . dx dx Die Größen dx und dy nennt man Differentiale. dy = d f = f 0 (x0 )dx beschreibt den Zuwachs der Sekante an f im Punkt (x0 , f (x0 )) in y-Richtung für eine gegebene Änderung der x-Koordinate um dx. Beachte, daß ∆y die Änderung der Funktion bei Änderung des x-Wertes um ∆x beschreibt. Für kleine ∆x = dx gilt näherungsweise ∆y ≈ dy. Definition von links- und rechtsseitiger Differenzierbarkeit: Eine Funktion f : D −→ R heißt in x0 ∈ D von rechts differenzierbar, falls fr0 (x0 ) := lim ∆x→0,∆x>0 f (x0 + ∆x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 ) = lim x→x ,x>x ∆x x − x0 0 0 existiert, und f heißt von links differenzierbar in x0 ∈ D, falls fl0 (x0 ) := lim ∆x→0,∆x<0 f (x0 + ∆x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 ) = lim x→x0 ,x<x0 ∆x x − x0 existiert. Korollar: f ist also genau dann in x0 ∈ D differenzierbar, wenn fr0 (x0 ) und fl0 (x0 ) existieren und übereinstimmen. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 4.2 71 Ableitungen elementarer Funktionen Beispiele zur Berechnung von Ableitungen (bzw. des Differentialquotienten f (x+∆x)− f (x) ∆x ∆x→0 lim ) der folgenden Funktionen : 1. f (x) = c, c konstant : Es ist f (x + ∆x) − f (x) c − c 0 = = =0 ∆x ∆x ∆x und folglich f 0 (x) = lim ∆x→0 f (x + ∆x) − f (x) = lim 0 = 0. ∆x→0 ∆x 2. f (x) = cx, c konstant (lineare Funktion): Es gilt f (x + ∆x) − f (x) c(x + ∆x) − cx c∆x = = = c, ∆x ∆x ∆x also f 0 (x) = lim ∆x→0 f (x + ∆x) − f (x) = lim c = c. ∆x→0 ∆x 3. f (x) = cx2 , c konstant (quadratische Funktion). Es gilt: f (x + ∆x) − f (x) c(x + ∆x)2 − cx2 c(x2 + 2x∆x + (∆x)2 ) − cx2 = = ∆x ∆x ∆x 2 c(2x∆x + (∆x) ) = = 2cx + c∆x ∆x und f (x + ∆x) − f (x) = 2cx gemäß (2.4.9). ∆x f 0 (x) = lim ∆x→0 4. f (x) = x1 : Es ist f (x + ∆x) − f (x) = ∆x 1 x+∆x − 1 x ∆x = x − (x + ∆x) −1 = 2 ∆x(x(x + ∆x)) x + x∆x und folglich f 0 (x) = lim ∆x→0 5. f (x) = f (x + ∆x) − f (x) 1 = − 2 mit (2.4.9). ∆x x √ x: Es gilt f (x + ∆x) − f (x) = ∆x √ x + ∆x − ∆x √ √ x = x + ∆x − ∆x √ x √ √ x + ∆x + x · √ √ x + ∆x + x (x + ∆x) − x 1 1 = √ = √ √ · √ x + ∆x + x ∆x x + ∆x + x Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 72 und also f 0 (x) = lim ∆x→0 f (x + ∆x) − f (x) 1 = √ nach (2.4.9). ∆x 2 x 6. f (x) = xn für n ∈ N (Potenzfunktion): Es gilt nach (2.2.5): n P f (x + ∆x) − f (x) (x + = ∆x ∆x)n − (x)n ∆x = k=0 ! n n−k (∆x)k k x − (x)n ∆x ! n X n n−k = x (∆x)k−1 . k k=1 Da für ∆x → 0 nur der Summand k = 1 in der Summe nicht verschwindet, folgt: ! f (x + ∆x) − f (x) n n−1 0 = x (∆x)0 = nxn−1 . f (x) = lim ∆x→0 ∆x 1 Ableitungen wichtiger Funktionen: 1. f (x) = sin x =⇒ f 0 (x) = cos x. 2. f (x) = ex =⇒ f 0 (x) = ex . 4.3 Differentiationsregeln Satz über Summen-, Faktor-, Produkt- und Quotientenregel: Seien f, g : D −→ R in x ∈ D differenzierbare Funktionen und λ ∈ R. Dann sind auch die Funktionen f + g, λ · f und f · g : D −→ R in x ∈ D differenzierbar, und es gilt 1. ( f + g)0 (x) = f 0 (x) + g0 (x). (Summenregel) 2. (λ · f )0 (x) = λ · f 0 (x). (Faktorregel) 3. ( f · g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g0 (x). (Produktregel) 4. Ist g(ζ) , 0 für alle ζ ∈ D, so ist auch f g : D −→ R in x ∈ D differenzierbar,und es gilt: !0 f 0 (x)g(x) − f (x)g0 (x) f (x) = . (Quotientenregel) g g(x)2 Beweis: 1. und 2. folgen unmittelbar aus den bekannten Grenzwertregeln für Funktionen. Zu 3.: Es gilt f g(x + ∆x) − f g(x) f (x + ∆x)g(x + ∆x) − f (x)g(x) = ∆x ∆x 1 = f (x + ∆x)g(x + ∆x) − f (x + ∆x)g(x) + f (x + ∆x)g(x) − f (x)g(x) ∆x | {z } =0 g(x + ∆x) − g(x) f (x + ∆x) − f (x) + g(x). = f (x + ∆x) ∆x ∆x Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 73 Es folgt mit den Grenzwertsätzen ( f g)0 (x) = lim ∆x→0 f g(x + ∆x) − f g(x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g0 (x). ∆x Zu 4: Zunächst sei f konstant 1. Es gilt dann: 1 g (x + ∆x) − ∆x 1 g (x) ! 1 1 1 = − ∆x g(x + ∆x) g(x) ! ! g(x + ∆x) − g(x) 1 g(x) − g(x + ∆x) 1 = = − . ∆x g(x)g(x + ∆x) g(x)g(x + ∆x) ∆x Daraus folgt mit den Grenzwersätzen !0 1 (x) = lim ∆x→0 g 1 g (x + ∆x) − 1 g (x) ∆x =− g0 (x) . (g(x)2 Die Produktregel liefert nun: !0 !0 ! !0 f 1 1 1 0 (x) = f (x) = f (x) (x) (x) + f (x) g g g g ! ! g0 (x) 1 0 = f (x) (x) + f (x) − g (g(x)2 f 0 (x)g(x) − f (x)g0 (x) . = g(x)2 Anwendungen: Für f (x) = sin x und g(x) = cos x erhalten wir: 1. ( f + g)0 (x) = cos x − sin x. 2. ( f g)0 (x) = cos2 x − sin2 x. 3. !0 f (x) = tan0 (x) g = sin0 x cos x − sin x cos0 x sin2 x + cos2 x 1 = = . cos2 x cos2 x cos2 x Analog folgt cot0 (x) = −1 sin2 (x) . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 74 Satz (Kettenregel): Seien f : D −→ R und g : E −→ R Funktionen mit f (D) ⊆ E. Die Funktion f sei in x0 ∈ D differenzierbar, und g sei in f (x0 ) differenzierbar. Dann ist die zusammengesetzte Funktion g ◦ f : D −→ R in x0 differenzierbar, und es gilt: (g ◦ f )0 (x0 ) = g0 ( f (x0 )) f 0 (x0 ). Beweis: Die Funktion g∗ : E −→ R sei definiert durch: g(η)−g( f (x )) 0 η− f (x0 ) für η , f (x0 ) ∗ g (η) := g0 ( f (x0 )) für η = f (x0 ). Es gilt lim g∗ (η) = g∗ ( f (x0 )) = g0 ( f (x0 )) und g(η) − g( f (x0 )) = g∗ (η)(η − f (x0 )) für alle η ∈ E , η→ f (x0 ) und man erhält g( f (x))−g( f (x )) f (x)− f (x ) 0 · f (x)− f (x00 ) für f (x) , f (x0 ) g( f (x)) − g( f (x0 )) x−x0 = g∗ ( f (x))( f (x)− f (x0 )) x − x0 für f (x) = f (x0 ) x−x0 = g∗ ( f (x))( f (x) − f (x0 )) . x − x0 Es folgt (g ◦ f )0 (x0 ) = lim x→x0 f (x) − f (x0 ) g( f (x)) − g( f (x0 )) = lim g∗ ( f (x)) lim = g0 ( f (x0 )) f 0 (x0 ). x→x0 x→x0 x − x0 x − x0 Anwendungen der Kettenregel: 1. f (x) = cos x = sin(x + π2 ) =⇒ f 0 (x) = cos(x + π2 ) = cos(−x − π2 ) = sin(−x) = − sin x. 2. f (x) = esin x =⇒ f 0 (x) = cos xesin x . 3. f (x) = ax = ex ln a =⇒ f 0 (x) = (ln a)ex ln a = (ln a)ax . 2 4. f (x) = cos(eln(sin(1+x )) ) =⇒ f (x) = cos(sin(1 + x2 )) =⇒ f 0 (x) = −2x cos(1 + x2 ) sin(sin(1 + x2 )). Ableitung der Umkehrfunktion: Die Funktion f : D −→ R sei differenzierbar mit der Ableitung f 0 und besitze die Umkehrfunktion f −1 . Dann ist auch f −1 differenzierbar mit ( f −1 )0 (x) = 1 . f 0 f −1 (x) −1 Beweis: Für alle x ∈ D gilt x = f ( f (x)), und mit der Kettenregel folgt: 0 −1 −1 0 1 = f f (x) ( f ) (x) und daraus die Behauptung. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 75 Anwendungen: f (x) = ex =⇒ f 0 (x) = ex und ( f −1 )(x) = ln x. Man erhält 1 ln0 (x) = ( f −1 )0 (x) = Daraus folgt log0a (x) = 1 ln a·x f (x) = tan x =⇒ f 0 (x) = wegen loga (x) = 1 cos2 x = sin2 x+cos2 x cos2 x ( f −1 )0 (x) = 1 f0 f0 f −1 (x) = 1 eln x 1 = . x ln x ln a . = tan2 (x) + 1 und ( f −1 )(x) = arctan x und daher = f −1 (x) 1 tan2 (arctan x) +1 = x2 1 . +1 Analog erhält man: 1 , 1 − x2 1 arccos0 (x) = − √ , 1 − x2 1 arccot ’(x) = − . 1 + x2 arcsin0 (x) = √ Logarithmische Differentiation: Seien u(x) und v(x) Funktionen mit u(x) > 0. Eine Funktion y mit y = (u(x)v(x) ) wird logarithmisch differenziert, indem man 1. Die Funktionsgleichung logarithmiert: ln y = v(x) ln u(x) 2. Die logarithmierte Gleichung differenziert : 1 0 1 0 y = v0 (x) ln u(x) + v(x) u (x) und y u(x) 3. diese Gleichung nach y0 auflöst. Beispiele: y = xx . Logarithmieren: ln y = ln(xx ) = x ln x Differenzieren: 1y y0 = x 1x + 1 · ln x = 1 + ln x Auflösen: y0 = y(1 + ln x) = xx (1 + ln x). x y = x(x ) . x Logarithmieren: ln y = ln x(x ) = xx ln x Differenzieren: 1y y0 = xx x1 + (xx (1 + ln x)) ln x x Auflösen: y0 = y(xx x1 + (xx (1 + ln x)) ln x) = x(x ) (xx x1 + (xx (1 + ln x)) ln x). y = (xx )x (als Übungsaufgabe). Logarithmieren: ln y = ln ((xx )x ) = x ln(xx ) Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 76 Differenzieren: 1y y0 = x(xx (1 + ln x)) x1x + ln(xx ) x (1 + ln x)) 1 + ln(xx )). Auflösen: y0 = y(x(xx (1 + ln x)) x1x + ln(xx )) = ((xx )x )(x( x xx Ableitung von Funktionen in impliziter Darstellung Ist eine Funktion y = f (x) implizit gegeben durch F(x, y) = 0, so erhält man die Ableitung y0 , indem F gliedweise nach x differenziert wird. Jeder Term, der y enthält, muß unter der Verwendung der Kettenregel differenziert werden. Anschließend wird die differenzierte Gleichung nach y0 aufgelöst. Anwendungen für Ableitungen impliziter Funktionen: 1. Gegeben ist die Kreisgleichung für einen Kreis um den Mittelpunkt (x0 , y0 ) = (3, −2) mit Radius 5: (∗)F(x, y) = (x − 3)2 + (y + 2)2 − 25 = 0. Gesucht ist die Steigung im Punkt (x, y) = (−1, 1). Man beachte, daß y = y(x) von x abhängt. Differenzieren von Gleichung (∗) liefert: 2(x − 3) + 2(y + 2)y0 = 0, und es folgt y0 = − x−3 y+2 . Einsetzen des Punktes (x, y) = (−1, 1) liefert die Steigung y0 = 34 . 2. Gesucht ist die Ableitung der Funktion y(x), die implizit durch die Gleichung e y − e2x = xy bzw. e y − e2x − xy = 0 gegeben ist. Differentiation dieser Gleichung liefert: y0 e y − 2e2x − (xy0 + y) = 0 und also y0 (e y − x) − 2e2x − y = 0, und es folgt y0 = 2e2x +y e y −x . Höhere Ableitungen: Existiert zu einer Funktion f : D −→ R die Ableitung f 0 und ist f 0 auch differenzierbar, so bezeichnet man ( f 0 )0 als zweite Ableitung f 00 , und f heißt in diesem Fall zweimal differenzierbar. Durch wiederholtes Differenzieren gelangt man zu den Ableitungen höherer Ordnung mit folgender Notation: 1. y0 = f 0 (x) = d dx 2. y00 = f 00 (x) = f (x) für die 1. Ableitung. d2 dx2 f (x) für die 2. Ableitung. 0 3. Allgemein y(n) = f (n) (x) := f (n−1) (x) = f (0) (x) := f (x) für alle x ∈ D. dn dxn f (x) für die n-te Ableitung, n ∈ N und Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 77 Beispiele von höheren Ableitungen: 1. f (x) = eax , a ∈ R f 0 (x) = aeax f 00 (x) = a2 eax f (n) (x) = an eax . 2. f (x) = n X ak xk k=0 f 0 (x) = n X kak xk−1 k=1 f (n) (x) = an n! f (n+1) (x) = 0. 3. f (x) = sin x f 0 (x) = cos x f 00 (x) = − sin x f (3) (x) = − cos x f (4) (x) = sin x. 4.4 Kurvendiskussion und Extremwertaufgaben In diesem Abschnitt wird die geometrische Bedeutung der ersten und zweiten Ableitung f 0 , f 00 der Funktion f besprochen und ein Schema für die sogenannte Kurvendiskussion eingeführt. Das Verhalten einer mindestens zweimal differenzierbaren Funktion f im Punkt (x0 , f (x0 )) wird im Wesentlichen durch f 0 und f 00 charakterisiert. Geometrische Bedeutung der ersten Ableitung Die erste Ableitung f 0 gibt die Steigung vom Funktionsgraphen von f in allen Punkten (x, f (x)) an, in denen f differenzierbar ist, und gestattet daher Aussagen über das Monotonieverhalten des Graphen von f : 1. Falls f 0 (x0 ) > 0, wächst f streng monoton beim Durchgang durch den Punkt (x0 , f (x0 )). 2. Falls f 0 (x0 ) < 0, fällt f streng monoton beim Durchgang durch den Punkt (x0 , f (x0 )). 3. Falls f 0 (x0 ) = 0, hat die Tangente am Punkt (x0 , f (x0 )) des Graphen die Steigung Null und verläuft parallel zur x-Achse. Bemerkung: Der Funktionsgraph wird stets in Richtung zunehmender x-Werte durchlaufen. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 78 Geometrische Bedeutung der zweiten Ableitung Die zweite Ableitung f 00 ist die erste Ableitung von f 0 und beschreibt daher das Monotonieverhalten von f 0 . Insbesondere charakterisiert f 00 das Krümmungsverhalten des Graphen von f 0: 1. Falls f 00 (x0 ) > 0, wächst f 0 streng monoton beim Durchgang durch den Punkt (x0 , f 0 (x0 )), d.h. die Tangente an (x0 , f (x0 )) dreht sich im positiven Drehsinn Gegenuhrzeigersinn, und der Funktionsgraph besitzt in (x0 , f (x0 )) eine Linkskrümmung. 2. Falls f 00 (x0 ) < 0, fällt f 0 streng monoton beim Durchgang durch den Punkt (x0 , f 0 (x0 )), d.h. die Tangente an (x0 , f (x0 )) dreht sich im negativen Drehsinn Uhrzeigersinn, und der Funktionsgraph besitzt in (x0 , f (x0 )) eine Rechtskrümmung. 3. Falls f 00 (x0 ) = 0, ändert sich die Steigung der Tangenten am Punkt (x0 , f 0 (x0 )) des Graphen von f 0 nicht. Bemerkung: Falls f : D −→ R mindestens zweimal differenzierbar ist und f 00 (x) > 0, bezeichnet man f als konvexe Funktion. Falls f : D −→ R mindestens zweimal differenzierbar ist und f 00 (x) < 0, bezeichnet man f als konkave Funktion. Definitionen von lokalen (relativen) und globalen (absoluten) Extrema: Sei im folgenden D := (a, b) mit a, b ∈ R und a < b. Sei f : D −→ R eine Funktion. f besitzt in x0 ∈ D ein lokales Maximum (Minimum), falls ein > 0 existiert, so daß U (x0 ) ⊆ D und f (x0 ) ≥ f (x) (bzw. f (x0 ) ≤ f (x)) für alle x ∈ U (x0 ) gilt. Lokales Extremum wird als gemeinsamer Oberbegriff für lokales Maximum und lokales Minimum verwendet. Sei f : D −→ R eine Funktion. f besitzt in x0 ∈ D ein globales Maximum (Minimum), falls gilt f (x0 ) ≥ f (x) (bzw. f (x0 ) ≤ f (x)) für alle x ∈ D. Globales Extremum wird als gemeinsamer Oberbegriff für globales Maximum und globales Minimum verwendet. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 79 Satz: Notwendige Bedingung für ein lokales Extremum: Besitzt die Funktion f : D −→ R in x0 ∈ D ein lokales Extremum, und ist f in x0 differenzierbar, so gilt f 0 (x0 ) = 0. Beweis: Wir nehmen zunächst an, daß f in x0 ein lokales Maximum besitzt. Dann existiert ein > 0 mit U (x0 ) ⊆ D und f (x0 ) ≥ f (x) für alle x ∈ U (x0 ). Ist nun x ∈ U (x0 ) mit x > x0 , so gilt: f (x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 ) ≤ 0 , also fr0 (x0 ) = lim ≤ 0. x→x0 ,x>x0 x − x0 x − x0 Entsprechend für x ∈ U (x0 ) mit x < x0 gilt: f (x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 ) ≥ 0 , also fl0 (x0 ) = lim ≥ 0. x→x0 ,x<x0 x − x0 x − x0 Da f in x0 differenzierbar ist, folgt f 0 (x0 ) = 0. Wenn f in x0 ein lokales Minimum besitzt, erhalten wir analog f 0 (x0 ) = 0. Bemerkung: Das obige Kriterium ist zwar notwendig, jedoch keinesfalls hinreichend für ein lokales Extremum wie das Beispiel der Funktion f : R −→ R, x 7→ x3 zeigt. Satz: Hinreichende Bedingungen für ein lokales Extremum: Eine (mindestens) zweimal differenzierbare Funktion f : D −→ R besitzt an der Stelle x0 ∈ D ein lokales Extremum, wenn f 0 (x0 ) = 0 und f 00 (x0 ) , 0. Für f 00 (x0 ) > 0 ( f 00 (x0 ) < 0) liegt an der Stelle x0 ein lokales Minimum (lokales Maximum) vor. f 0 (x)− f 0 (x0 ) > x−x0 x→x0 ) = 0, folgt f 0 (x) Beweis: Sei f 00 (x0 ) > 0. Da f 00 (x0 ) = lim 0, existiert ein > 0 mit f 0 (x)− f 0 (x0 ) x−x0 und f 0 (x) > 0 für alle x ∈ U (x0 ) \ {x0 } ⊆ D. Da f 0 (x0 < 0 für x0 − < x < x0 > 0 für x0 < x < x0 + . Somit ist f im Intervall (x0 − , x0 ) streng monoton fallend und im Intervall (x0 , x0 + ) streng monoton wachsend. Insbesondere folgt, daß f an der Stelle x0 ein lokales Minimum besitzt. Im Fall f 00 (x0 ) < 0 folgt analog, daß f an der Stelle x0 ein lokales Maximum besitzt. Bemerkung: Die Bestimmung der lokalen Extrema für eine beliebig oft differenzierbare Funktion f erreicht Grenzen, wenn an der betreffenden Stelle x0 gilt f 0 (x0 ) = f 00 (x0 ) = f (3) (x0 ) = 0. In diesem Fall muß man auf das folgende Kriterium zurückgreifen, daß ohne Beweis angegeben wird: Allgemeines Kriterium für ein lokales Extremum: Für eine beliebig oft differenzierbare Funktion f : D −→ R gelte an der Stelle x0 ∈ D : f 0 (x0 ) = 0. Die ”nächstfolgende” an dieser Stelle nicht verschwindende Ableitung sei die n-te Ableitung f (n) mit n ∈ N>1 . Dann besitzt f an der Stelle x0 ein lokales Extremum, falls n gerade ist, und zwar ein lokales Minimum für f (n) (x0 ) > 0 und ein lokales Maximum für f (n) (x0 ) < 0 . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 80 Beispiel: f (x) = x4 hat an der Stelle x0 = 0 ein lokales Minimum: Es ist f 0 (x) = 4x3 , f 00 (x) = 12x2 , f (3) (x) = 24x und f (4) (x) = 24 > 0. Da f 0 (0) = f 00 (0) = f 000 (0) = 0, folgt mit (3.3.6) die Behauptung. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 81 Wende- und Sattelpunkte: Wendepunkte sind Punkte eines Funktionsgraphen, bei denen sich die Orientierung der Krümmung ändert. Ein Sattelpunkt (Terrassenpunkt) ist ein spezieller Wendepunkt, an dem der Funktionsgraph zusätzlich eine waagerechte Tangente besitzt. Bedingungen für einen Wendepunkt: Eine mindestens dreimal differenzierbare Funktion f : D −→ R besitzt an der Stelle x0 ∈ D einen Wendepunkt, wenn f 00 (x0 ) = 0 und f (3) (x0 ) , 0. Ist zusätzlich f 0 (x0 ) = 0, so liegt ein Sattelpunkt vor. Dabei wechselt der Funktionsgraph in x0 von Rechts- zu Linkskrümmung, wenn f (3) (x0 ) > 0 und von Links- zu Rechtskrümmung, wenn f (3) (x0 ) < 0. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 82 Das Schema der Kurvendiskussion: Zur Untersuchung einer gegebenen Funktion f führt man eine Kurvendiskussion durch. Um die wesentlichen Eigenschaften von f zu erfassen, sollte man sich dabei an folgendem Schema orientieren: 1. Funktion Angabe der zu diskutierenden Funktion: f . 2. Definitionsbereich von f : Ist f über R definiert, oder gibt es Definitionslücken? 3. Wertebereich Welche Funktionswerte nimmt f an? 4. Symmetrie: Ist f gerade, ungerade oder nicht symmetrisch? 5. Nullstellen Schneidet der Funktionsgraph von f die x-Achse? 6. Polstellen, Asymptoten Gibt es Polstellen? Gegebenenfalls Gleichungen für Asymptoten für x → ±∞ angeben. Falls f auf Intervall ]a, b[ definiert ist, das Verhalten von f an den Rändern untersuchen. 7. Ableitungen Bis zur dritten Ableitung bestimmen, um Extrema und Wendepunkte zu analysieren. 8. Lokale Extrema Gibt es lokale Extrema? Sind es Maxima oder Minima? Angabe der Koordinaten. 9. Wendepunkt Gibt es Wendepunkte? Angabe der Koordinaten. Sind es Sattelpunkte? 10. Skizze des Funktionsgraphen Zeichnung anhand der oben erwähnten Stützstellen. Anwendungsbeispiel einer Kurvendiskussion: Anwendung des obigen Schemas: 1. f (x) = 2 x 2 x+1 . 2. Definitionsbereich D = R \ {−1}. 3. Wertebereich W f = R≥0 . 4. Keine Symmetrie. 5. Einzige Nullstelle bei x = 0. Asymptote A(x) = 2 für x → ±∞. 6. Genau eine Polstelle bei x = −1 bzw. nicht hebbare Definitionslücke. x 1−2x x−1 00 (3) (x) = 24 7. f 0 (x) = 4 (x+1) 3 , f (x) = 4 (x+1)4 , f (x+1)54 . 8. Genau ein lokales Minimum im Punkt (0, 0). Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 83 9. Genau einen Wendepunkt in ( 21 , 29 ). 10. Skizze: Extremwertaufgaben Problemstellung: In einem definierten Intervall soll eine Funktion z = f (x, y) minimiert bzw. maximiert werden, wobei zusätzlich eine Nebenbedingung gegeben ist, mit deren Hilfe einer der beiden unabhängigen Variablen x und y eliminiert werden kann. Die Extremwertbestimmung läßt sich dann auf folgendes Verfahren zurückführen: 1. Zunächst Bestimmung der relativen Extremwerte im Innern vom Intervall I. 2. Durch Vergleich dieser Werte mit den Funktionswerten in den Randpunkten des Intervalls erhält man den gesuchen größten oder kleinsten Wert. Beispiele von Extremwertaufgaben: 1. Eine nach oben offene Dachrinne mit rechteckigem Querschnitt (Breite x und Höhe y) soll mit minimalen Materialverbrauch M konstruiert werden, so daß die Querschnittsfläche A genau 4m2 beträgt: Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 84 Es gilt M = M(x, y) = 2y + x mit der Nebenbedinung A = xy = 4 bzw. y = x4 . Letzteres eingesetzt in M(x, y) liefert f (x) := M(x, y) = x + x8 . Es folgt f 0 (x) = 1 − x82 und f 00 (x) = 16 . x3 √ √ √ 00 0 Aus f (x) = 0 folgt x = 2 2 und y = 2. Da f (2 2) > 0, liegt ein relatives Minimum vor. 2. Welches rechteckige Grundstück maximaler Fläche A kann man mit 100m Maschendraht einzäunen? Es gilt A(x, y) = xy und für den Umfang 2x + 2y = 100, woraus folgt y = 50 − x. Dies eingesetzt in die Gleichung für A ergibt f (x) := A(x, y) = 50x−x2 , und es folgt f 0 (x) = 50−2x sowie f 00 (x) = −2 < 0. Daher liegt für x = 25 = y ein relatives Maximum vor - die Fläche beträgt 625m2 in diesem Fall. Eine Überprüfung der Ränder 0 und 50 ergibt die Erkenntnis, daß A = 625m2 die gesuchte maximale Fläche ist. 4.5 Mitterlwertsätze Satz ”Differenzierbarkeit ist stärker als Stetigkeit”: Wenn eine Funktion f : D −→ R in x0 ∈ D differenzierbar ist, dann ist f in x0 ∈ D auch stetig. Die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht. Beweis: Sei f : D −→ R in x0 ∈ D differenzierbar. Dann gilt mit den Limesregeln: 1 f (x0 + h) − f (x0 ) h→0 h→0 h h( f (x0 + h) − f (x0 )) = lim = lim( f (x0 + h) − f (x0 )) und also h h→0 h→0 lim f (x0 + h) = f (x0 ) , d.h. f ist stetig in x0 . 0 = 0 · f 0 (x0 ) = lim h lim h→0 Beispiel für eine stetige aber nicht differenzierbare Funktion: x für x ≥ 0 ist in x0 = 0 stetig aber nicht Die Funktion f : R −→ R, f (x) = |x| = −x für x < 0 differenzierbar. Beweis: f ist gemäß (2.4.8) in x0 = 0 stetig. Es gilt fr0 (x0 ) = lim ∆x→0,∆x>0 f (x0 + ∆x) − f (x0 ) x0 + ∆x − x0 = lim =1 ∆x→0,∆x>0 ∆x ∆x und fl0 (x0 ) = lim ∆x→0,∆x<0 f (x0 + ∆x) − f (x0 ) −(x0 + ∆x) − (−x0 ) = lim = −1. ∆x→0,∆x<0 ∆x ∆x Da fr0 (0) , fl0 (0), ist f nach (3.1.1) in x0 = 0 nicht differenzierbar. 3.4.2 Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung: Ein anschaulich plausibler Satz besagt, daß jede Funktion f : [a, b] −→ R mit a ≤ b und f (a) = f (b) im Innern des Intervalls eine Stelle mit waagerechter Tangente besitzt. Dies ist die Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 85 Aussage des Satzes von Rolle: Ist f : [a, b] −→ R eine differenzierbare Funktion mit f (a) = f (b), so existiert ein x0 ∈ (a, b) mit f 0 (x0 ) = 0. Eine Erweiterung dieser Aussage bringt der folgende Mittelwertsatz, den wir auf den Satz von Rolle zurückführen: Mittelwertsatz: Ist f : [a, b] −→ R eine differenzierbare Funktion. Dann existiert (mindestens) ein x0 ∈ (a, b) mit f 0 (x0 ) = f (b) − f (a) . b−a f (b)− f (a) Beweis: Definiere g : [a, b] −→ R mit g(x) := f (x) − b−a (x − a). Dann ist g stetig und differenzierbar, und es gilt g(a) = f (a) = g(b). Der Satz von Rolle liefert nun die Existenz eines x0 ∈ (a, b) mit 0 = g0 (x0 ) = f 0 (x0 ) − f (b) − f (a) , b−a woraus unmittelbar die Behauptung folgt. Bemerkung: Geometrisch besagt der Mittelwertsatz, daß der Graph der Funktion f an mindestens einer Stelle eine Tangente besitzt, die parallel zur Sekante durch die Punkte (a, f (a)) und (b, f (b)) verläuft. Anwendung des Mittelwertsatzes: Sei f : [a, b] −→ R eine differenzierbare Funktion mit f 0 (x) = 0 für alle x ∈ [a, b]. Dann ist f konstant. Beweis: Seien x1 , x2 ∈ [a, b] mit x1 < x2 . Dann existiert nach dem Mittelwertsatz ein x0 ∈ (x1 , x2 ) mit 0 = f 0 (x0 ) = f (x2 )− f (x1 ) x2 −x1 und also f (x1 ) = f (x2 ), d.h. f ist konstant. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 86 Beispiel: Güterzug fährt im Bahnhof an ICE vorbei, und ICE holt Güterzug wieder ein. Gibt nach dem Mittelwertsatz einen Zeitpunkt, an dem ICE und Güterzug gleich schnell sind. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 4.6 87 Regeln von l’Hospital Sind f und g in x0 differenzierbar und f 0 und g0 in x0 stetig mit f (x0 ) = g(x0 ) = 0, so gilt: lim x→x0 f 0 (x) f (x) = lim 0 . g(x) x→x0 g (x) Beweis: Nach dem Mittelwertsatz existiert für a = x0 und b = x0 + h, h > 0 ein ζ ∈ (x0 , x0 + h) mit f (x +h)− f (x0 ) f 0 (ζ) = 0 h . Wähle δ1 ∈ (0, 1), so daß gilt ζ = x0 + δ1 h. Dann folgt f (x0 + h) = f (x0 ) + h f 0 (x0 + δ1 h). Analog existiert ein δ2 ∈ (0, 1) mit g(x0 + h) = g(x0 ) + hg0 (x0 + δ2 h), und es folgt mit der Voraussetzung f (x0 ) = 0 = g(x0 ): f (x0 + h) f (x0 ) + h f 0 (x0 + δ1 h) f 0 (x0 + δ1 h) = = . g(x0 + h) g(x0 ) + hg0 (x0 + δ2 h) g0 (x0 + δ2 h) Es ergibt sich daraus unmittelbar die Behauptung. Bemerkungen: 1. Wenn lim f (x) < R (Schreibweise lim f (x) = ”∞”) und lim g(x) < R, gilt auch x→x0 x→x0 lim x→x0 x→x0 f (x) f 0 (x) = lim 0 . g(x) x→x0 g (x) 2. Wenn lim f (x) = lim g(x) = 0 oder lim f (x) = lim g(x) = ”∞”, gilt auch x→∞ x→∞ x→∞ lim x→∞ x→∞ f (x) f 0 (x) = lim 0 . g(x) x→∞ g (x) 3. Um die Regel von l’Hospital für x → x0 auf eine Funktion f anzuwenden, muß die Differenzierbarkeit von f in einer Umgebung von x0 gewährleistet sein. 4. In vielen Fällen muß die Regel von l’Hospital mehrfach angewendet werden, um explizit einen Grenzwert zu erhalten. Allerdings gibt es auch Fälle, wo die Mehrfachanwendung versagt. Anwendungen der Regel von l’Hospital: 1. sin x cos x = lim = 1. x→0 x x→0 1 lim 2. ex − 1 ex 1 = lim = . x→0 4x x→0 4 4 lim 3. 2x2 − 1 x→∞ x2 + 3x lim (l0 Hospital) = 4x x→∞ 2x + 3 lim (l0 Hospital) = 4 = 2. x→∞ 2 lim Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 88 Unbestimmte Ausdrücke bei der Limesbildung: Die Regeln von l’Hospital gelten für sogenannte unbestimmte Ausdrücke ” 00 ” und ” ∞ ∞ ”. Unbestimmte Ausdrücke der Form 0·∞, ∞−∞, 00 , ∞0 , 1∞ lassen sich auf obige Fälle zurückführen: Seien f, g : D −→ R Funktionen und x0 ∈ D. 1. Falls lim f (x) = 0 und lim g(x) < R, schreibe f (x) · g(x) als x→x0 x→x0 f (x) oder 1 g(x) g(x) 1 f (x) und wende dann l’Hospital an. 2. Falls lim f (x) < R und lim g(x) < R, schreibe f (x) − g(x) als x→x0 x→x0 1 g(x) − 1 f (x) 1 f (x)g(x) und wende dann l’Hospital an. 3. Falls ( lim f (x) = 0 = lim g(x)) oder ( lim f (x) < R und lim g(x) = 0) oder ( lim f (x) = 1 x→x0 x→x0 x→x0 x→x0 x→x0 und lim g(x) < R), wende die Definition von x→x0 f (x) g(x) := e g(x) ln( f (x)) an und wende dann l’Hospital an. Beispiele: 1. Es ist 1 sin x − x 1 − = und somit x sin x x sin x lim x→0 1 sin x − x 1 − = lim x→0 x sin x x sin x (l0 Hospital) = cos x − 1 x→0 sin x + x cos x lim (l0 Hospital) = − sin x 0 = = 0. x→0 2 cos x − x sin x 2 lim 2. Es ist ln(1 + 1 lim x · ln(1 + ) = lim 1 x→∞ x→∞ x x 1 0 x ) (l Hospital) = lim 1 1+ x1 − x12 − x12 x→∞ = lim 3. Es ist 1 1 x lim 1 + = lim ex·ln(1+ x ) x→∞ x→∞ x (2.Beispiel) 1 = e = e. x→∞ 1 1+ 1 x = 1. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 4.7 89 Newton’sches Iterationsverfahren Das Newton-Verfahren ist ein iteratives, numerisches Verfahren, um Nullstellen von Funktionen näherungsweise zu bestimmen: Man beginnt mit einem Startwert x0 für die Nullstelle ζ der Funktion f mit f 0 (x0 ) , 0 und verbessert in Iterationsschritten diesen Wert wie folgt: Zuerst berechnet man im Punkt (x0 , f (x0 )) die Tangentengleichung t1 (x) = f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 ) und bestimmt den Schnittpunkt x1 dieser Tangente mit der x-Achse. In der Regel liegt x1 näher an der Nullstelle von f als x0 . Nun berechnet man im Punkt (x1 , f (x1 )) die Tangentengleichung t2 (x) = f (x1 ) + f 0 (x1 )(x − x1 ) und bestimmt den Schnittpunkt x2 mit der x-Achse, falls f 0 (x1 ) , 0 (sonst neuen Startwert verwenden und wieder von vorne). Durch Fortführen dieses Verfahrens nähert man sich der Nullstelle an. Wegen 0 = t1 (x1 ) = f (x0 ) + f 0 (x0 )(x1 − x0 ) folgt x1 = x0 − f (x0 ) , falls f 0 (x0 ) , 0. f 0 (x0 ) Der Algorithmus des Newton-Verfahrens lautet: 1. Initialisierung: Wähle einen Startwert x0 und ein δ := 10−5 (Genauigkeit bis auf die 5. Nachkommastelle). 2. Iteration: Für alle n ∈ N ist xn+1 = xn − Startwert x0 . f (xn ) f 0 (xn ) , solange f 0 (xn ) , 0, sonst von vorn mit neuem 3. Abbruchbedingung: Falls |xn+1 − xn | < δ, setzte ζ = xn+1 und stoppe den Algorithmus. Falls |xn+1 − xn | ≥ δ, verfahre weiter mit 2. Eigenschaften des Newton-Verfahrens: 1. Es muß f 0 (x0 ) , 0 gelten, d.h. es darf mit keinem lokalen Extremwert gestartet werden. 2. Nur wenige Iterationsschritte bis zur Nullstelle ζ von f sind nötig, d.h. schnelle Konvergenz liegt vor. 3. Das Verfahren kann divergieren (z.B. wenn f 0 (xn ) = 0 für ein n ∈ N), oszillieren oder gegen eine andere Nullstelle als ζ konvergieren (falls der Startwert x0 nicht nahe genug an ζ liegt). 4. Die erste Ableitung f 0 muß explizit als analytische Formel vorliegen. 5. Das Newton-Verfahren konvergiert immer für eine konvexe oder konkave Funktion f mit f 0 (x0 ) , 0, die eine Nullstelle besitzt. Anwendung des Newton-Verfahrens: Berechnung von Wurzeln mit Nachkommastellen √ Gesucht sind die ersten 5 Nachkommastellen von 3: √ 3 ist die einzige positve Nullstelle der Funktion f (x) = x2 − 3. Die Anwendung des NewtonVerfahrens auf diese Funktion mit f 0 (x) = 2x liefert f (xn ) x2n − 3 2x2n − x2n + 3 1 3 xn+1 = xn − 0 = xn − = = xn + . f (xn ) 2xn 2xn 2 xn Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 90 Setzt man x0 := 3 und iteriert gemäß xn+1 := 12 xn + x3n für n ∈ N, so erhält man eine schnell konvergierende Folge: x0 = 3, x1 = 2, x2 = 1, 75, x3 = 1, 73214, x4 = 1, 73205, x5 = 1, 73205. Berechnung von k-ten Wurzeln: √k a ist die positive Nullstelle von f (x) = xk − a. Mit f 0 (x) = kxk−1 gilt gemäß dem Newtonverfahren: ! a 1 (k − 1)xn − k−1 für alle n ∈ N. xn+1 = k xn Bemerkung: Die meisten Computerprogramme beruhen auf dieser Berechnungsweise. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 4.8 91 Höhere Ableitungen und Taylor-Entwicklung Motivation: Da sich Polynome bequem handhaben und leicht differenzieren lassen, möchte man auch kompliziertere Funktionen wenigstens näherungsweise durch Polynome darstellen. Wie lassen sich solche Näherungspolynome finden? Nach der Idee von Taylor (1685-1731) geht man folgendermaßen vor: Ist f eine beliebige Funktion auf einem Intervall I um 0, so macht man den Ansatz f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn + Rn (x). und verlangt, daß sämtliche Ableitungen des Polynoms P(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn von der 0-ten bis zur n-ten Ableitung im Punkt 0 mit denjenigen von f übereinstimmen. Dies ist natürlich nur möglich, wenn f wenigstens n-mal differenzierbar ist, was hier zusätzlich vorausgesetzt sei. Es soll also ein Polynom P so bestimmt werden, daß gilt (∗) f (0) = P(0), f 0 (0) = P0 (0), . . . , f (n) (0) = P(n) (0). Dabei liegt der Gedanke zu Grunde, daß sich bei Übereinstimmung der ersten n Ableitungen in 0 die beiden Funktionen f und P in genügender Nähe von 0 nur wenig unterscheiden werden. Der Unterschied beider Funktionen Rn (x) = f (x) − P(x) heißt n-tes Restglied. Man hofft, daß |Rn (x)| möglichst klein wird. Aus (∗) folgt unmittelbar für alle k ∈ N≤n n X f (k) (0) f (k) (0) f (0) = k!ak , und somit ak = bzw. f (x) = xk + Rn (x). k! k! (k) k=0 Will man allgemeiner f durch ein Polynom annähern, daß in der Nähe eines beliebigen Punktes x0 ∈ I möglichst gut mit f übereinstimmt, so ersetzt man in den obigen Herleitungen 0 durch x0 und x durch x − x0 . Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 92 Definitionen: 1. Ist die Funktion f eine reelle, n-mal differenzierbare Funktion auf einem Intervall I, so heißt Tn ( f, x) = n X f (k) (x0 ) (x − x0 )k k! k=0 n-tes Taylorpolynom von f um x0 ∈ I. 2. Das n-te Restglied Rn (x) := f (x) − Tn ( f, x) mißt die Abweichung des Taylorpolynoms Tn ( f, x) von f . 3. Ist f beliebig oft differenzierbar, so heißt T( f, x) := ∞ P k=0 f (k) (x0 ) k! (x − x0 )k die Taylorreihe von f um x0 . Ist x0 = 0, nennt man die Taylorreihe auch MacLaurin-Reihe. Bemerkungen: 1. Die Definition der Taylorreihe ist rein formal - ohne Aussagen über Konvergenz. 2. Ist eine Funktion f in eine Potenzreihe entwickelbar, dann ist diese Potenzreihe gleich der Taylorreihe von f . Satz von Taylor über die Taylorsche Formel mit Restglied Ist f eine reelle (n + 1)-mal differenzierbare Funktion auf einem Intervall I, so läßt sich f wie folgt darstellen f (x) = n X f (k) (x0 ) (x − x0 )k + Rn (x) k! (Taylorformel von f, entwickelt um x0 ). k=0 wobei x und x0 beliebig aus I wählbar sind. Das Restglied Rn (x) kann dabei folgendermaßen geschrieben werden 1. Rn (x) = f (n+1) (ξ) (x − x0 )p (x − ξ)n+1−p , n!p Schlömilchs Restgliedformel. Dabei ist p ∈ {1, 2, . . . , n + 1} eine beliebige Zahl und ξ - im Fall x , x0 - ein Wert zwischen x und x0 , dessen Lage von x, x0 , p und n abhängt. Die genaue Lage von ξ ist normalerweise nicht bekannt. Im Fall x = x0 ist ξ = x0 zu setzen. 2. Wählt man p = n + 1 in Schlömilchs Restgliedformel, so folgt der wichtige Spezialfall Rn (x) = f (n+1) (ξ) (x − x0 )n+1 , (n + 1)! Lagrangesche Restgliedformel. 3. Während man im Fall p = 1 folgendes erhält Rn (x) = f (n+1) (ξ) (x − x0 )(x − ξ)n , n! Cauchysche Restgliedformel. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 93 Verwendung der Restgliedformeln Am häufigsten wird die Lagrangesche Restgliedformel verwendet. Sie ist leicht zu merken, da man nur das (n + 1)-te Glied der Taylorformel hinzuschreiben und in f (n+1) (x0 ) das x0 durch ξ ersetzen braucht. Das ξ ist zwar unbekannt, doch das macht nichts, da man meistens Rn (x) nicht exakt benötigt, sondern lediglich |Rn (x)| von oben abschätzen möchte. Dies ist möglich, wenn z.B. f (n+1) in I beschränkt ist, wenn also eine Konstante M > 0 existiert mit | f (n+1) (x)| ≤ M in I. Dann folgt die Abschätzung |Rn (x)| ≤ M |x − x0 |n+1 . (n + 1)! mit der sich gut arbeiten läßt wie in den folgenden Beispielen anhand von ex , sin x und anderen Funktionen gezeigt wird. Beispiele zur Taylorformel 1. Für die Exponentialfunktion f (x) = ex , x ∈ R gilt f (k) (0) = e0 = 1 für alle k ∈ N0 , und die Taylorformel von ex , entwickelt um 0, lautet für n ∈ N e = x n X xk k=0 k! + Rn (x) mit Rn (x) = eξ xn+1 . (n + 1)! Dabei ist ξ ein von x und n abhängiger Wert zwischen 0 und x (im Fall x = 0 ist ξ = 0). Da |ξ| ≤ |x|, folgt |Rn (x)| ≤ e|x| |x|n+1 =: an . (n + 1)! ∞ X an+1 |x| Da = , ist an nach dem Quotientenkriterium eine konvergente Reihe. an n+2 n=1 Insbesondere ist (an )n∈N eine Nullfolge und somit lim Rn (x) = 0. Es folgt für alle x ∈ R n→∞ ex = ∞ X xk k=0 k! . Diese Reihe heißt Taylorreihe von ex um 0. Speziell für x=1 gewinnt man daraus eine Berechnungsmethode für e: e=1+ 1 1 1 + + + .... 1! 2! 3! Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 94 2. Die Taylorentwicklungen von sin x und cos x um 0 für alle x ∈ R: Es gilt sin 0 = 0, sin0 (0) = cos(0) = 1, sin00 (0) = − sin(0) = 0, sin(3) (0) = − cos(0) = −1, sin(4) (0) = sin(0) = 0. Also folgt sin x = x − x3 x5 x7 + − + · · · + Rn (x) 3! 5! 7! mit Rn (x) = sin(n+1) (ξ) n+1 x . (n + 1)! x2 x4 x6 + − + · · · + Rn (x) 2! 4! 6! mit Rn (x) = cos(n+1) (ξ) n+1 x . (n + 1)! Analog erhält man cos x = 1 − Da | sin x| ≤ 1 und | cos x| ≤ 1 und damit auch | sin(n+1) (ξ)| ≤ 1 und | cos(n+1) (ξ)| ≤ 1, folgt für die Restglieder in beiden Fällen |Rn (x)| ≤ |x|n+1 . (n + 1)! Analog zum 1.Beispiel folgt sofort lim Rn (x) = 0, und die Taylorreihen von sin x und cos X n→∞ für alle x ∈ R lauten ∞ X (−1)k x3 x5 x7 sin x = x − + − + ··· = x2k+1 , 3! 5! 7! (2k + 1)! cos x = 1 − x2 2! + x4 4! − x6 6! + ··· = k=0 ∞ X k=0 (−1)k 2k x . (2k)! Bemerkung: Die Taylorentwicklungen von sin x und cos x liefern Berechnungsmethoden, mit denen sin x und cos x beliebig genau ermittelt werden können. 3. Die Taylorformel von ln x kann man nicht um 0 entwickeln, da ln x an der Stelle x = 0 eine Polstelle hat. Stattdessen entwickelt man die Taylorformel um 1, also um die Nullstelle von ln x bzw. man entwickelt f (x) = ln(x + 1) um 0. Dann gilt f 0 (x) = (x + 1)−1 f 00 (x) = −(x + 1)−2 f (3) = 2!(x + 1)−3 , . . . f (k) = −(−1)k (k − 1)!(x + 1)−k . Für x = 0 erhält man daraus die Taylorentwicklung f (x) = ln(x + 1) = x − (−x)n x2 x3 x4 + − + ··· − + Rn (x). 2 3 4 n Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 95 Für 0 ≤ x ≤ 1 folgt aus der Lagrangeschen Restgliedformel mit einem ξ ∈]0, x[ |Rn (x)| = 1 1 xn+1 ≤ · → 0 für n → ∞. n+1 n + 1 (1 + ξ) n+1 Für −1 < x < 0 folgt aus der Cauchyschen Restgliedformel |Rn (x)| = |x| |x − ξ|n |x||x − ξ|n = (1 + ξ)n+1 1 + ξ |1 + ξ|n mit − 1 < x < ξ < 0. Wegen 1 + ξ > 1 + x und |x − ξ| |x| − |ξ| 1 − |x| = = |x| − |ξ| ≤ |x| |1 + ξ| 1 − |ξ| 1 − |ξ| |Rn (x)| ≤ folgt |x| |x|n → 0 für n → ∞. x+1 Damit erhält man für −1 < x ≤ 1 die Taylorreihe ∞ ln(x + 1) = x − X −(−x)k x2 x3 x4 + − + −··· = . 2 3 4 k k=1 Für x > 1 und x ≤ −1 liegt offenbar keine Konvergenz vor. Setzt man x = 1 ein, liefert die Taylorreihe ln 2 = 1 − 1 1 1 1 + − + − +.... 2 3 4 5 Bemerkung: Die Taylorreihe von f , entwickelt um x0 , konvergiert genau dann gegen f (x), x ∈ I, wenn das Restglied Rn (x) = f (x) − n X f (k) (x0 ) (x − x0 )k k! k=0 für n → ∞ gegen 0 konvergiert. Man schreibt dann f (x) = ∞ X f (k) (x0 ) (x − x0 )k . k! k=0 Gilt dies für alle x aus einem Intervall um x0 , sagt man ” f läßt sich in diesem Intervall in eine (konvergente) Taylorreihe um x0 entwickeln” oder ” f besitzt in diesem Intervall eine Taylorreihe um x0 ”. Satz: Konvergenzkriterium für Taylorreihen Eine beliebig oft differenzierbare Funktion f : I → R (I Intervall) läßt sich auf I in eine konvergente Taylorreihe entwicklen, und zwar um einen beliebigen Punkt x0 ∈ I, wenn gilt | f (n) (x)| ≤ CMn für alle n ∈ N und alle x ∈ I, wobei C und M von n und x unabhängige Konstanten sind. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 96 Komplexe Exponentialfunktion Die komplexe Exponentialfunktion ez ist der zentrale Baustein für die Funktionentheorie, z.B. Fourier- und Laplacetransformation. Definitionen: 1. Eine Folge (cn )n∈N komplexer Zahlen heißt konvergent gegen c ∈ C, falls zu jedem > 0 ein n0 ∈ N existiert, so daß |cn − c| < für alle n ∈ N≥n0 . Schreibweise: lim cn = c. n→∞ 2. Eine Reihe ∞ P ck komplexer Zahlen heißt konvergent, wenn für n ∈ N die Folge der k=0 Partialsummen sn = n P ck konvergiert. k=0 Die Reihe heißt absolut konvergent, wenn n P |ck | konvergiert. k=0 Bemerkung: Es gelten für Reihen in C dieselben Konvergenzkriterien wie in R (Majoranten-, Quotienten, Wurzelkriterium usw.). Lemma: Für alle z ∈ C konvergiert die komplexe Exponentialreihe ∞ k X z k=0 k! absolut. Beweis: Übungsaufgabe. Definition: Die Funktion exp:C → C z 7→ exp(z) := ez := ∞ k X z k=0 heißt komplexe Exponentialfunktion. k! Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 97 Bemerkung: ez ist die komplexe Erweiterung der reellen Exponentialfunktion exp(x) := ex = ∞ X xk k=0 x n = lim 1 + k! n→∞ n für x ∈ R. Die Eigenschaften von exp in R sind auf C übertragbar: 1. Für alle z ∈ C gilt exp(z) , 0. 2. Für alle w, z ∈ C gilt exp(w + z) = exp(w) · exp(z) (Funktionalgleichung). 3. Für alle z ∈ C gilt exp(−z) = 1 exp(z) . 4. Für alle z ∈ C gilt exp(z) = exp(z). Eulersche Formel Für alle x ∈ R gilt e jx = cos(x) + i sin(x). Bemerkung: Die Eulersche Formel läßt sich also geometrisch so deuten, daß der Punkt eix in der komplexen Zahlenebene die Komponenten cos x und sin x besitzt und sich auf der Einheitskreislinie befindet. Dabei entspricht x dem Bogenmaß des Kreisbogens zwischen dem Punkt (1,0) auf der x-Achse und dem Punkt eix . Für den zu x gehörigen Winkel φ gilt: Die Verbindungsstrecke [0, eiφ ] bildet den Winkel φ mit der positiven x-Achse. Läuft φ von 0 bis 2π, so umrundet eiφ einmal den Einheitskreis im umgekehrten Uhrzeigersinn. Für φ = π folgt speziell eiπ = −1 oder eiπ + 1 = 0. Diese Gleichung wird die schönste Gleichung der Welt genannt, denn sie verbindet in harmonischer Weise die wichtigsten Zahlen der Analysis: 0, 1, e, π und i. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg Korollar aus der Eulerschen Formel: 1. Für alle z = x + iy, x, y ∈ R folgt ez = ex cos y + i sin y . 2. Für alle x, y ∈ R gelten folgende Additionstheoreme: cos(x ± y) = cos x cos y ∓ sin x sin y sin(x ± y) = sin x cos y ± sin y cos x 3. Für alle x ∈ R gilt eix + e−ix 2 eix − e−ix sin x = . 2i cos x = Definition: Die Sinus- und Cosinusfunktion sind für z ∈ C wie folgt definiert eiz + e−iz 2 iz e − e−iz sin z = . 2i cos z = Beachte, daß 1 i = −i ist. 98 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 99 Bemerkung über die Eleganz der komplexen Analysis: Exponentielle - und trigonometrische Funktionen gehen eine harmonische Verbindung ein. Polarkoordinaten Es sei z = a + ib , 0 ein beliebiger Punkt der komplexen Ebene. Mit r sei die Streckenlänge von 0 bis z bezeichnet, und φ sei ein Winkel zwischen der Strecke und der positiven reellen x-Achse. Dann ist z durch das Paar (r, φ) eindeutig bestimmt. Dabei gilt √ r = |z| = a2 + b2 . Man nennt φ ein Argument von z, und φ ∈ arg(z) := {φ + 2kπ | k ∈ Z} bezeichnet die Menge aller Argumente von z. φ wird im Bogenmaß angegeben und ist nicht eindeutig bestimmt, da mit φ auch φ + 2kπ mit k ∈ Z Argumente von z sind. Man bezeichnet den Winkel φ von z, der −π < φ ≤ π erfüllt, als Hauptargument von z, geschrieben φ = Arg(z). Es ist arccos ar φ = Arg(z) = − arccos ar für b ≥ 0 . für b < 0 φ = Arg(z) ist durch z , 0 eindeutig bestimmt. r und φ heißen Polarkoordinaten von z. z = 0 ordnet man als Polarkoordinaten r = 0 und φ beliebig aus R zu. Umgekehrt lassen sich Realanteil a und Imaginäranteil b einer komplexen Zahl z = a + ib aus den Polarkoordinaten r und φ wie folgt gewinnen a = r cos φ, b = r sin φ, und es folgt z = a + ib = r(cos φ + sin φ) = reiφ . Korollar: Jede komplexe Zahl z läßt sich schreiben als z = reiφ (Polarkoordinaten-Darstellung von z), wobei r und φ Polarkoordinaten von z sind. Bemerkung: Dir Multiplikation zweier komplexer Zahlen z1 und z2 läßt sich wie folgt darstellen: Mit den Polarkoordinaten-Darstellungen z1 = r1 eiφ1 , z2 = r2 eiφ2 erhält man das Produkt z = z1 · z2 = r1 r2 ei(φ1 +φ2 ) . Bei Multiplikation zweier komplexer Zahlen multiplizieren sich also die Beträge und addieren sich die Winkel. Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 100 n-te Einheitswurzeln Welche z ∈ C lösen die Gleichung zn − a = 0 mit n ∈ N, a ∈ C \ {0}? Ansatz: Aus zn − a = 0 folgt |zn | = |a| ⇐⇒ |z|n = |a| ⇐⇒ |z| = p n |a|, und es folgt z= p n |a| · eiφ bzw. zn = |a| · einφ für geeignetes φ ∈] − π, π]. Da a = |a| · eiα für ein geeignetes α ∈] − π, π], erhält man aus zn = a einφ = eiα ⇐⇒ ei(nφ−α) = 1 ⇐⇒ nφ − α = 2πk, k ∈ N0 k α ⇐⇒ φ = 2π + , k ∈ N0 , n n und es ergeben sich n verschiedene Lösungen: z= p n α |a| · ei(2π n + n ) , k = 0, 1, . . . , n − 1. k Beispiel: Bestimme alle Lösungen z der Gleichung zn − 1 = 0. Lösung: k z = 1 · ei(2π n ) , k = 0, 1, . . . , n − 1. Definition: k Für n ∈ N heißen die Zahlen ei(2π n ) , k = 0, 1, . . . , n − 1 die n-ten Einheitswurzeln. Bemerkungen: Die n-ten Einheitswurzeln sind nach Definition genau die Lösungen der Gleichung zn − 1 = 0 und liegen daher in der komplexen Ebene alle auf dem Einheitskreis: Ist z Lösung von zn − 1, so folgt |z| = 1. Die 2-ten Einheitswurzeln sind 1 und -1. √ Die 3-ten Einheitswurzeln sind 1, − 12 + i 3 2 und − 21 − i √ 3 2 , da z3 − 1 = (z − 1)(z2 + z + 1). Insbesondere folgt: cos(120◦ ) = − 12 = cos(240◦ ) und sin(120◦ ) = √ 3 2 √ sowie sin(240◦ ) = − 3 2 . Die 4-ten Einheitswurzeln sind 1, i, -1 und -i. Übungsaufgaben: Bestimme die 5-ten Einheitswurzeln und drücke sin(72◦ ) und cos(144◦ ) möglichst einfach aus. n−1 P k Sei ω , 1 eine n-te Einheitswurzel. Man zeige, daß ω = 0. k=0 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg Komplexer Logarithmus und komplexe allgemeine Potenz Für w ∈ C \ {0} und z = x + iy ∈ C gilt w = ez ⇐⇒ |w|ei(Arg(w)+2πk) = ex · eiy , k ∈ Z ⇐⇒ x = ln |w| und y = Arg(w) + 2πk, k ∈ Z ⇐⇒ z = ln |w| + i(Arg(w) + 2πk), k ∈ Z. Definition: Für z ∈ C \ {0} heißt log z := ln |z| + iarg(z) = {ln |z| + i(Arg(w) + 2πk) | k ∈ Z} komplexer Logarithmus von z und Log z := ln |z| + iArg(z) Hauptzweig des Logarithmus von z. Beispiel: Es ist log 1 = ln |1| + iarg(1) = {i2πk | k ∈ Z} und Sei im folgenden C∗ := C \ {0}. Log 1 = ln |1| + iArg(1) = 0. 101 Analysis 1 WS 2012/13, Michael Fröhlich, OTH Regensburg 102 Definitionen: Für p ∈ C wird die komplexe allgemeine Potenzfunktion definiert als: C∗ → C∗ , z 7→ exp(p log z). C∗ → C∗ , z 7→ exp(p Logz) Die Funktion heißt Hauptzweig der allgemeinen komplexen Potenzfunktion. Schreibweise: Das Symbol zp bezeichnet kontextabhängig exp(p log z) oder exp(p Logz). Beispiel: 2 log(i ) (i ) = exp i Log(i2 ) 2 i log(−1) = exp i Log(−1) log(i) i2i = exp 2i Log(i) −(π + 4πk), k ∈ Z = exp −π Bemerkung: Für komplexe allgemeine Potenzen gilt im allgemeinen (zp )q , zpq , z, p, q ∈ C. Moivre-Formel Für z = x + iy und n ∈ N und den Polarkoordinaten r und φ gilt zn = rn cos(nφ) + i sin(nφ) und mit k = 0, 1, . . . , (n − 1) √ n z= √ n −(π + 2πk), k ∈ Z = exp −π 2 i (π + 2πk), k ∈ Z = exp 2 i π ! !! φ + k2π φ + k2π r cos + i sin n n . .