Lecture 1 - Bauhaus-Universität Weimar

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Prof. Dr. Kari Juhani Jormakka
Professur Theorie und Geschichte der modernen Architektur
Bauhaus-Universität Weimar
Notizen zur Vorlesungsreihe
„Architekturgeschichte“
Nur zur indiduellen Vorbereitung auf die Prüfung!
© 2009, Professur Theorie und Geschichte der Modernen Architektur, Bauhaus-Universität Weimar
Prof. Dr. Kari Jormakka
Assistenz: Michael Kraus
Druck: ReproCenter Weimar
Sämtliches Material dient Lehrzwecken und ist nicht zur Vervielfältigung freigegeben.
Zur Geschichte der modernen Architektur
Prof. Dr. Kari Jormakka
Notizen zur Vorlesung
NB: die folgenden Notizen sind lediglich eine work in progress und in aller Eile zusammengefügt. Ich
begrüße jede Form von Hinweisen and Kritik, die helfen, in den kommenden Semestern ein besseres
Skript zur Verfügung stellen zu können.
Lecture 1 | Das Unbewusste
Ist die moderne Architektur ein Produkt der neuen Materialien und Konstruktionstechniken, wie viele
Historiker behaupten, oder gibt es andere Kräfte, die der Modernität zugrundeliegen?
In seinem Buch Bauen in Frankreich (1928) schreibt Sigfried Giedion:
„Die neuen Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts zeigten sich viel klarer in seinen Konstruktionen als in
seiner Architektur. Während jener Zeit spiegelte die Konstruktion das Unterbewusstsein der
Architektur und enthielt Dinge, die sie ankündigten und zum Teil offenbarten, lange bevor sie
Wirklichkeit werden konnte.“
Mit dieser Formulierung versuchte Giedion an die zu seiner Zeit moderne Psychoanalyse Sigmund
Freuds anzuschließen. Nur fünf Jahre früher hatte Freud zwischen drei Elementen oder Instanzen in der
menschlichen Psyche unterschieden: dem Es, dem Ich und dem Über-Ich. Das Ich entspricht unserem
Selbstbewusstsein, unserem Gewissen, unserem rationalen und bewussten Denken und Handeln. Das
Ich ensteht aber aus dem Es, und wird auch später durch das Es beeinflusst und teilweise gesteuert. Das
Es tritt dabei an die Stelle des Unbewussten und bildet das triebhafte Element der Psyche. Das ÜberIch bezeichnet jene psychische Struktur, welche die sozialen Handlungsnormen beinhaltet und die
triebhaften Impulse des Es zu verdrängen sucht. Diese Verdrängung aber kann zu Neurosen und sogar
Psychosen führen.
In der Sichtweise Giedions würde ein technologischer Determinismus das Unterbewusstsein der
Architekturentwicklung darstellen, wobei er mit der Begrifflichkeit des Unterbewusstseins gleichzeitig
eine gewisse Dynamik suggerieren will. Das Es wäre so das dynamische Element, das im Gegensatz
zum Kontrollmechanismus des Über-Ich stünde, das die gesellschaftlichen Vorstellungen, das was
angemessen ist, darstellt. Das Über-Ich wäre in Giedions Lesart insofern der Feind einer gesunden
architektonischen Entwicklung, als Giedion die Entwicklung der Konstruktion als das konstituierende
Element betrachtet. Dieses Element wäre das Unterbewusstsein, das man nicht verdrängen darf. Das
Über-Ich in Form der Tradition würde aber versuchen, diese latenten Tendenzen zu verdrängen. So
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gesehen führen Traditionen zu Repressionen und zu Fehlleistungen der Architekturentwicklung. Stile
in Form des Über-Ich, folgt man Giedion, stellen so den Hauptfeind des Es als dem Unterbewusstsein
der Architektur dar.
Ein direktes architektonisches Ergebnis der technologischen Entwicklung sah Giedion in der Erfindung
des Hochhauses. Das Hochhaus bildete für ihn eine neue Typologie des zwanzigsten Jahrhunderts, wo
sich die Erfindungen des Liftes und des Stahlskelettbaus als unbedingte Voraussetzungen seiner
Entwicklung zeigten.
Er zieht eine direkte Linie von der Entwicklung der ersten Eisenkonstruktionen im Brückenbau bis hin
zum Einsatz des Eisens und später Eisenbetons in der Architektur. In weiterer Folge beschreibt Giedion
die enorme Entwicklung des Brückenbaus im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert und beginnenden
neunzehnten Jahrhundert mittels des Einsatzes von Eisen als Konstruktionswerkstoff. Den
Ausgangspunkt dieser Entwicklung bildet die erste Gusseisenbrücke über den Fluss Severn 1775 -1779
in Coalbrookdale (nur wenige Jahre nach der Fertigstellung von Vierzehnheiligen errichtet), die von
Abraham Darby entworfen wurde. Sie weist eine Spannweite von 30 Metern und eine Höhe von 15
Metern auf. Giedions Darstellung einer kontinuierlichen Entwicklung von Eisenbrücken stützt sich auf
die immer größeren Spannweiten, die Brücken erreichten. So beschreibt er die Entwicklung von der
Sunderland – Brücke von 1793-96, die in einem Bogen 72 Meter spannt, bis hin zu neuen
Brückenformen, wie den Drahtseilhängebrücken, von denen die Brücke von Marc Seguin über die
Rhône in der Nähe von Tournon aus dem Jahre 1824 ein Beispiel bildet. Mit den neuen Brücken
konnten enorme Spannweiten erreicht werden, „die früher jenseits der menschlichen Möglichkeiten
lagen“. Diese Entwicklung erreichte schließlich ihren vorläufigen Höhepunkt in der Konstruktion der
Golden Gate Bridge in San Francisco 1933 – 1937 mit einer Spannweite von 1280 Metern und einer
Gesamtlänge von 2800 Metern. Diese dynamische Entwicklung der Eisenkonstruktionen ging später,
folgt man Giedions Ausführung, nahtlos in die Verwendung des Eisens in der Architektur über.
Eisen fand beim Bau utilitaristischer Gebäude, etwa dem neuen Typus der Bahnhöfe, Anwendung, bei
denen eine große Spannweite funktional notwendig war. Dabei bedeutet die Verwendung von Eisen für
die Dachkonstruktion über Gleis und Bahnsteig nicht automatisch, dass das neue Material damit für die
Architektur akzeptiert war. Im Gegenteil war es nicht unüblich, dass die Eisen- und Glasüberdachung
über den Bahnsteigen durch einen Ingenieur entworfen wurde, während ein Architekt lediglich der
simplen Hülle und der Fassade zur Straße oder Platz eine sozial akzeptierte Form gab.
Als das neue Material schließlich akzeptiert wurde, produzierte es eine völlig andere Art von
Architektur. Eines der besten Beispiele für den Einfluss von Material auf architektonische Form findet
sich in zwei Hochhäusern des selben Architekten, John Root von Burnham & Root, für die gleiche
Funktion, in der selben Stadt, nur ein paar Blocks voneinander entfernt. Die Gebäude sind das
Monadnock Building, eine Mauerwerkskonstruktion, die ihren Namen von einem Gebirgszug entleiht
und das Reliance Building, vielleicht die erste konsequente Anwendung einer tragenden
Stahlkonstruktion mit Vorhangfassade.
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Chicago spielt eine zentrale Rolle für die Entwicklung des Hochhauses und ganz allgemein der
modernen Architektur. Ein zeitgenössischer Beobachter, C.B. Berry, betonte, dass: „The feature of
Chicago is its marvellous energy. America is energetic, but Chicago is in fever.” Das Wachstum der
Stadt im 19. Jahrhundert war unheimlich schnell. Nach der Gründung durch die ersten europäischen
Siedler 1770, lebten in 1821 insgesamt rund 15 Menschen in Chicago. Aber schon 1854 war diese Zahl
auf 65.872 angewachsen und 1868 hatte die Einwohnerzahl die Grenze von einer viertel Million
überschritten. Im Jahr des großen Brandes 1871 lebten rund 324.000 Menschen in Chicago. Nach dem
Brand und den verheerenden Zerstörungen, die er über weite Teile des Chicagoer Zentrums und
darüber hinaus brachte, ging das Bevölkerungswachstum sogar noch schneller voran. Bereits 20 Jahre
nach dem Brand war die Millionengrenze erreicht und schon 1926, gerade einmal einhundert Jahre,
nachdem sie das Stadtrecht erhalten hatte, bewohnten mehr als 3,15 Millionen Menschen die Stadt am
Michigansee.
Wenn wir damit zum Beispiel des Hochhauses zurückkehren und nochmals das deterministische
Argument der Moderne betrachten, dann gründet sich eine deterministische Sichtweise auf die
Annahme, dass die Entstehung des Hochhauses durch die Erfindung des Fahrstuhls und des
Stahlskelettbaus ermöglicht wurde, wobei gleichzeitig eine Notwendigkeit bestand, hohe Häuser zu
errichten. Diese Notwendigkeit begründete sich – so die allgemeine Annahme – in einer verstärkten
Nachfrage nach Wohnflächen aufgrund einer raschen Bevölkerungszunahme bei gleichzeitigem
Mangel an zu Verfügung stehenden, bebaubaren Grundstücken. Die erhöhte Nachfrage und der Mangel
an Bauflächen führten schlussendlich zu einer dichten, vertikalen Bebauungsstruktur. So war in
Manhattan – folgt man dieser allgemeinen These – aufgrund seiner geographischen Lage als Insel eine
Flächenvermehrung nur infolge einer vertikalen Dichtezunahme möglich, sodass in Folge dessen
Hochhäuser errichtet wurden. Entgegen dieser Argumentation glaubt Thomas van der Leeuwen, dass
die ausschlaggebende Ursache für die Erfindung des Hochhauses vielmehr in der Lage des Hochhauses
und seiner Nähe zum öffentlichen Verkehrsnetz gelegen wäre. Seine Hauptargumente gegen die lackof-space Theorie gründen sich darauf, dass die ersten Hochhäuser in New York Büronutzungen hatten
und somit nicht deswegen geplant wurden, um die wachsende Bevölkerung durch zusätzliche
Wohnfläche aufnehmen zu können. Außerdem geht er davon aus, dass ein erhöhter Bevölkerungsdruck
- wie europäische Gegenbeispiele dieser Zeit zeigen – weder zwangsweise zu erhöhten Immobilienund Grundstückspreisen noch zur Entwicklung von Hochhäusern führen. Letztlich wäre auch die
Entwicklung von Hochhäusern in Chicago, wo die Hochhäuser ursprünglich erfunden wurden,
aufgrund der Weite und Unbegrenztheit der Stadt nach Westen mittels der lack of space Theorie nicht
erklärbar.
Vielmehr hätte – so meint van der Leeuwen - die Entwicklung des Hochhauses eines urban
hochenergetischen Zustands bedurft, der einen bestimmten Grad an Ungeordnetheit und Chaos
erlaubte. Dieser Zustand in Verbindung mit der Zugänglichkeit zur öffentlichen Infrastruktur - wie im
Fall Chicagos zum Loop – war für die Erfindung des Hochhauses maßgebend. So identifiziert er in
seiner Theorie der Nähe kurze Wege als relevante Größe. Kurze Distanzen zu städtischen
Infrastruktursystemen und das menschliche Phänomen, konzentrierte Ansammlungen zu bilden, stellten
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zusammen mit einem zu Grunde liegenden Spekulationsmechanismus die Grundlage für die
Hochhausentwicklung dar. Die ersten Hochhäuser waren rein kommerziell genutzt und so war Nähe,
wie in mittelalterlichen Städten, das entscheidende Kriterium.
Van der Leeuwen führt als Unterstützung seiner These, wonach hochenergetisches Chaos wichtig war,
an, dass das energetische Chaos in Chicago um 1870 im Vergleich zu New York zu dieser Zeit viel
höher gewesen ist und dass die positiven Folgen chaotischer Aspekte auch auf die Entwicklung der
inneren Organisation von Hochhäusern zu dieser Zeit bezogen werden müssten. Er schreibt: „Firmen
wechselten vom separierten Zellensystem zum offenen Bürosystem. Das Ergebnis waren
Durcheinander und Chaos, aber auch eine sehr überzeugende Entfaltung energetischer Aktivität.“
Da Spekulation und Landwert als solches nur relative Begriffe bildeten und wenig mit absoluten
Quantitäten zu tun hatten, war Nähe das, was wirklich zählte. Es war die Anzahl an verfügbarer Nähe,
die knapp wurde, sowohl in Chicago als auch in Manhattan: „Knappheit an Nähe konnte überall
erzeugt werden: In Manhattan, in den Weiten von Chicago und sogar in Birmingham, Alabama.“
Van Leeuwen bezieht sich weiterhin auf die Idee von zentripedalen Kräften und bringt diese in
Zusammenhang mit dem psychologischen Phänomen der Agoraphobie und der irrationalen
menschlichen Eigenschaft des allgemeinen, freiwilligen Zusammenrückens - „to huddle together like
frightened sheep in the dark“-, welche mitentscheidend für die Entstehung des Hochhauses gewesen
sein dürften.
Dieser Wille, sich in derselben Nachbarschaft anzusiedeln, musste - so meint van Leeuwen – auf einer
unausgesprochenen Übereinstimmung beruhen, die einerseits durch soziale Loyalität genährt wurde,
andererseits gleichzeitig von Misstrauen, Neid und natürlich Wettbewerb getragen war. Stärker als
Zentrifugaltendenzen wären im Wachstum der kommerziellen amerikanischen Stadt zentripedale
Kräfte gewesen. So folgert er, dass die Leistungsfähigkeit der Nähe auch die Grundlage des
kommerziellen Büroviertels, des kommerziellen Business Districts wie wir ihn heute kennen, bildete.
Auch Carol Willis stellt sich entschieden gegen die Ansicht, wonach technologische Funktionen den
Primärgrund für die Entwicklung von Wolkenkratzern bildeten. Vielmehr meint sie, dass die Ursachen
für die Entwicklung der Hochhäuser in den strengen, ökonomischen Zwängen, die auf der Optimierung
von Räumlichkeiten beruhten, gesehen werden müssten.
Es wären also ökonomische Funktionen gewesen, welche die Ursachen für die Entwicklung des
Hochhauses bildeten. Deshalb könne man auch nicht von einer primär technologischen, sondern müsse
vielmehr von einer kommerziellen Natur der Hochhäuser sprechen. Diese zeige sich in ökonomischen
und
pragmatischen
Stadtbebauungsgesetzen.
Faktoren,
wie
Hochhäuser
lokalen
wären
Landnutzungsmustern,
somit
spekulative
Zoning-Laws
Gebäude,
bei
und
denen
Entwicklungsökonomien und Immobilienzyklen entscheidende Determinanten in der Festlegung von
Gebäudehöhen und Raumverteilung darstellen und so die Hochhausstruktur bestimmen. Willis stellt
fest: „Wolkenkratzer sind die ultimative Architektur des Kapitalismus“ und „ein Gebäude muss sich
bezahlt machen, da ansonsten kein Investor bereit sein wird, seine Kosten zu tragen.“ Deshalb wären
nicht die Logik des Materials und seine technische Optimierung, sondern die Optimierung von
Räumlichkeiten entscheidend für die Entwicklung des Hochhauses gewesen. Die Schaffung von gutem
und qualitätvollem Büroraum stellte einen grundlegenden Baustein in der Hochhausentwicklung dar,
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wo letztlich der ökonomische Faktor von Cost und Return die entscheidende Größe im
Optimierungsprozess von Raumverteilungen in Hochhäusern gewesen war.
Dadurch wird auch erklärt, warum sich das Hochhaus primär als Bürobau entwickelte. Die Architekten
akzeptierten die vorgegebenen ökonomischen Formeln als gegebenen Rahmen, innerhalb dessen sie
dann auf intelligente Weise ihre eigene Ökonomie entwickelten, um damit architektonische Produkte
zu schaffen.
Zu diesen den Giedion´schen Standpunkt relativierenden Argumentationen von Willis und van der
Leeuwens können weitere Argumente hinzugefügt werden, nämlich jene, die in der Überlegung fußen,
dass Hochhäuser schon vor der Erfindung von Lift und Eisenkonstruktion bestanden und ihren
Ursprung bereits in der Antike hätten. Der schon im Altertum errichtete Pharos von Alexandria
erreichte bereits die beachtliche Höhe von circa 115 Metern. Die Funktion des turmartigen Gebäudes
war von allgemeinem Nutzen und bestand primär darin, Orientierungsmöglichkeiten für die Schifffahrt
zu gewährleisten, sodass für die Errichtung des Gebäudes die Schaffung von optimierten Flächen nicht
entscheidend war, sondern vielmehr das Erreichen einer bestimmten Höhe. Das Problem der aufgrund
der konstruktiven Erfordernisse sich nach unten aufweitenden Mauerstärken bedeutete keine
Einschränkung der Funktion. Ganz im Gegensatz zu den schon beschrieben späteren Bürobauten wie
etwa dem Monadnock Building, bei dem so vermietbare Fläche verloren ging und somit diese
Konstruktion kommerziell micht erfolgreich machte. Neben der kommerziellen spielen also auch
andere Funktionen für die Herausbildung des Typus hoher Gebäude eine Rolle.
Andere historische Beispiele hoher Gebäude bilden die Geschlechtertürme von San Gimignano und
Bologna. Für ihre Errichtung bildeten primär psychologische Funktionen, wie das Streben nach Status,
die Hauptmotivation.
Diese Konzeption der psychologischen Motivation, bei der die Begründung für die Errichtung eines
Turms in dem damit verbundenen und angestrebten Statussymbol gesehen wird,
zeigt sich
wahrscheinlich am offensichtlichsten in der Idee des Turms zu Babel, welcher das Ideal eines
Hochhauses darstellt. Deshalb argumentiert Joseph August Lux, dass die Idee von Hochhäusern
kulturhistorisch latent vorhanden war und dieser zeitlose Traum von Höhe durch die Technologie erst
realisiert wurde: „„Wenn ich ein Vöglein wär…“, singt die alte Sehnsucht. Zu Babel wurde ein Turm
gebaut, den man nicht fertig zu bringen vermochte. Die Menschheit träumt seither von dem
übermenschlichen des babylonischen Turmes. Aber die Techniker von heute verwirklichten diesen
Traum und bauten Wolkenkratzer, gegen die die höchsten Türme der Erde zwergenhaft aussehen.“
Die Technologie dient so als Mittel der Umsetzung für Ideen, wie den Turm von Babylon, die sich a
priori auf mythologische oder psychologische Funktionen zurückführen lassen und seit der Antike stets
präsent waren. Unterstützt wird diese Überlegung der latenten Idee nach Höhe dadurch, dass aus
zeitgenössischer Sicht die ersten Hochhäuser nicht immer als radikale Novität erfahren wurden. Vor
allem aus europäischer Perspektive wurden oben angeführte Beispiele immer wieder als historische
Parallelen herangezogen, um das Phänomen des amerikanischen Hochhauses zu erklären. Der 1904
nach Manhattan gereiste deutsche Historiker Karl Lamprecht verglich die dort gesehenen Hochhäuser
mit den vielen Geschlechtertürmen von San Gimigniano und Le Corbusier meint, dass das Wachstum
des Hochhauses nur durch den Turm von Babel erklärbar wäre.
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Ganz in der Nähe des Midway Plaisance, der Amüsiermeile der Worlds Columbian Exhibition, die in
einer Art Evolutionsreihenfolge die baulichen Triumphe der White City in einer Reihe bis zu den
primitiven Behausungen afrikanischer Völker zeigte, baute unbemerkt ein freundlicher, einnehmender
Herr den vielleicht wirklich tiefsten Punkt der kulturellen Entwicklung dieser Zeit: das Holmes Hotel.
In diesem von außen unscheinbaren Haus, in dessen Innerem jedoch schalldichte Räume und ein
besonders heiß brennender Ofen integriert waren, richtete der Arzt und Apotheker H.H. Holmes in den
Jahren vor und während der Ausstellung eine Reihe von jungen Frauen hin und ging so als erster
Serienmörder Amerikas in die Geschichte ein. Vielleicht zeigt sich hier, am Gegenüber des
Höhepunktes baulichen Schaffens, der White City, und dem dunklen Ort grausamer Morde das
Konzept von der Dialektik der Aufklärung am deutlichsten, steckt das Unbewusste, das Giedion dem
Eisen zusprach, letztlich doch mehr im Menschen als der Architektur.
Am Anfang der Dialektik der Aufklärung erklären Theodor W. Adorno und Max Horkheimer: “Die
vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.” Aufklärung und Modernität sind in
sich gespalten und eröffnen eine Welt der Demokratie und Freiheit, aber auch eine Welt des
Völkermordes und unermesslicher Brutalität. Die Autoren vergleichen die Aufklärung mit magischem
Denken. Während die Magie ein Versuch ist, die Natur präkonzeptuell zu imitieren, versucht der
Mythos, das Selbst von der Natur zu trennen und die Natur durch Benennungen, Klassifizierungen und
Rationalisierungen der menschlichen Kontrolle zu unterwerfen. Diese Tendenz wird durch das
intensiviert, was Max Weber die Entzauberung der Welt nannte, die Geburt des wissenschaftlichen
Rationalismus und Empirizismus. Wenn die Natur nicht länger als etwas angesehen wird, das geheime
Kräfte besitzt, dann ist Verdinglichung und Unterwerfung möglich - zuerst der Natur und danach von
anderen Menschen. Daher wird Francis Bacons Credo “Wissen ist Macht” dahingehend verstanden,
daß es eher zur Konzentration auf instrumentelle als auf inhärente Werte führt, zu David Humes
Ausschluß des Ethischen vom rationalen Diskurs und schließlich zu den dunklen Autoren der
Bourgeoisie, wie Marquis de Sade und Friedrich Nietzsche, mit ihrer Vorliebe für Orgien und Folter.
Schließlich argumentierten Horkheimer und Adorno, daß das Aufklärungsprojekt - die Befreiung oder
Bereinigung des Selbst von jeglichen Spuren der amorphen Natur - notwendigerweise zu einer
Auflösung des autonomen Selbst führe, eine Kondition, die, wie sie behaupten, charakteristisch für eine
totalitäre Gesellschaft sei. Insofern kehrt die Aufklärung in ihrer letzten Phase zu ihrem Ursprung
zurück, der im Mythos und in der Gewalt wurzelt, und kulminiert schließlich in Auschwitz.
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Lecture 2 | Der Blick
Ledoux schrieb sein Traktat im Gefängnis und widmete es Zar Alexander I von Russland, in der
Hoffnung, so vielleicht einen Auftrag erhalten zu können.
Michel Foucault mag ein zu überzeugter Foucauldianer gewesen sein, als er das Panopticon zum
Paradigma der Moderne erklärte und dabei die ein wenig ältere, doch ebenso einflussreiche Erfindung
des Panoramas übersah. Das Panopticon, erstmals 1791 von Jeremy Bentham publiziert, und das
Panorama, 1787 von Robert Barker patentiert, ähneln einander formal: beide sind Rundbauten mit
einem Betrachter im Zentrum. In funktioneller Hinsicht sind sie jedoch sehr verschieden. Während das
panoptische Gefängnis das Wesen der Disziplinargesellschaft darstellt, verkörpert das Panorama die
Unterhaltungsgesellschaft.
Barkers Erfindung, das erste Massenmedium in der Geschichte der Menschheit, trug dazu bei, eine
neue, totalisierende Art des Sehens einzuführen, die darauf abzielt, die Stadt oder die Landschaft gleich
einem Kunstwerk als ein Objekt zu erfassen. Wie Walter Benjamin beobachtete, dehnt sich die Stadt in
den Panoramen zu einer Landschaft, wie sie es auf subtilere Art für den flâneur tut. Für diese Art des
Sehens wurde jüngst der Ausdruck „der touristische Blick“ (the tourist’s gaze) geprägt. Eine solche
Wahrnehmung ist nur durch eine bestimmte Art der Entfremdung des Betrachters vom Objekt möglich,
und nur innerhalb eines bestimmten kulturellen Rahmenwerks: der touristische Blick schließt
Erfahrungen mit ein, die, indem sie auf typische Weise visuell objektiviert oder durch konventionelle
Darstellungen eingefangen sind, endlos reproduziert werden können.
Der touristische Blick beeinflusste ebenso den Städtebau des 19. Jahrhunderts. Marshall Berman
untersuchte die visuelle Obsession in Baron Haussmans Konstruktionen der Pariser Boulevards, seine
Vorliebe für großartige, weitläufige Blickachsen mit Monumenten an den Enden der Boulevards. Er
meint, dass diese Qualitäten Paris zu einem einzigartig anregenden Spektakel machen, einem visuellen
und sinnlichen Fest: "after centuries of life as a cluster of isolated cells, Paris was becoming a unified
physical and human space.” Für einen flâneur, der auf Boulevards und unter Arkaden umherzieht, wie
Charles Baudelaire oder Emile Souvestre, sollte die Welt nach dem Muster der Straßen von Paris, the
"world's fairground" aussehen. In La Dernière Mode aus dem September 1874 schrieb Stéphane
Mallarmé, dass nur Paris stolz auf sich sein kann, die Summe des gesamten Universums zu sein,
sowohl in Form eines Museums als auch eines Kaufhauses.
Der touristische Blick auf die Welt wurde durch nichts besser exemplifiziert als durch den Eiffelturm.
Roland Barthes schrieb: “Objekt, wenn man ihn betrachtet, wird er seinerseits doch zum Blick, wenn
man ihn besucht, und macht nun jenes Paris, das vorhin ihn betrachtete, zu einem zugleich
ausgedehnten und versammelten Objekt.“ Anstatt selbst auf irgendeine eindeutige Referenz zu
verweisen, transformiert der Eiffelturm die Erfahrung der Stadt. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass
zur Zeit seiner Errichtung Künstler zunehmend die standardisierte Perspektive zurückwiesen und eher
objektzentrierte Darstellungsmethoden zur Anwendung brachten, wie die axonometrische Projektion
oder die geschichteten, fragmentierten, multiplen Ansichten des kubistischen Raums.
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Aber nicht alle waren von in den Himmel ragenden Türmen oder weiten Boulevards, die sich über
Kilometer durch das alte Stadtgefüge erstrecken, begeistert. Im selben Jahr in dem der Eiffelturm
errichtet wurde, publizierte Camillo Sitte sein Buch Der Städtebau nach seinen künstlerischen
Grundsätzen, welches sich einem Stadtideal verschrieb, das Welten von der „Hauptstadt des 19.
Jahrhunderts” (Walter Benjamin) entfernt war. Anstelle breiter Boulevards, die weit entfernte
Monumente verbanden, bevorzugte Sitte gewundene Straßen und geschlossene Plätze; anstelle
monumentaler Skulpturen, riet Sitte, sollte man Elemente im öffentlichen Raum platzieren, die
eigentlich einem Innenraum angehörten. Diese und andere Prinzipien Sittes mögen Joseph Hoffmanns
Bühnenbildern für Wagner’sche Opern geschuldet sein. Sitte wollte aber nicht nur die Art und Weise
verändern, in der Architekten Fragen der Stadtplanung angingen; er beobachtete ebenso eine
Veränderung der Öffentlichkeit, die notwendiger Weise auch die Arbeit der Entwerfer beeinflusste. In
einem Kommentar über die Wiener Villenzone von 1893 meinte Sitte: “Der moderne Großstädter strebt
mit all’ seiner Sehnsucht ans Meer, ins Gebirge, in die Wälder; an Bildung und Kultur hat er schon
genug im Magen.”
Die Wahl von Beispielen, die im Städtebau diskutiert werden, entspricht populären touristischen
Zielen. Neben Wien sind die am häufigsten genannten Städte Florenz, Venedig, Rom, Pompeij, Athen,
Vicenza und Dresden, während die Illustrationen sich auf Florenz, Rom, Siena, Verona, Palermo,
Vicenza, Brescia und Triest konzentrieren; die perspektivischen Ansichten zeigen am häufigsten
Florenz, Rom und Athen. Auch entsprachen Sittes Methoden, eine Stadt kennen zu lernen, üblichen
touristischen Praktiken. Bei Ankunft in einer neuen Stadt nahm Sitte immer als erstes ein Taxi zum
Hauptplatz, ging dort in die beste Buchhandlung und stellte drei Fragen: wo befindet sich der höchste
Turm, wo findet man die beste Stadtkarte, und wo ist das beste Restaurant?
Die Ursprünge des touristischen Blicks
Das erste touristische Erlebnis der europäischen Geschichte wird von Petrarca überliefert: seine
Besteigung des Mont Ventoux in der Provence am 26. April 1335. Petrarca erklärt: "Dabei trieb mich
einzig die Begierde, die ungewöhnliche Höhe dieses Flecks Erde durch Augenschein kennenzulernen.
[…] Nun aber faßte ich den Entschluß, endlich einmal auszuführen, was ich täglich hatte ausführen
wollen, besonders nachdem mir tags zuvor, als ich römische Geschichte beim Livius nachlas, zufällig
jene Stelle vor Augen gekommen war, wo Philipp der Macedonierkönig – derselbe, der mit dem
Römischen Volke Krieg geführt hat – den Berg Hämus in Thessalien besteigt. Denn er hatte der Fabel
Glauben geschenkt, man könne von seinem Gipfel zwei Meere schauen: das Adriatische und das
Schwarze Meer. Ob zu Recht oder Unrecht, habe ich nicht genügend ergründen können; denn die
Sache wird dadurch unsicher, daß der Berg von unserer Welt so weit entfernt ist und die Schriftsteller
verschiedener Meinung sind. Um deswegen nicht alle nachzuschlagen: der Kosmograph Pomponius
Mela berichtet, ohne Anstand zu nehmen, daß es so sei, Titus Livius hält die Fabel für falsch. Wäre es
aber für mich so leicht, jenen Berg zu erkunden, wie diesen hier, so würde ich nicht lange im Zweifel
lassen, wie die Sache sich verhält."
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Obwohl Petrarca die direkte Erfahrung als Kriterium der Wahrheit zu betonen scheint, rahmt er seinen
Anstieg sorgfältig mit literarischen Formeln und verkörpert so die Dialektik des touristischen Erlebens.
Auch antizipiert die Beschreibung der Erfahrung spätere Schilderungen von modernen Touristen, etwa
als er den Gipfel erreicht und die Landschaft überblickt: "Zuerst stand ich, durch einen ungewohnten
Hauch der Luft und durch einen ganz freien Rundblick bewegt, einem Betäubten gleich. Ich schaute
zurück nach unten: Wolken lagerten zu meinen Füßen, und schon sind mir Athos und Olymp minder
unglaublich geworden, da ich das, was ich über sie gelesen und gehört, auf einem Berge von
geringerem Rufe zu sehen bekomme. Ich richte nunmehr meine Augen nach der Seite, wo Italien liegt,
nach dort, wohin mein Geist sich so sehr gezogen fühlt. Die Alpen selber – eisstarrend und
schneebedeckt –, über die einst der wilde Feind des Römernamens hinüberzog, der, wenn wir dem
Gerücht Glauben schenken wollen, die Felsen mit Essig sprengte – sie erschienen mir greifbar nahe,
obwohl sie durch einen weiten Zwischenraum getrennt sind. Ich seufzte, ich gestehe es, nach italischer
Luft, die mehr vor dem Geist als vor den Augen erstand." Wie Theoretiker des Tourismus, etwa Dean
McCannell und John Urry, betonten, rühren Petrarcas Emotionen gleichermaßen vom Blick selbst als
auch von der Antizipation, welche durch eine Vielfalt nicht-touristischer Praktiken konstruiert und
erhalten wird, z.B. durch Literatur. Tatsächlich nimmt Petrarca, als die Sonne untergeht und der
Zeitpunkt der Rückkehr angebrochen ist, ein Buch zur Hand, nämlich die Bekenntnisse des Augustinus,
und schlägt es an einer beliebigen Stelle auf. Aus der Distanz von neun Jahrhunderten adressiert der
heilige Augustinus Petrarca in erstaunlich angemessenen Worten: “Und es gehen die Menschen, zu
bestaunen die Gipfel der Berge und die ungeheuren Fluten des Meeres und die weit dahinfließenden
Ströme und den Saum des Ozeans und die Kreisbahnen der Gestirne, und haben nicht acht ihrer selbst."
Petrarca antwortet auf Augustinus, indem er seine Erfahrung als Parabel des menschlichen Lebens
präsentiert. Wir sollten jedoch Augustinus’ Rat beachten und den Betrachter und dessen Konstruktion
von Erfahrung untersuchen.
Panorama
Walter Benjamin argumentierte in seinem Passagen-Werk, dass Menschen, wenn sie zum Panorama
gingen, die wahre Stadt sehen wollten, die ganze, vollständige Stadt, wie es nur auf Abbildungen
möglich war. Die ersten Panoramen zeigten einen Blick auf die Stadt, in der sie sich befanden:
Edinburgh, London, Paris. Trotz der enormen Größe der panoramischen Gemälde zeigten sie eine
Miniatur der Welt und präsentierten die Stadt als ein intelligibles Objekt, das in einem totalisierenden
Blick erfasst werden kann. Dazu passt, dass der Erfinder des Panoramas, Robert Barker, sich auf
Portraits und Miniaturen spezialisiert hatte. 1787 kam ihm die Idee, in einem kontinuierlichen Bild
alles zu malen, was er vom Gipfel des Calton Hill in Edingburgh aus sehen konnte. Er übertrug seine
ursprünglichen vier Zeichnungen auf eine große Leinwand, um eine umlaufende Ansicht der Stadt in
einer 360-Grad Darstellung zu erzeugen, und stellte sie in einem Rund von 7,5 Metern Durchmesser
auf. Obwohl der erste Kommentar von Sir Joshua Reynolds nicht gerade enthusiastisch ausfiel,
patentierte Barker seine Idee am 19. Juni 1787 und stellte das Panorama von Edingburgh im folgenden
Jahr in London aus.
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1793 errichtete Barker ein von Robert Mitchell entworfenes Gebäude aus Ziegeln am Leicester Place in
London. Das Gebäude besaß zwei Geschoße, jedes mit einem eigenen Panorama von etwa 27 Meter
Durchmesser. Stoffe verbargen die Oberlichter, und eine Holzverschalung versteckte den unteren Rand
der Bilder. Die gemalte Ansicht schien so rahmenlos zu sein und stellte gleichzeitig die einzige
Lichtquelle dar. Von der Plattform der Betrachter aus war die Illusion, auf einem Hügel oder einem
Gebäude zu stehen und eine tatsächliche Landschaft zu überblicken, perfekt. Panoramen von London
und von der britischen Flotte in Spithead waren nur die ersten zwei der über 100 Darstellungen, die
Barker und seine Nachfolger am Leicester Square Panorama bis zu seiner Schließung 1863 zeigten.
Panoramen wurden auch rasch in anderen Ländern enorm populär. Schon 1795 wurde eine Kopie von
Barkers Panorama von London in New York gezeigt. Bald folgten europäische Städte nach. Panoramen
tourten durch Paris, Leipzig, Hamburg, Wien und Amsterdam. In 1799 wurden zwei Panoramen von
Paris mit einem Durchmesser von etwa 17 Metern auf dem Boulevard Montmartre errichtet; als ein
größeres Panorama mit dem Durchmesser von 32 Metern am Boulevard des Capucins in 1807 errichtet
wurde, ordnete Napoleon die Errichtung von acht Rotunden auf dem Champs-Élysées an. Berlin erhielt
sein erstes Panorama in 1800; ein anderes, 1808 konstruiert, zeigte Ansichten von Rom und Palermo
von Karl Friedrich von Schinkel. Es wurde argumentiert, dass Schinkels Erfahrungen mit der
Szenographie und dem Panorama es ihm ermöglichten, den zu seiner Zeit hauptsächlich
zweidimensionalen Planungszugang im Städtebau zu überwinden und von der visuellen Entfaltung
eines dreidimensionalen Ensembles verschiedener architektonischer Elemente auszugehen. In dieser
Hinsicht ebneten Schinkels Panoramen den Weg zu Sittes künstlerischem Städtebau.
Sitte war auch selbst von Panoramen beeindruckt. In einem Artikel aus 1900 erinnert er sich an ein
altes Kosmorama in Wien, welches 1842 von Hubert Sattler eröffnet wurde, dem Sohn von Johann
Michael Sattler, der sein erstes Panorama 1825-29 in Salzburg malte. Sitte schrieb: „Wenn man […]
durch das kleine Guckfensterchen des Kosmoramas über den Hafen von Genua oder das Häusermeer
von New-York blickte, erfaßte es die junge Seele, wie der Zauber einer Märchenwelt, man glaubte
durchs Fenster in die wirkliche Welt hinauszusehen, man glaubte selbst dort gewesen zu sein; es war
berauschend.” Der Name des Pavillons, Kosmorama, stellte laut Sitte eine Referenz auf Alexander von
Humboldt dar, den großen Reisenden, Geographen und Anthropologen des frühen 19. Jahrhunderts.
Mit seinem unvollendeten fünfbändigen Werk Kosmos wollte Humboldt einen panoramischen Blick
auf alles werfen, was über das Universum gewusst werden kann. Sitte sah dieselbe kosmische Vision in
den Arbeiten des von ihm verehrten Malers Joseph Hoffmann.
Der Gipfelpunkt in der Entwicklung der Panoramen wurde 1828 erreicht, als Decimus Burton sein
Kolosseum im Londoner Regent Park eröffnete. In einer Variation auf das Pantheon mit einem Dom
und einem Okulus wurde ein Panorama der Stadt mit einem Durchmesser von 40 Meter dargeboten. Im
zentralen Turm schlängelte sich eine doppelte helixförmige Treppe um den ersten hydraulischen
Passagierlift Londons. Der Lift öffnete sich auf drei Aussichtsplattformen, von deren oberster eine
eigene Stiege auf die offene Galerie um den Okulus herum führte, von wo aus man die Stadt direkt
sehen konnte. Diese Mixtur aus Realem und Virtuellem hatte eine unglaubliche Wirkung auf den
Betrachter. Einer von ihnen, der neugotische Architekt und Theoretiker A. W. N. Pugin meinte, die
Ideen von Raum und Zeit würden gänzlich durcheinander gebracht.
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Tourismus und Konsumkultur
In den 1820ern bekamen Panoramen neue Konkurrenz durch den Maler Louis-Jacques Mandé
Daguerre. Daguerre eröffnete 1822 das erste Diorama mit 350 Sitzen in Paris, in dem zwei bewegte
Bilder zur Schau gestellt wurden. Ein Zeitungsbericht aus 1843 beschrieb das Diorama als einen Ersatz
für teure und beschwerliche Reisen; die Pariser Öffentlichkeit könne sich auf gut gepolsterten Sitzen
ausruhen und „die fünf Erdteile nach Belieben an sich vorüberziehen lassen kann, ohne die Stadt
verlassen zu müssen und ohne sich schlechtem Wetter, Durst, Hunger, Kälte, Hitze und insbesondere
jedweder Gefahr aussetzen." Doch musste Dagurre nach anfänglichem Erfolg nur zehn Jahre später
Konkurs anmelden. In 1839, als sein Diorama nieder brannte, kündigte er die neue Erfindung der
Daguerrotypie an, die er in Gemeinschaft mit Joseph Nicéphore Niépce entwickelte. Die Daguerrotypie
wurde ein sofortiger Bestseller und bahnte den Weg für die Photographie, welche den Tourismus
stärker noch als die Panoramen prägte. Bei der Exposition Universelle 1855 in Paris wurde die
Photographie erstmals ausgestellt. Das Ende des Jahrhunderts sah selbst die Erfindung des bewegten
Bildes. Alle diese Technologien wurden in den Dienst eines virtuellen Tourismus gestellt.
In der Weltausstellung von 1900 in Paris analysierte Michel Corday, was er ferne Visionen, „visions
lointaines”, nannte, nämlich Techniken, die die Illusion des Reisens erzeugen sollten. Er nannte fünf
Kategorien: Ensembles im Relief, Panoramen, in denen sich der Zuseher bewegte, bewegte Panoramen,
Arrangements, wo sich sowohl der Betrachter als auch das Panorama bewegte, und bewegte
Photographien. Die zweite Kategorie umfasste eine lange, kreisförmige Leinwand, die Seite an Seite
Bilder von Spanien, Athen, Konstantinopel, Suez, Indien, China und Japan darstellte. Der vierten
Kategorie entsprechend versetzte ein Panorama der Transsibirischen Eisenbahn den Betrachter in eine
Reise durch Sibirien. Ein echter Wagon bewegte sich 80 Meter von der Russischen zur Chinesischen
Ausstellung, während die Leinwand außen entlang der Fenster gespannt war. Corday war noch mehr
von bewegten Photographien fasziniert, oder vom Cinéorama mit zehn Projektoren, die ein großes
bewegtes Bild zeigten, oder von den Maréoramen, die eine Meerreise von Frankreich nach
Konstantinopel rekonstruierten – komplett mit einem Panorama, dem salzigen Geruch der Luft, einer
sanft schwankenden Bewegung und Ethnomusik.
Auf lange Sicht jedoch konnten die virtuellen Ansichten keinen Ersatz für die realen bieten, da das
Reisen für die Mittelklasse durch die Entwicklung schneller und billiger Transportmittel zu Wasser und
zu Land leistbar wurde. In Paris etwa starb die Mode der Panoramen und Dioramen in den frühen
1840ern aus, mehr oder weniger zur selben Zeit, als die ersten Eisenbahnen von Paris nach Orléans und
Rouen in 1843 eröffnet wurden. Die frühen Reisenden betonten vor allem die visuelle Erfahrung des
Reisens. Ralph Waldo Emerson kommentierte das „traumartige“ Reisen mit der Eisenbahn 1843: “The
towns which I pass between Philadelphia and New York make no distinct impression. They are like
pictures on a wall.” Andere Schriftsteller verglichen explizit die Eisenbahn mit den Panoramen,
insofern beide die Landschaft zu einem Ganzen machten. So schrieb Jules Clarétie von der Eisenbahn:
“In wenigen Stunden führt sie Ihnen ganz Frankreich vor, vor Ihren Augen entrollt sie das gesamte
Panorama, eine schnelle Aufeinanderfolge lieblicher Bilder und immer neuer Überraschungen. Sie
zeigt Ihnen lediglich das Wesentliche einer Landschaft, wahrlich ein Künstler im Stil der alten Meister.
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Verlangen Sie keine Details von ihr, sondern das Ganze, in dem das Leben ist. Schließlich, nachdem
sie Sie durch den Schwung des Koloristen entzückt hat, hält sie an und entläßt sie an Ihrem Ziel."
Jedoch war es nicht nur die Fähigkeit des Zuges, die Landschaft in ein panoramisches Gemälde zu
verwandeln, welche den Eisenbahnverkehr mit visuellen Spektakeln verband. Diese Verbindung war
direkter.
Thomas Cook gilt mit der Organisation einer Reise nach Liverpool im Sommer 1845 als der erste
kommerzielle Reiseleiter. Cook gab sich nicht damit zufrieden, einfach günstige Tickets anzubieten –
15 Shilling für einen Passagier erster Klasse, 10 Shilling für die zweite Klasse – sondern stellte darüber
hinaus ein 60-seitiges Handbuch für die Reise zur Verfügung. Die ersten Weltausstellungen in London
und Paris boten Cooks Reisearrangements weitere Möglichkeiten. 1855 organisierte er die Reise zur
Pariser Exposition Universelle in Form einer großen Tour über Antwerpen, Köln, Heidelberg, BadenBaden, Straßburg und Pairs, und über Le Havre oder Dieppe wieder zurück nach London. 1878
beförderte er 75.000 britische Besucher zur Pariser Weltausstellung, die auch Sitte besuchte.
Als der Massentourismus zunahm, entwickelten sich die Weltausstellungen selbst mehr und mehr in
Richtung Tourismus und eröffneten, wie Benjamin beobachtete, “eine Phantasmagorie, in die der
Mensch eintritt, um sich zerstreuen zu lassen." Schon in der Pariser Ausstellung 1867 gab es
Reproduktionen eines Ägyptischen Tempels und eines Marokkanischen Zeltes, und 1889 bestand eine
der populärsten Attraktionen aus der Rue du Caire, in der Bauchtänzerinnen den Besucher in
orientalischen Cafés unterhielten. 1900 kommentierte der Journalist Maurice Talmeyr das
Durcheinander von Hindutempeln, Hütten von Eingebohrenen, Pagoden, Souks, von Chinesischen,
Japanischen, Sudanesischen, Sengalesischen, Siamesischen und Kambodschanischen Vierteln: ein
Bazar verschiedener klimatischer Zonen, architektonischer Stile, Gerüche, Farben, Küchen und Musik.
Eine zusammengewürfelte Auswahl von Plätzen wurde an einen Ort gebracht, wie das Universum in
einen Garten. Die indische Ausstellung erinnerte Talmeyer an den Louvre oder den Bon Marché in
Tyre oder Bagdad.
In ihrem universellen Eklektizismus vollendeten die Weltausstellungen die Vernichtung des Raumes,
die viele Kommentatoren der Eisenbahn zuschrieben. Heinrich Heine schrieb 1843, Filippo Marinettis
futuristische Lobschrift antizipierend, anlässlich der Eröffnung von Paris-Rouen und Paris-Orléans:
“Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig. […] Mir ist,
als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der
deutschen Linden; vor meine Tür brandet die Nordsee." Darüber hinaus beförderten Panoramen, die
Eisenbahn und die Weltausstellungen das, was ein Journalist des 19. Jahrhunderts, Benjamin
Gastineau, “la philosophie synthétique du coup d’oeil” oder die synthetische Philosophie des Blickes
nannte: ein totalisierendes Bild der Welt, eine Landschaft oder Stadt als ein Ganzes, sorgfältig
balanciert und von reizvollen Ereignissen belebt. Diese Haltung ist gelegentlich auch in Sittes
Städtebau zu beobachten, wo die öffentlichen Räume des Barock mit den Prinzipien des Bühnenbildes
in Theatern analogisiert werden – oder, könnte man hinzufügen, in Dioramen.
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Aussichtsturm
Um mit der Herausforderung des Massentourismus Schritt halten zu können, erweiterten die
Unternehmer von Panoramen ihre Themen um Szenen ferner Orte und exotischer Landschaften. Das
vielleicht berühmteste Panorama dieser Art war Godfrey N. Frankensteins Moving Panorama of
Niagara Falls, dessen Eröffnung in der Broadway Hope Chapel im Juli 1853 exakt mit der Einführung
einer Bahnlinie nach Niagara zusammenfiel, die einen enormen Anstieg an Besuchern mit sich brachte.
Zusätzlich zu Städten und Landschaften stellten Panoramen auch berühmte Schlachtszenen dar. Das ist
durchaus angemessen, wenn man bedenkt, dass das Konzept kreisförmiger Darstellungen auf die
Militärtopographie zurückgeht. Das vielleicht früheste Beispiel ist der panoramische Blick auf die
Mauern von Wien von Augustin Hirschvogel von 1547. Neben den Militärrepräsentationen mag Barker
auch von anderen Vorläufern inspiriert worden sein.
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Lecture 3 | La Belle Epoque
Was ist modern? Wie erschafft man etwas Neues?
Für eine Betrachtung der Geschichte der modernen Architektur müssen wir zunächst klären, was der
Gegenstand der Betrachtung ist. Denn es ist keineswegs klar und eindeutig, was mit moderner
Architektur gemeint ist. Nehmen wir als Beispiel das Weimarer Musikgymnasium von Thomas van
den Valentyn. Viele würden sicher sagen, das Gebäude wirke mit seinen weißen, kubischen Formen
und langen horizontalen Fenstern modern. Aber wie modern ist das?
Der Architekt erklärt uns, er habe, als Hommage an den Ort und das Bauhaus, versucht, gewisse
Referenzen zu einer der Ikonen funktionalistischer Architektur herzustellen, der Villa Savoye von Le
Corbusier. Der verwirrende Teil dieser Schilderung ist, das Le Corbusier nie eine Verbindung mit dem
Bauhaus oder mit Weimar hatte. Aber van den Valentyns Entwurf erinnert noch an viele weitere
Gebäude, die nichts mit dem Bauhaus zu tun haben: das Auditorium erinnert an das Stadtbad-Mitte in
Berlin von Heinrich Tessenow, die Außentreppen ensprechen denen der Villa Malaparte in Capri,
während der Grundriss des Eingangsgeschosses das Wissenschaftszentrum in Berlin in Erinnerung ruft,
einen postmodernen Entwurf von James Stirling.
Lassen wir aber diese komplizierten Referenzen beiseite und kehren zu der Frage zurück, ob Formen,
die in den 1920er Jahren entwickelt wurden, heute als modern angesehen werden können. Nehmen wir
als Beispiel die horizontalen Fenster des Musikgymnasiums. Das Bandfenster war ein beliebtes Mittel
der funktionalistischen Generation der 1920er, Le Corbusier nennt das Bandfenster gar als einen seiner
fünf Punkte der modernen Architektur, erschienen 1927, neben den Pilotis, dem freien Plan, der freien
Fassade und dem Dachgarten.
Wenn diese Prinzipien die neue Architektur beschreiben sollen, könnten wir natürlich die Frage stellen,
warum dann einige von ihnen in der Geschichte bereits auftauchen? G.T. Greens Boat Store an den
Sheerness Naval Dockyards von 1861 etwa, oder auch James Bogardus Laing Store in New York aus
dem Jahr 1849 beispielsweise zeigen nicht nur lange horizontale Fensterbänder in einer
quasifunktionalistischen Fassade, sie zitieren sogar ein noch wesentlich älteres Beispiel: Jeremy
Benthams Projekt einer panoptischen Schule von 1797. Die Idee des Bandfensters geht also
offensichtlich bis in die Zeit der Aufklärung zurück, ist also, grob gesprochen, Zeitzeuge der
Entstehung der ersten Autos und die Moderne steht damit scheinbar in direkter Relation zum Ende des
18. Jahrhunderts. Die Frage ist also: gibt es etwas, das die Moderne für ihre, allgemein im Beginn des
20. Jahrhunderts angesiedelte, Zeit be- und festschreibt oder liegt das Moment des Modernen vielmehr
in einer gewissen Zeitlosigkeit?
Das Wort ‘modern’ trägt im allgemeinen Sprachgebrauch viele Bedeutungen. Beispielsweise kann
‘modern’ schlicht so viel bedeuten wie ‘von heute’ oder ‘zeitgenössich’ als Gegenteil also von
‘altmodisch’ oder ‘altertümlich’. ‘Modern’ kann aber auch eine ganz bestimmte historische Periode
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meinen, im Allgemeinen die 1920er Jahre. Einige Beispiele der Architektur und Kunst der 1920er
Jahre war in einem ganz besonderen Sinne modern: sie lehnten die Eigenschaften und Charakteristika
früherer Stile entschieden ab und vertraten eine vereinfachte geometrische Abstraktion, die sich
einfacher Zuordnung zu einem bestimmten historischen oder geographischen Kontext entzog. In
anderen Worten, Abstraktion diente den Modernisten als Werkzeug, konventionelle Bezüge zu
historischen Kontexten auszuschließen. Obwohl die abstrahierte Sprache der Modernisten aus unserer
Sicht längst als modisches Element in der Kunst und Architektur der 1920er Jahre erkannt ist,
funktioniert sie für das nicht spezialisierte Publikum immer noch als Methode, Bezüge zu negieren und
somit dem Argument zu dienen, nach dem Nicht-Geschichtlichkeit gleichbedeutend mit Moderne ist.
Wir müssen an dieser Stelle aber festhalten, daß Zeichen für Moderne in verschiedenen Bereichen des
Lebens verschieden interpretiert werden. Geht es zum Beispiel um Maschinen, wie etwa das
Automobil, scheinen die Menschen keine Schwierigkeiten zu haben, Innovation zu akzeptieren.
Sprechen wir jedoch über bestimmte Arten Architektur – etwa Gotteshäuser oder auch Wohngebäude –
scheinen die Dinge anders zu liegen. Es scheint, um als Geschichtlichkeit wahrgenommen zu werden,
muss sich auch die moderne Architektur in einen Diskurs eingliedern. Nur so wird sie letztlich als
Architektur oder kulturellen Eingriff verstanden.
Um auf unser Beispiel vom Anfang zurück zu kommen: das Musikgymnasium gilt ohne Zweifel als
Architektur, die anderen Beispiele nicht notwendigerweise. Ging es etwa bei den freien Grundrissen
und Fassaden der Modernen mehr um einen Vergleich von Architektur und Maschine, geht es heute
vielmehr um die formelle Beschreibung architektonischer Eigenschaft. Die Maschine, etwa das
Automobil, hat zunächst eine primäre Funktion, hier die Bewegung von A nach B ohne Anstrengung
der eigenen Muskelkraft und zudem in wesentlich erhöhter Geschwindigkeit. Architektur andererseits
übernimmt stets auch sekundäre Funktionen. So soll das Haus etwa nicht bloß Schutz vor Kälte, Regen
und Wind bieten, sondern gleichzeitig etwas über den Status seines Besitzers erzählen; Architektur
entfaltet also stets auch eine Zeichenwirkung. Anders also als die funktionale Begründung der
Maschine – das Automobil hat trotz wechselnder Gestalt seit seiner Erfindung sinnvollerweise immer
vier Räder, ein Lenkrad und eine variable Anzahl Sitze – wäre Architektur demnach eine Intervention
im kulturellen Bereich, in einem bestimmten kulturellen, zeitlich begrenzten Umfeld.
Der neugothische Architekt und Theoretiker Augustus Welby N. Pugin zeigt in seinem 1836 erstmals
in Eigenregie veröffentlichten Buch Contrasts auch die architektonische Idee des Panopticons nach
Bentham, das, folgt man Foucault, wie keine andere architektonische Form die moderne Gesellschaft
beschreibt. Pugin sieht darin den Ausdruck der zu seiner Zeit herrschenden sozialen Missstände, denn
es ist klar, dass Foucault, als er das Panopticon zum Paradigma der Moderne erklärt, damit das Wesen
der Disziplinargesellschaft beschreibt. Pugin legt in seiner Arbeit mit dem Untertitel The Present
Decay of Taste und der wohl als Handlungsanweisung zu verstehenden Langform A Parallel Between
The Noble Edifices of The Middle Ages and Corresponding Buildings of The Present Day nach einer
Kritik der schmucklosen Städte der Gegenwart seine Lösung für die sozialen und architektonischen
Missstände der Zeit dar, die letztlich in der Aufforderung kulminiert, sich wieder den Idealen des
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Mittelalters zuzuwenden. So zeigt Pugin in der Tafel zur Behausung für die Armen eben ein
Panoptikon als Verlies für die, welche die Gesellschaft am Rande lässt und zeigt zum Kontrast eine
offene Klosteranlage des Mittelalters in ländlicher Umgebung als Haus der Armen. In ähnlicher
Gesinnung auf eine bessere, frühere Zeit schauend, mit dem Ruf nach dem Kollektiv, verfasste William
Morris 1884 seine Summary of The Principles of Socialism, mit denen er eine wohl mehr theoretische
denn praktische Version des Sozialismus einführte im Versuch, die arbeitende Klasse in diesem Sinne
zu erziehen.
Die Ideen von einer Orientierung an gewissen Prinzipien vorangegangener Epochen fanden auch in der
Architektur ihren Ausdruck. So kann das von Philip Webb 1861 im englischen Bexleyheath errichtete
Red House als auf der Grundlage von gewissen vernakulären Architekturen des Mittelalters entstanden,
gelesen werden. Seine gedrungene Form, verschiedene stilistische Zitate wie etwa der Brunnen im Hof
oder die überspitzen Dachflächen evozieren dabei eine gewisse Ruinenromantik wie sie in den
Vorstellungen vom Mittelalter in dieser Zeit maßgebend gewesen sein dürften. Gleichzeitig finden sich
aber auch völlig neue, wir dürfen sagen ‚moderne’ Ideen. So ist die Fassade bereits in Teilen funktional
begründet gegliedert, Fensterformate vor den Treppen unterscheiden sich deutlich von denen in
anderen Bereichen, auch der Grundriss zeigt eine recht rationale Ordnung mit den öffentlichen
Funktionen entlang eines Korridors im Erdgeschoss, den privaten Räumen im Obergeschoss. Die
überwiegende Abwesenheit von Ornament ist ebenso bemerkenswert wie die sichtbaren
Deckenkonstruktionen, in denen sich bereits eine gewisse Art der konstruktiven Ehrlichkeit ausdrückt.
War bis zu diesem Punkt stets die klassische Tradition dominant, wie wir sie in den Zeugnissen der
Neogothik oder anderer Historismen finden, gewinnt nun, in der Bemühung um neue Einflüsse, die
Orientierung an „neuen“ Welten mehr Relevanz. Ereignisse wie die Weltausstellungen von Paris und
Chicago spielen dabei eine Rolle genauso wie der aufkommende Japanismus, wie er sich etwa in
William Godwins Anglo-Japanese Furnitures von 1880 zeigt. C.F.A. Voyseys Haus Broadleys (1898)
im englischen Lake Windermere mit seiner gewissen Geometrisierung der Fassade, der stringenten
Raumfolge und den weißen, recht schmucklosen Innenräumen ist ein frühes architektonisches Beispiel
für das, was durch die Ausstellung etwa des japanischen Ho-o-den Tempel auf der Worlds Columbian
Exhibition 1893 in Chicago zu einer regelrechten Japanisierung der Architektur führen sollte.
So dient die japanische Tradition Frank Lloyd Wright als Ersatz für einen von ihm immer bestrittenen
europäischen Einfluss auf seine Architektur. In dem erklärten Bestreben, eine „amerikanische“
Tradition zu schaffen begab sich Wright auf Schatzsuche in vielerlei Bereichen, was sich nicht zuletzt
in der so häufig wechselnden Stilistik seiner Gebäude zeigt, aber die Eindrücke, welche Wright von
seiner Reise nach Japan mitbrachte, dürfen als die bleibendsten seines langen Schaffens gelten. Für
Wright, so steht zu vermuten, war der Einfluss, unter dem seine Werke letztlich entstanden, eher
zweitrangig, solange er nur nicht europäisch war. Betrachten wir für den Moment Wrights Ward
Willits House von 1902 in Highland Park, so stellen wir fest, dass sich am Mittel der
Achsverschiebung im Grundriss trotz der äußerlich formalen Unterschiede sehr wohl Bezüge zu
europäischen Vorbildern herstellen lassen. Das Mittel der Achsverschiebung findet sich auch in
französischen Traditionen des 18. Jahrhunderts. Vielmehr wird hier deutlich, dass es bei Wright um
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den Zweck ging, zu demonstrieren, dass man in Amerika in der Lage sei, im Zweifel durch fremde
Einflüsse, in jedem Fall einem europäischen Einfluss zu widerstehen. Sein Darwin Martin House von
1904 in Buffalo zitiert die Zerlegung der einfachen Box. Drei Variationen der gleichen
diagrammatischen Kreuzform bilden den Grundriss aus Gästehaus, der Garage als die Umkehrung des
Gästehauses und dem Haupthaus als komplexe Überlagerung jeder Kombination der Teile.
Es ist das für Frederick C. Robie entworfene Haus im Hyde Park in Chicago von 1907 in dem Wright
vielleicht zum ersten Mal wirklich eine eigenständige Form des amerikanischen Hauses entwickelt. Mit
seiner ausgeprägten Horizontalität, der starken Betonung archetypischer Elemente wie Dach und
Kamin und der im Grundriss zentralen Position der Feuerstelle erinnert das Haus zwar noch an seine
Vorgänger. Mit der, für Wright später typischen, extrem unprominenten Gestaltung des Eingangs, dem
freien Grundriss und der gewissen Abstraktion der architektonischen und ornamentalen Elemente wird
hier aber erst die Sicht des Hauses als Gesamtkunstwerk deutlich. In diesem Sinne läßt Wright
beispielsweise keine Vorhänge zu, der Architekt entwirft vielmehr farbig gestaltete Glasfenster, die im
Einklang mit den anderen Elementen des Raumes stehen. Nichts können die Bewohner frei
entscheiden, der freie Grundriss lässt im Sinne des Gesamteindrucks keine Freiheit bei Einrichtung und
Gestaltung zu. Das die Gestaltung dabei keineswegs zufällig, sondern vielmehr geometrisch entwickelt
ist, lässt sich im Grundriss ablesen. Die diagonalen Fenster lassen bereits eine Ableitung aus Quadratur
vermuten und tatsächlich ist das Hauptgebäude als Quadratwurzel abgeleitet aus zwei verschiedenen
Variationen der Dienstquartiere.
Quadratur und Triangulatur
Im zwischen 1905 und 1908 errichteten Unity Temple in Oak Park, einem Vorort westlich des Loops in
Chicago, vertieft Frank Lloyd Wright die Untersuchung eines Gebäudes als abstrakte Form.
Traditionelle Elemente wie etwa das Dach, welches das Wohnhaus erst als solches lesbar macht, fehlen
nun völlig, das Gebäude ist abstrakte Form. Tatsächlich war Wright sehr an Geometrie interessiert.
Wright, der zu Beginn seiner Karriere als Assistent für Louis Sullivan gearbeitet hatte, fertigte sogar
eine Quadraturzeichnung als Logo seines Büros an. Wright betrachtete die Geometrie allerdings nicht
als Ausdruck eines transzendentalen Symbolismus, sondern vielmehr als Hilfsmittel, um sich von dem,
wie er fand, erstickenden Einfluss der europäischen Architektur zu befreien und etwas genuin
Amerikanisches zu schaffen. Sein frühes Meisterwerk, der Unity Temple, ist dafür ein gutes Beispiel.
Üblicherweise erklären Architekturhistoriker den Entwurf dieses Sakralbaus, indem sie auf frühere
Gebäude und andere Dinge verweisen, die Wright als Modell gedient haben könnten. So behaupten
manche, Wright habe den kubischen Stil des Deutschen Pavillons nachgeahmt, den Peter Behrens für
die Weltausstellung 1904 in St. Louis entworfen hatte; andere wiederum meinen, er habe die
Grundrisstypologie des Nikko Taiyu-in-byo oder anderer im Gongen-Stil gebauter japanischer Tempel
übernommen. Tatsächlich bestehen Wrights Kirche wie auch diese nicht christlichen Tempel aus zwei
größeren, durch ein untergeordnetes Element verbundenen Baumassen – eine mit einem beinahe
quadratischen Grundriss, die andere ein längliches Rechteck.
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Andere Architekturkritiker behaupten, der Entwurf beruhe auf den Kompositionsprinzipien der
japanischen Kunst, wie sie der Maler Arthur Dow bei seinen Werken verwendet hatte. Wright selbst
hingegen deutete an, der Entwurf des Unity Temple sei von Fröbel-Bauklötzen inspiriert worden,
einem Baukasten, mit dem er als kleiner Junge gespielt hatte.
Obwohl alle diese Ideen irgendwie plausibel erscheinen, erklären sie immer nur bestimmte Aspekte des
Entwurfs. Hier erweist sich eine geometrische Analyse des Gebäudes als hilfreich.
1928 publizierte Wright ein analytisches Diagramm, in dem er angab, dass der Tempel und das
angeschlossene Gemeindehaus unter Verwendung eines Rasters mit dem Modul von 7 Fuß (213cm)
geplant worden waren. Die Positionierung der Fenster und Oberlichter sowie einige andere Details
korrespondieren eindeutig mit diesem Raster, doch die größeren Baumassen lassen sich nur schwer
damit in Einklang bringen. Um diese zu verstehen, muss ein anderes modulares Raster rekonstruiert
werden, das auf einer Unterteilung des zentralen Altarraums in vier Quadranten beruht.
Dementsprechend definieren die Fensterwände des Tempels ein Quadrat, das 16 Rastereinheiten
umfasst. Die Verbindungsbrücke misst zwei dieser Einheiten, ebenso der zentrale Versammlungsraum,
wenn die Kaminwand mit eingerechnet wird. Der dahinter befindliche Nähraum ist eine halbe Einheit
tief. Tatsächlich basiert der Versammlungsraum auf exakt dem gleichen Quadrat wie der Altarraum,
doch befinden sich die Säulen und Wände innerhalb der modularen Linien.
Um das strenge additive Erscheinungsbild zu vermeiden, das häufig ein Nachteil modularer Grundrisse
ist, fügte Wright jedoch auch Dimensionen ein, die durch Quadratur erreicht wurden und die mit dem
Raster nicht zu vereinbaren sind. So können zum Beispiel die Ecktürme des Tempels hergeleitet
werden, indem die Diagonale des zentralen Raumes als Maßstab genommen und um 45° gedreht wird.
Auf ähnliche Weise entsprechen die Seitenflügel und die Stirnwand des Unity House dem Ausmaß
eines Doppelquadrats, dessen Seitenlänge die Diagonale des ursprünglichen Quadrats ist. Diese
Operationen werden auf jeder Maßstabsebene bis hin zu den Ornamenten angewendet. Die Koexistenz
unterschiedlicher Gestaltungsprinzipien verleiht dem Entwurf eine besondere Spannung, ohne beliebig
oder unverständlich erscheinen zu lassen.
Was wir in diesen Bemühungen um die Geometrie sehen, ist aber nicht nur Wrights eigenes Bestreben,
sich von den Einflüssen der Europäer zu lösen. Vielmehr lässt sich darin ein allgemeiner Versuch
sehen, den geltenden architektonischen Konventionen zu entgehen. Schließlich, so war man sich wohl
einig, gäbe der Einfluss durch die Geometrie, also der Bezug zu wissenschaftlichen Modellen und
mathematischen Verfahren, der Architektur die Legitimation der hohen Wissenschaften.
So arbeitete Hendrick Petrus Berlage bei seinen späteren, ausgereiften Werken meist nicht mit
organischen Modellen, sondern mit Proportionssytemen und geometrischen Rastern, um seine Formen
präzise zu bestimmen. In seinen Schriften erörterte er Quadratur und Triangulatur, zwei bekannte und
aus der gotischen Architektur stammende Methoden. Seine Amsterdamer Börse von 1898 nutzt die
Mittel von Quadratur und Triangulatur zur Entwicklung der Fassade. Die hier angewendete ägyptische
Triangulatur gab dem Entwurf zudem eine gewisse historische Legitimation, ohne sich dem Vorwurf
auszusetzen, historisch willkürlich zu sein.
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Im Allgemeinen wird Quadratur als eine mathematische Methode angesehen, mit deren Hilfe sich der
Flächeninhalt einer planen Figur bestimmen lässt, indem diese in eine Anzahl von Formen zerlegt wird,
deren Gesamtflächeninhalt bekannt ist. In der Architektur bezieht sich Quadratur jedoch auf eine
spezifische Methode der Verdoppelung oder Halbierung des Flächeninhalts eines gegebenen Quadrats.
So kann aus einem Quadrat leicht ein neues, genau halb so großes Quadrat gezeichnet werden, indem
die Mittelpunkte der vier Seiten mit Linien in einem Winkel von 45° verbunden werden. Die
Triangulatur bedient sich eines ähnlichen Verfahrens, das in der Regel auf einem gleichseitigen
Dreieck basiert.
Die Architekten der frühen Moderne waren unter anderem deshalb so von Quadratur und Triangulatur
fasziniert, weil diese Entwurfsmethoden im Mittelalter zu den sagenumwobenen „Geheimnissen der
Freimaurer“ gehört hatten. Die Architekten der Gotik verwendeten sie in erster Linie aus praktischen
Gründen. Die von Baustelle zu Baustelle ziehenden Maurer und Steinmetze konnten keine
Maßstabszeichnungen benutzen, da es damals kein allgemein gültiges Maßsystem gab – die Länge
eines Fußes zum Beispiel variierte von Land zu Land, ja mitunter sogar von Stadt zu Stadt. Deshalb
bedienten sie sich der Geometrie, um die Gebäudemaße ohne einen Zollstock aus einer Maßstabslosen
Zeichnung abzuleiten. Obwohl Quadratur und Triangulatur in Grunde nur ein Notbehelf waren,
brachten sie eine erstaunlich komplexe und in ihren Proportionen auch sehr harmonische Architektur
hervor.
Neben der geometrischen Ableitung ihrer Fassade weist uns die Amsterdamer Börse aber auch auf ein
weiteres Merkmal der frühen modernen Architektur, der Offenlegung der Struktur.
Biomorphe Architektur
Ein zentraler Aspekt der Moderne war die Überzeugung, dass die Formen der historischen Architektur
nicht mehr dem Zeitgeist entsprächen: Die alten Stile waren zu einer unmoralischen, anachronistischen
Maskerade entartet, die die Kreativität der Architekten behinderte, reaktionäre und somit verlogene
Botschaften vermittelte und den Herausforderungen der neuen sozialen und technischen Entwicklung
nicht mehr gerecht wurde. Um sich nicht dem Vorwurf der Beliebigkeit und Subjektivität auszusetzen,
suchten die Architekten nach Methoden, die an die Stellen der alten Authoritäten treten konnten. Diese
müssten universeller als die Kapricen eines einzelnen Entwerfers, aber zugleich auch zeitloser als die
sich ständig wandelnden Moden und allgemeiner als ortstypische Gewohnheiten. Nach dem Architekt
und Theoretiker Claude Bragdon entdeckten die Architekten der Moderne drei Quellen für eine neue
architektonische Sprache: Originalgenie, Geometrie und Natur.
Versprach die Geometrie noch Zugang zu den allgemeinen Ornungsprinzipien und unveränderbaren
Gesetzen des Denkens, sollte das Studium der Natur nun Modelle liefern, die verständlich und,
ungeachtet historischer und politischer Besonderheiten, in unterschiedlichen Gesellschaften gültig
waren. Auf diese Weise glaubten sie, die Imitation historischer Vorläufer vermeiden zu können.
War Henri Labrouste bei der Bibliothèque Ste. Geneviève 1850 in Paris noch darauf angewiesen, für
den Grundriss das Diagramm eines archaischen Tempels zu bemühen, um so Kraft der Referenz des
historischen Beispiels die neue Konstruktion zu legitimieren, so betont das Maison Villaflore von
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Hector Guimard, von 1910 bis 1911 in Paris errichtet, fast ausschließlich die Konstruktion, die hier fast
eine organische Idee von Haut und Knochen evoziert. Mit seinen Entwürfen für die Pariser Metro um
1900, von denen die Porte Dauphine das berühmteste Beispiel ist, ist Hector Guimard einer der
führenden Architekten einer Architektur, die vorgibt, ihre formale Gestalt und konstruktive Logik aus
der Natur abzuleiten, sehr wohl in dem Wissen, dass man die Logik der Natur, anders als die der
Geschichte, nicht leugnen kann.
In seinen 10 Bänden der Kunstformen der Natur zeigt Ernst Haeckel zwischen 1899 und 1904 unter
anderem den von ihm besonders bewunderten filigranen Bau bestimmter Meerestiere wie Schwämme
und Quallen. Das Buch gilt häufig als großer Einfluss für die Künstler des Jugendstils und Entwürfe
wie der Kronleuchter in Form einer Qualle, wie ihn Berlage 1905 entwarf, scheinen das eindrucksvoll
zu bestätigen. Aber wir sollten nicht vergessen, daß die charakteristischen Ornamente des Jugendstils
in 1899, als das Buch zuerst erschien, bereits voll entwickelt waren. Mit anderen Worten, es war
weniger Haeckel, der die Künstler beeinflusste. Vielmehr inspirierten die Künstler Haeckel, bestimmte
Analogien zu Formen in der Natur zu betonen und spätere, weniger einflussreiche Künstler suchten
daraufhin ihre Legitimation in Haeckels Werk.
Interessanter als die reine Adoption der Form scheint aber der Versuch, mit dem Studium der Natur
gewisse Optimierungen der Struktur verbinden zu können. Zwischen 1863 und 1872 veröffentlichte
Eugène-Emanuel Viollet-le-Duc, Vorsitzender der Commission des Monuments Historiques und
Generalinspekteur der Bauten der Diözesen Chartres, Le Mans, Troyes, Châlons, Paris und Reims die
Bände der Entretiens sur l’architecture, in denen er sich Grundfragen der Architektur widmet. Die
Bände neun bis zwanzig gehen dabei den Fragen der Methoden und Materialien der zeitgenössischen
Architektur nach, bis hin zum Stahlbau und der Bauteilvorfertigung. Eindringlich betont le-Duc die
Verwandschaft von gotischer Skelettbauweise und den Eisenskelettkonstruktionen des 19.
Jahrhunderts. Gleichwohl Viollet-le-Duc in John Ruskin und dessen Stones of Venice von 1854, in
denen er den Bezug zu einer hergebrachten Art des Bauens propagierte, einen einflussreichen Gegner
hatte, sind seine Überlegungen doch für zahlreiche Architekten des Jugendstils von Bedeutung
gewesen.
Es war Victor Horta, ausgebildet an der Académie des Beaux-Arts in Gent und ein besonders
interessierter Leser Viollet-le-Ducs, exemplarisch mit seinem Maison Horta von 1898 und dem Maison
du Peuple von 1897, beide in Brüssel, dessen Arbeiten besonders eindrücklich vor Augen führen, dass
es den Architekten weder um eine bloße plakative Replikation der in der Natur gefundenen Form ging,
noch um die reine Struktur. In dem Bewusstsein, dass Architektur immer auch Kritik ist, stehen bei
Horta, und anderen, struktureller Rationalismus und politische Agenda gleichberechtigt nebeneinander,
bedingen sich Funktion und Programm und dadurch letztlich Gestalt und Struktur gegenseitig. Viele
Architekten seiner Generation sind überzeugte Sozialisten und so wundert es kaum, das Horta die
Zentrale der belgischen sozialistischen Partei baut. Bemerkenswerter aber ist, dass deren Fassade die
erste in Brüssel vollständig als Eisen-Glas-Konstruktion ausgeführte ist und damit dem Prinzip des
strukturellen Rationalismus zu breiter Öffentlichkeit verhilft.
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Parametrischer Entwurf
Eine andere Richtung des Strukturalismus verfolgt Antoní Gaudí. Auch seine Formen sind häufig als
aus der Natur entlehnt besprochen worden und viele seiner Bauten scheinen das einsichtig zu machen.
So wurde verschiedentlich die formale Ähnlichkeit zum Knochenbau des Menschen als das Motiv der
Fassade der Casa Batlló thematisiert, die Gaudi von 1904 bis 1907 für den Textilunternehmer Josep
Battló i Casanovas in Barcelona umbaute. Das Dach, so gehen die Argumentationen, u.a. von Charles
Jencks, weiter, entspräche dabei der Gestalt eines Drachens, möglicherweise in dem Sinnen, der
Rivalität zwischen der nach Autonomie strebenden Provinz Katalonien und dem restlichen Kastilien
Ausdruck zu verleihen. Tatsächlich ist hier aber wohl bestimmender gewesen, dass die Besitzer mit
ihrem im bürgerlichen Umfeld höchst ungewöhnlichen Fassadenumbau schlicht ihre eigene
Progressivität sichtbar zu machen gewillt waren. Ein weiteres Beispiel von Gaudís Schaffen ist die in
der Nähe zur Casa Battló gebaute Casa Milá, errichtet zwischen 1906 und 1910. Tatsächlich ist dieses
Gebäude nicht nur wegen seines Spottnamens „La Pedrera“, oder „Der Steinbruch“, oder seiner
karikierenden Darstellung als Hangar für Luftschiffe interessant, sondern vielmer deshalb, weil Gaudí
hier neben einer immer noch organischen, fast antropomorphen Formensprache, insbesondere in der
Gestaltung der Dachlandschaft und hier besonders der Kaminzüge, auch strukturelle Überlegungen
anstellte. Bleibt die Symbolik der freien Form noch fragwürdig, so ist die Konstruktion des
Dachgeschosses durch eine Reihe von Rippengewölben, ausgeführt als parabolide Bögen, von
bestechender konstruktiver Konsequenz. Ähnlich Viollet-le-Duc mit seinen Gewölbekonstruktionen
aus Stahl, legt Gaudí hier die Grundlagen für das konstruktive System, das er für seine Kirche Sagrada
Familia perfektionieren sollte, und das ihn als Vorreiter des parametrischen Entwerfens auszeichnen
sollte.
Bei einem parametrischen Entwurf wird eine Anzahl von unabhängigen Parametern ausgewählt, die
nach bestimmten Kriterien systematisch variiert werden, um nicht nur „ein“ Objekt zu erhalten,
sondern auch eine Reihe von Variationen. Für gewöhnlich wird diesen Parametern eine geometrische
Interpretation gegeben.
Die geometrische betriebene Morphogenese wird meist nur im Kontext der neueren, computergestützen
Entwurfssysteme diskutiert, doch ähnliche Ideen wurden bereits zu Beginn der modernen Architektur
erforscht. Antoní Gaudí ersann nicht nur ungewöhnliche organische Formen, sondern verwendete auch
rationale Methoden, um diese Formen auf die gleiche Weise zu entwickeln und zu optimieren, wie es
heutige Architekten tun. Das beste Beispiel für Gaudís parametrische Entwürfe ist das berühmte
Hängemodell aus Schnüren und an ihnen befestigten Gewichten, das er für die Kapelle der bei
Barcelona gelegenen Colonia Güell (1898-1915) verwendete.
Um zu verstehen, wie diese Methode funktioniert, muss die katenarische (lateinisch: „catenarius“, „zur
Kette gehörig“) Kurve erläutert werden: Wird eine vollkommen elastische und in allen Teilen gleich
schwere Kette (oder Schnur) an ihren Endpunkten aufgehängt und wirkt auf sie keine andere Kraft ein
als die Gravitation, so wird sie eine auch als „Kettenlinie“ bezeichnete, parabelähnliche Form
annehmen. Dies ist, grob gesagt, die für Hängebrücken wie zum Beispiel die Golden Gate Bridge in
21
San Francisco charakteristische Form, bei der sich das Gewicht der Fahrbahn gleichmäßig auf die über
ihr hängenden Drahtseile verteilt. Auf eine Kette, die in einer katenarischen Kurve herabhängt, wirken
nur Zugkräfte. Dreht man diese Form jedoch um 180°, so ergibt sich ein Bogen, auf den nur
Druckkräfte wirken. Anders formuliert: Das Gewicht des Materials wirkt entlang der Kurve, ohne dass
dabei Querkräfte erzeugt werden.
Gaudí wollte sich der Kettenlinie bedienen, um eine ideale, dreidimensionale Kirchenkonstruktion zu
entwickeln. In der Architektur der römischen Antike basierten Bogen, Gewölbe und Kuppeln für
gewöhnlich auf dem Kreis. Die Baumeister der Gotik fanden heraus, dass die gleiche Spannweite mit
weniger Material ausgedehnt werden kann, wenn sie die Bögen oder das Gewölbe spitzer gestalteten,
da die Querkräfte dann schwächer waren. Trotzdem ist der gotische Bogen oder Spitzbogen
keineswegs vollkommen: Um den Querkräften entgegenzuwirken, brachten die gotischen Baumeister
an der Außenseite ihrer Bauwerke Stützstreben an. Ein katenarischer Bogen, ein aus der gleichen Form
entwickeltes Gewölbe oder eine katenoide Kuppel bedürfen jedoch keiner zusätzlichen Stütze.
Gaudís riesiges (4x6 Meter großes) Hängemodell basierte auf Kettenlinien. Er begann mit einem
System von Schnüren, an denen zunächst keine Gewichte befestigt waren, und dann variierte er nach
und nach die Länge der Schnüre, die Punkte, an denen sie verbunden waren, die an ihnen befestigten
Gewichte usw. Jede zusätzliche Verbindung und jedes zusätzliche Gewicht veränderte die Form der
gesamten Oberfläche auf dramatische Weise, genau so, wie es beim parametrischen Entwurf geschieht.
Gaudí ließ jede Konfiguration fotografieren und traf anschließend seine endgültige Entscheidung, die
auf den räumlichen Effekten basierte, wie er sie sich vorgestellt hatte. Auf diese Weise war er auch
ohne Computer in der Lage, die komplexen Oberflächen mit äußerster Präzision zu bestimmen, und
konnte sich sicher sein, dass die aus diesem Verfahren resultierende Geometrie allein auf Grund der
Druckkräfte stabil war, wenn man sie hinterher auf den Kopf stellte.
Gaudí ging also bei seinen Entwürfen durchaus wissenschaftlich vor, neben dem parametrischen
Vorgehen und der Analyse von Kettenkurven widmete er sich unter anderem auch dem Studium der
menschlichen Anatomie. Das moderne Element in Gaudís Architektur ist nicht so sehr die
ungewöhnliche Form, als vielmehr die Konstruktion. Während der Grundriss zum Beispiel seiner
Kirche Sagrada Familia eher traditionell angelegt ist, bietet die Konstruktion, welche die Lasten ohne
Strebepfeiler bis in den Boden abführt, eine bemerkenswerte Innovationsfreude.
Die Arbeit Gaudís ist gewissermaßen parametrisches Entwerfen ohne Computer. Diese Form der
konstruktiven Entwurfsgenerierung entspräche also, so könnten wir sagen, dem Rationalismus und ist
damit „modern“, hat gleichzeitig aber (zunächst) nichts mit der „weißen Moderne“ zu tun.
Um auf unser Beispiel und die Frage vom Anfang zurück zu kommen, könnten wir sagen, dass ein
Merkmal dessen, was „modern“ heißt, das Bestreben ist, eine objektive Wahrheit in den Entwurf
einzuschreiben und nicht nur einer subjektiven Präferenz zu entsprechen.
22
Lecture 4 | Die Umwertung aller Werte
Was bestimmt die Evolution der Architektur?
Am 18. Mai 1924 erklärte Virginia Woolf, dass: „On or about December 1910 human character
changed“. Was sie meint ist das Schwinden alter Gewissheiten, alter Gewohnheiten und die
Unterschiede zu den Authoritäten des 19. Jahrhunderts. Auch die Rolle des Künstlers änderte sich zu
dieser Zeit. Woolf, eine der Bloomsbury Intellektuellen, stellte trotz ihres unkoventionellen
Lebenswandels keine Gefahr für die Gesellschaft dar. Ihre schlimmste Verfehlung war ihre Teilnahme
am als Dreadnought Hoax bekannt gewordenen Streich, auf den die Royal Navy hereinfiel.
Am 10. Februar 1910 veranstaltete Virginia zusammen mit fünf weiteren „Bloomsberries“ den
Dreadnought-Streich, der zu einer offiziellen Anfrage im Oberhaus führte. Virginia und ihre Freunde
trugen orientalische Phantasiekleidung, angeklebte Bärte und waren bis zur Unkenntlichkeit schwarz
geschminkt. Als Delegation von vier fürstlichen Diplomaten aus Abessinien (der früher, besonders in
England gebräuchlichen Bezeichung für das heutige Äthiopien; einen “Dolmetscher” brachten sie mit)
besichtigte die Truppe auf Einladung des Oberbefehlshabers das Kriegsschiff H.M.S Dreadnought und
dessen geheime Bereiche. Eine Abordnung führte die Delegation durch das höchst geheime Schiff, die
Flaggen wurden gehisst, und die Kapelle spielte zu ihren Ehren. Allerdings spielte sie die
Nationalhymne von Sansibar, da die abessinische nicht aufzutreiben war. Die fürstliche Gruppe
unterhielt sich mit einigen Brocken Suaheli, und der Dolmetscher sprach ein Kauderwelsch einiger
Zeilen aus dem Vergil.
Doch nach diesem vergleichsweise harmlosen Streich änderten sich die Dinge. 1919 wurde der
deutsche Autor Ernst Toller, ein Kollege von Woolf, wegen Hochverrats gesucht. 10.000 Mark
Belohnung wurden ausgesetzt für den per Steckbrief gesuchten „Studenten der Rechte und der
Philosophie“. Der Künstler wird in dieser Zeit in den Augen der Obrichkeit allgemein zum
Verdächtigen, zum Verbrecher.
Doch wie war eine solche Radikalisierung möglich? Um das zu verstehen, sollten wir zurückgehen zu
den Anfängen der modernen Architektur in Deutschland.
An Otto Wagner und Karl Kraus zeigt sich der Richtungsstreit: Laut Otto Wagner kennt die Kunst nur
einen Herren, und dieser ist die Notwendigkeit, welche die Kunst oder Architektur begründet: artes
sola domina necessitas. Diesen Spruch möchte ich mit einem Aphorismus von Karl Kraus
kontrastieren. Im letzten Jahr von la belle epoque, 1913 erklärte Kraus, daß die „moderne Architektur
... das aus der richtigen Erkenntnis einer fehlenden Notwendigkeit erschaffene Überflüssige” ist.
Betrachten wir zunächst an einigen Beispielen Wagners Idee.
An seinem Entwurf für das Amtsgebäude der Österreichischen Postsparkasse in Wien (1903-1912)
zeigt sich seine technische Ästhetik, etwa die filigrane Konstruktion des Glasgewölbes, das Ausbilden
23
technischen Geräts zur Skulptur, wie zum Beispiel die Belüfter zwischen den Eingangstüren. Doch es
ist das Äußere, in dem wir einen ganz bestimmten programmatischen Aspekt lesen können. Wagner
zeigt die Steinfassade des Hauses als Verblendung. Deutlich sind die knopfartigen Befestigungspunkte
betont und die Kanten der einzelnen Elemente der Verblendung offen sichtbar.
Wir werden hier mit einem Konzept konfrontiert, das auf Karl Bötticher und seine Schrift Die Tektonik
der Hellenen von 1843 zurückgeht. Bötticher unterscheidet hier zwischen zwei Formen eines Objekts,
seiner Kernform und seiner Kunstform. Demnach, so Bötticher, sei die Kunstform für das Objekt nicht
zwingend notwendig, aber: sie erst macht dessen Kernform sicht- und lesbar. In diesem Sinne
beschreibt Tektonik nicht nur den tatsächlichen konstruktiven Aufbau eines Objektes, sondern auch
dessen (symbolische) Erscheinung. In den antiken Tempeln der Griechen, so Bötticher weiter, sei diese
Dialektik besonders eindrücklich; die Kunstform sei hier die architektonische Entsprechung der
Kernform. Gottfried Semper definierte den Begriff im Stil in den technischen und tektonischen Künsten
1863 als die „Kunst des Zusammenfügens zu einem in sich unverrückbaren System“. Semper geht
davon aus, dass der Herd, das Dach, die Wände und die Terasse die Grundelemente von Architektur
sind. Jedes dieser Elemente illustriert, folgt man Semper, einen Urzustand der menschlichen
Gesellschaft. Demnach leite sich der Herd von der Keramik ab, das Dach von der Zimmerei, die
Terasse von der Maurerkunst und die Wände von der Weberei. Wände sind für Semper Teppiche,
gehängt vor die eigentliche Konstruktion. Die Fassade ist demnach die Maske der Architektur und
muss folglich auch keine tragende Funktion haben.
Wir können davon ausgehen, daß Wagner bei der Entscheidung um die als Verblendung kenntlich
gemachte Gestaltung der Fassade von dieser Lesung wusste. So zeigt seine U-Bahn Station am
Karlsplatz in Wien sehr deutlich ihre offen gelegte Struktur, die Wände sind lediglich Füllungen
zwischen den konstruktiven Bauteilen, gewinnen fast papierhafte Qualität. Noch deutlicher allerdings
ist diese Lesart in Wagners Majolika Haus von 1899. Die Fassade wird nur noch als gestalteter
Teppich, als Papier, das eine Zeichnung trägt, behandelt. Die aufwändige Ornamentik hat nichts mehr
mit der dahinter liegenden Struktur zu tun. Die Architektur wird hier gezeigt als textile Ornamentik.
Das Beispiel des Palais Stočlet (1905-1911) von Josef Hoffman in Brüssel zeigt ebenfalls diese enorme
Reduktion der Wand. Die konstruktiv schmalen und extrem flachen Fassaden stehen mit ihrer
zweidimensionalen Architektur als Ausdruck eines papierhaften Verständnisses von Wand. Die
besonders hervorgehobene konstruktive Betonung der Ecken, also der Verbindung der Flächen,
verstärkt diesen Eindruck noch. Wagners Haus in der Neustiftgasse in Wien (1909) und seine 2. Villa
(1910) demonstrieren ebenfalls diese Idee der ornamental ausformulierten Verbindungen. Hoffmanns
Villa Skywa-Primavesi in Wien (1911) nutzt zwar noch Pilaster als Zeichen konstruktiven Tragens,
jedoch sind diese reduziert und haben keine Basen und keine Kapitelle mehr. Doch sind sie stark
kanneliert und füllen die gesamte Wandfläche zwischen den Fensteröffnungen, wodurch die Säulen zu
Gardinen werden, ganz ähnlich der Fassade von Hoffmanns Villa Ast in Wien (1914), deren Fassade
als steinerne Gardine ausgeführt ist.
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Wichtig scheint bei Wagner, dass es für ihn die Struktur, die Bekleidung und die Verbindung dieser
beiden Teile gibt. Häufig aber sind die Elemente (Knöpfe…) dieser Triade nur Icons für ein mögliches
funktionales Verbindungselement, haben keine wirkliche konstruktive Funktion.
Wagners Bank ist denen von Louis Sullivan ähnlich.
Zwar gilt Louis Sullivan nach seinem Essay The Tall Office Building Artistically Considered von 1896,
stark verkürz widergegeben als der Begründer von „Form follows Function“, doch wissen wir auch,
dass Sullivan ein großer Verfechter des Ornaments war; die Fassaden der Wolkenkratzer in Chicago
waren häufig in Gänze ornamental behandelt. Seine People’s Savings Bank (1917) in Sidney im
Bundesstaat Ohio zeigt ein Ornament mit historischer Symbolik: der Kämpferstein unterhalb des
Gesimses soll hier die Referenz zum Eichhörnchenfell leisten, das den Ureinwohnern dieser Gegend
einstmals als Zahlungsmittel diente. In seinem 1924 erschienen Buch A System of Architectural
Ornament erläutert Sullivan seine geometrischen Methoden. Sullivan glaubte, in den organischen
Formen des Ornaments ein weibliches Prinzip zu erkennen, das sich aus dem dominanten männlichen
Prinzip der geometrischen Ordnung herausschälte. Die transzendentale Vorstellung, dass das Leben aus
solch gegensätzlichen Kräften entstehe und das Universum auf einem dualistischen Fundament beruhe,
bildete die konzeptuelle Grundlage für seine ornamentalen Entwürfe. Das gestalterische Ziel war für
Sullivan immer der Ausgleich dieser zwei Kräfte. Entwickelte man beispielsweise eine geometrische
Grundform durch Ableitung zu einer gewissen Komplexität, durch Quadratur und andere geometrische
Operationen bis zu dem Punkt, da sich grazile Blütenmotive ergaben, die schließlich das gesamte
ursprüngliche Quadrat bedeckten, gewinnt diese Form eine fast natürliche Organik.
In der People’s Savings Bank in Cedar Rapids von 1909 entwickelt Sullivan die Verbindung von
Haupteingang und Tresoreingang zur Ikone des Gebäudes. Tritt man durch die rechtwinklige
Eingangstür, sieht man am gegenüberliegenden Raumende die runde Tür des Tresors, beide Türen sind
axial zueinander positioniert. Öffnet man jedoch die Tresortür, gibt diese die filigrane und höchst
ornamentale technische Gestalt ihrer Innenseite außerhalb dieser Achse zu erkennen. Die Konstruktion
der Tresortür in Wagners Postsparkasse ist anders, hier bilden gepanzerte, verbolzte Platten eine
zweiflügelige Rechtecktür. Doch könnten wir sagen, dass auch Wagner den Tresor zur Ikone des
Gebäudes erhebt, denn die Ornamentik der Fassade, ihre wie mit Bolzen oder Knöpfen befestigten
Platten, scheint deutlich aus der Beobachtung der Konstruktion der Tresortür entwickelt zu sein.
Das Gegenargument zu dieser gestaltorientierten Auffassung von Architektur liefert Karl Scheffler mit
dem Ausspruch: „Die Frage der Architektur ist in Zukunft eine Bauherrenfrage“ – die Architektur oder
auch die Kunst bedarf demnach immer eines Mäzens. So ist zum Beispiel Joseph Maria Olbrichs
Secessions Gebäude in Wien (1898) im Auftrag des Industriellen Karl Wittgenstein, Vater des
Philosophen Ludwig Wittgenstein, entstanden, der ein großer Unterstützer des Wiener Secessionisten
war. Führen wir den Gedanken von der Grundlage eines Mäzens weiter, so ließe sich letztlich
behaupten, eine Kunstbewegung könne nur so lange bestehen, wie sie einen Händler hat. Ein weiteres
Beispiel für die Rolle eines Gönners ist die Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt mit dem von
Olbrich 1908 gebauten Hochzeitsturm und Ausstellungsgebäude, die durch den Großherzog Ernst
Ludwig von Hessen und bei Rhein als Auftraggeber realisiert werden konnten. In einer Verbindung
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von Kunst und Handwerk, die der Großherzog durch die Berufung verschiedener Künstler nach
Darmstadt erreichen wollte, versprach er sich wirtschaftliche und damit finanzielle Vorteile für sein
Land. Berufen wurden neben Olbrich auch Peter Behrens, Paul Bürck, Hans Christiansen, Ludwig
Habich u.a. Die Künstler sollten auf der Mathildenhöhe nicht nur ihrer eigenen Arbeit nachgehen,
sondern vor allem auch neue, aktuelle Bau- und Wohnformen erproben. Dies ist insofern interessant,
als viele der auf der Mathildenhöhe entstandenen Bauten nicht von Architekten, sondern von Künstlern
entworfen wurden, was wesentliche Auswirkungen auf die Architektur haben sollte. Peter Behrens
eigenes Wohnhaus in der Mathildenhöhe (1901) ist dafür ein gutes Beispiel. Behrens war zur Zeit
seiner Berufung nach Darmstadt noch nicht der Architekt Behrens, in dessen Berliner Büro später
Walter Gropius, Mies van der Rohe und Le Corbusier arbeiten sollten, sondern ein Maler. Ebenso wie
die anderen Künstler der Kolonie war er architektonischer Laie und entwickelte seine Architektur so,
wie es ein an die zwei Dimensionen der Leinwand gewöhnter Künstler tun würde. Man könnte sagen,
die Architektur wird hier nicht vom Raum, sondern von der Oberfläche her entwickelt, worin sich
Parallelen ziehen lassen zu Henry van de Velde, der ebenfalls zunächst Grafiker und Künstler war.
Eine andere Entwicklung lässt sich beschreiben, folgt man Fichte und Hegel. Nach diesen zeigt jede
Nation ihre eigene Identität durch die Kunst, daher ist es die Aufgabe des Staates, die Kunst zu fördern.
Diese nationalistische Philosophie bedingt, dass sich in kürzester Zeit 35 Akademien entwickeln, eine
Entwicklung, die zeitlich zusammenfällt mit dem Zusammenbruch des Mäzenatentums. Es ist also kein
Zufall, dass sich zwischen 1870 und dem ersten Weltkrieg so viele Gruppen und Stile mit jeweils
eigenem Manifest entwickeln: das Überangebot an Künstlern führt zu einem Wettbewerb um neue
Ideen und nicht zuletzt dazu, dass Künstler auch Grafiken, Möbel, Geschirr, Kleider und eben auch
Architektur entwerfen. Folgerichtig kommt es um die Jahrhundertwende also zur Vermischung der
Kompetenzen von Architektur und Kunst, woraus sich der deutsche Jugendstil entwickelt.
Allerdings ist dieser so erfolgreich, dass er sich geradezu selbst verschlingt. Mit dem spätestens auf der
Ausstellung in Turin durch Behrens Hamburger Vorhalle deutlich gewordenen großen Erfolg des
neuen Stils adaptiert die Industrie das Jugendstilornament alsbald als Massenprodukt wodurch der
Profit einer progressiven Idee nicht an deren Urheber, die Künstler, sondern an die Industrie geht.
Mit dem Übergang zur Massenproduktion funktioniert der Jugendstil folglich nicht mehr als
Avantgarde, geht an seinem eigenen Erfolg zu Grunde. Der niederländische Architekt Johannes
Ludovicus Mathieu Lauweriks ist ein wesentlicher Einfluss auf dem beginnenden Rückzug von
Jugendstil und Ornament. Gemeinsam mit K.P.C. de Bazel veröffentlichte er ab 1898 das Journal
Bouw-en Sierkunst (Bauen und Ornament), in dem sie ihre Ideen einer Kunst, die in der Theosophy
begründet ist, ausbreiten. Lauweriks und Bazel versuchten, einen systematischen Ansatz für eine
zeitgenössische Theory des Universellen zu entwickelten, wobei sie sich insbesondere auf die durch
Viollet-le-Duc wieder entdeckte Geometrie als Grundlage stützten. Allerdings grenzten sie sich
deutlich vom strukturellen Rationalismus ab, indem sie die Geometrie mit dem Okkulten
zusammenbrachten. So glaubten sie, dass die Geometrie ein wesentlicher und integraler Bestandteil der
Natur und Rhythmus Teil einer größeren Lebenskraft sei. Zusammen müssten diese zwei, Geometrie
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und Rhythmus, eine harmonische Einheit bilden. Zunächst bezogen sich Lauweriks und Bazel bei ihren
Betrachtungen noch weitestgehend auf die ordnenden Prinzipien der Geometrie, die etwa in der Musik
oder natürlichen Phänomenen zu finden sei. Allerdings ordnen sie sich mit ihren Untersuchungen auch
in die lange Geschichte derer ein, die der Geometrie und Mathematik spirituelle Dimensionen
zusprachen. Mit dieser Dimension sprachen sie insbesondere die Jugendstilkünstler an, jedoch
entwickelte sich ihre Theorie und damit ihr Einfluss mit der Zeit weg von einer symbolischen
Auffassung von Kunst und hin zu einer mehr direkten Interpretation von Erleuchtung durch
Abstraktion, wodurch schließlich die Geometrie zur Triebfeder des neuen Stils wird. Es sei nunmehr
die Aufgabe des Architekten, so Lauweriks, dem modernen Bau das Moment des Spirituellen
einzuschreiben, ohne dafür auf naturalistische Elemente zurückgreifen zu müssen.
Mit dieser Entwicklung kommen wir zum Beispiel Peter Behrens zurück, an dessen Werk wir diese
Entwicklung weiter verfolgen können. Schon sein Ausstellungspavillon in Oldenburg 1905 oder der
AEG-Pavillon von 1908, der als eine Art abstrahierte Version der Pfalzkapelle zu Aachen auch einen
historistischen Ansatz nahe legt – eine Tendenz in Behrens Werk, die mit der Deutschen Botschaft in
Sankt Petersburg 1912 ihren Höhepunkt hat –, zeigt eine deutliche Reduktion und Geometrisierung
gegenüber etwa seinem Wohnhaus auf der Mathildenhöhe. Aber es ist seine Montagehalle für die
Turbinenfabrik der AEG in Berlin (1907), bei der Behrens schließlich nach den Umwegen über
Jugendstil und mehrere Neo-Ismen zu der Erkenntnis kommt, dass nur die Industrie einen Ausweg aus
der Suche nach einem neuen Stil bieten kann. Aus dieser Erkenntnis sollte sich in der Folge der
Werkbund entwickeln, von dem Behrens einer der wichtigsten Vertreter war. Die Turbinenfabrik stellt
für ihn, in Ahnlehung an Böttichers Idee der Kunstform eines Objekts, eine Durchgeistigung der
Technik dar. Trotz seiner modernen Details erinnert das Gebäude daher in seiner Archaik an eine
gewisse historisch belegte Tektonik. Ein ganz ähnliches Beispiel für diese erneute Durchgeistigung der
Architektur, wofür sich die Architekten der Expertise der Künstler bedienen, ist das Fagus Werk von
Gropius & Meyer in Alfeld an der Leine (1911) für die Schuhleistenfabrikation Carl Benscheidt. Das
Gebäude ist geprägt durch seine rationale, technische Architektur mit verglasten Ecken und großen
Fensterflächen. Aber die Pilaster der Langfassaden weisen eine, strukturell nicht notwendige Entasis
auf, ein aus der Antike entlehntes Mittel, um das Tragen einer Säule zu versinnbildlichen.
Die Produkte des Werkbundes, so elaboriert und durchgeistet sie auch waren, konnten allerdings nicht
sehr lange die Gunst der Kunden gewinnen, was dazu führte, dass die Industrie dem Werkbund schon
recht bald wieder den Kredit entzog. Die Werkbundausstellung von 1914 in Köln war der letzte
Versuch, die Arbeiten des Werkbundes, der sich im Zuge des „Typenstreits“ selbst zu spalten drohte,
nochmals einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und so seine Ideen noch einmal zu propagieren.
Die bemerkenswertesten Exponate stellte dabei die Architektur der Ausstellung selbst. Das von van de
Velde entworfene Werkbundtheater, Gropius & Meyers Modellfabrik und Bruno Tauts Glaspavillon
für das Luxfer Prismen Syndikat zählen zu den eindrucksvollsten Entwürfen der Zeit.
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In der Ideologiedebatte zwischen den Werkbundmitgliedern Henry van de Velde und Hermann
Muthesius um künstlerisches Genie vs. Typisierung melden sich auch junge Künstler und Architekten
zu Wort, die davon überzeugt sind, dass die Industrie nie die Kunst fördere, sondern stets nur ihren
eigenen Profit, weshalb man der Industrie nicht folgen dürfte.
Der sich aus dieser Überzeugung entwickelnde Expressionismus ist demnach der Gegenentwurf zum
Werkbund, wie dieser ein Gegenentwurf zum Jugendstil war. Eine Vielzahl beständig wechselnder
Stile also, und alles nur, weil es, folgt man Scheffler, an einem Kunstträger mangelte!
Die Künstler des Expressionismus vetraten, anders als die Werkbundler, welche die Kunst mit der
Industrie vermählen wollten, die Ansicht, dass die Gesellschaft der Zukunft keine industrielle, sondern
eine agrarische sei. Ab 1918 trafen sich Architekten, Maler und Bildhauer im Arbeitsrat für Kunst, der
als Reaktion auf die vielerorts gegründeten Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin zusammenkam und
sich zum Ziel setzte, den „Zusammenschluß der Künste unter den Flügeln einer großen Baukunst“ zu
betreiben. Der Arbeitsrat verwendete sich u.a. für die Forderung, alle Bauaufgaben öffentlich zu
machen, die Ausbildung von Künstlern und Architekten nicht unter staatliche Bevormundung zu stellen
und so genannte Volkshäuser als Zentren für die Vermittlung von Kunst einzurichten und reagierte
damit auch auf die schlechte Auftragslage der jungen Architekten.
Einige der Mitglieder des Arbeitsrates, darunter Bruno Taut, fanden sich später in der Gruppe die
Gläserne Kette zusammen. Die zwölf Architekten der Gruppe, unter ihnen Hermann Finsterlin, Max
Taut, Wenzel Hablik, Hans Scharoun und Walter Gropius standen unter der Führung Bruno Tauts. Mit
ihrem Anspruch, durch ihre visionären Projekte das Volk zu einen; die gläserne Architektur, wie sie
Taut etwa in seiner Alpinen Architektur zeigte, als Ersatz für eine Religion zu etablieren, begibt sich
die Gruppe in den Bereich des Spirituellen, einer Heilsgeschichte mit Taut als Christus, als Erlöser. So
wie die Religion keinen rationalen Sinn hat, brauchte es folgerichtig für diese ungeheuren Projekte wie
Tauts Stadtkrone auch keine rationale Funktion, die Funtionslosigkeit war vielmehr der Kern der
Architektur.
Allerdings glaubten nur die Künstler selbst an diese Entwicklung, weshalb die realisierten Bauten eher
selten und dann in ihrer Komplexität überschaubar sind. Hans Poelzigs Großes Schauspielhaus in
Berlin (1919) ist eines der wenigen realisierten Beispiele der Gruppe. Sein großes, kuppelüberwölbtes
Auditorium, mit der indirekten Beleuchtung durch die als Stalaktiten ausgeformten Säulen bedient
zwar eine gewisse expressionistische Ornamentik, aber natürlich bricht es damit keiner Weltrevolution
im Sinne der agrarischen Neuordnung der Gesellschaft Bahn.
Trotz des großen formalen Erfolges des Expressionismus, der letztlich wie in Robert Wienes Das
Cabinett des Dr. Caligari von 1920 auch in den Film Einzug hält, und damit einem ganzen Genre und
dem deutschen Film der 20er Jahre zu Weltruhm verhilft, ist alles, was von Tauts Anspruch der
gesellschaftlichen Neuorganisation bleibt, der Entwurf für das Flaschenetikett der Magdeburger
TauTropfen. Nach diesem neuerlichen Abwenden von der Industrie ist allerdings klar, dass ohne die
Industrie kein wirtschaftliches Fortkommen mehr zu machen ist. Das Bauhaus, einst mit einer
expressionistischen Kathedrale als Frontispiz seines Manifestes gegründet, entwickelt sich nach der
Bauhaus-Ausstellung von 1923 zu einem funktionalistischen Vorhaben.
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Ein Klärungsversuch
Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entstand durch ein Überangebot von Kunstakademien und
dem Zusammenbruch des alten Mäzenatentums ein großes Künstler-Proletariat in Paris und München.
In der Folge suchten die notleidenden Künstler in benachbarten Sparten, etwa in der Architektur, nach
Arbeit: zwei der Leiter der deutschen Jugendstilarchitektur, Henry van de Velde und Peter Behrens
waren ehemalige Maler, wie auch Richard Riemerschmid, Bernhard Pankok, Otto Eckmann und
Hermann Obrist, die später als Architekten arbeiteten. Die Invasion der Künstler einerseits und die
steigende Bedeutung des Ingenieurwesens andererseits bedrohten allerdings den sozialen Status der
Architekten. Beschreibungen zeitgenössicher Beobachter wie den Architekten Ernst Spindler und
Bruno Möhring zufolge war bis in die 1890er der Beruf des Architekten ein einträglicher Beruf,
während bereits ein Jahrzehnt später der „Kampf ums Dasein“ intolerabel, und Geld zu einem alles
beherrschenden Thema wurde. In ihrem Artikel von 1913, „Der Architekt im modernen
Wirtschaftsgefüge“, nennen sie die übliche Beschwerde, die Architekten bis heute wiederholen: die
Angst, daß die ökonomische Konkurrenz und der Zwang nach erhöhter Effizienz die Qualität der
Architektur gefährden werden, zu dem die Besorgnis, daß Wettbewerbe nur eine Form der Ausbeutung
von Architekten darstellen. Offensichtlich hatte Mark Pimlott Recht, wenn er kürzlich in der
Festschriftausgabe des holländischen Architekturmagazins Hunch den Architekten als denjenigen
definierte, der sich Sorgen über die Zukunft seines Berufes mache.
In seiner Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst von 1913 kam Julius Meier-Graefe zum Schluß,
daß zu verschiedenen Zeiten die Kunst unterschiedliche Kunstträger hatte; letztere sind einflußreiche
soziale Guppierungen, die die Kunst unterstützen. Im Gegenzug drückt sich diese Unterstützung in den
Kunstwerken als Ideologie aus. Ökonomischer Wert wurde somit in ästhetischen Wert umgewandelt.
Bedauerlicherweise mußte Meier-Graefe einräumen, daß der Unterstützer der Kunst zu seiner Zeit
entweder noch nicht identifiziert war, oder schlicht fehlte. Die Suche nach einem zeitgenössischen
Kunstträger war auch auf dem Gebiet der Architektur eine akute Frage. Im selben Jahr 1913 erklärte
Karl Scheffler, daß die Frage nach der Zukunft der Architektur in erster Linie eine Bauherrenfrage sei.
Im Kampf um ihre Existenz versuchten etliche Gruppen von Künstlern und Architekten, sich so klar
wie möglich von anderen abzugrenzen, und erhöhten das Tempo der künstlerischen Innovationen.
Auch die entsprechenden Theorien wurden in Richtung potentieller Förderer angepasst, indem jene
Aspekte der Architektur oder eines speziellen Stils betont wurden, von denen angenommen wurde, daß
sie den Interessen eines bestimmten Trägers entsprachen. Auf der anderen Seite wurde eine bestimmte
Theorie aufgegeben, wenn sich herausstellte, daß der potentielle Träger nicht willens oder nicht fähig
war, den Stil zu unterstützen. Der Wettbewerb zwischen Künstlern und Architekten mündete in einer
Reihe von Neudefinitionen der Architektur: Jede Bewegung versuchte ihren Stil so zu adaptieren, daß
dieser den angenommenen Bedürfnissen eines potenziellen Förderers entsprach, und gleichzeitig die
Fertigkeiten der Konkurrenten disqualifizierte. So oft wie nur möglich wurden Qualitäten, die als
relevant für den Träger galten, auch auf der Ebene der Formen und der Details der Gebäude
ausgedrückt: zusätzlich zu linguistischen Strategien funktionieren die Gebäude somit auch als
situationelle Rhetorik.
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Wir sollten uns die Stile kurz erinnern, die in atemberaubender Geschwindigkeit ins Zentrum des
Interesses rückten und gleich wieder verschwanden. Laut Hermann Muthesius wußte das Publikum vor
1901 nichts vom Jugendstil, aber schon ein Jahr später war der Stil als Avantgarde passé und 1906
spielte er als künstlerisches System überhaupt keine Rolle mehr. Die Künstler-Architekten des
Jugendstils hatte ursprünglich die Reformbewegung mit dem Versprechen verlockt, daß ihre neue,
spirituelle Kunst die Fähigkeit habe, eine moralische Erneuerung einzuleiten. Als dieses Versprechen
nicht eingelöst wurde, konterten die traditionelleren Architekten, indem sie entweder die Konstruktion
(und ein wenig später auch den Raum) oder althergebrachte Architekturstile als das wahre Wesen der
Baukunst betonten: Allerding, die Künstler-Architekten waren weder für das eine noch für das andere
besonders qualifiziert. Diese Maßnahmen waren nicht sehr erfolgreich: beispielsweise wurden die
sachlichen Produkte aus den Deutschen Werkstätten als Armeleutekunst für die Reichen bezeichnet
und der Direktor, Holzgoethe Karl Schmidt stellte 1912 fest, daß die Leute immer noch die schlechten
Waren bevorzugten. Vergebens hat Adolf Loos das Bürgertum an seine Verplichtungen der Kunst
gegenüber erinnert, vergebens hat Muthesius nach einer geistlichen Aristokratie als Unterstützer der
Architektur verlangt.
1907
haben
sich
die
Architekten
und
Künstler
zu
einer
neuen
Organisationsform
zusammengeschlossen. Der deutsche Werkbund suchte sich die Großunternehmer als neue
Schirmherren, mit der Zusicherung, daß eine enge Kooperation zwischen Industrie und herausragenden
Gestaltern die Gewinne erhöhen und ausländische Märkte erobern würde. 1914 sah er (wie auch
beispielsweise Fritz Hoeber) aber den Krieg als einen Segen, weil er die Deutschen verpflichtete, ihre
Ideen und Produkte anderen Nationen auf zu zwingen.
Nach Muthesius hatten die deutschen Unternehmer die Pflicht, zu Hause der Vorherrschaft fremder
Stile ein Ende zu setzen und im Ausland den Ruf deutscher Arbeit wiederherzustellen. Die Industrie
wies den Werkbund jedoch zurück, und zog weiterhin den anonymen Musterzeichner dem
avantgardistischen Entwerfer vor.
Der Werkbund assosizierte sich plakativ mit der Kriegsmaschinerie; folglich hat sich die jüngere
Generation von Werkbundarchitekten, unter der Leitung von Bruno Taut, von der Organisation
entfernt. Die vom Weltkrieg desillusionierten Expressionisten deklarierten sich zu den einzig wahren,
legitimen Anführern einer neuen, am Mittelalter orientierten, agrarischen und geistigen Gesellschaft.
Statt sich nach einem eigenen Förderer umzusehen, versuchten die Expressionisten selbst durch die
Vereinnahmung des Volkes an Einfluß zu gewinnen, indem sie diesem Freiheit, ewigen Frieden in
einer agrarischen Gesellschaft und eine spirituelle Revolution versprachen. Sie mußten jedoch bald
eingestehen, daß sie nicht die erhoffte Unterstützung durch die breite Masse fanden: „uns trägt kein
Volk“, wie Paul Klee es 1924 formulierte.
Die Revolution scheiterte, und die deutsche Industrie wurde durch amerikanisches Kapital und eine
kalkulierte Inflation verjüngt. Die Industrie mag vielleicht eine treibende Kraft der Gesellschaft
gewesen sein – sie war jedoch nicht sehr daran interessiert, die Architekten zu unterstützen. Die
Avantgarde-Architekten erkannten, daß sie bei diesem Prozess des Umbruchs wenig zu sagen hatten.
In den Worten von Le Corbusier: „Die Industrie überwältigt uns wie eine Flut, die auf ihr festgesetztes
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Ziel zurollt“. – „Und wir wollen die veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse als eine
Tatsache hinnehmen“, wie Mies van der Rohe folgerte: „Alle diese Dinge gehen ihren schicksalhaften
und wertblinden Gang“.
Erst als sich die desillusionierten Architekten den regionalen sozialdemokratischen Regierungen
zuwandten, fanden sie schließlich einen Auftraggeber, der willens und fähig war, die Bewegung zu
unterstützen. Die Manifeste des Funktionalismus betonten die Werte des Amerikanismus:
Rationalismus, Massenproduktion, Modernität, Technologie, Taylorismus, Fordismus etc. Wegen des
Jargons der Moderne, dem Anspruch nach Gleichheit und der sozialen Ansprüche konnte der
Funktionalismus von der Sozialdemokratie als politisches Emblem verwendet werden, mit dem diese
sich von der 'germanischen' Formensprache der extremen Rechten deutlich absetzen konnte.
Vom Standpunkt der Architekten besaß der Funktionalismus jedoch ganz andere Vorzüge: Er
erweiterte die Domäne der Architektur (ähnlich wie dies der Werkbund fünfzehn Jahre früher versucht
hatte) durch die Behauptung, daß Architekten nicht nur für den Entwurf von öffentlichen Denkmälern
und stattlichen Herrensitzen zuständig waren, sondern daß sie auch einen wertvollen Beitrag im
Bereich sozialer Wohnbauten und utilitärer Gebäude von niedrigem symbolischen Status, wie etwa
Fabriken und Lagerhallen, leisten konnten. Der Bauboom Mitte der Zwanzigerjahre und die
Verbundenheit der Linken mit dem Image des Funktionalismus bestätigte in gewissem Sinne die
funktionalistischen Überlegungen. Es war der erste Stil seit dreißig Jahren, der den sozialen Status des
Architekten verbessern oder zumindest absichern konnte. Dadurch konnte der Funktionalismus für
Jahrzehnte fortdauern, während alle anderen Strömungen innerhalb weniger Jahre dahinschwanden.
Eine solche Chronik des sozialen Konkurrenzkampfes und opportunistischer Redefinitionen der
architektonischen Disziplin war es, die Karl Kraus zu der schon zitierten Aussage bewegte. Die
Erzeugnisse der Kunst und der Architektur wurden oft zu Instrumenten im Ringen der Künstler nach
gesellschaftlichem Erfolg. Wesentlich öfter aber waren sie bloß unbeabsichtigte Nebenprodukte, reine
Epiphänomena oder Begleiterscheinungen eines Kampfes um gesellschaftliche Anerkennung.
Das Avantgarde-Konzept der Architektur war in den ersten 25 Jahren des Jahrhunderts im Fluß. Die
einzige Konstante war, daß jeder neue Stil als der Definitive eines modernen Zeitalters präsentiert
wurde, nur um nach wenigen Jahren durch eine andere endgültige Wahrheit ersetzt zu werden.
Infolgedessen ist man auch verloren, wenn man versucht, die Entwicklung einer konsistenten Doktrin
für die Architektur auszumachen. Vielmehr bestehen die Karrieren eines Peter Behrens, Bruno Taut,
oder Walter Gropius aus einem scheinbar widersprüchlichen Schwanken zwischen romantischen und
rationalistischen Extremen. Gropius zum Beispiel behauptete sowohl vor dem Krieg als auch nach
1922, daß Stahl und Glas die Materialien der Zukunft seien. 1920 erklärte er jedoch, daß Holz das
Baumaterial der Zukunft sei. Das Motiv für diesen bemerkenswerten Sinneswandel lag in seinem
Wunsch, vom Sägewerksbesitzer Karl Sommerfeld einen Auftrag für das Bauhaus zu erhalten, der die
Teak-Planken eines alten Schiffes für ein Haus verwenden wollte. Trotz dieser Episode war Gropius
einer der konsequentesten Theoretiker unter den Architekten.
Aus einer Betrachtung der Geschichte der Architektur kann man schließen, daß es dort weder ein
kohärentes Gedankengebäude gibt, noch einen eigentlichen Gegenstand, den man 'Architektur' nennen
könnte; noch gibt es eine natürliche Organisationsform der Architekturproduktion. Die Architekten
31
haben, wie die meisten anderen Berufsgruppen, ihre Disziplin im Verhältnis zu Bauherren und
Konkurrenz definiert. Ziel war, den Weiterbestand eines Berufes zu sichern, und nicht die Fortführung
einer bestimmten Disziplin.
32
Lecture 5 | Der Sieg des neuen Stils
Wer ging aus dem Wettstreit der Stile als Sieger hervor?
1927 verkündete Walter Curt Behrendt, dass der Neue Stil gesiegt habe. Die auf dem Einband seines
Buches gezeigte Weissenhofsiedlung in Stuttgart aus dem selben Jahr, ist denn auch ein
funktionalistisches Schaustück, allerdings ist sie aufgrund der Topographie organisch geplant und
repräsentiert so mehr eine Villensiedlung alten Typs als eine funktionalistische Stadt.
-
Fig: Behrens (Haus Mathildenhöhe vs. Haus am Weissenhof): hier zeigt sich die ganze
Bandbreite der Stile der deutschen Moderne (vgl. letzte Vorlesung) … „Peter Behrens ist einer
jener Künstler, die ihren Stil alle fünf Jahre geändert haben, diametral geändert haben – also
wie Madonna“
In der großen Inflation um 1923 wurden Gehälter bis zu 3x täglich gezahlt, weil das Geld so schnell
entwertet wurde … in der Folge hatten Privatleute keine Ersparnisse mehr, gleichzeitig wurde die
Industrie so aber auch schuldenfrei. Mit neuem Kapital kann so die Industrie wie vor dem Krieg wieder
aufgebaut werden
Also, die Entwicklung der Stile ist nicht rational, formal stringent, sondern eher eine Geschichte
mehrfacher sprunghafter Wechsel
Atelier Behrens: Peter Behrens ist nicht nur eine wichtige Figur, weil er zahlreiche Stile auf der Suche
nach dem neuen Stil mitgeprägt hat, sondern auch und vor allem, weil er mehrere wichtige Architekten
der Jungen Generation beschäftigte, darunter Gropius, Mies, Le Corbusier…
-
Fig:
Feininger
(Zukunftskathedrale):
Bauhaus
in
Weimar
als
Nachfolger
der
Kunstgewerbeschule begründet. Als van de Velde als Belgier nicht mehr gewünscht ist, beruft
er Walter Gropius zu seinem Nachfolger … das Bauhaus wird zunächst in der Ideologie des
Expressionismus gegründet (vgl. Bild des Gesamtkunstwerks: Kathedrale; „Terminologie“
Bauhaus – Bauhütte; Terminologie „Meister“…)
Chefideologe des Bauhaus aber ist Johannes Itten: ihm zufolge sind alle Ideen zeitlos und so
zwangsläufig bereits bekannt; das wir keine Ideen haben, heißt demzufolge, dass wir sie nur vergessen
haben … dies ist die platonische Idee der Anamnese … folglich können wir Ideen nicht durch Empirie,
sondern ausschließlich durch Überlegung entwickeln
33
-
Fig: Otto Hanisch: Itten verfolgt die Lehre einer Art westlichen Buddhismus, Mazdaznan, die
auf allerlei Geheimlehren basiert (Pythagoras…) und u.a. durch Hanisch publiziert wird…
vgl. Kleidung Ittens
Also: das Gründungsbild des Bauhaus hat nichts mit dem rationalistischen Bild zu tun, das davon
geblieben ist … Hannes Meyer: Das erste Bauhaus war das zweite Dornach! …
Die Theosophie war ebenfalls eine Art Ersatzreligion (die Wahrheit der Welt war ja nicht mehr
existent, laut Kandinsky spätestens seit das Atom gespalten worden war („Atom“ = unspaltbar), die
massgeblich von Helena Petrovna Blavatsky geprägt wurde: demnach sei die materielle Wirklichkeit
unwichtig, es gebe eine höhere Instanz, die sich in bestimmten Anomalien ausdrückt.
Der Übergang von der gegenständlichen zur abstrakten Kunst bei Kandinsky fällt mit dieser
Entwicklung zusammen (1910/1912) … vgl. Besant & Leadbeater, 1901, „Thought Form“
-
Fig: Kandinsky (Über das Geistige in der Kunst, 1911): er versteht dieselben Kräfte, die das
Universum in Gang setzen, auch in bestimmten Linienformen einbeschrieben … vgl.
„dramatische Diagonale“ etc.
-
Fig: Kandinsky (Punkt und Linie zur Fläche, 1927): Synästhesie … in der Linie
innewohnende Kräfte, die es z.B. erlauben, auch komplexe Bewegungen zweidimensional
abzubilden (vgl. van de Velde 20 Jahre zuvor!) … in dieser Überlegung begründet sich dann
u.a. auch die Zuordnung von Farbe und Form bei Kandinsky (Dreieck – Gelb; Quadrat – Rot;
Kreis – Blau)
-
Fig: Klee (Transkription Bachs Adagio G Major, 1921): dies ist letztlich nur eine andere
graphische Übersetzung der gleichen Noten; seine Studenten haben das etwas weiter
getrieben:
-
Fig: Neugeboren (Fugue aus Bach: Wohltemperiertes Klavier): Drei Stimmen übersetzen die
vier Takte in eine raumbildende Skulptur
-
Fig: Schlemmer (Mechanisches Ballett): Dieses Streben zum Gesamtkunstwerk (in dem die
verschienen Künste also zu einem harmonischen Ganzen zusammengeführt werden) ist die
Idee des frühen Bauhaus; das Objekt in dem alles zusammenkommt, das Haus! … also, in der
Ausbildung werden verschiedene abstrakte Lehren am Ende im Gebäudeentwurf
zusammengeführt
-
Fig: Gropius & Meyer (Haus Sommerfeld): wie kommt die moderne Bewegung nun von Glas
und Stahl zum Holzbau? Gropius schreibt zu der Zeit ein Manifest, das Holz als den Baustoff
der Zukunft preist … bedingt allerdings wohl eher durch die finanzielle Notwendigkeit dazu!
(zudem war Sommerfeld Holzhändler)
-
Fig: Gropius & Meyer (Haus Kallenbach). Vgl. mit Eisenman’s House III.
-
Fig:
Gropius
&
Meyer
expressionistischer Ideale
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(Märzgefallenendenkmal):
vielleicht
präzisestes
Abbild
Der Expressionismus hatte ein gesellschaftliches Ideal: agrarisch, anti-industriell, gemeinschaftlich.
Der Künstler sollte das zeigen, indem er die neue Gesellschaft verbildlicht … vgl. Klee „Kann ich denn
sterben, Ich-Kristall?“
Um 1922 kommt Theo van Doesburg und mit ihm der Einfluss der Gruppe de Stijl (uneingeladen!)
nach Weimar, um hier „Gastvorlesungen“ zu halten. Diese sind bald besser besucht als die eigentlichen
Lehrveranstaltungen, wodurch van Doesburg wesentlichen Einfluss auf eine Neuorientierung des
Bauhauses gewinnt: demnach sollen gewisse abstrahierte, vergeistigte Darstellungen den eigentlichen
Kern des Dargestellten besser abbilden als das Objekt selbst. Demnach wäre die einzige Art zu sehen,
die Augen zu schließen; denn alles was wir sehen, ist eine Illusion! Die Essenz eines Gegenstandes ist
also das Ziel des Künstlers, nicht dessen äußere Form.
Nach Piet Mondrian unterliegt die Welt zwei Prinzipien: dem Horizontalen und Vertikalen, die dem
Weiblichen bzw. dem Männlichen entsprechen und jeweils für verschiedene Dinge stehen Das Ziel
jeder künstlerischen Bemühung müsse stets der Ausgleich, die Synthese dieser zwei sein. Diesen
Kräften entsprechen, folgt man Mondrian, auch bestimmte Farben, daher haben die Gemälde von de
Stijl eine sehr reduzierte Farbpalette. Wichtig ist dabei die Feststellung, dass das keine ästhetische
Entscheidung, sondern vielmehr elementare Grundlage ist, weil das Objekt somit ersetzt wird durch
etwas ebenfalls „Reales“. Das Ziel ist es also, die Abstraktion im Sinne einer Philosophie durch
bestimmte Definitionen zu legitimieren. An dieser Stelle sei noch einmal Froebel erwähnt, dessen
Stickereien, Papierfaltungen und Malereien in amerikanischen Kindergärten Mitte des 19.
Jahrhunderts, eine bestechende Ähnlichkeit zu den Arbeiten von de Stijl haben.
Das Ziel der Kunst, so lässt sich zusammenfassen, sind nicht die neuen Formen, der Unterschied zur
optisch sehr ähnlichen Arbeit von Kleinkindern liegt vielmehr im Diskurs, der mit der Arbeit
einhergeht.
-
Fig: Doesburg (Wohnhaus): 4-Dimensionale Architektur … die 4. Dimension ist das, wo das
Unbewußte, das Angenehme, das Schöne stattfindet … daher berufen sich die Künstler darauf
(und behaupten später natürlich, sie hätten die Relativitätstheorie vorbereitet)
-
Fig: Rietveld (Haus Schröder): Prinzip der Horizontalen und Vertikalen wird hier
weiterentwickelt auch zu einem statischen System und schafft so eine gewisse abstrakte Form
von Raum. Rietveld war kein Theoretiker und das Haus ist in der Tat eher eine recht gut
gemachte Box als die Erklärung einer neuen Weltanschauung. Zusammen mit Truus Schröder
entwarf Rietveld das kleine Haus als Fortführung der Typologie der benachbarten
Reihenhäuser, stattete es aber zudem mit einer Vielzahl beweglicher, faltbarer und rotierender
Elemente aus, so dass der Grundriss in vier kleinere Bereiche unterteilt oder als ein großer
Raum genutzt werden kann. Die Fassaden ähneln anderen De Stijl Gebäuden ohne allzu sehr
mit den Innenräumen zu korespondieren.
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All diese Bemühungen spiegeln sich auch in den Produkten des Bauhaus um 1920, die sich durch
geometrische Abstraktion und reduzierte Farbigkeit auf grundlegende Prinzipien beziehen und die
damit die Bereiche der Metaphysik zur Erklärung ihrer Arbeiten heranziehen. Das ändert sich im
Dessauer Bauhaus, wo neue Formen wie etwa das Beispiel der Stahlrohrmöbel auch konstruktiv
begründet sind.
-
Fig: Muche (Experimentalhaus): Der Grundriss definiert sich aus bestimmten Dogmatismen:
ein Grundriss im Neun-Quadrat, vergleichbar mit Palladio, mit einer interassanten diagonalen
Organisation ähnlich der theosophischen Architektur dieser Zeit. Die traditionellen
Familienmuster sind dabei in den Grundriss einbeschrieben: die Mutter hat ihre Räume in der
Nähe der Kinder und der Küche, während der Mann als Oberhaupt in der Nähe der Tür
arbeitet und die Familie gegen Eindringlinge, oder Gäste, beschützt. Stilistisch lässt sich hier
wohl von neuer Sachlichkeit sprechen, aber Funktionalität war hier sicher kein Thema.
-
Fig: Gropius & Meyer (Bauhaus): im Gegensatz zu Muche, bei dem noch Axialität
vorherrscht, ist dies eine komplexe asymmetrische Komposition, die sich durch ihre
Organisation und Konstruktion auszeichnet. Das Anliegen ist, einen zentralen Punkt oder eine
zentrale Achse zu vermeiden und stattdessen ein polyzentrisches System zu entwickeln. Also
Frank Lloyd Wright in einer anderen Sprache oder Form.
-
Giedion (Raum, Zeit, Architektur): George Braques L’Arlésienne & der Werkstattflügel des
Bauhaus entsprechen nach Giedion denselben Prinzipien. Für Giedion drückt das Gebäude
auch die Relativitätstheorie aus, weil man durch die verglasten Flächen mehrere Ansichten des
Gebäudes, oder eben mehrere Bereiche des Raumes, gleichzeitig wahrnehme, was ein
wesentliches Prinzip für Einstein war.
Die von Doesburg besprochene Vierdimensionalität gründet sich auf der Idee, das die wahre Welt
hinter der dreidimensionalen Scheinwelt liege; oder anders: die dreidimensionale Welt bloß eine
Schattenprojektion der vierdimensionalen, wahren Welt sei. Folglich müssen wir auch vierdimensional
denken.
-
Fig: Gropius (Totaltheater): der fließende Raum als Gleichzeitigkeit
-
Fig: Mies (Glaswolkenkratzer): die Idee hier ist die Entmaterialisierung des Gebäudes durch
die Reflektionen der Fassade
-
Fig: Mies (Landhaus aus Backstein): Einfluss von de Stijl wird im Grundriss deutlich. Mies
veröffentlichte Entwürfe von De Stijl in seinem Magazin G.
-
Fig: Mies (Barcelona Pavillon): (nach Methoden der Formfindung) für Ludwig Mies van der
Rohes Entwurf für den Deutschen Pavillon der Weltausstellung (1929) in Barcelona haben
eine ganze Reihe nicht nur architektonischer, sondern auch künstlerischer Vorbilder Pate
gestanden. Architekturkritiker haben darauf hingewiesen, dass die Mies’schen Grundrisse –
mit ihren auf einem orthogonalen Raster angeordneten Wändenals unabhängige Elemente, die
mitunter in die Ferne hinausragen – an die Gemälde der Künstlergruppe De Stijl, namentlich
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van Doesburgs Ritme van een Russische dans, erinnern. Manche Charakteristika des
Barcelona-Pavillons, wie zum Beispiel die offenen Glasecken, könnten sich auch auf Frank
Lloyd Wrights Prärie-Häuser beziehen. Noch wichtiger könnte jedoch die klassische Tradition
sein. Das Gebäude ist auf dem Ausstellungsgelände umgeben von verschiedenen historischen
Gebäuden. Es ist kein Zufall, dass der Grundriss des Pavillons (genauso wie das daneben
befindliche Wasserbecken) die Proportionen des Parthenons von Athen wiederholt. Ferner
entsprechen die Säulen des Tempels den Wänden des Ausstellungsgebäudes, und die Wände
der „Cella“ des Parthenons korrespondieren mit den Pfeilern in Mies’ Entwurf. Ausserdem
entspricht das Wasserbecken im Inneren des Pavillons der Unterteilung des Tempels in
„Adyton“ und „Opisthodomos“. Das Ausstellungsgebäude enthielt auch noch eine
Frauenskulptur (von Georg Kolbe, 1929), die den Platz der Athena Parthenos im griechischen
Tempel einnahm. Diese klassichen Akzente waren während der Ausstellung 1929 noch
offensichtlicher als heute, da damals eine Reihe von frei stehenden griechischen Säulen vor
der Fassade des Mies’schen Gebäudes stand. Mies ist unter den Funktionalisten ein Klassizist!
-
Fig: Mies (Haus Tugendhat). Eine funktionalistischere Variante ähnlicher Themen. Die
Fenster zum Garten konnten im Boden versenkt werden. Das Innere wird durch hochwertige
Materialien und den offenen Grundriss geprägt. Bezüglich der Rollen von Mann und Frau
bedient das Haus sehr ähnliche Traditionen wie das Experimentalhaus von Muche.
-
Fig: Bauhaus-Logo, 1919: archaische Symbolik (theosophische Formen, Swastika)
Wie Eingangs erwähnt, ist die Entwicklung der Stile ist nicht rational, formal stringent, sondern eher
eine Geschichte mehrfacher sprunghafter Wechsel, die auch gesellschaftlichen Ursprungs sein konnten.
So interpretieren die Nazis die Ästhetik des funktionalistischen Bauhaus um, was sich z.B. in der
Karikatur der Weissenhofsiedlung (als Schaustück der Weißen Moderne) als Araberdorf ausdrückt und
schließlich dessen Ende bedeutet.
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Lecture 6 | Vers une Architecture
John Ruskin behauptete: Wir wollen keinen neuen Stil in der Architektur, aber wir wollen einen Stil!
War die moderne Architektur jemals eine Architektur? Kontrastieren wir für den Moment Adolf Loos
mit Le Corbusier, um zu sehen, was in des Letzteren Architektur modern ist.
Auf die Frage, wann man modern gekleidet sei, fällt Loos das Urteil „wenn man nicht auffällt“. Das
ästhetische Ideal der Moderne wäre demnach die Unauffälligkeit. Loos erklärt, in einer primitiven
Gesellschaft habe das Ornament noch Sinn, wer dem heute nachgebe, sei aber entweder ein Verbrecher
oder ein Degenerierter. Wenn jemand wie Hoffmann oder van de Velde an einem Tisch sitze um ein
Ornament zu zeichnen, sei das pathologisch!
-
Fig: Loos (Michaelerplatz): im Gegensatz zu diesen Überlegungen aber ist Loos undekoriertes
Gebäude in Wien Anfang des 20. Jahrhunderts natürlich alles andere als unauffällig! Loos
baut im Prinzip eine Hinterhoffassade gegenüber der kaiserlichen Residenz … vgl. hier die
Argumentation zur Bekleidung: eine völlig nackte Frau ist für den Mann eher uninteressant.
Erst ihre Kleidung macht die Frau für den Mann zu einem Rätsel, das er lösen möchte
(Gegensatz zu Nietzsche, der sagt: wer mir sein weiß getünchtes Haus zeigt, zeigt mir seine
weiß getünchte Seele)
-
Fig: Loos (Villa Karma): außen weiß, innen teuer und aufwendig gearbeitet
-
Fig: Loos (Haus Moller): Schnitt und Grundriss des Erkers über dem Eingang sind nahezu
deckungsgleich … von diesem „Herrenzimmer“ aus ist Überwachung quasi in alle Richtungen
möglich … vgl. Alhambra, Granada
-
Fig: Loos (Haus Müller): Verschiebung in der Fassade (Ecke) entspricht Verschiebung der
Treppenbreite im Erschließungssystem. Die scheinbar willkürliche Fassadenorganisation ist
auch eher Ergebnis eines langen Elaborationsprozesses, also die Illusion eines
funktionalistischen Erscheinens. Im Innenraum entfalten sich die ganze Komplexität des Plans
und die Exklusivität des Ausbaus. Das Frauenzimmer ist wieder ein Überwachungsinstrument
(das ist eine orientalische Idee, obgleich Loos in seinem Blatt „Das Andere. Zur Einführung
abendländischer Kultur in Österreich“ eher dem Westen zugeneigt ist) … Das Frauenzimmer
wird vom Wohnraum als Objekt wahrgenommen, in einer Linie mit den Aquarien und der
Büste des Hausherrenvaters. Dabei hat das Fenster zum Frauenzimmer zudem die gleichen
Proportionen wie das Aquarium
-
Fig: Loos (Haus für Josephine Baker): hier ist schon von außen kein quasifunktionalistischer
Eindruck angestrebt. Möglich wäre der Hinweis auf die afrikanische Herkunft Bakers;
außerdem gibt es weitere Gebäude von Loos, die ein ähnliches Streifenornament aufweisen.
Also sind Streifen und gerade Linien für Loos als Ornament offensichtlich vertretbar, kurvige
(weibliche?) Linien hingegen offenbar nicht. Mögliches Argument: die Darstellung von
Frauen ähnelt oft der Körperhaltung bei Hysterie und Krämpfen. In diesem Gebäude taucht
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auch wieder die objekthafte Zurschaustellung wie bei Moller und Müller auf: hier ist es das
Schwimmbad, das durch zwei Fenster einsehbar ist! … Baker jedoch kaufte später ein Schloss
Es ließe sich formulieren, in Loos’ Gebäuden verlagere sich ein komplexes städtisches Gefüge von
Repräsentation und Kommunikation in den Innenraum, denn, so Loos, in der Großstadt gibt es keine
städtischen öffentlichen Räume mehr, die diese Funktion bedienen. Loos’ Räume wären demnach
Inszenierungen dieses Wechselspiels von Privatheit und Öffentlichkeit.
Exkurs: Loos und Ornament
To formulate the argument more clearly, let us discuss Loos’ much misunderstood essay ”Ornament
and Crime” (1908). In summary, he argues that ornamentation is used in traditional societies as a
means of differentiation. A child and a Papuan derive pleasure from ornament and need it to signal
their individuality. However, modern man does not need to emphasize his individuality but to hide or
suppress it. Hence, ornament has lost its social function and has become a unnecessary cost. Therefore
architects should stop trying to develop contemporary ornament. Such a brief summary, however,
hardly does justice to subtlety of Loos. To get a better idea, it is useful to examine the essay in more
detail. In the beginning he writes:
”The human embryo in the womb passes through all the evolutionary stages of the animal kingdom.
When man is born, his sensory impressions are like those of a newborn puppy. His childhood takes him
through all the metamorphoses of human history. At 2 he sees with the eyes of a Papuan, at 4 with
those of an ancient Teuton, at 6 with those of Socrates, at 8 with those of Voltaire. When he is 8 he
becomes aware of violet, a color discovered by the eighteenth century, because before that the violet
was blue and the purple-snail red. The physicist points today to colors in the solar spectrum which
already have a name but the knowledge of which is reserved for the men of the future.
The child is amoral. To our eyes, the Papuan is too. The Papuan kills his enemies and eats them. He is
not a criminal. But when modern man kills someone and eats him he is either a criminal or a
degenerate. The Papuan tattoos his skin, his boat, his paddles, in short everything he can lay hands on.
He is not a criminal. The modern man who tattoos himself is either a criminal or a degenerate. There
are prisons in which eighty percent of the inmates show tattoos. The tattooed who are not in prison are
latent criminals or degenerate aristocrats. If someone who is tattooed dies at liberty, it means he has
died a few years before committing a murder.”
As a whole, Loos’ idiosyncratic argument is a rational and passionate synthesis of contemporary
scientific beliefs. References in this passage include Ernst Haeckel’s biogenetic law of ontogenesis
recapitulating phylogeny; F. Max Müller’s studies in comparative philology, arguing from the
vocabulary of color terms to consciousness of color; and Cesare Lombroso’s notorious L’uomo
delinquente which associated tattooing with criminals.
Indeed, Loos’ architecture is an exploration of Lombroso’s theories. However, the argument against
tattooing is unsound. Because of practical difficulties in finding experimental subjects, Lombroso
limited his empirical research to prisons and mental institutions. As a result, the data was not at all
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representative of the population, and subsequent conclusions, based on statistical analysis, were not
applicable to the population at large. Not only criminals but also the upper strata of society, even some
members of the British Royal family, had got tattoos in the 1850s when the phenomenon was new and
expensive. Loos seems to have been aware of this objection for he includes the ad hoc argument that
the tattooed who are not in prison are latent criminals or degenerate aristocrats.
However, the fact that tattoos were not subversive in the 1850s or again in the 1990s in no way
logically undermines the argument. Loos states explicitly that the value of actions is relative to the
society. This radical stance had been argued by the anthropologist Edward Westermarck a decade
earlier in his classic study on marriage but it is difficult to reconcile with another aspect of Loos’
theory, his belief in absolute values. Ethical absolutism is implied for example by his rejection of
subjective pleasure as a justification for ornament: ”I don’t accept the objection contained in the words:
’But the ornament is beautiful!’” . Even more clearly, Loos reveals his absolutism in his description of
cultural evolution as progress. For Loos, The English and the American are the most developed of all
nations, while the colonized peoples are at the bottom: political dominance corresponds to cultural
sophistication.
Despite this imperialistic notion, Loos also extends his criticism to the imperial government of Austria.
He writes about ”the state, whose task it is to halt the cultural development of the peoples, made the
question of the development and revival of ornament its own. — The Austrian state took its task so
seriously that it is making sure the foot-rags (Fußlappen) used on the frontiers of the Austro-Hungarian
monarchy do not disappear. It is forcing every cultivated man of 20 for three years to wear foot rags
instead of manufactured footwear. After all, every state starts from the premise that a people on a lower
footing is easier to rule.”
Loos´ criticism of the state is not limited to moral indignation. He also provides an economic argument
against ornament, writing: ”The enormous damage and devastation caused in aesthetic development by
the revival of ornament would be easily made light of, for no one, not even the power of the state, can
halt mankind’s evolution. It can only be delayed. We can wait. But it is a crime against the national
economy that it should result in a waste of human labour, money, and material. Time cannot make
good this damage. — The stragglers slow down the cultural evolution of the nations and of mankind;
not only is ornament produced by criminals but also a crime is committed through the fact that
ornament inflicts serious injury on people’s health, on the national budget and hence on cultural
evolution. If two people live side by side with the same needs, the demands on life and the same
income but belonging to different cultures, economically speaking the following process can be
observed: the twentieth-century man will get richer, the eighteenth-century man poorer and poorer. —
The British are growing wealthier and we poorer...”
”The relationship between the earnings of a woodcarver and a turner, the criminally low wages paid to
the embroideress and the lacemaker are well known. The ornamentor has to work twenty hours to
achieve the income earned by a modern worker in eight. — Omission of ornament results in a
reduction in the manufacturing time and an increase in wages. — If I pay as much for a smooth
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cigarette case as for an ornamented one, the difference in the working time belongs to the worker. —
Ornament is wasted labour power and hence wasted health. ”
Given Loos’ indisputably wide reading of popular science, his economic speculations are nothing short
of astonishing in their naiveté, for instance the idea that the worker can actually earn more by not
spending time on ornament because the time belongs to the worker. This conception seems to require a
totally privatized, structureless society where one works for oneself; a society which has only existed in
Loos’ image of America. Yet, for all its inspired and confused bathos, the economic argument matters
little, for if his method were generally applied, then art should also be dismissed as waste, which Loos
nevertheless is not prepared to do.
How can one reject ornament as functionless but retain art? Loos´ attack on ornament reveals that a
modern man (or at least Loos) gets more pleasure from unornamented than ornamented products: ”I
tolerate ornaments on my own body when they constitute the joy of my fellow men. Then they are my
joy too. I can tolerate the ornaments of the Kaffir, the Persian, the Slovak peasant woman, my
shoemaker’s ornaments, for they all have no other way of attaining the high points of their existence.
We have art, which has taken the place of ornament. — We have grown finer, more subtle.” Such a
statement begs the question of who is modern. Loos attempts to use the Zeitgeist argument against
decoration, suggesting that ornament is ephemeral while true art is eternal: ”Since ornament is no
longer organically linked with our culture, it is also no longer the expression of our culture. — Where
are Otto Eckmann’s works today?”
Yet Loos’ easy dismissal of ornament in favor of art will not do. If cultures change – which is a
necessary assumption in Loos´ evolutionary scheme – anything that remains unaffected is suspect.
Loos would have to claim that the absence of ornament marks the latest stage in the development of
objects. Therefore, such simple adorned objects are the best and the most advanced if evolution
necessarily means progress. Still, Olbrich or Eckmann could have argued that their ornamental studies
represented the pinnacle of evolution while unornamented goods are no novelty but a recurring
diversion. Loos needed another argument to buttress his criticism.
One might value art over ornament because artworks do not mix utility and ornamentation. In this
sense, Loos agrees with John Ruskin who said that ”where rest is forbidden, so is beauty — You must
not mix ornament with business—.”In the essay Architektur Loos distinguishes between works of art
and objects of use. Opposed to the ideas of Gesamtkunstwerk, or the total work of art, and the notion of
applied arts proposed by Jugend and Werkbund designers, he writes:
”The house has to please everybody, contrary to the work of art which does not. The work of art is a
private matter for the artist. The house is not. — The work of art wants to draw people out of their state
of comfort. The house has to serve comfort. The work of art is revolutionary, the house is conservative.
— Does it follow that the house has nothing in common with art and is architecture not to be included
amongst the arts. That is so. Only a very small part of architecture belongs to art: the tomb and the
monument. Everything else that fulfills a function is to be excluded from the domain of art.”
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Loos wanted to purge interior design of the artistic and egotistic goals of the artist: interiors were to be
first and foremost comfortable and functional. In 1924 he even attacked purists who took his principles
to absurdity by removing ornament everywhere. Striving for ”English comfort” seems to have been the
guiding light even in Loos’ interiors for his own house, resulting in a striking difference between
austere facades and lush interior, decorated with brass, marble, exposed brick, beams of dark wood,
and fine carpets. Modern critics find this an inconsistency or anomaly in his theory and practice: ”If the
exteriors of his houses are treated with what we would call banal or indifferent languages, then interiors
are very different indeed, and there is no continuity between the domestic world and everything outside
of it. — The Strasser house of 1919 carried this approach to its furthest point, with a radical disparity
between interior and exterior.”
follows from Loos’ conception of society we must first inquire into the origin of ornament. Loos claims
that ”the urge to ornament one’s face and everything within reach is the start of plastic art. All art is
erotic. The first ornament that was born, the cross, was erotic in origin. The first work of art, the first
artistic act which the first artist, in order to rid himself of his surplus energy, smeared on the wall. A
horizontal dash: the prone woman. A vertical dash: the man penetrating her.”
The first ornament or the first work of art was not created to as a response to inherent beauty in the
shape; rather, it was a sign, a representation of sexual intercourse. Hence, the origin of ornament is the
origin of signification and writing. Further, a sign implies communication to other people. An act of
communication acknowledges the existence of society and, in Loos’ version, even the subject of the
first representation celebrates the beginning of family or community. Even though the birth of
ornament thus coincides with the origin of art, writing, and society itself, Loos still relinquishes it
because he believes ornament no longer serves a function.
Towards the end of ’Ornament and Crime”, he argues that ”the nomadic herdsmen had to distinguish
themselves by various colors; modern man uses his clothes as a mask. So immensely strong is his
individuality that it can no longer be expressed in articles of clothing. Freedom from ornament is a sign
of spiritual strength.” From early German sociology, Loos adopted a vision of the modern metropolis
as an arena where the individual is almost crushed by forced intimacy and the immense repressive
powers of the social-technological mechanisms of a mechanical Gesellschaft. To survive, the
individual has to escape from the influence of exterior forces: one has to escape identification. Unlike
traditional ornament which signals identity, modern clothes are a kind of anti-sign or a non-transparent
sign, the function of which is to disguise its referent and to mislead. In a building, the facade is the
most likely candidate to assume a role akin to that of clothes: masking. In the 1914 essay Heimatkunst,
Loos said that the house should be mute on the outside and disclose its entire richness on the inside.
What should the facade/mask look like, or, indeed, how should one dress? Loos answers, ”Modern.
One is modernly dressed when one stands out the least.” Hence, the house must look inconspicuous.
The idea comes from Georg Simmel who thought that the commonplace is good form in society and
that it is bad taste to make one’s self conspicuous through some individual, singular expression.
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”Obedience to the standards of the general public in all externals [is] the conscious and desired means
of reserving their personal feelings and their taste.” This suggests that fashion (or ornament) cannot be
conceived as a matter of form, detail, or scale but rather in terms of social distinction strategies. If the
commonplace is defined as good and good taste as invisibility, the logical conclusion is the one drawn
by the Swedish functionalist architect Uno Åhren: functional beauty is best when one doesn’t notice it
at all.
Loos’ position must be distinguished from the classical and functionalist celebration of the ordinary.
While for Aristotle and Le Corbusier the commonplace displays the essence of the class or the species,
for Loos banal clothing or ordinary architecture is a means to hide the uniqueness of the alienated
individual and thereby enable his or her de facto secession from the group.
But then again, Loos’ houses certainly did not blend in: consider the Haus am Michaelerplatz, a
building so spare in detail and insistent in its repetition of a reticulated grid that contemporary critics
compared it to a sewer grate. The reductive language of Loos’ apartment block is even more striking
when we consider that it was sited opposite the ornate imperial castle, the Hofburg. Yet if we think of
the facade as a kind of mask, we get some insight into Loos’ thinking.
A mask shows a person as something else than what the person really is. The unornamented facades of
Loosian villas look much like back facades in more traditional architecture. The aesthetic excellence of
back facades was not a new idea, and not one peculiar to Loos. Thorstein Veblen had already in 1899
insisted that ”considered as objects of beauty, the dead walls of the sides and back of [better class
tenements and apartment houses], left untouched by the hands of the artist, are commonly the best
feature of the building.” Four decades later, Le Corbusier also suggests that the back facades of
traditional houses are the best models for students of architecture.
As in a Saturnalian reversal of roles, Loos cloaks his buildings in the garb of the back court, suggesting
that the affluent owners are inconspicuous servants and that their villas are service buildings. At the
same time the inverted logic of the facades insinuates something more vitriolic. If Loos’ houses are
Neo-Renaissance buildings turned inside out, then everything important is happening inside: there is no
exterior space that would sustain societal functions. The city exists to serve the gentry, it is the back
yard for more important forms of life. Hence, facades are as uninteresting to Loos as back yards were
to Neo-Renaissance architects.
In his denial of ornament, Loos attacks the very idea of society and communication. Instead, he
proposes a radical separation between the individual and the collective. Architecture is cast as a vehicle
in the establishment of privacy. Apparently, the ideal human community in Loos’ opinion consists of
separate individual atoms that are disconnected from each other; they are, in Leibnizian terms, monads
that have no windows. This is true in the most literal sense, as well. Loos once said to Le Corbusier that
”a cultivated man does not look out of the window; his window is made of ground glass, it is there only
to let the light in, not to let the gaze pass through.” You need not look out the window for there is
nothing to look at; society is inside.
44
The Raumplan of Loos similarly subverts expectations based on a traditional Neo-Renaissance
centralized plan. Enclosed within a simple volume, Loos develops a complex system of circulation
which allows for multiple interior views and the creation of intimate and individualized niches. The
interior recreates the politics of society by playing with the organizing and dominating techniques of
different floor levels and the controlling power of the gaze. For example, in the Moller house in
Vienna, there is a raised sitting area off the small library, with a sofa set against a window. From this
vantage point, as Johan van de Beek has demonstrated, the master of the house can keep surveillance of
the living room, the music room, and the door to the back garden when not exploring more distant
worlds through a book.
Interestingly, a similar pattern is typical of much of Islamic architecture. In the throne room of the
Alhambra in Granada, for example, there is a viewing niche, the Mirador, which commands a view of
the gardens, the interior court and the celestial dome. Whether or not Loos is here consciously
following an Islamic model is hard to decide but characteristics of Northern African and Near Eastern
architecture appear in many of his projects, particularly after his trip to Algeria in 1910. The cubic
massing and roof gardens of Haus Scheu (1912-13) and the unrealized Villa Moissi (1923); the
complex and lush decorative patterns of the early Villa Karma (1903-06), the Kärtner Bar (1908) and
most later buildings; the contrast between white stucco and dark wood; the profuse use of Oriental
carpets; the tent-like, carpet-covered and almost furnitureless interior for his wife Lina´s bedroom
(1903); and finally, the ubiquity of the idea of veil or mask – even the very word ’mask’ is Arabic in
origin. Of course, Loos is not the first Viennese to be fascinated with the Turks as the Other: think of
such characteristically Viennese obsessions as coffee and croissants, a pastry designed to celebrate
Austrian victory over the Turks. Indeed, breakfast in Vienna can be seen as a gastronomical reenactment of the vanquishing of the infidel by consuming the Islamic crescent.
Still, the Islamic features in Loos’ architecture are problematic in terms of his own stated agenda. In all
of his writings he insisted on introducing Western rather than Eastern culture to Austria: the subtitle of
his journal Das Andere was ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich, ”a
Journal for the Introduction of Occidental Culture into Austria.” In radically misrepresenting his
project, Loos takes on the role of the Other and acts in accordance with the logic of the mask. Perhaps
he knew that the etymology of his own name has roots in common with modern Dutch and Germanic
words meaning ’false.’
Loos’ masterpiece, the Müller house in Prague takes another Islamic device to a higher level of
complexity than in any other of his designs. The curious plan is encoded by means of two
superimposed cubes, the one with masculine functions slightly bigger than the other with asymmetrical
rooms for women or children. Given this coding, the spaces are then ordered to establish authority,
control, privacy, intimacy, or spectacle. The bay window of the Moller house reappears in the interior
as the private boudoir of Mrs. Müller. In traditional Iraqi architecture this is a standard motif: the
kabischkan is the space used by women to look down upon the ursi where men receive guests or the
tarma, a colonnaded, semi-open space.
45
Though the model is a traditional Islamic one, Loos develops it in an original way. Juxtaposed with the
void of the dining room as a public space, the boudoir booth is treated as a small object to admire,
much like the bust that was originally set next to it. The bust of Frantisek Müller’s father represents the
civilized man, honest and open to view, surveying the public space of the living room, while the
women, representing the homely or heimlich, are hidden as objects of obstructed vision behind the dark
trellis and curtain. The objectness and naturalness of women is further emphasized by pairing the
boudoir window with its upside-down version: an aquarium set within the dining room wall. In the
house which Loos at his own initiative designed for Josephine Baker, the aquarium and the woman’s
room are collapsed into one and the same space. There an enormous swimming pool fills the center of
the first two levels, thrusting all other activities to the perimeter. Through a thin glass membrane a gaze
passes between Mademoiselle Baker and her guests. The resident is treated as a spectacle or an animal
on view. Aristotle claimed that man is a zoon politikon; if you want to live outside of society, you must
be either a god or an animal. The inhabitants of Loos’ house live independent of society; they must be
dealt with as animals in a zoo.
The surveillance of resident by outsider is nowhere as striking as in the Baker house but it is
nevertheless noticeable, particularly on street facades which were determined by considerations of
public decorum (or in some cases by zoning codes and building committees). Villa Müller displays the
separation of the self-sufficient interior and the publicly determined exterior in a corner where the thin
layer of the street facade stops short of covering the volume of the building. In the Moller house, there
is no comparable incongruity. Yet, the lack of correspondence between interior and exterior suggests
the symmetrical facade must be seen as the eye of the public which attempts to extend its reign into the
interior. The facade as mask is, after all, a communicative device; as such, it is sustained by convention
and society. Even the mask that hides the individual must be grounded in public conventions to be
effective: the mask exists as the outer boundary of the public realm, an opaque window. Ironically, in
his attempted creation of Western man, Loos resorts to the methods developed for the domestication of
the Other, the Moslem woman.
The ultimate goal for Loos is the same as it was for Freud: the repression or sublimation of animal
desires, and this is achieved by making the house a field of essentially public surveillance or a mise-enscène of the individual´s life. Yet, Loos speaks about the lavatory, which certainly is not a place for
public spectacle, and argues that a country’s culture can be assessed by the extent to which its lavatory
walls are smeared. Bathroom graffiti is a particularly forthright form of communication in that the
author does not have to accept public responsibility. Hence, the cleanliness of lavatory walls indicates
the extent to which societal norms have been internalized. Now, the backyard is to the building as the
bathroom is to the apartment: backyards are for service purposes, such as garbage disposal. If the
absence of ornament in the lavatory is a measure of how norms have been internalized to discipline the
self, then the absence of ornament on facades is an externalization of norms and an attempt to gain
control over others. However, for all its public nature, authorship and authority are again disguised in
anonymity, achieved through abstraction and a lack of conventional originality.
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Loos is clearly no functionalist despite the superficial similarity between his buildings and those in the
Neue Sachlichkeit style. What is important to Loos is presentation and public image rather than the
Sachlichkeit virtues of functionality, honesty of materials and structure, or the expression of the
interior: living up to his name, Loos uses false columns, fake brick arches and disguised materials. He
is different from a Neo-Renaissance architect in that for him, Gemeinschaft has turned into a
Gesellschaft: the organic community has ceased to exist and has been replaced by an atomistic,
mechanical society or an agglomerate of individuals. This historical transformation mirrors the origin
of architecture in the breakdown of the nomadic community and its replacement with a segregated
agricultural social order. Loos reinstates architecture to its original role of creating privacy, constituting
the individual as separate from the group.
Le Corbusier
Max DuBois und Le Corbusier entwickeln mit dem Maison Dom-Ino die Trennung von tragender
Struktur und Fassade, wodurch der Entwurf
des Grundrisses frei würde. Gleichzeitig aber
standardisiert sich so der Schnitt, was Loos ablehnt und folgerichtig das dreidimensionale Entwerfen
fordert („In Zukunft werden wir dreidimensional Schach spielen“). Es kommt also zum Wettstreit
Raumplan vs. plan libre
Wie zwei andere Architekten, die in Behrens Büro lernten, Mies und Gropius, folgte auch Le Corbusier
der Agenda des Deutschen Werkbunds, der Durchgeistigung der Technik bzw. der Erhebung
technischer Lösungen mittels Methoden die durch die klassiche westliche Tradition sanktioniert sind.
In seiner Villa La Roche-Jeanneret, bedient sich Le Corbusier den Mitteln konsequenter
Geometrisierung (Winkel, Verhältnisse…). Im Plan führt er das Prinzip einer promenade architecturale
ein und tut dabei etwas sehr ähnliches wie Loos: er schafft ein Simulacrum des städtischen Raums
(basierend auf Camillo Sitte) im Innenraum (vgl. Josef Frank, Haus Baer, Wie das Haus zu Strasse und
Platz wird…). Diese Promenade soll trotz des restriktiven Prinzips Dom-Ino spannende Situationen als
Raumfolge ermöglichen.
(nach Methoden der Formfindung) In seinem einflussreichen, 1923 publizierten Buch Vers une
Architecture propagiert Le Corbusier ausdrücklich die Verwendung geometrischer „Ordnungslinien“
und einiger Proportionen, zu denen auch der Goldene Schnitt zählte. Um dies zu verdeutlichen, können
wir einen Blick auf das Atelierhaus werfen, das Le Corbusier 1922 für seinen puristischen Kollegen
Amédée Ozenfant in Paris entwarf. Beim Entwurf dieses Gebäudes musste Le Corbusier zunächst die
zufälligen Gegebenheiten des unregelmäßig geformten Baugrundstücks berücksichtigen. Dieses ist
nämlich nicht rechteckig, sondern wird auf einer Seite von einer Mauer begrenzt, die in einem 30°Winkel zur gegenüberliegenden Seite verläuft. Der Grundriss wird durch zwei Raster in einem Winkel
von 30° geregelt. Die Position der Außentreppe bestimmt sich durch die Verlängerung der Linie der
30°-Grad-Mauer. Dann wird eine Senkrechte so zu dieser Achse gezeichnet, dass sie auf die vordere
rechte Ecke des Baugrundstücks trifft. Eine weitere Treppe im Inneren des Gebäudes befindet sich im
Schnittpunkt von zwei Linien: Eine von ihnen verbindet die hinter der Außentreppe befindliche Mauer
mit der inneren rechten Ecke des Gebäudes, die andere stellt eine Tangente der Außentreppe dar, die
47
parallel zur linken Seitenmauer verläuft. Die letzgenannte Linie bestimmt gleichzeitig die Position
eines Fensters in der Rückwand und den Rand des großen Atelierfensters an der Seitenfassade.
Derselbe Punkt wird auch durch eine senkrecht zur linken Mauer gezeichnete Linie definiert, die vom
Mittelpunkt der Innentreppe zur rechten Wand verläuft. Der Rand des Atelierfensters an der
Seitenfassade kann auch bestimmt werden, indem vom rückwärtigen Fenster hinunter eine parallel zur
rechten Wand verlaufende Linie gezeichnet wird. Aus diesen Ordnungslinien werden sogar einzelne
Details abgeleitet: So befindet sich zum Beispiel die Raumecke mit dem Spülbecken, das
„Laboratorium“, auf der Linie, die zur linken Ecke der Hauptfassade verläuft. Die gleichen Winkel
beherrschen auch die Fassade. Das Gebäude ist keine willkürliche Erfindung, sondern durch rigorose
geometrische Ableitung aus der Baulücke entwickelt.
-
Fig: Le Corbusier (Ker-Ka-Ré): Fassade als Maschine; sie bildet letztlich einen Prozess ab.
Petit Trianon diente als Vorbild auf der Rückseite, als Bild bürgerlichen Lebens. So wäre die
Villa lesbar als ein Kommentar Corbs zu manieristischer Architektur: vgl. Villa Aldobrandini
in Frascati. Die Villa ist schon von Ferne sichtbar, in der Nähe aber verschwindet sie fast und
lässt nur den Mittelrisalit sichtbar Über eine Promenade erreicht man letztlich den Garten, der,
sehr introvertiert, eigentlich nur eine Quelle bietet. Erst nach neuem Aufstieg erreicht man den
Gartenpavillon, der sich jedoch als Rückansicht der Villa entpuppt. Die Villa ist also beides,
lediglich manipuliert durch den Blick. Corbusiers Villa Ker-Ka-Ré bietet genau diese
Vielschichtigkeit und Doppellesbarkeit: auch hier ist die rückseitige Fassade der
Gartenpavillon.
-
Fig: Le Corbusier (Villa Stein): wieder Demonstration der 5 Punkte. Sowohl die Strassen- als
auch die Gartenfassade sind abgeleitet durch regulierende Linien … Colin Rowe vergleicht
palladianische Renaissancevillen (Malcontenta) mit der Villa Stein. Der Ansatz Rowes geht
zurück auf einen bahnbrechenden Essay Rudolf Wittkowers von 1947, in dem er erstmalig
argumentiert, alle von Palladio entworfenen Villen basierten, trotz formaler äußerer
Unterschiede, auf einem ähnlichen Diagramm: einem unregelmäßigen, aus neun Quadraten
bestehendem Bandraster. Rowes zunächst rein formal begründeter Vergleich, wurde von
späteren Architekturhistorikern eindeutig belegt, indem Beweise gefunden wurden, die zeigen,
dass Le Corbusier die Villen Palladios in den 20ern besuchte und studierte.
-
Fig: Le Corbusier (Villa Savoye): Paradebeispiel der 5 Punkte und der architektonischen
Promenade. Corb beschreibt das Gebäude als Typ, der beliebig wiederholbar wäre … vgl. die
Argumentation, nach der sich das Automobil über zunächst große, dann immer kleinere
Änderungen letztlich zu einem Typus entwickelt habe, der, trotz einiger optischer
Modifikationen, zu einem wiederholbaren Muster geworden ist … die Villa ist vielleicht die
Überführung der Sensation des Fahrens in Architektur; dabei ist aber immer klar, dass es sich
um ein künstliches Erleben handelt, was nicht zuletzt im gerahmten Blick auf die Landschaft
von der Dachterrasse seinen Ausdruck findet.
In der Wirtschaftskrise der 20er Jahre findet der Optimismus der „Maschinenarchitektur“ sein Ende
48
Lecture 7 | The Other Modern
Welche anderen Tendenzen wurden durch die “offizielle “ Historiographie der Moderne, wie sie
Giedion, Pevsner oder Hitchcock vetreten, unterdrückt?
Der Siegeszug der Moderne geht weiter, doch nicht mehr als Funktionalismus, sondern als
„International Style“, geprägt durch Johnson und Hitchcock.
-
Fig: Brinckmann & v.d. Vlugt (Van Nelle): demonstriert auch die 5 Punkte des neuen Stils
nach Le Corbusier
Aber es gab eben nicht nur diese reduzierte, exklusiv auf wenige Materialien und Formen beschränkte
Architektur, sondern auch:
-
Fig: Chareau (Maison de Verre): eingeschränktes Grundstück, konstruktive Elemente aus
Industriebau, bewegliche Elemente
-
Fig: Lubetkin (Zoo London): aufwendige Konstruktion (Auskragungen) … es geht nicht mehr
nur um den Stil an sich, sondern auch um dessen (konstruktive) Erweiterung
-
Fig: Le Corbusier (Maison Beistegui): der Dachgarten ist plötzlich kein rationalistisches
Element mehr, eher surrealistischer Kommentar; der Dachgarten als Innenraum im
Aussenraum mit Kamin und Neo-Rokokomöbeln
Es gibt neben dem reinen Funktionalismus/ Rationalismus also mittlerweile offensichtlich auch eine
Alternative … vgl. Blomstedt: Funktionalismus vs. Landhaus
Es ist festzuhalten: wenn Walter Curt Behrendt den Sieg des neuen Stils proklamiert, heißt das nicht,
das andere damit ausgestorben wären. In den frühen Dreißigerjahren kehren die Unterdrückten zurück.
-
Fig: Loos (Tribune Tower): für Loos war die klassische Architektur immer eine universale
Architektur – auch noch in den 20er Jahren – so wird die Säule hier zum bloßen Zeichen
-
Fig: Plečnik (Prager Schloss): Plečnik macht hier im Prinzip einen Schritt zurück vom
Modernismus
-
Fig: Plečnik (Zale): der Friedhof ist lesbar als eine gebaute Geschichte der Architektur,
angefangen von der Urhütte bis zum Klassizismus, allerdings wiederum „falsch“ interpretiert,
ähnlich etwa dem Neoklassizismus der 1920er Jahre in Skandinavien.
-
Fig: Plečnik (Slvica): „Architecture parlante“: Zitate aus der klassischen Architektur werden
bewusst verfremdet und schaffen so eine Art ikonischer Architektur (bildhaft vs. abstrakt)
Der Expressionismus andererseits ist 1919 bzw. 1920 doch nicht ganz gestorben. Rudolf Steiners
Heizhaus in Dornach ist so eine metaphernbehaftete Architektur in der Tradition des Expressionismus.
49
Der Mystiker Steiner – im frühen 20. Jahrhundert Gründer der Anthroposophischen Gesellschaft und
als Autodidakt auch Künstler und Architekt – scheint bei seinem Entwurf für das Heizwerk der
Anthroposophenkommune allerdings einige Metaphern vermischt zu haben, denn er kombinierte
Pflanzenblätter mit einer im Großen und Ganzen phallischen Form.
Steiners 1. Goetheanum, ebenfalls in Dornach, ist im Wesentlichen eine geometrische Ableitung der
Formen, wie sie durch Lauweriks propagiert wurden. Die Form sollte so in Harmonie mit dem Kosmos
treten. Das 2. Goetheanum (1924-26) entstand auf demselben Fundament des Vorgängerbaus, ist aber
formal abstrahierter. Konstruktiv herausragend ist die Schalenkonstruktion des Daches. Allerdings ist
das Gebäude wohl doch nicht in Gänze eigenständig, gibt es in der theosophischen Tradition durchaus
Vorgänger, wie ein Blick auf Fritz Kaldenbachs Villa von 1914 nahelegt. Darüber hinaus steht unweit
in Basel eine weitere Kirche in Sichtbeton: Karl Mosers St. Antoniuskirche.
-
Fig: Mendelsohn (Einsteinturm): weiteres Beispiel expressionistischer Bauten, in den
Nachwogen der Entdeckung der Relativitätstheorie. Der Turm ist von Mendelsohn durch 4DDiagramme begründet worden, allerdings existierten ganz ähnliche Zeichnungen für völlig
andere Bauten bereits zuvor. Die Form ist also expressionistisch, organisch tradiert; neu ist sie
in dem Sinne, dass kein Vorgängerbau existiert. Mendelsohn wollte ursprünglich auch zeigen,
was mit Stahlbeton möglich ist, allerdings handelt es sich hier letztlich um einen verkleideten
Backsteinbau
-
Fig: de Klerck (Eigenhaard): hier taucht erneut die Idee von Opposition und Ausgleich (oder
Versöhnung der Gegensätze in eine höhere Einheit) auf, in der kontrastierende Elemente zu
einem letztlich überlegenen 3. Weg führen (vgl. Sullivan, Mondrian…). In den Niederlanden
drückt sich diese Idee auch im Wettstreit zwischen der Schule von Rotterdam und der Schule
von Amsterdam aus. Bei Eigenhaard mag man eine Ähnlichkeit zum Arts and Craft aus dem
England der Jahrhundertwende sehen (pittoreske Asymmetrie, Volumetrie, gewisse
Ornamentik), aber auch eine aufwendige Ausreizung des Materials, die fast die Tektonik der
Fassade negiert
-
Fig: Höger (Anzeiger): im Gegensatz zum Süden, wo mehr Siedlungen im expressionistischen
Gewand
daherkommen,
könnte
man
in
Norddeutschland
auch
von
einem
Großstadtexpressionismus sprechen – Bürobauten im Gegensatz zum antiindustriellen,
sozialistischen gedanklichen Ursprung des Expressionismus, der sich nun zu einer recht
geometrisierend ornamentalen Form ähnlich dem Art Déco entwickelt
-
Fig. Hoetger (Bötcherstraße): Andeutung einer mittelalterlichen Stadtstruktur und
traditioneller Architektur, aber gleichzeitig Ästhetik des Art Déco (Ornament) und
rechsextreme quasi-Religion des fiktiven Ur-Germanentums (Runen usw)
-
Fig: Le Corbusier (Maison Mandrot): In Frankreich zeigt sich diese Entwicklung nicht ganz in
dieser Form, aber auch hier finden jetzt Naturstein, kleine Fenster, Holz Anwendung, also eine
wesentlich andere Materialisierung als die der „weißen Moderne“
50
-
Fig: Le Corbusier (Maison Week-end): auch hier nicht die Ästhetik der Konstruktion wie im
Maison Domino, sondern: Gewölbe, Naturstein, Verlagerung der Volumen z.T. in das
Gelände, begrüntes Dach
Wie nun aber ist es möglich, dass derselbe Architekt innerhalb nur eines Jahres von der Villa Savoye
zum Maison de Mandrot kommt? Mancher sieht hierin die Konsequenz aus dem den durch den Black
Friday und die folgende Depression gebrochenen Fortschrittsglauben der Moderne!
Le Corbusier beschreibt die Geometrie zunächst als menschlich, weil sie das Gegenteil der Natur
darstellt, dennoch baut er später vorwiegend mit natürlichem Material. So zeigen Le Corbusier und
Blomstedt die Spanne der neuen Architektur bereits auf, und dennoch wird Le Corbusier gemeinhin
nicht als organischer Architekt beschrieben. Hier gelten andere als Wegbereiter, so etwa Alvar Aalto
und Frank Lloyd Wright.
-
Fig: Aalto (Mairea): umfasst eine Lichtung, als deren Zentrum nunmehr ein Pool definiert
wird. Das Gebäude ließe sich wiederum als eine kleine Architekturgeschichte verstehen (vgl.
Plečnik), oder wenigstens als ein Stück narrativer, erzählerischer Architektur. So wird die
Lichtung beschrieben durch ihre Einfassung (Gebäude & modellierte Landschaft/ Hügel). Wir
finden wieder das Prinzip von Dialektik (Pool – Hügel; Holzzaun – Steinmauer; begrüntes
Dach (horizontal) – Laubwald (vertikal)). Die Villa thematisiert den Widerspruch künstliche
Landschaft vs. moderne Architekur. In diesem Sinne ließe sich das Gebäude lesen als Collage
und stünde so in der Tradition der kubistischen Malerei (vgl. Dachplan & Juan Gris), die sich
durch eine Überlagerung verschiedener Formsysteme auszeichnet.
Excursion: A formal reading of the Villa Mairea
In the Villa Mairea the oppositional pairing is made more complex by the principle of good
continuation which forces the coherence of the courtyard as an organizer and stresses the linearity of its
perimeter. The strong Gestalt of both the courtyard and the perimeter conspire to bring further elements
into conformance with the basic structure of the organization: the swimming pool, the loggia, the
sauna, the mound of earth, the small fence, the edge of the group of trees, etc. The stability of the
figural courtyard welcomes the edge of the trees as an equivalent boundary to those of the house and
the stone wall; the linear continuity of the edge unites its various elements; and the similarity of
disparate figures, such as the L-ness of the house, loggia, and pool, stipulates their kinship. However
similarly the boundary edge and the central courtyard might operate, they also support differing
arguments concerning basic themes. Thus, the theme of ‘courtyard’ tends to stabilize as equal the
disparate pieces which surround it, while the continuity of ‘edge’ can simultaneously underscore their
difference. By the same token, certain similarities of shape permit some of these differences to be
viewed as developmental and suggest that the courtyard scheme is to be regarded as a series of small
revolutionary differences within a larger evolutionary whole. This situation, in which A and B are seen
51
as oppositional and C as synthetic, again suggests Hegelian patterns of development. As first principles
evolve and transform to ever more elaborate configurations, diversity, complexity, or difference deny
the basic and the simple. Yet even at the extremes of binary oppositions, there remain other relational
strategies such as proximity, continuity, and shape that cause differences to collapse and a sameness to
become evident.
The house and the stone wall can be seen as equal but opposing L-shaped halves; furthermore they can
be paired together in opposition to the edge of the trees to enclose the courtyard as separate from the
forest. In so doing, however, the very nature of ‘courtyard’ is challenged and the counter proposal of
‘clearing’ is tendered instead. Here again is a situation of paired thematic differentiation. On the one
hand, we have a rustic moment, a clearing in the forest, a space made merely by the absence of the
surrounding other, a primitive figure/field, a situation independent of placement in culture or time. On
the other hand, there is a courtyard which can be seen as either figural in itself or residual, a cut off
piece of the surrounding other; this reading suggests therefore a cortile of a palazzo, a complex piece of
culture and a specific place. Moreover, the differences between the courtyard and clearing serve to bind
them together more firmly. The stone wall is rustic like the clearing, but man-made, like the house; it
allows a view beyond, like the forest, but it is an independent entity, like the house but unlike the forest
edge.
The idea of the house becomes wedded to the idea of the clearing, equating another oppositional
relationship, figural solid and figural void, at the same time as suggesting their developmental
evolution and proper position in time, like some sort of calendar. First there is a figural solid, the
forest, then a clearing is made by the momentary absence of the continuous material of the forest. The
woodland clearing emerges as the first figural void. The separation of solid and void proposes the
separatrix, the forest edge, as a new element. It both belongs to the forest and the clearing, and can also
be understood as a thing unto itself. The independent status of the forest edge is underlined by a
succession of elements that it seems to engender: a mound of earth, a rustic fence, a stone wall, etc.,
each organized so as to emerge from the previous element in a continuous series, maintaining certain
roles (definition of clearing/courtyard, linear continuity), evolving certain roles (incremental increases
of complexity and independence), and finding new roles (natural/man-made, rustic/urban,
nonprogrammatic/programmatic).
Each of the elements sponsored by the forest edge sets up multivalent allegiances. The grassy mound is
much akin to the meadow, but suggests the emergence of a solid, like the forest, while it aligns itself
with the another emergent element, the plane of the forest edge. The fence seems to grow out of the
equally tall mound like its spine, but is wooden like the forest, or more correctly, like the edge of the
forest, although it is just sticks, without a canopy or crown. The green expanse of the canopy is, in turn,
imitated by the mound which is a green lump exiting the earth, although its lumpiness also establish
sympathy with the shape of the pool. Like the pool, the mound tends to become a center in its own
right which naturally reduces its capability to function as edge. Negating the volume of the mound, the
fence reduces it to a two-dimensional element ideally adapted to the role of edge. The fence further
metamorphosizes into the next element equal in height and configurational role but otherwise opposite,
thus wood turns into stone and a transparent, almost non-material screen into solid wall which
52
dialectically combines the fence’s planarity and the mound’s volume. Still, the stone wall is not just
edge but has a strong sense of volume and density. Like the dirt that makes the mound, stones are
underground elements, a reading sustained by moss growing on top of the wall.
The swimming pool is equally multivalent. As the central object in the void, the swimming pool
reinforces the centrality of the clearing/courtyard, and also forms a relationship between the finiteness
of the pool and the infiniteness of the forest, connecting opposites as equals. Furthermore, the pool
contrasts the solidity of the forest with not just the absence of trees, but with the ground itself, causing
the ground plane to read as a neutral datum against which the positivity and negativity of volumes
(house, forest) are determined. The ‘undergroundness’ of the pool resonates with the figure of the
neighboring mound, which promises the presence of volume beneath the turf. Of course, the actual
construction of the mound from the dirt removed to make the pool is also called forth.
As the forest edge becomes figural in its evolution from trees to mound to fence to wall, the next layer
also gradually assumes figurality, as the pool negotiates between the geometries of the mound and the
wall. Adjacent to the mound, the pool aligns itself with the geometry of the wall to delineate a negative
volume. In the clockwise reading of the perimeter, this space is the successor to the mound, whose
mass, however, seems pushed to the outside edge to form the stone wall. The figurality of this area
makes further connections between the clearing/courtyard theme; if the pool is seen as marking the
center of the courtyard, then the configuration of the space between pool and wall begins to assume the
coherence of a palazzo. Thus, through the negation of one quality, solidity, a merger is offered between
other sets of opposites: clearing/courtyard, natural/cultural, rural/urban, meadow/palazzo.
The sauna continues all of these themes, being an object (in the series, a solid), a more defined
compound (evolution), and independent (edge doubling as figure). Extending the geometry and
figurality of the space adjacent to the pool, the sauna seems somewhat reminiscent of the volumetric
expansion from the fence to the wall, or the particular articulation from the mound to the fence.
Furthermore, its volume appears to have the approval of the mound, which faces it across the grass
terrace, exemplifying the development of a consciousness and culture of shape, from early to late.
Arguments about edge/object, transformation/affiliation and figure/field are continued by the loggia
which negates the solid as a void, compounds the wall of the sauna by becoming a colonnade, and
establishes its independence by pulling
further away from the pool (the sauna is still tethered by its
wooden platform) to originate a new orientation.
The sauna maintains the theme of underground in its use of a sod roof, an occasional feature in
vernacular Finnish folk architecture. Here, the sod roof also suggests the sauna’s kinship with the
mound as well as its potential relationship with the pool, for while the pool is the absence of turf and
some missing volume, the sauna is the presence of some extra turf and some found volume.
In the sequence of elements at the perimeter of the clearing, the axial relationship of the mound to the
sauna suggests that the latter is but a later version of the former. The early Finnish sauna was indeed a
smoke lodge partially carved into the ground, a fact which reflects the general roots of architecture in
caves and burrows. In the second part of Aesthetics, Hegel suggests that “to make a nest in the ground,
or to burrow, is more natural than to dig up the ground, look for material and then pile it up together
and give shape to it. In this matter we may picture caves as arising earlier than huts. ... subterranean
53
building begins rather with what is present already, and, since it leaves the main mass alone as it is, is
not erected yet with the freedom inherent in the construction above ground... In comparison with the
buildings on the surface such excavations seem to be earlier, so that the enormous erections above
ground may be regarded as imitations and above-ground blossomings of the subterranean. For in
excavations there is no question of positive building but rather of the removal of a negative.”
Nonetheless, the early Finnish sauna was not completely underground but partially constructed above
out of twigs and turf, materials which at the Villa Mairea sequence are represented by the fence and the
mound. The edge of the clearing is therefore a tableau presenting the history of the sauna but it could
also be seen to maintain the cyclical oscillation of volumes and voids, plus the evolutionary theme of
increasing articulation and complexity of both architecture and culture. Originally, the earthen sauna
was used not only for bathing, but for all living functions. Indeed, it presented a version of the
Enlightenment’s primitive hut, an origin for architecture that approaches the sub-architectural as well
as subterranean. Thus, the sauna enclosure at Villa Mairea might be seen as an Urhütte, the first hut
following the emergence from the ground and the articulation of a construction of assemblage and
abstraction. If seen as ‘early,’ the sauna represents progress and development compared to the earthen
pit. Compared with the rest of the house, however, it is seen as primitive in a world which is far more
complex and developed, or ‘late,’ a self-conscious re-creation of an aboriginal and simpler moment for
the purposes of recreation and identity.
The notion of the sauna as the first real building, the emergence of architecture out of a discussion of
void, solid and edge, is further supported by dimensional and geometrical relationships. Instead of
being unified only by a sensuous atmosphere, the Villa Mairea is given unity by the most traditional
method of architecture, a proportional system that controls the main dimensions of the parts. If the
width of the sauna steam room is a, then √2a is the width of the dining room and 2a the width of the
service wing. The living room is a square, the side of which is 4a. The columns, including the one in
the library, determine a smaller square, the side of which is 2√2a. As in this case 2√2a equals 10m, the
area of the smaller square is 100 m2 and that of the living room 200 m2. Moreover, not only are the
dimensions far from random, the plan configuration follows a square pattern. Taking the dimension 2a
as the module, a 4x4 orthogonal grid can be drawn so that the living room fills the southeastern
quadrant, the service wing aligns with the northernmost row and the southwestern corner is marked by
the edge of the pool. From this corner, several other lines can be drawn, aligning with oddly angled
elements in the plan, including one wall of the kitchen and the edge of the second-floor studio, the
angle of which is, incidentally, at right angle to the second story windows of the children’s bedrooms,
but parallel to the line drawn from the northwestern corner to the side of the entry canopy. If a compass
is placed at the northwestern corner of the living room square, an arc can be drawn from the
southwestern corner to the northeastern corner. The arc intersects the library wall at the point when the
wall bends. The column within the library lies on the diagonal line from the southwestern corner to the
northeastern corner of the living room square. In this way, the reading of the sauna as the conceptual
origin of architecture is supported by the geometrical configuration of the Villa Mairea.
In this perspective, the sod roof on the sauna might be read as something primarily concerned with
establishing character, with the ideological support of archeology. However, since the stone wall is
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topped with moss in imitation of the turf on both the mound and the sauna, the composition can also be
regarded as involving a negotiation of the ground plane: the stones of the wall and the interior of the
sauna can be read as still being underground as is the dirt of the mound. This raises the question as to
the sauna’s relation to the pool. In addition to the obvious programmatic connections, the sauna and the
pool seem linked as opposites (edge/center, solid/void, early/late, simple/complex), as equals (things
underground, things primitive, voided objects), and as developmental (primitive/sophisticated,
central/centripetal).
The connection between the pool and the sauna is supported by the placement, configuration, and
construction of the platform containing the diving board, all of which reinforce the pool’s long
diagonal. The diving board marks the platform’s northernmost extension, along the side of the sauna.
This is also the location of the first structure external to the sauna, a four-column bundle. In the sauna,
wood construction reappears as the armature which holds the sod, as in the earthen hut, but also
appears as horizontal clapboard walls, a denser reincarnation of the fence. The isolation of the external
columns marks a stage in the evolution of the use of wood, from subterranean frame, to wall, to
exoskeleton.
The loggia to the east of the sauna can be seen both as an extension of the sauna structure and a
negation of it, a reversion to the void of the patio. The corner of the stone wall and the sauna delineate
the space east of the sauna much the same way as the pool and the wall defined the space on the
western terrace, the configuration of which the loggia multiplies. In support of the sense of continuity,
the stone wall wraps the corner of the court and displays the same relationship to the loggia that the
mound has to the grass terrace between it and the sauna: both confront the major axes of the adjacent
spaces at the same time as they envelop the space with their bending. The similarities between the
stone wall and the mound are useful for the development of the ‘clearing/courtyard’ fusion. Moreover,
in conjunction with the house, they help to set up a series of L’s which eschalon around the perimeter
like a pinwheel. This structure points out a number of other similarities: the role of the pool as a
pinwheeling L, for example, or the correspondence of the relationship between the service wing of the
house and the stone wall and that of the sauna with the edge of the pool.
In the interior corner, the loggia assumes a free-form shape that recalls the mound or pool, or even the
forest edge. Indeed, a single tree is located in the lawn adjacent to this interior corner, in juxtaposition
to the surrounding forest, recapitulating earlier multiple/single, figure/field oppositions, such as
clearing/forest, pool/forest, sauna/clearing, etc. In plan, the tree is axially related to the sauna door. The
tree may indeed be compared to the sauna, as both come out of the ground (one by a literal growth and
one by evolution), share an arboreal structure (trunk//limbs/branches: stud walls//beams/joists), support
themes of the subterranean (the continuous green of the crown or roof restating the ground plane). The
sod roof of the hut is a fiction of the tree canopy. This notion is continued by the loggia but the joists
are now carried by long white concrete beams, rather than short dark wooden ones. Thus, the structure
of the forest is recapitulated, permitting the loggia to match the woods on the far side of the clearing,
while both negating and transforming them, continuing the themes of development, evolution,
opposition, and survival of first principles.
Both the sauna and the tree can be seen as objects within the perimeter of the enclosing stone wall;
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alternatively, the sauna and loggia can be seen as part of an enclosing system which contains the tree as
its sole object. Moreover, the tree can be juxtaposed with the loggia’s bundled columns which embody
strategies of reduction, duplication, and reassembly, as the material of the forest is both removed, reused, and restored. Next to the tree, there is a bundled column of four milled pieces of lumber.
Together they imitate the size of the tree trunk and recall the Kalevala’s cosmology in which the single
tree is transformed into the forest, as the particular becomes the prototype for the general. The void
between the four dowels provides a slight echo of the first clearing which emerged from the first forest,
and thus the dialogue between the bundled column and the single tree becomes a recapitulation of a
particular creation mythology. Like the Kalevala, this pair also develops the theme of the natural and
the artificial, both as paired equals and as an evolution. In the tree’s reconstitution the four pieces of
lumber are assembled, shaped, arranged, and wrapped to imitate the living tree, equivalents with
different histories, one found and one made. The stone paving in the same area supports a similar
theme. The stones around the base of the tree are used to form a small well, which imitates the
argument of the clearing and the forest edge. The only stone which is emphatic of its separateness is
that which provides a base for the bundled columns to stand on: thus, the multiple stones of the well
make a void for the single tree, while the single stone of the base makes a solid for the multiple dowels.
The architecture around the tree represents not only a flattening of its volume, but a reconstitution of its
volume into three-dimensionality, with the columns, clapboards, and joists describing a new
rationalized organization of Cartesian coordinates. In this light, the loggia can be regarded as the antitree, another Kalevala-like opposition. However, the loggia takes the transformation of nature yet
further. Partially covered by the deep overhang of the loggia roof, the deck is made of wooden slats
which create an affinity not only to the tree but to the processed wood of the sauna walls. Once beyond
the corner, a series of single steel columns replaces the compound bundled wooden columns,
continuing the various themes of evolution (more sophisticated structure, more sophisticated
materials), opposition (compound/solitary, void center/solid center), and increasing the independence
of the periphery. The wooden slats for the roof structure are maintained, but the beams become
orthogonal extrusions of white-painted reinforced concrete rather than the dark, round wooden poles
used in the vicinity of the sauna. In conjunction with the latter, the roof slats look sophisticated, while
their relationship with the white concrete and steel causes them to look primitive and rustic. Thus, it is
not just an evolution of material around the perimeter, but also the relative appearance of a consistent
material which support the notion of a progressive development.
Actually, the corner area is configured in a way reminiscent of the area between the sauna and the
mound, suggesting the presence of a room by surrounding walls which belong to other configurations.
The ‘new’ orientation of the wall and the loggia not only establishes their sense of independence and
evolution as they strike out for parts unknown, but also seals their simultaneous collapse into a
dependence and reiteration of the past, as they seem doomed to merely trace the outlines of the original
clearing.
The bays of the columnar structure offer voided modules equivalent to the volume of the sauna. As the
second ‘modern’ bay begins, the stone wall ends and is replaced by the stucco of the house. Just as the
rough bark of the tree turns to milled lumber and then a geometric white frame, the dirt of the mound
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evolves to stone and then to the clean geometry of a white surface of an indeterminate rationalized
artificial material. The point at which this happens seems to correspond to a center as described by the
swimming pool, for although the pool can be read as the basic object occupying the clearing or
courtyard, its shape also allows it to be compared to that of the mound, as the perimeter to some object
adjacent to one of its edges. The perimeter wall responds to this secret center by breaking,
transforming, and pushing outward to form the body of the service wing of the house, which has the
same relationship to the stone wall as the loggia had to the pool’s edge, continuing the motif of
centripetal expansion. In addition, the depth of the house is the same as the length of the sauna, thus
further supporting the impression that these elements are more specifically linked.
The centrality of the loggia is established by the relationship it negotiates between the sauna at one end
and the first segment of the service wing. In one sense, these seem to be similar reciprocal elements at
either end of a pinwheel, while in another sense, the sauna demonstrates its uniqueness, articulation,
and primitiveness in contrast to the generalized, simplified, abstracted, and hidden nature of the main
house.
In the reading of the composition as an evolution towards increased sophistication - forest to clearing,
edge to object, loggia to building, primitive to modern - one configuration meriting particular
consideration is the dining room. If the relationship of the service wing of the house to the loggia is one
of peripheralization and development, the dining room seems to offer a stronger note of continuity, as it
extends the relative position of the loggia into the larger organization of the house. It seems to be a
different sort of room from those adjacent to it, not multiple, not differentiated, but a sort of Urzimmer
amongst more evolved types. The relationship to the loggia is further suggested by the way in which
the wall that separates them also fuses them. On each side there is a fireplace sharing a common flue:
the one on the interior is casually off center and diminutive while the other on the exterior is a large,
robust, and primitive grill. While the rustic fireplace is made of thin slate stones, the urbane fireplace in
the dining room is constructed out of specially ordered bricks with exactly the same vertical dimension.
Furthermore, the angle of plaster above the bricks follows the angle of the stairs and the flue on the
exterior.
Incidentally, the grill is rotated to face the tree and the sauna door, as though to insist upon a
relationship among the functions of cooking, heating, and the survival of the family. Its juxtaposition
with the dining room perhaps suggests that these functions continue regardless of the advance of
culture and sophistication and that the gathering of the family for a meal is still central to the
functioning of the household. The accommodation of the dining room in what is essentially the loggia
structure and the similarity of the back-to-back fireplaces reinforces the timelessness of the activity of
the family and tends to divorce it from the complicated and specialized activity rooms of the modern
house. Its position in the house is impervious to the structure of the L: the dining room plows through
the body of the villa undeterred by the bend. It may be read as a sort of interiorized extension of the
loggia. The use of the dining room as a locator for the front door and entry area reinforces the primacy
of dining as the major family activity.
The entry canopy extends the loggia through the house to emphasize its continuity as a motif. The
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dining and entry area offer a centrifugal organization which acts as a localized axis across the
perimetrical scheme for the building. By not obeying the rule of the right quadrant, this axis indicates
its association with the left quadrant, which has been fixed by a more primitive type of space-making.
Thus, this axis permits the intrusion of primitive motifs. The dining room becomes the hearth, the
primitive hut, and the cave, a role reinforced both by the yin-yang fireplace arrangement which welds it
formally and programmatically with the garden, and by its continuation as the entry area, front door,
and porch. Frontality is thus brought to the scheme, by dragging traces of the primitive hut across the
refinements of the perimeter. The porch signals this genealogy by incorporating trees into the role of
devolved columns.
Reading the Villa Mairea clockwise along the perimeter, the relationship of the forest edge to the wall
and then the loggia develops a compositional strategy which moves from simple to complex, natural to
man-made, primitive to modern. To some extent the house also continues the forest edge but at the
same time it evolves a clockwise system of its own in which the elements within achieve increasing
importance, configurational significance, and independence. This is true in the basic organization of the
public spaces on the ground floor, as well as in the bedroom areas upstairs. On the second floor, the
children’s bedrooms mirror the organization of the service wing as a pinwheel of equivalent elements
while the windows, on the other hand, pavilionize themselves beyond the perimeter as special pieces.
This tendency to push beyond the established edge and form pavilion-like figures is continued by the
two master bedrooms, each of which projects further in imitation of the window bays. The deck
wrapping the more pavilionized master bedroom at the southwest corner reasserts some authority of an
exterior edge. The treatment of the whole module reinforces the equality of the two facades, further
emphasized by the roof deck, the organization of the space in the ground floor and the arrival sequence.
On the ground floor, one sees the figural prow on the diagonal. To the west of this corner the porch
protudes and completes the argument of the escaping module. On the second floor this element is
Maire Gullichsen’s atelier which distances itself from the master bedrooms by type if not by proximity.
Geometrically, he studio partakes in the sequence of increasing pavilion-ization: the southern side of
the studio is at right angle to the rotated windows of the children’s bedrooms. With its organic curves,
the studio recalls both the pool and the roof garden, which with its curving steam-ship railing can be
seen as a reinterpretation of a Japanese rock garden, itself a simulation of a pool or a pond. The shape
of the studio stresses its centrality as an object along the developing perimeter of the building. As the
most villa-like object in the building the studio forms the edge to the courtyard and therefore
contributes to the most palazzo-like organization, feeding the ambiguity as to whether the house in its
evolution is destined to reinforce the courtyard/clearing as the generative figure or whether in this
development its more complex pieces become competing centers to alternative spatial propositions.
In this regard, the pavilionized porch can be compared to the single tree which also occupies a corner
of the courtyard and whose structure the porch seems to imitate with the studio becoming the ‘crown’
to the ‘trunk’ of the porch. This reading is reinforced by the vine which provides foliage along the
studio balcony as though it were a tree canopy. The balcony is supported at each end, once by a single
column and then by two columns which diverge from a common base. Since the columns are painted
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white, the image of a clump of birch trees is doubly reinforced.
The juxtaposition of the columns representing birch trees with the single pine tree next to the sauna is a
situation which again compares the development of a multiple organization from the solitary (single
sauna/multiple-bayed loggia, single loggia/parallel-bayed building; single building/multiple pavilions).
With the tree, there is a single trunk, while the sauna replicates this figure with the multiply layered and
anonymous logs of the hut on the one hand, and the multiply dispersed columns of the loggia on the
other. Thus, each comparison to the tree isolates it, yet recapitulates in its compoundness the structure
of the forest. The other competing object, the modern ‘tree’ of the porch, continues the courtyard as it
develops the pavilion, and continues the reinvention of the forest, both as the house and as a special
figure itself. Thus the house is a continuation of the forest, the antithesis of it, and/or a reinvention of it.
Differentiating itself from the orchestrated similarities of the rest of the building, the porch appears as
the most evolved and removed element in the development around the clearing/courtyard, yet
paradoxically it reintroduces the point of origin, the forest.
Aalto versteht Architektur als Konstruktion von Bildern, die wie von einem Maler zu definieren sind,
aber wie alle frühen Modernisten bezieht sich Aalto gleichzeitig auf eine geometrische Ableitung, die
letztlich alle Maße definiert.
-
Fig: F.L. Wright (Fallingwater): Wright war bereits zuvor beschrieben als Vertreter einer Art
amerikanischen Arts and Craft; asiatische Formen dienten ihm als Alternative zur
europäischen Architektur, später nutzt er auch südamerikanische Einflüsse
Nach Problemen, Bauherren zu finden (Affären mit Bauherren-Frauen; Beschuldigung, den
Tod seiner Frau und Kinder bei einem Feuer in Taliesin bestellt zu haben), gelingt ihm mit
Fallingwater ein Comeback. Geometrische Überlagerungen bestimmen den Grundriss (vgl.
Robie House), in dem mehrere Räume ein und demselben System angehören. Entwurf mit der
Topographie: spektakuläre Auskragungen … Materialisierung als natürliche Fortschreibung
der umgebenden Natur, bis hin zur Verwendung von Teilen der Felsen zur Gestaltung des
Wohnzimmerbodens … offene, transparente Ecklösungen … Pergolen: teils drinnen, teils
draußen
In Europa entwickelt sich derweil nicht nur die organische Architektur als Gegenentwurf zur
Geometrisierung der neuen Sachlichkeit, sondern es gibt auch Bemühungen, die erste Strömung der
Moderne weiterzuführen; so in Italien durch die Grupo 7, deren bekanntester Vertreter Giuseppe
Terragni ist
-
Fig: Terragni (Casa del Fascio): die Grupo 7 verstand Le Corbusier trotz abstrakter
Formensprache immer als klassischen Architekten; die Casa del Fascio steht so in direkter
Tradition der Moderne Le Corbusiers (klassizistisch: Proportion durch geometrische
Ableitung). Terragni sagt, und folgt darin Mussolini, der Faschismus sei ein Haus aus Glas, in
dem nichts verborgen sei (siehe der große, offene zentrale Innenraum) … vgl. auch das
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römische Verständnis, wonach zumindest öffentliche Gebäude einen frei zugänglichen
Innenhof haben sollten … Ablesbarkeit der Konstruktion … die Tektonik der Fassade bildet
jeden Planungsschritt ab
-
Fig: Terragni (Asilo Sant’Elia): Cortile in doppelter Ausführung – Innenhof und Mensa (als
Glasbox), diagonal verschoben, was in der Rampe zum Dachgarten abgebildet wird. Das
Gebäude ist kein statisches Ding, sondern Abbildung eines Prozesses! Verschiebungen,
Transformationen werden stets abgebildet. So entsteht ein System, das in der Durchschreitung
seine Entfaltung deutlich macht.
-
Fig: Terragni (Danteum): Transkription der Göttlichen Komödie Dantes. Das Gebäude ist eine
Erzählung, die Räume Episoden in der Komödie. Architektur tritt hier als literarische
Erzählung auf. Terragni liefert damit eine direkte Inspiration für die dekonstruktivistische
Architektur, wie z.b. die eines Peter Eisenman.
-
Fig: Libera/ Malaparte (Casa Malaparte): Gebäude erwächst aus der Topographie, das flache
Dach andererseits spiegelt möglicherweise die Idee des glatten Meeres … vgl. Malaparte und
Kirche in Lipari
Excursion: Casa Malaparte
Born Kurt Suckert in 1898, Curzio Malaparte renamed himself after Napoleon Bonaparte in order to fit
better in with his Fascist friends. As a journalist, he wrote on all manner of topics, sometimes finding
favor with Mussolini, and sometimes irritating the regime. His pamphlet of 1933, Tecnica del colpo di
stato (“How to execute a Coup d’État”) resulted in a five year period of internal confinement, a time
spent primarily on the desolate volcanic island of Lipari. During his seven-month internment on Lipari,
Malaparte saw himself as Odysseus: „I too landed, like the hero of the Odyssey, on the black shore of
Marina Corta, almost on the steps of the church of Purgatory.“ But according to his friend Alberto
Savinio, Capri was really the island where“all the descendants of Ulysses, attracted by the undying
song of the Sirens, converge from the furthest points of the globe...“
Malaparte’s interest in architecture did not begin with his house in Capri. For a number of years
preceding the construction of the villa he had run the journal Prospettive, dedicated to the arts and
literature. In Italy, he was also known as a film and opera director. After the second world war, his
novels were translated in many languages, and Time magazine characterized him as the author of
scandalous “best-selling nausea” and dubbed him a “Jean-Paul Spillane.” With the villa in Capri,
Malaparte believed he had constructed his most perfect work: an architectural self-portrait of himself.
Malaparte had several pet names for the house, including the German word “Kasematte” and “casa
matta” or crazy house. But perhaps the strangest of all names for the house was “casa come mè”: “a
house like me.” He elaborated: „a city that would look like me, that would be my portrait as well as my
biography. ... I want it to look like me, and everyone who lives in it to feel that they are inside me.“
In his engagement with architecture, Malaparte may have been thinking about Paul Valéry’s
description of the architect in the dialogue, Eupalinos, or the Architect. In Valéry’s dialogue, Phaedrus
and Socrates, now shades, discuss the beauty of the living world. Phaedrus, speaking to Socrates,
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quotes Eupalinos in saying something similar to Malaparte’s epigrammatic “casa come me”: “... I
approach to such an exact correspondence between my aims and powers that I seem to have made of
the existence that was given to me a sort of human handiwork. By dint of constructing...I truly believe
that I have constructed myself.” The house on Capri is also part of Malaparte’s project of conscious
self-construction as a lonesome, Nietzschean hero. His sister writes: „He wanted a shanty with a single
room, where he could work without hearing a sound, in contact with the sea, the rocks, the moon, all
the voices of nature: only this way, immersed in the mystery of the universe, would he be able to
express himself completely.“
After four years of construction, the Casa Malaparte was finished, a severe block made of local stone.
On the side of the hill, there is a trapezoidal stair, which ascends 33 steps without interruption to a roof
deck. The flatness of the roof makes the essential irregularity and roughness of rock come into focus
and recreates the horizontal table of the sea high above the water. The solarium screen, a kind of
white, sail-like form, displaced from ship and sea, further enforces the connection between roof terrace
and water.
In Godard’s film Le Mépris, Brigitte Bardot sunbathes in the nude on the terrace, like Malaparte had
used to do. He was further known to interrupt periods of nude sun bathing by leaping on the bicycle,
still naked, and riding in tight circles on the un-railed roof deck, a sight that caused passing village
women on the upper path to gather in crowds and stare in wonder. Photographs exist of him bicycling
on the roof as La Favorita did leaping calisthenics.
The most remarkable part of the design is the vast stair that looks like a fragment of a Greek theater or
some strange, blood-soaked Cyclopean altar. As in Dionysian celebrations, nature merges with and
participates in the stage set. A precedent for the stair may be in Lipari, the island on which Malaparte
spent the greater part of his political confinement. A similarly shaped stair leads to the small church of
the Annuziata. However, Malaparte’s reconstruction of the motif, there is no building atop the stairs.
Like de Chirico’s mannequin acéphale; the house has been decapitated. The absence takes on even
more potent mytho-religious connotations if one imagines that not a house, but a church – the
Annunziata at Lipari – has been obliterated, literally dead and buried, leaving only a blood-red crypt.
Interior spaces have been displaced, interred in the crypt.
The interiors of the Casa Malaparte may not be as dramatic as the stair and the roof deck, but they are
no less enigmatic. The vast living room features four enormous plate glass windows framed by curved,
black tufa braids. The furniture, designed by Malaparte, comprised of an odd unrelated fragments,
bringing into relationship disparate elements from culture and nature. The assemblage of truncated
columns, pristine planes of glass, gnarled, warped tree trunks and massive planks of undressed wood,
suggests both a collection of objets trouvés and an archeology, laying bare a concealed history. On the
south wall there is the enormous frame of the fireplace, the back wall of which is a window of Jena
crystal. To the admixture of earth, air and water, the fourth Platonic element, fire, has been added, with
the spectator caught between the image and the frame.
Framing, both in pictorial and cinematic senses, is thematic throughout the house. Four over-scaled
windows symmetrically flank the sculpture and the fireplace along the short axis of the room, their
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thick, exaggerated moldings making them seem more like picture frames. The window frame was only
added as an afterthought, over a year after the house was completed.
In his novel The Skin, Malaparte provides some insight into his motivations as he describes the visit of
Field Marshall Rommel to his house: “I accompanied him all over the house, going from room to room,
from library to cellar, and when we returned to the vast hall with its great windows, which look out to
the most beautiful scenery in the world, I offered him a glass of Vesuvian wine from the vineyards of
Pompeii. “Prosit!” he said, raising his glass, and he drained it in a single draught. Then, before
leaving, he asked me whether I had bought my house as it stood or whether I had designed and built it
myself. I replied – and it was not true – that I had bought the house as it stood. And with a sweeping
gesture, indicating the sheer cliffs of the Faraglioni, the peninsula of Sorrento, the islands of the Sirens,
the far-away blue coastline of Amalfi, and the golden sands of Paestum, shimmering in the distance, I
said to him: “I designed the scenery”.
The architecture of Casa Malaparte frames, isolates and defines the scenery around it: thus nature is
created by culture, as Oscar Wilde insisted, and not vice versa. But the interiors also frame the life
within. In the film Contempt it is evident how the windows define axes and centers in the living room,
forcing Prokosh and other people to react to their axial logic and assume sculptural positions in a
peculiar choreography.
In den Bezügen zur Natur und einer narrativen Architektur lässt sich also vielleicht eine Gegentendenz
zur Moderne beschreiben, die wesentlich durch eine gewisse Archaik, beeinflusst durch
südamerikanische und möglicherweise gar mesopotamische Formen, geprägt ist. Diese Tendenz sollte
nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgegriffen werden durch Giedion und Sert, außerdem durch
Louis Kahn, Luis Barragan und viele andere.
62
Lecture 8 | Dialektik der Aufklärung
Hat sich mit der Entwicklung der Moderne, ob rationalistisch oder organisch, beides in jedem Fall
ideale Vorstellungen, auch eine ideale Gesellschaft etabliert, wie es die Moderne immer wollte?
Oben wurde schon auf das Argument von Horkheimer und Adorno hingewiesen, dass die Aufklärung
auch eine Schattenseite hat. Descartes nannte dies die Entzauberung der Welt, die Verdinglichung
anderer Menschen als Konsequenz aus der Herrschaft über die Natur, die zwangsläufig auch die
Herrschaft über andere Menschen beinhaltet. Für Horkheimer und Adorno ist das Dritte Reich also
keine Ausnahme, sondern Konsequenz der Aufklärung. Wie nun antwortet die moderne Architektur auf
politischen Druck von linken und rechten Totalitären?
-
Fig: Neufert (Bauordnungslehre): Uniform als Ausdruck von Rationalisierung, Maßstab aller
Dinge
Hannes Meyer betreibt die Beschreibung der Architektur als Naturwissenschaft, die mit Kunst nichts
zu tun hat. Damit aber ließe sich das Gebäude auch verstehen als Organ der Massenpsychologie,
wodurch der Architekt zum Machtträger wird.
-
Fig: Le Corbusier (Plan Voisin): das ist natürlich keine demokratische Operation, eher
autokratisch, was denn auch nicht geleugnet wird
-
Fig: Le Corbusier (Ville Contemporaine): Industriebosse in der Mitte (inkl. Flughafen),
Arbeiter an den Rändern. Im Plan eingeschrieben steht die Idee der Diagonale, ähnlich
vielleicht wie in Washington. Die Entzauberung der Welt bedeutet hier: bekannte Symbole
werden ersetzt durch mechanische Symbole.
-
Fig: Le Corbusier (Ville Radieuse): Abbild der Gesellschaftsprozesse um Elite und
Ausführende. So unterschreibt Le Corbusier die Arbeit denn auch: „This work is dedicated to
authority“. Die Feststellung lautet: zur Realisierung von Architektur braucht es einen
Despoten! Le Corbusier konstatiert: „The plan must rule!“, was bedeutet, dass es eine
planerische Grundlage (rationalistisch) zur Gestaltung der Gesellschaft braucht. Sein „It is the
plan which is right!“ steht dabei in der Tradition von “Mussolini ha sempre ragione!”
Diese Macht des Plans beschreibt auch Carl Schmitt mit dem Dezisionismus und dem Auspruch “Plan
und Wille des Führers ist Gesetz!“. Wenn der Architekt den Plan gezeichnet hat, existiert er schon, ist
Tatsache, wird Wirklichkeit. Le Corbusier etabliert sich, den Architekten, als den logisch
argumentativen, den Geist einer solchen Ausführung, aber noch nicht als die Macht selber; er lege
lediglich dar, was sich argumentativ nicht leugnen lässt. Natürlich dient er sich dieser Macht damit aber
letztlich an, was sich denn auch in der Feststellung ausdrückt: „Cityplanning is – once more – an
adjunct to the science of war“
63
-
Fig: Sörgel (Atlantropis): Landgewinnung durch Absenkung des Mittelmeerspiegels. Ein
Entwurf, entstanden aus dem Geiste, autokratisch, ohne demokratische „Hemmnisse“
entwerfen zu können, was natürlich einer Destruktion gesellschaftlicher Realitäten
gleichkommt, um gewisse technokratische Utopien zu erdenken.
Natürlich gab es solche Entwicklungen auch andernorts, siehe Russland: Fiodorov „Tote aller Länder
vereinigt Euch“. Die Überlegung, welche dieser scheinbar Wirren Aussage zugrunde liegt, lautet: wenn
man die Naturgesetze und ~wissenschaften beherrscht, müsste man in der Konsequenz letztlich auch
Tote zum Leben erwecken können. Um dem zwangsläufig entstehenden Platzmangel auf der Erde zu
begegnen, müsste man dann eben in Weltall ausweichen.
-
Fig: Melnikov (Lenin-Sarg): in diesem Sinne ließe sich die Einbalsamierung und Aufbahrung
Lenins als Schritt auf dem Weg zur Wiederbelebung verstehen … was natürlich nicht
passierte.
Der Suprematismus, basierend auf nonfigurativer Kunst, versucht, eine abstrakte, konstruierte Form zu
schaffen
-
Fig: Chernikov (Regeln der Konstruktion): einfache Körper, die durch mehrfache
Transformation komplexe Strukturen ergeben … formale, ästhetische Studien, ohne Funktion
-
Fig: Melnikov (Parkhaus-Brücke): architektonische Mittel wie der Schnitt dienen zur
Formulierung seiner Objekte, in diesem Sinne ist die Garage nur eine Schichtung von
Rampen, deren Ausformulierung letztlich aber neuen Sinn stiftet
-
Fig: Melnikov (Russakov): so entsteht also aus der Abbildung von Funktion (hier: drei Ränge)
eine neue Ästhetik
-
Fig: El Lissitzky (Wolkenbügel): Konstruktion als Prinzip (Auskragung) ... vgl. Jean Nouvel,
Theater, Guthrie, Minnesota
Das Gebäude wird formal weiter reduziert bis zur reinen Konstruktion: Konstruktivismus
-
Fig: Vesnin (Pravda): Betonung der Verkehrswege (Aufzüge) und Versorgung … vgl.
Piano/Rogers, Centre Pompidou
-
Fig: Tatlin (III. Internationale): drei Körper, die übereinander gestapelt und rotierend einen
gebauten Kalender ergeben
-
Fig: Leonidov (Lenin Institute): der Grundriss zeigt, wie nah die Arbeit an der Ästhetik des
Suprematismus ist … gleichzeitig bringt Leonidov auch historische Referenzen in seine Arbeit
… vgl. Kulturpalast Moskau – Pyramide
64
All diese Arbeiten entstehen natürlich auch in dem Geiste der erstarkenden Sowjetunion, was sich
zusätzlich in Wettbewerben wie um den Palast der Sowjets zeigt:
-
Fig: Le Corbusier (Palast der Sowjets): Grundidee einer neuen Form für die große Halle, die
letztlich konstruktiv bestimmt, durch einen Bogen überspannt wird. Das Gebäude wird somit
zum Diagramm seiner Konstruktion (vgl. Konstruktivismus)
Gleichzeitig geht der Trend (politisch) aber zu einer neuen Form von Monumentalismus, was sich im
Siegerentwurf für den Palast der Sowjets von Boris Iofan mit einer mehrere hundert Meter hohen
Lenin-Statue als Krönung zeigt:
-
Fig: Iofan (Palast der Sowjets): gegründet auf ehemaligem Platz der Erlöserkirche. Der Boden
trug allerdings die hohen Lasten nicht, so dass nur die Fundamente gegossen wurden, die in
der Folge zu einem Schwimmbad wurden. Unter Jelzin dann wurde die Kirche (aus
politischen Gründen) an alter Stelle wieder aufgebaut
Auch wenn der Palast nicht gebaut wurde, ist die Zeit des Konstruktivismus doch vorbei, bekommen
Konstruktivisten keine Arbeit mehr. Stattdessen sehen wir einen erneuten Bezug auf die monumentalen
Formen klassischer Architektur
-
Fig: Hitler (Triumphbogen): hier schafft die Autorität den Plan, der Architekt (Speer) führt
aus!
-
Fig: March (Thingplatz): griechisches Theater als gemeinschaftliches Spektakel. Die
Theatralisierung des Alltags ist ein wesentliches Konzept autokratischer Systeme
-
Fig: Ordensburg Vogelsang: neoromanisch … Tendenzen zu einer Heimatarchitektur in
Abhängigkeit vom Ort. Gleichzeitig aber wurden Industriegebäude weiterhin erfolgreich
funktionalistisch geplant, worin sich deutlich der Unterschied zwischen Funktion und
Repräsentation zeigt. Das Dritte Reich unter Hitler war nicht zuletzt deshalb so „erfolgreich“
weil man bei allem Rückschritt in Form und Geist im Bereich der technischen Wissenschaften
und der industriellen Fabrikation auf Fortschritt und Innovation setzte, wenn auch zu falschem
Zwecke.
-
Fig:
Speer
(Germania/
Grosse
Halle):
bekanntestes
Beispiel
der
monumentalen
Architekturauffassung der Zeit. Die Halle sollte ein Vielfaches der Größe von Reichstag und
Brandenburger Tor erreichen, mit Platz für über hunderttausend Menschen. Die
Kundgebungen in der Halle wären Spektakel, Inszenierungen zur Stärkung der Gemeinschaft
bei gleichzeitiger Unterdrückung und Gleichschaltung des Individuums
-
Fig: Speer (Neue Reichskanzlei): länglicher Baukörper, der zusätzlich noch künstlich
verlängert wird, um den Weg zum Arbeitszimmer des Führers zu einer Prozession zu machen,
ihn immer länger zu machen, vorbei an immer größeren Wächterfiguren um so letztlich
Ehrfurcht, Respekt und durchaus auch Furcht beim Besucher zu erzeugen
65
-
Fig: Speer (Reichsparteitagsgelände): wichtiger fast als die monumentalen Bauten waren
Speers Inszenierungen; die berühmteste und eindrücklichste davon der Lichtdom. Klar ist: das
ist auch Expressionismus in Reinform! Architektur ohne Funktion und ohne Material, das
hatten auch Taut und Co im Sinn.
-
Fig: Volksempfänger, KDF Wagen: neben in politischer Hinsicht viel rückschrittlichem,
interessieren sich die Nazis aber vor allem auch für die stets neueste Technik und die Macht
die von ihr ausgeht, vor allem aber durch sie ausüben lässt.
-
Fig: Lageplan Buchenwald: die Effizienz der Tötungsmaschinerie findet ihren Ausdruck in
den funktionalistischen Plänen der Konzentrationslager: Zeilenbau, Industrialisierung der
Abläufe, noch die Räumlichkeiten der Krematorien sind funktionalistisch optimiert!
Die Frage, die Horkheimer und Adorno mit der Beobachtung einer Dialektik der Aufklärung
aufwerfen, dürfte heißen, inwiefern also der Technik selbst bereits Politik innewohnt, sie nicht nur ein
Mittel zu deren Umsetzung ist.
66
Lecture 9 | Existentialism as a Humanism
Die Verheißung einer befreiten Moderne war eines der Opfer des Zweiten Weltkriegs. Nach 1945
bedurften nicht nur die zerstörten Städte, sondern auch das Konzept von Architektur der
Rekonstruktion. Welche Ziele und Mittel wurden vorgetragen um dabei die Fehler der heroischen
Moderne zu vermeiden?
Der Existentialismus baut auf das Fundament der Phänomenologie nach Husserl. Die Existentialisten
haben immer behauptet, der Mensch habe eine Sonderrolle unter den Lebewesen: Existenz vor Essenz
Der Mensch ist demnach verurteilt zur Freiheit; durch seine Handlungen wird der Mensch, was er ist.
In Europa ist die Grundfrage nach dem 2. Weltkrieg die Frage nach der Rekonstruktion der
Gesellschaft und damit der Konstruktion einer neuen Identität.
In den Ruinen des nach den Bombennächten zerstörten Dresden wird die Materialität der Architektur
sichtbar … vgl. Le Corbusier (béton brut): vor dem Krieg denkt Corbusier abstrakt, in plastischer
Form, die alle Zeichen des Materials unterdrückt. Nach dem Krieg sind seine Konstruktionen roh,
unverkleidet.
-
Fig: Le Corbusier (Unité): Alle Funktionen eines Dorfes für 1600 Einwohner in einem
Gebäude; Funktionsmischungen (Einkaufen, Gemeinschaftseinrichtungen, Wohnen, Garten,
Kindergarten) 3 Typen von Wohnungen (Eingang oben / unten), L-förmig verschränkt im
Schnitt, also eine sehr ökonomische Organisation, die Erschließung nur in jedem 3. Geschoss
nötig macht. Trotz der neuen Materialität ist aber auch die Unité noch im Einklang mit Corbs
5 Punkten der neuen Architektur; Interessanterweise aber wird hier der Dachgarten zu einer
Art surrealistischen Collage im Sinne Gaudís. Die Brüstungen grenzen dabei die Bebauung
der Umgebung aus und lassen nur die umliegenen Berggipfel sichtbar, es entsteht eine
abstrakte Landschaft
-
Fig: Aalto (Baker House): Aalto macht um diese Zeit eine ähnliche Entwicklung in Bezug auf
die Materialität durch, geht dabei sogar noch einen Schritt zurück und benutzt für sein
Studentenwohnheim in Cambridge groben, unverputzten Backstein. Auf der Rückseite
gewinnt auch die Volumetrie, die auf der Schauseite zum Fluss noch rationalistisch
daherkommt, brutalistische Züge. Aalto argumentiert die Grundrissform über eine Reihe von
Diagrammen, nach denen die höchste Anzahl Zimmer in eben dieser Form zu realisieren
seien, gleichwohl er dafür nicht einen einzigen Grundriss als Beleg ausführt. Die Relevanz
dieser Zeichnungen bleibt also fragwürdig, die Form hat mit der Anzahl der Zimmer
wahrscheinlich nichts zu tun. Andere Kritiker argumentieren über die Nähe zum Charles River
und dessen Form bzw. Verlauf, obwohl der in diesem Flussabschnitt nahezu gerade ist.
Wahrscheinlicher ist, dass die Grundrissform im Werk Aaltos selber steckt (vgl. z.B. Philips-
67
Pavillon) und darüber hinaus möglicherweise bestimmte Bezüge auf dem Campus herstellt
(Axialität…). Die Frage der Materialität ist hier sicher auch lokal geprägt: derlei Ziegelbau
ist im Neuengland der 20er Jahre durchaus üblich. Statt also hier von Finnland inspiriert zu
sein, reimportiert Aalto diese Idee vielmehr nach Finnland
-
Fig: Aalto (Säynätsalo): Die Materialität, die sich hier so urfinnisch gibt, ist vielmehr als Zitat
zu bewerten! (vgl. Innenraum in Backstein und den Stadtteil Beacon Hill in Boston, in den
Aalto zahlreiche Spaziergänge mit seinen Studenten unternahm). Was jedoch wichtiger
scheint: Aalto führt hier Typologie als Entwurfsmethode ein, die Idee, eine architektonische
Konvention neu zu interpretieren. In diesem Fall dürfte dies der italienische Palazzo sein (vgl.
Cortile etc.) Die Landschaft, in die das Gebäude eingebettet ist, ist künstlich, das evozierte
Bild einer italienischen Bergstadt artifiziell, Illusion! Auch die Vegetation ist inszeniert. Der
begrünte Treppenaufgang selbst ist nicht als solcher gedacht, ist vielmehr nur das Zeichen
eines Zugangs. Einige Historiker haben auch behauptet, der Sitzungssaal sei an den Saal der
Stadtverwaltung in Siena angelehnt, wahrscheinlicher ist aber die Anlehnung an die Curia auf
dem Forum Romanum in Rom; der Titel von Aaltos Wettbewerbsbeitrags war denn auch:
Curia! Das ist fast schon die postmoderne Idee der Genese von Identität aus der Geschichte.
-
Fig: Aalto (Haus der Kultur): zitiert wird in der Diskussion um dieses Gebäude oft nur der frei
geformte Auditoriumsteil, der Bürotrakt wird oft vernachlässigt. Grund für die Trennung in
die zwei Gebäudeteile könnte die funktionale Trennung von Verwaltung und Veranstaltung
sein, vielleicht lieferte aber auch der Kontext mit Vergnügungspark auf dem
Nachbargrundstück die nötigen Ansätze, oder: es handelt sich um eine Kritik des
Funktionalismus und seinen Formen von Zeilenbau und Cluster: die Nebenstrasse, die auf das
Grundstück mündet, scheint so die Gebäudeteilung zu beeinflussen. Klar scheint in jedem
Fall, daß es sich um ein Kontrastmotiv handelt. Dabei ist die Freiform gar nicht so frei, der
strenge Block gar nicht so streng, vielmehr gibt es ein gemeinsames Zentrum, von dem
ausgehend konzentrische Kreise im Verhältnis √2 den Umriss des Auditoriums beschreiben.
Ein Quadrat beschreibt den Block in Relation zur Konstruktion. Zusammen definieren beide
Systeme den Grundriss. Nach den Themen Geschichte und Material entdeckt Aalto hier die
Geometrie als Grundlage der Architektur neu.
Damit steht Aalto nun wieder in der Tradition der großen Modernisten vor dem 2. Weltkrieg
-
Fig: Le Corbusier (Modulor): In einer späteren Schaffensphase versuchte Le Corbusier die
proportionale Methode in seinem (erstmals 1948 publizierten) „Modulor-Schema“ zu
systematisieren. Er war davon überzeugt, dass der Goldene Schnitt der Schlüssel zur
Schönheit war, doch als irrationale Proportion war er seiner Ansicht nach bei
Baukonstruktionen nicht leicht anzuwenden, vor allem in Anbetracht der industriellen
Fertigteilbauweise. Um eine Reihe praktikabler Dimensionen zu erhalten, entwickelte Le
Corbusier den Modulor aus der Fibonacci’schen Zahlenfolge, einer Reihe von Zahlen,
1,1,2,3,5,8,13 …, bei der sich aus der Addition von jeweils zwei benachbarten Ziffern die
68
dritte ergibt, so dass sich das Verhältnis zwischen jeweils zwei Ziffern zunehmend an den
Goldenen Schnitt annähert. Le Corbusier entwickelte den Modulor aus den Maßen eines
idealen menschlichen Körpers, weil wir uns, wie er meinte, im Universum wieder erkennen
müssen, um es schön zu finden. Skeptiker, die befürchteten, dieses System könnte die
Kreativität der Architekten einschränken und ähnlich aussehende, schachtelartige Gebäude
hervorbringen, widerlegte Le Corbusier, indem er den Modulor bei zwei seiner
ausgefallensten Entwürfe anwendete: der Kapelle Notre-Dame du Haut in Ronchamp (1954)
und dem Philips-Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel (1958) Corbusier schaffte damit
ein Proportionssystem basierend auf einem Idealkörper, das für ihn allgemeine Gültigkeit hat.
was natürlich fragwürdig ist. Dennoch: es ging um allgemeine Aussagen zur Architektur und
Kunst, die man in dieser Zeit gesucht hat.
-
Fig: Le Corbusier (La Tourette): eine Lesart des Gebäudes legt erneut die Deutung als Palazzo
mit Cortile nahe, eine andere die Interpretation als Block und Riegel. Wichtig ist hier die Art
wie Le Corbusier Maßstabssprünge einführt, das große Motiv taucht im Kleinen wieder auf.
Das beherrschende Thema aber dürfte das Gegenüber von Geometrie (Klosterräume) gegen
organische Form (Begrüßungsgebäude) sein.
-
Fig: Le Corbusier (Notre Dame): es wurde vorgeschlagen, die Kirche als Konvergenz dreier
Typen zu lesen: Langbau, Zentralbau, Kreuzbau (vgl. Gargus…) Im Prinzip beschreibt das
Gebäude die Entwicklung von Punkt – Linie – Fläche zu Körper, Modul und zurück zum
Punkt. Le Corbusier behauptete, auch diese komplexe freie Form aus dem Modulor abgeleitet
zu haben, gleichwohl die Form sicher archaischer als bei der Unité ist.
-
Fig: Kahn (Exeter): auch Kahn behauptete stets, von der Ferne (Ägypten) beeinflusst zu sein.
Der Grundriss, als komplexes System von Quadraten, lässt sich eher als auf Quadratur
basierend abgeleitet lesen. Für Kahn typisch: die scheinbar einfache Kubatur entwickelt
Komplexität in ihrer Entfaltung … vgl. Pilaster unten als √2-Rechteck, oben als Quadrat …
die Fassade wird gezeigt als Zeichen des Grundrisssystems
-
Fig: Kahn (Salk): Schnitt: servant spaces im Zwischengeschoss … wieder QuadraturAbleitung … Sichtbeton: Bautechnik sichtbar … hier wichtiger: der Hof (vgl. Löwenhof,
Alhambra), der eine äußerst effektive Inszenierung darstellt – möglicherweise zuerst
vorgeschlagen durch Barragan, einen anderen archaischen Architekten. Auffällig ist die
Maßstabslosigkeit der Anlage, die architektonische Skulptur steht im Vordergrund.
-
Fig: Kahn (Dhaka): Ableitung als „Revision der Moderne“: Gebäude im funktionalistischen
Sinne (Fassade ohne Ornament) aber Grundriss bewusst archaisch (geometrische Ableitung)
-
Fig: Mies (Nationalgalerie): scheinbar quadratischer Grundriss (also Monumentalität vs.
geometrische Verschiebung wie z.B. noch in Barcelona). Mies wird hier wirklich zum
Klassizisten der Moderne, was sich in den konstruktiven Details und der Tektonik des
Gebäudes ausdrückt. Der allseitig verglaste Pavillon ist in seiner Funktion als Museum
natürlich kaum nutzbar; für die eigentliche Ausstellung dienen Räume im Untergeschoss, die
der formalen Ableitung des Obergeschosses nicht mehr folgen.
69
-
Fig: Mies (Seagram): was bei Mies nach der Auflösung des Grundrisses bleibt, ist das
Interesse am Detail: die Elemente sind mehr oder minder standardisiert, aber Mies betont
bestimmte Details, z.B. die Ecke. Nur scheinbar herrscht hier konstruktive Ehrlichkeit, gibt es
kein Ornament. Nur scheinbar, denn alles an dieser Fassade ist Ornament; die tragende
Struktur, durch IPE-Profile in der Fassade scheinbar offen gezeigt, liegt eigentlich dahinter!
Wir könnten behaupten, dass bei Mies noch immer das Credo von vor dem 1. Weltkrieg gilt:
die Durchgeistigung der Technik!
-
Fig: Mies (Crown Hall): die Symmetrie des Gebäudes verweist schon auf ein klassisches
Vorbild (vgl. Schinkels Altes Museum…), wenngleich die Konstruktion sich von diesem
natürlich unterscheidet. Die Funktion ist auch hier, ähnlich wie bei der Nationalgalerie
scheinbar zweitrangig: ein allseitig belichteter verglaster Pavillon scheint für ein
Architekturstudium wenig nützlich. Es wird also offensichtlich, ganz im klassizistischen
Sinne, großer Aufwand für die Belange der Repräsentation betrieben, unter Zurückstellung der
funktionalen Belange.
-
Fig: Mies (Farnsworth): eines der wesentlichen Beispiele für den begriff der Haut (Glas) und
Knochen (Stützen) Architektur, hier angewendet für ein Wochenendhaus für Dr. Edith
Farnsworth. Entstanden ist eine extrem elegante und perfekt ausgeführte Konstruktion, nur die
Funktion scheint (schon wieder) nicht erfüllt: Dr. Edith Farnsworth verklagte Mies dafür! (ob
ihre angeblich durch Mies nicht erwiderte Zuneigung dabei auch eine Rolle spielte, soll hier
nicht von Belang sein; aber in ihren zahlreichen Briefwechseln erboste sich die Bauherrin in
Bezug auf Mies’ „Less is More“: „Less is not more, less is simply less!“). Das Haus basiert in
seinen Proportionen auf dem Barcelona-Pavillon, ganz ähnlich wie der Barcelona-Pavillon in
seinen Proportionen auf dem Parthenon basiert.
-
Fig: Johnson (Glass House): schon ein Jahr vor Mies vollendet, aber aus dessen Theorie
abgeleitet. Der Grundriss ist im Vergleich zu Farnsworth viel einfacher, doch Johnson selbst
behauptete in einem Artikel, dieses Gebäude sei die Essenz aus 200 Jahren Kulturgeschichte.
Vielleicht spielen hier auch die Ideen Sempers aus den 4 Elementen der Architektur eine
Rolle, die auch Mies überlegt haben dürfte, insbesondere die Wand als Idee von Textil. Die
wesentlichen Unterschiede dieser beiden scheinbar so ähnlichen Projekte drücken letztlich
auch die unterschiedlichen Haltungen der beiden Architekten aus: das Farnsworth House
schwebt über seinem Grundstück, das Glass House seinerseits steht in Gänze auf dem Grund.
Das Farnsworth House ist geprägt durch eine offene Ecklösung, während Johnsons Glass
House durch die Stützen die Ecken besonders betont. Bei Mies’ Farnsworth House erweitert
eine Terasse den Innenraum nach Außen, bei Johnson gibt es nur den Innenraum.
Am Beispiel von Mies’ Farnsworth House und Jonsohns Glass House zeigen sich zwei grundlegend
verschiedene Haltungen zur Architektur: demnach wäre das Farnsworth House ein Blueprint für eine
Vielzahl weiterer ähnlicher Gebäude, es ist durch sein konstruktives System beliebig multiplizierbar
und theoretisch sowohl horizontal als auch vertikal unendlich erweiterbar. Johnson indes kann das
nicht einlösen, das Glass House ist ein Finitum.
70
In einem Interview mit Peter Eisenman beschreibt Johnson das Haus als eine Erinnerung an den 2.
Weltkrieg. Johnson war ein amerikanischer Nazi, der die Parteitage in Nürnberg besuchte und als
Journalist zum Blitzkrieg in Polen eingeladen wurde, wo er die brennenden Dörfer und Städte nur
Stunden nach dem Überfall der Deutschen sah. Johnson beschreibt, wie die Ruinen für ihn letztlich die
Essenz des Gebauten offen legen und stellt sein Glass House als ebensolche Offenlegung dar.
71
72
Lecture 10 | Kinder von Marx und Coca Cola
Die Sieger des Zweiten Weltkkriegs, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, waren nach dem
Zweiten Weltkrieg nicht auf dieselbe Art mit der Zerstörung ihrer Städte konfrontiert wie es Europa
war. Anstatt vor der Notwendigkeit zu stehen, ihre Identität durch Architektur wieder aufzubauen,
waren amerikanische und russische Architekten frei, das space race auch durch ihre Kunst und
Architektur zu begleiten. Wie also entwirft man für die Zukunft?
Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren geprägt durch einen unbändigen Zukunftsglauben, dominiert
vom Abenteuer der Raumfahrt, der Entwicklung von Plastwerkstoffen und den Verheißungen einer
stabilen und prosperierenden Wirtschaft. Am 12. April 1961 ist Yuri Gagarin der erste Mensch im
Weltall nachdem die Hündin Leica zuvor bereits als erstes Lebewesen überhaupt die Erde umkreist
hatte. Prinzipiell ist diese Zeit geprägt von einem optimistischen Streben.
-
Fig: Wright (Broadacre City): in Anlehnung an die Idee Thomas Jeffersons, Architekt und
Präsident der Vereinigten Staaten, entwickelt Wright ein System, das die gleichberechtigte
und somit demokratische Aufteilung des Landes ermöglichen soll. Die Weiten der
amerikanischen Prärie wurden dazu mit einem Raster von einem ha überzogen. Die so
entstehenden ungeheuren Distanzen müssten dann natürlich mit wunderbaren neuen
Fortbewegungsmitteln wie z.B. individuellen Fluggeräten überbrückt werden.
-
Fig: Wright (Taliesin West): seine Schule in Arizona kann als wesentliches Beispiel für eine
organische Architektur gesehen werden, wie F. L. Wright sie verstand: natürliche Materialien,
Einbettung in die Landschaft. Hier wird das Konzept noch dadurch erweitert, dass die Schüler
die Gebäude selbst errichteten.
-
Fig: Wright (Johnson & Johnson): Idee des amerikanischen Art Déco: aerodynamische
Formen, wie für hohe Geschwindigkeiten gemeint. Der Innenraum zeigt einen freien
Grundriss unter Pilzstützen (vgl. das Konzept des freien Innenraums im Larkin Building:
„Honest Labor Needs No Master“) und schafft einen offenen Büroraum, jedoch ohne
(ablenkenden) Außenraumbezug, was eine Erhöhung der Produktivität bewirken sollte. Seinen
konstruktiven Ausdruck findet dieses Konzept in den Glaskolbenfenstern, die zwar
ausreichend Tageslicht in den Innenraum lassen, aber keine Blicke nach außen erlauben.
-
Fig: Wright (Marin County Civic Center): in seiner Gestalt durch die Science Fiction Literatur
der 30er Jahre inspiriert, inspirierte es seinerseits die Science Fiction Ideen der 90er (vgl.
Niccol, Gattaca)
-
Fig: Wright (Guggenheim): eigentlich ein Gartenpavillon am Rande des Central Park, der sich
in Volumen und Kubatur der umgebenden Bebauung verweigert. Die Erweiterung von
Gwathney bindet das Gebäude schließlich recht geschickt in seinen Kontext ein. Der
Innenraum ist geprägt durch die umlaufende Rampenerschließung als Idee des Modernismus,
73
die vielleicht auch eine gewisse attraktive Dynamik hat; doch auch hier fällt auf: für die
eigentliche Funktion ist dieses Prinzip eher ungeeignet (Fußbodenneigung...)
Unter all diesen Einflüssen wird nun selbst Le Corbusier zum Science Fiction Architekten
-
Fig: Le Corbusier (Philips Pavillon): der Pavillon war ein Projekt für dieselbe
Weltausstellung, auf der auch das Atomium gezeigt wurde. Auch in diesem Fall erhebt Corb,
wie oben beschrieben, den Anspruch, der Entwurf sei in seiner Form vom Modulor abgeleitet
worden; das Projekt sollte also nichts weniger leisten, als den Beweis für die Gültigkeit des
Modulors auch für freie Formen zu erbringen. Le Corbusier und Iannis Xenakis bedienen sich
des Prinzips der „ruled surfaces“ bei dem jedes strukturelle Element in sich gerade ist. Was
Corb aber noch mehr interessiert haben dürfte, war die Idee des Gebäudes als kinästhetisches
Ereignis; Xenakis selbst war Komponist, der u.a. in den 50ern elektronische Musik
entwickelte, deren Repräsentation als Graphik zueinander verdrehter gerader Linien auf
interessante Weise den Entwürfen zum Pavillon gleicht. Der Erfolg dieser ehrgeizigen
Unternehmung bleibt indes fragwürdig, denn letztlich ist dies nicht das Verräumlichen von
Musik, sondern lediglich die Umsetzung ihrer Notation.
-
Fig: Scharoun (Philharmonie): der Entwurf beruht grundlegend auf der Idee des Zeltes (vgl.
die Entwürfe der Gläsernen Kette, deren Mitglied Scharoun war), er beschreibt eine hängende
Struktur ohne tragende Elemente in der Mitte. Der Saal ist dabei der Höhepunkt einer
Raumfolge, die im Foyer beginnt, in dem sich der Saal bereits als Negativ andeutet. Die
Inszenierung dieser Raumfolge, gleichsam ihr Durchwandern legt die Interpretation vom
Raum als Landschaft nahe (vgl. Expressionimus).
-
Fig:
Utzon
(Sydney
Opera):
Generierung
der
Form
als
Kugelsubtraktion
…
expressionistisches Ideal (vgl. Bartning, Sternkirche)
-
Fig: Saarinen (Dulles-Airport): Saarinen war Hauptjuror beim Sydney-Wettbewerb. Hier ist
die Form zu lesen als Diagramm der tragenden Struktur
-
Fig: Saarinen (TWA-Terminal): natürlich ist hier das formale Vorbild das Flugzeug, es
handelt sich also um ein Stück narrativer Architektur; evtl. wird hier auch eine Vogelform
zitiert. Wie auch immer, jedenfalls scheint die organische Form als direkte Referenz durchaus
legitim, im Innenraum jedoch wird das Projekt zu einer reinen Science-Fiction-Architektur der
50er Jahre
-
Fig: Saarinen (Gateway Arch): nicht im eigentlichen Sinne ein Gebäude, mehr ein Diagramm
der Struktur. Eine Kettenkurve, ähnlich wie bei Gaudís Krypta beschreibt den Verlauf des
Bogens, der seine gesamte Last somit ohne Querkräfte direkt in den Boden abträgt. Das
Projekt provozierte seinerzeit einen Skandal, weil Libera zuvor ein sehr ähnliches Projekt für
die EUR 1940 in Rom vorgeschlagen hatte.
74
Die 50er Jahre sind also geprägt durch die Suche nach einer neuen Identität. Dabei kommt der
Architektur die Aufgabe zu, einen Ort zu schaffen und dadurch Identität zu stiften (Ethos); dem
gegenüber steht die Idee der Orientierung an der Zukunft.
-
Fig: Fuller (Dome NY): Fuller verfolgte eine andere Idee futuristischer Architektur, die nicht
nur von der Form ausgehen solle. In diesem Falle ist dies die Idee einer Kuppel, die die
Luftverschmutzung über Manhattan eindämmen könne. Konstruktiv wird das Prinzip der
geodätischen Kuppel angewandt (vgl. Montréal-Pavillon)
-
Fig: Fuller (Dymaxion): eine Hauptsäule als tragende Struktur, alle weiteren Räume sind
davon abgehängt. Dieses Prinzip darf als Vorläufer der Domes betrachtet werden. Fuller
bezeichnet diese Idee als 4D Architektur und fordert damit die Architekten heraus. Für ihn
sind die Modernisten wie Corbusier und Mies klassische Architekten, die lediglich formal
andere Wege gehen; für Fuller selbst stellen sich immer auch neue Fragen von Funktion und
Struktur
-
Fig: Fuller (Wichita): diese Dome-Houses sind zusammenfaltbar und transportabel, bieten
einen adaptiven Grundriss. Der Entwurf ist auch als gesellschaftliches Statement zu verstehen:
überall aufstellbar, günstig, direkt bezahlbar, kein Mortgage notwendig – gerade heute klingen
diese Attribute wieder sehr verheißungsvoll.
-
Fig: Futuro: ähnliches Konzept, allerdings als schlüsselfertiges Einraummodell
-
Fig: Behnisch, Frei Otto (Olympiapark): Konstruktion zunächst aus der Natur abgeleitet, dann
aber rigoros analysiert und beschrieben, wodurch sich sehr komplexe, doch parametrisch
bestimmte Strukturen entwickeln. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass Frei Otto diese
Strukturen nie als Form sondern immer als konstruktive Konsequenz gedacht hat.
Andere Architekten haben mit Megastrukturen ähnliche Projekte erdacht (vgl. Friedman, Raumstadt),
diese jedoch anders begründet
-
Fig: Tange (Tokyo Bay): die traditionelle Stadt ist konzentrisch organisiert; aus diesem
Diagram entwickelt Tange das modernistische Gegenmodell der linearen Stadt in der Idee des
Metabolismus. Dennoch bemühen die einzelnen Gebäude letztlich wieder die Form
traditioneller japanischer Dächer.
-
Fig: Le Corbusier (Haus Weber): Dach völlig entkoppelt vom Gebäude
Eine weitere Tendenz wird insbesondere durch die britische Gruppe Archigram (zunächst eine
Zeitschrift) betrieben, die zunächst organische Formen aufgreifen, welche sich durch Reproduktion und
Vervielfältigung zu größeren Megastrukturen zusammen setzen lassen und so neue, übergeordnete
Zusammenhänge schaffen. Grundlage hierfür sind die Prinzipien von Einzelsystemen und deren
Vorfabrikation
75
-
Fig: Archigram (Walking City): hier ist das Ziel also nicht die Schaffung eines stabilen Ethos
(ortsgebundene, Identität stiftende Architektur…) sondern die individuelle Inszenierung
zeitlich und örtlich begrenzter Events. Es ist somit in der Tendenz auch eine postnukleare
Vision: es gibt kein Leben mehr in klassischen Städten.
-
Fig: Superstudio (Continuous Monument): endloser Riegel (Referenz: Fullers Dome), der die
Welt umspannt und verschiedenste Räume aufnimmt. Natürlich ist diese Vision nicht zum
Bauen gedacht, sondern als Gesellschaftskritik zu verstehen: Expansion, Ausbeutung der
Natur usw. Architektur ist hier also theoretische Intervention und die Konsequenz ist klar: die
Welt ist an ihr Ende gekommen, es gibt keine Architektur mehr; die Erde ist eine
gleichförmige, ewig unspezifische Kontinuität.
In dieser Geisteshaltung, nach der die Architektur im klassischen Sinne also keine großen Lösungen
mehr bieten kann, entwickeln sich mehr und mehr kleinmaßstäbliche Experimentalarchitekturen –
Architektur wird zu Kleidung und/ oder mit mobilen pneumatischen Konstruktionen erzeugt
-
Fig: Haus Rucker Co (Expander): herzschlaggesteuert
-
Fig: Hollein (Spray): die Architektur ist nur noch Luft, aber sie schafft so eine InstantUmgebung, eine Atmosphäre und Stimmung – also architektonische Qualität!
-
Fig. Ron Herron / Archigram (LSD): Gehirnmanipulation
Das Fazit dieser verschiedenen Entwicklungen kann also lauten, dass Gebäude entweder nicht mehr
existent oder so groß sind, dass nur noch Innenräume existieren. Eine Bewegung, die versuchte, sich
Architektur und Stadt wieder anzueignen, findet ihre Ursprünge in der Counter-Culture: die
Situationisten um Guy Debord und Constant gehen mit ihren Ideen gegen die rationalistische Stadt vor.
Für sie ist die Stadt nur noch eine Sammlung von Stimmungen und zeit-räumlich begrenzten
Atmosphären. Die von ihnen entwickelten und propagierten Techniken etwa des Dérive, des
Détournement u.a. dienen dabei der Aufdeckung der wahren Zusammenhänge und Beziehungen in der
Stadt. Wichtig ist dabei die Feststellung, dass diese nicht vorherbestimmt sind!
-
Fig: Constant (New Babylon): das Projekt ist eine Sammlung von Situationen und soll der
Schaffung neuer Situationen dienen. Nach Constant leben wir in einer Welt des Spektakels
und sind nur noch Konsumenten; wir brauchen demnach Situationen, die uns erlauben, diese
Wahrheit zu erkennen. Diese Haltung drückt sich auch in ihren Parolen aus wie: „sous les
pavés, la plage“, oder: „ne travaillez jamais“. Es ist der Aufruf, die Dinge auch heute noch
ändern zu können, also die Ersetzung der Architektur durch andere Maßnahmen, räumlicher
durch politische Handlungen.
Mit der Energiekrise 1973 sind all die verschieden ausgeprägten Träume der Science-FictionArchitekten mit einem mal zunichte gemacht, erneut muss in der Suche nach einer Architektur ein
neuer Anfang gemacht werden.
76
Lecture 11 | The Linguistic Turn
Wie kann Architektur die Menschen erreichen?
Der Status Quo lautet: die Moderne ist tot! Spätestens nach der Energiekrise, die mit dem Beginn der
70er Jahre das Ende der Science-Fiction-Architektur einläutete, suchen die Architekten nach neuen
Leitbildern.
-
Fig: Venturi und Rauch (Trubek & Wislocki Houses): die Architektur zeigt sich in diesen
Jahren mit einer deutlich anderen Positionierung als sie Le Corbusier noch mit seinen 5
Punkten vertrat und eine mehr traditionalistische Sicht auf die Architektur zeichnet sich ab.
Einflüsse bezieht diese Entwicklung u.a. aus der Pop Art wie etwa Richard Hamiltons Just
What Is It That Makes Today’s Home So Different, So Appealing? In dieser Haltung entsteht
unter anderem Learning from Las Vegas (mit Denise Scott Brown und Steven Izenour,
hervorgegangen aus einem Seminar von Scott Brown an der Architekturfakultät in Yale), mit
der zentralen These von der Opposition zweier Archetypen, von Duck und Decorated Shed.
Mit Duck bezeichnet Venturi die Art von Gebäuden, welche vermittels ihrer äußeren Form
ihre Funktion ausdrücken (Donut, Ente …), mit Decorated Shed jene, welche ihre Funktion
durch Zeichen sichtbar machen. Klar ist, dass diese zweite Form die Idee der amerikanischen
Stadt meint, des Strips. Der Stadt, wahrgenommen durch den Schirm der Frontscheibe eines
fahrenden Automobils. Venturi und Brown beschreiben so eine Trennung von Dekoration und
Funktion
-
Fig: Venturi (Fire Station #4): eine Pop Art Intervention organisiert hier die architektonische
Gestalt: die Zahl vier, rotiert um 90° schafft die Fassade
-
Fig: Venturi (Vanna Venturi House aka Mother’s House): (nach Methoden der Formfindung)
Robert Venturis erstes Gebäude, das Haus für seine Mutter (1962) in Chestnut Hill,
Pennsylvania, könnte als eine bewusst widersprüchliche Komposition verstanden werden. Es
repräsentiert eine scheinbar sehr einfache, klassische Architektur, in deren Gestaltung Venturi
aber bewusst „Fehler“ integrierte, was eine eher akademische Annäherung vermuten und das
Gebäude als manieristischen Kommentar lesen lässt. Wir könnten sogar sagen, das Haus ist
das erste Gebäude, das eine direkte Opposition und ein Gegenkommentar zur Moderne ist.
Der Entwurfsprozess ist ausführlich dokumentiert worden. Aus ihm geht hervor, dass der
Architekt nicht abgeneigt war, viele Ideen auszuprobieren: Venturi erstellte insgesamt zehn
völlig unterschiedliche Entwürfe, bis er schließlich bei der Version angelangt war, die
realisiert wurde.
Die Fassade kombiniert ein archetypisches Bild eines Hauses mit Anspielungen auf
ägyptische Pylone, mit barocken Portalen und modernen Fensterbändern. Die Hauptfassade ist
symmetrisch und verfügt über ein, wie es zunächst scheint, gewöhnliches Satteldach und
einen riesigen Kamin, wie man dies bei der Kinderzeichnung eines Hauses erwarten würde.
77
Auf der einen Seite der Fassade befindet sich jedoch ein eher traditionelles quadratisches
Fenster und auf der anderen ein modernes Fensterband, das auch gut zu Le Corbusiers Villa
Savoye passen würde. Der Bogen über dem Eingang deutet allerdings darauf hin, dass es eine
verborgene Affinität geben könnte: Beide Seiten besitzen fünf Fensterquadrate, wobei die
Fenster auf der rechten Seite in einer Längsreihe angeordnet sind, während jene auf der linken
Seite zwei quadratische Konfigurationen aufweisen – eine mit vier, die andere mit nur einem
Fenster. Der Bogen berührt eine der Ecken des einzelnen Fensters und deutet auf der rechten
Seite auf ein nicht vorhandenes Quadrat derselben Größe hin.
In diesem Fall werden die typologischen und morphologischen Bezüge auch geometrisch
kontrolliert. Die Fassade kann in ein Doppelquadrat eingeschrieben werden, das durch die
Seitenwände des Hauses und durch das Volumen des Kamins umrissen wird. Wird die
Diagonale jedes Quadrats nach unten gedreht, um ein Rechteck aus der Wurzel von zwei zu
erzeugen, so ergibt sich daraus die Position der Fenster. Ferner lässt sich die Dachlinie
herleiten, indem zunächst die Diagonale des Doppelquadrats gezeichnet und diese Diagonale
anschließend bis zum Rand des Rechtecks aus Wurzel zwei verschoben wird.
Während die Fassade recht simpel geometrisch entwickelt wird, bietet der Innenraum schon
komplexere Ordnungen. Das Haus darf also als Beispiel gelten für Venturis Standpunkt, wie
er in seiner Schrift Komplexität und Widerspruch entwickelt wird.
-
Fig: Venturi (Football Hall of Fame): die Fassade wird bei Venturi schließlich zum
wesentlichen architektonischen Element im Sinne des Decorated Shed. Folgerichtig
entwickelt er daraus eine Haltung, welche wir als Billboard-Architektur bezeichnen können
und die als Vorbild gelten darf für zahlreiche spätere Gebäude wie etwa die Fondation Cartier
oder das Centre Pompidou
-
Fig; Venturi (Jefferson Monument): letztlich betreibt Venturi mit dieser Haltung die
Reduzierung der Architektur auf die sie wesentlich bestimmenden Elemente, hier sogar die
Reduzierung bis hin zum Diagramm, zum Zeichen eines Hauses. Wichtig wird hier letztlich
die große Idee der Postmoderne, wie auch der Pop Art, mehrere Sprachen gleichzeitig zu
sprechen oder zu zitieren. Das bedeutet, Pop ist nicht bedeutungslos, sondern vielmehr der
Versuch, unter Verwendung bekannter Dinge neue Bedeutung zu stiften.
-
Fig: Gehry (California Aerospace Museum): über dem Eingang ist eine Lockheed F104
Starfighter befestigt und lässt den Besucher so intuitiv die Funktion des Gebäudes erkennen.
Die scheinbar willkürliche Anordnung der baulichen Volumen folgt dabei der Idee eines
durchgehenden Luftraums im Innern, der den einzelnen großformatigen Exponaten ihren
angemessenen Raum gibt.
Andere Architekten und Künstler versuchen, durch den Eingriff in bestehende Strukturen, neue
Zusammenhänge zu schaffen, so z.B. Gordon Matta Clark mit Werken wie Splitting und Office
Baroque
78
-
Fig: Gehry (Gehry House): Gehry betreibt das Gleiche: in der Folge eines Angriffes,
respektive Eingriffes in die ursprüngliche Struktur entsteht durch Addition und Subtraktion
aus einem einfachen Vororthaus etwas völlig anderes. Ein Gegenüber mehrerer Stile und
Ordnungssysteme wird generiert, hier etwa die offen gelegte Konstruktion des Balloon Frame
und der geschaffene offene Innenraum in der Idee des Plan Libre der Moderne
-
Fig: Gehry (Familian House): Der Architekt Douglas Graf operiert mit Diagrammen, die keine
unabhängige Wirklichkeit repräsentieren. Für Graf vermittelt das Diagramm nicht nur
zwischen den Typologien, die die Komponenten einer architektonischen Komposition
bestimmen, sondern auch zwischen den spezifischen Eigenschaften eines bestimmten
Gebäudes und den allgemeinen Eigenschaften, die einen spezifisch architektonischen Diskurs
konstituieren, sowie zwischen der Stasis der Konfiguration und der Dynamik der Operation.
Um zu verstehen, was Graf damit meint, wird an dieser Stelle ein konkretes Beispiel
betrachtet, nämlich seine Interpretation von Frank Gehrys Entwurf für das Familian House
(1978). Graf versuchte nicht, Gehrys Absichten zu ergründen, sondern wollte herausfinden,
auf welche Weise der Bauplan ein Spiel von Zentrum contra Rand und von Offenheit contra
Geschlossenheit bewirkt.
Das Haus besteht aus zwei Hauptelementen, einem quadratischen Pavillon und einem linearen
Riegel. Der Pavillon kann als Zentrum betrachtet werden, das von einem äußeren, durch den
Riegel definierten Rand umrahmt wird. Werfen wir zunächst einen näheren Blick auf diesen
Riegel. Während man sich vorstellen kann, dass eine unendliche Linie aus identischen
Punkten besteht, verhält es sich bei einer endlichen Linie anders, denn diese ist nicht so
homogen: Die Endpunkte der Linie unterscheiden sich von den übrigen Punkten, und
außerdem implizieren die Enden einen Mittelpunkt. Gehrys Riegel erkennt diese
unterschiedlichen, in jeder linearen Struktur vorhandenen Bedingungen an. Er kennzeichnet
den Mittelpunkt des Riegels mit einem Leerraum und lenkt die Aufmerksamkeit auf die
Schmalseiten des Riegels, indem er diese auf sehr unterschiedliche Weise gestaltet:
geschlossen und vollkommen die ein, die andere offen, wenn nicht sogar in Auflösung
begriffen. Der Kontrast zwischen offen und geschlossen wird auch an den Längsseiten des
Riegels wiederholt. Während die dem Kubus zugewandte Seite glatt und geschlossen ist,
verfügt die rückwärtige Fassade über eine Reihe von Elementen, darunter ein Balkon und eine
Treppe, die beide vom Riegel auskragen. Diese auskragenden Elemente definieren eine
Schicht, die im Inneren des Riegels der vom Innenkorridor gebildeten Schicht entspricht.
Gehry suggeriert somit eine symmetrische Anordnung des zentralen Flurs, doch anschließend
destabilisiert er diese Symmetrie. Die Terasse am Ende des Riegels erscheint erneut als die
würfelförmige Baumasse, um die herum neues, weiß ummanteltes Material versammelt wird,
um einen quadratischen Pavillon entstehen zu lassen. Riegel und Pavillon werden durch eine
pentagonale Geometrie in Schach gehalten.
Der Entwurf für das Familian House weist auch eine konsistente geometrische Anordnung
auf, wie man sie bei Gehry eigentlich nicht erwartet. Die scheinbar willkürlichen Winkel der
Brücken und das gedrehte Quadrat stammen von einem regelmäßigen Fünfeck. Werden zwei
79
identische Fünfecke gezeichnet, kann der Pavillon auf den Riegel sowie auf den zentralen Flur
bezogen werden. Die Mittelachse des Pavillons überschneidet sich mit der Mittelachse des
Riegels, sofern die gesamte Ausdehnung des Riegels berücksichtigt wird. Der Flur
korrespondiert mit dem Balkon am Ende des Riegels. Die Breite des Riegels ist im gleichen
proportionalen Verhältnis auch auf dessen Länge bezogen: Die Diagonale der einen Hälfte des
Riegels verläuft parallel zur Seite des Pavillons.
Während der Stil oder die Formensprache des Familian House Gehrys idiosynkratische
Spielart des Dekonstruktivismus widerspiegelt, handelt es sich bei den Themen, die sein
Entwurf anspricht, um zeitlose Grundfragen der Architektur. Graf weist darauf hin, dass
ähnliche Problemstellungen und Lösungen zum Beispiel in der Akropolis von Pergamon zu
finden sind, aber auch in Le Corbusiers Kapelle (1954) in Ronchamp. Die gleichen formalen
Motive, darunter das eines hervortretenden Zentrums, Zweikernigkeit, Rand contra Objekt,
Symmetrie und deren Leugnung, werden bei dem Entwurf in allen möglichen Maßstäben
durchgespielt.
-
Fig: Gehry (Vitra): es wird also klar: Gehry arbeitet nicht willkürlich, sondern typologisch! In
seinem Entwurf für das Design-Museum in Weil am Rhein finden wir im Neun-Quadrat des
Grundriss die Referenz zu Palladio (vgl. Rowe), Gehry, ließe sich nun formulieren, liefert die
Antwort auf Le Corbusiers Frage, wie sich Palladio neu planen ließe
Viele antimoderne Architekten der 60er Jahre haben nach Inspirationen abseits der Ideale der Moderne
gesucht und dabei auch die Kunst mit herangezogen, etwa die metaphysischen Bilder von Giorgio de
Chirico
-
Fig: Rossi (San Cataldo): typischer italienischer Friedhof mit umfassender Mauer, die Räume
zur Aufnahme der Urnen bietet, außerdem Haus der Toten usw. Hier tritt ein recht
romantisches Ideal zu Tage, worin sich letztlich eine weitere Position gegenüber der Moderne
ausdrückt: nicht in der Überhöhung von Alltagsgegenständen im Sinne der Pop Art, sondern
mit der europäischen Konnotation der Kunst und der Reduktion, in dem Sinne, das die
verbleibenden Archetypen das sind, was wir für die Bestätigung unseres Bewusstseins
brauchen. Rossi etabliert damit einen ganz zentralen Gedanken der Postmoderne: ihm zufolge
soll der Architekt nicht neu erfinden, sondern vielmehr helfen, zu erinnern!
-
Fig: Rossi (Teatro del Mondo): wie Venturi strebt auch Rossi nach dem Widerspruch,
versucht, über das Zitat mehrerer Sprachen zu Konflikt und Diskussion zu finden, hier im
Typus des Schlosses als Immobilie, das auf einem Schiff plötzlich mobil wird. (nach
Methoden der Formfindung) Durch Architekten wie Aldo Rossi kam es in den 60er Jahren zu
einer Wiederbelebung der Typologie als Entwurfsmethode. Rossi hatte eine Vorliebe für
extrem reduzierte strukturelle und räumliche Typen, die auf vernakuläre und klassische
Traditionen zurückgehen. Er behauptete, dass sie einen Bezug zur Umgebung herstellen und
das kollektive Gedächtnis der Gemeinschaft verkörpern. Rossi bestand immer darauf, dass
Typen bloß gedankliche Konstrukte und niemals mit den physischen Formen von Gebäuden
80
identisch seien. Trotzdem verwendete er bei seinen Gebäuden Grundtypen in einer sehr reinen
Form, ungeachtet der Größe oder Funktion des jeweiligen Objekts. So findet sich die Form
eines achteckigen Turms nicht nur bei einer Sekundarschule (1970) in Broni, Italien, und bei
einer von ihm für Alessi entworfenen Kaffeekanne (La Conica, 1982), sondern auch bei
Rossis berühmtem Theaterboot, dem Teatro del Mondo (1979) in Venedig.
-
Fig: Hollein (Abteiberg): wie für die ganze Postmoderne ist auch für Hollein das Zitat typisch
(vgl. Verkehrsbüro). Er selbst liefert eigentlich keine originären Beiträge, aber die
Zusammenschau, das Zitieren selbst darf durchaus als originär in sich gelten!
Das zentrale Leitmotiv der Postmoderne ist also die Einsicht, dass wir die Architektur ebenso wenig
wie die Sprache neu erfinden, sie lediglich immer neu kombinieren können, um so ein neues Ganzes zu
schaffen, neuen Sinn zu stiften!
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Fig: Stirling (History Library): noch modern, aber eigentlich schon ein reines Zitat von
Industriearchitektur (Vorhangfassade …), einer Architektur, die sich eher weniger für die
Aufbewahrung von Büchern und das Lesen eignet. Im Prinzip liefert Stirling damit den
Beweis, den die Postmodernisten brauchten um ihre zentrale Aussage zu belegen, wonach
diese Architektur (die moderne) genauso symbolisch und wenig funktional begründet sei wie
jede andere!
Es muss klar sein, dass dies alles eine sehr akademische Diskussion war. Für den Laien lässt sich die
Idee der Trennung von Form und Funktion oder der Trennung von Dekoration (Billboard) und
Funktion kaum nachvollziehen. Dies sollte denn auch der Ansatz für die Postmodernisten sein, mit
verschiedenen Sprachen und Zitaten zu arbeiten, um so letztlich eine objektivierte Sicht auf, ein mehr
intuitives Verständnis von Architektur zu provozieren.
-
Fig: Stirling (Staatsgalerie): die Idee ist, zum schnellen Verständnis eine Vielzahl
verschiedener Zitate, in diesem Fall zwei Grundtypologien,
zu collagieren, um ein
unentscheidbares Ganzes zu produzieren. So will Stirling etwa erreichen, dass die Galerie
unmittelbar als Museum erkannt wird. Und so geht die Entwurfsgestaltung – eine Rotunde
innerhalb eines rechteckigen Grundrisses – einerseits auf den Museumstyp zurück, den Karl
Friedrich Schinkel mit seinem Alten Museum (1823-30) in Berlin eingeführt hatte; die entlang
der Frontseite der Staatsgallerie gepflanzten Baumreihen reproduzieren die ionische
Kolonnade des Schinkel’schen Museums. Andererseits verweisen die Rampen, die Stirlings
Gebäude mit der Straße verbinden, auf einen anderen Typ, wie er sich zum Beipiel im
Terrassentempel der Fortuna Primigenia (um 80 v. Chr.) in Paletrina manifestiert. Deutlich
wird darüber hinaus das Bestreben, diese Haltung nicht nur als akademische Diskussion zu
betreiben (die Verwandtschaft im Grundriss wird dem Laien wohl wiederum kaum auffallen),
was sich unter anderem in der plakativen Verwendung von Säulenordnungen ausdrückt.
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Die Verwendung formeller Zitate muss dabei keineswegs notwendigerweise bis ins Altertum
zurückführen. Die Gruppe der New York Five beispielsweise beruft sich in ihrer Architektur auch auf
Le Corbusier (Grundriss, Pilotis, weiße Wand etc.)
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Fig: Meier (Kunstgewerbemuseum): Dabei zeichnen postmoderne Architekten gerne auch
abstrakte Diagramme von der Morphologie des Ortes, man spricht von Kontextualismus. So
sind die baulichen Elemente hier reine Moderne (Geländer, Rampen…), aber Meier zitiert
auch die Architektur der Bestandsvilla. (nach Methoden der Formfindung) Richard Meier
entwickelte seinen Entwurf für das Frankfurter Museum für Kunsthandwerk (1980-84) auf
eine abstrakte Weise aus dem Bauplatz. Sein Ausgangspunkt war eine Villa aus dem 19.
Jahrhundert, die er als Modul verwendete, um ein 4x4-Raster zu definieren. Aus diesem
Raster isolierte er dann die Eckquadrate, um einen „Castello“-Typ zu schaffen, bei dem das
alte Gebäude einer von vier „Ecktürmen“ ist. Die Ecken lassen auf zwei Hauptachsen
schließen, die Meier als Gehwege definierte, welche ein Vierquadrat bilden. Die Anordnung
ist jedoch reichhaltiger und ambitionierter, als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Das neue Gebäude bildet eine L-Form und damit ein besonderes Objekt, welches die alte Villa
umrahmt. Diese L-Konfiguration kann als Grund dafür angesehen werden, dass die beiden
Hauptachsen vom Zentrum nach Südosten verschoben werden. Es gibt jedoch noch andere
Zentren, die ebenfalls die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das zweite besondere Element ist
der Hof, der die Eingangsachse abschließt. Das Innere der Kolonnade hat die Breite des
Moduls und ist von Wandelgängen umgeben, die den offenen Raum erweitern. Die Breite des
Hofes entspricht einem Drittel der Breite des Gebäudes, was darauf hindeutet, dass der offene
Raum ein Fragment einer Neunquadrat-Konfiguration sein könnte, mit dem leeren Quadrat,
artikuliert als Hof, im Mittelpunkt des Komplexes. Das dritte spezielle Element besteht aus
den runden Fragmenten, die den Museumseingang bilden.
Werden die Fragmente zusammengesetzt, entsteht ein Kreis, der dem ursprünglichen Raster
entspricht. Die Fragmentierung erfolgt aus zwei Drehungen des Rasters in Anlehnung an den
Lauf des Mains (Schaumankai).
Die New York Five mit Meier nutzen die Formen Le Corbusiers im Sinne der Postmoderne!
Die New York Five waren stark beeinflusst durch die Theorien der Gruppe der Texas Rangers mit
ihren bekanntesten Vertretern Collin Rowe und Robert Slutzky und deren Essay Transparenz (OT:
Transparency: literal and phenomenal), welche eine Suggestion von Tiefe durch Repetition
propagierten
-
Fig: Graves (Snyderman): wir sehen eine ähnliche Haltung wie bei Meier: auch hier wird eine
recht komplexe Organisation geschaffen durch Ableitung (16-Quadrat), wodurch eine
Skelettstruktur entsteht, die erst die Tiefe erzeugt, die für Rowe und Slutzky so wichtig war
und die sie als „Transparenz“ bezeichneten (im Gegensatz zu Giedion, für den Transparenz
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(ganz im Sinne der Moderne) eine vornehmlich materialhafte Eigenschaft war, was er
insbesondere am Werkstattflügel des Bauhauses zu Dessau beobachtet haben wollte)
John Heijduk geht noch einen Schritt weiter und entwickelt seine Architektur derart, dass sich ihre
Pläne als eine Art Erzählung lesen lassen und führt somit einen wesentlichen Gedanken eigentlich
konsequent zu Ende: wenn alles, im Sinne eines umfassenden Kulturbegriffes als Zeichen darstellbar
und auf Zeichen zurückzuführen ist, müssen die Dinge letztlich als Erzählung enden
-
Fig: Eisenman (Biozentrum): auch Eisenman geht vom Zitat Le Corbusiers aus, führt aber
zusätzlich die Idee des Prozessentwerfens unter der Verwendung von Diagrammen ein. Was
dabei entsteht, ist eine recht simple Übersetzung von Diagrammen, aber auch eine räumlich
komplexe Architektur.
Architektur ist also ein System von Zeichen. Was in dieser Feststellung bereits enthalten ist, ist die
zentrale Rolle des Problems der Vermittlung von Architektur. In der manieristischen Spätphase der
Postmoderne ist Architektur zwar immer noch ein System von Zeichen, doch geht es jetzt nicht mehr
um die Mitteilung der Funktion von Architektur, sondern um die Mitteilung der Nichtvermittelbarkeit
von Architektur. Man sucht wieder eine gewisse avantgardistische Entfremdung. Peter Eisenman hat
mit noch rigoroseren und komplexeren Entwurfsmethoden experimentiert. Genau genommen hat er für
jedes seiner Projekte eine neue Methode ersonnen, die sich nicht nur mit formalen Fragen befassten,
sondern auch nicht architektonische Informationen berücksichtigen
Das erste große dekonstruktivistische Gebäude, das realisiert wurde, das Wexner Center (1983-89) von
Eisenman und Richard Trott, unterminiert die gängigen Vorstellungen von Kontextualismus durch den
Einsatz von „Superposition“ und „Scaling“. Es reagiert nicht auf seine Nachbarn, die Gebäude auf dem
Campus der Ohio State University, sondern vielmehr auf räumlich oder zeitlich weit entfernte
physische Gegebenheiten – etwa so wie Moscheen, die nach Mekka ausgerichtet sind. Eisenman zitiert
zwei verschiedene Grids und legt diese dem Entwurf als Diagramm zugrunde. Während die formale
Lösung des Wexner Centers auf dem um 12 ¼° verschobenen Straßenraster der Stadt Columbus
basiert, das in das Raster des Universitätscampus eingeführt wird, werden Standort und Hauptachsen
des Gebäudes eindeutig von dem mehrere Straßenblocks entfernten Football-Stadion bestimmt. Es gibt
sogar einen Bezug zu einem Ort, der 130km westlich von Columbus liegt: Am nördlichen Ende des
Baugeländes wird die komplexe, aber rationale Kollision der beiden Raster durch eine Nachbildung
der, wie Eisenman es nennt, Greenvill Trace konzipiert. Diese ist eine Verformung im Jeffersonian
Grid, welches die gesamte Fläche der Continental United States ab 1784 als Prinzip demokratischer
Landaufteilung überziehen und somit der Besiedelung des Landes als Abstraktion vorausgehen sollte,
die entstand, weil sich die beiden Landvermessertrupps, die das Territorium von Ohio aus
entgegengesetzten Richtungen kartierten, um anderthalb Kilometer verfehlten. Selbst wenn Eisenman
auf dem Baugelände ältere Gebäude imitiert, sind die Bezüge zeitlich entrückt: Die postmodernen
Türmchen empfinden die Formen des „Old Amory“ nach, einer Turnhalle, die 1958 abgerissen worden
war. Diese unterschiedlichen Materialien werden in diagrammartigen Zeichnungen festgehalten, die in
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vier unterschiedlichen Maßstäben dupliziert und übereinandergelegt werden, um ein komplexes
Gewebe zu erzeugen. Aus dieser zusammengesetzten Zeichnung wählt Eisenman dann einige Linien
aus, um Fragmente der Originalzeichnungen anzudeuten. Gleichwohl er das Moment des Zufalls in
dieser Art des Entwurfsvorgehens anerkennt, versucht er stets, Herr des Prozesses zu sein.
-
Fig: Eisenman (Cita de la Cultura): Eisenman verfolgt die Idee einer großen automatisierten
Entwurfsmethode, hier als Ableitung aus der Karte
Im MOMA gab es 1988 unter der Leitung von Philip Johnson und Mark Wigley eine Ausstellung mit
dem Titel „Dekonstruktivistische Architektur“ aus der die gleichnamige Bewegung zwar nicht
hervorging, die aber wesentlich zu deren Erfolg und ihrer Verbreitung beitrug. Auch die
Dekonstruktivisten befassen sich in ihrer Arbeit mit der Geschichte, jedoch nicht nur im Sinne der
Revision wie die Postmodernisten. Vielmehr wird im Zerlegen und neu konstruieren auch ein Abbild
aktueller gesellschaftlicher Zustände beschrieben. Ihre philosophische Begründung finden die Ideen der
Dekonstruktivisten in den Schriften Jacques Derridas, der auch konkret an Projekten mitwirkte, so etwa
am Park La Villette mit Bernhard Tschumi. Nach Derridas kann keine Bedeutung jemals fest oder ein
für allemal entscheidbar und kein System jemals geschlossen oder rein sein. Bedeutung hat demnach
keine originäre Quelle.
-
Fig: Hadid (Peak Club): ähnlich den Postmodernisten arbeitet Hadid mit der Methode des
Zitats, entwickelt daraus in der Folge jedoch eine höhere Komplexität (vgl. z.B. die
Architekturfantasien von Chernikov)
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Fig: Coop Himmelb(l)au (Falkestrasse): scheinbar improvisierte Konstruktion, die eine sehr
komplexe Form erlaubt. Die Architekten betreiben bewusst die Dekonstruktion von Typologie
-
Fig: Libeskind (Jüdisches Museum): Libeskind gibt an, das Gebäude sei abgeleitet aus der
Analyse der Wohnorte jüdischer Intellektueller im Berlin der 30er Jahre. Tatsächlich scheint
der Anlass aber in früheren eigenen Arbeiten zu liegen (vgl. Installation 1983 oder Michael
Heizers Land-Art-Projekt Rift, der ersten der Nine Nevada Depressions, 1968). Die Form ist
letztlich nicht so frei wie sie scheint, sondern eher abgeleitet; etwa aus gewissen Ideen der
barocken Architektur des Bestandsgebäudes, als dessen Erweiterung das neue Museum zuerst
betrachtet wurde, z.B. das Prinzip einer radialen Organisation.
(nach Methoden der Formfindung) Die Kunst des Barocks betonte häufig Diagonalen und
strahlenförmige Anordnungen. Dementsprechend legte Libeskind sein mäanderndes Gebäude
so an, dass viele seiner Seitenmauern auf die rückwärtige Fassade des Altbaus zulaufen. Auch
die unterschiedlichen Breiten des neuen Museums korrespondieren mit oder ohne Korridore
mit den Flügeln des alten Gebäudes. Der E.T.A.-Hoffmann-Garten weist in Libeskinds
Entwurf exakt die Ausmaße des Hofes im Altbau auf. Die Komposition beinhaltet auch eine
Achse, die das neue Museum an mehreren Stellen durchschneidet und einen leeren, für das
Publikum nicht zugänglichen Raum, den Void, erzeugt. Jene Segmente der Achse, die sich
nicht innerhalb des Museums befinden, erscheinen als deplatzierte, freistehende Baukörper.
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Libeskind betreibt also einen dekonstruktivistischen Kontextualismus.
-
Fig: Libeskind (Ground Zero): ähnlich wie in Berlin, leitet Libeskind die Form seines
Masterplans aus verschiedenen Einflüssen der Umgebung ab („Memory Foundations“,
„Heroes Lines“, „Wedge of Light“). Mit dieser Haltung verbindet sich die Hoffnung, durch
die starke Emotionalisierung würden die Menschen die Formen in ihrer Symbolik intuitiv
erfahren und verstehen. Libeskind steht somit trotz seiner dekonstruktivistischen
Formensprache in der Tradition der postmodernen Überlegungen zur Vermittelbarkeit von
Architektur. Leider, wie der New Yorker Architekt Eli Attia demonstrierte, war Libeskind in
der Herleitung seines Entwurfs aber nicht sehr umsichtig. Insbesondere die Idee des „Wedge
of Light“ hätte demnach nie funktionieren können. Die „Wedge of Light“ getaufte Plaza sollte
nach dem Willen der Entwerfer an jedem 11. September zwischen 8:46 und 10:28 morgens
mit purem Sonnenschein beschenkt werden, exakt in dem Zeitraum zwischen dem ersten
Einschlag im Tower One und dem kompletten Zusammenbruch nach dem Einsturz von Tower
Two. Unglücklicherweises übersah Libeskind dabei das Millenium Hilton Hotel unmittelbar
östlich des WTC. Sein Schatten würde Libeskinds Vision an jedem 9/11 in Dunkelheit hüllen.
Versehentlich wiederholt Libeskinds Entwurf so the dekonstruktivistische Kritik an der
Postmoderne: Kommunikation findet nicht wirklich statt, Architektur ist keine Sprache.
Der wesentliche Anlass und Stoff der Postmoderne ist die Krise der Kommunikation. Zunächst geht es
dabei um die Kommunikation zwischen Architektur und Mensch, also dem Verständnis von
Architektur durch ihre Nutzer; schließlich um die Eliminierung der Autorschaft, also dem Verhältnis
von Architekt und Laie. Automatisierte Prozesse sollen die Hand des Architekten negieren, um so die
Architektur objektiv verständlich zu machen. Diese Objektivität ist Voraussetzung dafür, dass
Architektur letztlich tatsächlich Gesellschaft abbilden kann.
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86
Lecture 12 | Architektur fürs Empire
Wie verändert die Glabalisierung die Architektur?
Im Februar 2008 veröffentlichte Daniel Libeskind ein Statement, wonach er nicht für totalitäre Regime
arbeiten würde und forderte auch von seinen Kollegen mehr ethisches Verantwortungsbewusstsein
(offensichtlich als Antwort auf die Bekanntgabe von Zaha Hadid als Architektin des Kulturzentrums in
Baku). Die projektive Praxis einiger Architekten von Heute (Hadid, Koolhaas…) unterscheidet sich
also von der kritischen Praxis früherer Tage (Eisenman…) wonach der Architekt immer auch
gesellschaftskritisch sein soll und muss. Gleichwohl Hadid in Azerbaijan für den totalitären Regenten
Ilham Aliyev baut, ist der berühmteste Vertreter der projektiven Praxis Rem Koolhaas.
-
Fig: Koolhaas/ OMA (Prada NY): Shopping, so Koolhaas, ist die letzte gesellschaftliche
Tätigkeit, die uns noch bleibt. Als Konsequenz dieser Beobachtung beschreibt Koolhaas das
Branding, die Quintessenz also aus den Forderungen nach Identität (Mensch) und
Serialisierung (Markt). Koolhaas nutzt diese Idee bis hin zur Entwicklung einer beliebig
erweiterbaren Flagge der EU in Gestalt eines farbigen Barcodes.
-
Fig: Koolhaas/ OMA (CCTV): deutlich ist der Anspruch, eine Form zu schaffen, die
einzigartig ist, die nicht dupliziert werden würde, um den Alleinstellungsanspruch des Senders
zu unterstreichen (anders z.B. als ein einfacher Wolkenkratzer, bei dem es nur eine Frage der
Zeit wäre, bis es einen höheren gäbe). Das Prinzip des Branding ist hier essentiell.
Wir könnten sagen, bei Koolhaas ist die expressionistische Idee einer Stadtkrone direkt ins 21.
Jahrhundert geholt, etwas abgemildert: Koolhaas verfolgt hier die Strategie von Landmark-Architektur.
Das gleiche Motiv finden wir bei anderen Projekten, etwa Ras al Khaimah, Waterfront City Dubai,
Hafencity Hamburg, alles sind kugel- oder kreisförmige Gebäude, die eigenständige Landmarks sein
sollen. Wohl ob der offensichtlichen formellen Ähnlichkeit argumentiert Koolhaas nun, Kugel und
Riegel seien universelle Symbole (vgl. Death Star, Harrison: Trylon and Perisphere, Leonidov: Lenin
Institute
-
Fig: Koolhaas/ OMA (Zeebrügge): Terminal als Zitat des Globe Tower auf Coney Island
(diskutiert durch Koolhaas in dessen Delirious New York). Hier wird die Tradition der
Panoramen (Robert Barker) deutlich und die Form des Panopticons (Jeremy Bentham) zitiert
… vgl. CCTV – These premises are under surveillance … das CCTV ist offensichtlich ein
Gebäude, das der Propaganda eines Regimes dient.
Entgegen dieser Kritik argumentiert Koolhaas, das CCTV sei ein Beispiel für das, was er Bigness
nennt. Nach Koolhaas steckt in der Größe eines Gebäudes auch eine Form der Freiheit, in dem Sinne,
dass sie Raum für das Unerwartete gebe. Damit löst das CCTV frühere Ideen Koolhaas’ ab, den
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Typical Plan und den Wolkenkratzer: die Gleichförmigkeit von Fassade und Plan erlaube demnach, in
einem Wolkenkratzer jede beliebige Funktion unterzubringen und so unerwartete Ereignisse zu
kreieren. Koolhaas behauptet, der große Maßstab erlaube, neue Ideen zu generieren; ab einer gewissen
Größe würden unerwartete spannende Ereignisse auftreten.
Doch auch diese Idee ist nicht neu, sondern geht auf Le Corbusier und dessen Text Bolshoi … or the
Notion of Bigness von 1933 zurück. Diese Anlehnung ist indes kein Zufall, Koolhaas versucht recht
deutlich, sich als neuer Le Corbusier zu etablieren. Weitere Ähnlichkeiten finden im Thema der Leere
(the Strategy of the Void, eingeführt im Projekt für Melun-Senart), die Idee, man müsse zunächst
wegreißen, Leere schaffen, um Neues zu erzeugen. Die Leere ist der Bigness insofern verwandt, als
beide neue Ereignisse erzeugen sollen. Koolhaas geht dabei sogar bis zu den zensierten Bereichen
japanischer Pornographie zurück und beschreibt Bigness als etwas, das "sustains a promiscuous
proliferation of events in a single container" through its "rigidity." And "like plutonium rods that [are]
more or less immersed;" "Bigness fucks context", until "a kind of liquefaction" follows and "elements
react with each other to create new events" that connect "with a web of umbilical cords to other
disciplines.“
-
Fig: Koolhaas/ OMA (Euralille): ob die Idee von Bigness hier erfolgreich prüft, ist zumindest
fragwürdig, aber: die formale Verwandtschaft (oder wenigstens das Selbstverständnis dieser)
zu Le Corbusiers Carpenter Center ist deutlich
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Fig: Koolhaas/ OMA (Villa dall’Ava): wie bei den Postmodernisten ist dieses Projekt eine
Sammlung von Zitaten, eine Neuordnung wesentlicher Ideen und Elmente der Villa Savoye.
(nach Methoden der Formfindung) Werden ältere architektonische Werke aufgenommen, ist
es wichtig, diese zu transformieren, anstatt die vertrauten Bestandteile lediglich nachzuahmen.
Mit der Villa dall’Ava (1991) bei St. Cloud nahe Paris demonstrieren Rem Koolhaas und
OMA eine andere Art des Umgangs mit einem Vorläufer. Herausgefordert, ein Meisterwerk
zu schaffen, entschloss sich Koolhaas, eine architektonische Vorlage zu bearbeiten, in diesem
Fall Le Corbusiers Villa Savoye (1930) im benachbarten Poissy. Wie die frühere Villa
veranschaulicht auch Koolhaas’ Gebäude Le Corbusiers „fünf Punkte“ einer neuen Baukunst:
„Pilotis“ (Stützen), „freier Grundriss“, „freie Fassade“, „Fensterbänder“, sowie einen
„Dachgarten“. Bei Koolhaas’ Gebäude werden diese Elemente jedoch in Form von
Fragmenten umgruppiert. So taucht ein Segment der gebogenen Glaswand, die sich im
Erdgeschoss der Villa Savoye befindet, in der Villa dall’Ava wieder als Innenwand der Küche
auf. Le Corbusiers Villa hat einen beinahe quadratischen Grundriss, während Koolhaas’
Variation auf einem dem Goldenen Schnitt entsprechenden Raster basiert, das – nach dem
Prinzip der Ordnungslinien von Le Corbusier – viermal unterteilt wurde, um die Dimensionen
der auskragenden Gebäudeflügel zu bestimmen. Gleichzeitig transformiert Koolhaas die
zitierten Elemente: Aus dem Dachgarten wird ein Swimmingpool. Der auf abstrakte Weise
geometrische Stuckputz weicht Fassaden aus Wellblech; und die Pilotis unter dem östlichen
Schlafzimmer verletzen die strukturelle Logik von Le Corbusiers Maison Domino (1914). Die
Umwandlung der Villa Savoye ergibt einen Sinn, denn Le Corbusiers Villa war, wie schon
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erwähnt, in vielerlei Hinsicht selbst eine Transformation eines früheren Bauwerks, nämlich
der von Palladio entworfenen Villa Rotonda in Vicenza. Bei der Villa dall’Ava wird das
Beispiel aus der Vergangenheit in vielerlei Hinsicht umgewandelt, wobei manche
Transformationen abstrakter und andere offenkundig eher direkte Zitate des Vorläufers sind.
Das ganze resultiert in einem Entwurf, der eine historische Dimension andeutet.
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Fig: Koolhaas/ OMA (Maison à Bordeaux): die (formale) Anlehnung an Le Corbusier ist von
Koolhaas durchaus offen betrieben. OMAs Maison Lemoin (1998) in Floirac, nahe Bordeaux,
kann ebenfalls als eine Variation der Villa Savoye angesehen werden. Während Le Corbusier
bei der Villa Savoye das Renaissance-Prinzip einer Massivwand im Erdgeschoss und frei
stehender Säulen im oberen Stockwerk, dem „Piano nobile“, umkehrte, stellt Koolhaas bei
seinem Haus in Bordeaux den Entwurf von Le Corbusier auf den Kopf: Das Erdgeschoss liegt
unter der Erdoberfläche, das „Piano nobile“ ist eine Ganzglaskonstruktion, und die klassische
„Corona aedificii“ ist ein massiv wirkender, in der Luft schwebender Block. Gleichzeitig führt
Koolhaas in sein Werk (sicher auch in Anlehnung) das Prinzip der Infrastruktur, der
Verkehrszonen eines Gebäudes als dessen zentrales Thema ein; hier der raumgreifende, offene
Fahrstuhl.
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Fig: Koolhaas/ OMA (Niederländische Botschaft): das „Trajekt“, der Erschließungsgang, gibt
dem Kubus seine innere Logik und äußere Form. Diese promenade architecturale ist natürlich
nicht Koolhaas’ Idee, sondern geht auf Le Corbusier zurück.
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Fig: Koolhaas/ OMA (Jussieu): für die Idee der Erschließung der vielleicht programmatischste
Bau. Zwar wäre diese Lösung funktional kaum machbar und mindestens feuerschutztechnisch
eine Katastrophe, aber als Konzept ist sie konsequent (basierend auf Le Corbusiers Pavillon
d’Esprit Nouveau auf der Pariser Ausstellung 1937).
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Fig: Koolhaas/ OMA (Casa da Música): zwei Konzertsäle sind, akkustisch sinnvoll, als simple
Rechteckboxen entworfen, um die herum die dienenden Räume als Restvolumen zwischen
Box und kristalliner Hülle geformt werden (wodurch fast expressionistische Situationen
entstehen, vgl. etwa Schwitters Merzbau). Die Casa hat keinen kontextuellen Bezug,
wenngleich sie so organisiert ist, dass der Kontext einbezogen wird. Eigentlich ist dieses
Konzept für ein Wohngebäude entwickelt worden, das jedoch nicht ausgeführt wurde –
zumindest nicht durch OMA und Koolhaas selbst, aber in ähnlicher Form durch Johnston
Marklee Associates mit ihrem Hill House (2004) in Pacific Palisades bei Los Angeles.
Koolhaas war mit seiner Idee von Branding offenbar so erfolgreich, dass er selbst zur Marke wurde. In
diesem Zusammenhang sind natürlich auch andere, etwa Frank Gehry, Coop Himmelb(l)au zu nennen.
Für alle gilt aber: Eine Marke, ob sie nun für einen Architekten oder ein Produkt steht, muss mehrfach
wiederholt werden um wieder erkennbar zu werden und so gleichen sich viele Gebäude dieser
Architekten auf fast verdächtige Weise (siehe Gehry: Bilbao und Disney; Coop: Musée des
Confluence, BMW Welt). Die Idee, dass besondere Architektur einen Standortvorteil bedeuten kann,
seit dem Guggenheim als Bilbao-Effekt bekannt, bedeutet dabei zusehends eine Architektur des
Spektakels und des Entertainments. Selbst so konservative Bewegungen wie die New Urbanists
89
scheinen sich dieser Entwicklung zu beugen und haben ihren Civic Art Award 2005 Gehry’s Disney
Concert Hall zugesprochen. Das Thema des Branding, somit die Repräsentationsfunktion von
Architektur, beschäftigt natürlich insbesondere Firmen und so wundert es kaum, dass einige der
ikonographischsten Bauten von großen Konzernen gebaut sind und zuletzt ein regelrechter Wettbewerb
deutscher Autobauer um die spektakulärste Vertretung stattfand (Coop: BMW Welt; Hadid: BMW
Fabrik; UN Studio: Mercedes Benz Museum; Delugan Meisl: Porsche Museum; Henn: Gläserne
Manufaktur). Zaha Hadid und ihr Partner Patrick Schumacher nehmen dafür sogar eine gewisse
akademische Relevanz in Anspruch, nennen es Parametrie und meinen damit eine gewisse
halbautomatische Entwurfsgenerierung.
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Fig: NOX (Water Pavilion): Ableitung aus gewisser Analyse von Wassertropfen. Wichtiger
aber, ähnlich wie bei Koolhaas die Wiederholung der Grundriss und die Idee von Bigness,
sollen nun die gekurvten parametrisch generierten Flächen gewisse Ereignisse provozieren.
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Fig: FOA (Yokohama): Das Prinzip der Parametrie wurde bereits am Beispiel von Gaudís
Hängemodell für die Krypta der Colonia Güell erläutert. (nach Methoden der Formfindung)
Während Gaudís Hängemodell eine Möglichkeit zur Bestimmung der optimalen Konstruktion
für eine gegebene Plantypologie darstellt, konzipierten die Foreign Office Architects (Farshid
Moussavi und Alejandro Zaera-Polo) ihren Entwurf für das Hafenabfertigungsgebäude (19962001) in Yokohama als eine Interaktion zwischen drei Faktoren: Programm, Umgebung und
Eigenschaften der Baumaterialien. Da das Gebäude ein Terminal für Schiffe sein sollte,
interpretierten die Architekten das Programm des Gebäudes weitgehend im Sinne seiner
Erschließung. Meist ist ein Transportabfertigungsgebäude ein Tor für Ankunft und Abreise,
doch Moussavi und Zaera-Polo wollten ein Bewegungsfeld ohne eindeutige Orientierung
definieren. Sie separierten die Erschließung für Fußgänger, Autos, Lastwagen usw. und gaben
jeder dieser Verkehrsarten die Form einer Schleife.
Ein weiteres Anliegen der Architekten bestand darin, eine Mischform aus Schuppen und Pier
zu schaffen, indem sie die Horizontalebene so bearbeiteten, dass diese auch Räume
umschließen konnte. Auf diese Weise wurden die Formen des ursprünglichen Piers gleichsam
gefaltet, um ein mehrgeschossiges Gebäude zu erschaffen, das organisch aus dem Boden zu
wachsen scheint. Die dritte Aufgabe bestand darin, die baulichen Möglichkeiten der
gewählten Materialien, Beton und Glas, zu untersuchen. Dabei ging es vor allem um die
Frage, welche Spannweiten und Auskragungen möglich waren.
Gleichzeitig schafft diese Ableitung des Gebäudes aus den Verkehrsflächen letztlich auch eine
gewisse Ästhetik und Ornamentik.
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Fig: Toyo Ito (Mikimoto/ Tod’s): Konstruktion ist hier gleichzeitig eine Form des Ornaments
Ornament ist also offenbar auch ein Thema der Gegenwartsarchitektur
-
Fig: HdM (Eberswalde): Fassadengestaltung mit Drucken von verschiedenen Kunstwerken
(Warhol) und Photos
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Fig: HdM (Schützenmattstrasse): Gullideckel als Vorlage für Fensterläden (vgl. Loos:
Michaelerplatz). Im Prinzip behelfen sich Herzog & de Meuron hier mit der Verwendung von
Readymades
-
Fig: HdM (Dominus Vinery): Verwendung des Vorgefundenen und dessen folgender
Verfremdung. Das Bild der Stützmauer, die Charakteristik des Steins wird hier negiert, indem
dieser z.B. als Balken ausgeführt wird
-
Fig: Zumthor (Vals): auch Peter Zumthor ist an dieser Etablierung des Vorgefundenen
interessiert, allerdings ohne jede Ironie. Was entsteht, ist eine bewusste Inszenierung örtlicher
Qualitäten, das Ziel hier die Schaffung von Atmosphäre
Die Ideologie der Zeit lässt sich, auf Koolhaas bezogen, zusammenfassen: ¥€$ … Die Idee von Logo
und Branding wird heute erweitert auf der Ebene des Städtebaus (Palmeninseln…). Wir sehen eine
Form der visuellen Stadtplanung, deren wesentliches Element, ihre Form im Plan, überhaupt nur im
Logo zu erkennen ist. Einen Städtebau also für Investoren, nicht mehr für Nutzer und Bewohner. The
World in Dubai ist das vorerst irrwitzigste Projekt, die ultimative Gated Community, die für jedes Haus
eine eigene Insel bietet und so das heraufbeschwört, was Thom Mayne als „connected isolation“
bezeichnet.
Was also ist die Zukunft der Architektur in der Postglobalisierung? Die Modernisten strebten nach
sozialer Emanzipation durch fortschrittliche Technologie und progressive Architektur. Die
Postmodernisten versuchten, die verschiedenen sozialen Gruppen der Gesellschaft zu erreichen,
Architektur bedeutend zu machen nicht bloß für die Führer, sondern für die Vielfalt an Subkulturen, die
heute jede entwickelte Gesellschaft ausmachen. Die projektiven Praktiker wollen Profit machen für
ihre Investoren und erhalten gute Aufträge, weil sie damit erfolgreich sind. Aber reicht das aus? Oder
ist die projektive Praxis, mit ihrem Schwerpunkt auf apolitischen Themen wie Ornament, Atmosphäre
und Stimmung nichts weiter als die architektonische Entsprechung einer höchst skrupelosen Form
neokonservativer Politik, die Architektur für George W. Bush?
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