Prof. Dr. Kari Juhani Jormakka Professur Theorie und Geschichte der modernen Architektur Bauhaus-Universität Weimar Notizen zur Vorlesungsreihe „Architekturgeschichte“ Nur zur indiduellen Vorbereitung auf die Prüfung! © 2009, Professur Theorie und Geschichte der Modernen Architektur, Bauhaus-Universität Weimar Prof. Dr. Kari Jormakka Assistenz: Michael Kraus Druck: ReproCenter Weimar Sämtliches Material dient Lehrzwecken und ist nicht zur Vervielfältigung freigegeben. Zur Geschichte der modernen Architektur Prof. Dr. Kari Jormakka Notizen zur Vorlesung NB: die folgenden Notizen sind lediglich eine work in progress und in aller Eile zusammengefügt. Ich begrüße jede Form von Hinweisen and Kritik, die helfen, in den kommenden Semestern ein besseres Skript zur Verfügung stellen zu können. Lecture 1 | Das Unbewusste Ist die moderne Architektur ein Produkt der neuen Materialien und Konstruktionstechniken, wie viele Historiker behaupten, oder gibt es andere Kräfte, die der Modernität zugrundeliegen? In seinem Buch Bauen in Frankreich (1928) schreibt Sigfried Giedion: „Die neuen Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts zeigten sich viel klarer in seinen Konstruktionen als in seiner Architektur. Während jener Zeit spiegelte die Konstruktion das Unterbewusstsein der Architektur und enthielt Dinge, die sie ankündigten und zum Teil offenbarten, lange bevor sie Wirklichkeit werden konnte.“ Mit dieser Formulierung versuchte Giedion an die zu seiner Zeit moderne Psychoanalyse Sigmund Freuds anzuschließen. Nur fünf Jahre früher hatte Freud zwischen drei Elementen oder Instanzen in der menschlichen Psyche unterschieden: dem Es, dem Ich und dem Über-Ich. Das Ich entspricht unserem Selbstbewusstsein, unserem Gewissen, unserem rationalen und bewussten Denken und Handeln. Das Ich ensteht aber aus dem Es, und wird auch später durch das Es beeinflusst und teilweise gesteuert. Das Es tritt dabei an die Stelle des Unbewussten und bildet das triebhafte Element der Psyche. Das ÜberIch bezeichnet jene psychische Struktur, welche die sozialen Handlungsnormen beinhaltet und die triebhaften Impulse des Es zu verdrängen sucht. Diese Verdrängung aber kann zu Neurosen und sogar Psychosen führen. In der Sichtweise Giedions würde ein technologischer Determinismus das Unterbewusstsein der Architekturentwicklung darstellen, wobei er mit der Begrifflichkeit des Unterbewusstseins gleichzeitig eine gewisse Dynamik suggerieren will. Das Es wäre so das dynamische Element, das im Gegensatz zum Kontrollmechanismus des Über-Ich stünde, das die gesellschaftlichen Vorstellungen, das was angemessen ist, darstellt. Das Über-Ich wäre in Giedions Lesart insofern der Feind einer gesunden architektonischen Entwicklung, als Giedion die Entwicklung der Konstruktion als das konstituierende Element betrachtet. Dieses Element wäre das Unterbewusstsein, das man nicht verdrängen darf. Das Über-Ich in Form der Tradition würde aber versuchen, diese latenten Tendenzen zu verdrängen. So 1 gesehen führen Traditionen zu Repressionen und zu Fehlleistungen der Architekturentwicklung. Stile in Form des Über-Ich, folgt man Giedion, stellen so den Hauptfeind des Es als dem Unterbewusstsein der Architektur dar. Ein direktes architektonisches Ergebnis der technologischen Entwicklung sah Giedion in der Erfindung des Hochhauses. Das Hochhaus bildete für ihn eine neue Typologie des zwanzigsten Jahrhunderts, wo sich die Erfindungen des Liftes und des Stahlskelettbaus als unbedingte Voraussetzungen seiner Entwicklung zeigten. Er zieht eine direkte Linie von der Entwicklung der ersten Eisenkonstruktionen im Brückenbau bis hin zum Einsatz des Eisens und später Eisenbetons in der Architektur. In weiterer Folge beschreibt Giedion die enorme Entwicklung des Brückenbaus im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert und beginnenden neunzehnten Jahrhundert mittels des Einsatzes von Eisen als Konstruktionswerkstoff. Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung bildet die erste Gusseisenbrücke über den Fluss Severn 1775 -1779 in Coalbrookdale (nur wenige Jahre nach der Fertigstellung von Vierzehnheiligen errichtet), die von Abraham Darby entworfen wurde. Sie weist eine Spannweite von 30 Metern und eine Höhe von 15 Metern auf. Giedions Darstellung einer kontinuierlichen Entwicklung von Eisenbrücken stützt sich auf die immer größeren Spannweiten, die Brücken erreichten. So beschreibt er die Entwicklung von der Sunderland – Brücke von 1793-96, die in einem Bogen 72 Meter spannt, bis hin zu neuen Brückenformen, wie den Drahtseilhängebrücken, von denen die Brücke von Marc Seguin über die Rhône in der Nähe von Tournon aus dem Jahre 1824 ein Beispiel bildet. Mit den neuen Brücken konnten enorme Spannweiten erreicht werden, „die früher jenseits der menschlichen Möglichkeiten lagen“. Diese Entwicklung erreichte schließlich ihren vorläufigen Höhepunkt in der Konstruktion der Golden Gate Bridge in San Francisco 1933 – 1937 mit einer Spannweite von 1280 Metern und einer Gesamtlänge von 2800 Metern. Diese dynamische Entwicklung der Eisenkonstruktionen ging später, folgt man Giedions Ausführung, nahtlos in die Verwendung des Eisens in der Architektur über. Eisen fand beim Bau utilitaristischer Gebäude, etwa dem neuen Typus der Bahnhöfe, Anwendung, bei denen eine große Spannweite funktional notwendig war. Dabei bedeutet die Verwendung von Eisen für die Dachkonstruktion über Gleis und Bahnsteig nicht automatisch, dass das neue Material damit für die Architektur akzeptiert war. Im Gegenteil war es nicht unüblich, dass die Eisen- und Glasüberdachung über den Bahnsteigen durch einen Ingenieur entworfen wurde, während ein Architekt lediglich der simplen Hülle und der Fassade zur Straße oder Platz eine sozial akzeptierte Form gab. Als das neue Material schließlich akzeptiert wurde, produzierte es eine völlig andere Art von Architektur. Eines der besten Beispiele für den Einfluss von Material auf architektonische Form findet sich in zwei Hochhäusern des selben Architekten, John Root von Burnham & Root, für die gleiche Funktion, in der selben Stadt, nur ein paar Blocks voneinander entfernt. Die Gebäude sind das Monadnock Building, eine Mauerwerkskonstruktion, die ihren Namen von einem Gebirgszug entleiht und das Reliance Building, vielleicht die erste konsequente Anwendung einer tragenden Stahlkonstruktion mit Vorhangfassade. 2 Chicago spielt eine zentrale Rolle für die Entwicklung des Hochhauses und ganz allgemein der modernen Architektur. Ein zeitgenössischer Beobachter, C.B. Berry, betonte, dass: „The feature of Chicago is its marvellous energy. America is energetic, but Chicago is in fever.” Das Wachstum der Stadt im 19. Jahrhundert war unheimlich schnell. Nach der Gründung durch die ersten europäischen Siedler 1770, lebten in 1821 insgesamt rund 15 Menschen in Chicago. Aber schon 1854 war diese Zahl auf 65.872 angewachsen und 1868 hatte die Einwohnerzahl die Grenze von einer viertel Million überschritten. Im Jahr des großen Brandes 1871 lebten rund 324.000 Menschen in Chicago. Nach dem Brand und den verheerenden Zerstörungen, die er über weite Teile des Chicagoer Zentrums und darüber hinaus brachte, ging das Bevölkerungswachstum sogar noch schneller voran. Bereits 20 Jahre nach dem Brand war die Millionengrenze erreicht und schon 1926, gerade einmal einhundert Jahre, nachdem sie das Stadtrecht erhalten hatte, bewohnten mehr als 3,15 Millionen Menschen die Stadt am Michigansee. Wenn wir damit zum Beispiel des Hochhauses zurückkehren und nochmals das deterministische Argument der Moderne betrachten, dann gründet sich eine deterministische Sichtweise auf die Annahme, dass die Entstehung des Hochhauses durch die Erfindung des Fahrstuhls und des Stahlskelettbaus ermöglicht wurde, wobei gleichzeitig eine Notwendigkeit bestand, hohe Häuser zu errichten. Diese Notwendigkeit begründete sich – so die allgemeine Annahme – in einer verstärkten Nachfrage nach Wohnflächen aufgrund einer raschen Bevölkerungszunahme bei gleichzeitigem Mangel an zu Verfügung stehenden, bebaubaren Grundstücken. Die erhöhte Nachfrage und der Mangel an Bauflächen führten schlussendlich zu einer dichten, vertikalen Bebauungsstruktur. So war in Manhattan – folgt man dieser allgemeinen These – aufgrund seiner geographischen Lage als Insel eine Flächenvermehrung nur infolge einer vertikalen Dichtezunahme möglich, sodass in Folge dessen Hochhäuser errichtet wurden. Entgegen dieser Argumentation glaubt Thomas van der Leeuwen, dass die ausschlaggebende Ursache für die Erfindung des Hochhauses vielmehr in der Lage des Hochhauses und seiner Nähe zum öffentlichen Verkehrsnetz gelegen wäre. Seine Hauptargumente gegen die lackof-space Theorie gründen sich darauf, dass die ersten Hochhäuser in New York Büronutzungen hatten und somit nicht deswegen geplant wurden, um die wachsende Bevölkerung durch zusätzliche Wohnfläche aufnehmen zu können. Außerdem geht er davon aus, dass ein erhöhter Bevölkerungsdruck - wie europäische Gegenbeispiele dieser Zeit zeigen – weder zwangsweise zu erhöhten Immobilienund Grundstückspreisen noch zur Entwicklung von Hochhäusern führen. Letztlich wäre auch die Entwicklung von Hochhäusern in Chicago, wo die Hochhäuser ursprünglich erfunden wurden, aufgrund der Weite und Unbegrenztheit der Stadt nach Westen mittels der lack of space Theorie nicht erklärbar. Vielmehr hätte – so meint van der Leeuwen - die Entwicklung des Hochhauses eines urban hochenergetischen Zustands bedurft, der einen bestimmten Grad an Ungeordnetheit und Chaos erlaubte. Dieser Zustand in Verbindung mit der Zugänglichkeit zur öffentlichen Infrastruktur - wie im Fall Chicagos zum Loop – war für die Erfindung des Hochhauses maßgebend. So identifiziert er in seiner Theorie der Nähe kurze Wege als relevante Größe. Kurze Distanzen zu städtischen Infrastruktursystemen und das menschliche Phänomen, konzentrierte Ansammlungen zu bilden, stellten 3 zusammen mit einem zu Grunde liegenden Spekulationsmechanismus die Grundlage für die Hochhausentwicklung dar. Die ersten Hochhäuser waren rein kommerziell genutzt und so war Nähe, wie in mittelalterlichen Städten, das entscheidende Kriterium. Van der Leeuwen führt als Unterstützung seiner These, wonach hochenergetisches Chaos wichtig war, an, dass das energetische Chaos in Chicago um 1870 im Vergleich zu New York zu dieser Zeit viel höher gewesen ist und dass die positiven Folgen chaotischer Aspekte auch auf die Entwicklung der inneren Organisation von Hochhäusern zu dieser Zeit bezogen werden müssten. Er schreibt: „Firmen wechselten vom separierten Zellensystem zum offenen Bürosystem. Das Ergebnis waren Durcheinander und Chaos, aber auch eine sehr überzeugende Entfaltung energetischer Aktivität.“ Da Spekulation und Landwert als solches nur relative Begriffe bildeten und wenig mit absoluten Quantitäten zu tun hatten, war Nähe das, was wirklich zählte. Es war die Anzahl an verfügbarer Nähe, die knapp wurde, sowohl in Chicago als auch in Manhattan: „Knappheit an Nähe konnte überall erzeugt werden: In Manhattan, in den Weiten von Chicago und sogar in Birmingham, Alabama.“ Van Leeuwen bezieht sich weiterhin auf die Idee von zentripedalen Kräften und bringt diese in Zusammenhang mit dem psychologischen Phänomen der Agoraphobie und der irrationalen menschlichen Eigenschaft des allgemeinen, freiwilligen Zusammenrückens - „to huddle together like frightened sheep in the dark“-, welche mitentscheidend für die Entstehung des Hochhauses gewesen sein dürften. Dieser Wille, sich in derselben Nachbarschaft anzusiedeln, musste - so meint van Leeuwen – auf einer unausgesprochenen Übereinstimmung beruhen, die einerseits durch soziale Loyalität genährt wurde, andererseits gleichzeitig von Misstrauen, Neid und natürlich Wettbewerb getragen war. Stärker als Zentrifugaltendenzen wären im Wachstum der kommerziellen amerikanischen Stadt zentripedale Kräfte gewesen. So folgert er, dass die Leistungsfähigkeit der Nähe auch die Grundlage des kommerziellen Büroviertels, des kommerziellen Business Districts wie wir ihn heute kennen, bildete. Auch Carol Willis stellt sich entschieden gegen die Ansicht, wonach technologische Funktionen den Primärgrund für die Entwicklung von Wolkenkratzern bildeten. Vielmehr meint sie, dass die Ursachen für die Entwicklung der Hochhäuser in den strengen, ökonomischen Zwängen, die auf der Optimierung von Räumlichkeiten beruhten, gesehen werden müssten. Es wären also ökonomische Funktionen gewesen, welche die Ursachen für die Entwicklung des Hochhauses bildeten. Deshalb könne man auch nicht von einer primär technologischen, sondern müsse vielmehr von einer kommerziellen Natur der Hochhäuser sprechen. Diese zeige sich in ökonomischen und pragmatischen Stadtbebauungsgesetzen. Faktoren, wie Hochhäuser lokalen wären Landnutzungsmustern, somit spekulative Zoning-Laws Gebäude, bei und denen Entwicklungsökonomien und Immobilienzyklen entscheidende Determinanten in der Festlegung von Gebäudehöhen und Raumverteilung darstellen und so die Hochhausstruktur bestimmen. Willis stellt fest: „Wolkenkratzer sind die ultimative Architektur des Kapitalismus“ und „ein Gebäude muss sich bezahlt machen, da ansonsten kein Investor bereit sein wird, seine Kosten zu tragen.“ Deshalb wären nicht die Logik des Materials und seine technische Optimierung, sondern die Optimierung von Räumlichkeiten entscheidend für die Entwicklung des Hochhauses gewesen. Die Schaffung von gutem und qualitätvollem Büroraum stellte einen grundlegenden Baustein in der Hochhausentwicklung dar, 4 wo letztlich der ökonomische Faktor von Cost und Return die entscheidende Größe im Optimierungsprozess von Raumverteilungen in Hochhäusern gewesen war. Dadurch wird auch erklärt, warum sich das Hochhaus primär als Bürobau entwickelte. Die Architekten akzeptierten die vorgegebenen ökonomischen Formeln als gegebenen Rahmen, innerhalb dessen sie dann auf intelligente Weise ihre eigene Ökonomie entwickelten, um damit architektonische Produkte zu schaffen. Zu diesen den Giedion´schen Standpunkt relativierenden Argumentationen von Willis und van der Leeuwens können weitere Argumente hinzugefügt werden, nämlich jene, die in der Überlegung fußen, dass Hochhäuser schon vor der Erfindung von Lift und Eisenkonstruktion bestanden und ihren Ursprung bereits in der Antike hätten. Der schon im Altertum errichtete Pharos von Alexandria erreichte bereits die beachtliche Höhe von circa 115 Metern. Die Funktion des turmartigen Gebäudes war von allgemeinem Nutzen und bestand primär darin, Orientierungsmöglichkeiten für die Schifffahrt zu gewährleisten, sodass für die Errichtung des Gebäudes die Schaffung von optimierten Flächen nicht entscheidend war, sondern vielmehr das Erreichen einer bestimmten Höhe. Das Problem der aufgrund der konstruktiven Erfordernisse sich nach unten aufweitenden Mauerstärken bedeutete keine Einschränkung der Funktion. Ganz im Gegensatz zu den schon beschrieben späteren Bürobauten wie etwa dem Monadnock Building, bei dem so vermietbare Fläche verloren ging und somit diese Konstruktion kommerziell micht erfolgreich machte. Neben der kommerziellen spielen also auch andere Funktionen für die Herausbildung des Typus hoher Gebäude eine Rolle. Andere historische Beispiele hoher Gebäude bilden die Geschlechtertürme von San Gimignano und Bologna. Für ihre Errichtung bildeten primär psychologische Funktionen, wie das Streben nach Status, die Hauptmotivation. Diese Konzeption der psychologischen Motivation, bei der die Begründung für die Errichtung eines Turms in dem damit verbundenen und angestrebten Statussymbol gesehen wird, zeigt sich wahrscheinlich am offensichtlichsten in der Idee des Turms zu Babel, welcher das Ideal eines Hochhauses darstellt. Deshalb argumentiert Joseph August Lux, dass die Idee von Hochhäusern kulturhistorisch latent vorhanden war und dieser zeitlose Traum von Höhe durch die Technologie erst realisiert wurde: „„Wenn ich ein Vöglein wär…“, singt die alte Sehnsucht. Zu Babel wurde ein Turm gebaut, den man nicht fertig zu bringen vermochte. Die Menschheit träumt seither von dem übermenschlichen des babylonischen Turmes. Aber die Techniker von heute verwirklichten diesen Traum und bauten Wolkenkratzer, gegen die die höchsten Türme der Erde zwergenhaft aussehen.“ Die Technologie dient so als Mittel der Umsetzung für Ideen, wie den Turm von Babylon, die sich a priori auf mythologische oder psychologische Funktionen zurückführen lassen und seit der Antike stets präsent waren. Unterstützt wird diese Überlegung der latenten Idee nach Höhe dadurch, dass aus zeitgenössischer Sicht die ersten Hochhäuser nicht immer als radikale Novität erfahren wurden. Vor allem aus europäischer Perspektive wurden oben angeführte Beispiele immer wieder als historische Parallelen herangezogen, um das Phänomen des amerikanischen Hochhauses zu erklären. Der 1904 nach Manhattan gereiste deutsche Historiker Karl Lamprecht verglich die dort gesehenen Hochhäuser mit den vielen Geschlechtertürmen von San Gimigniano und Le Corbusier meint, dass das Wachstum des Hochhauses nur durch den Turm von Babel erklärbar wäre. 5 Ganz in der Nähe des Midway Plaisance, der Amüsiermeile der Worlds Columbian Exhibition, die in einer Art Evolutionsreihenfolge die baulichen Triumphe der White City in einer Reihe bis zu den primitiven Behausungen afrikanischer Völker zeigte, baute unbemerkt ein freundlicher, einnehmender Herr den vielleicht wirklich tiefsten Punkt der kulturellen Entwicklung dieser Zeit: das Holmes Hotel. In diesem von außen unscheinbaren Haus, in dessen Innerem jedoch schalldichte Räume und ein besonders heiß brennender Ofen integriert waren, richtete der Arzt und Apotheker H.H. Holmes in den Jahren vor und während der Ausstellung eine Reihe von jungen Frauen hin und ging so als erster Serienmörder Amerikas in die Geschichte ein. Vielleicht zeigt sich hier, am Gegenüber des Höhepunktes baulichen Schaffens, der White City, und dem dunklen Ort grausamer Morde das Konzept von der Dialektik der Aufklärung am deutlichsten, steckt das Unbewusste, das Giedion dem Eisen zusprach, letztlich doch mehr im Menschen als der Architektur. Am Anfang der Dialektik der Aufklärung erklären Theodor W. Adorno und Max Horkheimer: “Die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.” Aufklärung und Modernität sind in sich gespalten und eröffnen eine Welt der Demokratie und Freiheit, aber auch eine Welt des Völkermordes und unermesslicher Brutalität. Die Autoren vergleichen die Aufklärung mit magischem Denken. Während die Magie ein Versuch ist, die Natur präkonzeptuell zu imitieren, versucht der Mythos, das Selbst von der Natur zu trennen und die Natur durch Benennungen, Klassifizierungen und Rationalisierungen der menschlichen Kontrolle zu unterwerfen. Diese Tendenz wird durch das intensiviert, was Max Weber die Entzauberung der Welt nannte, die Geburt des wissenschaftlichen Rationalismus und Empirizismus. Wenn die Natur nicht länger als etwas angesehen wird, das geheime Kräfte besitzt, dann ist Verdinglichung und Unterwerfung möglich - zuerst der Natur und danach von anderen Menschen. Daher wird Francis Bacons Credo “Wissen ist Macht” dahingehend verstanden, daß es eher zur Konzentration auf instrumentelle als auf inhärente Werte führt, zu David Humes Ausschluß des Ethischen vom rationalen Diskurs und schließlich zu den dunklen Autoren der Bourgeoisie, wie Marquis de Sade und Friedrich Nietzsche, mit ihrer Vorliebe für Orgien und Folter. Schließlich argumentierten Horkheimer und Adorno, daß das Aufklärungsprojekt - die Befreiung oder Bereinigung des Selbst von jeglichen Spuren der amorphen Natur - notwendigerweise zu einer Auflösung des autonomen Selbst führe, eine Kondition, die, wie sie behaupten, charakteristisch für eine totalitäre Gesellschaft sei. Insofern kehrt die Aufklärung in ihrer letzten Phase zu ihrem Ursprung zurück, der im Mythos und in der Gewalt wurzelt, und kulminiert schließlich in Auschwitz. 6 Lecture 2 | Der Blick Ledoux schrieb sein Traktat im Gefängnis und widmete es Zar Alexander I von Russland, in der Hoffnung, so vielleicht einen Auftrag erhalten zu können. Michel Foucault mag ein zu überzeugter Foucauldianer gewesen sein, als er das Panopticon zum Paradigma der Moderne erklärte und dabei die ein wenig ältere, doch ebenso einflussreiche Erfindung des Panoramas übersah. Das Panopticon, erstmals 1791 von Jeremy Bentham publiziert, und das Panorama, 1787 von Robert Barker patentiert, ähneln einander formal: beide sind Rundbauten mit einem Betrachter im Zentrum. In funktioneller Hinsicht sind sie jedoch sehr verschieden. Während das panoptische Gefängnis das Wesen der Disziplinargesellschaft darstellt, verkörpert das Panorama die Unterhaltungsgesellschaft. Barkers Erfindung, das erste Massenmedium in der Geschichte der Menschheit, trug dazu bei, eine neue, totalisierende Art des Sehens einzuführen, die darauf abzielt, die Stadt oder die Landschaft gleich einem Kunstwerk als ein Objekt zu erfassen. Wie Walter Benjamin beobachtete, dehnt sich die Stadt in den Panoramen zu einer Landschaft, wie sie es auf subtilere Art für den flâneur tut. Für diese Art des Sehens wurde jüngst der Ausdruck „der touristische Blick“ (the tourist’s gaze) geprägt. Eine solche Wahrnehmung ist nur durch eine bestimmte Art der Entfremdung des Betrachters vom Objekt möglich, und nur innerhalb eines bestimmten kulturellen Rahmenwerks: der touristische Blick schließt Erfahrungen mit ein, die, indem sie auf typische Weise visuell objektiviert oder durch konventionelle Darstellungen eingefangen sind, endlos reproduziert werden können. Der touristische Blick beeinflusste ebenso den Städtebau des 19. Jahrhunderts. Marshall Berman untersuchte die visuelle Obsession in Baron Haussmans Konstruktionen der Pariser Boulevards, seine Vorliebe für großartige, weitläufige Blickachsen mit Monumenten an den Enden der Boulevards. Er meint, dass diese Qualitäten Paris zu einem einzigartig anregenden Spektakel machen, einem visuellen und sinnlichen Fest: "after centuries of life as a cluster of isolated cells, Paris was becoming a unified physical and human space.” Für einen flâneur, der auf Boulevards und unter Arkaden umherzieht, wie Charles Baudelaire oder Emile Souvestre, sollte die Welt nach dem Muster der Straßen von Paris, the "world's fairground" aussehen. In La Dernière Mode aus dem September 1874 schrieb Stéphane Mallarmé, dass nur Paris stolz auf sich sein kann, die Summe des gesamten Universums zu sein, sowohl in Form eines Museums als auch eines Kaufhauses. Der touristische Blick auf die Welt wurde durch nichts besser exemplifiziert als durch den Eiffelturm. Roland Barthes schrieb: “Objekt, wenn man ihn betrachtet, wird er seinerseits doch zum Blick, wenn man ihn besucht, und macht nun jenes Paris, das vorhin ihn betrachtete, zu einem zugleich ausgedehnten und versammelten Objekt.“ Anstatt selbst auf irgendeine eindeutige Referenz zu verweisen, transformiert der Eiffelturm die Erfahrung der Stadt. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass zur Zeit seiner Errichtung Künstler zunehmend die standardisierte Perspektive zurückwiesen und eher objektzentrierte Darstellungsmethoden zur Anwendung brachten, wie die axonometrische Projektion oder die geschichteten, fragmentierten, multiplen Ansichten des kubistischen Raums. 7 Aber nicht alle waren von in den Himmel ragenden Türmen oder weiten Boulevards, die sich über Kilometer durch das alte Stadtgefüge erstrecken, begeistert. Im selben Jahr in dem der Eiffelturm errichtet wurde, publizierte Camillo Sitte sein Buch Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, welches sich einem Stadtideal verschrieb, das Welten von der „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts” (Walter Benjamin) entfernt war. Anstelle breiter Boulevards, die weit entfernte Monumente verbanden, bevorzugte Sitte gewundene Straßen und geschlossene Plätze; anstelle monumentaler Skulpturen, riet Sitte, sollte man Elemente im öffentlichen Raum platzieren, die eigentlich einem Innenraum angehörten. Diese und andere Prinzipien Sittes mögen Joseph Hoffmanns Bühnenbildern für Wagner’sche Opern geschuldet sein. Sitte wollte aber nicht nur die Art und Weise verändern, in der Architekten Fragen der Stadtplanung angingen; er beobachtete ebenso eine Veränderung der Öffentlichkeit, die notwendiger Weise auch die Arbeit der Entwerfer beeinflusste. In einem Kommentar über die Wiener Villenzone von 1893 meinte Sitte: “Der moderne Großstädter strebt mit all’ seiner Sehnsucht ans Meer, ins Gebirge, in die Wälder; an Bildung und Kultur hat er schon genug im Magen.” Die Wahl von Beispielen, die im Städtebau diskutiert werden, entspricht populären touristischen Zielen. Neben Wien sind die am häufigsten genannten Städte Florenz, Venedig, Rom, Pompeij, Athen, Vicenza und Dresden, während die Illustrationen sich auf Florenz, Rom, Siena, Verona, Palermo, Vicenza, Brescia und Triest konzentrieren; die perspektivischen Ansichten zeigen am häufigsten Florenz, Rom und Athen. Auch entsprachen Sittes Methoden, eine Stadt kennen zu lernen, üblichen touristischen Praktiken. Bei Ankunft in einer neuen Stadt nahm Sitte immer als erstes ein Taxi zum Hauptplatz, ging dort in die beste Buchhandlung und stellte drei Fragen: wo befindet sich der höchste Turm, wo findet man die beste Stadtkarte, und wo ist das beste Restaurant? Die Ursprünge des touristischen Blicks Das erste touristische Erlebnis der europäischen Geschichte wird von Petrarca überliefert: seine Besteigung des Mont Ventoux in der Provence am 26. April 1335. Petrarca erklärt: "Dabei trieb mich einzig die Begierde, die ungewöhnliche Höhe dieses Flecks Erde durch Augenschein kennenzulernen. […] Nun aber faßte ich den Entschluß, endlich einmal auszuführen, was ich täglich hatte ausführen wollen, besonders nachdem mir tags zuvor, als ich römische Geschichte beim Livius nachlas, zufällig jene Stelle vor Augen gekommen war, wo Philipp der Macedonierkönig – derselbe, der mit dem Römischen Volke Krieg geführt hat – den Berg Hämus in Thessalien besteigt. Denn er hatte der Fabel Glauben geschenkt, man könne von seinem Gipfel zwei Meere schauen: das Adriatische und das Schwarze Meer. Ob zu Recht oder Unrecht, habe ich nicht genügend ergründen können; denn die Sache wird dadurch unsicher, daß der Berg von unserer Welt so weit entfernt ist und die Schriftsteller verschiedener Meinung sind. Um deswegen nicht alle nachzuschlagen: der Kosmograph Pomponius Mela berichtet, ohne Anstand zu nehmen, daß es so sei, Titus Livius hält die Fabel für falsch. Wäre es aber für mich so leicht, jenen Berg zu erkunden, wie diesen hier, so würde ich nicht lange im Zweifel lassen, wie die Sache sich verhält." 8 Obwohl Petrarca die direkte Erfahrung als Kriterium der Wahrheit zu betonen scheint, rahmt er seinen Anstieg sorgfältig mit literarischen Formeln und verkörpert so die Dialektik des touristischen Erlebens. Auch antizipiert die Beschreibung der Erfahrung spätere Schilderungen von modernen Touristen, etwa als er den Gipfel erreicht und die Landschaft überblickt: "Zuerst stand ich, durch einen ungewohnten Hauch der Luft und durch einen ganz freien Rundblick bewegt, einem Betäubten gleich. Ich schaute zurück nach unten: Wolken lagerten zu meinen Füßen, und schon sind mir Athos und Olymp minder unglaublich geworden, da ich das, was ich über sie gelesen und gehört, auf einem Berge von geringerem Rufe zu sehen bekomme. Ich richte nunmehr meine Augen nach der Seite, wo Italien liegt, nach dort, wohin mein Geist sich so sehr gezogen fühlt. Die Alpen selber – eisstarrend und schneebedeckt –, über die einst der wilde Feind des Römernamens hinüberzog, der, wenn wir dem Gerücht Glauben schenken wollen, die Felsen mit Essig sprengte – sie erschienen mir greifbar nahe, obwohl sie durch einen weiten Zwischenraum getrennt sind. Ich seufzte, ich gestehe es, nach italischer Luft, die mehr vor dem Geist als vor den Augen erstand." Wie Theoretiker des Tourismus, etwa Dean McCannell und John Urry, betonten, rühren Petrarcas Emotionen gleichermaßen vom Blick selbst als auch von der Antizipation, welche durch eine Vielfalt nicht-touristischer Praktiken konstruiert und erhalten wird, z.B. durch Literatur. Tatsächlich nimmt Petrarca, als die Sonne untergeht und der Zeitpunkt der Rückkehr angebrochen ist, ein Buch zur Hand, nämlich die Bekenntnisse des Augustinus, und schlägt es an einer beliebigen Stelle auf. Aus der Distanz von neun Jahrhunderten adressiert der heilige Augustinus Petrarca in erstaunlich angemessenen Worten: “Und es gehen die Menschen, zu bestaunen die Gipfel der Berge und die ungeheuren Fluten des Meeres und die weit dahinfließenden Ströme und den Saum des Ozeans und die Kreisbahnen der Gestirne, und haben nicht acht ihrer selbst." Petrarca antwortet auf Augustinus, indem er seine Erfahrung als Parabel des menschlichen Lebens präsentiert. Wir sollten jedoch Augustinus’ Rat beachten und den Betrachter und dessen Konstruktion von Erfahrung untersuchen. Panorama Walter Benjamin argumentierte in seinem Passagen-Werk, dass Menschen, wenn sie zum Panorama gingen, die wahre Stadt sehen wollten, die ganze, vollständige Stadt, wie es nur auf Abbildungen möglich war. Die ersten Panoramen zeigten einen Blick auf die Stadt, in der sie sich befanden: Edinburgh, London, Paris. Trotz der enormen Größe der panoramischen Gemälde zeigten sie eine Miniatur der Welt und präsentierten die Stadt als ein intelligibles Objekt, das in einem totalisierenden Blick erfasst werden kann. Dazu passt, dass der Erfinder des Panoramas, Robert Barker, sich auf Portraits und Miniaturen spezialisiert hatte. 1787 kam ihm die Idee, in einem kontinuierlichen Bild alles zu malen, was er vom Gipfel des Calton Hill in Edingburgh aus sehen konnte. Er übertrug seine ursprünglichen vier Zeichnungen auf eine große Leinwand, um eine umlaufende Ansicht der Stadt in einer 360-Grad Darstellung zu erzeugen, und stellte sie in einem Rund von 7,5 Metern Durchmesser auf. Obwohl der erste Kommentar von Sir Joshua Reynolds nicht gerade enthusiastisch ausfiel, patentierte Barker seine Idee am 19. Juni 1787 und stellte das Panorama von Edingburgh im folgenden Jahr in London aus. 9 1793 errichtete Barker ein von Robert Mitchell entworfenes Gebäude aus Ziegeln am Leicester Place in London. Das Gebäude besaß zwei Geschoße, jedes mit einem eigenen Panorama von etwa 27 Meter Durchmesser. Stoffe verbargen die Oberlichter, und eine Holzverschalung versteckte den unteren Rand der Bilder. Die gemalte Ansicht schien so rahmenlos zu sein und stellte gleichzeitig die einzige Lichtquelle dar. Von der Plattform der Betrachter aus war die Illusion, auf einem Hügel oder einem Gebäude zu stehen und eine tatsächliche Landschaft zu überblicken, perfekt. Panoramen von London und von der britischen Flotte in Spithead waren nur die ersten zwei der über 100 Darstellungen, die Barker und seine Nachfolger am Leicester Square Panorama bis zu seiner Schließung 1863 zeigten. Panoramen wurden auch rasch in anderen Ländern enorm populär. Schon 1795 wurde eine Kopie von Barkers Panorama von London in New York gezeigt. Bald folgten europäische Städte nach. Panoramen tourten durch Paris, Leipzig, Hamburg, Wien und Amsterdam. In 1799 wurden zwei Panoramen von Paris mit einem Durchmesser von etwa 17 Metern auf dem Boulevard Montmartre errichtet; als ein größeres Panorama mit dem Durchmesser von 32 Metern am Boulevard des Capucins in 1807 errichtet wurde, ordnete Napoleon die Errichtung von acht Rotunden auf dem Champs-Élysées an. Berlin erhielt sein erstes Panorama in 1800; ein anderes, 1808 konstruiert, zeigte Ansichten von Rom und Palermo von Karl Friedrich von Schinkel. Es wurde argumentiert, dass Schinkels Erfahrungen mit der Szenographie und dem Panorama es ihm ermöglichten, den zu seiner Zeit hauptsächlich zweidimensionalen Planungszugang im Städtebau zu überwinden und von der visuellen Entfaltung eines dreidimensionalen Ensembles verschiedener architektonischer Elemente auszugehen. In dieser Hinsicht ebneten Schinkels Panoramen den Weg zu Sittes künstlerischem Städtebau. Sitte war auch selbst von Panoramen beeindruckt. In einem Artikel aus 1900 erinnert er sich an ein altes Kosmorama in Wien, welches 1842 von Hubert Sattler eröffnet wurde, dem Sohn von Johann Michael Sattler, der sein erstes Panorama 1825-29 in Salzburg malte. Sitte schrieb: „Wenn man […] durch das kleine Guckfensterchen des Kosmoramas über den Hafen von Genua oder das Häusermeer von New-York blickte, erfaßte es die junge Seele, wie der Zauber einer Märchenwelt, man glaubte durchs Fenster in die wirkliche Welt hinauszusehen, man glaubte selbst dort gewesen zu sein; es war berauschend.” Der Name des Pavillons, Kosmorama, stellte laut Sitte eine Referenz auf Alexander von Humboldt dar, den großen Reisenden, Geographen und Anthropologen des frühen 19. Jahrhunderts. Mit seinem unvollendeten fünfbändigen Werk Kosmos wollte Humboldt einen panoramischen Blick auf alles werfen, was über das Universum gewusst werden kann. Sitte sah dieselbe kosmische Vision in den Arbeiten des von ihm verehrten Malers Joseph Hoffmann. Der Gipfelpunkt in der Entwicklung der Panoramen wurde 1828 erreicht, als Decimus Burton sein Kolosseum im Londoner Regent Park eröffnete. In einer Variation auf das Pantheon mit einem Dom und einem Okulus wurde ein Panorama der Stadt mit einem Durchmesser von 40 Meter dargeboten. Im zentralen Turm schlängelte sich eine doppelte helixförmige Treppe um den ersten hydraulischen Passagierlift Londons. Der Lift öffnete sich auf drei Aussichtsplattformen, von deren oberster eine eigene Stiege auf die offene Galerie um den Okulus herum führte, von wo aus man die Stadt direkt sehen konnte. Diese Mixtur aus Realem und Virtuellem hatte eine unglaubliche Wirkung auf den Betrachter. Einer von ihnen, der neugotische Architekt und Theoretiker A. W. N. Pugin meinte, die Ideen von Raum und Zeit würden gänzlich durcheinander gebracht. 10 Tourismus und Konsumkultur In den 1820ern bekamen Panoramen neue Konkurrenz durch den Maler Louis-Jacques Mandé Daguerre. Daguerre eröffnete 1822 das erste Diorama mit 350 Sitzen in Paris, in dem zwei bewegte Bilder zur Schau gestellt wurden. Ein Zeitungsbericht aus 1843 beschrieb das Diorama als einen Ersatz für teure und beschwerliche Reisen; die Pariser Öffentlichkeit könne sich auf gut gepolsterten Sitzen ausruhen und „die fünf Erdteile nach Belieben an sich vorüberziehen lassen kann, ohne die Stadt verlassen zu müssen und ohne sich schlechtem Wetter, Durst, Hunger, Kälte, Hitze und insbesondere jedweder Gefahr aussetzen." Doch musste Dagurre nach anfänglichem Erfolg nur zehn Jahre später Konkurs anmelden. In 1839, als sein Diorama nieder brannte, kündigte er die neue Erfindung der Daguerrotypie an, die er in Gemeinschaft mit Joseph Nicéphore Niépce entwickelte. Die Daguerrotypie wurde ein sofortiger Bestseller und bahnte den Weg für die Photographie, welche den Tourismus stärker noch als die Panoramen prägte. Bei der Exposition Universelle 1855 in Paris wurde die Photographie erstmals ausgestellt. Das Ende des Jahrhunderts sah selbst die Erfindung des bewegten Bildes. Alle diese Technologien wurden in den Dienst eines virtuellen Tourismus gestellt. In der Weltausstellung von 1900 in Paris analysierte Michel Corday, was er ferne Visionen, „visions lointaines”, nannte, nämlich Techniken, die die Illusion des Reisens erzeugen sollten. Er nannte fünf Kategorien: Ensembles im Relief, Panoramen, in denen sich der Zuseher bewegte, bewegte Panoramen, Arrangements, wo sich sowohl der Betrachter als auch das Panorama bewegte, und bewegte Photographien. Die zweite Kategorie umfasste eine lange, kreisförmige Leinwand, die Seite an Seite Bilder von Spanien, Athen, Konstantinopel, Suez, Indien, China und Japan darstellte. Der vierten Kategorie entsprechend versetzte ein Panorama der Transsibirischen Eisenbahn den Betrachter in eine Reise durch Sibirien. Ein echter Wagon bewegte sich 80 Meter von der Russischen zur Chinesischen Ausstellung, während die Leinwand außen entlang der Fenster gespannt war. Corday war noch mehr von bewegten Photographien fasziniert, oder vom Cinéorama mit zehn Projektoren, die ein großes bewegtes Bild zeigten, oder von den Maréoramen, die eine Meerreise von Frankreich nach Konstantinopel rekonstruierten – komplett mit einem Panorama, dem salzigen Geruch der Luft, einer sanft schwankenden Bewegung und Ethnomusik. Auf lange Sicht jedoch konnten die virtuellen Ansichten keinen Ersatz für die realen bieten, da das Reisen für die Mittelklasse durch die Entwicklung schneller und billiger Transportmittel zu Wasser und zu Land leistbar wurde. In Paris etwa starb die Mode der Panoramen und Dioramen in den frühen 1840ern aus, mehr oder weniger zur selben Zeit, als die ersten Eisenbahnen von Paris nach Orléans und Rouen in 1843 eröffnet wurden. Die frühen Reisenden betonten vor allem die visuelle Erfahrung des Reisens. Ralph Waldo Emerson kommentierte das „traumartige“ Reisen mit der Eisenbahn 1843: “The towns which I pass between Philadelphia and New York make no distinct impression. They are like pictures on a wall.” Andere Schriftsteller verglichen explizit die Eisenbahn mit den Panoramen, insofern beide die Landschaft zu einem Ganzen machten. So schrieb Jules Clarétie von der Eisenbahn: “In wenigen Stunden führt sie Ihnen ganz Frankreich vor, vor Ihren Augen entrollt sie das gesamte Panorama, eine schnelle Aufeinanderfolge lieblicher Bilder und immer neuer Überraschungen. Sie zeigt Ihnen lediglich das Wesentliche einer Landschaft, wahrlich ein Künstler im Stil der alten Meister. 11 Verlangen Sie keine Details von ihr, sondern das Ganze, in dem das Leben ist. Schließlich, nachdem sie Sie durch den Schwung des Koloristen entzückt hat, hält sie an und entläßt sie an Ihrem Ziel." Jedoch war es nicht nur die Fähigkeit des Zuges, die Landschaft in ein panoramisches Gemälde zu verwandeln, welche den Eisenbahnverkehr mit visuellen Spektakeln verband. Diese Verbindung war direkter. Thomas Cook gilt mit der Organisation einer Reise nach Liverpool im Sommer 1845 als der erste kommerzielle Reiseleiter. Cook gab sich nicht damit zufrieden, einfach günstige Tickets anzubieten – 15 Shilling für einen Passagier erster Klasse, 10 Shilling für die zweite Klasse – sondern stellte darüber hinaus ein 60-seitiges Handbuch für die Reise zur Verfügung. Die ersten Weltausstellungen in London und Paris boten Cooks Reisearrangements weitere Möglichkeiten. 1855 organisierte er die Reise zur Pariser Exposition Universelle in Form einer großen Tour über Antwerpen, Köln, Heidelberg, BadenBaden, Straßburg und Pairs, und über Le Havre oder Dieppe wieder zurück nach London. 1878 beförderte er 75.000 britische Besucher zur Pariser Weltausstellung, die auch Sitte besuchte. Als der Massentourismus zunahm, entwickelten sich die Weltausstellungen selbst mehr und mehr in Richtung Tourismus und eröffneten, wie Benjamin beobachtete, “eine Phantasmagorie, in die der Mensch eintritt, um sich zerstreuen zu lassen." Schon in der Pariser Ausstellung 1867 gab es Reproduktionen eines Ägyptischen Tempels und eines Marokkanischen Zeltes, und 1889 bestand eine der populärsten Attraktionen aus der Rue du Caire, in der Bauchtänzerinnen den Besucher in orientalischen Cafés unterhielten. 1900 kommentierte der Journalist Maurice Talmeyr das Durcheinander von Hindutempeln, Hütten von Eingebohrenen, Pagoden, Souks, von Chinesischen, Japanischen, Sudanesischen, Sengalesischen, Siamesischen und Kambodschanischen Vierteln: ein Bazar verschiedener klimatischer Zonen, architektonischer Stile, Gerüche, Farben, Küchen und Musik. Eine zusammengewürfelte Auswahl von Plätzen wurde an einen Ort gebracht, wie das Universum in einen Garten. Die indische Ausstellung erinnerte Talmeyer an den Louvre oder den Bon Marché in Tyre oder Bagdad. In ihrem universellen Eklektizismus vollendeten die Weltausstellungen die Vernichtung des Raumes, die viele Kommentatoren der Eisenbahn zuschrieben. Heinrich Heine schrieb 1843, Filippo Marinettis futuristische Lobschrift antizipierend, anlässlich der Eröffnung von Paris-Rouen und Paris-Orléans: “Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig. […] Mir ist, als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linden; vor meine Tür brandet die Nordsee." Darüber hinaus beförderten Panoramen, die Eisenbahn und die Weltausstellungen das, was ein Journalist des 19. Jahrhunderts, Benjamin Gastineau, “la philosophie synthétique du coup d’oeil” oder die synthetische Philosophie des Blickes nannte: ein totalisierendes Bild der Welt, eine Landschaft oder Stadt als ein Ganzes, sorgfältig balanciert und von reizvollen Ereignissen belebt. Diese Haltung ist gelegentlich auch in Sittes Städtebau zu beobachten, wo die öffentlichen Räume des Barock mit den Prinzipien des Bühnenbildes in Theatern analogisiert werden – oder, könnte man hinzufügen, in Dioramen. 12 Aussichtsturm Um mit der Herausforderung des Massentourismus Schritt halten zu können, erweiterten die Unternehmer von Panoramen ihre Themen um Szenen ferner Orte und exotischer Landschaften. Das vielleicht berühmteste Panorama dieser Art war Godfrey N. Frankensteins Moving Panorama of Niagara Falls, dessen Eröffnung in der Broadway Hope Chapel im Juli 1853 exakt mit der Einführung einer Bahnlinie nach Niagara zusammenfiel, die einen enormen Anstieg an Besuchern mit sich brachte. Zusätzlich zu Städten und Landschaften stellten Panoramen auch berühmte Schlachtszenen dar. Das ist durchaus angemessen, wenn man bedenkt, dass das Konzept kreisförmiger Darstellungen auf die Militärtopographie zurückgeht. Das vielleicht früheste Beispiel ist der panoramische Blick auf die Mauern von Wien von Augustin Hirschvogel von 1547. Neben den Militärrepräsentationen mag Barker auch von anderen Vorläufern inspiriert worden sein. 13 Lecture 3 | La Belle Epoque Was ist modern? Wie erschafft man etwas Neues? Für eine Betrachtung der Geschichte der modernen Architektur müssen wir zunächst klären, was der Gegenstand der Betrachtung ist. Denn es ist keineswegs klar und eindeutig, was mit moderner Architektur gemeint ist. Nehmen wir als Beispiel das Weimarer Musikgymnasium von Thomas van den Valentyn. Viele würden sicher sagen, das Gebäude wirke mit seinen weißen, kubischen Formen und langen horizontalen Fenstern modern. Aber wie modern ist das? Der Architekt erklärt uns, er habe, als Hommage an den Ort und das Bauhaus, versucht, gewisse Referenzen zu einer der Ikonen funktionalistischer Architektur herzustellen, der Villa Savoye von Le Corbusier. Der verwirrende Teil dieser Schilderung ist, das Le Corbusier nie eine Verbindung mit dem Bauhaus oder mit Weimar hatte. Aber van den Valentyns Entwurf erinnert noch an viele weitere Gebäude, die nichts mit dem Bauhaus zu tun haben: das Auditorium erinnert an das Stadtbad-Mitte in Berlin von Heinrich Tessenow, die Außentreppen ensprechen denen der Villa Malaparte in Capri, während der Grundriss des Eingangsgeschosses das Wissenschaftszentrum in Berlin in Erinnerung ruft, einen postmodernen Entwurf von James Stirling. Lassen wir aber diese komplizierten Referenzen beiseite und kehren zu der Frage zurück, ob Formen, die in den 1920er Jahren entwickelt wurden, heute als modern angesehen werden können. Nehmen wir als Beispiel die horizontalen Fenster des Musikgymnasiums. Das Bandfenster war ein beliebtes Mittel der funktionalistischen Generation der 1920er, Le Corbusier nennt das Bandfenster gar als einen seiner fünf Punkte der modernen Architektur, erschienen 1927, neben den Pilotis, dem freien Plan, der freien Fassade und dem Dachgarten. Wenn diese Prinzipien die neue Architektur beschreiben sollen, könnten wir natürlich die Frage stellen, warum dann einige von ihnen in der Geschichte bereits auftauchen? G.T. Greens Boat Store an den Sheerness Naval Dockyards von 1861 etwa, oder auch James Bogardus Laing Store in New York aus dem Jahr 1849 beispielsweise zeigen nicht nur lange horizontale Fensterbänder in einer quasifunktionalistischen Fassade, sie zitieren sogar ein noch wesentlich älteres Beispiel: Jeremy Benthams Projekt einer panoptischen Schule von 1797. Die Idee des Bandfensters geht also offensichtlich bis in die Zeit der Aufklärung zurück, ist also, grob gesprochen, Zeitzeuge der Entstehung der ersten Autos und die Moderne steht damit scheinbar in direkter Relation zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die Frage ist also: gibt es etwas, das die Moderne für ihre, allgemein im Beginn des 20. Jahrhunderts angesiedelte, Zeit be- und festschreibt oder liegt das Moment des Modernen vielmehr in einer gewissen Zeitlosigkeit? Das Wort ‘modern’ trägt im allgemeinen Sprachgebrauch viele Bedeutungen. Beispielsweise kann ‘modern’ schlicht so viel bedeuten wie ‘von heute’ oder ‘zeitgenössich’ als Gegenteil also von ‘altmodisch’ oder ‘altertümlich’. ‘Modern’ kann aber auch eine ganz bestimmte historische Periode 14 meinen, im Allgemeinen die 1920er Jahre. Einige Beispiele der Architektur und Kunst der 1920er Jahre war in einem ganz besonderen Sinne modern: sie lehnten die Eigenschaften und Charakteristika früherer Stile entschieden ab und vertraten eine vereinfachte geometrische Abstraktion, die sich einfacher Zuordnung zu einem bestimmten historischen oder geographischen Kontext entzog. In anderen Worten, Abstraktion diente den Modernisten als Werkzeug, konventionelle Bezüge zu historischen Kontexten auszuschließen. Obwohl die abstrahierte Sprache der Modernisten aus unserer Sicht längst als modisches Element in der Kunst und Architektur der 1920er Jahre erkannt ist, funktioniert sie für das nicht spezialisierte Publikum immer noch als Methode, Bezüge zu negieren und somit dem Argument zu dienen, nach dem Nicht-Geschichtlichkeit gleichbedeutend mit Moderne ist. Wir müssen an dieser Stelle aber festhalten, daß Zeichen für Moderne in verschiedenen Bereichen des Lebens verschieden interpretiert werden. Geht es zum Beispiel um Maschinen, wie etwa das Automobil, scheinen die Menschen keine Schwierigkeiten zu haben, Innovation zu akzeptieren. Sprechen wir jedoch über bestimmte Arten Architektur – etwa Gotteshäuser oder auch Wohngebäude – scheinen die Dinge anders zu liegen. Es scheint, um als Geschichtlichkeit wahrgenommen zu werden, muss sich auch die moderne Architektur in einen Diskurs eingliedern. Nur so wird sie letztlich als Architektur oder kulturellen Eingriff verstanden. Um auf unser Beispiel vom Anfang zurück zu kommen: das Musikgymnasium gilt ohne Zweifel als Architektur, die anderen Beispiele nicht notwendigerweise. Ging es etwa bei den freien Grundrissen und Fassaden der Modernen mehr um einen Vergleich von Architektur und Maschine, geht es heute vielmehr um die formelle Beschreibung architektonischer Eigenschaft. Die Maschine, etwa das Automobil, hat zunächst eine primäre Funktion, hier die Bewegung von A nach B ohne Anstrengung der eigenen Muskelkraft und zudem in wesentlich erhöhter Geschwindigkeit. Architektur andererseits übernimmt stets auch sekundäre Funktionen. So soll das Haus etwa nicht bloß Schutz vor Kälte, Regen und Wind bieten, sondern gleichzeitig etwas über den Status seines Besitzers erzählen; Architektur entfaltet also stets auch eine Zeichenwirkung. Anders also als die funktionale Begründung der Maschine – das Automobil hat trotz wechselnder Gestalt seit seiner Erfindung sinnvollerweise immer vier Räder, ein Lenkrad und eine variable Anzahl Sitze – wäre Architektur demnach eine Intervention im kulturellen Bereich, in einem bestimmten kulturellen, zeitlich begrenzten Umfeld. Der neugothische Architekt und Theoretiker Augustus Welby N. Pugin zeigt in seinem 1836 erstmals in Eigenregie veröffentlichten Buch Contrasts auch die architektonische Idee des Panopticons nach Bentham, das, folgt man Foucault, wie keine andere architektonische Form die moderne Gesellschaft beschreibt. Pugin sieht darin den Ausdruck der zu seiner Zeit herrschenden sozialen Missstände, denn es ist klar, dass Foucault, als er das Panopticon zum Paradigma der Moderne erklärt, damit das Wesen der Disziplinargesellschaft beschreibt. Pugin legt in seiner Arbeit mit dem Untertitel The Present Decay of Taste und der wohl als Handlungsanweisung zu verstehenden Langform A Parallel Between The Noble Edifices of The Middle Ages and Corresponding Buildings of The Present Day nach einer Kritik der schmucklosen Städte der Gegenwart seine Lösung für die sozialen und architektonischen Missstände der Zeit dar, die letztlich in der Aufforderung kulminiert, sich wieder den Idealen des 15 Mittelalters zuzuwenden. So zeigt Pugin in der Tafel zur Behausung für die Armen eben ein Panoptikon als Verlies für die, welche die Gesellschaft am Rande lässt und zeigt zum Kontrast eine offene Klosteranlage des Mittelalters in ländlicher Umgebung als Haus der Armen. In ähnlicher Gesinnung auf eine bessere, frühere Zeit schauend, mit dem Ruf nach dem Kollektiv, verfasste William Morris 1884 seine Summary of The Principles of Socialism, mit denen er eine wohl mehr theoretische denn praktische Version des Sozialismus einführte im Versuch, die arbeitende Klasse in diesem Sinne zu erziehen. Die Ideen von einer Orientierung an gewissen Prinzipien vorangegangener Epochen fanden auch in der Architektur ihren Ausdruck. So kann das von Philip Webb 1861 im englischen Bexleyheath errichtete Red House als auf der Grundlage von gewissen vernakulären Architekturen des Mittelalters entstanden, gelesen werden. Seine gedrungene Form, verschiedene stilistische Zitate wie etwa der Brunnen im Hof oder die überspitzen Dachflächen evozieren dabei eine gewisse Ruinenromantik wie sie in den Vorstellungen vom Mittelalter in dieser Zeit maßgebend gewesen sein dürften. Gleichzeitig finden sich aber auch völlig neue, wir dürfen sagen ‚moderne’ Ideen. So ist die Fassade bereits in Teilen funktional begründet gegliedert, Fensterformate vor den Treppen unterscheiden sich deutlich von denen in anderen Bereichen, auch der Grundriss zeigt eine recht rationale Ordnung mit den öffentlichen Funktionen entlang eines Korridors im Erdgeschoss, den privaten Räumen im Obergeschoss. Die überwiegende Abwesenheit von Ornament ist ebenso bemerkenswert wie die sichtbaren Deckenkonstruktionen, in denen sich bereits eine gewisse Art der konstruktiven Ehrlichkeit ausdrückt. War bis zu diesem Punkt stets die klassische Tradition dominant, wie wir sie in den Zeugnissen der Neogothik oder anderer Historismen finden, gewinnt nun, in der Bemühung um neue Einflüsse, die Orientierung an „neuen“ Welten mehr Relevanz. Ereignisse wie die Weltausstellungen von Paris und Chicago spielen dabei eine Rolle genauso wie der aufkommende Japanismus, wie er sich etwa in William Godwins Anglo-Japanese Furnitures von 1880 zeigt. C.F.A. Voyseys Haus Broadleys (1898) im englischen Lake Windermere mit seiner gewissen Geometrisierung der Fassade, der stringenten Raumfolge und den weißen, recht schmucklosen Innenräumen ist ein frühes architektonisches Beispiel für das, was durch die Ausstellung etwa des japanischen Ho-o-den Tempel auf der Worlds Columbian Exhibition 1893 in Chicago zu einer regelrechten Japanisierung der Architektur führen sollte. So dient die japanische Tradition Frank Lloyd Wright als Ersatz für einen von ihm immer bestrittenen europäischen Einfluss auf seine Architektur. In dem erklärten Bestreben, eine „amerikanische“ Tradition zu schaffen begab sich Wright auf Schatzsuche in vielerlei Bereichen, was sich nicht zuletzt in der so häufig wechselnden Stilistik seiner Gebäude zeigt, aber die Eindrücke, welche Wright von seiner Reise nach Japan mitbrachte, dürfen als die bleibendsten seines langen Schaffens gelten. Für Wright, so steht zu vermuten, war der Einfluss, unter dem seine Werke letztlich entstanden, eher zweitrangig, solange er nur nicht europäisch war. Betrachten wir für den Moment Wrights Ward Willits House von 1902 in Highland Park, so stellen wir fest, dass sich am Mittel der Achsverschiebung im Grundriss trotz der äußerlich formalen Unterschiede sehr wohl Bezüge zu europäischen Vorbildern herstellen lassen. Das Mittel der Achsverschiebung findet sich auch in französischen Traditionen des 18. Jahrhunderts. Vielmehr wird hier deutlich, dass es bei Wright um 16 den Zweck ging, zu demonstrieren, dass man in Amerika in der Lage sei, im Zweifel durch fremde Einflüsse, in jedem Fall einem europäischen Einfluss zu widerstehen. Sein Darwin Martin House von 1904 in Buffalo zitiert die Zerlegung der einfachen Box. Drei Variationen der gleichen diagrammatischen Kreuzform bilden den Grundriss aus Gästehaus, der Garage als die Umkehrung des Gästehauses und dem Haupthaus als komplexe Überlagerung jeder Kombination der Teile. Es ist das für Frederick C. Robie entworfene Haus im Hyde Park in Chicago von 1907 in dem Wright vielleicht zum ersten Mal wirklich eine eigenständige Form des amerikanischen Hauses entwickelt. Mit seiner ausgeprägten Horizontalität, der starken Betonung archetypischer Elemente wie Dach und Kamin und der im Grundriss zentralen Position der Feuerstelle erinnert das Haus zwar noch an seine Vorgänger. Mit der, für Wright später typischen, extrem unprominenten Gestaltung des Eingangs, dem freien Grundriss und der gewissen Abstraktion der architektonischen und ornamentalen Elemente wird hier aber erst die Sicht des Hauses als Gesamtkunstwerk deutlich. In diesem Sinne läßt Wright beispielsweise keine Vorhänge zu, der Architekt entwirft vielmehr farbig gestaltete Glasfenster, die im Einklang mit den anderen Elementen des Raumes stehen. Nichts können die Bewohner frei entscheiden, der freie Grundriss lässt im Sinne des Gesamteindrucks keine Freiheit bei Einrichtung und Gestaltung zu. Das die Gestaltung dabei keineswegs zufällig, sondern vielmehr geometrisch entwickelt ist, lässt sich im Grundriss ablesen. Die diagonalen Fenster lassen bereits eine Ableitung aus Quadratur vermuten und tatsächlich ist das Hauptgebäude als Quadratwurzel abgeleitet aus zwei verschiedenen Variationen der Dienstquartiere. Quadratur und Triangulatur Im zwischen 1905 und 1908 errichteten Unity Temple in Oak Park, einem Vorort westlich des Loops in Chicago, vertieft Frank Lloyd Wright die Untersuchung eines Gebäudes als abstrakte Form. Traditionelle Elemente wie etwa das Dach, welches das Wohnhaus erst als solches lesbar macht, fehlen nun völlig, das Gebäude ist abstrakte Form. Tatsächlich war Wright sehr an Geometrie interessiert. Wright, der zu Beginn seiner Karriere als Assistent für Louis Sullivan gearbeitet hatte, fertigte sogar eine Quadraturzeichnung als Logo seines Büros an. Wright betrachtete die Geometrie allerdings nicht als Ausdruck eines transzendentalen Symbolismus, sondern vielmehr als Hilfsmittel, um sich von dem, wie er fand, erstickenden Einfluss der europäischen Architektur zu befreien und etwas genuin Amerikanisches zu schaffen. Sein frühes Meisterwerk, der Unity Temple, ist dafür ein gutes Beispiel. Üblicherweise erklären Architekturhistoriker den Entwurf dieses Sakralbaus, indem sie auf frühere Gebäude und andere Dinge verweisen, die Wright als Modell gedient haben könnten. So behaupten manche, Wright habe den kubischen Stil des Deutschen Pavillons nachgeahmt, den Peter Behrens für die Weltausstellung 1904 in St. Louis entworfen hatte; andere wiederum meinen, er habe die Grundrisstypologie des Nikko Taiyu-in-byo oder anderer im Gongen-Stil gebauter japanischer Tempel übernommen. Tatsächlich bestehen Wrights Kirche wie auch diese nicht christlichen Tempel aus zwei größeren, durch ein untergeordnetes Element verbundenen Baumassen – eine mit einem beinahe quadratischen Grundriss, die andere ein längliches Rechteck. 17 Andere Architekturkritiker behaupten, der Entwurf beruhe auf den Kompositionsprinzipien der japanischen Kunst, wie sie der Maler Arthur Dow bei seinen Werken verwendet hatte. Wright selbst hingegen deutete an, der Entwurf des Unity Temple sei von Fröbel-Bauklötzen inspiriert worden, einem Baukasten, mit dem er als kleiner Junge gespielt hatte. Obwohl alle diese Ideen irgendwie plausibel erscheinen, erklären sie immer nur bestimmte Aspekte des Entwurfs. Hier erweist sich eine geometrische Analyse des Gebäudes als hilfreich. 1928 publizierte Wright ein analytisches Diagramm, in dem er angab, dass der Tempel und das angeschlossene Gemeindehaus unter Verwendung eines Rasters mit dem Modul von 7 Fuß (213cm) geplant worden waren. Die Positionierung der Fenster und Oberlichter sowie einige andere Details korrespondieren eindeutig mit diesem Raster, doch die größeren Baumassen lassen sich nur schwer damit in Einklang bringen. Um diese zu verstehen, muss ein anderes modulares Raster rekonstruiert werden, das auf einer Unterteilung des zentralen Altarraums in vier Quadranten beruht. Dementsprechend definieren die Fensterwände des Tempels ein Quadrat, das 16 Rastereinheiten umfasst. Die Verbindungsbrücke misst zwei dieser Einheiten, ebenso der zentrale Versammlungsraum, wenn die Kaminwand mit eingerechnet wird. Der dahinter befindliche Nähraum ist eine halbe Einheit tief. Tatsächlich basiert der Versammlungsraum auf exakt dem gleichen Quadrat wie der Altarraum, doch befinden sich die Säulen und Wände innerhalb der modularen Linien. Um das strenge additive Erscheinungsbild zu vermeiden, das häufig ein Nachteil modularer Grundrisse ist, fügte Wright jedoch auch Dimensionen ein, die durch Quadratur erreicht wurden und die mit dem Raster nicht zu vereinbaren sind. So können zum Beispiel die Ecktürme des Tempels hergeleitet werden, indem die Diagonale des zentralen Raumes als Maßstab genommen und um 45° gedreht wird. Auf ähnliche Weise entsprechen die Seitenflügel und die Stirnwand des Unity House dem Ausmaß eines Doppelquadrats, dessen Seitenlänge die Diagonale des ursprünglichen Quadrats ist. Diese Operationen werden auf jeder Maßstabsebene bis hin zu den Ornamenten angewendet. Die Koexistenz unterschiedlicher Gestaltungsprinzipien verleiht dem Entwurf eine besondere Spannung, ohne beliebig oder unverständlich erscheinen zu lassen. Was wir in diesen Bemühungen um die Geometrie sehen, ist aber nicht nur Wrights eigenes Bestreben, sich von den Einflüssen der Europäer zu lösen. Vielmehr lässt sich darin ein allgemeiner Versuch sehen, den geltenden architektonischen Konventionen zu entgehen. Schließlich, so war man sich wohl einig, gäbe der Einfluss durch die Geometrie, also der Bezug zu wissenschaftlichen Modellen und mathematischen Verfahren, der Architektur die Legitimation der hohen Wissenschaften. So arbeitete Hendrick Petrus Berlage bei seinen späteren, ausgereiften Werken meist nicht mit organischen Modellen, sondern mit Proportionssytemen und geometrischen Rastern, um seine Formen präzise zu bestimmen. In seinen Schriften erörterte er Quadratur und Triangulatur, zwei bekannte und aus der gotischen Architektur stammende Methoden. Seine Amsterdamer Börse von 1898 nutzt die Mittel von Quadratur und Triangulatur zur Entwicklung der Fassade. Die hier angewendete ägyptische Triangulatur gab dem Entwurf zudem eine gewisse historische Legitimation, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, historisch willkürlich zu sein. 18 Im Allgemeinen wird Quadratur als eine mathematische Methode angesehen, mit deren Hilfe sich der Flächeninhalt einer planen Figur bestimmen lässt, indem diese in eine Anzahl von Formen zerlegt wird, deren Gesamtflächeninhalt bekannt ist. In der Architektur bezieht sich Quadratur jedoch auf eine spezifische Methode der Verdoppelung oder Halbierung des Flächeninhalts eines gegebenen Quadrats. So kann aus einem Quadrat leicht ein neues, genau halb so großes Quadrat gezeichnet werden, indem die Mittelpunkte der vier Seiten mit Linien in einem Winkel von 45° verbunden werden. Die Triangulatur bedient sich eines ähnlichen Verfahrens, das in der Regel auf einem gleichseitigen Dreieck basiert. Die Architekten der frühen Moderne waren unter anderem deshalb so von Quadratur und Triangulatur fasziniert, weil diese Entwurfsmethoden im Mittelalter zu den sagenumwobenen „Geheimnissen der Freimaurer“ gehört hatten. Die Architekten der Gotik verwendeten sie in erster Linie aus praktischen Gründen. Die von Baustelle zu Baustelle ziehenden Maurer und Steinmetze konnten keine Maßstabszeichnungen benutzen, da es damals kein allgemein gültiges Maßsystem gab – die Länge eines Fußes zum Beispiel variierte von Land zu Land, ja mitunter sogar von Stadt zu Stadt. Deshalb bedienten sie sich der Geometrie, um die Gebäudemaße ohne einen Zollstock aus einer Maßstabslosen Zeichnung abzuleiten. Obwohl Quadratur und Triangulatur in Grunde nur ein Notbehelf waren, brachten sie eine erstaunlich komplexe und in ihren Proportionen auch sehr harmonische Architektur hervor. Neben der geometrischen Ableitung ihrer Fassade weist uns die Amsterdamer Börse aber auch auf ein weiteres Merkmal der frühen modernen Architektur, der Offenlegung der Struktur. Biomorphe Architektur Ein zentraler Aspekt der Moderne war die Überzeugung, dass die Formen der historischen Architektur nicht mehr dem Zeitgeist entsprächen: Die alten Stile waren zu einer unmoralischen, anachronistischen Maskerade entartet, die die Kreativität der Architekten behinderte, reaktionäre und somit verlogene Botschaften vermittelte und den Herausforderungen der neuen sozialen und technischen Entwicklung nicht mehr gerecht wurde. Um sich nicht dem Vorwurf der Beliebigkeit und Subjektivität auszusetzen, suchten die Architekten nach Methoden, die an die Stellen der alten Authoritäten treten konnten. Diese müssten universeller als die Kapricen eines einzelnen Entwerfers, aber zugleich auch zeitloser als die sich ständig wandelnden Moden und allgemeiner als ortstypische Gewohnheiten. Nach dem Architekt und Theoretiker Claude Bragdon entdeckten die Architekten der Moderne drei Quellen für eine neue architektonische Sprache: Originalgenie, Geometrie und Natur. Versprach die Geometrie noch Zugang zu den allgemeinen Ornungsprinzipien und unveränderbaren Gesetzen des Denkens, sollte das Studium der Natur nun Modelle liefern, die verständlich und, ungeachtet historischer und politischer Besonderheiten, in unterschiedlichen Gesellschaften gültig waren. Auf diese Weise glaubten sie, die Imitation historischer Vorläufer vermeiden zu können. War Henri Labrouste bei der Bibliothèque Ste. Geneviève 1850 in Paris noch darauf angewiesen, für den Grundriss das Diagramm eines archaischen Tempels zu bemühen, um so Kraft der Referenz des historischen Beispiels die neue Konstruktion zu legitimieren, so betont das Maison Villaflore von 19 Hector Guimard, von 1910 bis 1911 in Paris errichtet, fast ausschließlich die Konstruktion, die hier fast eine organische Idee von Haut und Knochen evoziert. Mit seinen Entwürfen für die Pariser Metro um 1900, von denen die Porte Dauphine das berühmteste Beispiel ist, ist Hector Guimard einer der führenden Architekten einer Architektur, die vorgibt, ihre formale Gestalt und konstruktive Logik aus der Natur abzuleiten, sehr wohl in dem Wissen, dass man die Logik der Natur, anders als die der Geschichte, nicht leugnen kann. In seinen 10 Bänden der Kunstformen der Natur zeigt Ernst Haeckel zwischen 1899 und 1904 unter anderem den von ihm besonders bewunderten filigranen Bau bestimmter Meerestiere wie Schwämme und Quallen. Das Buch gilt häufig als großer Einfluss für die Künstler des Jugendstils und Entwürfe wie der Kronleuchter in Form einer Qualle, wie ihn Berlage 1905 entwarf, scheinen das eindrucksvoll zu bestätigen. Aber wir sollten nicht vergessen, daß die charakteristischen Ornamente des Jugendstils in 1899, als das Buch zuerst erschien, bereits voll entwickelt waren. Mit anderen Worten, es war weniger Haeckel, der die Künstler beeinflusste. Vielmehr inspirierten die Künstler Haeckel, bestimmte Analogien zu Formen in der Natur zu betonen und spätere, weniger einflussreiche Künstler suchten daraufhin ihre Legitimation in Haeckels Werk. Interessanter als die reine Adoption der Form scheint aber der Versuch, mit dem Studium der Natur gewisse Optimierungen der Struktur verbinden zu können. Zwischen 1863 und 1872 veröffentlichte Eugène-Emanuel Viollet-le-Duc, Vorsitzender der Commission des Monuments Historiques und Generalinspekteur der Bauten der Diözesen Chartres, Le Mans, Troyes, Châlons, Paris und Reims die Bände der Entretiens sur l’architecture, in denen er sich Grundfragen der Architektur widmet. Die Bände neun bis zwanzig gehen dabei den Fragen der Methoden und Materialien der zeitgenössischen Architektur nach, bis hin zum Stahlbau und der Bauteilvorfertigung. Eindringlich betont le-Duc die Verwandschaft von gotischer Skelettbauweise und den Eisenskelettkonstruktionen des 19. Jahrhunderts. Gleichwohl Viollet-le-Duc in John Ruskin und dessen Stones of Venice von 1854, in denen er den Bezug zu einer hergebrachten Art des Bauens propagierte, einen einflussreichen Gegner hatte, sind seine Überlegungen doch für zahlreiche Architekten des Jugendstils von Bedeutung gewesen. Es war Victor Horta, ausgebildet an der Académie des Beaux-Arts in Gent und ein besonders interessierter Leser Viollet-le-Ducs, exemplarisch mit seinem Maison Horta von 1898 und dem Maison du Peuple von 1897, beide in Brüssel, dessen Arbeiten besonders eindrücklich vor Augen führen, dass es den Architekten weder um eine bloße plakative Replikation der in der Natur gefundenen Form ging, noch um die reine Struktur. In dem Bewusstsein, dass Architektur immer auch Kritik ist, stehen bei Horta, und anderen, struktureller Rationalismus und politische Agenda gleichberechtigt nebeneinander, bedingen sich Funktion und Programm und dadurch letztlich Gestalt und Struktur gegenseitig. Viele Architekten seiner Generation sind überzeugte Sozialisten und so wundert es kaum, das Horta die Zentrale der belgischen sozialistischen Partei baut. Bemerkenswerter aber ist, dass deren Fassade die erste in Brüssel vollständig als Eisen-Glas-Konstruktion ausgeführte ist und damit dem Prinzip des strukturellen Rationalismus zu breiter Öffentlichkeit verhilft. 20 Parametrischer Entwurf Eine andere Richtung des Strukturalismus verfolgt Antoní Gaudí. Auch seine Formen sind häufig als aus der Natur entlehnt besprochen worden und viele seiner Bauten scheinen das einsichtig zu machen. So wurde verschiedentlich die formale Ähnlichkeit zum Knochenbau des Menschen als das Motiv der Fassade der Casa Batlló thematisiert, die Gaudi von 1904 bis 1907 für den Textilunternehmer Josep Battló i Casanovas in Barcelona umbaute. Das Dach, so gehen die Argumentationen, u.a. von Charles Jencks, weiter, entspräche dabei der Gestalt eines Drachens, möglicherweise in dem Sinnen, der Rivalität zwischen der nach Autonomie strebenden Provinz Katalonien und dem restlichen Kastilien Ausdruck zu verleihen. Tatsächlich ist hier aber wohl bestimmender gewesen, dass die Besitzer mit ihrem im bürgerlichen Umfeld höchst ungewöhnlichen Fassadenumbau schlicht ihre eigene Progressivität sichtbar zu machen gewillt waren. Ein weiteres Beispiel von Gaudís Schaffen ist die in der Nähe zur Casa Battló gebaute Casa Milá, errichtet zwischen 1906 und 1910. Tatsächlich ist dieses Gebäude nicht nur wegen seines Spottnamens „La Pedrera“, oder „Der Steinbruch“, oder seiner karikierenden Darstellung als Hangar für Luftschiffe interessant, sondern vielmer deshalb, weil Gaudí hier neben einer immer noch organischen, fast antropomorphen Formensprache, insbesondere in der Gestaltung der Dachlandschaft und hier besonders der Kaminzüge, auch strukturelle Überlegungen anstellte. Bleibt die Symbolik der freien Form noch fragwürdig, so ist die Konstruktion des Dachgeschosses durch eine Reihe von Rippengewölben, ausgeführt als parabolide Bögen, von bestechender konstruktiver Konsequenz. Ähnlich Viollet-le-Duc mit seinen Gewölbekonstruktionen aus Stahl, legt Gaudí hier die Grundlagen für das konstruktive System, das er für seine Kirche Sagrada Familia perfektionieren sollte, und das ihn als Vorreiter des parametrischen Entwerfens auszeichnen sollte. Bei einem parametrischen Entwurf wird eine Anzahl von unabhängigen Parametern ausgewählt, die nach bestimmten Kriterien systematisch variiert werden, um nicht nur „ein“ Objekt zu erhalten, sondern auch eine Reihe von Variationen. Für gewöhnlich wird diesen Parametern eine geometrische Interpretation gegeben. Die geometrische betriebene Morphogenese wird meist nur im Kontext der neueren, computergestützen Entwurfssysteme diskutiert, doch ähnliche Ideen wurden bereits zu Beginn der modernen Architektur erforscht. Antoní Gaudí ersann nicht nur ungewöhnliche organische Formen, sondern verwendete auch rationale Methoden, um diese Formen auf die gleiche Weise zu entwickeln und zu optimieren, wie es heutige Architekten tun. Das beste Beispiel für Gaudís parametrische Entwürfe ist das berühmte Hängemodell aus Schnüren und an ihnen befestigten Gewichten, das er für die Kapelle der bei Barcelona gelegenen Colonia Güell (1898-1915) verwendete. Um zu verstehen, wie diese Methode funktioniert, muss die katenarische (lateinisch: „catenarius“, „zur Kette gehörig“) Kurve erläutert werden: Wird eine vollkommen elastische und in allen Teilen gleich schwere Kette (oder Schnur) an ihren Endpunkten aufgehängt und wirkt auf sie keine andere Kraft ein als die Gravitation, so wird sie eine auch als „Kettenlinie“ bezeichnete, parabelähnliche Form annehmen. Dies ist, grob gesagt, die für Hängebrücken wie zum Beispiel die Golden Gate Bridge in 21 San Francisco charakteristische Form, bei der sich das Gewicht der Fahrbahn gleichmäßig auf die über ihr hängenden Drahtseile verteilt. Auf eine Kette, die in einer katenarischen Kurve herabhängt, wirken nur Zugkräfte. Dreht man diese Form jedoch um 180°, so ergibt sich ein Bogen, auf den nur Druckkräfte wirken. Anders formuliert: Das Gewicht des Materials wirkt entlang der Kurve, ohne dass dabei Querkräfte erzeugt werden. Gaudí wollte sich der Kettenlinie bedienen, um eine ideale, dreidimensionale Kirchenkonstruktion zu entwickeln. In der Architektur der römischen Antike basierten Bogen, Gewölbe und Kuppeln für gewöhnlich auf dem Kreis. Die Baumeister der Gotik fanden heraus, dass die gleiche Spannweite mit weniger Material ausgedehnt werden kann, wenn sie die Bögen oder das Gewölbe spitzer gestalteten, da die Querkräfte dann schwächer waren. Trotzdem ist der gotische Bogen oder Spitzbogen keineswegs vollkommen: Um den Querkräften entgegenzuwirken, brachten die gotischen Baumeister an der Außenseite ihrer Bauwerke Stützstreben an. Ein katenarischer Bogen, ein aus der gleichen Form entwickeltes Gewölbe oder eine katenoide Kuppel bedürfen jedoch keiner zusätzlichen Stütze. Gaudís riesiges (4x6 Meter großes) Hängemodell basierte auf Kettenlinien. Er begann mit einem System von Schnüren, an denen zunächst keine Gewichte befestigt waren, und dann variierte er nach und nach die Länge der Schnüre, die Punkte, an denen sie verbunden waren, die an ihnen befestigten Gewichte usw. Jede zusätzliche Verbindung und jedes zusätzliche Gewicht veränderte die Form der gesamten Oberfläche auf dramatische Weise, genau so, wie es beim parametrischen Entwurf geschieht. Gaudí ließ jede Konfiguration fotografieren und traf anschließend seine endgültige Entscheidung, die auf den räumlichen Effekten basierte, wie er sie sich vorgestellt hatte. Auf diese Weise war er auch ohne Computer in der Lage, die komplexen Oberflächen mit äußerster Präzision zu bestimmen, und konnte sich sicher sein, dass die aus diesem Verfahren resultierende Geometrie allein auf Grund der Druckkräfte stabil war, wenn man sie hinterher auf den Kopf stellte. Gaudí ging also bei seinen Entwürfen durchaus wissenschaftlich vor, neben dem parametrischen Vorgehen und der Analyse von Kettenkurven widmete er sich unter anderem auch dem Studium der menschlichen Anatomie. Das moderne Element in Gaudís Architektur ist nicht so sehr die ungewöhnliche Form, als vielmehr die Konstruktion. Während der Grundriss zum Beispiel seiner Kirche Sagrada Familia eher traditionell angelegt ist, bietet die Konstruktion, welche die Lasten ohne Strebepfeiler bis in den Boden abführt, eine bemerkenswerte Innovationsfreude. Die Arbeit Gaudís ist gewissermaßen parametrisches Entwerfen ohne Computer. Diese Form der konstruktiven Entwurfsgenerierung entspräche also, so könnten wir sagen, dem Rationalismus und ist damit „modern“, hat gleichzeitig aber (zunächst) nichts mit der „weißen Moderne“ zu tun. Um auf unser Beispiel und die Frage vom Anfang zurück zu kommen, könnten wir sagen, dass ein Merkmal dessen, was „modern“ heißt, das Bestreben ist, eine objektive Wahrheit in den Entwurf einzuschreiben und nicht nur einer subjektiven Präferenz zu entsprechen. 22 Lecture 4 | Die Umwertung aller Werte Was bestimmt die Evolution der Architektur? Am 18. Mai 1924 erklärte Virginia Woolf, dass: „On or about December 1910 human character changed“. Was sie meint ist das Schwinden alter Gewissheiten, alter Gewohnheiten und die Unterschiede zu den Authoritäten des 19. Jahrhunderts. Auch die Rolle des Künstlers änderte sich zu dieser Zeit. Woolf, eine der Bloomsbury Intellektuellen, stellte trotz ihres unkoventionellen Lebenswandels keine Gefahr für die Gesellschaft dar. Ihre schlimmste Verfehlung war ihre Teilnahme am als Dreadnought Hoax bekannt gewordenen Streich, auf den die Royal Navy hereinfiel. Am 10. Februar 1910 veranstaltete Virginia zusammen mit fünf weiteren „Bloomsberries“ den Dreadnought-Streich, der zu einer offiziellen Anfrage im Oberhaus führte. Virginia und ihre Freunde trugen orientalische Phantasiekleidung, angeklebte Bärte und waren bis zur Unkenntlichkeit schwarz geschminkt. Als Delegation von vier fürstlichen Diplomaten aus Abessinien (der früher, besonders in England gebräuchlichen Bezeichung für das heutige Äthiopien; einen “Dolmetscher” brachten sie mit) besichtigte die Truppe auf Einladung des Oberbefehlshabers das Kriegsschiff H.M.S Dreadnought und dessen geheime Bereiche. Eine Abordnung führte die Delegation durch das höchst geheime Schiff, die Flaggen wurden gehisst, und die Kapelle spielte zu ihren Ehren. Allerdings spielte sie die Nationalhymne von Sansibar, da die abessinische nicht aufzutreiben war. Die fürstliche Gruppe unterhielt sich mit einigen Brocken Suaheli, und der Dolmetscher sprach ein Kauderwelsch einiger Zeilen aus dem Vergil. Doch nach diesem vergleichsweise harmlosen Streich änderten sich die Dinge. 1919 wurde der deutsche Autor Ernst Toller, ein Kollege von Woolf, wegen Hochverrats gesucht. 10.000 Mark Belohnung wurden ausgesetzt für den per Steckbrief gesuchten „Studenten der Rechte und der Philosophie“. Der Künstler wird in dieser Zeit in den Augen der Obrichkeit allgemein zum Verdächtigen, zum Verbrecher. Doch wie war eine solche Radikalisierung möglich? Um das zu verstehen, sollten wir zurückgehen zu den Anfängen der modernen Architektur in Deutschland. An Otto Wagner und Karl Kraus zeigt sich der Richtungsstreit: Laut Otto Wagner kennt die Kunst nur einen Herren, und dieser ist die Notwendigkeit, welche die Kunst oder Architektur begründet: artes sola domina necessitas. Diesen Spruch möchte ich mit einem Aphorismus von Karl Kraus kontrastieren. Im letzten Jahr von la belle epoque, 1913 erklärte Kraus, daß die „moderne Architektur ... das aus der richtigen Erkenntnis einer fehlenden Notwendigkeit erschaffene Überflüssige” ist. Betrachten wir zunächst an einigen Beispielen Wagners Idee. An seinem Entwurf für das Amtsgebäude der Österreichischen Postsparkasse in Wien (1903-1912) zeigt sich seine technische Ästhetik, etwa die filigrane Konstruktion des Glasgewölbes, das Ausbilden 23 technischen Geräts zur Skulptur, wie zum Beispiel die Belüfter zwischen den Eingangstüren. Doch es ist das Äußere, in dem wir einen ganz bestimmten programmatischen Aspekt lesen können. Wagner zeigt die Steinfassade des Hauses als Verblendung. Deutlich sind die knopfartigen Befestigungspunkte betont und die Kanten der einzelnen Elemente der Verblendung offen sichtbar. Wir werden hier mit einem Konzept konfrontiert, das auf Karl Bötticher und seine Schrift Die Tektonik der Hellenen von 1843 zurückgeht. Bötticher unterscheidet hier zwischen zwei Formen eines Objekts, seiner Kernform und seiner Kunstform. Demnach, so Bötticher, sei die Kunstform für das Objekt nicht zwingend notwendig, aber: sie erst macht dessen Kernform sicht- und lesbar. In diesem Sinne beschreibt Tektonik nicht nur den tatsächlichen konstruktiven Aufbau eines Objektes, sondern auch dessen (symbolische) Erscheinung. In den antiken Tempeln der Griechen, so Bötticher weiter, sei diese Dialektik besonders eindrücklich; die Kunstform sei hier die architektonische Entsprechung der Kernform. Gottfried Semper definierte den Begriff im Stil in den technischen und tektonischen Künsten 1863 als die „Kunst des Zusammenfügens zu einem in sich unverrückbaren System“. Semper geht davon aus, dass der Herd, das Dach, die Wände und die Terasse die Grundelemente von Architektur sind. Jedes dieser Elemente illustriert, folgt man Semper, einen Urzustand der menschlichen Gesellschaft. Demnach leite sich der Herd von der Keramik ab, das Dach von der Zimmerei, die Terasse von der Maurerkunst und die Wände von der Weberei. Wände sind für Semper Teppiche, gehängt vor die eigentliche Konstruktion. Die Fassade ist demnach die Maske der Architektur und muss folglich auch keine tragende Funktion haben. Wir können davon ausgehen, daß Wagner bei der Entscheidung um die als Verblendung kenntlich gemachte Gestaltung der Fassade von dieser Lesung wusste. So zeigt seine U-Bahn Station am Karlsplatz in Wien sehr deutlich ihre offen gelegte Struktur, die Wände sind lediglich Füllungen zwischen den konstruktiven Bauteilen, gewinnen fast papierhafte Qualität. Noch deutlicher allerdings ist diese Lesart in Wagners Majolika Haus von 1899. Die Fassade wird nur noch als gestalteter Teppich, als Papier, das eine Zeichnung trägt, behandelt. Die aufwändige Ornamentik hat nichts mehr mit der dahinter liegenden Struktur zu tun. Die Architektur wird hier gezeigt als textile Ornamentik. Das Beispiel des Palais Stočlet (1905-1911) von Josef Hoffman in Brüssel zeigt ebenfalls diese enorme Reduktion der Wand. Die konstruktiv schmalen und extrem flachen Fassaden stehen mit ihrer zweidimensionalen Architektur als Ausdruck eines papierhaften Verständnisses von Wand. Die besonders hervorgehobene konstruktive Betonung der Ecken, also der Verbindung der Flächen, verstärkt diesen Eindruck noch. Wagners Haus in der Neustiftgasse in Wien (1909) und seine 2. Villa (1910) demonstrieren ebenfalls diese Idee der ornamental ausformulierten Verbindungen. Hoffmanns Villa Skywa-Primavesi in Wien (1911) nutzt zwar noch Pilaster als Zeichen konstruktiven Tragens, jedoch sind diese reduziert und haben keine Basen und keine Kapitelle mehr. Doch sind sie stark kanneliert und füllen die gesamte Wandfläche zwischen den Fensteröffnungen, wodurch die Säulen zu Gardinen werden, ganz ähnlich der Fassade von Hoffmanns Villa Ast in Wien (1914), deren Fassade als steinerne Gardine ausgeführt ist. 24 Wichtig scheint bei Wagner, dass es für ihn die Struktur, die Bekleidung und die Verbindung dieser beiden Teile gibt. Häufig aber sind die Elemente (Knöpfe…) dieser Triade nur Icons für ein mögliches funktionales Verbindungselement, haben keine wirkliche konstruktive Funktion. Wagners Bank ist denen von Louis Sullivan ähnlich. Zwar gilt Louis Sullivan nach seinem Essay The Tall Office Building Artistically Considered von 1896, stark verkürz widergegeben als der Begründer von „Form follows Function“, doch wissen wir auch, dass Sullivan ein großer Verfechter des Ornaments war; die Fassaden der Wolkenkratzer in Chicago waren häufig in Gänze ornamental behandelt. Seine People’s Savings Bank (1917) in Sidney im Bundesstaat Ohio zeigt ein Ornament mit historischer Symbolik: der Kämpferstein unterhalb des Gesimses soll hier die Referenz zum Eichhörnchenfell leisten, das den Ureinwohnern dieser Gegend einstmals als Zahlungsmittel diente. In seinem 1924 erschienen Buch A System of Architectural Ornament erläutert Sullivan seine geometrischen Methoden. Sullivan glaubte, in den organischen Formen des Ornaments ein weibliches Prinzip zu erkennen, das sich aus dem dominanten männlichen Prinzip der geometrischen Ordnung herausschälte. Die transzendentale Vorstellung, dass das Leben aus solch gegensätzlichen Kräften entstehe und das Universum auf einem dualistischen Fundament beruhe, bildete die konzeptuelle Grundlage für seine ornamentalen Entwürfe. Das gestalterische Ziel war für Sullivan immer der Ausgleich dieser zwei Kräfte. Entwickelte man beispielsweise eine geometrische Grundform durch Ableitung zu einer gewissen Komplexität, durch Quadratur und andere geometrische Operationen bis zu dem Punkt, da sich grazile Blütenmotive ergaben, die schließlich das gesamte ursprüngliche Quadrat bedeckten, gewinnt diese Form eine fast natürliche Organik. In der People’s Savings Bank in Cedar Rapids von 1909 entwickelt Sullivan die Verbindung von Haupteingang und Tresoreingang zur Ikone des Gebäudes. Tritt man durch die rechtwinklige Eingangstür, sieht man am gegenüberliegenden Raumende die runde Tür des Tresors, beide Türen sind axial zueinander positioniert. Öffnet man jedoch die Tresortür, gibt diese die filigrane und höchst ornamentale technische Gestalt ihrer Innenseite außerhalb dieser Achse zu erkennen. Die Konstruktion der Tresortür in Wagners Postsparkasse ist anders, hier bilden gepanzerte, verbolzte Platten eine zweiflügelige Rechtecktür. Doch könnten wir sagen, dass auch Wagner den Tresor zur Ikone des Gebäudes erhebt, denn die Ornamentik der Fassade, ihre wie mit Bolzen oder Knöpfen befestigten Platten, scheint deutlich aus der Beobachtung der Konstruktion der Tresortür entwickelt zu sein. Das Gegenargument zu dieser gestaltorientierten Auffassung von Architektur liefert Karl Scheffler mit dem Ausspruch: „Die Frage der Architektur ist in Zukunft eine Bauherrenfrage“ – die Architektur oder auch die Kunst bedarf demnach immer eines Mäzens. So ist zum Beispiel Joseph Maria Olbrichs Secessions Gebäude in Wien (1898) im Auftrag des Industriellen Karl Wittgenstein, Vater des Philosophen Ludwig Wittgenstein, entstanden, der ein großer Unterstützer des Wiener Secessionisten war. Führen wir den Gedanken von der Grundlage eines Mäzens weiter, so ließe sich letztlich behaupten, eine Kunstbewegung könne nur so lange bestehen, wie sie einen Händler hat. Ein weiteres Beispiel für die Rolle eines Gönners ist die Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt mit dem von Olbrich 1908 gebauten Hochzeitsturm und Ausstellungsgebäude, die durch den Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein als Auftraggeber realisiert werden konnten. In einer Verbindung 25 von Kunst und Handwerk, die der Großherzog durch die Berufung verschiedener Künstler nach Darmstadt erreichen wollte, versprach er sich wirtschaftliche und damit finanzielle Vorteile für sein Land. Berufen wurden neben Olbrich auch Peter Behrens, Paul Bürck, Hans Christiansen, Ludwig Habich u.a. Die Künstler sollten auf der Mathildenhöhe nicht nur ihrer eigenen Arbeit nachgehen, sondern vor allem auch neue, aktuelle Bau- und Wohnformen erproben. Dies ist insofern interessant, als viele der auf der Mathildenhöhe entstandenen Bauten nicht von Architekten, sondern von Künstlern entworfen wurden, was wesentliche Auswirkungen auf die Architektur haben sollte. Peter Behrens eigenes Wohnhaus in der Mathildenhöhe (1901) ist dafür ein gutes Beispiel. Behrens war zur Zeit seiner Berufung nach Darmstadt noch nicht der Architekt Behrens, in dessen Berliner Büro später Walter Gropius, Mies van der Rohe und Le Corbusier arbeiten sollten, sondern ein Maler. Ebenso wie die anderen Künstler der Kolonie war er architektonischer Laie und entwickelte seine Architektur so, wie es ein an die zwei Dimensionen der Leinwand gewöhnter Künstler tun würde. Man könnte sagen, die Architektur wird hier nicht vom Raum, sondern von der Oberfläche her entwickelt, worin sich Parallelen ziehen lassen zu Henry van de Velde, der ebenfalls zunächst Grafiker und Künstler war. Eine andere Entwicklung lässt sich beschreiben, folgt man Fichte und Hegel. Nach diesen zeigt jede Nation ihre eigene Identität durch die Kunst, daher ist es die Aufgabe des Staates, die Kunst zu fördern. Diese nationalistische Philosophie bedingt, dass sich in kürzester Zeit 35 Akademien entwickeln, eine Entwicklung, die zeitlich zusammenfällt mit dem Zusammenbruch des Mäzenatentums. Es ist also kein Zufall, dass sich zwischen 1870 und dem ersten Weltkrieg so viele Gruppen und Stile mit jeweils eigenem Manifest entwickeln: das Überangebot an Künstlern führt zu einem Wettbewerb um neue Ideen und nicht zuletzt dazu, dass Künstler auch Grafiken, Möbel, Geschirr, Kleider und eben auch Architektur entwerfen. Folgerichtig kommt es um die Jahrhundertwende also zur Vermischung der Kompetenzen von Architektur und Kunst, woraus sich der deutsche Jugendstil entwickelt. Allerdings ist dieser so erfolgreich, dass er sich geradezu selbst verschlingt. Mit dem spätestens auf der Ausstellung in Turin durch Behrens Hamburger Vorhalle deutlich gewordenen großen Erfolg des neuen Stils adaptiert die Industrie das Jugendstilornament alsbald als Massenprodukt wodurch der Profit einer progressiven Idee nicht an deren Urheber, die Künstler, sondern an die Industrie geht. Mit dem Übergang zur Massenproduktion funktioniert der Jugendstil folglich nicht mehr als Avantgarde, geht an seinem eigenen Erfolg zu Grunde. Der niederländische Architekt Johannes Ludovicus Mathieu Lauweriks ist ein wesentlicher Einfluss auf dem beginnenden Rückzug von Jugendstil und Ornament. Gemeinsam mit K.P.C. de Bazel veröffentlichte er ab 1898 das Journal Bouw-en Sierkunst (Bauen und Ornament), in dem sie ihre Ideen einer Kunst, die in der Theosophy begründet ist, ausbreiten. Lauweriks und Bazel versuchten, einen systematischen Ansatz für eine zeitgenössische Theory des Universellen zu entwickelten, wobei sie sich insbesondere auf die durch Viollet-le-Duc wieder entdeckte Geometrie als Grundlage stützten. Allerdings grenzten sie sich deutlich vom strukturellen Rationalismus ab, indem sie die Geometrie mit dem Okkulten zusammenbrachten. So glaubten sie, dass die Geometrie ein wesentlicher und integraler Bestandteil der Natur und Rhythmus Teil einer größeren Lebenskraft sei. Zusammen müssten diese zwei, Geometrie 26 und Rhythmus, eine harmonische Einheit bilden. Zunächst bezogen sich Lauweriks und Bazel bei ihren Betrachtungen noch weitestgehend auf die ordnenden Prinzipien der Geometrie, die etwa in der Musik oder natürlichen Phänomenen zu finden sei. Allerdings ordnen sie sich mit ihren Untersuchungen auch in die lange Geschichte derer ein, die der Geometrie und Mathematik spirituelle Dimensionen zusprachen. Mit dieser Dimension sprachen sie insbesondere die Jugendstilkünstler an, jedoch entwickelte sich ihre Theorie und damit ihr Einfluss mit der Zeit weg von einer symbolischen Auffassung von Kunst und hin zu einer mehr direkten Interpretation von Erleuchtung durch Abstraktion, wodurch schließlich die Geometrie zur Triebfeder des neuen Stils wird. Es sei nunmehr die Aufgabe des Architekten, so Lauweriks, dem modernen Bau das Moment des Spirituellen einzuschreiben, ohne dafür auf naturalistische Elemente zurückgreifen zu müssen. Mit dieser Entwicklung kommen wir zum Beispiel Peter Behrens zurück, an dessen Werk wir diese Entwicklung weiter verfolgen können. Schon sein Ausstellungspavillon in Oldenburg 1905 oder der AEG-Pavillon von 1908, der als eine Art abstrahierte Version der Pfalzkapelle zu Aachen auch einen historistischen Ansatz nahe legt – eine Tendenz in Behrens Werk, die mit der Deutschen Botschaft in Sankt Petersburg 1912 ihren Höhepunkt hat –, zeigt eine deutliche Reduktion und Geometrisierung gegenüber etwa seinem Wohnhaus auf der Mathildenhöhe. Aber es ist seine Montagehalle für die Turbinenfabrik der AEG in Berlin (1907), bei der Behrens schließlich nach den Umwegen über Jugendstil und mehrere Neo-Ismen zu der Erkenntnis kommt, dass nur die Industrie einen Ausweg aus der Suche nach einem neuen Stil bieten kann. Aus dieser Erkenntnis sollte sich in der Folge der Werkbund entwickeln, von dem Behrens einer der wichtigsten Vertreter war. Die Turbinenfabrik stellt für ihn, in Ahnlehung an Böttichers Idee der Kunstform eines Objekts, eine Durchgeistigung der Technik dar. Trotz seiner modernen Details erinnert das Gebäude daher in seiner Archaik an eine gewisse historisch belegte Tektonik. Ein ganz ähnliches Beispiel für diese erneute Durchgeistigung der Architektur, wofür sich die Architekten der Expertise der Künstler bedienen, ist das Fagus Werk von Gropius & Meyer in Alfeld an der Leine (1911) für die Schuhleistenfabrikation Carl Benscheidt. Das Gebäude ist geprägt durch seine rationale, technische Architektur mit verglasten Ecken und großen Fensterflächen. Aber die Pilaster der Langfassaden weisen eine, strukturell nicht notwendige Entasis auf, ein aus der Antike entlehntes Mittel, um das Tragen einer Säule zu versinnbildlichen. Die Produkte des Werkbundes, so elaboriert und durchgeistet sie auch waren, konnten allerdings nicht sehr lange die Gunst der Kunden gewinnen, was dazu führte, dass die Industrie dem Werkbund schon recht bald wieder den Kredit entzog. Die Werkbundausstellung von 1914 in Köln war der letzte Versuch, die Arbeiten des Werkbundes, der sich im Zuge des „Typenstreits“ selbst zu spalten drohte, nochmals einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und so seine Ideen noch einmal zu propagieren. Die bemerkenswertesten Exponate stellte dabei die Architektur der Ausstellung selbst. Das von van de Velde entworfene Werkbundtheater, Gropius & Meyers Modellfabrik und Bruno Tauts Glaspavillon für das Luxfer Prismen Syndikat zählen zu den eindrucksvollsten Entwürfen der Zeit. 27 In der Ideologiedebatte zwischen den Werkbundmitgliedern Henry van de Velde und Hermann Muthesius um künstlerisches Genie vs. Typisierung melden sich auch junge Künstler und Architekten zu Wort, die davon überzeugt sind, dass die Industrie nie die Kunst fördere, sondern stets nur ihren eigenen Profit, weshalb man der Industrie nicht folgen dürfte. Der sich aus dieser Überzeugung entwickelnde Expressionismus ist demnach der Gegenentwurf zum Werkbund, wie dieser ein Gegenentwurf zum Jugendstil war. Eine Vielzahl beständig wechselnder Stile also, und alles nur, weil es, folgt man Scheffler, an einem Kunstträger mangelte! Die Künstler des Expressionismus vetraten, anders als die Werkbundler, welche die Kunst mit der Industrie vermählen wollten, die Ansicht, dass die Gesellschaft der Zukunft keine industrielle, sondern eine agrarische sei. Ab 1918 trafen sich Architekten, Maler und Bildhauer im Arbeitsrat für Kunst, der als Reaktion auf die vielerorts gegründeten Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin zusammenkam und sich zum Ziel setzte, den „Zusammenschluß der Künste unter den Flügeln einer großen Baukunst“ zu betreiben. Der Arbeitsrat verwendete sich u.a. für die Forderung, alle Bauaufgaben öffentlich zu machen, die Ausbildung von Künstlern und Architekten nicht unter staatliche Bevormundung zu stellen und so genannte Volkshäuser als Zentren für die Vermittlung von Kunst einzurichten und reagierte damit auch auf die schlechte Auftragslage der jungen Architekten. Einige der Mitglieder des Arbeitsrates, darunter Bruno Taut, fanden sich später in der Gruppe die Gläserne Kette zusammen. Die zwölf Architekten der Gruppe, unter ihnen Hermann Finsterlin, Max Taut, Wenzel Hablik, Hans Scharoun und Walter Gropius standen unter der Führung Bruno Tauts. Mit ihrem Anspruch, durch ihre visionären Projekte das Volk zu einen; die gläserne Architektur, wie sie Taut etwa in seiner Alpinen Architektur zeigte, als Ersatz für eine Religion zu etablieren, begibt sich die Gruppe in den Bereich des Spirituellen, einer Heilsgeschichte mit Taut als Christus, als Erlöser. So wie die Religion keinen rationalen Sinn hat, brauchte es folgerichtig für diese ungeheuren Projekte wie Tauts Stadtkrone auch keine rationale Funktion, die Funtionslosigkeit war vielmehr der Kern der Architektur. Allerdings glaubten nur die Künstler selbst an diese Entwicklung, weshalb die realisierten Bauten eher selten und dann in ihrer Komplexität überschaubar sind. Hans Poelzigs Großes Schauspielhaus in Berlin (1919) ist eines der wenigen realisierten Beispiele der Gruppe. Sein großes, kuppelüberwölbtes Auditorium, mit der indirekten Beleuchtung durch die als Stalaktiten ausgeformten Säulen bedient zwar eine gewisse expressionistische Ornamentik, aber natürlich bricht es damit keiner Weltrevolution im Sinne der agrarischen Neuordnung der Gesellschaft Bahn. Trotz des großen formalen Erfolges des Expressionismus, der letztlich wie in Robert Wienes Das Cabinett des Dr. Caligari von 1920 auch in den Film Einzug hält, und damit einem ganzen Genre und dem deutschen Film der 20er Jahre zu Weltruhm verhilft, ist alles, was von Tauts Anspruch der gesellschaftlichen Neuorganisation bleibt, der Entwurf für das Flaschenetikett der Magdeburger TauTropfen. Nach diesem neuerlichen Abwenden von der Industrie ist allerdings klar, dass ohne die Industrie kein wirtschaftliches Fortkommen mehr zu machen ist. Das Bauhaus, einst mit einer expressionistischen Kathedrale als Frontispiz seines Manifestes gegründet, entwickelt sich nach der Bauhaus-Ausstellung von 1923 zu einem funktionalistischen Vorhaben. 28 Ein Klärungsversuch Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entstand durch ein Überangebot von Kunstakademien und dem Zusammenbruch des alten Mäzenatentums ein großes Künstler-Proletariat in Paris und München. In der Folge suchten die notleidenden Künstler in benachbarten Sparten, etwa in der Architektur, nach Arbeit: zwei der Leiter der deutschen Jugendstilarchitektur, Henry van de Velde und Peter Behrens waren ehemalige Maler, wie auch Richard Riemerschmid, Bernhard Pankok, Otto Eckmann und Hermann Obrist, die später als Architekten arbeiteten. Die Invasion der Künstler einerseits und die steigende Bedeutung des Ingenieurwesens andererseits bedrohten allerdings den sozialen Status der Architekten. Beschreibungen zeitgenössicher Beobachter wie den Architekten Ernst Spindler und Bruno Möhring zufolge war bis in die 1890er der Beruf des Architekten ein einträglicher Beruf, während bereits ein Jahrzehnt später der „Kampf ums Dasein“ intolerabel, und Geld zu einem alles beherrschenden Thema wurde. In ihrem Artikel von 1913, „Der Architekt im modernen Wirtschaftsgefüge“, nennen sie die übliche Beschwerde, die Architekten bis heute wiederholen: die Angst, daß die ökonomische Konkurrenz und der Zwang nach erhöhter Effizienz die Qualität der Architektur gefährden werden, zu dem die Besorgnis, daß Wettbewerbe nur eine Form der Ausbeutung von Architekten darstellen. Offensichtlich hatte Mark Pimlott Recht, wenn er kürzlich in der Festschriftausgabe des holländischen Architekturmagazins Hunch den Architekten als denjenigen definierte, der sich Sorgen über die Zukunft seines Berufes mache. In seiner Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst von 1913 kam Julius Meier-Graefe zum Schluß, daß zu verschiedenen Zeiten die Kunst unterschiedliche Kunstträger hatte; letztere sind einflußreiche soziale Guppierungen, die die Kunst unterstützen. Im Gegenzug drückt sich diese Unterstützung in den Kunstwerken als Ideologie aus. Ökonomischer Wert wurde somit in ästhetischen Wert umgewandelt. Bedauerlicherweise mußte Meier-Graefe einräumen, daß der Unterstützer der Kunst zu seiner Zeit entweder noch nicht identifiziert war, oder schlicht fehlte. Die Suche nach einem zeitgenössischen Kunstträger war auch auf dem Gebiet der Architektur eine akute Frage. Im selben Jahr 1913 erklärte Karl Scheffler, daß die Frage nach der Zukunft der Architektur in erster Linie eine Bauherrenfrage sei. Im Kampf um ihre Existenz versuchten etliche Gruppen von Künstlern und Architekten, sich so klar wie möglich von anderen abzugrenzen, und erhöhten das Tempo der künstlerischen Innovationen. Auch die entsprechenden Theorien wurden in Richtung potentieller Förderer angepasst, indem jene Aspekte der Architektur oder eines speziellen Stils betont wurden, von denen angenommen wurde, daß sie den Interessen eines bestimmten Trägers entsprachen. Auf der anderen Seite wurde eine bestimmte Theorie aufgegeben, wenn sich herausstellte, daß der potentielle Träger nicht willens oder nicht fähig war, den Stil zu unterstützen. Der Wettbewerb zwischen Künstlern und Architekten mündete in einer Reihe von Neudefinitionen der Architektur: Jede Bewegung versuchte ihren Stil so zu adaptieren, daß dieser den angenommenen Bedürfnissen eines potenziellen Förderers entsprach, und gleichzeitig die Fertigkeiten der Konkurrenten disqualifizierte. So oft wie nur möglich wurden Qualitäten, die als relevant für den Träger galten, auch auf der Ebene der Formen und der Details der Gebäude ausgedrückt: zusätzlich zu linguistischen Strategien funktionieren die Gebäude somit auch als situationelle Rhetorik. 29 Wir sollten uns die Stile kurz erinnern, die in atemberaubender Geschwindigkeit ins Zentrum des Interesses rückten und gleich wieder verschwanden. Laut Hermann Muthesius wußte das Publikum vor 1901 nichts vom Jugendstil, aber schon ein Jahr später war der Stil als Avantgarde passé und 1906 spielte er als künstlerisches System überhaupt keine Rolle mehr. Die Künstler-Architekten des Jugendstils hatte ursprünglich die Reformbewegung mit dem Versprechen verlockt, daß ihre neue, spirituelle Kunst die Fähigkeit habe, eine moralische Erneuerung einzuleiten. Als dieses Versprechen nicht eingelöst wurde, konterten die traditionelleren Architekten, indem sie entweder die Konstruktion (und ein wenig später auch den Raum) oder althergebrachte Architekturstile als das wahre Wesen der Baukunst betonten: Allerding, die Künstler-Architekten waren weder für das eine noch für das andere besonders qualifiziert. Diese Maßnahmen waren nicht sehr erfolgreich: beispielsweise wurden die sachlichen Produkte aus den Deutschen Werkstätten als Armeleutekunst für die Reichen bezeichnet und der Direktor, Holzgoethe Karl Schmidt stellte 1912 fest, daß die Leute immer noch die schlechten Waren bevorzugten. Vergebens hat Adolf Loos das Bürgertum an seine Verplichtungen der Kunst gegenüber erinnert, vergebens hat Muthesius nach einer geistlichen Aristokratie als Unterstützer der Architektur verlangt. 1907 haben sich die Architekten und Künstler zu einer neuen Organisationsform zusammengeschlossen. Der deutsche Werkbund suchte sich die Großunternehmer als neue Schirmherren, mit der Zusicherung, daß eine enge Kooperation zwischen Industrie und herausragenden Gestaltern die Gewinne erhöhen und ausländische Märkte erobern würde. 1914 sah er (wie auch beispielsweise Fritz Hoeber) aber den Krieg als einen Segen, weil er die Deutschen verpflichtete, ihre Ideen und Produkte anderen Nationen auf zu zwingen. Nach Muthesius hatten die deutschen Unternehmer die Pflicht, zu Hause der Vorherrschaft fremder Stile ein Ende zu setzen und im Ausland den Ruf deutscher Arbeit wiederherzustellen. Die Industrie wies den Werkbund jedoch zurück, und zog weiterhin den anonymen Musterzeichner dem avantgardistischen Entwerfer vor. Der Werkbund assosizierte sich plakativ mit der Kriegsmaschinerie; folglich hat sich die jüngere Generation von Werkbundarchitekten, unter der Leitung von Bruno Taut, von der Organisation entfernt. Die vom Weltkrieg desillusionierten Expressionisten deklarierten sich zu den einzig wahren, legitimen Anführern einer neuen, am Mittelalter orientierten, agrarischen und geistigen Gesellschaft. Statt sich nach einem eigenen Förderer umzusehen, versuchten die Expressionisten selbst durch die Vereinnahmung des Volkes an Einfluß zu gewinnen, indem sie diesem Freiheit, ewigen Frieden in einer agrarischen Gesellschaft und eine spirituelle Revolution versprachen. Sie mußten jedoch bald eingestehen, daß sie nicht die erhoffte Unterstützung durch die breite Masse fanden: „uns trägt kein Volk“, wie Paul Klee es 1924 formulierte. Die Revolution scheiterte, und die deutsche Industrie wurde durch amerikanisches Kapital und eine kalkulierte Inflation verjüngt. Die Industrie mag vielleicht eine treibende Kraft der Gesellschaft gewesen sein – sie war jedoch nicht sehr daran interessiert, die Architekten zu unterstützen. Die Avantgarde-Architekten erkannten, daß sie bei diesem Prozess des Umbruchs wenig zu sagen hatten. In den Worten von Le Corbusier: „Die Industrie überwältigt uns wie eine Flut, die auf ihr festgesetztes 30 Ziel zurollt“. – „Und wir wollen die veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse als eine Tatsache hinnehmen“, wie Mies van der Rohe folgerte: „Alle diese Dinge gehen ihren schicksalhaften und wertblinden Gang“. Erst als sich die desillusionierten Architekten den regionalen sozialdemokratischen Regierungen zuwandten, fanden sie schließlich einen Auftraggeber, der willens und fähig war, die Bewegung zu unterstützen. Die Manifeste des Funktionalismus betonten die Werte des Amerikanismus: Rationalismus, Massenproduktion, Modernität, Technologie, Taylorismus, Fordismus etc. Wegen des Jargons der Moderne, dem Anspruch nach Gleichheit und der sozialen Ansprüche konnte der Funktionalismus von der Sozialdemokratie als politisches Emblem verwendet werden, mit dem diese sich von der 'germanischen' Formensprache der extremen Rechten deutlich absetzen konnte. Vom Standpunkt der Architekten besaß der Funktionalismus jedoch ganz andere Vorzüge: Er erweiterte die Domäne der Architektur (ähnlich wie dies der Werkbund fünfzehn Jahre früher versucht hatte) durch die Behauptung, daß Architekten nicht nur für den Entwurf von öffentlichen Denkmälern und stattlichen Herrensitzen zuständig waren, sondern daß sie auch einen wertvollen Beitrag im Bereich sozialer Wohnbauten und utilitärer Gebäude von niedrigem symbolischen Status, wie etwa Fabriken und Lagerhallen, leisten konnten. Der Bauboom Mitte der Zwanzigerjahre und die Verbundenheit der Linken mit dem Image des Funktionalismus bestätigte in gewissem Sinne die funktionalistischen Überlegungen. Es war der erste Stil seit dreißig Jahren, der den sozialen Status des Architekten verbessern oder zumindest absichern konnte. Dadurch konnte der Funktionalismus für Jahrzehnte fortdauern, während alle anderen Strömungen innerhalb weniger Jahre dahinschwanden. Eine solche Chronik des sozialen Konkurrenzkampfes und opportunistischer Redefinitionen der architektonischen Disziplin war es, die Karl Kraus zu der schon zitierten Aussage bewegte. Die Erzeugnisse der Kunst und der Architektur wurden oft zu Instrumenten im Ringen der Künstler nach gesellschaftlichem Erfolg. Wesentlich öfter aber waren sie bloß unbeabsichtigte Nebenprodukte, reine Epiphänomena oder Begleiterscheinungen eines Kampfes um gesellschaftliche Anerkennung. Das Avantgarde-Konzept der Architektur war in den ersten 25 Jahren des Jahrhunderts im Fluß. Die einzige Konstante war, daß jeder neue Stil als der Definitive eines modernen Zeitalters präsentiert wurde, nur um nach wenigen Jahren durch eine andere endgültige Wahrheit ersetzt zu werden. Infolgedessen ist man auch verloren, wenn man versucht, die Entwicklung einer konsistenten Doktrin für die Architektur auszumachen. Vielmehr bestehen die Karrieren eines Peter Behrens, Bruno Taut, oder Walter Gropius aus einem scheinbar widersprüchlichen Schwanken zwischen romantischen und rationalistischen Extremen. Gropius zum Beispiel behauptete sowohl vor dem Krieg als auch nach 1922, daß Stahl und Glas die Materialien der Zukunft seien. 1920 erklärte er jedoch, daß Holz das Baumaterial der Zukunft sei. Das Motiv für diesen bemerkenswerten Sinneswandel lag in seinem Wunsch, vom Sägewerksbesitzer Karl Sommerfeld einen Auftrag für das Bauhaus zu erhalten, der die Teak-Planken eines alten Schiffes für ein Haus verwenden wollte. Trotz dieser Episode war Gropius einer der konsequentesten Theoretiker unter den Architekten. Aus einer Betrachtung der Geschichte der Architektur kann man schließen, daß es dort weder ein kohärentes Gedankengebäude gibt, noch einen eigentlichen Gegenstand, den man 'Architektur' nennen könnte; noch gibt es eine natürliche Organisationsform der Architekturproduktion. Die Architekten 31 haben, wie die meisten anderen Berufsgruppen, ihre Disziplin im Verhältnis zu Bauherren und Konkurrenz definiert. Ziel war, den Weiterbestand eines Berufes zu sichern, und nicht die Fortführung einer bestimmten Disziplin. 32 Lecture 5 | Der Sieg des neuen Stils Wer ging aus dem Wettstreit der Stile als Sieger hervor? 1927 verkündete Walter Curt Behrendt, dass der Neue Stil gesiegt habe. Die auf dem Einband seines Buches gezeigte Weissenhofsiedlung in Stuttgart aus dem selben Jahr, ist denn auch ein funktionalistisches Schaustück, allerdings ist sie aufgrund der Topographie organisch geplant und repräsentiert so mehr eine Villensiedlung alten Typs als eine funktionalistische Stadt. - Fig: Behrens (Haus Mathildenhöhe vs. Haus am Weissenhof): hier zeigt sich die ganze Bandbreite der Stile der deutschen Moderne (vgl. letzte Vorlesung) … „Peter Behrens ist einer jener Künstler, die ihren Stil alle fünf Jahre geändert haben, diametral geändert haben – also wie Madonna“ In der großen Inflation um 1923 wurden Gehälter bis zu 3x täglich gezahlt, weil das Geld so schnell entwertet wurde … in der Folge hatten Privatleute keine Ersparnisse mehr, gleichzeitig wurde die Industrie so aber auch schuldenfrei. Mit neuem Kapital kann so die Industrie wie vor dem Krieg wieder aufgebaut werden Also, die Entwicklung der Stile ist nicht rational, formal stringent, sondern eher eine Geschichte mehrfacher sprunghafter Wechsel Atelier Behrens: Peter Behrens ist nicht nur eine wichtige Figur, weil er zahlreiche Stile auf der Suche nach dem neuen Stil mitgeprägt hat, sondern auch und vor allem, weil er mehrere wichtige Architekten der Jungen Generation beschäftigte, darunter Gropius, Mies, Le Corbusier… - Fig: Feininger (Zukunftskathedrale): Bauhaus in Weimar als Nachfolger der Kunstgewerbeschule begründet. Als van de Velde als Belgier nicht mehr gewünscht ist, beruft er Walter Gropius zu seinem Nachfolger … das Bauhaus wird zunächst in der Ideologie des Expressionismus gegründet (vgl. Bild des Gesamtkunstwerks: Kathedrale; „Terminologie“ Bauhaus – Bauhütte; Terminologie „Meister“…) Chefideologe des Bauhaus aber ist Johannes Itten: ihm zufolge sind alle Ideen zeitlos und so zwangsläufig bereits bekannt; das wir keine Ideen haben, heißt demzufolge, dass wir sie nur vergessen haben … dies ist die platonische Idee der Anamnese … folglich können wir Ideen nicht durch Empirie, sondern ausschließlich durch Überlegung entwickeln 33 - Fig: Otto Hanisch: Itten verfolgt die Lehre einer Art westlichen Buddhismus, Mazdaznan, die auf allerlei Geheimlehren basiert (Pythagoras…) und u.a. durch Hanisch publiziert wird… vgl. Kleidung Ittens Also: das Gründungsbild des Bauhaus hat nichts mit dem rationalistischen Bild zu tun, das davon geblieben ist … Hannes Meyer: Das erste Bauhaus war das zweite Dornach! … Die Theosophie war ebenfalls eine Art Ersatzreligion (die Wahrheit der Welt war ja nicht mehr existent, laut Kandinsky spätestens seit das Atom gespalten worden war („Atom“ = unspaltbar), die massgeblich von Helena Petrovna Blavatsky geprägt wurde: demnach sei die materielle Wirklichkeit unwichtig, es gebe eine höhere Instanz, die sich in bestimmten Anomalien ausdrückt. Der Übergang von der gegenständlichen zur abstrakten Kunst bei Kandinsky fällt mit dieser Entwicklung zusammen (1910/1912) … vgl. Besant & Leadbeater, 1901, „Thought Form“ - Fig: Kandinsky (Über das Geistige in der Kunst, 1911): er versteht dieselben Kräfte, die das Universum in Gang setzen, auch in bestimmten Linienformen einbeschrieben … vgl. „dramatische Diagonale“ etc. - Fig: Kandinsky (Punkt und Linie zur Fläche, 1927): Synästhesie … in der Linie innewohnende Kräfte, die es z.B. erlauben, auch komplexe Bewegungen zweidimensional abzubilden (vgl. van de Velde 20 Jahre zuvor!) … in dieser Überlegung begründet sich dann u.a. auch die Zuordnung von Farbe und Form bei Kandinsky (Dreieck – Gelb; Quadrat – Rot; Kreis – Blau) - Fig: Klee (Transkription Bachs Adagio G Major, 1921): dies ist letztlich nur eine andere graphische Übersetzung der gleichen Noten; seine Studenten haben das etwas weiter getrieben: - Fig: Neugeboren (Fugue aus Bach: Wohltemperiertes Klavier): Drei Stimmen übersetzen die vier Takte in eine raumbildende Skulptur - Fig: Schlemmer (Mechanisches Ballett): Dieses Streben zum Gesamtkunstwerk (in dem die verschienen Künste also zu einem harmonischen Ganzen zusammengeführt werden) ist die Idee des frühen Bauhaus; das Objekt in dem alles zusammenkommt, das Haus! … also, in der Ausbildung werden verschiedene abstrakte Lehren am Ende im Gebäudeentwurf zusammengeführt - Fig: Gropius & Meyer (Haus Sommerfeld): wie kommt die moderne Bewegung nun von Glas und Stahl zum Holzbau? Gropius schreibt zu der Zeit ein Manifest, das Holz als den Baustoff der Zukunft preist … bedingt allerdings wohl eher durch die finanzielle Notwendigkeit dazu! (zudem war Sommerfeld Holzhändler) - Fig: Gropius & Meyer (Haus Kallenbach). Vgl. mit Eisenman’s House III. - Fig: Gropius & Meyer expressionistischer Ideale 34 (Märzgefallenendenkmal): vielleicht präzisestes Abbild Der Expressionismus hatte ein gesellschaftliches Ideal: agrarisch, anti-industriell, gemeinschaftlich. Der Künstler sollte das zeigen, indem er die neue Gesellschaft verbildlicht … vgl. Klee „Kann ich denn sterben, Ich-Kristall?“ Um 1922 kommt Theo van Doesburg und mit ihm der Einfluss der Gruppe de Stijl (uneingeladen!) nach Weimar, um hier „Gastvorlesungen“ zu halten. Diese sind bald besser besucht als die eigentlichen Lehrveranstaltungen, wodurch van Doesburg wesentlichen Einfluss auf eine Neuorientierung des Bauhauses gewinnt: demnach sollen gewisse abstrahierte, vergeistigte Darstellungen den eigentlichen Kern des Dargestellten besser abbilden als das Objekt selbst. Demnach wäre die einzige Art zu sehen, die Augen zu schließen; denn alles was wir sehen, ist eine Illusion! Die Essenz eines Gegenstandes ist also das Ziel des Künstlers, nicht dessen äußere Form. Nach Piet Mondrian unterliegt die Welt zwei Prinzipien: dem Horizontalen und Vertikalen, die dem Weiblichen bzw. dem Männlichen entsprechen und jeweils für verschiedene Dinge stehen Das Ziel jeder künstlerischen Bemühung müsse stets der Ausgleich, die Synthese dieser zwei sein. Diesen Kräften entsprechen, folgt man Mondrian, auch bestimmte Farben, daher haben die Gemälde von de Stijl eine sehr reduzierte Farbpalette. Wichtig ist dabei die Feststellung, dass das keine ästhetische Entscheidung, sondern vielmehr elementare Grundlage ist, weil das Objekt somit ersetzt wird durch etwas ebenfalls „Reales“. Das Ziel ist es also, die Abstraktion im Sinne einer Philosophie durch bestimmte Definitionen zu legitimieren. An dieser Stelle sei noch einmal Froebel erwähnt, dessen Stickereien, Papierfaltungen und Malereien in amerikanischen Kindergärten Mitte des 19. Jahrhunderts, eine bestechende Ähnlichkeit zu den Arbeiten von de Stijl haben. Das Ziel der Kunst, so lässt sich zusammenfassen, sind nicht die neuen Formen, der Unterschied zur optisch sehr ähnlichen Arbeit von Kleinkindern liegt vielmehr im Diskurs, der mit der Arbeit einhergeht. - Fig: Doesburg (Wohnhaus): 4-Dimensionale Architektur … die 4. Dimension ist das, wo das Unbewußte, das Angenehme, das Schöne stattfindet … daher berufen sich die Künstler darauf (und behaupten später natürlich, sie hätten die Relativitätstheorie vorbereitet) - Fig: Rietveld (Haus Schröder): Prinzip der Horizontalen und Vertikalen wird hier weiterentwickelt auch zu einem statischen System und schafft so eine gewisse abstrakte Form von Raum. Rietveld war kein Theoretiker und das Haus ist in der Tat eher eine recht gut gemachte Box als die Erklärung einer neuen Weltanschauung. Zusammen mit Truus Schröder entwarf Rietveld das kleine Haus als Fortführung der Typologie der benachbarten Reihenhäuser, stattete es aber zudem mit einer Vielzahl beweglicher, faltbarer und rotierender Elemente aus, so dass der Grundriss in vier kleinere Bereiche unterteilt oder als ein großer Raum genutzt werden kann. Die Fassaden ähneln anderen De Stijl Gebäuden ohne allzu sehr mit den Innenräumen zu korespondieren. 35 All diese Bemühungen spiegeln sich auch in den Produkten des Bauhaus um 1920, die sich durch geometrische Abstraktion und reduzierte Farbigkeit auf grundlegende Prinzipien beziehen und die damit die Bereiche der Metaphysik zur Erklärung ihrer Arbeiten heranziehen. Das ändert sich im Dessauer Bauhaus, wo neue Formen wie etwa das Beispiel der Stahlrohrmöbel auch konstruktiv begründet sind. - Fig: Muche (Experimentalhaus): Der Grundriss definiert sich aus bestimmten Dogmatismen: ein Grundriss im Neun-Quadrat, vergleichbar mit Palladio, mit einer interassanten diagonalen Organisation ähnlich der theosophischen Architektur dieser Zeit. Die traditionellen Familienmuster sind dabei in den Grundriss einbeschrieben: die Mutter hat ihre Räume in der Nähe der Kinder und der Küche, während der Mann als Oberhaupt in der Nähe der Tür arbeitet und die Familie gegen Eindringlinge, oder Gäste, beschützt. Stilistisch lässt sich hier wohl von neuer Sachlichkeit sprechen, aber Funktionalität war hier sicher kein Thema. - Fig: Gropius & Meyer (Bauhaus): im Gegensatz zu Muche, bei dem noch Axialität vorherrscht, ist dies eine komplexe asymmetrische Komposition, die sich durch ihre Organisation und Konstruktion auszeichnet. Das Anliegen ist, einen zentralen Punkt oder eine zentrale Achse zu vermeiden und stattdessen ein polyzentrisches System zu entwickeln. Also Frank Lloyd Wright in einer anderen Sprache oder Form. - Giedion (Raum, Zeit, Architektur): George Braques L’Arlésienne & der Werkstattflügel des Bauhaus entsprechen nach Giedion denselben Prinzipien. Für Giedion drückt das Gebäude auch die Relativitätstheorie aus, weil man durch die verglasten Flächen mehrere Ansichten des Gebäudes, oder eben mehrere Bereiche des Raumes, gleichzeitig wahrnehme, was ein wesentliches Prinzip für Einstein war. Die von Doesburg besprochene Vierdimensionalität gründet sich auf der Idee, das die wahre Welt hinter der dreidimensionalen Scheinwelt liege; oder anders: die dreidimensionale Welt bloß eine Schattenprojektion der vierdimensionalen, wahren Welt sei. Folglich müssen wir auch vierdimensional denken. - Fig: Gropius (Totaltheater): der fließende Raum als Gleichzeitigkeit - Fig: Mies (Glaswolkenkratzer): die Idee hier ist die Entmaterialisierung des Gebäudes durch die Reflektionen der Fassade - Fig: Mies (Landhaus aus Backstein): Einfluss von de Stijl wird im Grundriss deutlich. Mies veröffentlichte Entwürfe von De Stijl in seinem Magazin G. - Fig: Mies (Barcelona Pavillon): (nach Methoden der Formfindung) für Ludwig Mies van der Rohes Entwurf für den Deutschen Pavillon der Weltausstellung (1929) in Barcelona haben eine ganze Reihe nicht nur architektonischer, sondern auch künstlerischer Vorbilder Pate gestanden. Architekturkritiker haben darauf hingewiesen, dass die Mies’schen Grundrisse – mit ihren auf einem orthogonalen Raster angeordneten Wändenals unabhängige Elemente, die mitunter in die Ferne hinausragen – an die Gemälde der Künstlergruppe De Stijl, namentlich 36 van Doesburgs Ritme van een Russische dans, erinnern. Manche Charakteristika des Barcelona-Pavillons, wie zum Beispiel die offenen Glasecken, könnten sich auch auf Frank Lloyd Wrights Prärie-Häuser beziehen. Noch wichtiger könnte jedoch die klassische Tradition sein. Das Gebäude ist auf dem Ausstellungsgelände umgeben von verschiedenen historischen Gebäuden. Es ist kein Zufall, dass der Grundriss des Pavillons (genauso wie das daneben befindliche Wasserbecken) die Proportionen des Parthenons von Athen wiederholt. Ferner entsprechen die Säulen des Tempels den Wänden des Ausstellungsgebäudes, und die Wände der „Cella“ des Parthenons korrespondieren mit den Pfeilern in Mies’ Entwurf. Ausserdem entspricht das Wasserbecken im Inneren des Pavillons der Unterteilung des Tempels in „Adyton“ und „Opisthodomos“. Das Ausstellungsgebäude enthielt auch noch eine Frauenskulptur (von Georg Kolbe, 1929), die den Platz der Athena Parthenos im griechischen Tempel einnahm. Diese klassichen Akzente waren während der Ausstellung 1929 noch offensichtlicher als heute, da damals eine Reihe von frei stehenden griechischen Säulen vor der Fassade des Mies’schen Gebäudes stand. Mies ist unter den Funktionalisten ein Klassizist! - Fig: Mies (Haus Tugendhat). Eine funktionalistischere Variante ähnlicher Themen. Die Fenster zum Garten konnten im Boden versenkt werden. Das Innere wird durch hochwertige Materialien und den offenen Grundriss geprägt. Bezüglich der Rollen von Mann und Frau bedient das Haus sehr ähnliche Traditionen wie das Experimentalhaus von Muche. - Fig: Bauhaus-Logo, 1919: archaische Symbolik (theosophische Formen, Swastika) Wie Eingangs erwähnt, ist die Entwicklung der Stile ist nicht rational, formal stringent, sondern eher eine Geschichte mehrfacher sprunghafter Wechsel, die auch gesellschaftlichen Ursprungs sein konnten. So interpretieren die Nazis die Ästhetik des funktionalistischen Bauhaus um, was sich z.B. in der Karikatur der Weissenhofsiedlung (als Schaustück der Weißen Moderne) als Araberdorf ausdrückt und schließlich dessen Ende bedeutet. 37 38 Lecture 6 | Vers une Architecture John Ruskin behauptete: Wir wollen keinen neuen Stil in der Architektur, aber wir wollen einen Stil! War die moderne Architektur jemals eine Architektur? Kontrastieren wir für den Moment Adolf Loos mit Le Corbusier, um zu sehen, was in des Letzteren Architektur modern ist. Auf die Frage, wann man modern gekleidet sei, fällt Loos das Urteil „wenn man nicht auffällt“. Das ästhetische Ideal der Moderne wäre demnach die Unauffälligkeit. Loos erklärt, in einer primitiven Gesellschaft habe das Ornament noch Sinn, wer dem heute nachgebe, sei aber entweder ein Verbrecher oder ein Degenerierter. Wenn jemand wie Hoffmann oder van de Velde an einem Tisch sitze um ein Ornament zu zeichnen, sei das pathologisch! - Fig: Loos (Michaelerplatz): im Gegensatz zu diesen Überlegungen aber ist Loos undekoriertes Gebäude in Wien Anfang des 20. Jahrhunderts natürlich alles andere als unauffällig! Loos baut im Prinzip eine Hinterhoffassade gegenüber der kaiserlichen Residenz … vgl. hier die Argumentation zur Bekleidung: eine völlig nackte Frau ist für den Mann eher uninteressant. Erst ihre Kleidung macht die Frau für den Mann zu einem Rätsel, das er lösen möchte (Gegensatz zu Nietzsche, der sagt: wer mir sein weiß getünchtes Haus zeigt, zeigt mir seine weiß getünchte Seele) - Fig: Loos (Villa Karma): außen weiß, innen teuer und aufwendig gearbeitet - Fig: Loos (Haus Moller): Schnitt und Grundriss des Erkers über dem Eingang sind nahezu deckungsgleich … von diesem „Herrenzimmer“ aus ist Überwachung quasi in alle Richtungen möglich … vgl. Alhambra, Granada - Fig: Loos (Haus Müller): Verschiebung in der Fassade (Ecke) entspricht Verschiebung der Treppenbreite im Erschließungssystem. Die scheinbar willkürliche Fassadenorganisation ist auch eher Ergebnis eines langen Elaborationsprozesses, also die Illusion eines funktionalistischen Erscheinens. Im Innenraum entfalten sich die ganze Komplexität des Plans und die Exklusivität des Ausbaus. Das Frauenzimmer ist wieder ein Überwachungsinstrument (das ist eine orientalische Idee, obgleich Loos in seinem Blatt „Das Andere. Zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“ eher dem Westen zugeneigt ist) … Das Frauenzimmer wird vom Wohnraum als Objekt wahrgenommen, in einer Linie mit den Aquarien und der Büste des Hausherrenvaters. Dabei hat das Fenster zum Frauenzimmer zudem die gleichen Proportionen wie das Aquarium - Fig: Loos (Haus für Josephine Baker): hier ist schon von außen kein quasifunktionalistischer Eindruck angestrebt. Möglich wäre der Hinweis auf die afrikanische Herkunft Bakers; außerdem gibt es weitere Gebäude von Loos, die ein ähnliches Streifenornament aufweisen. Also sind Streifen und gerade Linien für Loos als Ornament offensichtlich vertretbar, kurvige (weibliche?) Linien hingegen offenbar nicht. Mögliches Argument: die Darstellung von Frauen ähnelt oft der Körperhaltung bei Hysterie und Krämpfen. In diesem Gebäude taucht 39 auch wieder die objekthafte Zurschaustellung wie bei Moller und Müller auf: hier ist es das Schwimmbad, das durch zwei Fenster einsehbar ist! … Baker jedoch kaufte später ein Schloss Es ließe sich formulieren, in Loos’ Gebäuden verlagere sich ein komplexes städtisches Gefüge von Repräsentation und Kommunikation in den Innenraum, denn, so Loos, in der Großstadt gibt es keine städtischen öffentlichen Räume mehr, die diese Funktion bedienen. Loos’ Räume wären demnach Inszenierungen dieses Wechselspiels von Privatheit und Öffentlichkeit. Exkurs: Loos und Ornament To formulate the argument more clearly, let us discuss Loos’ much misunderstood essay ”Ornament and Crime” (1908). In summary, he argues that ornamentation is used in traditional societies as a means of differentiation. A child and a Papuan derive pleasure from ornament and need it to signal their individuality. However, modern man does not need to emphasize his individuality but to hide or suppress it. Hence, ornament has lost its social function and has become a unnecessary cost. Therefore architects should stop trying to develop contemporary ornament. Such a brief summary, however, hardly does justice to subtlety of Loos. To get a better idea, it is useful to examine the essay in more detail. In the beginning he writes: ”The human embryo in the womb passes through all the evolutionary stages of the animal kingdom. When man is born, his sensory impressions are like those of a newborn puppy. His childhood takes him through all the metamorphoses of human history. At 2 he sees with the eyes of a Papuan, at 4 with those of an ancient Teuton, at 6 with those of Socrates, at 8 with those of Voltaire. When he is 8 he becomes aware of violet, a color discovered by the eighteenth century, because before that the violet was blue and the purple-snail red. The physicist points today to colors in the solar spectrum which already have a name but the knowledge of which is reserved for the men of the future. The child is amoral. To our eyes, the Papuan is too. The Papuan kills his enemies and eats them. He is not a criminal. But when modern man kills someone and eats him he is either a criminal or a degenerate. The Papuan tattoos his skin, his boat, his paddles, in short everything he can lay hands on. He is not a criminal. The modern man who tattoos himself is either a criminal or a degenerate. There are prisons in which eighty percent of the inmates show tattoos. The tattooed who are not in prison are latent criminals or degenerate aristocrats. If someone who is tattooed dies at liberty, it means he has died a few years before committing a murder.” As a whole, Loos’ idiosyncratic argument is a rational and passionate synthesis of contemporary scientific beliefs. References in this passage include Ernst Haeckel’s biogenetic law of ontogenesis recapitulating phylogeny; F. Max Müller’s studies in comparative philology, arguing from the vocabulary of color terms to consciousness of color; and Cesare Lombroso’s notorious L’uomo delinquente which associated tattooing with criminals. Indeed, Loos’ architecture is an exploration of Lombroso’s theories. However, the argument against tattooing is unsound. Because of practical difficulties in finding experimental subjects, Lombroso limited his empirical research to prisons and mental institutions. As a result, the data was not at all 40 representative of the population, and subsequent conclusions, based on statistical analysis, were not applicable to the population at large. Not only criminals but also the upper strata of society, even some members of the British Royal family, had got tattoos in the 1850s when the phenomenon was new and expensive. Loos seems to have been aware of this objection for he includes the ad hoc argument that the tattooed who are not in prison are latent criminals or degenerate aristocrats. However, the fact that tattoos were not subversive in the 1850s or again in the 1990s in no way logically undermines the argument. Loos states explicitly that the value of actions is relative to the society. This radical stance had been argued by the anthropologist Edward Westermarck a decade earlier in his classic study on marriage but it is difficult to reconcile with another aspect of Loos’ theory, his belief in absolute values. Ethical absolutism is implied for example by his rejection of subjective pleasure as a justification for ornament: ”I don’t accept the objection contained in the words: ’But the ornament is beautiful!’” . Even more clearly, Loos reveals his absolutism in his description of cultural evolution as progress. For Loos, The English and the American are the most developed of all nations, while the colonized peoples are at the bottom: political dominance corresponds to cultural sophistication. Despite this imperialistic notion, Loos also extends his criticism to the imperial government of Austria. He writes about ”the state, whose task it is to halt the cultural development of the peoples, made the question of the development and revival of ornament its own. — The Austrian state took its task so seriously that it is making sure the foot-rags (Fußlappen) used on the frontiers of the Austro-Hungarian monarchy do not disappear. It is forcing every cultivated man of 20 for three years to wear foot rags instead of manufactured footwear. After all, every state starts from the premise that a people on a lower footing is easier to rule.” Loos´ criticism of the state is not limited to moral indignation. He also provides an economic argument against ornament, writing: ”The enormous damage and devastation caused in aesthetic development by the revival of ornament would be easily made light of, for no one, not even the power of the state, can halt mankind’s evolution. It can only be delayed. We can wait. But it is a crime against the national economy that it should result in a waste of human labour, money, and material. Time cannot make good this damage. — The stragglers slow down the cultural evolution of the nations and of mankind; not only is ornament produced by criminals but also a crime is committed through the fact that ornament inflicts serious injury on people’s health, on the national budget and hence on cultural evolution. If two people live side by side with the same needs, the demands on life and the same income but belonging to different cultures, economically speaking the following process can be observed: the twentieth-century man will get richer, the eighteenth-century man poorer and poorer. — The British are growing wealthier and we poorer...” ”The relationship between the earnings of a woodcarver and a turner, the criminally low wages paid to the embroideress and the lacemaker are well known. The ornamentor has to work twenty hours to achieve the income earned by a modern worker in eight. — Omission of ornament results in a reduction in the manufacturing time and an increase in wages. — If I pay as much for a smooth 41 cigarette case as for an ornamented one, the difference in the working time belongs to the worker. — Ornament is wasted labour power and hence wasted health. ” Given Loos’ indisputably wide reading of popular science, his economic speculations are nothing short of astonishing in their naiveté, for instance the idea that the worker can actually earn more by not spending time on ornament because the time belongs to the worker. This conception seems to require a totally privatized, structureless society where one works for oneself; a society which has only existed in Loos’ image of America. Yet, for all its inspired and confused bathos, the economic argument matters little, for if his method were generally applied, then art should also be dismissed as waste, which Loos nevertheless is not prepared to do. How can one reject ornament as functionless but retain art? Loos´ attack on ornament reveals that a modern man (or at least Loos) gets more pleasure from unornamented than ornamented products: ”I tolerate ornaments on my own body when they constitute the joy of my fellow men. Then they are my joy too. I can tolerate the ornaments of the Kaffir, the Persian, the Slovak peasant woman, my shoemaker’s ornaments, for they all have no other way of attaining the high points of their existence. We have art, which has taken the place of ornament. — We have grown finer, more subtle.” Such a statement begs the question of who is modern. Loos attempts to use the Zeitgeist argument against decoration, suggesting that ornament is ephemeral while true art is eternal: ”Since ornament is no longer organically linked with our culture, it is also no longer the expression of our culture. — Where are Otto Eckmann’s works today?” Yet Loos’ easy dismissal of ornament in favor of art will not do. If cultures change – which is a necessary assumption in Loos´ evolutionary scheme – anything that remains unaffected is suspect. Loos would have to claim that the absence of ornament marks the latest stage in the development of objects. Therefore, such simple adorned objects are the best and the most advanced if evolution necessarily means progress. Still, Olbrich or Eckmann could have argued that their ornamental studies represented the pinnacle of evolution while unornamented goods are no novelty but a recurring diversion. Loos needed another argument to buttress his criticism. One might value art over ornament because artworks do not mix utility and ornamentation. In this sense, Loos agrees with John Ruskin who said that ”where rest is forbidden, so is beauty — You must not mix ornament with business—.”In the essay Architektur Loos distinguishes between works of art and objects of use. Opposed to the ideas of Gesamtkunstwerk, or the total work of art, and the notion of applied arts proposed by Jugend and Werkbund designers, he writes: ”The house has to please everybody, contrary to the work of art which does not. The work of art is a private matter for the artist. The house is not. — The work of art wants to draw people out of their state of comfort. The house has to serve comfort. The work of art is revolutionary, the house is conservative. — Does it follow that the house has nothing in common with art and is architecture not to be included amongst the arts. That is so. Only a very small part of architecture belongs to art: the tomb and the monument. Everything else that fulfills a function is to be excluded from the domain of art.” 42 Loos wanted to purge interior design of the artistic and egotistic goals of the artist: interiors were to be first and foremost comfortable and functional. In 1924 he even attacked purists who took his principles to absurdity by removing ornament everywhere. Striving for ”English comfort” seems to have been the guiding light even in Loos’ interiors for his own house, resulting in a striking difference between austere facades and lush interior, decorated with brass, marble, exposed brick, beams of dark wood, and fine carpets. Modern critics find this an inconsistency or anomaly in his theory and practice: ”If the exteriors of his houses are treated with what we would call banal or indifferent languages, then interiors are very different indeed, and there is no continuity between the domestic world and everything outside of it. — The Strasser house of 1919 carried this approach to its furthest point, with a radical disparity between interior and exterior.” follows from Loos’ conception of society we must first inquire into the origin of ornament. Loos claims that ”the urge to ornament one’s face and everything within reach is the start of plastic art. All art is erotic. The first ornament that was born, the cross, was erotic in origin. The first work of art, the first artistic act which the first artist, in order to rid himself of his surplus energy, smeared on the wall. A horizontal dash: the prone woman. A vertical dash: the man penetrating her.” The first ornament or the first work of art was not created to as a response to inherent beauty in the shape; rather, it was a sign, a representation of sexual intercourse. Hence, the origin of ornament is the origin of signification and writing. Further, a sign implies communication to other people. An act of communication acknowledges the existence of society and, in Loos’ version, even the subject of the first representation celebrates the beginning of family or community. Even though the birth of ornament thus coincides with the origin of art, writing, and society itself, Loos still relinquishes it because he believes ornament no longer serves a function. Towards the end of ’Ornament and Crime”, he argues that ”the nomadic herdsmen had to distinguish themselves by various colors; modern man uses his clothes as a mask. So immensely strong is his individuality that it can no longer be expressed in articles of clothing. Freedom from ornament is a sign of spiritual strength.” From early German sociology, Loos adopted a vision of the modern metropolis as an arena where the individual is almost crushed by forced intimacy and the immense repressive powers of the social-technological mechanisms of a mechanical Gesellschaft. To survive, the individual has to escape from the influence of exterior forces: one has to escape identification. Unlike traditional ornament which signals identity, modern clothes are a kind of anti-sign or a non-transparent sign, the function of which is to disguise its referent and to mislead. In a building, the facade is the most likely candidate to assume a role akin to that of clothes: masking. In the 1914 essay Heimatkunst, Loos said that the house should be mute on the outside and disclose its entire richness on the inside. What should the facade/mask look like, or, indeed, how should one dress? Loos answers, ”Modern. One is modernly dressed when one stands out the least.” Hence, the house must look inconspicuous. The idea comes from Georg Simmel who thought that the commonplace is good form in society and that it is bad taste to make one’s self conspicuous through some individual, singular expression. 43 ”Obedience to the standards of the general public in all externals [is] the conscious and desired means of reserving their personal feelings and their taste.” This suggests that fashion (or ornament) cannot be conceived as a matter of form, detail, or scale but rather in terms of social distinction strategies. If the commonplace is defined as good and good taste as invisibility, the logical conclusion is the one drawn by the Swedish functionalist architect Uno Åhren: functional beauty is best when one doesn’t notice it at all. Loos’ position must be distinguished from the classical and functionalist celebration of the ordinary. While for Aristotle and Le Corbusier the commonplace displays the essence of the class or the species, for Loos banal clothing or ordinary architecture is a means to hide the uniqueness of the alienated individual and thereby enable his or her de facto secession from the group. But then again, Loos’ houses certainly did not blend in: consider the Haus am Michaelerplatz, a building so spare in detail and insistent in its repetition of a reticulated grid that contemporary critics compared it to a sewer grate. The reductive language of Loos’ apartment block is even more striking when we consider that it was sited opposite the ornate imperial castle, the Hofburg. Yet if we think of the facade as a kind of mask, we get some insight into Loos’ thinking. A mask shows a person as something else than what the person really is. The unornamented facades of Loosian villas look much like back facades in more traditional architecture. The aesthetic excellence of back facades was not a new idea, and not one peculiar to Loos. Thorstein Veblen had already in 1899 insisted that ”considered as objects of beauty, the dead walls of the sides and back of [better class tenements and apartment houses], left untouched by the hands of the artist, are commonly the best feature of the building.” Four decades later, Le Corbusier also suggests that the back facades of traditional houses are the best models for students of architecture. As in a Saturnalian reversal of roles, Loos cloaks his buildings in the garb of the back court, suggesting that the affluent owners are inconspicuous servants and that their villas are service buildings. At the same time the inverted logic of the facades insinuates something more vitriolic. If Loos’ houses are Neo-Renaissance buildings turned inside out, then everything important is happening inside: there is no exterior space that would sustain societal functions. The city exists to serve the gentry, it is the back yard for more important forms of life. Hence, facades are as uninteresting to Loos as back yards were to Neo-Renaissance architects. In his denial of ornament, Loos attacks the very idea of society and communication. Instead, he proposes a radical separation between the individual and the collective. Architecture is cast as a vehicle in the establishment of privacy. Apparently, the ideal human community in Loos’ opinion consists of separate individual atoms that are disconnected from each other; they are, in Leibnizian terms, monads that have no windows. This is true in the most literal sense, as well. Loos once said to Le Corbusier that ”a cultivated man does not look out of the window; his window is made of ground glass, it is there only to let the light in, not to let the gaze pass through.” You need not look out the window for there is nothing to look at; society is inside. 44 The Raumplan of Loos similarly subverts expectations based on a traditional Neo-Renaissance centralized plan. Enclosed within a simple volume, Loos develops a complex system of circulation which allows for multiple interior views and the creation of intimate and individualized niches. The interior recreates the politics of society by playing with the organizing and dominating techniques of different floor levels and the controlling power of the gaze. For example, in the Moller house in Vienna, there is a raised sitting area off the small library, with a sofa set against a window. From this vantage point, as Johan van de Beek has demonstrated, the master of the house can keep surveillance of the living room, the music room, and the door to the back garden when not exploring more distant worlds through a book. Interestingly, a similar pattern is typical of much of Islamic architecture. In the throne room of the Alhambra in Granada, for example, there is a viewing niche, the Mirador, which commands a view of the gardens, the interior court and the celestial dome. Whether or not Loos is here consciously following an Islamic model is hard to decide but characteristics of Northern African and Near Eastern architecture appear in many of his projects, particularly after his trip to Algeria in 1910. The cubic massing and roof gardens of Haus Scheu (1912-13) and the unrealized Villa Moissi (1923); the complex and lush decorative patterns of the early Villa Karma (1903-06), the Kärtner Bar (1908) and most later buildings; the contrast between white stucco and dark wood; the profuse use of Oriental carpets; the tent-like, carpet-covered and almost furnitureless interior for his wife Lina´s bedroom (1903); and finally, the ubiquity of the idea of veil or mask – even the very word ’mask’ is Arabic in origin. Of course, Loos is not the first Viennese to be fascinated with the Turks as the Other: think of such characteristically Viennese obsessions as coffee and croissants, a pastry designed to celebrate Austrian victory over the Turks. Indeed, breakfast in Vienna can be seen as a gastronomical reenactment of the vanquishing of the infidel by consuming the Islamic crescent. Still, the Islamic features in Loos’ architecture are problematic in terms of his own stated agenda. In all of his writings he insisted on introducing Western rather than Eastern culture to Austria: the subtitle of his journal Das Andere was ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich, ”a Journal for the Introduction of Occidental Culture into Austria.” In radically misrepresenting his project, Loos takes on the role of the Other and acts in accordance with the logic of the mask. Perhaps he knew that the etymology of his own name has roots in common with modern Dutch and Germanic words meaning ’false.’ Loos’ masterpiece, the Müller house in Prague takes another Islamic device to a higher level of complexity than in any other of his designs. The curious plan is encoded by means of two superimposed cubes, the one with masculine functions slightly bigger than the other with asymmetrical rooms for women or children. Given this coding, the spaces are then ordered to establish authority, control, privacy, intimacy, or spectacle. The bay window of the Moller house reappears in the interior as the private boudoir of Mrs. Müller. In traditional Iraqi architecture this is a standard motif: the kabischkan is the space used by women to look down upon the ursi where men receive guests or the tarma, a colonnaded, semi-open space. 45 Though the model is a traditional Islamic one, Loos develops it in an original way. Juxtaposed with the void of the dining room as a public space, the boudoir booth is treated as a small object to admire, much like the bust that was originally set next to it. The bust of Frantisek Müller’s father represents the civilized man, honest and open to view, surveying the public space of the living room, while the women, representing the homely or heimlich, are hidden as objects of obstructed vision behind the dark trellis and curtain. The objectness and naturalness of women is further emphasized by pairing the boudoir window with its upside-down version: an aquarium set within the dining room wall. In the house which Loos at his own initiative designed for Josephine Baker, the aquarium and the woman’s room are collapsed into one and the same space. There an enormous swimming pool fills the center of the first two levels, thrusting all other activities to the perimeter. Through a thin glass membrane a gaze passes between Mademoiselle Baker and her guests. The resident is treated as a spectacle or an animal on view. Aristotle claimed that man is a zoon politikon; if you want to live outside of society, you must be either a god or an animal. The inhabitants of Loos’ house live independent of society; they must be dealt with as animals in a zoo. The surveillance of resident by outsider is nowhere as striking as in the Baker house but it is nevertheless noticeable, particularly on street facades which were determined by considerations of public decorum (or in some cases by zoning codes and building committees). Villa Müller displays the separation of the self-sufficient interior and the publicly determined exterior in a corner where the thin layer of the street facade stops short of covering the volume of the building. In the Moller house, there is no comparable incongruity. Yet, the lack of correspondence between interior and exterior suggests the symmetrical facade must be seen as the eye of the public which attempts to extend its reign into the interior. The facade as mask is, after all, a communicative device; as such, it is sustained by convention and society. Even the mask that hides the individual must be grounded in public conventions to be effective: the mask exists as the outer boundary of the public realm, an opaque window. Ironically, in his attempted creation of Western man, Loos resorts to the methods developed for the domestication of the Other, the Moslem woman. The ultimate goal for Loos is the same as it was for Freud: the repression or sublimation of animal desires, and this is achieved by making the house a field of essentially public surveillance or a mise-enscène of the individual´s life. Yet, Loos speaks about the lavatory, which certainly is not a place for public spectacle, and argues that a country’s culture can be assessed by the extent to which its lavatory walls are smeared. Bathroom graffiti is a particularly forthright form of communication in that the author does not have to accept public responsibility. Hence, the cleanliness of lavatory walls indicates the extent to which societal norms have been internalized. Now, the backyard is to the building as the bathroom is to the apartment: backyards are for service purposes, such as garbage disposal. If the absence of ornament in the lavatory is a measure of how norms have been internalized to discipline the self, then the absence of ornament on facades is an externalization of norms and an attempt to gain control over others. However, for all its public nature, authorship and authority are again disguised in anonymity, achieved through abstraction and a lack of conventional originality. 46 Loos is clearly no functionalist despite the superficial similarity between his buildings and those in the Neue Sachlichkeit style. What is important to Loos is presentation and public image rather than the Sachlichkeit virtues of functionality, honesty of materials and structure, or the expression of the interior: living up to his name, Loos uses false columns, fake brick arches and disguised materials. He is different from a Neo-Renaissance architect in that for him, Gemeinschaft has turned into a Gesellschaft: the organic community has ceased to exist and has been replaced by an atomistic, mechanical society or an agglomerate of individuals. This historical transformation mirrors the origin of architecture in the breakdown of the nomadic community and its replacement with a segregated agricultural social order. Loos reinstates architecture to its original role of creating privacy, constituting the individual as separate from the group. Le Corbusier Max DuBois und Le Corbusier entwickeln mit dem Maison Dom-Ino die Trennung von tragender Struktur und Fassade, wodurch der Entwurf des Grundrisses frei würde. Gleichzeitig aber standardisiert sich so der Schnitt, was Loos ablehnt und folgerichtig das dreidimensionale Entwerfen fordert („In Zukunft werden wir dreidimensional Schach spielen“). Es kommt also zum Wettstreit Raumplan vs. plan libre Wie zwei andere Architekten, die in Behrens Büro lernten, Mies und Gropius, folgte auch Le Corbusier der Agenda des Deutschen Werkbunds, der Durchgeistigung der Technik bzw. der Erhebung technischer Lösungen mittels Methoden die durch die klassiche westliche Tradition sanktioniert sind. In seiner Villa La Roche-Jeanneret, bedient sich Le Corbusier den Mitteln konsequenter Geometrisierung (Winkel, Verhältnisse…). Im Plan führt er das Prinzip einer promenade architecturale ein und tut dabei etwas sehr ähnliches wie Loos: er schafft ein Simulacrum des städtischen Raums (basierend auf Camillo Sitte) im Innenraum (vgl. Josef Frank, Haus Baer, Wie das Haus zu Strasse und Platz wird…). Diese Promenade soll trotz des restriktiven Prinzips Dom-Ino spannende Situationen als Raumfolge ermöglichen. (nach Methoden der Formfindung) In seinem einflussreichen, 1923 publizierten Buch Vers une Architecture propagiert Le Corbusier ausdrücklich die Verwendung geometrischer „Ordnungslinien“ und einiger Proportionen, zu denen auch der Goldene Schnitt zählte. Um dies zu verdeutlichen, können wir einen Blick auf das Atelierhaus werfen, das Le Corbusier 1922 für seinen puristischen Kollegen Amédée Ozenfant in Paris entwarf. Beim Entwurf dieses Gebäudes musste Le Corbusier zunächst die zufälligen Gegebenheiten des unregelmäßig geformten Baugrundstücks berücksichtigen. Dieses ist nämlich nicht rechteckig, sondern wird auf einer Seite von einer Mauer begrenzt, die in einem 30°Winkel zur gegenüberliegenden Seite verläuft. Der Grundriss wird durch zwei Raster in einem Winkel von 30° geregelt. Die Position der Außentreppe bestimmt sich durch die Verlängerung der Linie der 30°-Grad-Mauer. Dann wird eine Senkrechte so zu dieser Achse gezeichnet, dass sie auf die vordere rechte Ecke des Baugrundstücks trifft. Eine weitere Treppe im Inneren des Gebäudes befindet sich im Schnittpunkt von zwei Linien: Eine von ihnen verbindet die hinter der Außentreppe befindliche Mauer mit der inneren rechten Ecke des Gebäudes, die andere stellt eine Tangente der Außentreppe dar, die 47 parallel zur linken Seitenmauer verläuft. Die letzgenannte Linie bestimmt gleichzeitig die Position eines Fensters in der Rückwand und den Rand des großen Atelierfensters an der Seitenfassade. Derselbe Punkt wird auch durch eine senkrecht zur linken Mauer gezeichnete Linie definiert, die vom Mittelpunkt der Innentreppe zur rechten Wand verläuft. Der Rand des Atelierfensters an der Seitenfassade kann auch bestimmt werden, indem vom rückwärtigen Fenster hinunter eine parallel zur rechten Wand verlaufende Linie gezeichnet wird. Aus diesen Ordnungslinien werden sogar einzelne Details abgeleitet: So befindet sich zum Beispiel die Raumecke mit dem Spülbecken, das „Laboratorium“, auf der Linie, die zur linken Ecke der Hauptfassade verläuft. Die gleichen Winkel beherrschen auch die Fassade. Das Gebäude ist keine willkürliche Erfindung, sondern durch rigorose geometrische Ableitung aus der Baulücke entwickelt. - Fig: Le Corbusier (Ker-Ka-Ré): Fassade als Maschine; sie bildet letztlich einen Prozess ab. Petit Trianon diente als Vorbild auf der Rückseite, als Bild bürgerlichen Lebens. So wäre die Villa lesbar als ein Kommentar Corbs zu manieristischer Architektur: vgl. Villa Aldobrandini in Frascati. Die Villa ist schon von Ferne sichtbar, in der Nähe aber verschwindet sie fast und lässt nur den Mittelrisalit sichtbar Über eine Promenade erreicht man letztlich den Garten, der, sehr introvertiert, eigentlich nur eine Quelle bietet. Erst nach neuem Aufstieg erreicht man den Gartenpavillon, der sich jedoch als Rückansicht der Villa entpuppt. Die Villa ist also beides, lediglich manipuliert durch den Blick. Corbusiers Villa Ker-Ka-Ré bietet genau diese Vielschichtigkeit und Doppellesbarkeit: auch hier ist die rückseitige Fassade der Gartenpavillon. - Fig: Le Corbusier (Villa Stein): wieder Demonstration der 5 Punkte. Sowohl die Strassen- als auch die Gartenfassade sind abgeleitet durch regulierende Linien … Colin Rowe vergleicht palladianische Renaissancevillen (Malcontenta) mit der Villa Stein. Der Ansatz Rowes geht zurück auf einen bahnbrechenden Essay Rudolf Wittkowers von 1947, in dem er erstmalig argumentiert, alle von Palladio entworfenen Villen basierten, trotz formaler äußerer Unterschiede, auf einem ähnlichen Diagramm: einem unregelmäßigen, aus neun Quadraten bestehendem Bandraster. Rowes zunächst rein formal begründeter Vergleich, wurde von späteren Architekturhistorikern eindeutig belegt, indem Beweise gefunden wurden, die zeigen, dass Le Corbusier die Villen Palladios in den 20ern besuchte und studierte. - Fig: Le Corbusier (Villa Savoye): Paradebeispiel der 5 Punkte und der architektonischen Promenade. Corb beschreibt das Gebäude als Typ, der beliebig wiederholbar wäre … vgl. die Argumentation, nach der sich das Automobil über zunächst große, dann immer kleinere Änderungen letztlich zu einem Typus entwickelt habe, der, trotz einiger optischer Modifikationen, zu einem wiederholbaren Muster geworden ist … die Villa ist vielleicht die Überführung der Sensation des Fahrens in Architektur; dabei ist aber immer klar, dass es sich um ein künstliches Erleben handelt, was nicht zuletzt im gerahmten Blick auf die Landschaft von der Dachterrasse seinen Ausdruck findet. In der Wirtschaftskrise der 20er Jahre findet der Optimismus der „Maschinenarchitektur“ sein Ende 48 Lecture 7 | The Other Modern Welche anderen Tendenzen wurden durch die “offizielle “ Historiographie der Moderne, wie sie Giedion, Pevsner oder Hitchcock vetreten, unterdrückt? Der Siegeszug der Moderne geht weiter, doch nicht mehr als Funktionalismus, sondern als „International Style“, geprägt durch Johnson und Hitchcock. - Fig: Brinckmann & v.d. Vlugt (Van Nelle): demonstriert auch die 5 Punkte des neuen Stils nach Le Corbusier Aber es gab eben nicht nur diese reduzierte, exklusiv auf wenige Materialien und Formen beschränkte Architektur, sondern auch: - Fig: Chareau (Maison de Verre): eingeschränktes Grundstück, konstruktive Elemente aus Industriebau, bewegliche Elemente - Fig: Lubetkin (Zoo London): aufwendige Konstruktion (Auskragungen) … es geht nicht mehr nur um den Stil an sich, sondern auch um dessen (konstruktive) Erweiterung - Fig: Le Corbusier (Maison Beistegui): der Dachgarten ist plötzlich kein rationalistisches Element mehr, eher surrealistischer Kommentar; der Dachgarten als Innenraum im Aussenraum mit Kamin und Neo-Rokokomöbeln Es gibt neben dem reinen Funktionalismus/ Rationalismus also mittlerweile offensichtlich auch eine Alternative … vgl. Blomstedt: Funktionalismus vs. Landhaus Es ist festzuhalten: wenn Walter Curt Behrendt den Sieg des neuen Stils proklamiert, heißt das nicht, das andere damit ausgestorben wären. In den frühen Dreißigerjahren kehren die Unterdrückten zurück. - Fig: Loos (Tribune Tower): für Loos war die klassische Architektur immer eine universale Architektur – auch noch in den 20er Jahren – so wird die Säule hier zum bloßen Zeichen - Fig: Plečnik (Prager Schloss): Plečnik macht hier im Prinzip einen Schritt zurück vom Modernismus - Fig: Plečnik (Zale): der Friedhof ist lesbar als eine gebaute Geschichte der Architektur, angefangen von der Urhütte bis zum Klassizismus, allerdings wiederum „falsch“ interpretiert, ähnlich etwa dem Neoklassizismus der 1920er Jahre in Skandinavien. - Fig: Plečnik (Slvica): „Architecture parlante“: Zitate aus der klassischen Architektur werden bewusst verfremdet und schaffen so eine Art ikonischer Architektur (bildhaft vs. abstrakt) Der Expressionismus andererseits ist 1919 bzw. 1920 doch nicht ganz gestorben. Rudolf Steiners Heizhaus in Dornach ist so eine metaphernbehaftete Architektur in der Tradition des Expressionismus. 49 Der Mystiker Steiner – im frühen 20. Jahrhundert Gründer der Anthroposophischen Gesellschaft und als Autodidakt auch Künstler und Architekt – scheint bei seinem Entwurf für das Heizwerk der Anthroposophenkommune allerdings einige Metaphern vermischt zu haben, denn er kombinierte Pflanzenblätter mit einer im Großen und Ganzen phallischen Form. Steiners 1. Goetheanum, ebenfalls in Dornach, ist im Wesentlichen eine geometrische Ableitung der Formen, wie sie durch Lauweriks propagiert wurden. Die Form sollte so in Harmonie mit dem Kosmos treten. Das 2. Goetheanum (1924-26) entstand auf demselben Fundament des Vorgängerbaus, ist aber formal abstrahierter. Konstruktiv herausragend ist die Schalenkonstruktion des Daches. Allerdings ist das Gebäude wohl doch nicht in Gänze eigenständig, gibt es in der theosophischen Tradition durchaus Vorgänger, wie ein Blick auf Fritz Kaldenbachs Villa von 1914 nahelegt. Darüber hinaus steht unweit in Basel eine weitere Kirche in Sichtbeton: Karl Mosers St. Antoniuskirche. - Fig: Mendelsohn (Einsteinturm): weiteres Beispiel expressionistischer Bauten, in den Nachwogen der Entdeckung der Relativitätstheorie. Der Turm ist von Mendelsohn durch 4DDiagramme begründet worden, allerdings existierten ganz ähnliche Zeichnungen für völlig andere Bauten bereits zuvor. Die Form ist also expressionistisch, organisch tradiert; neu ist sie in dem Sinne, dass kein Vorgängerbau existiert. Mendelsohn wollte ursprünglich auch zeigen, was mit Stahlbeton möglich ist, allerdings handelt es sich hier letztlich um einen verkleideten Backsteinbau - Fig: de Klerck (Eigenhaard): hier taucht erneut die Idee von Opposition und Ausgleich (oder Versöhnung der Gegensätze in eine höhere Einheit) auf, in der kontrastierende Elemente zu einem letztlich überlegenen 3. Weg führen (vgl. Sullivan, Mondrian…). In den Niederlanden drückt sich diese Idee auch im Wettstreit zwischen der Schule von Rotterdam und der Schule von Amsterdam aus. Bei Eigenhaard mag man eine Ähnlichkeit zum Arts and Craft aus dem England der Jahrhundertwende sehen (pittoreske Asymmetrie, Volumetrie, gewisse Ornamentik), aber auch eine aufwendige Ausreizung des Materials, die fast die Tektonik der Fassade negiert - Fig: Höger (Anzeiger): im Gegensatz zum Süden, wo mehr Siedlungen im expressionistischen Gewand daherkommen, könnte man in Norddeutschland auch von einem Großstadtexpressionismus sprechen – Bürobauten im Gegensatz zum antiindustriellen, sozialistischen gedanklichen Ursprung des Expressionismus, der sich nun zu einer recht geometrisierend ornamentalen Form ähnlich dem Art Déco entwickelt - Fig. Hoetger (Bötcherstraße): Andeutung einer mittelalterlichen Stadtstruktur und traditioneller Architektur, aber gleichzeitig Ästhetik des Art Déco (Ornament) und rechsextreme quasi-Religion des fiktiven Ur-Germanentums (Runen usw) - Fig: Le Corbusier (Maison Mandrot): In Frankreich zeigt sich diese Entwicklung nicht ganz in dieser Form, aber auch hier finden jetzt Naturstein, kleine Fenster, Holz Anwendung, also eine wesentlich andere Materialisierung als die der „weißen Moderne“ 50 - Fig: Le Corbusier (Maison Week-end): auch hier nicht die Ästhetik der Konstruktion wie im Maison Domino, sondern: Gewölbe, Naturstein, Verlagerung der Volumen z.T. in das Gelände, begrüntes Dach Wie nun aber ist es möglich, dass derselbe Architekt innerhalb nur eines Jahres von der Villa Savoye zum Maison de Mandrot kommt? Mancher sieht hierin die Konsequenz aus dem den durch den Black Friday und die folgende Depression gebrochenen Fortschrittsglauben der Moderne! Le Corbusier beschreibt die Geometrie zunächst als menschlich, weil sie das Gegenteil der Natur darstellt, dennoch baut er später vorwiegend mit natürlichem Material. So zeigen Le Corbusier und Blomstedt die Spanne der neuen Architektur bereits auf, und dennoch wird Le Corbusier gemeinhin nicht als organischer Architekt beschrieben. Hier gelten andere als Wegbereiter, so etwa Alvar Aalto und Frank Lloyd Wright. - Fig: Aalto (Mairea): umfasst eine Lichtung, als deren Zentrum nunmehr ein Pool definiert wird. Das Gebäude ließe sich wiederum als eine kleine Architekturgeschichte verstehen (vgl. Plečnik), oder wenigstens als ein Stück narrativer, erzählerischer Architektur. So wird die Lichtung beschrieben durch ihre Einfassung (Gebäude & modellierte Landschaft/ Hügel). Wir finden wieder das Prinzip von Dialektik (Pool – Hügel; Holzzaun – Steinmauer; begrüntes Dach (horizontal) – Laubwald (vertikal)). Die Villa thematisiert den Widerspruch künstliche Landschaft vs. moderne Architekur. In diesem Sinne ließe sich das Gebäude lesen als Collage und stünde so in der Tradition der kubistischen Malerei (vgl. Dachplan & Juan Gris), die sich durch eine Überlagerung verschiedener Formsysteme auszeichnet. Excursion: A formal reading of the Villa Mairea In the Villa Mairea the oppositional pairing is made more complex by the principle of good continuation which forces the coherence of the courtyard as an organizer and stresses the linearity of its perimeter. The strong Gestalt of both the courtyard and the perimeter conspire to bring further elements into conformance with the basic structure of the organization: the swimming pool, the loggia, the sauna, the mound of earth, the small fence, the edge of the group of trees, etc. The stability of the figural courtyard welcomes the edge of the trees as an equivalent boundary to those of the house and the stone wall; the linear continuity of the edge unites its various elements; and the similarity of disparate figures, such as the L-ness of the house, loggia, and pool, stipulates their kinship. However similarly the boundary edge and the central courtyard might operate, they also support differing arguments concerning basic themes. Thus, the theme of ‘courtyard’ tends to stabilize as equal the disparate pieces which surround it, while the continuity of ‘edge’ can simultaneously underscore their difference. By the same token, certain similarities of shape permit some of these differences to be viewed as developmental and suggest that the courtyard scheme is to be regarded as a series of small revolutionary differences within a larger evolutionary whole. This situation, in which A and B are seen 51 as oppositional and C as synthetic, again suggests Hegelian patterns of development. As first principles evolve and transform to ever more elaborate configurations, diversity, complexity, or difference deny the basic and the simple. Yet even at the extremes of binary oppositions, there remain other relational strategies such as proximity, continuity, and shape that cause differences to collapse and a sameness to become evident. The house and the stone wall can be seen as equal but opposing L-shaped halves; furthermore they can be paired together in opposition to the edge of the trees to enclose the courtyard as separate from the forest. In so doing, however, the very nature of ‘courtyard’ is challenged and the counter proposal of ‘clearing’ is tendered instead. Here again is a situation of paired thematic differentiation. On the one hand, we have a rustic moment, a clearing in the forest, a space made merely by the absence of the surrounding other, a primitive figure/field, a situation independent of placement in culture or time. On the other hand, there is a courtyard which can be seen as either figural in itself or residual, a cut off piece of the surrounding other; this reading suggests therefore a cortile of a palazzo, a complex piece of culture and a specific place. Moreover, the differences between the courtyard and clearing serve to bind them together more firmly. The stone wall is rustic like the clearing, but man-made, like the house; it allows a view beyond, like the forest, but it is an independent entity, like the house but unlike the forest edge. The idea of the house becomes wedded to the idea of the clearing, equating another oppositional relationship, figural solid and figural void, at the same time as suggesting their developmental evolution and proper position in time, like some sort of calendar. First there is a figural solid, the forest, then a clearing is made by the momentary absence of the continuous material of the forest. The woodland clearing emerges as the first figural void. The separation of solid and void proposes the separatrix, the forest edge, as a new element. It both belongs to the forest and the clearing, and can also be understood as a thing unto itself. The independent status of the forest edge is underlined by a succession of elements that it seems to engender: a mound of earth, a rustic fence, a stone wall, etc., each organized so as to emerge from the previous element in a continuous series, maintaining certain roles (definition of clearing/courtyard, linear continuity), evolving certain roles (incremental increases of complexity and independence), and finding new roles (natural/man-made, rustic/urban, nonprogrammatic/programmatic). Each of the elements sponsored by the forest edge sets up multivalent allegiances. The grassy mound is much akin to the meadow, but suggests the emergence of a solid, like the forest, while it aligns itself with the another emergent element, the plane of the forest edge. The fence seems to grow out of the equally tall mound like its spine, but is wooden like the forest, or more correctly, like the edge of the forest, although it is just sticks, without a canopy or crown. The green expanse of the canopy is, in turn, imitated by the mound which is a green lump exiting the earth, although its lumpiness also establish sympathy with the shape of the pool. Like the pool, the mound tends to become a center in its own right which naturally reduces its capability to function as edge. Negating the volume of the mound, the fence reduces it to a two-dimensional element ideally adapted to the role of edge. The fence further metamorphosizes into the next element equal in height and configurational role but otherwise opposite, thus wood turns into stone and a transparent, almost non-material screen into solid wall which 52 dialectically combines the fence’s planarity and the mound’s volume. Still, the stone wall is not just edge but has a strong sense of volume and density. Like the dirt that makes the mound, stones are underground elements, a reading sustained by moss growing on top of the wall. The swimming pool is equally multivalent. As the central object in the void, the swimming pool reinforces the centrality of the clearing/courtyard, and also forms a relationship between the finiteness of the pool and the infiniteness of the forest, connecting opposites as equals. Furthermore, the pool contrasts the solidity of the forest with not just the absence of trees, but with the ground itself, causing the ground plane to read as a neutral datum against which the positivity and negativity of volumes (house, forest) are determined. The ‘undergroundness’ of the pool resonates with the figure of the neighboring mound, which promises the presence of volume beneath the turf. Of course, the actual construction of the mound from the dirt removed to make the pool is also called forth. As the forest edge becomes figural in its evolution from trees to mound to fence to wall, the next layer also gradually assumes figurality, as the pool negotiates between the geometries of the mound and the wall. Adjacent to the mound, the pool aligns itself with the geometry of the wall to delineate a negative volume. In the clockwise reading of the perimeter, this space is the successor to the mound, whose mass, however, seems pushed to the outside edge to form the stone wall. The figurality of this area makes further connections between the clearing/courtyard theme; if the pool is seen as marking the center of the courtyard, then the configuration of the space between pool and wall begins to assume the coherence of a palazzo. Thus, through the negation of one quality, solidity, a merger is offered between other sets of opposites: clearing/courtyard, natural/cultural, rural/urban, meadow/palazzo. The sauna continues all of these themes, being an object (in the series, a solid), a more defined compound (evolution), and independent (edge doubling as figure). Extending the geometry and figurality of the space adjacent to the pool, the sauna seems somewhat reminiscent of the volumetric expansion from the fence to the wall, or the particular articulation from the mound to the fence. Furthermore, its volume appears to have the approval of the mound, which faces it across the grass terrace, exemplifying the development of a consciousness and culture of shape, from early to late. Arguments about edge/object, transformation/affiliation and figure/field are continued by the loggia which negates the solid as a void, compounds the wall of the sauna by becoming a colonnade, and establishes its independence by pulling further away from the pool (the sauna is still tethered by its wooden platform) to originate a new orientation. The sauna maintains the theme of underground in its use of a sod roof, an occasional feature in vernacular Finnish folk architecture. Here, the sod roof also suggests the sauna’s kinship with the mound as well as its potential relationship with the pool, for while the pool is the absence of turf and some missing volume, the sauna is the presence of some extra turf and some found volume. In the sequence of elements at the perimeter of the clearing, the axial relationship of the mound to the sauna suggests that the latter is but a later version of the former. The early Finnish sauna was indeed a smoke lodge partially carved into the ground, a fact which reflects the general roots of architecture in caves and burrows. In the second part of Aesthetics, Hegel suggests that “to make a nest in the ground, or to burrow, is more natural than to dig up the ground, look for material and then pile it up together and give shape to it. In this matter we may picture caves as arising earlier than huts. ... subterranean 53 building begins rather with what is present already, and, since it leaves the main mass alone as it is, is not erected yet with the freedom inherent in the construction above ground... In comparison with the buildings on the surface such excavations seem to be earlier, so that the enormous erections above ground may be regarded as imitations and above-ground blossomings of the subterranean. For in excavations there is no question of positive building but rather of the removal of a negative.” Nonetheless, the early Finnish sauna was not completely underground but partially constructed above out of twigs and turf, materials which at the Villa Mairea sequence are represented by the fence and the mound. The edge of the clearing is therefore a tableau presenting the history of the sauna but it could also be seen to maintain the cyclical oscillation of volumes and voids, plus the evolutionary theme of increasing articulation and complexity of both architecture and culture. Originally, the earthen sauna was used not only for bathing, but for all living functions. Indeed, it presented a version of the Enlightenment’s primitive hut, an origin for architecture that approaches the sub-architectural as well as subterranean. Thus, the sauna enclosure at Villa Mairea might be seen as an Urhütte, the first hut following the emergence from the ground and the articulation of a construction of assemblage and abstraction. If seen as ‘early,’ the sauna represents progress and development compared to the earthen pit. Compared with the rest of the house, however, it is seen as primitive in a world which is far more complex and developed, or ‘late,’ a self-conscious re-creation of an aboriginal and simpler moment for the purposes of recreation and identity. The notion of the sauna as the first real building, the emergence of architecture out of a discussion of void, solid and edge, is further supported by dimensional and geometrical relationships. Instead of being unified only by a sensuous atmosphere, the Villa Mairea is given unity by the most traditional method of architecture, a proportional system that controls the main dimensions of the parts. If the width of the sauna steam room is a, then √2a is the width of the dining room and 2a the width of the service wing. The living room is a square, the side of which is 4a. The columns, including the one in the library, determine a smaller square, the side of which is 2√2a. As in this case 2√2a equals 10m, the area of the smaller square is 100 m2 and that of the living room 200 m2. Moreover, not only are the dimensions far from random, the plan configuration follows a square pattern. Taking the dimension 2a as the module, a 4x4 orthogonal grid can be drawn so that the living room fills the southeastern quadrant, the service wing aligns with the northernmost row and the southwestern corner is marked by the edge of the pool. From this corner, several other lines can be drawn, aligning with oddly angled elements in the plan, including one wall of the kitchen and the edge of the second-floor studio, the angle of which is, incidentally, at right angle to the second story windows of the children’s bedrooms, but parallel to the line drawn from the northwestern corner to the side of the entry canopy. If a compass is placed at the northwestern corner of the living room square, an arc can be drawn from the southwestern corner to the northeastern corner. The arc intersects the library wall at the point when the wall bends. The column within the library lies on the diagonal line from the southwestern corner to the northeastern corner of the living room square. In this way, the reading of the sauna as the conceptual origin of architecture is supported by the geometrical configuration of the Villa Mairea. In this perspective, the sod roof on the sauna might be read as something primarily concerned with establishing character, with the ideological support of archeology. However, since the stone wall is 54 topped with moss in imitation of the turf on both the mound and the sauna, the composition can also be regarded as involving a negotiation of the ground plane: the stones of the wall and the interior of the sauna can be read as still being underground as is the dirt of the mound. This raises the question as to the sauna’s relation to the pool. In addition to the obvious programmatic connections, the sauna and the pool seem linked as opposites (edge/center, solid/void, early/late, simple/complex), as equals (things underground, things primitive, voided objects), and as developmental (primitive/sophisticated, central/centripetal). The connection between the pool and the sauna is supported by the placement, configuration, and construction of the platform containing the diving board, all of which reinforce the pool’s long diagonal. The diving board marks the platform’s northernmost extension, along the side of the sauna. This is also the location of the first structure external to the sauna, a four-column bundle. In the sauna, wood construction reappears as the armature which holds the sod, as in the earthen hut, but also appears as horizontal clapboard walls, a denser reincarnation of the fence. The isolation of the external columns marks a stage in the evolution of the use of wood, from subterranean frame, to wall, to exoskeleton. The loggia to the east of the sauna can be seen both as an extension of the sauna structure and a negation of it, a reversion to the void of the patio. The corner of the stone wall and the sauna delineate the space east of the sauna much the same way as the pool and the wall defined the space on the western terrace, the configuration of which the loggia multiplies. In support of the sense of continuity, the stone wall wraps the corner of the court and displays the same relationship to the loggia that the mound has to the grass terrace between it and the sauna: both confront the major axes of the adjacent spaces at the same time as they envelop the space with their bending. The similarities between the stone wall and the mound are useful for the development of the ‘clearing/courtyard’ fusion. Moreover, in conjunction with the house, they help to set up a series of L’s which eschalon around the perimeter like a pinwheel. This structure points out a number of other similarities: the role of the pool as a pinwheeling L, for example, or the correspondence of the relationship between the service wing of the house and the stone wall and that of the sauna with the edge of the pool. In the interior corner, the loggia assumes a free-form shape that recalls the mound or pool, or even the forest edge. Indeed, a single tree is located in the lawn adjacent to this interior corner, in juxtaposition to the surrounding forest, recapitulating earlier multiple/single, figure/field oppositions, such as clearing/forest, pool/forest, sauna/clearing, etc. In plan, the tree is axially related to the sauna door. The tree may indeed be compared to the sauna, as both come out of the ground (one by a literal growth and one by evolution), share an arboreal structure (trunk//limbs/branches: stud walls//beams/joists), support themes of the subterranean (the continuous green of the crown or roof restating the ground plane). The sod roof of the hut is a fiction of the tree canopy. This notion is continued by the loggia but the joists are now carried by long white concrete beams, rather than short dark wooden ones. Thus, the structure of the forest is recapitulated, permitting the loggia to match the woods on the far side of the clearing, while both negating and transforming them, continuing the themes of development, evolution, opposition, and survival of first principles. Both the sauna and the tree can be seen as objects within the perimeter of the enclosing stone wall; 55 alternatively, the sauna and loggia can be seen as part of an enclosing system which contains the tree as its sole object. Moreover, the tree can be juxtaposed with the loggia’s bundled columns which embody strategies of reduction, duplication, and reassembly, as the material of the forest is both removed, reused, and restored. Next to the tree, there is a bundled column of four milled pieces of lumber. Together they imitate the size of the tree trunk and recall the Kalevala’s cosmology in which the single tree is transformed into the forest, as the particular becomes the prototype for the general. The void between the four dowels provides a slight echo of the first clearing which emerged from the first forest, and thus the dialogue between the bundled column and the single tree becomes a recapitulation of a particular creation mythology. Like the Kalevala, this pair also develops the theme of the natural and the artificial, both as paired equals and as an evolution. In the tree’s reconstitution the four pieces of lumber are assembled, shaped, arranged, and wrapped to imitate the living tree, equivalents with different histories, one found and one made. The stone paving in the same area supports a similar theme. The stones around the base of the tree are used to form a small well, which imitates the argument of the clearing and the forest edge. The only stone which is emphatic of its separateness is that which provides a base for the bundled columns to stand on: thus, the multiple stones of the well make a void for the single tree, while the single stone of the base makes a solid for the multiple dowels. The architecture around the tree represents not only a flattening of its volume, but a reconstitution of its volume into three-dimensionality, with the columns, clapboards, and joists describing a new rationalized organization of Cartesian coordinates. In this light, the loggia can be regarded as the antitree, another Kalevala-like opposition. However, the loggia takes the transformation of nature yet further. Partially covered by the deep overhang of the loggia roof, the deck is made of wooden slats which create an affinity not only to the tree but to the processed wood of the sauna walls. Once beyond the corner, a series of single steel columns replaces the compound bundled wooden columns, continuing the various themes of evolution (more sophisticated structure, more sophisticated materials), opposition (compound/solitary, void center/solid center), and increasing the independence of the periphery. The wooden slats for the roof structure are maintained, but the beams become orthogonal extrusions of white-painted reinforced concrete rather than the dark, round wooden poles used in the vicinity of the sauna. In conjunction with the latter, the roof slats look sophisticated, while their relationship with the white concrete and steel causes them to look primitive and rustic. Thus, it is not just an evolution of material around the perimeter, but also the relative appearance of a consistent material which support the notion of a progressive development. Actually, the corner area is configured in a way reminiscent of the area between the sauna and the mound, suggesting the presence of a room by surrounding walls which belong to other configurations. The ‘new’ orientation of the wall and the loggia not only establishes their sense of independence and evolution as they strike out for parts unknown, but also seals their simultaneous collapse into a dependence and reiteration of the past, as they seem doomed to merely trace the outlines of the original clearing. The bays of the columnar structure offer voided modules equivalent to the volume of the sauna. As the second ‘modern’ bay begins, the stone wall ends and is replaced by the stucco of the house. Just as the rough bark of the tree turns to milled lumber and then a geometric white frame, the dirt of the mound 56 evolves to stone and then to the clean geometry of a white surface of an indeterminate rationalized artificial material. The point at which this happens seems to correspond to a center as described by the swimming pool, for although the pool can be read as the basic object occupying the clearing or courtyard, its shape also allows it to be compared to that of the mound, as the perimeter to some object adjacent to one of its edges. The perimeter wall responds to this secret center by breaking, transforming, and pushing outward to form the body of the service wing of the house, which has the same relationship to the stone wall as the loggia had to the pool’s edge, continuing the motif of centripetal expansion. In addition, the depth of the house is the same as the length of the sauna, thus further supporting the impression that these elements are more specifically linked. The centrality of the loggia is established by the relationship it negotiates between the sauna at one end and the first segment of the service wing. In one sense, these seem to be similar reciprocal elements at either end of a pinwheel, while in another sense, the sauna demonstrates its uniqueness, articulation, and primitiveness in contrast to the generalized, simplified, abstracted, and hidden nature of the main house. In the reading of the composition as an evolution towards increased sophistication - forest to clearing, edge to object, loggia to building, primitive to modern - one configuration meriting particular consideration is the dining room. If the relationship of the service wing of the house to the loggia is one of peripheralization and development, the dining room seems to offer a stronger note of continuity, as it extends the relative position of the loggia into the larger organization of the house. It seems to be a different sort of room from those adjacent to it, not multiple, not differentiated, but a sort of Urzimmer amongst more evolved types. The relationship to the loggia is further suggested by the way in which the wall that separates them also fuses them. On each side there is a fireplace sharing a common flue: the one on the interior is casually off center and diminutive while the other on the exterior is a large, robust, and primitive grill. While the rustic fireplace is made of thin slate stones, the urbane fireplace in the dining room is constructed out of specially ordered bricks with exactly the same vertical dimension. Furthermore, the angle of plaster above the bricks follows the angle of the stairs and the flue on the exterior. Incidentally, the grill is rotated to face the tree and the sauna door, as though to insist upon a relationship among the functions of cooking, heating, and the survival of the family. Its juxtaposition with the dining room perhaps suggests that these functions continue regardless of the advance of culture and sophistication and that the gathering of the family for a meal is still central to the functioning of the household. The accommodation of the dining room in what is essentially the loggia structure and the similarity of the back-to-back fireplaces reinforces the timelessness of the activity of the family and tends to divorce it from the complicated and specialized activity rooms of the modern house. Its position in the house is impervious to the structure of the L: the dining room plows through the body of the villa undeterred by the bend. It may be read as a sort of interiorized extension of the loggia. The use of the dining room as a locator for the front door and entry area reinforces the primacy of dining as the major family activity. The entry canopy extends the loggia through the house to emphasize its continuity as a motif. The 57 dining and entry area offer a centrifugal organization which acts as a localized axis across the perimetrical scheme for the building. By not obeying the rule of the right quadrant, this axis indicates its association with the left quadrant, which has been fixed by a more primitive type of space-making. Thus, this axis permits the intrusion of primitive motifs. The dining room becomes the hearth, the primitive hut, and the cave, a role reinforced both by the yin-yang fireplace arrangement which welds it formally and programmatically with the garden, and by its continuation as the entry area, front door, and porch. Frontality is thus brought to the scheme, by dragging traces of the primitive hut across the refinements of the perimeter. The porch signals this genealogy by incorporating trees into the role of devolved columns. Reading the Villa Mairea clockwise along the perimeter, the relationship of the forest edge to the wall and then the loggia develops a compositional strategy which moves from simple to complex, natural to man-made, primitive to modern. To some extent the house also continues the forest edge but at the same time it evolves a clockwise system of its own in which the elements within achieve increasing importance, configurational significance, and independence. This is true in the basic organization of the public spaces on the ground floor, as well as in the bedroom areas upstairs. On the second floor, the children’s bedrooms mirror the organization of the service wing as a pinwheel of equivalent elements while the windows, on the other hand, pavilionize themselves beyond the perimeter as special pieces. This tendency to push beyond the established edge and form pavilion-like figures is continued by the two master bedrooms, each of which projects further in imitation of the window bays. The deck wrapping the more pavilionized master bedroom at the southwest corner reasserts some authority of an exterior edge. The treatment of the whole module reinforces the equality of the two facades, further emphasized by the roof deck, the organization of the space in the ground floor and the arrival sequence. On the ground floor, one sees the figural prow on the diagonal. To the west of this corner the porch protudes and completes the argument of the escaping module. On the second floor this element is Maire Gullichsen’s atelier which distances itself from the master bedrooms by type if not by proximity. Geometrically, he studio partakes in the sequence of increasing pavilion-ization: the southern side of the studio is at right angle to the rotated windows of the children’s bedrooms. With its organic curves, the studio recalls both the pool and the roof garden, which with its curving steam-ship railing can be seen as a reinterpretation of a Japanese rock garden, itself a simulation of a pool or a pond. The shape of the studio stresses its centrality as an object along the developing perimeter of the building. As the most villa-like object in the building the studio forms the edge to the courtyard and therefore contributes to the most palazzo-like organization, feeding the ambiguity as to whether the house in its evolution is destined to reinforce the courtyard/clearing as the generative figure or whether in this development its more complex pieces become competing centers to alternative spatial propositions. In this regard, the pavilionized porch can be compared to the single tree which also occupies a corner of the courtyard and whose structure the porch seems to imitate with the studio becoming the ‘crown’ to the ‘trunk’ of the porch. This reading is reinforced by the vine which provides foliage along the studio balcony as though it were a tree canopy. The balcony is supported at each end, once by a single column and then by two columns which diverge from a common base. Since the columns are painted 58 white, the image of a clump of birch trees is doubly reinforced. The juxtaposition of the columns representing birch trees with the single pine tree next to the sauna is a situation which again compares the development of a multiple organization from the solitary (single sauna/multiple-bayed loggia, single loggia/parallel-bayed building; single building/multiple pavilions). With the tree, there is a single trunk, while the sauna replicates this figure with the multiply layered and anonymous logs of the hut on the one hand, and the multiply dispersed columns of the loggia on the other. Thus, each comparison to the tree isolates it, yet recapitulates in its compoundness the structure of the forest. The other competing object, the modern ‘tree’ of the porch, continues the courtyard as it develops the pavilion, and continues the reinvention of the forest, both as the house and as a special figure itself. Thus the house is a continuation of the forest, the antithesis of it, and/or a reinvention of it. Differentiating itself from the orchestrated similarities of the rest of the building, the porch appears as the most evolved and removed element in the development around the clearing/courtyard, yet paradoxically it reintroduces the point of origin, the forest. Aalto versteht Architektur als Konstruktion von Bildern, die wie von einem Maler zu definieren sind, aber wie alle frühen Modernisten bezieht sich Aalto gleichzeitig auf eine geometrische Ableitung, die letztlich alle Maße definiert. - Fig: F.L. Wright (Fallingwater): Wright war bereits zuvor beschrieben als Vertreter einer Art amerikanischen Arts and Craft; asiatische Formen dienten ihm als Alternative zur europäischen Architektur, später nutzt er auch südamerikanische Einflüsse Nach Problemen, Bauherren zu finden (Affären mit Bauherren-Frauen; Beschuldigung, den Tod seiner Frau und Kinder bei einem Feuer in Taliesin bestellt zu haben), gelingt ihm mit Fallingwater ein Comeback. Geometrische Überlagerungen bestimmen den Grundriss (vgl. Robie House), in dem mehrere Räume ein und demselben System angehören. Entwurf mit der Topographie: spektakuläre Auskragungen … Materialisierung als natürliche Fortschreibung der umgebenden Natur, bis hin zur Verwendung von Teilen der Felsen zur Gestaltung des Wohnzimmerbodens … offene, transparente Ecklösungen … Pergolen: teils drinnen, teils draußen In Europa entwickelt sich derweil nicht nur die organische Architektur als Gegenentwurf zur Geometrisierung der neuen Sachlichkeit, sondern es gibt auch Bemühungen, die erste Strömung der Moderne weiterzuführen; so in Italien durch die Grupo 7, deren bekanntester Vertreter Giuseppe Terragni ist - Fig: Terragni (Casa del Fascio): die Grupo 7 verstand Le Corbusier trotz abstrakter Formensprache immer als klassischen Architekten; die Casa del Fascio steht so in direkter Tradition der Moderne Le Corbusiers (klassizistisch: Proportion durch geometrische Ableitung). Terragni sagt, und folgt darin Mussolini, der Faschismus sei ein Haus aus Glas, in dem nichts verborgen sei (siehe der große, offene zentrale Innenraum) … vgl. auch das 59 römische Verständnis, wonach zumindest öffentliche Gebäude einen frei zugänglichen Innenhof haben sollten … Ablesbarkeit der Konstruktion … die Tektonik der Fassade bildet jeden Planungsschritt ab - Fig: Terragni (Asilo Sant’Elia): Cortile in doppelter Ausführung – Innenhof und Mensa (als Glasbox), diagonal verschoben, was in der Rampe zum Dachgarten abgebildet wird. Das Gebäude ist kein statisches Ding, sondern Abbildung eines Prozesses! Verschiebungen, Transformationen werden stets abgebildet. So entsteht ein System, das in der Durchschreitung seine Entfaltung deutlich macht. - Fig: Terragni (Danteum): Transkription der Göttlichen Komödie Dantes. Das Gebäude ist eine Erzählung, die Räume Episoden in der Komödie. Architektur tritt hier als literarische Erzählung auf. Terragni liefert damit eine direkte Inspiration für die dekonstruktivistische Architektur, wie z.b. die eines Peter Eisenman. - Fig: Libera/ Malaparte (Casa Malaparte): Gebäude erwächst aus der Topographie, das flache Dach andererseits spiegelt möglicherweise die Idee des glatten Meeres … vgl. Malaparte und Kirche in Lipari Excursion: Casa Malaparte Born Kurt Suckert in 1898, Curzio Malaparte renamed himself after Napoleon Bonaparte in order to fit better in with his Fascist friends. As a journalist, he wrote on all manner of topics, sometimes finding favor with Mussolini, and sometimes irritating the regime. His pamphlet of 1933, Tecnica del colpo di stato (“How to execute a Coup d’État”) resulted in a five year period of internal confinement, a time spent primarily on the desolate volcanic island of Lipari. During his seven-month internment on Lipari, Malaparte saw himself as Odysseus: „I too landed, like the hero of the Odyssey, on the black shore of Marina Corta, almost on the steps of the church of Purgatory.“ But according to his friend Alberto Savinio, Capri was really the island where“all the descendants of Ulysses, attracted by the undying song of the Sirens, converge from the furthest points of the globe...“ Malaparte’s interest in architecture did not begin with his house in Capri. For a number of years preceding the construction of the villa he had run the journal Prospettive, dedicated to the arts and literature. In Italy, he was also known as a film and opera director. After the second world war, his novels were translated in many languages, and Time magazine characterized him as the author of scandalous “best-selling nausea” and dubbed him a “Jean-Paul Spillane.” With the villa in Capri, Malaparte believed he had constructed his most perfect work: an architectural self-portrait of himself. Malaparte had several pet names for the house, including the German word “Kasematte” and “casa matta” or crazy house. But perhaps the strangest of all names for the house was “casa come mè”: “a house like me.” He elaborated: „a city that would look like me, that would be my portrait as well as my biography. ... I want it to look like me, and everyone who lives in it to feel that they are inside me.“ In his engagement with architecture, Malaparte may have been thinking about Paul Valéry’s description of the architect in the dialogue, Eupalinos, or the Architect. In Valéry’s dialogue, Phaedrus and Socrates, now shades, discuss the beauty of the living world. Phaedrus, speaking to Socrates, 60 quotes Eupalinos in saying something similar to Malaparte’s epigrammatic “casa come me”: “... I approach to such an exact correspondence between my aims and powers that I seem to have made of the existence that was given to me a sort of human handiwork. By dint of constructing...I truly believe that I have constructed myself.” The house on Capri is also part of Malaparte’s project of conscious self-construction as a lonesome, Nietzschean hero. His sister writes: „He wanted a shanty with a single room, where he could work without hearing a sound, in contact with the sea, the rocks, the moon, all the voices of nature: only this way, immersed in the mystery of the universe, would he be able to express himself completely.“ After four years of construction, the Casa Malaparte was finished, a severe block made of local stone. On the side of the hill, there is a trapezoidal stair, which ascends 33 steps without interruption to a roof deck. The flatness of the roof makes the essential irregularity and roughness of rock come into focus and recreates the horizontal table of the sea high above the water. The solarium screen, a kind of white, sail-like form, displaced from ship and sea, further enforces the connection between roof terrace and water. In Godard’s film Le Mépris, Brigitte Bardot sunbathes in the nude on the terrace, like Malaparte had used to do. He was further known to interrupt periods of nude sun bathing by leaping on the bicycle, still naked, and riding in tight circles on the un-railed roof deck, a sight that caused passing village women on the upper path to gather in crowds and stare in wonder. Photographs exist of him bicycling on the roof as La Favorita did leaping calisthenics. The most remarkable part of the design is the vast stair that looks like a fragment of a Greek theater or some strange, blood-soaked Cyclopean altar. As in Dionysian celebrations, nature merges with and participates in the stage set. A precedent for the stair may be in Lipari, the island on which Malaparte spent the greater part of his political confinement. A similarly shaped stair leads to the small church of the Annuziata. However, Malaparte’s reconstruction of the motif, there is no building atop the stairs. Like de Chirico’s mannequin acéphale; the house has been decapitated. The absence takes on even more potent mytho-religious connotations if one imagines that not a house, but a church – the Annunziata at Lipari – has been obliterated, literally dead and buried, leaving only a blood-red crypt. Interior spaces have been displaced, interred in the crypt. The interiors of the Casa Malaparte may not be as dramatic as the stair and the roof deck, but they are no less enigmatic. The vast living room features four enormous plate glass windows framed by curved, black tufa braids. The furniture, designed by Malaparte, comprised of an odd unrelated fragments, bringing into relationship disparate elements from culture and nature. The assemblage of truncated columns, pristine planes of glass, gnarled, warped tree trunks and massive planks of undressed wood, suggests both a collection of objets trouvés and an archeology, laying bare a concealed history. On the south wall there is the enormous frame of the fireplace, the back wall of which is a window of Jena crystal. To the admixture of earth, air and water, the fourth Platonic element, fire, has been added, with the spectator caught between the image and the frame. Framing, both in pictorial and cinematic senses, is thematic throughout the house. Four over-scaled windows symmetrically flank the sculpture and the fireplace along the short axis of the room, their 61 thick, exaggerated moldings making them seem more like picture frames. The window frame was only added as an afterthought, over a year after the house was completed. In his novel The Skin, Malaparte provides some insight into his motivations as he describes the visit of Field Marshall Rommel to his house: “I accompanied him all over the house, going from room to room, from library to cellar, and when we returned to the vast hall with its great windows, which look out to the most beautiful scenery in the world, I offered him a glass of Vesuvian wine from the vineyards of Pompeii. “Prosit!” he said, raising his glass, and he drained it in a single draught. Then, before leaving, he asked me whether I had bought my house as it stood or whether I had designed and built it myself. I replied – and it was not true – that I had bought the house as it stood. And with a sweeping gesture, indicating the sheer cliffs of the Faraglioni, the peninsula of Sorrento, the islands of the Sirens, the far-away blue coastline of Amalfi, and the golden sands of Paestum, shimmering in the distance, I said to him: “I designed the scenery”. The architecture of Casa Malaparte frames, isolates and defines the scenery around it: thus nature is created by culture, as Oscar Wilde insisted, and not vice versa. But the interiors also frame the life within. In the film Contempt it is evident how the windows define axes and centers in the living room, forcing Prokosh and other people to react to their axial logic and assume sculptural positions in a peculiar choreography. In den Bezügen zur Natur und einer narrativen Architektur lässt sich also vielleicht eine Gegentendenz zur Moderne beschreiben, die wesentlich durch eine gewisse Archaik, beeinflusst durch südamerikanische und möglicherweise gar mesopotamische Formen, geprägt ist. Diese Tendenz sollte nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgegriffen werden durch Giedion und Sert, außerdem durch Louis Kahn, Luis Barragan und viele andere. 62 Lecture 8 | Dialektik der Aufklärung Hat sich mit der Entwicklung der Moderne, ob rationalistisch oder organisch, beides in jedem Fall ideale Vorstellungen, auch eine ideale Gesellschaft etabliert, wie es die Moderne immer wollte? Oben wurde schon auf das Argument von Horkheimer und Adorno hingewiesen, dass die Aufklärung auch eine Schattenseite hat. Descartes nannte dies die Entzauberung der Welt, die Verdinglichung anderer Menschen als Konsequenz aus der Herrschaft über die Natur, die zwangsläufig auch die Herrschaft über andere Menschen beinhaltet. Für Horkheimer und Adorno ist das Dritte Reich also keine Ausnahme, sondern Konsequenz der Aufklärung. Wie nun antwortet die moderne Architektur auf politischen Druck von linken und rechten Totalitären? - Fig: Neufert (Bauordnungslehre): Uniform als Ausdruck von Rationalisierung, Maßstab aller Dinge Hannes Meyer betreibt die Beschreibung der Architektur als Naturwissenschaft, die mit Kunst nichts zu tun hat. Damit aber ließe sich das Gebäude auch verstehen als Organ der Massenpsychologie, wodurch der Architekt zum Machtträger wird. - Fig: Le Corbusier (Plan Voisin): das ist natürlich keine demokratische Operation, eher autokratisch, was denn auch nicht geleugnet wird - Fig: Le Corbusier (Ville Contemporaine): Industriebosse in der Mitte (inkl. Flughafen), Arbeiter an den Rändern. Im Plan eingeschrieben steht die Idee der Diagonale, ähnlich vielleicht wie in Washington. Die Entzauberung der Welt bedeutet hier: bekannte Symbole werden ersetzt durch mechanische Symbole. - Fig: Le Corbusier (Ville Radieuse): Abbild der Gesellschaftsprozesse um Elite und Ausführende. So unterschreibt Le Corbusier die Arbeit denn auch: „This work is dedicated to authority“. Die Feststellung lautet: zur Realisierung von Architektur braucht es einen Despoten! Le Corbusier konstatiert: „The plan must rule!“, was bedeutet, dass es eine planerische Grundlage (rationalistisch) zur Gestaltung der Gesellschaft braucht. Sein „It is the plan which is right!“ steht dabei in der Tradition von “Mussolini ha sempre ragione!” Diese Macht des Plans beschreibt auch Carl Schmitt mit dem Dezisionismus und dem Auspruch “Plan und Wille des Führers ist Gesetz!“. Wenn der Architekt den Plan gezeichnet hat, existiert er schon, ist Tatsache, wird Wirklichkeit. Le Corbusier etabliert sich, den Architekten, als den logisch argumentativen, den Geist einer solchen Ausführung, aber noch nicht als die Macht selber; er lege lediglich dar, was sich argumentativ nicht leugnen lässt. Natürlich dient er sich dieser Macht damit aber letztlich an, was sich denn auch in der Feststellung ausdrückt: „Cityplanning is – once more – an adjunct to the science of war“ 63 - Fig: Sörgel (Atlantropis): Landgewinnung durch Absenkung des Mittelmeerspiegels. Ein Entwurf, entstanden aus dem Geiste, autokratisch, ohne demokratische „Hemmnisse“ entwerfen zu können, was natürlich einer Destruktion gesellschaftlicher Realitäten gleichkommt, um gewisse technokratische Utopien zu erdenken. Natürlich gab es solche Entwicklungen auch andernorts, siehe Russland: Fiodorov „Tote aller Länder vereinigt Euch“. Die Überlegung, welche dieser scheinbar Wirren Aussage zugrunde liegt, lautet: wenn man die Naturgesetze und ~wissenschaften beherrscht, müsste man in der Konsequenz letztlich auch Tote zum Leben erwecken können. Um dem zwangsläufig entstehenden Platzmangel auf der Erde zu begegnen, müsste man dann eben in Weltall ausweichen. - Fig: Melnikov (Lenin-Sarg): in diesem Sinne ließe sich die Einbalsamierung und Aufbahrung Lenins als Schritt auf dem Weg zur Wiederbelebung verstehen … was natürlich nicht passierte. Der Suprematismus, basierend auf nonfigurativer Kunst, versucht, eine abstrakte, konstruierte Form zu schaffen - Fig: Chernikov (Regeln der Konstruktion): einfache Körper, die durch mehrfache Transformation komplexe Strukturen ergeben … formale, ästhetische Studien, ohne Funktion - Fig: Melnikov (Parkhaus-Brücke): architektonische Mittel wie der Schnitt dienen zur Formulierung seiner Objekte, in diesem Sinne ist die Garage nur eine Schichtung von Rampen, deren Ausformulierung letztlich aber neuen Sinn stiftet - Fig: Melnikov (Russakov): so entsteht also aus der Abbildung von Funktion (hier: drei Ränge) eine neue Ästhetik - Fig: El Lissitzky (Wolkenbügel): Konstruktion als Prinzip (Auskragung) ... vgl. Jean Nouvel, Theater, Guthrie, Minnesota Das Gebäude wird formal weiter reduziert bis zur reinen Konstruktion: Konstruktivismus - Fig: Vesnin (Pravda): Betonung der Verkehrswege (Aufzüge) und Versorgung … vgl. Piano/Rogers, Centre Pompidou - Fig: Tatlin (III. Internationale): drei Körper, die übereinander gestapelt und rotierend einen gebauten Kalender ergeben - Fig: Leonidov (Lenin Institute): der Grundriss zeigt, wie nah die Arbeit an der Ästhetik des Suprematismus ist … gleichzeitig bringt Leonidov auch historische Referenzen in seine Arbeit … vgl. Kulturpalast Moskau – Pyramide 64 All diese Arbeiten entstehen natürlich auch in dem Geiste der erstarkenden Sowjetunion, was sich zusätzlich in Wettbewerben wie um den Palast der Sowjets zeigt: - Fig: Le Corbusier (Palast der Sowjets): Grundidee einer neuen Form für die große Halle, die letztlich konstruktiv bestimmt, durch einen Bogen überspannt wird. Das Gebäude wird somit zum Diagramm seiner Konstruktion (vgl. Konstruktivismus) Gleichzeitig geht der Trend (politisch) aber zu einer neuen Form von Monumentalismus, was sich im Siegerentwurf für den Palast der Sowjets von Boris Iofan mit einer mehrere hundert Meter hohen Lenin-Statue als Krönung zeigt: - Fig: Iofan (Palast der Sowjets): gegründet auf ehemaligem Platz der Erlöserkirche. Der Boden trug allerdings die hohen Lasten nicht, so dass nur die Fundamente gegossen wurden, die in der Folge zu einem Schwimmbad wurden. Unter Jelzin dann wurde die Kirche (aus politischen Gründen) an alter Stelle wieder aufgebaut Auch wenn der Palast nicht gebaut wurde, ist die Zeit des Konstruktivismus doch vorbei, bekommen Konstruktivisten keine Arbeit mehr. Stattdessen sehen wir einen erneuten Bezug auf die monumentalen Formen klassischer Architektur - Fig: Hitler (Triumphbogen): hier schafft die Autorität den Plan, der Architekt (Speer) führt aus! - Fig: March (Thingplatz): griechisches Theater als gemeinschaftliches Spektakel. Die Theatralisierung des Alltags ist ein wesentliches Konzept autokratischer Systeme - Fig: Ordensburg Vogelsang: neoromanisch … Tendenzen zu einer Heimatarchitektur in Abhängigkeit vom Ort. Gleichzeitig aber wurden Industriegebäude weiterhin erfolgreich funktionalistisch geplant, worin sich deutlich der Unterschied zwischen Funktion und Repräsentation zeigt. Das Dritte Reich unter Hitler war nicht zuletzt deshalb so „erfolgreich“ weil man bei allem Rückschritt in Form und Geist im Bereich der technischen Wissenschaften und der industriellen Fabrikation auf Fortschritt und Innovation setzte, wenn auch zu falschem Zwecke. - Fig: Speer (Germania/ Grosse Halle): bekanntestes Beispiel der monumentalen Architekturauffassung der Zeit. Die Halle sollte ein Vielfaches der Größe von Reichstag und Brandenburger Tor erreichen, mit Platz für über hunderttausend Menschen. Die Kundgebungen in der Halle wären Spektakel, Inszenierungen zur Stärkung der Gemeinschaft bei gleichzeitiger Unterdrückung und Gleichschaltung des Individuums - Fig: Speer (Neue Reichskanzlei): länglicher Baukörper, der zusätzlich noch künstlich verlängert wird, um den Weg zum Arbeitszimmer des Führers zu einer Prozession zu machen, ihn immer länger zu machen, vorbei an immer größeren Wächterfiguren um so letztlich Ehrfurcht, Respekt und durchaus auch Furcht beim Besucher zu erzeugen 65 - Fig: Speer (Reichsparteitagsgelände): wichtiger fast als die monumentalen Bauten waren Speers Inszenierungen; die berühmteste und eindrücklichste davon der Lichtdom. Klar ist: das ist auch Expressionismus in Reinform! Architektur ohne Funktion und ohne Material, das hatten auch Taut und Co im Sinn. - Fig: Volksempfänger, KDF Wagen: neben in politischer Hinsicht viel rückschrittlichem, interessieren sich die Nazis aber vor allem auch für die stets neueste Technik und die Macht die von ihr ausgeht, vor allem aber durch sie ausüben lässt. - Fig: Lageplan Buchenwald: die Effizienz der Tötungsmaschinerie findet ihren Ausdruck in den funktionalistischen Plänen der Konzentrationslager: Zeilenbau, Industrialisierung der Abläufe, noch die Räumlichkeiten der Krematorien sind funktionalistisch optimiert! Die Frage, die Horkheimer und Adorno mit der Beobachtung einer Dialektik der Aufklärung aufwerfen, dürfte heißen, inwiefern also der Technik selbst bereits Politik innewohnt, sie nicht nur ein Mittel zu deren Umsetzung ist. 66 Lecture 9 | Existentialism as a Humanism Die Verheißung einer befreiten Moderne war eines der Opfer des Zweiten Weltkriegs. Nach 1945 bedurften nicht nur die zerstörten Städte, sondern auch das Konzept von Architektur der Rekonstruktion. Welche Ziele und Mittel wurden vorgetragen um dabei die Fehler der heroischen Moderne zu vermeiden? Der Existentialismus baut auf das Fundament der Phänomenologie nach Husserl. Die Existentialisten haben immer behauptet, der Mensch habe eine Sonderrolle unter den Lebewesen: Existenz vor Essenz Der Mensch ist demnach verurteilt zur Freiheit; durch seine Handlungen wird der Mensch, was er ist. In Europa ist die Grundfrage nach dem 2. Weltkrieg die Frage nach der Rekonstruktion der Gesellschaft und damit der Konstruktion einer neuen Identität. In den Ruinen des nach den Bombennächten zerstörten Dresden wird die Materialität der Architektur sichtbar … vgl. Le Corbusier (béton brut): vor dem Krieg denkt Corbusier abstrakt, in plastischer Form, die alle Zeichen des Materials unterdrückt. Nach dem Krieg sind seine Konstruktionen roh, unverkleidet. - Fig: Le Corbusier (Unité): Alle Funktionen eines Dorfes für 1600 Einwohner in einem Gebäude; Funktionsmischungen (Einkaufen, Gemeinschaftseinrichtungen, Wohnen, Garten, Kindergarten) 3 Typen von Wohnungen (Eingang oben / unten), L-förmig verschränkt im Schnitt, also eine sehr ökonomische Organisation, die Erschließung nur in jedem 3. Geschoss nötig macht. Trotz der neuen Materialität ist aber auch die Unité noch im Einklang mit Corbs 5 Punkten der neuen Architektur; Interessanterweise aber wird hier der Dachgarten zu einer Art surrealistischen Collage im Sinne Gaudís. Die Brüstungen grenzen dabei die Bebauung der Umgebung aus und lassen nur die umliegenen Berggipfel sichtbar, es entsteht eine abstrakte Landschaft - Fig: Aalto (Baker House): Aalto macht um diese Zeit eine ähnliche Entwicklung in Bezug auf die Materialität durch, geht dabei sogar noch einen Schritt zurück und benutzt für sein Studentenwohnheim in Cambridge groben, unverputzten Backstein. Auf der Rückseite gewinnt auch die Volumetrie, die auf der Schauseite zum Fluss noch rationalistisch daherkommt, brutalistische Züge. Aalto argumentiert die Grundrissform über eine Reihe von Diagrammen, nach denen die höchste Anzahl Zimmer in eben dieser Form zu realisieren seien, gleichwohl er dafür nicht einen einzigen Grundriss als Beleg ausführt. Die Relevanz dieser Zeichnungen bleibt also fragwürdig, die Form hat mit der Anzahl der Zimmer wahrscheinlich nichts zu tun. Andere Kritiker argumentieren über die Nähe zum Charles River und dessen Form bzw. Verlauf, obwohl der in diesem Flussabschnitt nahezu gerade ist. Wahrscheinlicher ist, dass die Grundrissform im Werk Aaltos selber steckt (vgl. z.B. Philips- 67 Pavillon) und darüber hinaus möglicherweise bestimmte Bezüge auf dem Campus herstellt (Axialität…). Die Frage der Materialität ist hier sicher auch lokal geprägt: derlei Ziegelbau ist im Neuengland der 20er Jahre durchaus üblich. Statt also hier von Finnland inspiriert zu sein, reimportiert Aalto diese Idee vielmehr nach Finnland - Fig: Aalto (Säynätsalo): Die Materialität, die sich hier so urfinnisch gibt, ist vielmehr als Zitat zu bewerten! (vgl. Innenraum in Backstein und den Stadtteil Beacon Hill in Boston, in den Aalto zahlreiche Spaziergänge mit seinen Studenten unternahm). Was jedoch wichtiger scheint: Aalto führt hier Typologie als Entwurfsmethode ein, die Idee, eine architektonische Konvention neu zu interpretieren. In diesem Fall dürfte dies der italienische Palazzo sein (vgl. Cortile etc.) Die Landschaft, in die das Gebäude eingebettet ist, ist künstlich, das evozierte Bild einer italienischen Bergstadt artifiziell, Illusion! Auch die Vegetation ist inszeniert. Der begrünte Treppenaufgang selbst ist nicht als solcher gedacht, ist vielmehr nur das Zeichen eines Zugangs. Einige Historiker haben auch behauptet, der Sitzungssaal sei an den Saal der Stadtverwaltung in Siena angelehnt, wahrscheinlicher ist aber die Anlehnung an die Curia auf dem Forum Romanum in Rom; der Titel von Aaltos Wettbewerbsbeitrags war denn auch: Curia! Das ist fast schon die postmoderne Idee der Genese von Identität aus der Geschichte. - Fig: Aalto (Haus der Kultur): zitiert wird in der Diskussion um dieses Gebäude oft nur der frei geformte Auditoriumsteil, der Bürotrakt wird oft vernachlässigt. Grund für die Trennung in die zwei Gebäudeteile könnte die funktionale Trennung von Verwaltung und Veranstaltung sein, vielleicht lieferte aber auch der Kontext mit Vergnügungspark auf dem Nachbargrundstück die nötigen Ansätze, oder: es handelt sich um eine Kritik des Funktionalismus und seinen Formen von Zeilenbau und Cluster: die Nebenstrasse, die auf das Grundstück mündet, scheint so die Gebäudeteilung zu beeinflussen. Klar scheint in jedem Fall, daß es sich um ein Kontrastmotiv handelt. Dabei ist die Freiform gar nicht so frei, der strenge Block gar nicht so streng, vielmehr gibt es ein gemeinsames Zentrum, von dem ausgehend konzentrische Kreise im Verhältnis √2 den Umriss des Auditoriums beschreiben. Ein Quadrat beschreibt den Block in Relation zur Konstruktion. Zusammen definieren beide Systeme den Grundriss. Nach den Themen Geschichte und Material entdeckt Aalto hier die Geometrie als Grundlage der Architektur neu. Damit steht Aalto nun wieder in der Tradition der großen Modernisten vor dem 2. Weltkrieg - Fig: Le Corbusier (Modulor): In einer späteren Schaffensphase versuchte Le Corbusier die proportionale Methode in seinem (erstmals 1948 publizierten) „Modulor-Schema“ zu systematisieren. Er war davon überzeugt, dass der Goldene Schnitt der Schlüssel zur Schönheit war, doch als irrationale Proportion war er seiner Ansicht nach bei Baukonstruktionen nicht leicht anzuwenden, vor allem in Anbetracht der industriellen Fertigteilbauweise. Um eine Reihe praktikabler Dimensionen zu erhalten, entwickelte Le Corbusier den Modulor aus der Fibonacci’schen Zahlenfolge, einer Reihe von Zahlen, 1,1,2,3,5,8,13 …, bei der sich aus der Addition von jeweils zwei benachbarten Ziffern die 68 dritte ergibt, so dass sich das Verhältnis zwischen jeweils zwei Ziffern zunehmend an den Goldenen Schnitt annähert. Le Corbusier entwickelte den Modulor aus den Maßen eines idealen menschlichen Körpers, weil wir uns, wie er meinte, im Universum wieder erkennen müssen, um es schön zu finden. Skeptiker, die befürchteten, dieses System könnte die Kreativität der Architekten einschränken und ähnlich aussehende, schachtelartige Gebäude hervorbringen, widerlegte Le Corbusier, indem er den Modulor bei zwei seiner ausgefallensten Entwürfe anwendete: der Kapelle Notre-Dame du Haut in Ronchamp (1954) und dem Philips-Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel (1958) Corbusier schaffte damit ein Proportionssystem basierend auf einem Idealkörper, das für ihn allgemeine Gültigkeit hat. was natürlich fragwürdig ist. Dennoch: es ging um allgemeine Aussagen zur Architektur und Kunst, die man in dieser Zeit gesucht hat. - Fig: Le Corbusier (La Tourette): eine Lesart des Gebäudes legt erneut die Deutung als Palazzo mit Cortile nahe, eine andere die Interpretation als Block und Riegel. Wichtig ist hier die Art wie Le Corbusier Maßstabssprünge einführt, das große Motiv taucht im Kleinen wieder auf. Das beherrschende Thema aber dürfte das Gegenüber von Geometrie (Klosterräume) gegen organische Form (Begrüßungsgebäude) sein. - Fig: Le Corbusier (Notre Dame): es wurde vorgeschlagen, die Kirche als Konvergenz dreier Typen zu lesen: Langbau, Zentralbau, Kreuzbau (vgl. Gargus…) Im Prinzip beschreibt das Gebäude die Entwicklung von Punkt – Linie – Fläche zu Körper, Modul und zurück zum Punkt. Le Corbusier behauptete, auch diese komplexe freie Form aus dem Modulor abgeleitet zu haben, gleichwohl die Form sicher archaischer als bei der Unité ist. - Fig: Kahn (Exeter): auch Kahn behauptete stets, von der Ferne (Ägypten) beeinflusst zu sein. Der Grundriss, als komplexes System von Quadraten, lässt sich eher als auf Quadratur basierend abgeleitet lesen. Für Kahn typisch: die scheinbar einfache Kubatur entwickelt Komplexität in ihrer Entfaltung … vgl. Pilaster unten als √2-Rechteck, oben als Quadrat … die Fassade wird gezeigt als Zeichen des Grundrisssystems - Fig: Kahn (Salk): Schnitt: servant spaces im Zwischengeschoss … wieder QuadraturAbleitung … Sichtbeton: Bautechnik sichtbar … hier wichtiger: der Hof (vgl. Löwenhof, Alhambra), der eine äußerst effektive Inszenierung darstellt – möglicherweise zuerst vorgeschlagen durch Barragan, einen anderen archaischen Architekten. Auffällig ist die Maßstabslosigkeit der Anlage, die architektonische Skulptur steht im Vordergrund. - Fig: Kahn (Dhaka): Ableitung als „Revision der Moderne“: Gebäude im funktionalistischen Sinne (Fassade ohne Ornament) aber Grundriss bewusst archaisch (geometrische Ableitung) - Fig: Mies (Nationalgalerie): scheinbar quadratischer Grundriss (also Monumentalität vs. geometrische Verschiebung wie z.B. noch in Barcelona). Mies wird hier wirklich zum Klassizisten der Moderne, was sich in den konstruktiven Details und der Tektonik des Gebäudes ausdrückt. Der allseitig verglaste Pavillon ist in seiner Funktion als Museum natürlich kaum nutzbar; für die eigentliche Ausstellung dienen Räume im Untergeschoss, die der formalen Ableitung des Obergeschosses nicht mehr folgen. 69 - Fig: Mies (Seagram): was bei Mies nach der Auflösung des Grundrisses bleibt, ist das Interesse am Detail: die Elemente sind mehr oder minder standardisiert, aber Mies betont bestimmte Details, z.B. die Ecke. Nur scheinbar herrscht hier konstruktive Ehrlichkeit, gibt es kein Ornament. Nur scheinbar, denn alles an dieser Fassade ist Ornament; die tragende Struktur, durch IPE-Profile in der Fassade scheinbar offen gezeigt, liegt eigentlich dahinter! Wir könnten behaupten, dass bei Mies noch immer das Credo von vor dem 1. Weltkrieg gilt: die Durchgeistigung der Technik! - Fig: Mies (Crown Hall): die Symmetrie des Gebäudes verweist schon auf ein klassisches Vorbild (vgl. Schinkels Altes Museum…), wenngleich die Konstruktion sich von diesem natürlich unterscheidet. Die Funktion ist auch hier, ähnlich wie bei der Nationalgalerie scheinbar zweitrangig: ein allseitig belichteter verglaster Pavillon scheint für ein Architekturstudium wenig nützlich. Es wird also offensichtlich, ganz im klassizistischen Sinne, großer Aufwand für die Belange der Repräsentation betrieben, unter Zurückstellung der funktionalen Belange. - Fig: Mies (Farnsworth): eines der wesentlichen Beispiele für den begriff der Haut (Glas) und Knochen (Stützen) Architektur, hier angewendet für ein Wochenendhaus für Dr. Edith Farnsworth. Entstanden ist eine extrem elegante und perfekt ausgeführte Konstruktion, nur die Funktion scheint (schon wieder) nicht erfüllt: Dr. Edith Farnsworth verklagte Mies dafür! (ob ihre angeblich durch Mies nicht erwiderte Zuneigung dabei auch eine Rolle spielte, soll hier nicht von Belang sein; aber in ihren zahlreichen Briefwechseln erboste sich die Bauherrin in Bezug auf Mies’ „Less is More“: „Less is not more, less is simply less!“). Das Haus basiert in seinen Proportionen auf dem Barcelona-Pavillon, ganz ähnlich wie der Barcelona-Pavillon in seinen Proportionen auf dem Parthenon basiert. - Fig: Johnson (Glass House): schon ein Jahr vor Mies vollendet, aber aus dessen Theorie abgeleitet. Der Grundriss ist im Vergleich zu Farnsworth viel einfacher, doch Johnson selbst behauptete in einem Artikel, dieses Gebäude sei die Essenz aus 200 Jahren Kulturgeschichte. Vielleicht spielen hier auch die Ideen Sempers aus den 4 Elementen der Architektur eine Rolle, die auch Mies überlegt haben dürfte, insbesondere die Wand als Idee von Textil. Die wesentlichen Unterschiede dieser beiden scheinbar so ähnlichen Projekte drücken letztlich auch die unterschiedlichen Haltungen der beiden Architekten aus: das Farnsworth House schwebt über seinem Grundstück, das Glass House seinerseits steht in Gänze auf dem Grund. Das Farnsworth House ist geprägt durch eine offene Ecklösung, während Johnsons Glass House durch die Stützen die Ecken besonders betont. Bei Mies’ Farnsworth House erweitert eine Terasse den Innenraum nach Außen, bei Johnson gibt es nur den Innenraum. Am Beispiel von Mies’ Farnsworth House und Jonsohns Glass House zeigen sich zwei grundlegend verschiedene Haltungen zur Architektur: demnach wäre das Farnsworth House ein Blueprint für eine Vielzahl weiterer ähnlicher Gebäude, es ist durch sein konstruktives System beliebig multiplizierbar und theoretisch sowohl horizontal als auch vertikal unendlich erweiterbar. Johnson indes kann das nicht einlösen, das Glass House ist ein Finitum. 70 In einem Interview mit Peter Eisenman beschreibt Johnson das Haus als eine Erinnerung an den 2. Weltkrieg. Johnson war ein amerikanischer Nazi, der die Parteitage in Nürnberg besuchte und als Journalist zum Blitzkrieg in Polen eingeladen wurde, wo er die brennenden Dörfer und Städte nur Stunden nach dem Überfall der Deutschen sah. Johnson beschreibt, wie die Ruinen für ihn letztlich die Essenz des Gebauten offen legen und stellt sein Glass House als ebensolche Offenlegung dar. 71 72 Lecture 10 | Kinder von Marx und Coca Cola Die Sieger des Zweiten Weltkkriegs, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, waren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auf dieselbe Art mit der Zerstörung ihrer Städte konfrontiert wie es Europa war. Anstatt vor der Notwendigkeit zu stehen, ihre Identität durch Architektur wieder aufzubauen, waren amerikanische und russische Architekten frei, das space race auch durch ihre Kunst und Architektur zu begleiten. Wie also entwirft man für die Zukunft? Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren geprägt durch einen unbändigen Zukunftsglauben, dominiert vom Abenteuer der Raumfahrt, der Entwicklung von Plastwerkstoffen und den Verheißungen einer stabilen und prosperierenden Wirtschaft. Am 12. April 1961 ist Yuri Gagarin der erste Mensch im Weltall nachdem die Hündin Leica zuvor bereits als erstes Lebewesen überhaupt die Erde umkreist hatte. Prinzipiell ist diese Zeit geprägt von einem optimistischen Streben. - Fig: Wright (Broadacre City): in Anlehnung an die Idee Thomas Jeffersons, Architekt und Präsident der Vereinigten Staaten, entwickelt Wright ein System, das die gleichberechtigte und somit demokratische Aufteilung des Landes ermöglichen soll. Die Weiten der amerikanischen Prärie wurden dazu mit einem Raster von einem ha überzogen. Die so entstehenden ungeheuren Distanzen müssten dann natürlich mit wunderbaren neuen Fortbewegungsmitteln wie z.B. individuellen Fluggeräten überbrückt werden. - Fig: Wright (Taliesin West): seine Schule in Arizona kann als wesentliches Beispiel für eine organische Architektur gesehen werden, wie F. L. Wright sie verstand: natürliche Materialien, Einbettung in die Landschaft. Hier wird das Konzept noch dadurch erweitert, dass die Schüler die Gebäude selbst errichteten. - Fig: Wright (Johnson & Johnson): Idee des amerikanischen Art Déco: aerodynamische Formen, wie für hohe Geschwindigkeiten gemeint. Der Innenraum zeigt einen freien Grundriss unter Pilzstützen (vgl. das Konzept des freien Innenraums im Larkin Building: „Honest Labor Needs No Master“) und schafft einen offenen Büroraum, jedoch ohne (ablenkenden) Außenraumbezug, was eine Erhöhung der Produktivität bewirken sollte. Seinen konstruktiven Ausdruck findet dieses Konzept in den Glaskolbenfenstern, die zwar ausreichend Tageslicht in den Innenraum lassen, aber keine Blicke nach außen erlauben. - Fig: Wright (Marin County Civic Center): in seiner Gestalt durch die Science Fiction Literatur der 30er Jahre inspiriert, inspirierte es seinerseits die Science Fiction Ideen der 90er (vgl. Niccol, Gattaca) - Fig: Wright (Guggenheim): eigentlich ein Gartenpavillon am Rande des Central Park, der sich in Volumen und Kubatur der umgebenden Bebauung verweigert. Die Erweiterung von Gwathney bindet das Gebäude schließlich recht geschickt in seinen Kontext ein. Der Innenraum ist geprägt durch die umlaufende Rampenerschließung als Idee des Modernismus, 73 die vielleicht auch eine gewisse attraktive Dynamik hat; doch auch hier fällt auf: für die eigentliche Funktion ist dieses Prinzip eher ungeeignet (Fußbodenneigung...) Unter all diesen Einflüssen wird nun selbst Le Corbusier zum Science Fiction Architekten - Fig: Le Corbusier (Philips Pavillon): der Pavillon war ein Projekt für dieselbe Weltausstellung, auf der auch das Atomium gezeigt wurde. Auch in diesem Fall erhebt Corb, wie oben beschrieben, den Anspruch, der Entwurf sei in seiner Form vom Modulor abgeleitet worden; das Projekt sollte also nichts weniger leisten, als den Beweis für die Gültigkeit des Modulors auch für freie Formen zu erbringen. Le Corbusier und Iannis Xenakis bedienen sich des Prinzips der „ruled surfaces“ bei dem jedes strukturelle Element in sich gerade ist. Was Corb aber noch mehr interessiert haben dürfte, war die Idee des Gebäudes als kinästhetisches Ereignis; Xenakis selbst war Komponist, der u.a. in den 50ern elektronische Musik entwickelte, deren Repräsentation als Graphik zueinander verdrehter gerader Linien auf interessante Weise den Entwürfen zum Pavillon gleicht. Der Erfolg dieser ehrgeizigen Unternehmung bleibt indes fragwürdig, denn letztlich ist dies nicht das Verräumlichen von Musik, sondern lediglich die Umsetzung ihrer Notation. - Fig: Scharoun (Philharmonie): der Entwurf beruht grundlegend auf der Idee des Zeltes (vgl. die Entwürfe der Gläsernen Kette, deren Mitglied Scharoun war), er beschreibt eine hängende Struktur ohne tragende Elemente in der Mitte. Der Saal ist dabei der Höhepunkt einer Raumfolge, die im Foyer beginnt, in dem sich der Saal bereits als Negativ andeutet. Die Inszenierung dieser Raumfolge, gleichsam ihr Durchwandern legt die Interpretation vom Raum als Landschaft nahe (vgl. Expressionimus). - Fig: Utzon (Sydney Opera): Generierung der Form als Kugelsubtraktion … expressionistisches Ideal (vgl. Bartning, Sternkirche) - Fig: Saarinen (Dulles-Airport): Saarinen war Hauptjuror beim Sydney-Wettbewerb. Hier ist die Form zu lesen als Diagramm der tragenden Struktur - Fig: Saarinen (TWA-Terminal): natürlich ist hier das formale Vorbild das Flugzeug, es handelt sich also um ein Stück narrativer Architektur; evtl. wird hier auch eine Vogelform zitiert. Wie auch immer, jedenfalls scheint die organische Form als direkte Referenz durchaus legitim, im Innenraum jedoch wird das Projekt zu einer reinen Science-Fiction-Architektur der 50er Jahre - Fig: Saarinen (Gateway Arch): nicht im eigentlichen Sinne ein Gebäude, mehr ein Diagramm der Struktur. Eine Kettenkurve, ähnlich wie bei Gaudís Krypta beschreibt den Verlauf des Bogens, der seine gesamte Last somit ohne Querkräfte direkt in den Boden abträgt. Das Projekt provozierte seinerzeit einen Skandal, weil Libera zuvor ein sehr ähnliches Projekt für die EUR 1940 in Rom vorgeschlagen hatte. 74 Die 50er Jahre sind also geprägt durch die Suche nach einer neuen Identität. Dabei kommt der Architektur die Aufgabe zu, einen Ort zu schaffen und dadurch Identität zu stiften (Ethos); dem gegenüber steht die Idee der Orientierung an der Zukunft. - Fig: Fuller (Dome NY): Fuller verfolgte eine andere Idee futuristischer Architektur, die nicht nur von der Form ausgehen solle. In diesem Falle ist dies die Idee einer Kuppel, die die Luftverschmutzung über Manhattan eindämmen könne. Konstruktiv wird das Prinzip der geodätischen Kuppel angewandt (vgl. Montréal-Pavillon) - Fig: Fuller (Dymaxion): eine Hauptsäule als tragende Struktur, alle weiteren Räume sind davon abgehängt. Dieses Prinzip darf als Vorläufer der Domes betrachtet werden. Fuller bezeichnet diese Idee als 4D Architektur und fordert damit die Architekten heraus. Für ihn sind die Modernisten wie Corbusier und Mies klassische Architekten, die lediglich formal andere Wege gehen; für Fuller selbst stellen sich immer auch neue Fragen von Funktion und Struktur - Fig: Fuller (Wichita): diese Dome-Houses sind zusammenfaltbar und transportabel, bieten einen adaptiven Grundriss. Der Entwurf ist auch als gesellschaftliches Statement zu verstehen: überall aufstellbar, günstig, direkt bezahlbar, kein Mortgage notwendig – gerade heute klingen diese Attribute wieder sehr verheißungsvoll. - Fig: Futuro: ähnliches Konzept, allerdings als schlüsselfertiges Einraummodell - Fig: Behnisch, Frei Otto (Olympiapark): Konstruktion zunächst aus der Natur abgeleitet, dann aber rigoros analysiert und beschrieben, wodurch sich sehr komplexe, doch parametrisch bestimmte Strukturen entwickeln. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass Frei Otto diese Strukturen nie als Form sondern immer als konstruktive Konsequenz gedacht hat. Andere Architekten haben mit Megastrukturen ähnliche Projekte erdacht (vgl. Friedman, Raumstadt), diese jedoch anders begründet - Fig: Tange (Tokyo Bay): die traditionelle Stadt ist konzentrisch organisiert; aus diesem Diagram entwickelt Tange das modernistische Gegenmodell der linearen Stadt in der Idee des Metabolismus. Dennoch bemühen die einzelnen Gebäude letztlich wieder die Form traditioneller japanischer Dächer. - Fig: Le Corbusier (Haus Weber): Dach völlig entkoppelt vom Gebäude Eine weitere Tendenz wird insbesondere durch die britische Gruppe Archigram (zunächst eine Zeitschrift) betrieben, die zunächst organische Formen aufgreifen, welche sich durch Reproduktion und Vervielfältigung zu größeren Megastrukturen zusammen setzen lassen und so neue, übergeordnete Zusammenhänge schaffen. Grundlage hierfür sind die Prinzipien von Einzelsystemen und deren Vorfabrikation 75 - Fig: Archigram (Walking City): hier ist das Ziel also nicht die Schaffung eines stabilen Ethos (ortsgebundene, Identität stiftende Architektur…) sondern die individuelle Inszenierung zeitlich und örtlich begrenzter Events. Es ist somit in der Tendenz auch eine postnukleare Vision: es gibt kein Leben mehr in klassischen Städten. - Fig: Superstudio (Continuous Monument): endloser Riegel (Referenz: Fullers Dome), der die Welt umspannt und verschiedenste Räume aufnimmt. Natürlich ist diese Vision nicht zum Bauen gedacht, sondern als Gesellschaftskritik zu verstehen: Expansion, Ausbeutung der Natur usw. Architektur ist hier also theoretische Intervention und die Konsequenz ist klar: die Welt ist an ihr Ende gekommen, es gibt keine Architektur mehr; die Erde ist eine gleichförmige, ewig unspezifische Kontinuität. In dieser Geisteshaltung, nach der die Architektur im klassischen Sinne also keine großen Lösungen mehr bieten kann, entwickeln sich mehr und mehr kleinmaßstäbliche Experimentalarchitekturen – Architektur wird zu Kleidung und/ oder mit mobilen pneumatischen Konstruktionen erzeugt - Fig: Haus Rucker Co (Expander): herzschlaggesteuert - Fig: Hollein (Spray): die Architektur ist nur noch Luft, aber sie schafft so eine InstantUmgebung, eine Atmosphäre und Stimmung – also architektonische Qualität! - Fig. Ron Herron / Archigram (LSD): Gehirnmanipulation Das Fazit dieser verschiedenen Entwicklungen kann also lauten, dass Gebäude entweder nicht mehr existent oder so groß sind, dass nur noch Innenräume existieren. Eine Bewegung, die versuchte, sich Architektur und Stadt wieder anzueignen, findet ihre Ursprünge in der Counter-Culture: die Situationisten um Guy Debord und Constant gehen mit ihren Ideen gegen die rationalistische Stadt vor. Für sie ist die Stadt nur noch eine Sammlung von Stimmungen und zeit-räumlich begrenzten Atmosphären. Die von ihnen entwickelten und propagierten Techniken etwa des Dérive, des Détournement u.a. dienen dabei der Aufdeckung der wahren Zusammenhänge und Beziehungen in der Stadt. Wichtig ist dabei die Feststellung, dass diese nicht vorherbestimmt sind! - Fig: Constant (New Babylon): das Projekt ist eine Sammlung von Situationen und soll der Schaffung neuer Situationen dienen. Nach Constant leben wir in einer Welt des Spektakels und sind nur noch Konsumenten; wir brauchen demnach Situationen, die uns erlauben, diese Wahrheit zu erkennen. Diese Haltung drückt sich auch in ihren Parolen aus wie: „sous les pavés, la plage“, oder: „ne travaillez jamais“. Es ist der Aufruf, die Dinge auch heute noch ändern zu können, also die Ersetzung der Architektur durch andere Maßnahmen, räumlicher durch politische Handlungen. Mit der Energiekrise 1973 sind all die verschieden ausgeprägten Träume der Science-FictionArchitekten mit einem mal zunichte gemacht, erneut muss in der Suche nach einer Architektur ein neuer Anfang gemacht werden. 76 Lecture 11 | The Linguistic Turn Wie kann Architektur die Menschen erreichen? Der Status Quo lautet: die Moderne ist tot! Spätestens nach der Energiekrise, die mit dem Beginn der 70er Jahre das Ende der Science-Fiction-Architektur einläutete, suchen die Architekten nach neuen Leitbildern. - Fig: Venturi und Rauch (Trubek & Wislocki Houses): die Architektur zeigt sich in diesen Jahren mit einer deutlich anderen Positionierung als sie Le Corbusier noch mit seinen 5 Punkten vertrat und eine mehr traditionalistische Sicht auf die Architektur zeichnet sich ab. Einflüsse bezieht diese Entwicklung u.a. aus der Pop Art wie etwa Richard Hamiltons Just What Is It That Makes Today’s Home So Different, So Appealing? In dieser Haltung entsteht unter anderem Learning from Las Vegas (mit Denise Scott Brown und Steven Izenour, hervorgegangen aus einem Seminar von Scott Brown an der Architekturfakultät in Yale), mit der zentralen These von der Opposition zweier Archetypen, von Duck und Decorated Shed. Mit Duck bezeichnet Venturi die Art von Gebäuden, welche vermittels ihrer äußeren Form ihre Funktion ausdrücken (Donut, Ente …), mit Decorated Shed jene, welche ihre Funktion durch Zeichen sichtbar machen. Klar ist, dass diese zweite Form die Idee der amerikanischen Stadt meint, des Strips. Der Stadt, wahrgenommen durch den Schirm der Frontscheibe eines fahrenden Automobils. Venturi und Brown beschreiben so eine Trennung von Dekoration und Funktion - Fig: Venturi (Fire Station #4): eine Pop Art Intervention organisiert hier die architektonische Gestalt: die Zahl vier, rotiert um 90° schafft die Fassade - Fig: Venturi (Vanna Venturi House aka Mother’s House): (nach Methoden der Formfindung) Robert Venturis erstes Gebäude, das Haus für seine Mutter (1962) in Chestnut Hill, Pennsylvania, könnte als eine bewusst widersprüchliche Komposition verstanden werden. Es repräsentiert eine scheinbar sehr einfache, klassische Architektur, in deren Gestaltung Venturi aber bewusst „Fehler“ integrierte, was eine eher akademische Annäherung vermuten und das Gebäude als manieristischen Kommentar lesen lässt. Wir könnten sogar sagen, das Haus ist das erste Gebäude, das eine direkte Opposition und ein Gegenkommentar zur Moderne ist. Der Entwurfsprozess ist ausführlich dokumentiert worden. Aus ihm geht hervor, dass der Architekt nicht abgeneigt war, viele Ideen auszuprobieren: Venturi erstellte insgesamt zehn völlig unterschiedliche Entwürfe, bis er schließlich bei der Version angelangt war, die realisiert wurde. Die Fassade kombiniert ein archetypisches Bild eines Hauses mit Anspielungen auf ägyptische Pylone, mit barocken Portalen und modernen Fensterbändern. Die Hauptfassade ist symmetrisch und verfügt über ein, wie es zunächst scheint, gewöhnliches Satteldach und einen riesigen Kamin, wie man dies bei der Kinderzeichnung eines Hauses erwarten würde. 77 Auf der einen Seite der Fassade befindet sich jedoch ein eher traditionelles quadratisches Fenster und auf der anderen ein modernes Fensterband, das auch gut zu Le Corbusiers Villa Savoye passen würde. Der Bogen über dem Eingang deutet allerdings darauf hin, dass es eine verborgene Affinität geben könnte: Beide Seiten besitzen fünf Fensterquadrate, wobei die Fenster auf der rechten Seite in einer Längsreihe angeordnet sind, während jene auf der linken Seite zwei quadratische Konfigurationen aufweisen – eine mit vier, die andere mit nur einem Fenster. Der Bogen berührt eine der Ecken des einzelnen Fensters und deutet auf der rechten Seite auf ein nicht vorhandenes Quadrat derselben Größe hin. In diesem Fall werden die typologischen und morphologischen Bezüge auch geometrisch kontrolliert. Die Fassade kann in ein Doppelquadrat eingeschrieben werden, das durch die Seitenwände des Hauses und durch das Volumen des Kamins umrissen wird. Wird die Diagonale jedes Quadrats nach unten gedreht, um ein Rechteck aus der Wurzel von zwei zu erzeugen, so ergibt sich daraus die Position der Fenster. Ferner lässt sich die Dachlinie herleiten, indem zunächst die Diagonale des Doppelquadrats gezeichnet und diese Diagonale anschließend bis zum Rand des Rechtecks aus Wurzel zwei verschoben wird. Während die Fassade recht simpel geometrisch entwickelt wird, bietet der Innenraum schon komplexere Ordnungen. Das Haus darf also als Beispiel gelten für Venturis Standpunkt, wie er in seiner Schrift Komplexität und Widerspruch entwickelt wird. - Fig: Venturi (Football Hall of Fame): die Fassade wird bei Venturi schließlich zum wesentlichen architektonischen Element im Sinne des Decorated Shed. Folgerichtig entwickelt er daraus eine Haltung, welche wir als Billboard-Architektur bezeichnen können und die als Vorbild gelten darf für zahlreiche spätere Gebäude wie etwa die Fondation Cartier oder das Centre Pompidou - Fig; Venturi (Jefferson Monument): letztlich betreibt Venturi mit dieser Haltung die Reduzierung der Architektur auf die sie wesentlich bestimmenden Elemente, hier sogar die Reduzierung bis hin zum Diagramm, zum Zeichen eines Hauses. Wichtig wird hier letztlich die große Idee der Postmoderne, wie auch der Pop Art, mehrere Sprachen gleichzeitig zu sprechen oder zu zitieren. Das bedeutet, Pop ist nicht bedeutungslos, sondern vielmehr der Versuch, unter Verwendung bekannter Dinge neue Bedeutung zu stiften. - Fig: Gehry (California Aerospace Museum): über dem Eingang ist eine Lockheed F104 Starfighter befestigt und lässt den Besucher so intuitiv die Funktion des Gebäudes erkennen. Die scheinbar willkürliche Anordnung der baulichen Volumen folgt dabei der Idee eines durchgehenden Luftraums im Innern, der den einzelnen großformatigen Exponaten ihren angemessenen Raum gibt. Andere Architekten und Künstler versuchen, durch den Eingriff in bestehende Strukturen, neue Zusammenhänge zu schaffen, so z.B. Gordon Matta Clark mit Werken wie Splitting und Office Baroque 78 - Fig: Gehry (Gehry House): Gehry betreibt das Gleiche: in der Folge eines Angriffes, respektive Eingriffes in die ursprüngliche Struktur entsteht durch Addition und Subtraktion aus einem einfachen Vororthaus etwas völlig anderes. Ein Gegenüber mehrerer Stile und Ordnungssysteme wird generiert, hier etwa die offen gelegte Konstruktion des Balloon Frame und der geschaffene offene Innenraum in der Idee des Plan Libre der Moderne - Fig: Gehry (Familian House): Der Architekt Douglas Graf operiert mit Diagrammen, die keine unabhängige Wirklichkeit repräsentieren. Für Graf vermittelt das Diagramm nicht nur zwischen den Typologien, die die Komponenten einer architektonischen Komposition bestimmen, sondern auch zwischen den spezifischen Eigenschaften eines bestimmten Gebäudes und den allgemeinen Eigenschaften, die einen spezifisch architektonischen Diskurs konstituieren, sowie zwischen der Stasis der Konfiguration und der Dynamik der Operation. Um zu verstehen, was Graf damit meint, wird an dieser Stelle ein konkretes Beispiel betrachtet, nämlich seine Interpretation von Frank Gehrys Entwurf für das Familian House (1978). Graf versuchte nicht, Gehrys Absichten zu ergründen, sondern wollte herausfinden, auf welche Weise der Bauplan ein Spiel von Zentrum contra Rand und von Offenheit contra Geschlossenheit bewirkt. Das Haus besteht aus zwei Hauptelementen, einem quadratischen Pavillon und einem linearen Riegel. Der Pavillon kann als Zentrum betrachtet werden, das von einem äußeren, durch den Riegel definierten Rand umrahmt wird. Werfen wir zunächst einen näheren Blick auf diesen Riegel. Während man sich vorstellen kann, dass eine unendliche Linie aus identischen Punkten besteht, verhält es sich bei einer endlichen Linie anders, denn diese ist nicht so homogen: Die Endpunkte der Linie unterscheiden sich von den übrigen Punkten, und außerdem implizieren die Enden einen Mittelpunkt. Gehrys Riegel erkennt diese unterschiedlichen, in jeder linearen Struktur vorhandenen Bedingungen an. Er kennzeichnet den Mittelpunkt des Riegels mit einem Leerraum und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Schmalseiten des Riegels, indem er diese auf sehr unterschiedliche Weise gestaltet: geschlossen und vollkommen die ein, die andere offen, wenn nicht sogar in Auflösung begriffen. Der Kontrast zwischen offen und geschlossen wird auch an den Längsseiten des Riegels wiederholt. Während die dem Kubus zugewandte Seite glatt und geschlossen ist, verfügt die rückwärtige Fassade über eine Reihe von Elementen, darunter ein Balkon und eine Treppe, die beide vom Riegel auskragen. Diese auskragenden Elemente definieren eine Schicht, die im Inneren des Riegels der vom Innenkorridor gebildeten Schicht entspricht. Gehry suggeriert somit eine symmetrische Anordnung des zentralen Flurs, doch anschließend destabilisiert er diese Symmetrie. Die Terasse am Ende des Riegels erscheint erneut als die würfelförmige Baumasse, um die herum neues, weiß ummanteltes Material versammelt wird, um einen quadratischen Pavillon entstehen zu lassen. Riegel und Pavillon werden durch eine pentagonale Geometrie in Schach gehalten. Der Entwurf für das Familian House weist auch eine konsistente geometrische Anordnung auf, wie man sie bei Gehry eigentlich nicht erwartet. Die scheinbar willkürlichen Winkel der Brücken und das gedrehte Quadrat stammen von einem regelmäßigen Fünfeck. Werden zwei 79 identische Fünfecke gezeichnet, kann der Pavillon auf den Riegel sowie auf den zentralen Flur bezogen werden. Die Mittelachse des Pavillons überschneidet sich mit der Mittelachse des Riegels, sofern die gesamte Ausdehnung des Riegels berücksichtigt wird. Der Flur korrespondiert mit dem Balkon am Ende des Riegels. Die Breite des Riegels ist im gleichen proportionalen Verhältnis auch auf dessen Länge bezogen: Die Diagonale der einen Hälfte des Riegels verläuft parallel zur Seite des Pavillons. Während der Stil oder die Formensprache des Familian House Gehrys idiosynkratische Spielart des Dekonstruktivismus widerspiegelt, handelt es sich bei den Themen, die sein Entwurf anspricht, um zeitlose Grundfragen der Architektur. Graf weist darauf hin, dass ähnliche Problemstellungen und Lösungen zum Beispiel in der Akropolis von Pergamon zu finden sind, aber auch in Le Corbusiers Kapelle (1954) in Ronchamp. Die gleichen formalen Motive, darunter das eines hervortretenden Zentrums, Zweikernigkeit, Rand contra Objekt, Symmetrie und deren Leugnung, werden bei dem Entwurf in allen möglichen Maßstäben durchgespielt. - Fig: Gehry (Vitra): es wird also klar: Gehry arbeitet nicht willkürlich, sondern typologisch! In seinem Entwurf für das Design-Museum in Weil am Rhein finden wir im Neun-Quadrat des Grundriss die Referenz zu Palladio (vgl. Rowe), Gehry, ließe sich nun formulieren, liefert die Antwort auf Le Corbusiers Frage, wie sich Palladio neu planen ließe Viele antimoderne Architekten der 60er Jahre haben nach Inspirationen abseits der Ideale der Moderne gesucht und dabei auch die Kunst mit herangezogen, etwa die metaphysischen Bilder von Giorgio de Chirico - Fig: Rossi (San Cataldo): typischer italienischer Friedhof mit umfassender Mauer, die Räume zur Aufnahme der Urnen bietet, außerdem Haus der Toten usw. Hier tritt ein recht romantisches Ideal zu Tage, worin sich letztlich eine weitere Position gegenüber der Moderne ausdrückt: nicht in der Überhöhung von Alltagsgegenständen im Sinne der Pop Art, sondern mit der europäischen Konnotation der Kunst und der Reduktion, in dem Sinne, das die verbleibenden Archetypen das sind, was wir für die Bestätigung unseres Bewusstseins brauchen. Rossi etabliert damit einen ganz zentralen Gedanken der Postmoderne: ihm zufolge soll der Architekt nicht neu erfinden, sondern vielmehr helfen, zu erinnern! - Fig: Rossi (Teatro del Mondo): wie Venturi strebt auch Rossi nach dem Widerspruch, versucht, über das Zitat mehrerer Sprachen zu Konflikt und Diskussion zu finden, hier im Typus des Schlosses als Immobilie, das auf einem Schiff plötzlich mobil wird. (nach Methoden der Formfindung) Durch Architekten wie Aldo Rossi kam es in den 60er Jahren zu einer Wiederbelebung der Typologie als Entwurfsmethode. Rossi hatte eine Vorliebe für extrem reduzierte strukturelle und räumliche Typen, die auf vernakuläre und klassische Traditionen zurückgehen. Er behauptete, dass sie einen Bezug zur Umgebung herstellen und das kollektive Gedächtnis der Gemeinschaft verkörpern. Rossi bestand immer darauf, dass Typen bloß gedankliche Konstrukte und niemals mit den physischen Formen von Gebäuden 80 identisch seien. Trotzdem verwendete er bei seinen Gebäuden Grundtypen in einer sehr reinen Form, ungeachtet der Größe oder Funktion des jeweiligen Objekts. So findet sich die Form eines achteckigen Turms nicht nur bei einer Sekundarschule (1970) in Broni, Italien, und bei einer von ihm für Alessi entworfenen Kaffeekanne (La Conica, 1982), sondern auch bei Rossis berühmtem Theaterboot, dem Teatro del Mondo (1979) in Venedig. - Fig: Hollein (Abteiberg): wie für die ganze Postmoderne ist auch für Hollein das Zitat typisch (vgl. Verkehrsbüro). Er selbst liefert eigentlich keine originären Beiträge, aber die Zusammenschau, das Zitieren selbst darf durchaus als originär in sich gelten! Das zentrale Leitmotiv der Postmoderne ist also die Einsicht, dass wir die Architektur ebenso wenig wie die Sprache neu erfinden, sie lediglich immer neu kombinieren können, um so ein neues Ganzes zu schaffen, neuen Sinn zu stiften! - Fig: Stirling (History Library): noch modern, aber eigentlich schon ein reines Zitat von Industriearchitektur (Vorhangfassade …), einer Architektur, die sich eher weniger für die Aufbewahrung von Büchern und das Lesen eignet. Im Prinzip liefert Stirling damit den Beweis, den die Postmodernisten brauchten um ihre zentrale Aussage zu belegen, wonach diese Architektur (die moderne) genauso symbolisch und wenig funktional begründet sei wie jede andere! Es muss klar sein, dass dies alles eine sehr akademische Diskussion war. Für den Laien lässt sich die Idee der Trennung von Form und Funktion oder der Trennung von Dekoration (Billboard) und Funktion kaum nachvollziehen. Dies sollte denn auch der Ansatz für die Postmodernisten sein, mit verschiedenen Sprachen und Zitaten zu arbeiten, um so letztlich eine objektivierte Sicht auf, ein mehr intuitives Verständnis von Architektur zu provozieren. - Fig: Stirling (Staatsgalerie): die Idee ist, zum schnellen Verständnis eine Vielzahl verschiedener Zitate, in diesem Fall zwei Grundtypologien, zu collagieren, um ein unentscheidbares Ganzes zu produzieren. So will Stirling etwa erreichen, dass die Galerie unmittelbar als Museum erkannt wird. Und so geht die Entwurfsgestaltung – eine Rotunde innerhalb eines rechteckigen Grundrisses – einerseits auf den Museumstyp zurück, den Karl Friedrich Schinkel mit seinem Alten Museum (1823-30) in Berlin eingeführt hatte; die entlang der Frontseite der Staatsgallerie gepflanzten Baumreihen reproduzieren die ionische Kolonnade des Schinkel’schen Museums. Andererseits verweisen die Rampen, die Stirlings Gebäude mit der Straße verbinden, auf einen anderen Typ, wie er sich zum Beipiel im Terrassentempel der Fortuna Primigenia (um 80 v. Chr.) in Paletrina manifestiert. Deutlich wird darüber hinaus das Bestreben, diese Haltung nicht nur als akademische Diskussion zu betreiben (die Verwandtschaft im Grundriss wird dem Laien wohl wiederum kaum auffallen), was sich unter anderem in der plakativen Verwendung von Säulenordnungen ausdrückt. 81 Die Verwendung formeller Zitate muss dabei keineswegs notwendigerweise bis ins Altertum zurückführen. Die Gruppe der New York Five beispielsweise beruft sich in ihrer Architektur auch auf Le Corbusier (Grundriss, Pilotis, weiße Wand etc.) - Fig: Meier (Kunstgewerbemuseum): Dabei zeichnen postmoderne Architekten gerne auch abstrakte Diagramme von der Morphologie des Ortes, man spricht von Kontextualismus. So sind die baulichen Elemente hier reine Moderne (Geländer, Rampen…), aber Meier zitiert auch die Architektur der Bestandsvilla. (nach Methoden der Formfindung) Richard Meier entwickelte seinen Entwurf für das Frankfurter Museum für Kunsthandwerk (1980-84) auf eine abstrakte Weise aus dem Bauplatz. Sein Ausgangspunkt war eine Villa aus dem 19. Jahrhundert, die er als Modul verwendete, um ein 4x4-Raster zu definieren. Aus diesem Raster isolierte er dann die Eckquadrate, um einen „Castello“-Typ zu schaffen, bei dem das alte Gebäude einer von vier „Ecktürmen“ ist. Die Ecken lassen auf zwei Hauptachsen schließen, die Meier als Gehwege definierte, welche ein Vierquadrat bilden. Die Anordnung ist jedoch reichhaltiger und ambitionierter, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Das neue Gebäude bildet eine L-Form und damit ein besonderes Objekt, welches die alte Villa umrahmt. Diese L-Konfiguration kann als Grund dafür angesehen werden, dass die beiden Hauptachsen vom Zentrum nach Südosten verschoben werden. Es gibt jedoch noch andere Zentren, die ebenfalls die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das zweite besondere Element ist der Hof, der die Eingangsachse abschließt. Das Innere der Kolonnade hat die Breite des Moduls und ist von Wandelgängen umgeben, die den offenen Raum erweitern. Die Breite des Hofes entspricht einem Drittel der Breite des Gebäudes, was darauf hindeutet, dass der offene Raum ein Fragment einer Neunquadrat-Konfiguration sein könnte, mit dem leeren Quadrat, artikuliert als Hof, im Mittelpunkt des Komplexes. Das dritte spezielle Element besteht aus den runden Fragmenten, die den Museumseingang bilden. Werden die Fragmente zusammengesetzt, entsteht ein Kreis, der dem ursprünglichen Raster entspricht. Die Fragmentierung erfolgt aus zwei Drehungen des Rasters in Anlehnung an den Lauf des Mains (Schaumankai). Die New York Five mit Meier nutzen die Formen Le Corbusiers im Sinne der Postmoderne! Die New York Five waren stark beeinflusst durch die Theorien der Gruppe der Texas Rangers mit ihren bekanntesten Vertretern Collin Rowe und Robert Slutzky und deren Essay Transparenz (OT: Transparency: literal and phenomenal), welche eine Suggestion von Tiefe durch Repetition propagierten - Fig: Graves (Snyderman): wir sehen eine ähnliche Haltung wie bei Meier: auch hier wird eine recht komplexe Organisation geschaffen durch Ableitung (16-Quadrat), wodurch eine Skelettstruktur entsteht, die erst die Tiefe erzeugt, die für Rowe und Slutzky so wichtig war und die sie als „Transparenz“ bezeichneten (im Gegensatz zu Giedion, für den Transparenz 82 (ganz im Sinne der Moderne) eine vornehmlich materialhafte Eigenschaft war, was er insbesondere am Werkstattflügel des Bauhauses zu Dessau beobachtet haben wollte) John Heijduk geht noch einen Schritt weiter und entwickelt seine Architektur derart, dass sich ihre Pläne als eine Art Erzählung lesen lassen und führt somit einen wesentlichen Gedanken eigentlich konsequent zu Ende: wenn alles, im Sinne eines umfassenden Kulturbegriffes als Zeichen darstellbar und auf Zeichen zurückzuführen ist, müssen die Dinge letztlich als Erzählung enden - Fig: Eisenman (Biozentrum): auch Eisenman geht vom Zitat Le Corbusiers aus, führt aber zusätzlich die Idee des Prozessentwerfens unter der Verwendung von Diagrammen ein. Was dabei entsteht, ist eine recht simple Übersetzung von Diagrammen, aber auch eine räumlich komplexe Architektur. Architektur ist also ein System von Zeichen. Was in dieser Feststellung bereits enthalten ist, ist die zentrale Rolle des Problems der Vermittlung von Architektur. In der manieristischen Spätphase der Postmoderne ist Architektur zwar immer noch ein System von Zeichen, doch geht es jetzt nicht mehr um die Mitteilung der Funktion von Architektur, sondern um die Mitteilung der Nichtvermittelbarkeit von Architektur. Man sucht wieder eine gewisse avantgardistische Entfremdung. Peter Eisenman hat mit noch rigoroseren und komplexeren Entwurfsmethoden experimentiert. Genau genommen hat er für jedes seiner Projekte eine neue Methode ersonnen, die sich nicht nur mit formalen Fragen befassten, sondern auch nicht architektonische Informationen berücksichtigen Das erste große dekonstruktivistische Gebäude, das realisiert wurde, das Wexner Center (1983-89) von Eisenman und Richard Trott, unterminiert die gängigen Vorstellungen von Kontextualismus durch den Einsatz von „Superposition“ und „Scaling“. Es reagiert nicht auf seine Nachbarn, die Gebäude auf dem Campus der Ohio State University, sondern vielmehr auf räumlich oder zeitlich weit entfernte physische Gegebenheiten – etwa so wie Moscheen, die nach Mekka ausgerichtet sind. Eisenman zitiert zwei verschiedene Grids und legt diese dem Entwurf als Diagramm zugrunde. Während die formale Lösung des Wexner Centers auf dem um 12 ¼° verschobenen Straßenraster der Stadt Columbus basiert, das in das Raster des Universitätscampus eingeführt wird, werden Standort und Hauptachsen des Gebäudes eindeutig von dem mehrere Straßenblocks entfernten Football-Stadion bestimmt. Es gibt sogar einen Bezug zu einem Ort, der 130km westlich von Columbus liegt: Am nördlichen Ende des Baugeländes wird die komplexe, aber rationale Kollision der beiden Raster durch eine Nachbildung der, wie Eisenman es nennt, Greenvill Trace konzipiert. Diese ist eine Verformung im Jeffersonian Grid, welches die gesamte Fläche der Continental United States ab 1784 als Prinzip demokratischer Landaufteilung überziehen und somit der Besiedelung des Landes als Abstraktion vorausgehen sollte, die entstand, weil sich die beiden Landvermessertrupps, die das Territorium von Ohio aus entgegengesetzten Richtungen kartierten, um anderthalb Kilometer verfehlten. Selbst wenn Eisenman auf dem Baugelände ältere Gebäude imitiert, sind die Bezüge zeitlich entrückt: Die postmodernen Türmchen empfinden die Formen des „Old Amory“ nach, einer Turnhalle, die 1958 abgerissen worden war. Diese unterschiedlichen Materialien werden in diagrammartigen Zeichnungen festgehalten, die in 83 vier unterschiedlichen Maßstäben dupliziert und übereinandergelegt werden, um ein komplexes Gewebe zu erzeugen. Aus dieser zusammengesetzten Zeichnung wählt Eisenman dann einige Linien aus, um Fragmente der Originalzeichnungen anzudeuten. Gleichwohl er das Moment des Zufalls in dieser Art des Entwurfsvorgehens anerkennt, versucht er stets, Herr des Prozesses zu sein. - Fig: Eisenman (Cita de la Cultura): Eisenman verfolgt die Idee einer großen automatisierten Entwurfsmethode, hier als Ableitung aus der Karte Im MOMA gab es 1988 unter der Leitung von Philip Johnson und Mark Wigley eine Ausstellung mit dem Titel „Dekonstruktivistische Architektur“ aus der die gleichnamige Bewegung zwar nicht hervorging, die aber wesentlich zu deren Erfolg und ihrer Verbreitung beitrug. Auch die Dekonstruktivisten befassen sich in ihrer Arbeit mit der Geschichte, jedoch nicht nur im Sinne der Revision wie die Postmodernisten. Vielmehr wird im Zerlegen und neu konstruieren auch ein Abbild aktueller gesellschaftlicher Zustände beschrieben. Ihre philosophische Begründung finden die Ideen der Dekonstruktivisten in den Schriften Jacques Derridas, der auch konkret an Projekten mitwirkte, so etwa am Park La Villette mit Bernhard Tschumi. Nach Derridas kann keine Bedeutung jemals fest oder ein für allemal entscheidbar und kein System jemals geschlossen oder rein sein. Bedeutung hat demnach keine originäre Quelle. - Fig: Hadid (Peak Club): ähnlich den Postmodernisten arbeitet Hadid mit der Methode des Zitats, entwickelt daraus in der Folge jedoch eine höhere Komplexität (vgl. z.B. die Architekturfantasien von Chernikov) - Fig: Coop Himmelb(l)au (Falkestrasse): scheinbar improvisierte Konstruktion, die eine sehr komplexe Form erlaubt. Die Architekten betreiben bewusst die Dekonstruktion von Typologie - Fig: Libeskind (Jüdisches Museum): Libeskind gibt an, das Gebäude sei abgeleitet aus der Analyse der Wohnorte jüdischer Intellektueller im Berlin der 30er Jahre. Tatsächlich scheint der Anlass aber in früheren eigenen Arbeiten zu liegen (vgl. Installation 1983 oder Michael Heizers Land-Art-Projekt Rift, der ersten der Nine Nevada Depressions, 1968). Die Form ist letztlich nicht so frei wie sie scheint, sondern eher abgeleitet; etwa aus gewissen Ideen der barocken Architektur des Bestandsgebäudes, als dessen Erweiterung das neue Museum zuerst betrachtet wurde, z.B. das Prinzip einer radialen Organisation. (nach Methoden der Formfindung) Die Kunst des Barocks betonte häufig Diagonalen und strahlenförmige Anordnungen. Dementsprechend legte Libeskind sein mäanderndes Gebäude so an, dass viele seiner Seitenmauern auf die rückwärtige Fassade des Altbaus zulaufen. Auch die unterschiedlichen Breiten des neuen Museums korrespondieren mit oder ohne Korridore mit den Flügeln des alten Gebäudes. Der E.T.A.-Hoffmann-Garten weist in Libeskinds Entwurf exakt die Ausmaße des Hofes im Altbau auf. Die Komposition beinhaltet auch eine Achse, die das neue Museum an mehreren Stellen durchschneidet und einen leeren, für das Publikum nicht zugänglichen Raum, den Void, erzeugt. Jene Segmente der Achse, die sich nicht innerhalb des Museums befinden, erscheinen als deplatzierte, freistehende Baukörper. 84 Libeskind betreibt also einen dekonstruktivistischen Kontextualismus. - Fig: Libeskind (Ground Zero): ähnlich wie in Berlin, leitet Libeskind die Form seines Masterplans aus verschiedenen Einflüssen der Umgebung ab („Memory Foundations“, „Heroes Lines“, „Wedge of Light“). Mit dieser Haltung verbindet sich die Hoffnung, durch die starke Emotionalisierung würden die Menschen die Formen in ihrer Symbolik intuitiv erfahren und verstehen. Libeskind steht somit trotz seiner dekonstruktivistischen Formensprache in der Tradition der postmodernen Überlegungen zur Vermittelbarkeit von Architektur. Leider, wie der New Yorker Architekt Eli Attia demonstrierte, war Libeskind in der Herleitung seines Entwurfs aber nicht sehr umsichtig. Insbesondere die Idee des „Wedge of Light“ hätte demnach nie funktionieren können. Die „Wedge of Light“ getaufte Plaza sollte nach dem Willen der Entwerfer an jedem 11. September zwischen 8:46 und 10:28 morgens mit purem Sonnenschein beschenkt werden, exakt in dem Zeitraum zwischen dem ersten Einschlag im Tower One und dem kompletten Zusammenbruch nach dem Einsturz von Tower Two. Unglücklicherweises übersah Libeskind dabei das Millenium Hilton Hotel unmittelbar östlich des WTC. Sein Schatten würde Libeskinds Vision an jedem 9/11 in Dunkelheit hüllen. Versehentlich wiederholt Libeskinds Entwurf so the dekonstruktivistische Kritik an der Postmoderne: Kommunikation findet nicht wirklich statt, Architektur ist keine Sprache. Der wesentliche Anlass und Stoff der Postmoderne ist die Krise der Kommunikation. Zunächst geht es dabei um die Kommunikation zwischen Architektur und Mensch, also dem Verständnis von Architektur durch ihre Nutzer; schließlich um die Eliminierung der Autorschaft, also dem Verhältnis von Architekt und Laie. Automatisierte Prozesse sollen die Hand des Architekten negieren, um so die Architektur objektiv verständlich zu machen. Diese Objektivität ist Voraussetzung dafür, dass Architektur letztlich tatsächlich Gesellschaft abbilden kann. 85 86 Lecture 12 | Architektur fürs Empire Wie verändert die Glabalisierung die Architektur? Im Februar 2008 veröffentlichte Daniel Libeskind ein Statement, wonach er nicht für totalitäre Regime arbeiten würde und forderte auch von seinen Kollegen mehr ethisches Verantwortungsbewusstsein (offensichtlich als Antwort auf die Bekanntgabe von Zaha Hadid als Architektin des Kulturzentrums in Baku). Die projektive Praxis einiger Architekten von Heute (Hadid, Koolhaas…) unterscheidet sich also von der kritischen Praxis früherer Tage (Eisenman…) wonach der Architekt immer auch gesellschaftskritisch sein soll und muss. Gleichwohl Hadid in Azerbaijan für den totalitären Regenten Ilham Aliyev baut, ist der berühmteste Vertreter der projektiven Praxis Rem Koolhaas. - Fig: Koolhaas/ OMA (Prada NY): Shopping, so Koolhaas, ist die letzte gesellschaftliche Tätigkeit, die uns noch bleibt. Als Konsequenz dieser Beobachtung beschreibt Koolhaas das Branding, die Quintessenz also aus den Forderungen nach Identität (Mensch) und Serialisierung (Markt). Koolhaas nutzt diese Idee bis hin zur Entwicklung einer beliebig erweiterbaren Flagge der EU in Gestalt eines farbigen Barcodes. - Fig: Koolhaas/ OMA (CCTV): deutlich ist der Anspruch, eine Form zu schaffen, die einzigartig ist, die nicht dupliziert werden würde, um den Alleinstellungsanspruch des Senders zu unterstreichen (anders z.B. als ein einfacher Wolkenkratzer, bei dem es nur eine Frage der Zeit wäre, bis es einen höheren gäbe). Das Prinzip des Branding ist hier essentiell. Wir könnten sagen, bei Koolhaas ist die expressionistische Idee einer Stadtkrone direkt ins 21. Jahrhundert geholt, etwas abgemildert: Koolhaas verfolgt hier die Strategie von Landmark-Architektur. Das gleiche Motiv finden wir bei anderen Projekten, etwa Ras al Khaimah, Waterfront City Dubai, Hafencity Hamburg, alles sind kugel- oder kreisförmige Gebäude, die eigenständige Landmarks sein sollen. Wohl ob der offensichtlichen formellen Ähnlichkeit argumentiert Koolhaas nun, Kugel und Riegel seien universelle Symbole (vgl. Death Star, Harrison: Trylon and Perisphere, Leonidov: Lenin Institute - Fig: Koolhaas/ OMA (Zeebrügge): Terminal als Zitat des Globe Tower auf Coney Island (diskutiert durch Koolhaas in dessen Delirious New York). Hier wird die Tradition der Panoramen (Robert Barker) deutlich und die Form des Panopticons (Jeremy Bentham) zitiert … vgl. CCTV – These premises are under surveillance … das CCTV ist offensichtlich ein Gebäude, das der Propaganda eines Regimes dient. Entgegen dieser Kritik argumentiert Koolhaas, das CCTV sei ein Beispiel für das, was er Bigness nennt. Nach Koolhaas steckt in der Größe eines Gebäudes auch eine Form der Freiheit, in dem Sinne, dass sie Raum für das Unerwartete gebe. Damit löst das CCTV frühere Ideen Koolhaas’ ab, den 87 Typical Plan und den Wolkenkratzer: die Gleichförmigkeit von Fassade und Plan erlaube demnach, in einem Wolkenkratzer jede beliebige Funktion unterzubringen und so unerwartete Ereignisse zu kreieren. Koolhaas behauptet, der große Maßstab erlaube, neue Ideen zu generieren; ab einer gewissen Größe würden unerwartete spannende Ereignisse auftreten. Doch auch diese Idee ist nicht neu, sondern geht auf Le Corbusier und dessen Text Bolshoi … or the Notion of Bigness von 1933 zurück. Diese Anlehnung ist indes kein Zufall, Koolhaas versucht recht deutlich, sich als neuer Le Corbusier zu etablieren. Weitere Ähnlichkeiten finden im Thema der Leere (the Strategy of the Void, eingeführt im Projekt für Melun-Senart), die Idee, man müsse zunächst wegreißen, Leere schaffen, um Neues zu erzeugen. Die Leere ist der Bigness insofern verwandt, als beide neue Ereignisse erzeugen sollen. Koolhaas geht dabei sogar bis zu den zensierten Bereichen japanischer Pornographie zurück und beschreibt Bigness als etwas, das "sustains a promiscuous proliferation of events in a single container" through its "rigidity." And "like plutonium rods that [are] more or less immersed;" "Bigness fucks context", until "a kind of liquefaction" follows and "elements react with each other to create new events" that connect "with a web of umbilical cords to other disciplines.“ - Fig: Koolhaas/ OMA (Euralille): ob die Idee von Bigness hier erfolgreich prüft, ist zumindest fragwürdig, aber: die formale Verwandtschaft (oder wenigstens das Selbstverständnis dieser) zu Le Corbusiers Carpenter Center ist deutlich - Fig: Koolhaas/ OMA (Villa dall’Ava): wie bei den Postmodernisten ist dieses Projekt eine Sammlung von Zitaten, eine Neuordnung wesentlicher Ideen und Elmente der Villa Savoye. (nach Methoden der Formfindung) Werden ältere architektonische Werke aufgenommen, ist es wichtig, diese zu transformieren, anstatt die vertrauten Bestandteile lediglich nachzuahmen. Mit der Villa dall’Ava (1991) bei St. Cloud nahe Paris demonstrieren Rem Koolhaas und OMA eine andere Art des Umgangs mit einem Vorläufer. Herausgefordert, ein Meisterwerk zu schaffen, entschloss sich Koolhaas, eine architektonische Vorlage zu bearbeiten, in diesem Fall Le Corbusiers Villa Savoye (1930) im benachbarten Poissy. Wie die frühere Villa veranschaulicht auch Koolhaas’ Gebäude Le Corbusiers „fünf Punkte“ einer neuen Baukunst: „Pilotis“ (Stützen), „freier Grundriss“, „freie Fassade“, „Fensterbänder“, sowie einen „Dachgarten“. Bei Koolhaas’ Gebäude werden diese Elemente jedoch in Form von Fragmenten umgruppiert. So taucht ein Segment der gebogenen Glaswand, die sich im Erdgeschoss der Villa Savoye befindet, in der Villa dall’Ava wieder als Innenwand der Küche auf. Le Corbusiers Villa hat einen beinahe quadratischen Grundriss, während Koolhaas’ Variation auf einem dem Goldenen Schnitt entsprechenden Raster basiert, das – nach dem Prinzip der Ordnungslinien von Le Corbusier – viermal unterteilt wurde, um die Dimensionen der auskragenden Gebäudeflügel zu bestimmen. Gleichzeitig transformiert Koolhaas die zitierten Elemente: Aus dem Dachgarten wird ein Swimmingpool. Der auf abstrakte Weise geometrische Stuckputz weicht Fassaden aus Wellblech; und die Pilotis unter dem östlichen Schlafzimmer verletzen die strukturelle Logik von Le Corbusiers Maison Domino (1914). Die Umwandlung der Villa Savoye ergibt einen Sinn, denn Le Corbusiers Villa war, wie schon 88 erwähnt, in vielerlei Hinsicht selbst eine Transformation eines früheren Bauwerks, nämlich der von Palladio entworfenen Villa Rotonda in Vicenza. Bei der Villa dall’Ava wird das Beispiel aus der Vergangenheit in vielerlei Hinsicht umgewandelt, wobei manche Transformationen abstrakter und andere offenkundig eher direkte Zitate des Vorläufers sind. Das ganze resultiert in einem Entwurf, der eine historische Dimension andeutet. - Fig: Koolhaas/ OMA (Maison à Bordeaux): die (formale) Anlehnung an Le Corbusier ist von Koolhaas durchaus offen betrieben. OMAs Maison Lemoin (1998) in Floirac, nahe Bordeaux, kann ebenfalls als eine Variation der Villa Savoye angesehen werden. Während Le Corbusier bei der Villa Savoye das Renaissance-Prinzip einer Massivwand im Erdgeschoss und frei stehender Säulen im oberen Stockwerk, dem „Piano nobile“, umkehrte, stellt Koolhaas bei seinem Haus in Bordeaux den Entwurf von Le Corbusier auf den Kopf: Das Erdgeschoss liegt unter der Erdoberfläche, das „Piano nobile“ ist eine Ganzglaskonstruktion, und die klassische „Corona aedificii“ ist ein massiv wirkender, in der Luft schwebender Block. Gleichzeitig führt Koolhaas in sein Werk (sicher auch in Anlehnung) das Prinzip der Infrastruktur, der Verkehrszonen eines Gebäudes als dessen zentrales Thema ein; hier der raumgreifende, offene Fahrstuhl. - Fig: Koolhaas/ OMA (Niederländische Botschaft): das „Trajekt“, der Erschließungsgang, gibt dem Kubus seine innere Logik und äußere Form. Diese promenade architecturale ist natürlich nicht Koolhaas’ Idee, sondern geht auf Le Corbusier zurück. - Fig: Koolhaas/ OMA (Jussieu): für die Idee der Erschließung der vielleicht programmatischste Bau. Zwar wäre diese Lösung funktional kaum machbar und mindestens feuerschutztechnisch eine Katastrophe, aber als Konzept ist sie konsequent (basierend auf Le Corbusiers Pavillon d’Esprit Nouveau auf der Pariser Ausstellung 1937). - Fig: Koolhaas/ OMA (Casa da Música): zwei Konzertsäle sind, akkustisch sinnvoll, als simple Rechteckboxen entworfen, um die herum die dienenden Räume als Restvolumen zwischen Box und kristalliner Hülle geformt werden (wodurch fast expressionistische Situationen entstehen, vgl. etwa Schwitters Merzbau). Die Casa hat keinen kontextuellen Bezug, wenngleich sie so organisiert ist, dass der Kontext einbezogen wird. Eigentlich ist dieses Konzept für ein Wohngebäude entwickelt worden, das jedoch nicht ausgeführt wurde – zumindest nicht durch OMA und Koolhaas selbst, aber in ähnlicher Form durch Johnston Marklee Associates mit ihrem Hill House (2004) in Pacific Palisades bei Los Angeles. Koolhaas war mit seiner Idee von Branding offenbar so erfolgreich, dass er selbst zur Marke wurde. In diesem Zusammenhang sind natürlich auch andere, etwa Frank Gehry, Coop Himmelb(l)au zu nennen. Für alle gilt aber: Eine Marke, ob sie nun für einen Architekten oder ein Produkt steht, muss mehrfach wiederholt werden um wieder erkennbar zu werden und so gleichen sich viele Gebäude dieser Architekten auf fast verdächtige Weise (siehe Gehry: Bilbao und Disney; Coop: Musée des Confluence, BMW Welt). Die Idee, dass besondere Architektur einen Standortvorteil bedeuten kann, seit dem Guggenheim als Bilbao-Effekt bekannt, bedeutet dabei zusehends eine Architektur des Spektakels und des Entertainments. Selbst so konservative Bewegungen wie die New Urbanists 89 scheinen sich dieser Entwicklung zu beugen und haben ihren Civic Art Award 2005 Gehry’s Disney Concert Hall zugesprochen. Das Thema des Branding, somit die Repräsentationsfunktion von Architektur, beschäftigt natürlich insbesondere Firmen und so wundert es kaum, dass einige der ikonographischsten Bauten von großen Konzernen gebaut sind und zuletzt ein regelrechter Wettbewerb deutscher Autobauer um die spektakulärste Vertretung stattfand (Coop: BMW Welt; Hadid: BMW Fabrik; UN Studio: Mercedes Benz Museum; Delugan Meisl: Porsche Museum; Henn: Gläserne Manufaktur). Zaha Hadid und ihr Partner Patrick Schumacher nehmen dafür sogar eine gewisse akademische Relevanz in Anspruch, nennen es Parametrie und meinen damit eine gewisse halbautomatische Entwurfsgenerierung. - Fig: NOX (Water Pavilion): Ableitung aus gewisser Analyse von Wassertropfen. Wichtiger aber, ähnlich wie bei Koolhaas die Wiederholung der Grundriss und die Idee von Bigness, sollen nun die gekurvten parametrisch generierten Flächen gewisse Ereignisse provozieren. - Fig: FOA (Yokohama): Das Prinzip der Parametrie wurde bereits am Beispiel von Gaudís Hängemodell für die Krypta der Colonia Güell erläutert. (nach Methoden der Formfindung) Während Gaudís Hängemodell eine Möglichkeit zur Bestimmung der optimalen Konstruktion für eine gegebene Plantypologie darstellt, konzipierten die Foreign Office Architects (Farshid Moussavi und Alejandro Zaera-Polo) ihren Entwurf für das Hafenabfertigungsgebäude (19962001) in Yokohama als eine Interaktion zwischen drei Faktoren: Programm, Umgebung und Eigenschaften der Baumaterialien. Da das Gebäude ein Terminal für Schiffe sein sollte, interpretierten die Architekten das Programm des Gebäudes weitgehend im Sinne seiner Erschließung. Meist ist ein Transportabfertigungsgebäude ein Tor für Ankunft und Abreise, doch Moussavi und Zaera-Polo wollten ein Bewegungsfeld ohne eindeutige Orientierung definieren. Sie separierten die Erschließung für Fußgänger, Autos, Lastwagen usw. und gaben jeder dieser Verkehrsarten die Form einer Schleife. Ein weiteres Anliegen der Architekten bestand darin, eine Mischform aus Schuppen und Pier zu schaffen, indem sie die Horizontalebene so bearbeiteten, dass diese auch Räume umschließen konnte. Auf diese Weise wurden die Formen des ursprünglichen Piers gleichsam gefaltet, um ein mehrgeschossiges Gebäude zu erschaffen, das organisch aus dem Boden zu wachsen scheint. Die dritte Aufgabe bestand darin, die baulichen Möglichkeiten der gewählten Materialien, Beton und Glas, zu untersuchen. Dabei ging es vor allem um die Frage, welche Spannweiten und Auskragungen möglich waren. Gleichzeitig schafft diese Ableitung des Gebäudes aus den Verkehrsflächen letztlich auch eine gewisse Ästhetik und Ornamentik. - Fig: Toyo Ito (Mikimoto/ Tod’s): Konstruktion ist hier gleichzeitig eine Form des Ornaments Ornament ist also offenbar auch ein Thema der Gegenwartsarchitektur - Fig: HdM (Eberswalde): Fassadengestaltung mit Drucken von verschiedenen Kunstwerken (Warhol) und Photos 90 - Fig: HdM (Schützenmattstrasse): Gullideckel als Vorlage für Fensterläden (vgl. Loos: Michaelerplatz). Im Prinzip behelfen sich Herzog & de Meuron hier mit der Verwendung von Readymades - Fig: HdM (Dominus Vinery): Verwendung des Vorgefundenen und dessen folgender Verfremdung. Das Bild der Stützmauer, die Charakteristik des Steins wird hier negiert, indem dieser z.B. als Balken ausgeführt wird - Fig: Zumthor (Vals): auch Peter Zumthor ist an dieser Etablierung des Vorgefundenen interessiert, allerdings ohne jede Ironie. Was entsteht, ist eine bewusste Inszenierung örtlicher Qualitäten, das Ziel hier die Schaffung von Atmosphäre Die Ideologie der Zeit lässt sich, auf Koolhaas bezogen, zusammenfassen: ¥€$ … Die Idee von Logo und Branding wird heute erweitert auf der Ebene des Städtebaus (Palmeninseln…). Wir sehen eine Form der visuellen Stadtplanung, deren wesentliches Element, ihre Form im Plan, überhaupt nur im Logo zu erkennen ist. Einen Städtebau also für Investoren, nicht mehr für Nutzer und Bewohner. The World in Dubai ist das vorerst irrwitzigste Projekt, die ultimative Gated Community, die für jedes Haus eine eigene Insel bietet und so das heraufbeschwört, was Thom Mayne als „connected isolation“ bezeichnet. Was also ist die Zukunft der Architektur in der Postglobalisierung? Die Modernisten strebten nach sozialer Emanzipation durch fortschrittliche Technologie und progressive Architektur. Die Postmodernisten versuchten, die verschiedenen sozialen Gruppen der Gesellschaft zu erreichen, Architektur bedeutend zu machen nicht bloß für die Führer, sondern für die Vielfalt an Subkulturen, die heute jede entwickelte Gesellschaft ausmachen. Die projektiven Praktiker wollen Profit machen für ihre Investoren und erhalten gute Aufträge, weil sie damit erfolgreich sind. Aber reicht das aus? Oder ist die projektive Praxis, mit ihrem Schwerpunkt auf apolitischen Themen wie Ornament, Atmosphäre und Stimmung nichts weiter als die architektonische Entsprechung einer höchst skrupelosen Form neokonservativer Politik, die Architektur für George W. Bush? 91