Der Leib in der Philosophie

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Der Leib in der Philosophie
Dr. Andreas Brenner
Email: [email protected]
Tel.: 061-261 70 44
Do: 10.00-12.00
Raum: 3.118
Zu dieser Intranet-Page:
Hier finden Sie die wichtigste Literatur zu den jeweiligen Sitzungen, so wie Text-Auszüge,
die wir in der Sitzung gemeinsam besprechen werden.
Zur Vorlesung:
Was ist der Leib? Wie unterscheidet sich der Leib des Menschen von seinem Körper?
Antworten auf diese Fragen lassen sich zunächst in der Phänomenologie Edmund Husserls
finden. Um die von Husserl eröffnete Möglichkeit des Leib-Denkens in ihrer Weite ermessen
zu können, ist es jedoch unverzichtbar, die Gründe zu diskutieren, die zur Vernachlässigung
des Leibgedankens geführt haben. Wir werden dazu dem Leib-Denken im archaischen
Griechenland Homers nachspüren, die Entwicklung bei Heraklit und Platon verfolgen und uns
das Leib-Denken der Kirchenväter ansehen. Descartes und Kant sind schließlich auch in
Bezug auf den Leib für die weitere Entwicklung der Philosophie und insbesondere deren
Leib-Verdrängung maßgeblich. Deren Kritiker Schopenhauer und Nietzsche bereiten dann
das zeitgenössische Leib-Denken vor. Mit Husserl und dessen Nachfolgern wird der Leib
erfolgreich wiedererinnert.
Überblick über die einzelnen Veranstaltungen
1. „Leib“ im archaischen und klassischen Griechenland (17.03.)
2. Leib-Denken bei den Kirchenvätern Augustinus und Thomas (24.03.)
3. Vom Leib zur res extensa: Descartes (07.04.)
4. Vom kritischen zum vorkritischen Kant (21.04.)
5. Von der Kant-Kritik zur Romantik (28.04.)
6. Kritik am Rationalitätskonzept und Körperbegriff, I: A. Schopenhauer (12.05.)
Schopenhauers Kant-Kritik und ein erster moderner Leib-Begriff.
7. Kritik am Rationalitätskonzept und Körperbegriff, II: F. Nietzsche (19.05.)
Analyse von Nietzsches Behauptung, „der Leib ist die große Vernunft“.
8. Die Phänomenologie E. Husserls (2.06.)
Die intentionale Struktur unseres Bewusstseins und der Leib.
9. Die Husserl-Nachfolger, I: M. Heidegger (09.06.)
Das Sein zum Tode und das „Leiben des Leibes“.
10. Die Husserl-Nachfolger, II und III: (16.06.)
H. Plessner, des Menschen „Exzentrizität“ .
11. Die Husserl-Nachfolger, IV: (23.06.)
H. Schmitz: Die Subjektivität des Leibes.
1. Vorlesung (17.03.)
„Leib“ im archaischen und klassischen Griechenland
Primärliteratur:
ARISTOTELES: Über die Seele.
ARISTOTELES: Metaphysik.
HOMER: Ilias. Stuttgart 1979.
HOMER: Odysee. Stuttgart 1979.
HERAKLIT: Fragmente (In: Fragmente der Vorsokratiker. Hg. von H. Diels, W. Kranz,
Zürich 1951).
PLATON: Politeia.
PLATON: Timaios.
Sekundärliteratur:
AGAMBEN, Giorgio: Homo Sacer. Frankfurt/M. 2002.
FETT, Othmar: Der undenkbare Dritte. Tübingen 2000.
HEIDEGGER, Martin: Zollikoner Seminar. Frankfurt/M. 1989.
NUSSBAUM, Martha: Psyche in Heraclitus (I, II), in: Phronesis, 1972, S. 160.
PATZER, H.: Physis. Grundlegung zu einer Geschichte des Wortes. In: Sitzungsberichte der
Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt,
Bd. 30, Nr. 6, Stuttgart 1993.
RAPPE, Guido: Archaische Leiberfahrung. Der Leib in der frühgriechischen Philosophie und
in außereuropäischen Kulturen. Berlin 1995.
RICKEN, Frido: Philosophie der Antike. Stuttgart 1983.
SCHMITZ, Hermann: Der Leib. Bonn 1965.
SNELL, Bruno: Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen
Denkens bei den Griechen. Göttingen 1975.
TSIOLI, H.: Platons Anthropogenie. (Diss.) Kiel 1980.
Zentrale griechische Begriffe:
ςω̃µα = Leiche, Kadaver, „Leib“
δέµας = lebendiger Körper
µέλεα = Glieder, wenn sie durch Muskeln bewegt werden
γυíα = Glieder, die durch Gelenke bewegt werden, insbes. Arme und Beine.
γυιόω = lähmen
νόος = Sinn, Denkkraft, Verstand
θύµος = Lebenskraft, Leben
πύρ = Feuer
άρµονία = Stimmung, Einklang, urspr. bezeichnet Harmonia das „Gefüge“, z.B. beim
Schiffsbau.
2. Vorlesung (24.03.)
Leib-Denken bei den Kirchenvätern Augustinus und Thomas
PRIMÄRLITARTUR:
ARISTOTELES: Über die Seele.
AUGUSTINUS: Bekenntnisse. Confessiones. (lat.-dt.). Frankfurt/M. 1987.
EPIKUR: Briefe, Sprüche, Werkfragmente. (griech.-dt.). Stuttgart 1980: (Brief an Menoikus).
THOMAS von Aquin: Über Seiendes und Wesenheit. (De ente et essentia). Hamburg 1988.
THOMAS von Aquin: Summa Theologica. Salzburg, Leipzig 1934, Bd. 1: Gottes Dasein und
Wesen.
THOMAS von Aquin: Summa Theologica. Salzburg, Leipzig 1934, Bd. 10: Die menschlichen
Leidenschaften.
SEKUNDÄRLITERATUR:
BROWN, Peter: Augustinus von Hippo. Frankfurt/M. 1982.
FLASCH, Kurt: Augustin. Einführung in sein Denken. Stuttgart 1994.
FLASCH, Kurt: Das philosophische Denken im Mittelalter. Stuttgart 2000.
FUHRER, Therese: Körperlichkeit und Sexualität in Augustins autobiographischen und
moraltheoretischen Schriften. In: B. Feichtinger, H. Seng (Hg.): Die Christen und der Körper.
Aspekte der Körperlichkeit in der christlichen Literatur der Spätantike. München 2004, S.
173-188.
HENRY, Michel: Inkarnation. Eine Philosophie des Fleisches. Freiburg/Brsg.: 2002.
KLUXEN, Wolfgang: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin. Hamburg 1998.
MENSCHING, Günther: Thomas von Aquin. Frankfurt/M. 1995.
PIEPER, Josef: Thomas von Aquin. Leben und Werk. München 1986.
SCHÖNBERGER, Rolf: Was ist Scholastik? Hildesheim 1991.
3. Vorlesung (07.04.)
Vom Leib zur res extensa: Descartes
PRIMÄRLITERATUR:
Descartes:
Discours de la mèthode.
Principia philosophiae.
Passions de l`Ame.
Meditationes de prima philosophia.
SEKUNDÄRLITERATUR:
GARBER, Daniel: Descartes Embodied. Cambridge 2001.
NIEBEL, Wilhelm Friedrich; Angelica Horn, Herbert Schnädelbach (Hg.): Descartes im
Diskurs der Neuzeit. Frankfurt/M. 2000.
PERLER, Dominik: René Descartes. München 1998.
4. Vorlesung (21.04.)
Vom kritischen zum vorkritischen Kant
PRIMÄRLITERATUR:
KANT, Immanuel (1766): Träume eines Geistersehers erläutert durch Träume der
Metaphysik. In: Werkausgabe Bd. II. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977.
KANT, Immanuel (1768): Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im
Raume. In: Werkausgabe Bd. II. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977.
KANT, Immanuel (1781/1787): Kritik der reinen Vernunft. Werkausgabe Bd. III.
Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977.
SEKUNDÄRLITERATUR:
BÖHME, Hartmut, Gernot Böhme: Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung der
Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1983.
HÖFFE, Otfried: Kants Kritik der reinen Vernunft. München: Beck 2004.
HOLENSTEIN, Elmar (1985); Der Nullpunkt der Orientierung. Die Platzierung des Ich im
wahrgenommenen Raum. In: Menschliches Selbstverständnis. Frankfurt Suhrkamp 1985, S.
14-58.
KAMPER, Dietmar: Körper. In Ch. Wulf (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische
Anthropologie. Weinheim, Basel 1997, S. 407-416.
KAULBACH, Friedrich: Leibbewusstsein und Welterfahrung beim frühen und späten Kant.
In: Kant-Studien 54, H. 4, 1963, S. 464-490.
KLEMME, Heiner: Kants Philosophie des Subjekts. Hamburg: Meiner 1996.
KÜHN, Manfred: Kant. Eine Biographie. München: Beck 2003.
5. Vorlesung (28.04.)
Von der Kant-Kritik zur Romantik
Lektüretext: Novalis: „Die Lehrlinge von Sais“, Hamburg 1984, S. 31-33.
PRIMÄRLITERATUR:
ARMIN, Bettina von: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Berlin: Aufbau 1986.
ARMIN, Bettine von; Hermann von Pückler-Muskau: „Die Leidenschaft ist der Schlüssel zur
Welt.“ Briefwechsel 1832-1844. Stuttgart: Cotta 2001.
FICHTE, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre. Stuttgart: Reclam 1972.
FICHTE, Johann Gottlieb: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre.
(1797/98). Hamburg: Meiner 1984.
NOVALIS: Die Lehrlinge zu Sais. Hamburg: Rowohlt 1984.
SCHELLING, F.W.J.: Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im
menschlichen Wesen. (1795): Ausgewählte Schriften, Bd. 1: Frankfurt/M: Suhrkamp 1985.
WACKENRODER,
W.
H./L.
Tieck:
Herzensergiessungen
eines
kunstliebenden
Klosterbruders. München: Federmann 1949.
SEKUNDÄRLITERATUR:
BÖHME, Gernot, Hartmut Böhme: Das Andere der Vernunft. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1983.
DILTHEY, Wilhelm: Das Erlebnis und die Dichtung.
HENRICH, Dieter: Grundlegung aus dem Ich. Frankfurt/M. 2004.
HUCH, Riccarda: Die Romantik. Ausbreitung, Blütezeit und Verfall. 1951.
KUHN, H.: Romantische Philosophie und Poesie. In: Zeitschrift für philosophische
Forschung. Bd. V. (1959).
SCHMITZ, Hermann: Der Leib. Bonn: Bouvier 1965.
6. Vorlesung (12.05.)
Arthur Schopenhauer: Leib und Wille
I.
„SATZ VOM ZUREICHENDEN GRUNDE“
II.
KAUSALITÄT UND SINNLICHKEIT
1.) Die Kausalität im „Unorganischen“.
2.) Die Kausalität im „Organischen“.
3.) Die Kausalität im Animalischen.
III.
WAS IST DER LEIB?
IV.
VERNEINUNG DES LEIBES (SCHOPENHAUERS ETHIK)
Askese, das ist die „vorsätzliche Brechung des Willens, durch Versagung des Angenehmen
und
Aufsuchen
des
Unangenehmen,
die
selbstgewählte
büßende
Lebensart
und
Selbstkasteiung, zur anhaltenden Mortifikation des Willens“ (W I.).
Und so erkennen wir, dass
„unser Gehen nur ein stets gehemmtes Fallen ist, das Leben unseres Leibes nur ein
fortdauernd gehemmtes Sterben, ein immer aufgeschobener Tod ist. Jeder Atemzug wehrt den
beständig eindringenden Tod ab, mit welchem wir auf diese Weise in jeder Sekunde kämpfen
(...) durch jede Mahlzeit, jeden Schlaf, jede Erwärmung usw. Zuletzt muß er siegen: denn ihm
sind wir schon durch die Geburt anheimgefallen, und er spielt nur eine Weile mit seiner
Beute, bevor er sie verschlingt. Wir setzten indessen unser Leben mit großem Antheil und
vieler Sorgfalt fort, so lange als möglich, wie man eine Seifenblase so lange und so groß als
möglich aufblät, wiewohl mit der steten Gewißheit, dass sie platzen wird.“ (W I, S. 367).
PRIMÄRLITERATUR:
Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung.
Schopenhauer, Arthur: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde.
SEKUNDÄRLITERATUR:
DÖRPINGHAUS, Andreas: Der Leib als Schlüssel zur Welt. Zur Bedeutung und Funktion
des Leibes in der Philosophie Arthur Schopenhauers. In: Schopenhauer-Jahrbuch. Nr. 81
(2000), S. 15-31.
HAUSKELLER, Michael: Vom Jammer des Lebens. Einführung in Schopenhauers Ethik.
München 1998.
MALTER, Rudolf: Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik.
Stuttgart 1991.
NIEHUES-PRÖBSTING, Heinrich: Praktische Vernunft und Leib bei Schopenhauer. In:
Jamme, Christoph (Hg.): Grundlinien der Vernunftkritik. Frankfurt/M. 1997, S. 184-201.
SAFRANSKI, Rüdiger: Schopenhauer. München 1987.
SPIERLING, Volker (Hg.): Schopenhauer im Denken der Gegenwart. München 1987.
7. Vorlesung (19.05.)
Nietzsche: Der Leib als die große Vernunft
Wir sind keine denkenden Frösche, keine Objektivier- und Registrier-Apparate mit kalt
gestellten Eingeweiden – wir müssen ständig unsere Gedanken aus unserem Schmerz gebären
und mütterlich ihnen alles mitgeben, was wir von Blut, Herz, Feuer, Lust, Leidenschaft, Qual,
Gewissen, Schicksal, Verhängnis in uns haben.“ (FW, Nr. 3)
Erst der große Schmerz ist der letzte Befreier des Geistes, als der Lehrmeister des großen
Verdachts (...) Erst der große Schmerz, jener langsame Schmerz, der sich Zeit nimmt, in dem
wir gleichsam wie mit grünem Holze verbrannt werden, zwingt uns Philosophen, in unsre
letzte Tiefe zu steigen und alles Vertrauen, alles Gutmüthige, Verschleiernde, Milde, Mittlere,
wohinein wir vielleicht vordem unsere Menschlichkeit gesetzt haben, von uns zu thun. Ich
zweifle, ob ein solcher Schmerz „verbessert“ -; aber ich weiß, dass er uns vertieft.“ (FW, Nr.
3).
1.
Erkenntnislehre
1.1.
Eine jeweils bestimmte Art zu denken
Was der Sinn fühlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich ein Ende. Aber Sinn und
Geist möchten dich überreden, sie seien aller Dinge Ende, so eitel sind sie. (Z, S. 39).
„Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du „Geist“ nennst,
ein kleines Werk- und Spielzeug deiner großen Vernunft“. (Z, S. 39)
„Aber das Grössere, woran du nicht glauben willst, - dein Leib und seine grosse Vernunft, die
sagt nicht Ich, aber thut Ich.“ (Z, S. 39).
1.2.
Gründe, eine bestimmte Art zu denken zu favorisieren
1.3.
Folgen der Dominanz der kleinen Vernunft für den Leib?
2.
Was der Leib ist
Die vollkommene Verachtung des Leibes ließ die Einzelperson nicht sehen, die vollkommene
minutieuseste Art ihres Organisations-Spiels zur Selbst-Erhaltung und Reinigung der Art der
Gattung: - mit andern Worten den unendl(ichen) Wert der Einzel-Person als Träger des
Lebens-prozesses und folglich, ihr allerhöchstes Recht auf Egoismus – wie alle ihre
Unmöglichkeit es nicht zu sein.
Thatsächlich ist alles „Unegoistische“ décadence-Phänomen. (Bd. 13, S. 593f).
PRIMÄRLITERATUR:
NIETZSCHE; Friedrich: Die fröhliche Wissenschaft. (Ausgabe von Colli/Montinari), Bd. 3.
NIETZSCHE; Friedrich: Also sprach Zarathustra. (Ausgabe von Colli/Montinari), Bd. 4.
NIETZSCHE; Friedrich: Jenseits von Gut und Böse (Ausgabe von Colli/Montinari), Bd. 5.
NIETZSCHE; Friedrich: Götzen-Dämmerung (Ausgabe von Colli/Montinari), Bd. 6.
NIETZSCHE; Friedrich: Nachgelassene Fragmente 1882-1885, 1. Teil. (Ausgabe von
Colli/Montinari), Bd.10.
NIETZSCHE; Friedrich: Nachgelassene Fragmente 1885-1899, 1. Teil. (Ausgabe von
Colli/Montinari), Bd. 12.
NIETZSCHE; Friedrich: Nachgelassene Fragmente 1885-1899, 2. Teil. (Ausgabe von
Colli/Montinari), Bd. 13.
SEKUNDÄRLITERATUR:
ABEL, G.: Die Dynamik der Willen zur Macht und die ewige Wiederkehr. Berlin 1984.
KAULBACH, Friedrich: Nietzsches Interpretation der Vernunft. In: Nietzsche-Studien 10/11
1981/1982).
KAULBACH, Friedrich: Nietzsches Idee einer Experimentalphilosophie. Köln 1980.
LOWEN, Alexander: Der Verrat am Körper. Reinbek 1982.
8. Vorlesung (2.06.)
Die intentionale Struktur unseres Bewusstseins und der Leib in der Phänomenologie E.
Husserls
1.
Wie erkennen wir?
Demnach geht es darum, die „Quellen“, aus denen die Grundbegriffe und die idealen Gesetze
der reinen Logik „entspringen“ und bis zu welchen sie wieder zurückverfolgt werden müssen,
um ihnen die für ein erkenntniskritisches Verständnis der reinen Logik erforderliche
„Klarheit und Deutlichkeit“ zu verschaffen. (Hua XIX, 1, B 3).
Es geht also darum zu klären, wie es denn zu verstehen sei, dass das „an sich“ der
Objektivität zur „Vorstellung“, ja in der Erkenntnis zur „Erfassung“ komme, also am Ende
doch wieder objektiv werde und dies bedeutet also die Frage, wie die Idealität des
Allgemeinen als Begriff oder Gesetz in den Fluß der realen psychischen Erlebnisse eingehen
und zum Erkenntnisbesitz des Denkenden werden kann (Hua XIX, 1, B 8).
2.
Was ist Bewusstsein?
Wie kann ich, dieser Mensch, in meinen Erlebnissen ein Sein an sich, etwa draußen außer mir
und dgl. Treffen, sondern auf dem Boden der phänomenologischen Reduktion stellt sich jetzt
die reine Grundfrage: wie kann das reine Erkenntnisphänomen etwas treffen, was ihm nicht
immanent ist...? (Hua II, S. 7).
3.
Das Bewusstsein ist leiblich
„Jeder Akt ist Bewusstsein von etwas, aber jeder Akt ist auch bewusst. Jedes Erlebnis ist
„empfinden“ ist immanent „wahrgenommen“ inneres Bewusstsein, wenn auch natürlich nicht
gesetzt (...) Freilich scheint das auf einen unendlichen Regreß zurückzuführen. Denn ist nun
nicht wieder das innere Bewusstsein, das Wahrnehmen vom Akt ein Akt und daher selbst
wieder innerlich? Dagegen ist zu sagen: Jedes „Erlebnis“ im prägnanten Sinn ist innerlich
wahrgenommen. Aber das innere Wahrnehmen ist nicht im selben Sinne ein „Erlebnis“. Es ist
nicht selbst wieder wahrgenommen.“ (Hua X: 126f).
4.
Der Leib, die Doppelempfindungen und die Kinästhesen
„Die lokal verschiedenen Daten >berühren< sich, >decken< sich, ohne sich doch zu
verdecken.“
„Dabei haben wir das Merkwürdige der Doppelempfindung in der Selbstberührung, worin
das Eigentümliche liegt, dass zwei Daten desselben Feldes sich in der eigenen Weise der
>Berührung< decken können, während sie in der Kontinuität der Feldlokalität getrennt
sind.“(Hua XV: 302).
„Der Leib nun hat für sein Ich die einzigartige Auszeichnung, dass er den Nullpunkt all
dieser Orientierungen in sich trägt. Einer seiner Raumpunkte, mag es auch kein wirklich
gesehener sein, ist immerfort im Modus des letzten zentralen Hier charakterisiert, nämlich in
einem Hier, das kein anders außer sich hat, in Beziehung auf welches es ein >Dort< wäre. So
besitzen alle Dinge der Umwelt ihre Orientierung zum Leibe, weil denn alle Ausdrücke der
Orientierung diese Beziehung mit sich führen.” (Hua IV: 158).
PRIMÄRLITERATUR:
Die Idee der Phänomenologie. Fünf Vorlesungen. Den Haag 1950, Hua II.
Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Den
Haag 1954, Hua VI.
Erste Philosophie. Den Haag 1956, Hua VII
Logische Untersuchungen. Zweiter Band. 1.Teil. Hua XIX, 1. Den Haag 1984.
Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Hua XV.
SEKUNDÄRLITERATUR:
BERNET, Rudolf, Iso Kern, Eduard Marbach: Edmund Husserl. Darstellung seines Denkens.
Hamburg 1989.
KERN, Iso: Husserl und Kant.
WELTON, Donn (Hg.): The Body. Oxford 1999.
ZAHAVI, Dan: Intentionalität und Konstitution. Eine Einfürhung in Husserls Logische
Untersuchungen. Kopenhagen 1992.
ZAHAVI, Dan: Husserl und das Problem des vor-reflexiven Selbstbewusstseins. In: H. Hüni,
P. Trawny (Hg.): Die erscheinende Welt. Berlin 2002, S. 697-724.
9. Vorlesung (09.06.)
M. Heidegger: Das „Leiben des Leibes“
1.
Begriffsgeschichte
nemen sie den leib,
gut, ehr, kind und weib
las fahren dahin.
Martin Luther (1483-1546)
lieber, drum mit lieb und leben
hab der Lieb ich mich geschenkt.
Friedrich Rückert (1788-1866)
zu Basel hastu verraten
meinen jungen und trewen leib.
Ludwig Uhland (1787-1862)
Jakob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1864.
2.
Heideggers Seinsanalyse (Sein und Zeit, 1927)
„Die konkrete Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von „Sein“ ist die Absicht der
folgenden Abhandlung. Die Interpretation der Zeit als des möglichen Horizontes eines jeden
Seinsverständnisses überhaupt ist ihr vorläufiges Ziel.“ (S&Z, S. 1).
„So ist die Rede von „Krankheitserscheinungen“. Gemeint sind Vorkommnisse am Leib, die
sich zeigen und im Sichzeigen als diese Sichzeigenden etwas „indizieren“, was sich selbst
nicht zeigt. Das Auftreten solcher Vorkommnisse, ihr Sichzeigen, geht zusammen mit dem
Vorhandensein von Störungen, die selbst sich nicht zeigen. Erscheinung als Erscheinung
„von etwas“ besagt demnach gerade nicht: sich selbst zeigen, sondern das Sichmelden von
etwas, das sich nicht zeigt, durch etwas, was sich zeigt. Erscheinen ist ein Sich-nicht-zeigen.“
(S&Z, S. 29).
Der Ausdruck „Erscheinung kann selber wieder ein Doppeltes bedeuten: einmal das
Erscheinen im Sinne des Sichmeldens als Sich-nicht-zeigen und dann das Meldende selbst –
das in seinem Sichzeigen etewas Sich-nicht-zeigendes anzeigt.“ (S&Z, S. 30).
3.
Zollikoner Seminare
3.1.
Entstehungsbedingungen der Seminare
3.2.
Die Problematik des Leibes
„das Leibliche das Schwierigste ist und dass ich damals eben noch nicht mehr zu sagen
wusste“ (Zol, S. 292).
3.2.1. Die etablierte – cartesische – Methode
Griechisch ist das „deutsche Wort Methode zusammengesetzt aus µέτα und όδός (=Weg).
Methode ist demnach der Weg, der zu einer Sache, zu einem Sachgebiet hinführt, oder der
Weg, auf dem wir einer Sache nachgehen.“ (Zol, S. 132).
„Was wahrhaft seiend ist, darüber entscheidet nicht das von sich selbst her offenbare
Seiende, darüber entscheidet vielmehr ausschliesslich die vom ego cogito sum, das heißt von
der Subjektivität des „ich denke“ her als massgebend angesetzte Art von Wahrheit im Sinne
der Gewissheit.“ (Zol, S. 138).
3.2.2. Die neue – Heideggersche – Methode
„Zur Phänomenologie gehört in gewissem Sinne der Willensakt, sich nicht gegen dieses Sicheinlassen zu sperren.“(Zol, S. 143).
„Das Sich-einlassen ist ein ganz anderer Weg, eine ganz andere Methode als die
wissenschaftliche Methode, wenn wir das Wort Methode in seinem ursprünglichen, echten
Sinne zu gebrauchen wissen (...)
Wir müssen also den Weg zu uns selbst gehen. Dies aber ist nicht mehr der Weg zu einem
isolierten, zunächst allein gegebenen Ich.“ (S. 144).
3.2.3. Raumwahrnehmung durch Auge und Hand
PRIMÄRLITERATUR:
HEIDEGGER, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 1979.
HEIDEGGER, Martin. Zollikoner Seminare. Frankfurt/M. 1987.
SEKUNDÄRLITERATUR:
WELTON, Donn (Hg.): The Body. Oxford 1999.
10. Vorlesung (16.06.)
Philosophische Anthropologie: Helmuth Plessner
1.
Descartes schweres Erbe
2.
Die Doppelaspektivität
2.1.
Die vermeintliche Abgeschlossenheit der res cogitans
„Für das Nichtausgedehnte ist kein anderer Platz als die Sphäre der res cogitans gelassen.“
(SOM, S. 40).
„Die Stelle, die er (gem. ist der Körper) als mein eigener, zu mir selbst gehöriger Körper
einnimmt, liegt nachweisbar im objektiven Raum. (...) Insofern hat er eine zum Ich
ausgezeichnete Stellung, die man gewöhnlicherweise räumlich als Umschlossensein des Ichs
von seinem Körper betrachtet.“ (SOM, S. 53).
„Einer Innenwelt muß die Außenwelt gegenübertreten, einer Hier-Welt die Dort-Welt. Nach
dem Immanenzprinzip kann jedoch die Hierwelt keinen direkten Kontakt mit der Dortwelt
haben.“ (SOM, S. 55).
2.2.
Die Unabgeschlossenheit
„Streng genommen steht im Doppelaspekt nur das Wesen, welches als Selbst und körperliches
Ding manifest ist; als körperliches Ding wie andere Dinge wirkt, zugleich aber als Selbst sich
bekundet und gegebenenfalls von sich weiß.“(SOM, S. 70).
2.3.
Die Exzentrizität
„Die Schranke der tierischen Organisation liegt darin, dass dem Individuum sein selber Sein
verborgen ist, weil es nicht in Beziehung zur positionalen Mitte steht (...) Insoweit das Tier
selbst ist, geht es im Hier-Jetzt auf.“
„Das Tier lebt aus seiner Mitte heraus, in seine Mitte hinein, aber es lebt nicht als Mitte.“
(SOM, S. 288).
„Der Mensch als das lebendige Ding, das in die Mitte seiner Existenz gestellt ist, weiß diese
Mitte, erlebt sie und ist darum über sie hinaus. Er erlebt die Bindung im absoluten Hier-Jetzt,
die Totalkonvergenz des Umfeldes und des eigenen Leibes gegen das Zentrum seiner Position
und ist darum nicht mehr von ihr gebunden. (...)
(...)Ist das Leben des Tieres zentrisch, so ist das Leben des Menschen, ohne die Zentrierung
durchbrechen zu können, zugleich aus ihr heraus, exzentrisch. Exzentrizität ist die für den
Menschen charakteristische Form seiner frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld.“ (SOM, S.
291).
„Darum ist er von Natur, aus Gründen seiner Existenzform, künstlich. Als exzentrisches
Wesen nicht im Gleichgewicht, ortlos, zeitlos im Nichts stehend, konstitutiv heimatlos, muss er
„etwas werden“ und sich das Gleichgewicht schaffen.“ (SOM, S. 310).
3.
Lachen und Weinen.
Der Mensch „verliert das Verhältnis zu seiner physischen Existenz, aber er kapituliert nicht
als Person. (...) Auf die unbeantwortbare Lage findet er gleichwohl – kraft seiner
exzentrischen Position, durch die er in keiner Lage aufgeht, die einzig noch mögliche
Antwort: von ihr Abstand zu nehmen und sich zu lösen.“ (LUW, S. 276).
PRIMÄRLITERATUR.
PLESSNER, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. (SOM) Berlin 1975.
PLESSNER, Helmuth: Conditio Humana. Frankfurt/M: 1964.
PLESSNER, Helmuth: Lachen und Weinen. (LUW) Frankfurt/M: 1982.
SEKUNDÄRLITERATUR:
GUGUTZER; Robert: Lieb, Körper, Identität. Wiesbaden 2002.
REDEKER, H: Helmuth Plessner oder Die verkörperte Philosophie.
11. Vorlesung (23.06.)
Hermann Schmitz
1.
Den Leib spüren
Wenn ich vom Leib spreche, denke ich nicht an den menschlichen oder tierischen Körper, den
man besichtigen und betasten kann, sondern an das, was man in dessen Gegend von sich
spürt, ohne über ein „Sinnesorgan“ wie Auge oder Hand zu verfügen, das man zum Zweck
dieses Spürens willkürlich einsetzen könnte. (uG: 115)
Leiblich ist das, dessen Örtlichkeit absolut ist.
Körperlich ist das, dessen Örtlichkeit relativ ist.
Seelisch ist, was ortlos ist. (L: 6)
→Leibhaber
Relativ heißt demnach ein Ort, wenn er durch räumliche Orientierung bstimmt ist, d.h. durch
ein System von Lage- und Abstandsbeziehungen, wodurch mehrere Orte einander
wechselseitig identifizierbar werden lassen. Absolut heißt ein Ort dagegen, wenn er
unabhängig von räumlicher Orientierung bestimmt oder identifizierbar ist. (L: 6).
2.
Die neophänomenologische Methode
Kritik an der →sensualistischen Reduktion (Demokrit)
Kritik an der →rationalistischen Reduktion (Platon)
Das europäische Denken hat durch die Zerschlagung der Eindrücke auf der Gegenstandsseite
der Wahrnehmung die Chance erhalten, seine Begriffsbildung auf eine Abstraktionsbasis zu
stützen, die von zwar dürftigen, aber sehr geschickt gewählten Merkmalen gebildet wird,
nämlich solchen, die sich – wie das Resultat des Zählens an festen Körpern im zentralen
Gesichtsfeld – ziemlich bequem und mechanisch nach festen Regeln intermomentan und
intersubjektiv reproduzieren und manipulieren lassen. Daraus schmiedete es sich die Waffe
exakt standardisierter Induktion, wozu es in außereuropäischen Kulturen nichts
Entsprechendes gibt. (uG: 21).
→Phänomene:
Ein Phänomen für jemand zu einer Zeit ist ein Sachverhalt, dem der Betreffende dann nicht
im Ernst die Tatsächlichkeit bestreiten kann, wie sehr er sich auch durch Variationen von
Annahmen darum bemüht. (uG: 34).
→Alphabet der Leiblichkeit
Weitere Kritik an der →Introspektion zu
3.
Was der Leib ist
„Mein Leib steht nicht vor mir, sondern ich bin in meinem Leib, oder vielmehr ich bin mein
Leib.“ (PhW: 175).
→Phantomglied
„Phantomglieder sind wirklich; illusorisch ist nur ihre Verarbeitung im perzeptiven
Körperschema, die den Verstümmelten z.B. zu dem unwillkürlichen Versuch verleitet, sich auf
ein nicht mehr vorhandenes Bein zu stützen.“ (uG: 120).
4.
Mein Leib und die Anderen
→Einleibung
→präreflexive Bewusstsein
„Selbstbewusstsein mit Selbstzuschreibung ist ihm aber nur möglich, wenn es sich mit
Selbstbewusstsein ohne Selbstzuschreibung ambivalent verbindet. Sonst käme der Mensch nie
zur Selbstzuschreibung.“ (Höhleng: 213).
5.
Wie ich mich fühle
→ Stimmungen →Atmosphären
PRIMÄRLITERATUR:
MERLEAU-PONTY, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1961.
SCHMITZ, Hermann: Der Leib. Bonn 1965. (L)
SCHMITZ, Hermann: Der unerschöpfliche Gegenstand. Bonn 1990. (uG)
SCHMITZ, Hermann: Höhlengänge. Über die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie. Berlin
1997.
SEKUNDÄRLITERATUR:
BLANKENBURG, Wolfgang: Das Sich-Befinden zwischen Leiblichkeit und Gefühl. In:
Großheim, Michael (Hg.): Leib und Gefühl. Berlin 1995: Akademie.
BLUME, Anna: Scham und Selbstbewusstsein. Zur Phänomenologie konkreter Subjektivität
bei Hermann Schmitz. Freiburg, München. 2003.
BÖHME, Gernot: Leibsein als Aufgabe. Leibphilosophie in pragmatischer Absicht.
Kusterdingen 2003.
FUCHS, Thomas: Leib, Raum, Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie.
Stuttgart 2000.
HENRY, Michel: Inkarnation. Eine Philosophie des Fleisches. Freiburg, München 2002.
HOLENSTEIN, Elmar: Der Nullpunkt der Orientierung. Die Platzierung des Ich im
wahrgenommenen Raum. In. Menschliches Selbstverständnis. Ichbewusstsein, intersubjektive
Verantwortung, interkulturelle Verständigung. Frankfurt/M. 1985, ders.: S. 14-58.
LANDWEER, Hilge: Scham und Macht. Phänomenologische Untersuchungen zur Sozialität
eines Gefühls. Tübingen 1999.
STUDIA PHILOSOPHICA: Vol. 62/2003: Der Körper in der Philosophie.
WALDENFELS, Bernhard: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des
Leibes. Frankfurt/M. 2000.
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