4. Symphoniekonzert S a ison 2012 20 13 Jonathan Nott Dirigent Hélène Grimaud Klavier o r ts w e c h s e l . 4. Symphoniekonzert Saison 2012 2013 Jonathan Nott Dirigent Hélène Grimaud Klavier MDR Rundfunkchor Leipzig Besuchen Sie den Ort, an dem Automobilbau zu einer perfekten Komposition wird: die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden. w w w.g l a e s e r n e m a n u fa k t u r . d e PA R T N E R D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N sonntag 2 .12 .12 11 Uhr M O ntag 3.12 .12 2 0 Uhr Dienstag 4.12.12 2 0 Uhr | S emperoper Dres d en 4. Symphoniekonzert PROGR A MM Claude Debussy (18 6 2 -1918) Jonathan Nott Dirigent »Prélude à l’après-midi d’un faune« (»Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns«) nach Stéphane Mallarmé für Orchester Très modéré Hélène Grimaud Klavier Maurice Ravel MDR Rundfunkchor Leipzig Einstudierung: Denis Comtet (18 7 5 -19 37 ) Konzert für Klavier und Orchester G-Dur 1. Allegramente 2. Adagio assai 3. Presto P a u se Maurice Ravel Musik für die Sinne »Daphnis et Chloé«, Ballett in einem Akt und drei Teilen für Chor und Orchester Mit einem rein französischen Programm gibt der langjährige Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, Jonathan Nott, seinen Einstand bei der Sächsischen Staatskapelle. Die sinnlich-ekstatischen Klänge von Claude Debussys »Prélude à l’après-midi d’un faune« und von Maurice Ravels vollständiger Ballettmusik zu »Daphnis et Chloé« umrahmen das Ravel’sche G-Dur-Klavierkonzert – mit dem die französische Ausnahmepianistin Hélène Grimaud in die Semper­oper zurückkehrt. h é l è ne G rim au d signiert a m 2 . d ezem b er in d er konzertpau se im o b eren r u n d f oyer d er semperoper c d s . kosten lose Konzertein f ü hr u ngen j e w ei l s 4 5 M in u ten vor Beginn im O pernke l l er d er S emperoper 2 3 4. SYMPHONIEKONZERT Jonathan Nott Dirigent E twas mehr als ein Jahr ist es her, dass Jonathan Nott ein besonderes Jubiläum als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker feierte: Er dirigierte sein 500. Konzert in seiner Bamberger Amtszeit. Ein Ereignis, das unterstrich, warum die FAZ den Briten als einen »Glücksfall für die Symphoniker der Stadt« betitelte. Mit »den Bambergern« ging Jonathan Nott seit seinem Amtsantritt im Januar 2000 bislang allein dreimal auf Tournee in die USA und ebenso oft nach Japan, viermal nach Südamerika und zweimal nach China, unter seiner Leitung waren die Bamberger Symphoniker »orchestra in residence« des Lucerne Festival, gleich zweimal gastierten sie in dieser Funktion unter ihm beim Edinburgh International Festival. Schon jetzt ist die Ära Nott nach der Chefzeit Joseph Keilberths die zweitlängste in der Historie der Bamberger Symphoniker, die 2003 zu einer Bayerischen Staatsphilharmonie erhoben wurden. Neben seiner Tätigkeit in der oberfränkischen Stadt wird Jonathan Nott ab 2014 den Posten des Musikdirektors beim Tokyo Symphony Orchestra übernehmen. Mit riesigem Erfolg hat sich Jonathan Nott in Bamberg der Musik Schuberts, Wagners und Mahlers in groß angelegten Werkzyklen gewidmet. Ebenso prägen Uraufführungen von Auftragskompositionen, die Avantgarde von Boulez bis Lachenmann sowie die musikalische Moderne um Bartók, Strawinsky, Janáček und Debussy seine künstlerische Arbeit. Beim Lucerne Festival 2013 wird er die Bamberger Symphoniker in einer konzertanten Gesamtaufführung des Wagner’schen »Rings« leiten. Seit 2004 wirkt Jonathan Nott als Jurypräsident des Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerbs der Bamberger Symphoniker, zu dessen Gewinnern u.a. Gustavo Dudamel gehört. Jonathan Nott begann seine Karriere als Kapellmeister in Frankfurt und Wiesbaden. Später war er Musikdirektor des Luzerner Theaters (1997-2001) und Chefdirigent des Luzerner Sinfonieorchesters (1997-2002), zugleich hatte er die Position des Musikalischen Leiters beim Ensemble Intercontemporain in Paris inne (2000-2003). Als Gastdirigent hoch geschätzt, führen Jonathan Nott Einladungen zu Klangkörpern wie dem Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam, den Wiener und Münchner Philharmonikern, dem Tonhalle-Orchester Zürich oder auch zu den großen Orchestern in New York, Los Angeles, Philadelphia, Chicago, Cleveland, London, Paris und Sydney. Mit den Berliner Philharmonikern spielte er auf Wunsch György Ligetis sämtliche Orchesterwerke des ungarischen Komponisten ein. 2007 war Jonathan Nott »artiste étoile« des Lucerne Festival, 2011 erhielt er den Bayerischen Verdienstorden. 4 5 4. SYMPHONIEKONZERT Vive la France! Jonathan Notts Kapelldebüt mit Debussy und Ravel M aurice Ravel ein Meister, Claude Debussy aber das alles überstrahlende Genie der französischen Musik seiner Zeit? Viel ist geschrieben und spekuliert worden über die Bedeutung der beiden großen Komponisten für das Musikleben ihres Landes. Ravel traf das Schicksal, ein Nachgeborener zu sein, gut dreizehn Jahre jünger als Debussy, der als Gründervater der musikalischen »Farb- und Klangkunst« in die Geschichte einging. Allzu verlockend war es, ihrer beider Schaffen unter das Schlagwort des musikalischen »Impressionismus« zu fassen, ein Begriff, den Debussy und Ravel kategorisch ablehnten. Ungeachtet dessen einte sie so mancher künstlerische Zug: das begnadete Gespür für die Nuancen und Schattierungen von Klang und Rhythmus, die Faszination durch außereuropäische Kulturen, wie sie auf der Pariser Weltausstellung 1889 zu erleben waren, die Begeiste- 6 7 rung für den Jazz, aber auch das Bekenntnis zur französischen Tradition des 17. und 18. Jahrhunderts und zur »clarté« als ästhetischer Maxime. Nicht selten aus dem Blick gerieten allerdings die fundamentalen Unterschiede zwischen den beiden »Musiciens français«: Was für Debussys Musik der flüchtige Augenblick, die vage Andeutung, das Ungezähmte und Regellose der Natur, die Tiefe des Unbewussten, ist für Ravel die hintersinnige Brillanz und das Raffinement des Ausdrucks, die technische Perfektion, das Spiel mit musikalischen Maskeraden, ironischen Brechungen und klassischen Formen, das melancholisch-süße Schwelgen in der Vergangenheit. Debussy und Ravel pflegten, so wird berichtet, lange Jahre ein durchaus freundschaftliches, wenn auch insgesamt eher distanziertes Verhältnis, sie kannten sich aus persönlichen Begegnungen in der Pariser Musik- und Künstlerszene und äußerten sehr wohl kollegiale Wertschätzung für den jeweils anderen. Auf die Probe gestellt wurde ihr Verhältnis allerdings immer wieder durch die Auseinandersetzungen ihrer Parteigänger, der »Debussysten« und »Ravelisten«, die mit einiger Ausdauer Gefallen daran gefunden hatten, ihre Favoriten gegeneinander auszuspielen. Und als in der Pariser Presse dezent verpackte, aber darum nicht weniger genüsslich angedeutete Plagiatsvorwürfe gegenüber Ravel die Runde machten, kam es zu jener »Affäre« von zweifelhafter Berühmtheit, die das zerbrechliche Kartenhaus endgültig zum Einsturz brachte. Ravel platzte sprichwörtlich der Kragen, was die ganze Angelegenheit erst recht hochkochen ließ. Dass der Kontakt zwischen Ravel und Debussy damit ein mehr oder weniger abruptes Ende fand, nahmen rückblickend beide mit Bedauern zur Kenntnis. Gleich- 4. SYMPHONIEKONZERT Jon ath a n N ott b ei d er P ro b en a r b eit ( 2 011) wohl berührten sich auch weiterhin die »Bahnen« dieser französischen Geis­ tesgrößen, sie beeinflussten einander oder standen sich in ihrem Komponieren unmittelbar gegenüber, wenn sie zeitgleich Musik über Joseph Haydn schrieben oder dieselben Gedichte von Stéphane Mallarmé vertonten. Verse jenes Symbolisten Mallarmé, die auf den Mythos von Pan und Syrinx anspielen, waren es schließlich auch, durch deren Inspiration Debussy das Tor zur musikalischen Moderne weit aufstieß: mit seinem »Prélude à l’après-midi d’un faune«. Eine Komposition, die gerade Ravel als unerreichtes Meisterwerk verehrte: »Es ist die einzige Partitur«, betonte Ravel, »die absolut perfekt ist«. Obwohl als reines Orchesterstück konzipiert, wurde das Werk einige Jahre nach der Entstehung in Paris auch als Ballett choreo­g rafiert, getanzt von Vaslav Nijinsky und den allseits bewunderten »Ballets russes«. Es war die gleiche Bühnenkonstellation wie nur wenige Tage später bei der Uraufführung von Ravels symphonisch verdichtetem Ballett »Daphnis et Chloé«, das auf einen Hirtenroman des Dichters Longos zurückgeht. Debussys »Prélude« einerseits, Ravels vollständige Ballettmusik zu »Daphnis« andererseits bilden die beiden Pole, zwischen denen das Programm des 4. Symphoniekonzerts eingespannt ist, mit dem Jonathan Nott seinen Einstand am Pult der Sächsischen Staatskapelle gibt. Ein erlesenes französisches Programm, in dessen Zentrum ein Werk steht, das zwar nicht auf literarische Quellen und auch nicht auf antike Sujets zurückgeht, wohl aber typisch Ravel’sche »Musik über Musik« ist: Ravels Klavierkonzert in 8 9 S t é ph a ne M a l l a rm é , P ortr ät von É d o ua r d M a net (18 76) G-Dur, das den Geist Mozarts und des Jazz atmet und interpretiert wird von der Weltklassepianistin Hélène Grimaud. Die Ausnahmemusikerin aus der Festivalstadt Aix-en-Provence ging 2007 mit der Sächsischen Staatskapelle auf Europa-Tournee, zuletzt war sie im Juni dieses Jahres in einem umjubelten Recital im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele in der Semperoper zu Gast. »Die Semperoper ist ein magi­ scher Ort«, sagt die Französin, die sich im Konzertsaal ebenso wie auf CD seit Jahren intensiv mit Ravels G-Dur-Konzert auseinandergesetzt hat, dessen innere Vielgestaltigkeit überbordend ist und das neben aller rhythmischen Verve hinreißende Kantilenen umfasst. Kantilenen: Sie vor allem sind es, die das künstlerische Denken Jonathan Notts auch und gerade in der Instrumentalmusik umkreist. »Ich selbst komme nicht weg vom Gesang, von der Kantilene«, bekennt er über seine dirigentische Arbeit. »Man trägt immer eine Note zur nächsten. Das heißt, das Spannungsfeld von einer Note zur nächsten ist immer da«, fügt er hinzu. »Das Konzept von Klang und Kantilene ist bei mir Grundlage des Musikmachens.« Die Moderne um Debussy, Ravel, Schostakowitsch, Bartók markiert seit jeher einen Schwerpunkt in der Konzerttätigkeit des Briten, wovon nicht zuletzt seine überaus erfolgreiche, bald dreizehnjährige Amtszeit als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker kündet. »Was ich überall in der Musik suche, ist das Timing von Farbwechseln, die Kontinuität der Musik und die Schönheit des Klangs.« Torsten B l a i c h 4. SYMPHONIEKONZERT das neue Album nload als CD und Dow HÉLÈNE GRIMAUD & SOL GABETTA ZWEI TEMPERAMENTE – EIN GEFÜHL Französische Philosophin trifft argentinisches Heißblut. Die beiden Klassikstars setzen mit ihrer ersten gemeinsamen Aufnahme neue Maßstäbe für eine legendäre kammermusikalische Formation. Die Pa riser We ltau sste l lu ng von 18 8 9 mit d em eigens au s d iesem An l a ss erri c hteten E i f f e lt u rm . De b u ssy u n d R av e l erhie lten au f d er Au sste l lu ng w i c htige a nreg u ngen f ü r ihr w eiteres m u sik a l is c hes S c h a f f en . Weitere Veröffentlichungen: 10 11 www.helenegrimaud.de Claude Debussy * 2 2 . Au g u st 18 6 2 in S a int- G erm a in - en - L aye (b ei Pa ris) † 2 5 . M ä rz 1918 in Pa ris »Prélude à l’après-midi d’un faune« (»Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns«) nach Stéphane Mallarmé für Orchester Très modéré entsta n d en d i c hteris c he vor l age zwischen 1891 und September 1894 als erster Teil eines geplanten Triptychons aus »Prélude, Interlude et Paraphrase finale« das 1876 erschienene Gedicht »L’ Après-midi d’un faune« von Stéphane Mallarmé (1842-1898) Besetz u ng Raymond Bonheur, befreundeter Komponist und ehemaliger Kommilitone am Pariser Conservatoire 3 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, Schlagzeug, 2 Harfen, Streicher u r au f ge f ü hrt Ver l ag am 22. Dezember 1894 in der Salle d’Harcourt in Paris (Orches­ tre de la Société Nationale de Musique, Dirigent: Gustave Doret) Breitkopf & Härtel, Wiesbaden ge w i d met 12 13 Dau er ca. 11 Minuten revolutionäre klänge Debussys »Prélude à l’après-midi d’un faune« C laude Debussy sah sich verschiedensten Einflüssen ausgesetzt, bevor er einen eigenen Musikstil entwickelte: Nach Studien am Pariser Conservatoire reiste er als Hauspianist Nadeschda von Mecks, der langjährigen Mäzenin Peter Tschaikowskys, mehrmals nach Russland und begeisterte sich für die Musik Modest Mussorgskis. Mit 22 Jahren wurde ihm für die Kantate »L’Enfant prodigue« der begehrte Rom-Preis verliehen, verbunden mit einem dreijährigen RomAufenthalt, bei dem er die Bekanntschaft mit Franz Liszt und Giuseppe Verdi machte. In den Jahren 1888/1889 besuchte er Aufführungen von »Tris­ tan und Isolde« und »Parsifal« bei den Bayreuther Festspielen – und geriet unter den Einfluss Richard Wagners. Schon bald allerdings machte sich Debussy weitgehend frei von diesen Vorbildern. Angeregt durch die Musik außereuropäischer Kulturkreise, die er auf der Pariser Weltausstellung 1889 kennenlernte, entwickelte er einen eigenen Stil, ein nuanciertes Klang- und Farbenspiel, sinnlich, naturhaft, fantastisch. »Mir sind einige Töne aus der Flöte eines ägyptischen Hirtenknaben lieber, er gehört zur Landschaft und hört Harmonien, die ihre Lehrbücher ignorieren«, sollte er später in den fiktiven Gesprächen mit seinem Alter ego »Monsieur Croche« (»Herr Achtelnote«) äußern. Im »Prélude à l’après-midi d’un faune« (»Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns«) wird dieser Stil zum ersten Mal greifbar. Zu diesem Werk ließ sich Debussy durch das Gedicht »L’ Après-midi d’un faune« des Literaten Stéphane Mallarmé anregen, das dieser unter dem Eindruck eines Bildes von François Boucher (»Pan und Syrinx«) geschrieben hatte. Debussy war ein großer Bewunderer Mallarmés, der Galionsfigur des literarischen Symbolismus im ausgehenden 19. Jahrhundert. Traumbilder, Metaphern, atmosphärisch aufgeladene Szenerien und das Spiel mit Assoziationen und der Vorstellungswelt des Lesers waren wichtige Ausdrucksmit- 4. SYMPHONIEKONZERT tel symbolistischer Dichtung, nicht »… die Flöte des Faun brachte neuen zu vergessen das Bemühen um eine Atem in die Musik; was über Bord »Musikalisierung« der Sprache: »Sie geworfen wurde, war nicht so sehr warfen ein nie gesehenes Licht auf die Kunst der Entwicklung als das die Worte«, erläuterte Paul Dukas Formkonzept selbst, das hier von das Bestreben der Symbolisten, den unpersönlichen Zwängen des »sie benutzten Verfahren, die den Schemas befreit wurde… L’ AprèsDichtern vor ihnen völlig unbekannt midi d‘un faune steht am Beginn der waren, sie statteten das Wortmaterimodernen Musik.« al mit Effekten aus, deren Subtilität und Kraft vor ihnen niemand verPierre Boulez mutet hätte. Vor allem aber schufen sie Poesie und Prosa wie Musiker, indem sie ihre Bilder nach klanglichen Gesichtspunkten kombinierten.« Debussy war, als einziger Musiker, regelmäßig zu Gast bei den berühmten »Mardis«, den Treffen in Mallarmés Salon in der Pariser Rue de Rome, bei denen sich immer dienstags Künstler wie André Gide, Oscar Wilde, Maurice Maeterlinck, Rainer Maria Rilke oder Stefan George einfanden. Ebenfalls in diesem erlesenen Kreis verkehrte der Maler Édouard Manet, der Mallarmé auf einem Gemälde verewigte; Manet war es auch, der zur ersten gedruckten Ausgabe von Mallarmés »L’ Aprèsmidi d’un faune« die Illustrationen beisteuerte. Mallarmés aus 110 Versen bestehendes Gedicht beschreibt den Traum eines Flöte spielenden Fauns, halb Mensch, halb Tier, der sich – in der südlichen Nachmittagsonne räkelnd – vorstellt, zwei schlafende Nymphen zu verführen. Debussy plante zunächst, das Gedicht als dreiteiliges symphonisches Triptychon in Musik zu setzen (»Prélude, Interlude et Paraphrase finale«), beschränkte sich aber dann auf das »Prélude«, das einer Lesung des Gedichts als Vorspiel dienen sollte. Auf dem Programmblatt der Uraufführung, die am 22. Dezember 1894 in Paris stattfand, kündigte er das Werk wie folgt an: »Die Musik dieses Vorspiels ist eine sehr freie Illustration des schönen Gedichts von Mallarmé. Sie will nicht dessen Synthese sein. Es handelt sich eher um aufeinanderfolgende Dekors, durch die sich die Begierden und Träume des Fauns während der Hitze dieses Nachmittags bewegen.« Mit anderen Worten: Debussy komponierte keine Tondichtung, sondern ein Werk, das die symbolistischen Stimmungsbeschreibungen Mallarmés nur auf andeutende Weise umsetzte. »Der Atem der Moderne« Musikalisch handelt es sich beim »Prélude à l’après-midi d’un faune« um eine Art »Improvisation um ein Kernthema« (Jean Barraqué). Das eröffnende viertaktige Flötensolo enthält im Keim bereits das Material des 14 15 Begr ü n d er d er m u sik a l is c hen » K l a ng - u n d Fa r b k u nst« : C l au d e De b u ssy (u m 19 0 5) 4. SYMPHONIEKONZERT Va s l av N i j insky a l s De b u ssys Fau n Nijinskys bahnbrechende Interpretation dieser Figur sorgte in Paris 1912 für heftige Kontroversen – und ließ ihn zum Gesprächsthema der europäischen Feuilletons werden. In Ravels wenige Tage später uraufgeführtem Ballett »Daphnis et Chloé« übernahm der russische Tänzer ebenfalls die männliche Hauptrolle. Am 26. Januar 1913 konnte man Nijinsky auch am Königlichen Opernhaus in Dresden als Faun erleben, die »Ballets russes« und der Dirigent Pierre Monteux machten Station in der Elbestadt. »Nijinsky ist ein großer Künstler; ein Ballettänzer von solcher Durchbildung der Glieder, wie es heutzutage vielleicht keinen zweiten mehr gibt. Er ist geradezu ein Ballettvirtuose. Unleugbar«, berichtete tags darauf der »Dresdner Anzeiger« und schwärmte von der »bis ins Kleinste beherrschten Mimik seines ganzen Körpers«. 16 17 »Da, wo Debussy andeutet, klärt ganzen Stückes: dessen Chromatik Ravel auf und präzisiert. Was bei ebenso wie die klare Diatonik, dem einen den Eindruck ständig außerdem den Tritonus – Symbol neuer Entdeckungen erweckt, mit einer an die tonalen Grenzen stoall den Überraschungen und dem ßenden Harmonik. Die Flöte, schon Staunen, die dazugehören, das stellt in der Antike ein sehnsüchtiges sich bei dem anderen als bereits erLockinstrument (Syrinx), wird obertes und geordnetes Gebiet dar. hier wieder ihrer ursprünglichen Einerseits ein Genie der Sensibilität, Bedeutung zugeführt. Dem schweandererseits eines der Intelligenz.« benden Charakter der Anfangstakte entspricht eine reduzierte Alfred Cortot Orchesterbesetzung (ohne schweres Blech), deren vielfältige Klangfarben gezielt eingesetzt werden. Formal scheint die Komposition frei und offen angelegt – ein Eindruck, der durch die Überlagerung verschiedener Formmodelle entsteht: Debussy verbindet Elemente der Variation (das Flötenthema erklingt insgesamt zehnmal, immer anders harmonisiert) und des Sonatensatzes (durchführungsartige Zwischenteile) mit einer übergeordneten, dreiteiligen Bogenform (zwei vom Flötensolo geprägte Rahmenteile umschließen einen noch deutlich »tristanesken« Mittelteil). In den letzten Takten wird das Thema auf seine Kerntöne reduziert; »es ist die wiedergefundene Ruhe des Fauns und sein Versinken in Schlaf« (Dietmar Holland). »Erst seit ich zum erstenmal ›L’après-midi d’un faune‹ gehört hatte, wusste ich, was Musik ist«, ließ später Maurice Ravel voller Anerkennung verlauten. Mit der Transparenz des Orchestersatzes, der Geschmeidigkeit von Klang, Harmonik und Form war Debussy eine dezente musikalische Revolution gelungen. »Impressionismus« sollte man diesen Stil – in Anlehnung an die zeitgenössische Malerei – schon bald nennen (ein Begriff, den Debussy übrigens wie Ravel ablehnte). Das Publikum der Uraufführung durch die Pariser Société Nationale de Musique unter dem Dirigat von Gustave Doret reagierte zunächst verblüfft, aber auch begeistert: Das »Prélude« musste sofort wiederholt werden. Und der Dichter Mallarmé selbst gestand – nach anfänglicher Skepsis –, dass die Musik Debussys »keine Dissonanz zu meinem Text ergab, sondern wahrhaftig noch viel weiter darin ging, die Sehnsucht und das Licht mit Feinheit, Melancholie und Reichtum wiederzugeben«. Vollends berühmt wurde das Werk schließlich in einer getanzten Version: in der Choreografie Vaslav Nijinskys, die am 29. Mai 1912 mit den legendären »Ballets russes« im Pariser Théâtre du Châtelet Premiere feierte. To b i a s N ie d ers c h l ag 4. SYMPHONIEKONZERT Maurice Ravel * 7. M ä rz 18 7 5 in Ci b o u re (S ü d f r a nkrei c h) † 2 8 . Dezem b er 19 37 in Pa ris Musik von urbaner eleganz Ravels Klavierkonzert in G-Dur M Konzert für Klavier und Orchester G-Dur 1. Allegramente 2. Adagio assai 3. Presto entsta n d en Besetz u ng zwischen Sommer 1929 und November 1931 Klavier solo, Piccolo, Flöte, Oboe, Englischhorn, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, Trompete, Posaune, Pauken, Schlagzeug, Harfe, Streicher ge w i d met der befreundeten Pianistin Marguerite Long (1874-1966) Ver l ag u r au f ge f ü hrt am 14. Januar 1932 in der Salle Pleyel in Paris (Solistin: Marguerite Long, Orchestre Lamoureux, Dirigent: Maurice Ravel) 18 19 Durand, Paris Dau er ca. 22 Minuten aurice Ravels Klaviermusik entstand zum größten Teil in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. In der Folgezeit, den 1920er Jahren, begann der Ruhm des Komponisten weltweit auszustrahlen und auf zahlreichen Tourneen, deren Höhepunkt 1928 eine viermonatige Konzertreise durch die Vereinigten Staaten war, reifte in Ravel der Plan, etwas gänzlich Neues für Klavier zu schreiben. Es sollte ein Klavierkonzert werden, als Novität für eine Tournee, die das gigantische Reisepensum seines USA-Aufenthaltes noch übertreffen sollte: Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien hatte er im Visier. Um das noch gar nicht begonnene Klavierkonzert stritten sich schon die möglichen Auftraggeber, Serge Koussewitzky beispielsweise wollte es für das Jubiläum seines Boston Symphony Orchestra 1931 reservieren. Aber Ravel war vorsichtig. Er wollte das Stück für seine Zwecke frei zur Verfügung haben, und er brauchte Zeit, wollte keinen Termindruck. Trotzdem nahm er während der Arbeit an dem Konzert noch den Auftrag für ein zweites Klavierkonzert an, das Konzert für die linke Hand allein, das der einarmige österreichische Pianist Paul Wittgenstein bei Ravel bestellt hatte. Für Ravel war es eine inspirierende Herausforderung, an diesem Paar von Konzerten zu arbeiten. Das linkshändige Konzert verlangte den virtuosen Bluff einer trickreichen Schreibweise, um über die beschränkten Möglichkeiten hinwegzutäuschen, in dem anderen Konzert hingegen konnte er sich eine raffinierte Einfachheit leisten, die Herausforderungen ganz anderer Art stellt. Aus der geplanten Welttournee wurde nichts, aber als Ravel die 1929 begonnene Komposition 1931 beendet hatte, ging er nach der Pariser Uraufführung am 14. Januar 1932 als Dirigent zusammen mit der Pianistin Marguerite Long auf eine ausgedehnte Europa-Tournee. Als beide schon Paris verlassen hatten, mussten Ravels Lackschuhe per Post hinterhergeschickt werden, die er in Paris vergessen hatte. Von seiner sprichwörtlichen Vergesslichkeit berichtete Marguerite Long später in vielen witzigen Episoden, so auch von dem beinahe verpassten Dinner beim rumänischen König: »Es war in Bukarest, wo die Zerstreutheit meines Begleiters uns in die erste wirklich ernste Verlegenheit brachte. Wir waren beide zum Essen eingeladen, Ravel 4. SYMPHONIEKONZERT beim König und ich bei der ersten Hofdame. Nur wusste keiner von uns etwas davon, weil Ravel die Einladungen mit ihrem königlichen Geheimnis ungelesen in seiner Tasche bewahrte. Mit erfreulicher Unkompliziertheit und viel Verständnis für die delikate Situation rief der König persönlich bei uns im Hotel an und war selbst der erste, der über diesen Zwischenfall lachte.« Der mondäne Hintergrund einer für die Metropolen der ganzen Welt bestimmten Musik scheint im G-Dur-Konzert mitzuklingen. Wie im Konzert für die linke Hand verwendete Ravel auch in diesem Werk Anklänge an die Jazzmusik. Aber was dort im Sinne des Blues als einsame Klage inszeniert wird, erscheint hier eher als die glamouröse Seite des Jazz. 1928 hatte Ravel begeistert New Yorker Nachtclubs besucht, auch in Begleitung der Komponisten George Gershwin und Alexandre Tansman. Und tatsächlich könnte man Ravels Klavierkonzert in eine entwicklungsgeschichtliche Reihe mit Gershwins Konzert von 1925 und Tansmans weniger bekanntem Konzert von 1927 stellen, die ebenfalls eindringlich den Tonfall des Jazz aufnehmen. Allerdings ging Ravel in seinem G-Dur-Konzert mit dem Jazz nicht nur viel sparsamer um als in den genannten Werken, sondern auch dezenter als in vielen seiner eigenen Kompositionen, einschließlich des Konzertes für die linke Hand. Die Jazz-Anklänge wirken im G-Dur-Konzert eher wie farbige Reflexe, plötzliche harmonische Lichtwechsel in einer Atmosphäre, die als Ganze nach den konstruktiven Spielregeln des Neo-Klassizismus geformt wird. Zwischen »Concerto« und »Divertissement« Im ersten Satz ist es das Seitenthema mit seinen Blue-Notes, das jene urbane, aufreizende Atmosphäre modernen Großstadtlebens um 1930 ausstrahlt, und es tritt im Laufe des Satzes immer mehr in den Vordergrund. Ihm gegenüber aber steht das erste Thema, scharf in der folkloristischen Rhythmik, ein präziser, flirrender Klang aus Piccolo, Marschtrommel und Triolen des Klaviers. Die Flötenmelodie entwickelt sich über 15 Takte hinweg rein diatonisch (d.h. mit den regulären Tönen der Tonart G-Dur), während die Klaviertriolen auf den Zählzeiten heftige Dissonanzen markieren. Einem Journalisten gegenüber soll Ravel gesagt haben: »Wussten Sie, dass mich das G-Dur-Konzert zwei Jahre Arbeit gekostet hat? Das Eröffnungsthema war mir während einer Eisenbahnfahrt zwischen Oxford und London eingefallen. Aber der erste Einfall ist ja noch gar nichts. Dann erst beginnt die eigentliche Feinarbeit. Die Vorstellung vom Komponisten, der seiner persönlichen Eingebung folgend seine Gedanken fieberhaft auf einen Fetzen Papier kritzelt, ist lange überholt. Musik zu komponieren ist zu 75 Prozent reine Verstandesarbeit. Diese Anstrengung genieße ich aber häufig mehr als das Ausruhen.« Oft wurde dieses erste Thema aus der Folklore der Heimat Ravels, dem Baskenland, abgeleitet. Auf jeden Fall aber etabliert es eine 20 21 d er Komponist u n d d ie Ur au f f ü hr u ngsso l istin seines K l av ierkonzerts in G - D u r : M au ri c e R av e l u n d M a rg u erite Long 4. SYMPHONIEKONZERT Gegenwelt zu der urbanen Eleganz Das G-Dur-Konzert ist ein sehr des Seitenthemas, und wenn es schwieriges Werk, vor allem wegen nicht ins Baskenland verweist, dann des zweiten Satzes, wo der Solist zurück in die märchenhaften Gekeine einzige Ruhepause hat. filde der »Ballets russes« im Paris Ich sprach mit Ravel über meine um 1912, zu Ravels eigenen KomFurcht, nach dem so phantasiepositionen oder zu Igor Strawinskys vollen und brillant orchestrierten Märchenfigur Petruschka. ersten Satz auf dem Piano allein die Der zweite Satz dagegen Kantabilität der Melodie während entführt in die zurückgezogene, einer so ausgedehnten und langsam stille Welt eines Zimmers. Das Orfließenden Phrase nicht fortfühchester schweigt und das Klavier ren zu können. »Diese fließende spielt eine raffiniert einfache Musik, Phrase!«, rief Ravel. »Wie habe ich aus der Wolfgang Amadeus Mozart daran gearbeitet, Takt für Takt! Ich und Erik Satie gleichermaßen grübin fast daran verzweifelt!« ßen. Die erste Hälfte dieses Klaviersolos ist wieder rein diatonisch, Marguerite Long erst dann treten sehr sparsam Versetzungszeichen dazu. Die Melodie entwickelt sich zunächst ganz engräumig, traumverloren, wie tastend. Verfremdend wirkt die Begleitung, in der, wenn man die Vorstellung einer traumartigen Atmosphäre ernst nimmt, der Freud’sche Begriff der Verschiebung ganz wörtlich genommen erfahrbar wird. Das vertraute Muster »um-ta-ta, um-ta-ta« erscheint hier ganz schematisch durchgeführt, aber gegenüber der Melodie konsequent verschoben und durch Ravels ungewöhnliche Notation nochmals verunklart. Im Schlusssatz wird mit einem Trommelwirbel die Stimmung des ersten Satzes wieder aufgenommen. Das Klavier setzt mit virtuosen Fanfaren ein, es dominieren kleine rhythmische Zellen wie im Eingangssatz, ein perkussiver Impuls ergreift Klavier und Orchester. Hörner und Trompeten erinnern an Gesten der Jagdmusik, so dass nach den Straßen der Großstadt und der Zurückgezogenheit des Zimmers jetzt eine von fröhlichen Menschen belebte Naturszenerie heraufbeschworen wird. Ravel nannte sein G-Dur-Konzert »ein Konzert im echten Sinne des Wortes: ich meine damit, dass es im Geiste der Konzerte von Mozart und Saint-Saëns geschrieben ist. Eine solche Musik sollte meiner Meinung nach aufgelockert und brillant sein und nicht auf Tiefe und dramatische Effekte abzielen. Man hat von bestimmten großen Klassikern behauptet, ihre Konzerte seien nicht ›für‹, sondern ›gegen‹ das Klavier geschrieben. Dem stimme ich gern zu. Ich hatte eigentlich die Absicht, dieses Konzert mit ›Divertissement‹ zu betiteln. Dann aber meinte ich, dafür liege keine Notwendigkeit vor, weil eben der Titel ›Concerto‹ hinreichend deutlich sein dürfte.« M au ri c e r av e l a m K l av ier mit Va s l av N i j insky (Pa ris , 1911) 22 23 M a rtin Wi l kening 4. SYMPHONIEKONZERT Hélène Grimaud Klavier S ie ist eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Musikwelt, rund um den Globus begeistert Hélène Grimaud ihr Publikum. Die Ausnahmepianistin tritt mit den international führenden Orches­ tern auf, gibt Recitals in den wichtigsten Musikmetropolen und gastiert als leidenschaftliche Kammermusikerin bei den renommierten Musikfestivals. Vor ihren Auftritten mit Ravels Klavierkonzert bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden war Hélène Grimaud in dieser Saison u.a. im Amsterdamer Concertgebouw, im Eröffungskonzert des neuen Konzerthauses im norwegischen Stavanger und in der Tonhalle Zürich zu erleben, mit den Wiener Philharmonikern unter Andris Nelsons konzertierte sie in München, Paris und Wien. Noch im Dezember wird sie mit der Cellistin Sol Gabetta Konzerte in Deutschland und Frankreich geben, das gemeinsam eingespielte Album »Duo« erschien 2012. Eine Asien-Tournee Hélène Grimauds mit Konzerten und Recitals in China, Singapur, Malaysia, Japan und Südkorea folgt im neuen Jahr, ehe die Pianistin mit dem London Philharmonic Orchestra und Vladimir Jurowski in der Schweiz und in New York zu Gast ist. Einen Schwerpunkt in Hélène Grimauds künstlerischen Aktivitäten der nächsten Spielzeit wird die Musik von Brahms bilden, auch können sich Musikliebhaber auf die Veröffentlichtung ihrer Einspielungen der Brahms-Konzerte mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und den Wiener Philharmonikern freuen. Ferner wird Hélène Grimaud diese Kompositionen mit dem Philharmonia Orchestra, dem City of Birmingham Symphony Orchestra, der Tschechischen Philharmonie, dem San Francisco Symphony Orchestra oder auch mit dem Philadelphia Orchestra zur Aufführung bringen. Mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden hat die Exklusivkünstlerin der Deutschen Grammophon bereits zwei Aufnahmen vorgelegt: Beethovens fünftes Klavierkonzert unter Vladimir Jurowski (2006) und das Klavierkonzert von Schumann unter Esa-Pekka Salonen (2005). Hélène Grimaud erhielt eine Vielzahl an Auszeichnungen, darunter den Preis der Dresdner Musikfestspiele (2012), den Bremer Musikfest-Preis (2009), den »Victoire d’honneur« bei den Victoires de la Musique (2004) sowie den »ECHO Klassik«, letzteren u.a. in der Kategorie »Instrumentalist des Jahres« (2005). Die Französin trat als erfolgreiche Buchautorin in Erscheinung und engagiert sich für zahlreiche gemeinnützige Zwecke, so für das Wolf Conservation Center, das sie 1999 im US-Bundesstaat New York gründete, für den Worldwide Fund for Nature sowie für Amnesty International. 24 25 4. SYMPHONIEKONZERT Maurice Ravel * 7. M ä rz 18 7 5 in Ci b o u re (S ü d f r a nkrei c h) † 2 8 . Dezem b er 19 37 in Pa ris »Daphnis et Chloé«, Ballett in einem Akt und drei Teilen für Chor und Orchester entsta n d en l i b retto vermutlich ab Juni 1909, Fertigstellung am 5. April 1912 von Michail Fokine und Maurice Ravel, basierend auf einem Hirtenroman des Dichters Longos ge w i d met Serge Diaghilew (1872-1929), Gründer und Direktor der »Ballets russes« u r au f ge f ü hrt am 8. Juni 1912 im Théâtre du Châtelet in Paris (getanzt durch die »Ballets russes« mit Vaslav Nijinsky als Daphnis und Tamara Karsawina als Chloé, Dirigent: Pierre Monteux, Choreografie: Michail Fokine, Ausstattung und Kostüme: Léon Bakst) Besetz u ng Gemischter Chor, Piccolo, 2 Flöten, Altflöte, 2 Oboen, Englischhorn, Es-Klarinette, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, 2 Harfen, Celesta, Streicher, Bühnenmusik (Horn, Trompete) Ver l ag Durand, Paris Dau er ca. 60 Minuten 26 27 Klangphantasien Der Antike Ravels »Daphnis et Chloé« Ü ber sein Ballett »Daphnis et Chloé«, 1912 fertiggestellt, schrieb Maurice Ravel, seine Absicht sei es gewesen, »ein breites mu­sikalisches Fresko zu komponieren, weniger bedacht auf Archaismus als auf Treue gegenüber dem Griechenland meiner Träume, das eher jenem verwandt ist, wie es die französischen Maler vom Ende des 18. Jahrhunderts sich vorgestellt und geschildert haben«. Was Ravel über seine Komposition sagte, gilt erst recht für das Libretto, das im Wesentlichen von ihm stammt und das insofern ebenfalls wie ein Fresko wirkt, als es auf eine ganze Reihe an Handlungsfäden und verwickelten Zügen der literarischen Vorlage verzichtet. Grundlage von Ravels Adaption war der Roman des antiken Dichters Longos aus dem späten 2. oder frühen 3. nachchristlichen Jahrhundert. Aus den vier Kapiteln bei Longos wurde bei Ravel ein Einakter in drei Teilen, der Wechsel der Jahreszeiten mit seinen detaillierten Beschreibungen der Landschaft ist auf zwei Tage und eine Nacht zusammengezogen. Longos brauchte den langen Zeitraum, um Analogien zwischen den Zyklen der Natur und der Entwicklung der Liebe zwischen Daphnis und Chloé zu entfalten, zwei heranwachsenden Hirtenkindern, die von klein auf anein­ ander gewöhnt sind und nun zu begreifen versuchen, was in ihnen als Verliebte vorgeht und auf was ihr bisher unbekanntes Verlangen eigentlich zielt. Diese auf poetische Weise unbestimmte Liebesempfindung der jungen Leute wird als eine eigene Welt dargestellt. Dorcon, dem Kuhhirten, gelingt es nicht, die Schäferin Chloé für sich gewinnen, aber Daphnis fällt bei Longos, in aller Unschuld, natürlich auf die Verführungskünste der Stadtbewohnerin Lyceion herein. Er meint sogar noch, Chloé eine Freude zu bereiten, wenn er ihr von seiner neuen Erfahrung erzählt. 4. SYMPHONIEKONZERT Die Romanvorlage des Longos Wiederentdeckt wurde Longos’ Roman für die Neuzeit in Frankreich. Die erste Übersetzung erschien 1559 in Paris. Zahlreiche weitere Übersetzungen und Bearbeitungen folgten. Von Ravel ist überliefert, dass er bei antiken Texten die Ausgaben des 18. Jahrhunderts mit ihrem Geschmackskostüm der damaligen Mode bei weitem den textreueren Versionen seiner Zeit vorzog. Er hatte kein spezielles Interesse an der Antike, ganz im Gegensatz zum russischen Tänzer Michail Fokine (1880-1942), der zu den Künstlern gehörte, die der Ballettproduzent Serge Diaghilew in Paris um sich versammelte. Seit 1909, seit der Gründung der Tanztruppe, arbeitete Fokine für Diaghilews »Ballets russes« als Choreograf. Es ist wahrscheinlich, dass die Idee zu dem Ballett »Daphnis et Chloé« von Fokine ausging, war er es doch, der sich mit diesem Stoff schon jahrelang beschäftigte. In einer Buchhandlung in St. Petersburg hatte er zufällig eine russische Neuausgabe des Romans entdeckt und 1904 den Plan entwickelt, mit Hilfe dieses Stoffes ein Ballett zu schaffen, das durch seine Besinnung auf die Antike dem akademisch erstarrten Tanzstil seiner Zeit eine neue Wahrheit des Ausdrucks verleihen könnte. In St. Pe­tersburg war es jedoch aussichtslos, diese Ideen zu verwirklichen. Auch in Paris stand das Ballett zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Hintergrund des aktuellen Kunstinteresses. Anti-akademische Stoffe gehörten daher von Anfang an zu Diaghilews Programm einer Erneuerung des Tanzes: in Strawinskys »Feuervogel« und »Petruschka« durch den Rückgriff auf die russische Sagen- und Märchenwelt, ähnlich wie in Ravels Ballettfassung von »Ma mère l’oye« die Märchen aus Charles Perraults Sammlung als Stoff dienten. Weiter in die Mythologie zurück führte Strawinskys »Le Sacre du printemps«, dessen archaische Hirtenwelt ein Jahr nach Ravels »Daphnis et Chloé« auf die Bühne der »Ballets russes« kam. Ravels »Daphnis« und Debussys »Prélude« Die Anlehnung an die griechische Antike teilt Ravels Ballett direkt mit Claude Debussys »Prélude à l’après-midi d’un faune«, obwohl in diesem Werk alles Stoffliche zugunsten eines sinnlich aufgeladenen erotischen Stimmungsbildes zurücktritt. Bereits Jahre zuvor als reines Konzertstück entstanden, brachte Diaghilew das Debussy’sche »Prélude« 1912 als Tanzstück heraus, nur wenige Tage vor Ravels »Daphnis«, bei dessen Uraufführung am 8. Juni 1912 Debussys Opus zudem wiederholt gezeigt wurde. Die Ballettfassung des »Prélude« war ein Tanzsolo des wie ein Blitz in Paris einschlagenden Vaslav Nijinsky (1889-1950), voll skandalös provokanter Sinnlichkeit, mit neuartigen Bewegungen und von einer faszinierend verstörenden Androgynität der Erscheinung dieses Tänzers. Demgegenüber 28 29 wirkte Fokines Choreografie zum »Daphnis«-Ballett eher konventio­ nell. Nijinsky tanzte aber auch hier in der männlichen Hauptrolle, und Ravel hatte sich für seine Musik zum ersten Solotanz des Daphnis, bei dem dieser gegen seinen Rivalen antritt, direkt von Nijinskys Bewegungen inspirieren lassen – mehr vielleicht als durch das Libretto. Ravels Freund Dimitri Calvocoressi berichtete: »In ›Le Pavillon d’Armide‹, einem anderen Ballett, das Diaghilew in dieser Saison herausgebracht hatte, vollführte Nijinsky in einem Solopart einen wunderbaren Sprung, von dem Ravel restlos begeistert war. Um dem Tänzer Gelegenheit zu i d eenge b er f ü r » da phnis et c h lo é« ähnlichen Sprüngen zu geben, a l s B a l l ett: M i c h a i l Fokine hatte Ravel die Takte nach dem Schema ›Lauf mit anschließender langer Pause‹ angelegt, ein Muster, von dem Daphnis’ Tanz im ersten Bild durchgängig geprägt ist.« Insgesamt aber war die Zusammenarbeit zwischen Ravel und Fokine von gegenseitigem Misstrauen und Unverständnis geprägt. Nach Vollendung der dreijährigen Arbeit schrieb Ravel an den Direktor der Pariser Oper: »›Daphnis et Chloé‹ war für mich eine so ununterbrochene Tortur, dass mir vorerst jede Lust auf ein ähnliches Unternehmen vergällt ist.« 1909 hatte die Arbeit an dem Stück begonnen, Diaghilew wollte es eigentlich schon 1910 herausbringen. Bereits die gemeinsame Arbeit am Szenario war von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Ravel und Fokine geprägt, bei denen als Übersetzer auch der Bühnenmaler Léon Bakst gleich mit verschlissen wurde. Fokine reduzierte später in seiner Autobiografie rückblickend die Unstimmigkeiten weitgehend auf die Piratenszene des 1. Bildes, die er sich breiter ausgemalt wünschte, während Ravel nur etwas von einem blitzartigen Überfall wissen wollte. »Griechenland der Träume« Tatsache ist aber, dass von Fokines Wiederbelebung der Antike kaum etwas in dem Libretto übrig geblieben ist. Ravel sprach nicht ohne Grund von einer Umgestaltung zum »Griechenland meiner Träume«, für das ihm 4. SYMPHONIEKONZERT 30 die Kunst des 18. Jahrhunderts die Bilder lieferte. Und tatsächlich fand er in dieser Stilisierung ein Mittel, um alle unmittelbaren Leidenschaften zu verwandeln, die Nacktheit in Kostüme zu stecken. Diese Auflösung des direkten Begehrens in die Ironie (wie in der Verführungsszene Lyceions im 1. Bild) oder in ein stilisiertes Spiel wie in der Pantomime des 3. Bildes, das die Erfüllung eines »Pas de deux« vorenthält, verlagert auch die bewegendsten Momente des Stückes in symbolische Naturschilderungen wie den großen Sonnenaufgang des 3. Bildes. Dieses Bild nahm mit wiederholten Umarbeitungen die meiste Zeit in Anspruch. So wissen wir aus einer Klavierfassung, dass der Schlussteil des Balletts in einer ersten Version nur halb so lang war. Als Ravel klar wurde, dass sein Ballett so schnell nicht fertig werden und zur Aufführung kommen würde, gab er noch während der Arbeit aus der bereits geschriebenen Musik eine Suite heraus, die vor der Balletturaufführung in Paris gespielt wurde. Zusammen mit einer zweiten Suite ist dies bis heute die meistgespielte »Daphnis«-Musik im Konzertsaal. dreimal geklingelt, und das VorEbenso wie Debussy war auch Ravel spiel begann gerade, als wir unein begnadeter Genießer und Feinseren Freund in festlicher Abendschmecker. Allerdings unterschied gala und mit einem länglichen sich Ravel von Debussy durch die Paket in braunem Packpapier besorgniserregenden Mengen von unter dem Arm eintreffen sahen. Mixed Pickles, Pfeffer, Senf und Während wir uns beeilten, unsere anderen anregenden Gewürzen, Plätze einzunehmen, erkundigte die er zu verschlingen in der Lage er sich sehr eindringlich nach der war, und durch seine ausgeprägte Loge von Madame Misia Sert. ›Aber Vorliebe für exotische Gerichte und Sie haben doch Ihre eigene Loge!‹, orientalische Leckereien. erwiderte ich. ›Ja, aber ich habe Misia Sert etwas mitgebracht.‹ Und Ricardo Viñes ohne Rücksicht auf Nijinsky, der gerade mit einer Ziegenherde die Bühne betrat, wickelte er sein Paket aus und präsentierte Madame Sert eine wunderbare chinesische Puppe.« Vaslav Nijinsky im Fokus Ravels »Daphnis«-Musik Diese vorgezogene Uraufführung von Musik aus seinem Ballett konnte nicht auf Diaghilews Beifall hoffen, und sie nährte sein wachsendes Misstrauen gegenüber Ravels Willen, wirklich eine Musik für die Erfordernis­ se eines Balletts zu schreiben. Er drohte dem Verlag, das ganze Projekt platzen zu lassen, und wahrscheinlich ist die Rettung des gemeinsamen Vorhabens nur dem Einfluss der Mäzenin Misia Edwards (später Misia Sert) zu danken, die einerseits zu den treuesten und uneigennützigsten Unterstützerinnen Ravels gehörte und andererseits für Diaghilews Arbeit unentbehrlich war. Diaghilew jedoch hatte mehr und mehr das Interesse an der sich hinziehenden Arbeit verloren und konzentrierte seine Energien mittlerweile auf den Tänzer Nijinsky. Fokine geriet ins Hintertreffen, und da Nijinsky durch die Arbeit an seinem Debussy-Stück völlig in Anspruch genommen war, litt auch die Einstudierung von »Daphnis et Chloé« – alles Umstände, die mit dazu führten, dass Nijinskys Faun zur Geburtsstunde eines neuen Tanzstils werden konnte, Ravels Pastoralstück jedoch nach einer bloß freundlichen Aufnahme und trotz einer großen Zahl von Vorstellungen nicht jenen intensiven Widerhall fand wie die großen Ballette Strawinskys, die Ravels Stück zeitlich umrahmen. Bei der Premiere verhielt Ravel sich so, als ob ihn das ganze Geschehen im Theater gar nichts mehr angehe. Sein Vertrauter Roland-Manuel berichtete: »Ich erinnere mich noch gut daran, wie Ravel zur Uraufführung zu spät kam. In großer Unruhe, weil wir ihn im Saal des Theaters nicht finden konnten, suchten wir die Gänge nach ihm ab. Es hatte bereits Ein Grund, der Fokine zur Wahl des Stoffes von »Daphnis und Chloé« bewegt hatte, war, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, die Absicht, »zum ersten Mal auf dem neuzeitlichen Theater die wiederauferstandene Musik des alten Griechenland erklingen zu lassen«. Für ein derart spekulatives Vorhaben war Ravel jedoch nicht zu gewinnen, so dass Fokine ihm schließlich »die völlige Freiheit in der Idee, in der Wahl der musikalischen Form, in Takt, Rhythmus und der Länge der einzelnen Teile« überlassen musste. Auffällig ist in der Verteilung der Tänze, dass die beiden Protagonisten zwar jeweils einen großen Solo-Auftritt haben – Daphnis im 1. Bild bei seinem Tanzwettstreit um Chloés Gunst und Chloé im 2. Bild, wenn sie vor den Piraten tanzt. Der fällige »Pas de deux« im Schlussbild erscheint stattdessen als Pantomime, bei der alleine Chloé als Handelnde auftritt: eine Szene, die als flötenbegleitetes Solostück (mit Daphnis-Nijinsky als Flötist) fast wie eine Parodie auf Debussys Tanzsolo wirkt. Die Flöte ist das dominierende Instrument schon im Vorspiel, mehrmals erklingt sie auch auf der Bühne – der wohl einzige musikalische Tribut Ravels an eine vorgestellte griechische Antike. Punktuell mag auch die reiche und farbige Schlagzeugbesetzung an antike Darstellungen und Beschreibungen von Instrumenten erinnern: Ravel verlangt vier verschiedene Typen von Trommeln, außerdem Becken, Triangel und Kastagnetten, Glockenspiel und Celesta, Tamtam und antike Zymbeln. Außerdem kommt am Ende des 1. Bildes, als die Piraten Chloé entführen und die ganze Landschaft in einem irrealen Licht versinkt, auch eine Windmaschine zum 31 4. SYMPHONIEKONZERT Einsatz. Von entscheidenderem Einfluss auf den spezifischen Klang dieser Musik ist aber der Summchor, den Ravel immer wieder in die Instrumentalklänge mischt und am Ende des 1. Bildes unbegleitet, handlungslos, als reine Stimme der beseelten Natur erklingen lässt. In der Musik nehmen die impressionistischen Naturschilderungen einen breiten Raum ein. Es sind vor allem die Veränderungen des Lichts, die Ravels Musik mit ihrer raffinierten Klangphantasie nachzeichnet. Dem »Nocturne« am Schluss des 1. Bildes mit seinen unheimlichen Klangerscheinungen (die Windmaschine bildet nur die illustrativste von ihnen) folgt zu Beginn des 3. Bildes der Sonnenaufgang. Mit seiner weitgespannten Entwicklung eines D-Dur-Klanges zieht er viel mehr die Aufmerksamkeit auf sich als das parallel stattfindende Wiedersehen der Liebenden Daphnis und Chloé. Die reinen Tanzstücke dagegen entwerfen sehr genaue gestische Porträts der an der Handlung beteiligten Figuren. Tritt der vergebliche Liebeswerber Dorcon im kurzatmigen 2/4-Takt, begleitet von den Blechbläsern, auf, so bewegt sich Daphnis im biegsamen 6/8-Takt, den er übrigens nicht nur mit Chloé, sondern auch mit deren Rivalin Lyceion teilt, so dass nur Dorcon wirklich durch die Musik außerhalb des erotischen Kraftfeldes um Daphnis herum steht. Die Gruppentänze dienen der Darstellung religiöser Kulthandlungen (zu Beginn mit Harfe und Streichern), der ruppigen Siegesfeier der Piraten und als Bacchanal im 1. und 3. Bild der Feier freudiger Eks­ tase in der Hirtengemeinschaft. In diesem Bacchanal und seiner ausgeweiteten Wiederaufnahme am Schluss zog Ravel ungerade Taktarten heran, die die Symmetrien der kontrollierten Bewegungen aufheben. Hier, im 7/4- und im 5/4-Takt (was den Interpreten der Uraufführung einige Probleme bereitete), wagt sich die Musik am weitesten in jenen expressionistischen Gestus hinein, der ein Jahr später Strawinskys »Sacre« zum Skandal machte. In der Gesamtanlage erscheint Ravels Ballett von reizvoller Vieldeutigkeit. Es lässt sich kaum durchgehend als jene »choreografische Symphonie« hören, als die der Komponist das Werk einmal bezeichnete, dafür gibt es zu viele malerische Episoden, die aus dem Gesamtverlauf heraustreten und beim Hören ganz für sich sprechen. Andererseits aber bestimmen doch wenige zentrale Motive die Gravitationszentren dieser Musik. Allen voran steht das Liebesthema von Daphnis und Chloé, das in mannigfachen Wandlungen und Entwicklungen das Stück durchzieht. Zum ersten Mal erklingt es in der Einleitung im Solohorn nach einem stimmungshaften Flötenthema: zwar pianissimo, aber doch von entschiedener Gestik und kraftvoll geschwungener Kontur, mit zwei synkopisch akzentuierten Quintintervallen, erst abwärts, dann aufwärts und jeweils gefolgt von einem wellenartigen Ausschwingen. 32 M a rtin Wi l kening 33 Da s T h é âtre d u Ch âte l et (u m 1914) 1912 wurde in dem Pariser Theater nicht nur Ravels »Daphnis et Chloé« aus der Taufe gehoben, sondern auch Debussys »Prélude à l’après-midi d’un faune« erstmals als Ballett aufgeführt. Bei der »Daphnis«-Premiere folgten beide Werke aufeinander. 4. SYMPHONIEKONZERT »Daphnis et Chloé« Die Handlung 1. Teil Mit dem Vorspiel öffnet sich der Blick in eine liebliche Landschaft in der Nähe einer Küste. Wiesen, Felder und Hügel wechseln einander ab, im Vordergrund, am Rand eines heiligen Hains, befindet sich die Felsengrotte, die als Heiligtum des Gottes Pan und der Nymphen verehrt wird. Junge Hirten und Hirtinnen erscheinen vor der Grotte, mit Opfergaben huldigen sie ihrem Gott. Ihr ritueller Tanz bricht in dem Moment ab, in dem sie Daphnis und Chloé entdecken, den Ziegenhirten und die Schäferin, die einander lieben. Ein schnellerer Tanz verwandelt die weihevolle Stimmung in ein fröhliches Fest. Dabei treten aber auch die Rivalen der Liebenden auf, Mädchen umschwärmen Daphnis, und Chloé wird von Dorcon, dem sozial höher stehenden und etwas lebenserfahreneren Kuhhirten, umworben. Daphnis stößt Dorcon beiseite und es kommt zu einem Tanzwettstreit zwischen den beiden. Dorcon blamiert sich gehörig, mit seinem tapsigen Tanz hat er keine Chance gegen den mit geschmeidigen Läufen und Sprüngen aufwartenden Daphnis. Dieser erhält als Sieger einen Kuss, bevor die Hirtinnen Chloé fortführen. Daphnis erstarrt in einer traumartigen Ekstase als Vorahnung seiner Liebeserfüllung. In dieser Stimmung tritt Lyceion an ihn heran, eine raffinierte Rivalin der unerfahrenen Chloé, und versucht Daphnis zu verführen. Diesen rettet weniger seine Widerstandskraft als seine Naivität und ein plötzlicher Aufruhr. Piraten sind in die Idylle eingedrungen und entführen Chloé. Daphnis, der an der Grotte eine von Chloés Sandalen entdeckt, klagt vor dem Heilig­t um sein Leid. Das Licht verwandelt sich, die Statuen der Nymphen erwachen und kündigen ihm die Hilfe Pans an. Dessen Gestalt tritt aus einem Felsen hervor und die Natur erhebt in einem A-capella-Summchor ihre Stimme. 2. Teil Die Piraten feiern in ihrem Quartier mit einem wilden Kriegstanz. Chloé soll für Bryaxis, den Anführer, tanzen. Widerwillig kommt sie der Forderung nach, weil sie hofft, dadurch ihre Freiheit wiedererhalten zu können. Sie ist erschöpft und niedergeschlagen, und ihr Tanz zeigt diese Stimmung zwischen Verzweiflung und Hoffnung durch den Wechsel zwischen mäßigen und 34 35 V E R FÜ H R U N G S S Z E N E : LYc e I O N (O LG A M E L N I KOVA ) U N D DA P H N I S (O R D E P C H ACO N) I N D E R C H O R E O G R AF I E VO N J O H N N E U M E I E R A N D E R d res d ner S E M P E R O P E R ( 2 0 0 4). langsamen Passagen. Plötzlich dringen mysteriöse und furchteinflößende Klänge in die Szene hinein und es erscheinen die Gesandten des Pan, Satyrn und andere fantastische Kreaturen. Es blitzt, die Erde bricht auf und die Piraten fliehen, als sie schattenhaft die riesige Gestalt des Pan erblicken. 3. Teil Nacht liegt über der lieblichen Landschaft der Hirten. Bäche von Tau rieseln murmelnd über die Felsen. Langsam kommt der Morgen. Daphnis beweint das Schicksal Chloés. Die Sonne geht auf und man hört die Vögel singen, die Schäfer beginnen ihr Tagwerk. Da erscheint die befreite Chloé in Gesellschaft von Schäferinnen. Ein Hirte erklärt, warum Pan das Liebespaar wieder zusammengeführt hat: Er erinnerte sich an seine eigene unglückliche Liebe zu der Nymphe Syrinx. Aus der vergeblichen Suche nach ihr, die sich fliehend in ein Schilfrohr verwandelt hatte, entstand das Instrument, das seiner Sehnsucht Ausdruck verlieh, die Panflöte. Daphnis und Chloé spielen diese Szene als Pantomime nach, Chloé ist die Nymphe, Daphnis begleitet ihren Tanz auf der Flöte. Zum Schluss fällt sie ihm in die Arme. Nymphen und Bacchantinnen und junge Männer versammeln sich zum abschließenden Bacchanal, auf dem in fröhlichem Tumult das junge Paar gefeiert wird. M a rtin Wi l kening 4. SYMPHONIEKONZERT MDR Rundfunkchor Leipzig E inst u d ier u ng : Denis Comtet D er MDR Rundfunkchor hat seit vielen Jahren seinen festen Platz in der Reihe europäischer Spitzenchöre. Er ist der größte und traditionsreichste Chor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und gilt unter Experten als einer der besten. Dirigenten wie Herbert von Karajan, Kurt Masur, Sir Colin Davis, Claudio Abbado, Sir Simon Rattle, Sir Neville Marriner, Seiji Ozawa, Lorin Maazel, Bernard Haitink, Riccardo Muti, Georges Prêtre oder Sir Roger Norrington haben dem MDR Rundfunkchor ihre Reverenz erwiesen. Regelmäßig konzertiert der Chor gemeinsam mit dem MDR Sinfonieorchester unter Leitung seines neuen Chefdirigenten Kristjan Järvi. Dass der Chor nicht nur exzellenter Partner der großen internatio­ nalen Symphonieorchester ist, hat er mit weithin beachteten A-cappellaInterpretationen vielfach unter Beweis gestellt. Weltliche und geistliche Musik, Ensemblegesang und Chorsymphonik gehören gleichermaßen zu seinem Repertoire, das beinahe ein Jahrtausend Musikgeschichte umspannt. Als Spezialensemble für zeitgenössische Musik haben sich die 73 Choristen durch zahlreiche Ur- und Erstaufführungen einen Namen gemacht. Seit 1998 leitet Howard Arman den Chor. In der Reihe seiner Vorgänger finden sich berühmte Namen wie Herbert Kegel, Wolf-Dieter Hauschild, Jörg-Peter Weigle und Gert Frischmuth. Nahezu 200 Schallplatten und CDs hat das Ensemble in seiner über 60-jährigen Geschichte aufgenommen. 2002 wurde die Einspielung von Sergej Rachmaninows »Vesper«, 2005 die von Carl Heinrich Grauns Passionsoratorium »Der Tod Jesu« mit dem ECHO-KlassikPreis ausgezeichnet. Über die Europäische Rundfunkunion wie auch auf Tourneen und Gastspielen ist der Chor weltweit zu hören und übernimmt mit seiner künstlerischen Arbeit die Funktion eines musikalischen Botschafters. Seit Jahrzehnten arbeitet die Sächsische Staatskapelle Dresden in Konzerten und Aufnahmen eng mit dem MDR Rundfunkchor zusammen. Zuletzt waren die Sängerinnen und Sänger 2011 in einem Konzert anlässlich des 225. Geburtstags von Carl Maria von Weber mit der Staatskapelle in der Semperoper zu erleben, am Dirigentenpult stand Manfred Honeck. Im Jahr zuvor trat der Chor mit der Staatskapelle in der Dresdner Frauenkirche auf: im Rahmen eines Konzertes unter Daniel Harding zum 200. Geburtstag von Robert Schumann. 36 37 4. SYMPHONIEKONZERT 4. Symphoniekonzert 2012 | 2013 Orchesterbesetzung 1. Violinen Bratschen Roland Straumer 1. Konzertmeister Michael Eckoldt Jörg Faßmann Federico Kasik Volker Dietzsch Johanna Mittag Birgit Jahn Anja Krauß Anett Baumann Roland Knauth Anselm Telle Sae Shimabara Renate Peuckert Lenka Matejáková** Annekatrin Rammelt* Anna Kießling* 2. Violinen Heinz-Dieter Richter Matthias Meißner Annette Thiem Jens Metzner Ulrike Scobel Olaf-Torsten Spies Elisabeta Schürer Emanuel Held Kay Mitzscherling Ting Hsuan Hu Paige Kearl Dietrich Reinhold* Steffen Gaitzsch* Nicole Amal Reich* 38 39 Konzertmeister Flöten Gerd Grötzschel* S o lo Andreas Schreiber Anya Muminovich Michael Horwath Ulrich Milatz Wolfgang Grabner Zsuzsanna Schmidt-Antal Susanne Neuhaus Ekaterina Zubkova** Albrecht Kunath* Elke Bär* Ivan Bezpalov* Rozália Szabó S o lo Bernhard Kury Britta Croissant* Dóra Varga** Oboen Bernd Schober S o lo Andreas Lorenz Michael Goldammer Klarinetten Violoncelli Friedwart Christian Dittmann Tom Höhnerbach Martin Jungnickel Uwe Kroggel Andreas Priebst Bernward Gruner Jörg Hassenrück Jakob Andert Achim Melzer* Michael Peternek* Kontrabässe Georg Kekeisen* S o lo Martin Knauer Torsten Hoppe Fred Weiche Reimond Püschel Thomas Grosche Johannes Nalepa Michael Patzelt** S o lo Ulrich Pluta S o lo Egbert Esterl Jan Seifert Christian Dollfuß Fagotte Joachim Hans S o lo Joachim Huschke Andreas Börtitz Simon Rothe* Hörner Robert Langbein S o lo Andreas Langosch Harald Heim Miklós Takács Eberhard Kaiser Posaunen Uwe Voigt S o lo Jürgen Umbreit Frank van Nooy Tuba Jens-Peter Erbe S o lo Pauken Bernhard Schmidt S o lo Schlagzeug Christian Langer Frank Behsing Jürgen May Dirk Reinhold Stefan Seidl Jakob Eschenburg** Alexej Bröse* Timo Schmeichel* Johann-Georg Baumgärtel* Harfen Vicky Müller S o lo Astrid von Brück S o lo Celesta Ellen Rissinger Trompeten Tobias Willner S o lo Viktor Spáth S o lo Peter Lohse Siegfried Schneider Christian Wenzel** * a l s G a st ** a l s Ak a d emist 4. SYMPHONIEKONZERT Vorschau Silvesterkonzert der Staatskapelle Dresden I n Z u s a mmen a r b eit mit d em Z DF S onntag 3 0 .12 .12 2 0 Uhr Wertsteigerung + Musikfreude pur ein Leben lang M ontag 31.12 .12 17.15 Uhr S emperoper Dres d en Christian Thielemann Dirigent Diana Damrau Sopran Piotr Beczala Tenor Sächsischer Staatsopernchor Dresden Höhepunkte aus Operetten von Emmerich Kálmán 5. Symphoniekonzert S onntag 6 .1.13 11 Uhr M ontag 7.1.13 2 0 Uhr Dienstag 8 .1.13 2 0 Uhr S emperoper Dres d en Myung-Whun Chung Dirigent Olivier Messiaen »L’Ascension« für Orchester Gustav Mahler Symphonie Nr. 1 D-Dur Kostenlose Einführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Opernkeller der Semperoper 4. Kammerabend M itt wo c h 9.1.13 2 0 Uhr S emperoper Dres d en Myung-Whun Chung Klavier Robert Langbein Horn Arabella Quartett Comeniusstr. 99 - 01309 Dresden Tel.: 0351-268 95 15 - Fax: 0351-268 95 16 Flügel - Klaviere - Digitalpianos [email protected] - www.piano-gaebler.de Robert Schumann Adagio und Allegro für Horn und Klavier op. 70 Hans Werner Henze Streichquartett Nr. 3 Johannes Brahms Klavierquintett f-Moll op. 34 4. SYMPHONIEKONZERT I mpress u m Sächsische Staatskapelle Dresden Künstlerische Leitung/ Orchesterdirektion Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Spielzeit 2012|2013 Herausgegeben von der Sächsischen Staatsoper Dresden © November 2012 R e da ktion Dr. Torsten Blaich G esta lt u ng u n d L ayo u t schech.net Strategie. Kommunikation. Design. Christian Thielemann Chefdirigent Katrin Schirrmeister Persönliche Referentin von Christian Thielemann Jan Nast Orchesterdirektor Tobias Niederschlag Konzertdramaturg, Künstlerische Planung Union Druckerei Dresden GmbH Dr. Torsten Blaich Programmheftredaktion, Konzerteinführungen Anzeigen v ertrie b Matthias Claudi PR und Marketing Dr u c k EVENT MODULE DRESDEN GmbH i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH Telefon: 0351/25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de Bi l d n ac h w eise Thomas Müller (S. 5); Bilder einer Metropole, Die Impressionisten in Paris, hrsg. vom Museum Folkwang, Göttingen 2010 (S. 6/7); Paul Yates (S. 8); Horst Keller: Edouard Manet, München 1989 (S. 9); Alphonse Liébert (S. 10); François Lesure: Claude Debussy, Lettres 1884-1918, Paris 1980 (S. 15, 16); Roger Nichols: Maurice Ravel im Spiegel seiner Zeit, Zürich/St. Gallen 1990 (S. 21); Lydia Wolgina u.a.: Michail Fokin, Gegen den Strom, Berlin 1974 (S. 22, 29); Mat Hennek/DG (S. 25); Yan Terrien (S. 33); Matthias Creutziger (S. 35); MDR/Martin Jehnichen (S. 37). T e x tn ac h w eise VARIATIONEN EINES THEMAS Agnes Monreal Assistentin des Orchesterdirektors Sarah Niebergall Orchesterdisponentin Matthias Gries Orchesterinspizient Agnes Thiel Friederike Wendler Mathias Ludewig Notenbibliothek Ob Computer, Tablet oder Smartphone – die neue Website der Staatskapelle macht auf jedem Gerät eine gute Figur. Die Texte von Tobias Niederschlag, Martin Wilkening und Dr. Torsten Blaich sind Originalbeiträge für die Publikationen der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. w w w. sta atsk a pe l l e - d res d en . d e 42 W W W. STA AT SK A PELLE- D R E SD EN .D E 4 MF