Zeitinsel II – Béla Bartók 18.01. – 22.01.2011 · 20.00 Uhr So klingt nur Dortmund. Béla Bartók Abo: Zeitinsel II – Béla Bartók In unserem Haus hören Sie auf allen Plätzen gleich gut – leider auch Husten, Niesen und Handyklingeln. Ebenfalls aus Rücksicht auf die Künstler bitten wir Sie, von Bild- und Tonaufnahmen während der Vorstellung abzusehen. Wir danken für Ihr Verständnis! 2,50 E 4I 5 Kammerkonzert I Orchesterkonzert I Dienstag, 18.01.2011 · 20.00 Mittwoch, 19.01.2011 · 20.00 Marta Sebestyén Sopran · István Kádár Violine · Jenő Jandó Klavier · Vince Danhauser Kontrabass · Ferenc Zimber Cymbal · Eckhardt Streichquartett: Violetta Eckhardt Violine, Gábor Sipos Violine, Cecília Bodolai Viola, Rita Sovány Violoncello · Iván Fischer Moderation Budapest Festival Orchestra · Iván Fischer Dirigent Abo: Orchesterzyklus II – Meisterkonzerte Abo: Solisten II – Höhepunkte der Kammermusik Volkstümlich Hörbeispiele aus Original-Volksliedaufnahmen Bartóks Volkslieder aus Bartóks Sammlung Béla Bartók (1881 – 1945) Rhapsodie für Violine und Klavier Nr. 1 Sz 86 (1928) und Ursprünge ihrer Melodien Lassú. Moderato Friss. Allegretto – Pause ca. 20.50 Uhr – Béla Bartók Klavierquintett (1904) Andante Vivace scherzando Adagio molto Poco a poco più vivace – Ende ca. 22.00 Uhr – Igor Strawinsky (1882 – 1971) Scherzo à la Russe (1944) Fassung für Orchester Tango (1899) Fassung für Kammerorchester Joseph Haydn (1732 – 1809) Sinfonie Nr. 92 G-Dur Hob. I:92 (1789) »Oxford« Adagio – Allegro spiritoso Adagio Menuett. Allegretto – Trio Finale. Presto – Pause ca. 20.40 Uhr – Béla Bartók (1881 – 1945) Konzert für Orchester Sz 116 (1943) Introduzione. Andante non troppo – Allegro vivace Giuoco delle coppie. Allegretto scherzando Elegia. Andante non troppo Intermezzo interrotto. Allegretto Finale. Pesante – Presto – Ende ca. 21.50 Uhr – Moderiertes Konzert mit Iván Fischer Botschafter des Konzerthaus Dortmund Programm Kammerkonzert II Orchesterkonzert II – Herzog Blaubarts Burg Donnerstag, 20.01.2011 · 20.00 Freitag, 21.01.2011 · 20.00 Barnabás Kelemen Violine · Katalin Kokas Violine · Ákos Ács Klarinette · Jenő Jandó Klavier · Ádám Balogh Klavier · Opern-Kinderchor, Mädchenchor und Jugend-Kammerchor der Chorakademie am KONZERTHAUS DORTMUND · Zeljo Davutovic Einstudierung István Kovács Herzog Blaubart · Ildikó Komlósi Judith · Budapest Festival Orchestra · Iván Fischer Dirigent Béla Bartók (1881 – 1945) »Kontraste« für Violine, Klarinette und Klavier Sz 111 (1938) Verbunkos. Moderato ben ritmico Pihenõ. Lento Sebes. Allegro vivace Duos für zwei Violinen Sz 98 – Auszüge (1931) 27 zwei- und dreistimmige Chöre Sz 103 – Auszüge (1935) – Pause ca. 20.50 Uhr – Béla Bartók »Gyermekeknek« (»Für Kinder«) Sz 42 – Auszüge (1908) Joseph Haydn (1732 – 1809) Sinfonie Nr. 102 B-Dur Hob. I:102 (1795) Largo – Vivace Adagio Menuett. Allegro – Trio Finale. Presto – Pause ca. 20.30 Uhr – Béla Bartók (1881 – 1945) »A kékszakállú herceg vára« (»Herzog Blaubarts Burg«) Sz 48 (1911) Oper in einem Akt (Konzertante Aufführung in ungarischer Sprache mit deutschen Übertiteln) – Ende ca. 22.00 Uhr – »Magyar népdalok« Sz 93 (Vier Ungarische Volkslieder – Auszüge) (1930) »Négy Tót Népdal« Sz 70 (Vier slowakische Volkslieder – Auszüge) (1917) – Ende ca. 21.45 Uhr – Einführung mit Ulrich Schardt um 19.15 Uhr im Komponistenfoyer 86II79 Programm Orchesterkonzert III Samstag, 22.01.2011 · 20.00 Béla Bartók Rumänischer Tanz für Orchester Sz 47a (1911) Igor Strawinsky (1882 – 1971) Budapest Festival Orchestra · Iván Fischer Dirigent · Dejan Lazić Klavier Volkstümlich Volksmusik-Ursprünge der Rumänischen Volkstänze Sz 68 Béla Bartók (1881 – 1945) Rumänische Volkstänze Sz 68 (1917) Der Tanz mit dem Stabe. Allegro moderato Brâul. Allegro Der Stampfer. Andante Tanz aus Butschum. Molto moderato Rumänische Polka. Allegro Schnelltanz. Allegro Franz Liszt (1811 – 1886) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Dur (1832/1855) Allegro maestoso Quasi adagio Allegretto vivace Allegro marziale animato »Le sacre du printemps« (»Das Frühlingsopfer«) (1913) Erster Teil: ›L’adoration de la terre‹ (›Die Anbetung der Erde‹) ›Introduction‹ ›Les augures printaniers: Danses des adolescentes‹ (›Die Vorboten des Frühlings: Tänze der jungen Mädchen‹) ›Jeu du rapt‹ (›Entführungsspiel‹) ›Rondes printanières‹ (›Frühlingsreigen‹) ›Jeux des cités rivales‹ (›Spiele rivalisierender Stämme‹) ›Cortège du sage‹ (›Zug des Weisen‹) ›Le sage‹ (›Der Weise‹) ›Danse de la terre‹ (›Tanz der Erde‹) Zweiter Teil: ›Le sacrifice‹ (›Das Opfer‹) ›Introduction‹ ›Cercles mystérieux des adolescentes‹ (›Mystischer Reigen junger Mädchen‹) ›Glorification de l’élue‹ (›Verherrlichung der Auserwählten‹) ›Evocation des ancêtres‹ (›Anrufung der Ahnen‹) ›Action rituelle des ancêtres‹ (›Rituelle Handlung der Ahnen‹) ›Danse sacrale: L’élue‹ (›Opfertanz: Die Auserwählte‹) – Ende ca. 21.50 Uhr – – Pause ca. 20.40 Uhr – Einführung mit Bjørn Woll (Fono Forum) um 19.15 Uhr im Komponistenfoyer 10 I 11 Programm 12 I 13 8I9 Avantgardist und Klangsucher Der Komponist Béla Bartók »Ich bin 1881 in Nagyszentmiklós geboren. Mit 3 Jahren begann ich zu trommeln, mit 4 Jahren Klavier zu spielen, mit 8 Jahren zu komponieren. Meine erste Lehrerin war meine Mutter; später in Pressburg László Erkel, bis ich endlich, nach der Reifeprüfung, nach Budapest zu Koeszler und Thomán kam. Nach Beendigung meiner Musikstudien versuchte ich mein Glück daheim und in der Fremde als Konzertspieler. Dazu hatte ich jedoch nicht genug innere Ruhe und Körperkraft, also musste ich mich zur pädagogischen Tätigkeit entschließen; so kam ich als Klavierlehrer an die Budapester kgl. Musikakademie. Inzwischen erntete ich mit meiner ersten Orchestersuite Gefallen, mit meinen Klavierstücken und meinem Streichquartett Ärgernis, was in Hinblick darauf, dass meine erste Suite keine besonders originelle Komposition ist, als ganz natürliches Ergebnis bezeichnet werden kann. Parallel mit dem Komponieren geriet ich immer tiefer in musikfolkloristische Studien – beginnend mit dem ungarischen Material, übergehend auf das der benachbarten Völker; dieser Wissenszweig ist bislang noch dermaßen verwaist, so jungfräulich, dass er sozusagen als Exotikum angesehen zu werden pflegt. Wahrscheinlich deshalb fühle ich mich so stark zu ihm hingezogen. Ich glaube, ich werde mich nicht nur auf Ungarn beschränken; vielleicht wird es mir gelingen, in weitere Fernen, auf wildere, völlig unbeschrittene Wege zu gelangen.« (Béla Bartók, aus seiner Biografie aus dem Jahre 1911, dem Kompositionsjahr von »Herzog Blaubarts Burg«) Wegen seiner »multinationalen« Musiksprache wird Bartók bereits in den 1920er-Jahren von ungarischen Chauvinisten kritisiert und später von ungarischen Nazis mundtot gemacht. Bartók emigiriert 1940 als Mann von »hohem und reinem Künstlertum« (Thomas Mann) in die USA. Seine Werke werden im nationalsozialistisch beherrschten Teil Europas nicht aufgeführt. Er stirbt 1945 und erlebt die eigentliche Entdeckung seiner Werke in Europa nicht mehr. Dazu gruppieren sich mehr als sinnfällig mit Igor Strawinsky ein weiterer Avatgardist, der ebenfalls Heimatklängen zuhörte, der sinfonische »Urvater« Joseph Haydn, der mindestens regional nahe bei Bartók zu verorten ist, und Franz Liszt, dessen Innvoationsfreude auf den Feldern der Klavier- und Orchestermusik Bartóks frühe Ausbildung beeinflusst hat. Folgen Sie den Klängen! Kammerkonzert I Volksmusik-Ursprünge der Musik Bartóks Béla Bartók und Zoltán Kodály sind die ersten Komponisten überhaupt, die in systematischer Weise und mit wissenschaftlicher Absicht die Volksmusik Ungarns und Rumäniens bzw. Transsilvaniens und der Slowakei, ja sogar Anatoliens und Nordafrikas erforschen, mit den Ohren der Komponisten hören, aufzeichnen und auch für eigene Werke nutzen. Bartóks erste Frau Márta schreibt in den Erinnerungen an ihren lange verstorbenen Mann im Jahre 1966: »Tagsüber beschäftigte er sich meistens mit der Notierung und Ordnung der auf Wachswalzen aufgenommenen Volksliedsammlungen sowie der Systematisierung der im Druck erschienenen rumänischen, slowakischen u. a. Sammlungen, ferner mit Lesen und dem Sprachstudium.« 1928/29 entstehen Bartóks zwei Rhapsodien für Violine und Klavier, die beide originale Volksmelodien enthalten – hier hat Bartók also die »abgehörte« Musik verarbeitet, ohne sie zur Kunstmusik zu veredeln. Die Musik ist entsprechend urwüchsig, kraftvoll und direkt. Ein langsamer meditativer Satz und ein charakteristischer Tanzsatz sind beiden Rhapsodien zu eigen. Die erste Rhapsodie existiert auch in einer originalen Fassung für Violoncello und Klavier. Die im Rahmen dieser Zeitinsel zu hörende Violinfassung wird am 22. Oktober 1929 von József Szigeti und Adolphe Hallis in Berlin uraufgeführt. Diese Zeitinsel stellt eine repräsentative Werkschau aus Bartóks reichem kompositorischem Schaffen dar. Klavierwerke, Kammermusik, Chormusik, das bedeutendste Orchesterwerk, seine einzige Oper und immer wieder die konzertante Frage nach den Ursprüngen der Bartók’schen Musiksprache, seinen Bezügen zur so genannten Volksmusik – diese Aspekte stehen im Vordergrund und lassen ein vielschichtiges Bild auf diesen wahren Avantgardisten der Musik des 20. Jahrhunderts zu, dessen Ohren aber nicht in elitären Zirkeln, sondern vorwiegend bei Hirten, Bauern, auf dem Lande lebenden Menschen ohne jede akademische Musikausbildung waren. Ihre Musik nimmt er nicht als folkloristische Hülle oder als kompositorisches Deckmäntelchen für nationale Klänge, nein, er hört diesen Menschen genau zu, er zeichnet die Lieder, Weisen, Tänze und Klänge auf, er dokumentiert und archiviert. Bartók nimmt diese Musik genauso ernst und wichtig, wie sie für die Menschen, die sie singen und spielen, seit Jahrhunderten ist und war. Wie Bartók dann kompositorisch mit diesen Klangerfahrungen umgeht, dies ist der lebendige Pulsschlag der Zeitinsel. 14 I 15 Werke Béla Bartók Klavierquintett (1904) Eine kompositorische Epoche im Schaffen Bartóks kommt selten zur konzertanten Aufführung – es ist die der Spätromantik, also Bartóks frühe Werke aus und kurz nach der Studienzeit an der Budapester Musikakademie. In den Jahren 1899 bis 1904 komponiert Bartók schwerpunktmäßig im spätromantischen Stil, wobei auch das Klavierquintett in seinem zweiten und dritten Satz individuell geprägte Tonschritte und Rhythmusfolgen aufweisen, die der ungarischen Volksmusik entstammen. Das Werk entsteht also genau am Wendepunkt von »akademisch-brahmsisch« geprägter deutscher Spätromantik zu Bartóks »ungarischer« Kompositionsphase. Orchesterkonzert I Igor Strawinsky Scherzo à la Russe und Tango Igor Strawinsky, dessen reiches kompositorisches Lebenswerk sich gut in verschiedene Phasen mit dominierenden Techniken und Stilelementen einordnen lässt, ist zeitlebens ein Meister des Rhythmus. Davon künden nicht nur seine weltberühmten Ballettkompositionen, sondern auch eine weitere Besonderheit: das Scherzo »an sich«, losgelöst aus seiner sinfonischen Tradition und Form. Hierfür findet nur Strawinsky kompositorische Verwendung, und ihm ist diese Satz- oder Tanzform mit ihrer traditionell knappen Gestaltung, ihrem Dreiertakt und ihrer Nähe zum Tanz so wertvoll, dass er gleich eine ganze Reihe einzelner Scherzi komponiert: das Scherzo fantastique op. 3, »Feu d’artifice« op. 4 (beide 1908) sowie das Scherzo à la Russe (1942). Strawinskys typische Stärken wie rhythmische Asymmetrien, explosive Klangausbrüche, farbige Instrumentierungsvielfalt auf engstem Raume und dynamische Schwarz-Weiß-Effekte, all diese Parameter kommen in seinen Scherzi besonders prägnant zur Klangentfaltung und lassen diese Werke blitzen, funkeln und krachen. Im Jahre 1955 setzt Strawinsky, der ein (auch kommerzieller) Meister der Mehrfachverwertung seiner eigenen kompositorischen Ideen ist, den Tango, den er 1940 für Klavier solo komponiert hat, für ein kleines Orchester mit 19 Instrumenten. Schräg, frech, jazzig und von wenig argentinischer Schwermut klingt dieser eher russisch-französische Tango. Joseph Haydn Sinfonie Nr. 92 G-Dur Hob. I:92 Die so genannte »Oxforder Sinfonie« von Joseph Haydn ist nicht zu verwechseln mit den unmittelbar darauf folgenden »Londoner Sinfonien«. Sie trägt ihren Namen lediglich auf Grund ihres Uraufführungsortes, an dem Haydn im Juli 1791 die Ehrendoktorwürde verliehen bekommt. Haydn komponiert sie noch auf Schloss Esterházy, und zwar ursprünglich für eine Konzertreihe in Paris, 16 I 17 von der er beauftragt wird, nachdem dort seine Sinfonien Nr. 82 bis 87 höchst erfolgreich zur Aufführung gelangt sind. Aufgrund der Ereignisse rund um die Französische Revolution kommt die Sinfonie dann aber nicht in Paris zu ihrer Erstaufführung. Haydn ist es gleich, er hat das Werk ohnehin schon zum zweiten Mal verkauft, was sich auch nur ein Komponist von Weltgeltung so leisten kann. Rekapituliert man die astronomisch hohe Anzahl, die Joseph Haydn der Nachwelt als sinfonischen Kosmos hinterlassen hat, und vergegenwärtigt man sich ferner, dass wir hier bei Nr. 92 angekommen sind, so wundert es nicht, vor einer schlicht perfekten Komposition zu stehen. Haydn liefert keine Fließbandware, sondern arbeitet stetig und demütig an der kontinuierlichen Verbesserung seiner sinfonischen Einfälle und Verarbeitungstechniken. Die Klarheit der Aussagen, die Knappheit der Sprache, die Perfektion der Instrumentierung, die selbstverständliche Beherrschung des kompositorischen Handwerks, der spielerische Umgang mit Dur und Moll, mit Chromatik, mit dynamischen Effekten, den Gegensätzen aus kräftigen Tutti und feiner Kammermusik aus dem Orchester heraus, dies sind – nur angedeutet – Qualitäten, die für sich, für Joseph Haydn sprechen. Zurückhaltend und von leiser Eleganz eröffnen die Streicher vorsichtig tastend die Sinfonie. Feine Chromatik schafft zusätzliche Spannung, bevor der schnelle Teil (Allegro spiritoso) des ersten Satzes beginnt. Virtuose Violinpassagen in schnellen Dur-Moll-Wechseln sorgen für Überraschungseffekte. Geradezu barocke Terassendynamik vermittelt schroffe Aufgeräumtheit. Blitzgescheite Fugati zeigen Haydn als reaktionsschnellen Handwerksmeister. Haydn erscheint als Spezialist für ökonomische Kompositionspräzision, der seine vielfältigen Einfälle auf engstem Raume entfaltet. Rhetorische Perfektion und klangliche Transparenz gehen eine spannungsreiche Verbindung ein. Der zweite Satz (Adagio) beginnt mit einem friedlich gestimmten Gesang. Das Thema wandert von den Geigen hinüber zur Flöte und darf dann von der Oboe übernommen werden. Im B-Teil werden deutliche Akzente gesetzt – strenges Moll tritt hervor, doch wird der Frieden nicht nachhaltig gestört, eher handelt es sich um eine intelligente Konversation zweier großer Geister mit im Detail voneinander abweichenden Meinungen. Einfallsreich verzögert, variiert und kammermusikalisch ziseliert verklingt der Satz. Eine scheinbar einfache thematische Verbeugung ist die bestimmende Geste des Menuetts, während das Trio leicht »deplaziert« Hörner in Synkopen hinterher pusten lässt, woraus Haydn dann ein sauberes Fugato baut. Dass Pausen das Wesentliche in der Musik darstellen, macht dieser Satz durch einige überraschende Stillstände mehr als deutlich. Ein schnell erzählter Witz, eine rasende Depesche, ein nur halb aufgefangenes Gerücht, heute würde man sagen eine Twitter-Nachricht – so könnte man das hektische Thema des vierten Satzes (Presto) kommunikativ charakterisieren. Auch hier akzentuiert Haydn seine Einfälle und Verarbeitungskünste durch knallhart gesetzte Pausen. Ein Satz, der in seiner perfekten Lapidarität nur vom Großmeister der Sinfonik, Joseph Haydn, stammen kann. Komponiere es einfach, klar und gut und nicht über vier Minuten. Dies ist keine Erfindung des Musikvideo-Zeitalters, sondern stammt von Schloss Esterházy aus dem Jahre 1788. Werke Béla Bartók Konzert für Orchester Sz 116 Wahrscheinlich ist es dem Engagement des Violinisten József Szigeti und des Dirigenten Fritz Reiner zu verdanken, dass eines der bedeutenden Orchesterwerke des 20. Jahrhunderts überhaupt zu Notenpapier gebracht worden ist. Denn diese beiden setzen sich bei der Stiftung des Dirigenten Sergej Koussevitsky für einen Kompositionsauftrag für Béla Bartók ein. Nach dessen Abschied aus dem faschistischen Ungarn im Jahr 1940 kommt seine Kompositionstätigkeit im amerikanischen Exil zum Erliegen – wohl auch aus psychischen und physischen Gründen, da Bartók schwer an Leukämie erkrankt ist. So wird das Konzert für Orchester zwischen dem 15. August und dem 8. Oktober 1943 mitten in schlimmsten Zeiten des zweiten Weltkriegs, aber eben doch geografisch weit entfernt, Bartóks erste amerikanische Komposition. Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, dass die äußerlich-biografischen Lebensumstände eines Künstlers nicht mit der Qualität und der Kraftentfaltung seiner Kunst korrelieren, vielmehr im Falle des Konzerts für Orchester extrem gegenläufig sind, so ist er mit diesem Werk erbracht. Das Konzert für Orchester ist ein multi-stilistisches Gesamtkunstwerk, Bartóks absolutes Opus summum, in dem die verschiedenen kompositorischen Einflüsse, Stil- und Ausdrucksprinzipien, heterogene Materialien und Quellen in handwerklich-ästhetischer Perfektion zu einem Ganzen werden, ohne dass auch nur im Entferntesten ein gewollter oder gezwungener Eindruck entsteht. Bartók schaut zurück auf Ungarn, seine großen Kompositionen, auf »Herzog Blaubarts Burg«, der in der Einleitung zum ersten Satz und in der ausdrucksstarken Trauermusik der Elegia anklingt. Das einleitende Andante non troppo wirkt latent bedrohlich und lauernd. Quartschichtungen in den tiefen Streichern setzen immer wieder an und scheinen von düsterer Vergangenheit zu künden. Über dem Raunen der Streicher verkünden die drei Trompeten ferne Botschaften. Bei ihrem Einsatz schreien die hohen Streicher mehr, als dass sie singen. Im Allegro vivace zeigt Bartók, dass er es mit dem Titel Konzert für Orchester ernst meint. Eigentlich alle Orchesterinstrumente dürfen sich solistisch profilieren – spannungsreich wirken die hohen Holzbläsersoli über dem bewusst tief gesetzten Streicherteppich. Der Kontrastreichtum zwischen avantgardistischer Klang- und Akkordschichtung und intimen Dialogen sorgt für hohe Aufmerksamkeit. Anschließend scheinen die Blechbläser mindestens aus Jericho zu berichten. Ein lapidares Ende zeigt an, dass dies nur eine Einleitung ist. Im »Spiel der Paare« des zweiten Satzes wird viel volksmusikalisches Material verarbeitet, das in den Klavierwerken der 1910er-Jahre beheimatet ist. Extrem spannungsreich ist auch dieser Satz mit der leisen Trommel zu Beginn. Die Holzbläserpaare unterhalten sich angeregt, während die Streicher rhythmisch markant sekundieren. Der feierliche Bläserchoral wird durch eine Jazztrommel geheimnisvoll kontrastiert und in die amerikanische Wirklichkeit Bartóks transportiert. Die 18 I 19 Kulturen begegnen sich friedlich, verschmelzen aber nicht, sondern behalten ihre Eigenständigkeit. Extrem witzig wirkt die Wiederholung des Fagottdialogs – wahrhaft scherzando. Die orchestralen Feinheiten schüttelt Bartók aus dem kompositorischen Handgelenk. Die Musik schleicht sich davon, einfach so. Die Elegia, ein Andante non troppo, steht nicht zufällig in der Mitte des Werkes. Sie ist eine moderne Musik der Trauer, Verzweiflung und inneren Einsamkeit. Auch für diese Gefühlswelten findet Bartók charakteristische Klänge: Piccoloflöte, kreischende Trompeten- und Geigenausbrüche mit Paukengrundierung. Es ist eine Musik, die in ihrer Ausdrucksstärke auf Gustav Mahler aufbaut, aber eben die historischen Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits ästhetisch-musikalisch rekapituliert. Wo soll 1943 Hoffnung sein für eine heimatlose Künstlerseele, die entwurzelt in der neuen Welt ihren künstlerischen Platz sucht? Und doch kann nur der Geist eines großen Künstlers diese Hoffnungslosigkeit auf diese Weise in etwas Absolutes, Bleibendes und für jede Zeit Gültiges transformieren. Das Intermezzo interrotto enthält rumänisch anmutendes Themenmaterial in der Oboe und eine anschließende neo-romantische, träumerische Harfen- und Streicherkantilene mit »volkstümlicher Kunstmusik« (Bartók) aus Ungarn. Eine wunderschöne Bratschenlinie über Harfenarpeggien zeigt atmosphärische Weite. Die Unterbrechung (interrotto) kommt dann als absolutes Überraschungsmoment. Der berühmte ungarische Dirigent Antal Doráti, ein Meister für Haydn, Strawinsky, Strauss, Tschaikowsky und Bartók, schreibt in seinen Erinnerungen zum vierten Satz des Konzertes: »Einige Monate nach der Uraufführung saßen Bartók und ich zusammen und plauderten. Plötzlich fragte er: ›Wissen Sie zufällig, Tony, was ich im 4. Satz des Konzertes parodiert habe?‹ Das war das Intermezzo interrotto, das unterbrochene Zwischenspiel, das aus zwei abwechselnden Melodien mit verschiedenen Rhythmen besteht, die unvermittelt durch vulgäre ›Tanzkapellenmusik‹ unterbrochen werden, wonach wieder die beiden abwechselnden Melodien einsetzen und den Satz leise zu Ende führen. Die brutale, gewöhnliche, aufdringliche Musik stellt offensichtlich eine Persiflage dar, und meine Freunde und ich hatten schon lange vermutet, was Bartók parodieren wollte. Also antwortete ich: ›Ich weiß, Maestro. »Die lustige Witwe«.‹ Dann kam eine echte Überraschung. Verdutzt fragte Bartók: ›Wer ist das denn?‹ Ich erklärte kurz, was ich meinte, und pfiff ihm den Anfang von »Heut’ geh ich zu Maxim« vor. ›Ich verstehe, was Sie meinen, aber nein, das war nicht, was ich im Sinn hatte.‹ [Anm. d. Autors: Die Mehrheit der Literatur geht dennoch weiterhin davon aus, dass hier dem von Bartók wohl verhassten Komponisten Franz Léhar und dessen Operettenkultur, die für ihn musikalischer Ausdruck der Dummheit und Brutalität des faschistischen Horthy-Ungarns ist, ein negatives Denkmal gesetzt wird.] Und dann erzählte er mir, dass es Schostakowitsch war, den er parodiert hatte…« Die parodierte Musik entstammt Schostakowitschs damals wie heute sehr populärer Sinfonie Nr. 7, der »Leningrader«, hier einem Abschnitt, der für die Brutalität der Aggressoren Werke steht, der wiederum von Bartók verspottet und von der Bühne gelacht wird – aus heutiger Wahrnehmung beinahe eine kompositorische Blasphemie. Oder doch bitterböse Doppelbödigkeit eines selbst ins ungeliebte Exil getriebenen Europäers? Das Finale zeigt sich dann von überbordender Virtuosität und überschäumender Lebensfreude. In wahnwitzigen Streicherläufen wird die Musik mechanisch an ihre Machbarkeitsgrenze geführt. Nebenbei spielt Bartók mit dem Arsenal kompositorischer Formen. Und dann gibt es vor der zum Lichte strebenden Coda noch eine echte sinfonische Reminiszenz in der Tradition der ganz großen Sinfoniker. Die bedrohlich düstere Klangfläche, die als zwölftöniger Cluster »State of the Art« repräsentiert, arbeitet sich langsam aber mit Gewissheit vom Dunkel zum Licht – eine auch klangdramaturgisch große Episode. Die strahlende Coda ist eine echte Fusion aus osteuropäischer Blechblasmusik und dem Jazz des Landes, in dem der Komponist nie heimisch werden sollte. Diese trotzig strahlende Coda erhält ihre heutige Form auf Wunsch des Dirigenten Sergej Koussevitsky erst nach der Uraufführung. Über das Konzert für Orchester schreibt der Komponist selber: »Der Titel rührt daher, dass im Laufe dieses in der Art einer Sinfonie geschriebenen Orchesterwerkes die einzelnen Instrumente und Instrumentalgruppen konzertierend oder solistisch auftreten. Die virtuose Behandlung erscheint zum Beispiel in der Durchführung des ersten Satzes (Fugato der Blechbläser), auch in einem perpetuum mobile ähnlichen Verlauf des Hauptthemas im letzten Satz (Streicher) und besonders im zweiten Satz, wo die Instrumentenpaare nacheinander mit virtuosen Phasen auftreten.« Den Charakter des Werkes als Ganzes beschreibt Bartók in der Programmnotiz zur Uraufführung am 1. Dezember 1944 in Boston durch das dortige Symphony Orchestra unter Sergej Koussevitsky so: »Die allgemeine Stimmung des Werkes repräsentiert, abgesehen von dem scherzhaften zweiten Satz, einen allmählichen Übergang von der Strenge des ersten Satzes über das schwermütige Totenlied des dritten zur Lebensbejahung des letzten.« Das Werk ist in seiner Radikalität, Modernität und kompositorischen Perfektion auf dem Gebiet der Orchesterkompositionen heute so lebendig wir vor 65 Jahren. dreiteiligen Werbetanz (Verbunkos) und ein rondoartiges Stück (Sebes). Nach der Uraufführung, die von József Szigeti, Benny Goodman und Endre Petri am 9. Januar 1939 in New York auf die Bühne gebracht wird, schreibt Bartók noch einen rondoartigen Tanz (Pihenõ), dessen Titel so viel bedeutet wie Ruhe. Die »Kontraste« unterscheiden sich jedoch nicht nur in der Anzahl der Sätze von den Rhapsodien, sondern, viel wesentlicher, ist ihr thematisches Material von der Volksmusik inspiriert als Bartóks Version der stilisierten Folklore; er vertont hier keine originalen Melodien. Bartók ist kompositorisch »auf dem Weg nach Amerika« – die Folklore weicht allmählich dem abstrakt künstlerischen Themenmaterial, welches eine Geschichte über etwas zu erzählen vermag, ohne das Original zu zitieren. Bei uns spielen Sie die erste Geige. Kammerkonzert II Béla Bartók »Kontraste« für Violine, Klarinette und Klavier Sz 111 Die »Kontraste«, ein Kammermusikwerk für die seltene, aparte Klangkombination dieser drei Instrumente, entstehen auf Anregung des großen ungarischen Violinvirtuosen József Szigeti, dem Bartók zehn Jahre zuvor seine Rhapsodie Nr. 1 gewidmet hat. Szigeti äußert auch den speziellen Wunsch, dass das neue Werk zwei eigenständige Teile enthalten solle, wie es bei den Rhapsodien der Fall ist. Bartók komponiert also zunächst zwei Sätze mit folkloristischem Kolorit, einen Deshalb berät Sie der Chef persönlich. audalis • Kohler Punge & Partner • Wirtschaftsprüfer • Steuerberater • Rechtsanwälte Rheinlanddamm 199 • 44139 Dortmund • Tel.: +49 (0)231.2255-500 • [email protected] • www.audalis.de 323010_AnzeigeGeige_audalis.indd 1 20 I 21 13.10.10 12:48 Werke Béla Bartók »Gyermekeknek« (»Für Kinder«) Sz 42 Vier Bände und ursprünglich 85 Stücke umfasst dieses Kompendium der Klaviermusik. Das Werk bildet einen Meilenstein in Bartóks künstlerischer Entwicklung. Der Komponist kommt zu der Überzeugung, dass sich die originale ungarische Volksmusik ländlichen Ursprungs von der volkstümlichen Musik des urbanen Umfelds erheblich unterscheidet. Drei verschiedene Stadien der Integration der Musik aus diesem Fundus in die Musik seiner Gegenwart sind für Bartók evident: Im ersten Fall verwendet der Komponist die originalen Weisen, im zweiten Fall imitiert er dieselben und im dritten Fall schafft er eine neue Kunstmusik, die weder Originale noch Imitationen aufweist, sondern vielmehr die ganze Atmosphäre der Volksmusik in sich trägt. Es ist nicht Musik über Musik, sondern Musik, deren spezifisches Idiom, deren sprachliche Ausformung und deren Expressivität einer klar erkennbaren kulturellen Herkunft entstammen. »Für Kinder« gehört ganz bewusst zur ersten Gruppe der originalen Volksmelodien. Bartók verwendet hier nachweislich 85 echte Weisen ungarischer (bei den ersten beiden Bänden) und slowakischer Herkunft. 1931 erläutert Bartók, dass bei diesen Werken die Melodien unverändert gesetzt, lediglich mit einer Begleitung versehen und manchmal durch Vor- und Nachspiele eingefasst sind. Die ursprüngliche Melodie füge sich, so Bartók, wie »ein Edelstein in seine Fassung«. Auch könne die Melodie die Rolle eines »Mottos« übernehmen, »das darüber oder darunter Gesetzte« sei dann die Hauptsache. Zur Charakterisierung der Werke sagt Bartók weiter: Die »eigenartige Anhäufung von Quartschritten« in den alten Melodien regt natürlich zu einer Musik an, in der dieses Intervall vorherrscht, während sich in den Originalen eben keine »stereotype Verbindung« von traditionellen Dreiklängen findet, wodurch es möglich ist, »die Melodien in mannigfaltiger Weise durch tonartlich verschieden gerichtete Akkorde hervortreten zu lassen«. Die einzelnen Werke sind in ihrer Vielschichtigkeit, individuellen Prägung, ihren ungewöhnlichen harmonischen Wendungen und interessanten Begleitstimmen ein wahrer Kosmos der technisch leicht spielbaren Klaviermusik. Bartók schafft mit »Gyermekeknek« die kompositorische Quadratur des Kreises: große Musik mit scheinbar einfachen Mitteln für große und kleine Pianisten. Wer es noch nicht gespielt hat, fange an... Orchesterkonzert II – Herzog Blaubarts Burg Joseph Haydn Sinfonie Nr. 102 B-Dur Hob. I:102 1794/95 erblickt die 102. Sinfonie Joseph Haydns das Licht des Londoner Musiklebens – zwar nicht mit einem Paukenschlag, dafür aber mit einem herabstürzenden Kronleuchter. Am 2. Februar 1795 wird die Sinfonie im Rahmen der Konzertreihe »Opera Concerts« im King’s Theatre am Haymarket uraufgeführt. Der »Morning Chronicle« berichtet am nächsten Tage: »[...] wo die neue Ouvertüre [gemeint ist die Sinfonie] komponiert von dem unnachahmlichen Haydn in meisterhaftem 22 I 23 Stil aufgeführt wurde, wie sie es ganz unbedingt verdiente. Sein Genius ist, wie wir vielfach die Gelegenheit hatten zu bemerken, unerschöpflich. In Bezug auf Harmonie, Modulationen, Melodie, Leidenschaft und Effekt ist er gänzlich unerreicht. Der letzte Satz wurde wiederholt: Und trotz einer Unterbrechung durch das plötzliche Herabfallen eines der Kronleuchter wurde er nicht mit weniger Effekt aufgeführt.« Überraschenderweise gibt es wohl keine Verletzten im Publikum. Das Wort vom »Wunder« macht schnell die Runde, sodass fälschlicherweise die 96. Sinfonie den Beinamen »The Miracle« erhält, den sie auch noch bis heute trägt. Die 22-taktige Largo-Einleitung des ersten Satzes beginnt mit einem unisono gespielten B auf einer Fermate. Eine Ähnlichkeit zum Beginn von Haydns Oratorium »Die Schöpfung« ist unverkennbar. Der Komponist lässt sein Werk »bei Null« beginnen. Ganz zart tastet sich die Musik aus der Stille heraus, spannungsvoll geladen durch einen Paukenwirbel. Haydn zeigt sich in diesen Takten als Rhetoriker der Musik, die Töne sprechen, artikulieren den Beginn etwas Größeren, sie sind eine wahre Ankündigung – und zwar des folgenden lebhaften und hell-schimmernden Vivace, das von starken Akzentuierungen lebt und dank drastischer Sforzati klare Konturen aufweist. H. C. Robbins Landon, der bedeutende HaydnForscher, nennt die Sinfonie die wohl »lauteste und aggressivste«. Der Kontrastreichtum in Dynamik, in den Tutti- und Solo-Effekten verweist auf – ja, auf wen denn sonst? – Ludwig van Beethoven und ist Beweisstück für Haydns Modernität und visionäre Kraft. Geradezu unwirsch schließt Haydn den Satz ab. Das Adagio in Variationenform verrät seine Herkunft aus der Kammermusikwerkstatt des Komponisten, denn es basiert auf einem langsamen Satz aus dem Klaviertrio Hob. XV:26. Haydn gibt der Musik mit ihren galant verzierten Gesten Raum und Zeit. Die ausgewogene Klangmischung zwischen Streichern, hier auch dem Solocello mit seinen Triolen, und dem fein schattierenden Holzbläsersatz zeigt Haydn auf der Höhe seiner Kunst. Und doch fehlt auch hier das Drama nicht. Die Pauke klopft an. Das Menuett ist sowohl harmonisch als auch von den deutlichen Akzenten her leicht unwirsch. Es handelt sich hier nicht um ein »Gute-Laune-Tänzchen«. Das Trio, von feiner Oboen- und Fagottchromatik liniert, versöhnt nur kurz. Haydn hat deutliche Worte zu sagen, und die komponiert er hier. Leise und schnell schleicht sich das abschließende Presto auf die Bühne. Angeblich geht das Thema auf einen kroatischen (Hochzeits-)marsch zurück, so dass der Musikwissenschaftler Jacob von einem »alkoholisierte[n] Finale« spricht, »wo nach dem kroatischen Hochzeitsmarsch die völlig betrunkenen Instrumente viermal falsch starten, ehe sie wieder zu Verstand kommen«. Dies ist ein treffendes Bild für diesen Parforceritt durch die Tonarten und eine wiederum rustikale Behandlung der Themenbearbeitung durch den Komponisten. War Haydn hier schlecht gelaunt? Oder ist es vielmehr dramatischer Furor, der dieser Sinfonie opernhafte Größe verleiht? Wie oft bei Haydn ist es mit dem Hören so eine Sache: Sind wir den Geheimnissen und überraschenden Wendungen auch nur halbwegs auf der Spur, ist der Meister schon fertig. Er ist uns eben voraus – auch noch nach 215 Jahren. Werke Béla Bartók »A kékszakállú herceg vára« Sz 48 Béla Bartóks einzige Oper »Herzog Blaubarts Burg« ist in ihrer Form, Musiksprache, kompositorischen und literarischen Bezügen ein singuläres Werk des 20. Jahrhunderts. Im Erscheinungsjahr der gleichnamigen Dichtung, 1910, lernt Bartók das »Mysterien-Spiel« seines ungarischen Landsmannes Béla Bálazs kennen, ist spontan begeistert und angeregt, diesen Text zu vertonen. Von Februar bis September 1911 arbeitet er an dieser Komposition. Doch der Einakter wird von der Jury eines Kompositionswettbewerbs als angeblich unaufführbar abgelehnt und der kulturelle Niedergang in Zeiten des Ersten Weltkriegs verhindert eine Uraufführung, sodass Bartóks Musik erst am 24. Mai 1918 am Königlichen Opernhaus von Budapest erstmals erklingt. Der Komponist Zoltán Kodály beschreibt die Wirkung der Musik als »einen Vulkan, der mit tragischer Intensität sechzig Minuten lang ausbricht«. Der Textdichter Béla Balázs greift bei seinem Blaubart auf einen alten Stoff zurück. Erstmals taucht die Legende in der Märchensammlung des französischen Dichters Charles Perrault auf. Für diese Erzählungen gibt es sogar eine historische Figur, die des bretonischen Baron Gilles des Rais aus dem 15. Jahrhundert, der an der Seite von Jeanne d’Arc gegen die Engländer kämpft, aber als Sadist Minderjährige in seinem Schloss vergewaltigt, quält und tötet und für diese Taten schließlich hingerichtet wird. Die Literatur nimmt verschiedene Umdeutungen vor, sodass die Geschichte bei Jacques Offenbach sogar als »opéra bouffe« verarbeitet wird: »Barbe Bleue« (Paris, 1866). Entscheidenden Einfluss auf Balázs und Bartóks Werk hat aber sicher die Textvariante des französischen Symbolisten Maurice Maeterlinck, der das Libretto für Paul Dukas’ Oper »Arianne et Barbe-Bleue« (Paris, 1907) verfasst. Derselbe Maeterlinck schreibt auch das symbolistische Libretto schlechthin, nämlich »Pelléas et Melisande« für Claude Debussy, der wiederum zum Kompositionszeitpunkt ein entscheidender Kraftquell und Bezugspunkt für Béla Bartók ist. So begegnen sich die verschiedenen Linien Symbolismus und Wortbedeutung auf der Seite der Sprache und Impressionismus, hier im Sinne einer »Klangrede«, einer spezifischen Rhetorik auf der Seite der Musik. Der Komponist und Musikwissenschaftler Siegfried Mauser trifft den Kern, wenn er sagt: »Dabei erfüllen der Einfluss des Impressionismus und Symbolismus einerseits und die Nähe zum Expressionismus andererseits eine entscheidende Funktion. Bartók verstand es, in der dialektischen Durchdringung dieser Elemente eine musikdramatische Spannungskurve zu entwickeln, die auf der Folie seiner folkloristischen Errungenschaften zu einem charakteristischen Ganzen verschmolz.« Dunkle Seelenabgründe tun sich bereits mit den ersten tiefen Streichertönen auf. Das für Bartók charakteristische Quartintervall eröffnet die Oper; Pentatonik, also Ganzton-Skalen, die nicht nur in Asien, sondern auch in früher ungarischer Folklore verortet sind, bestimmen das harmonische Geschehen. Die Gesangsstimmen sind in dieser Oper überwiegend konzertant geführt, sie fügen 24 I 25 sich in die Handlungsmusik des Orchesters ein. Psychologische Treiber sind die Orchesterklänge und die ungarische Sprache samt ihrer Betonungen als zwingend notwendige Parameter des Dramas. Bartók schreibt eine echte Literaturoper: Die Struktur der Wortwiederholungen und der Alliterationen der Dichtung Balázs werden exakt eingehalten. So wird Sprache zum Klangträger; die Stimmen wirken wie eine Klangrede. Das Öffnen der ersten Tür in Blaubarts Burg lässt eine Bühne aus hysterisch trillernden Geigen, Schlagwerk, gestopften Trompeten und hektischen Holzbläserläufen erscheinen. 50 Jahre später bedient sich die Filmmusik Hollywoods genau solcher Techniken, um ähnliche psychologische Wirkungen hervorzurufen (z. B. Bernard Herrman für Hitchcock). Beim Öffnen der zweiten Tür dominieren Blechbläserfanfaren, die als Symbol für die nun sichtbare Waffenkammer und deren martialische Wirkung stehen. Die dritte Tür, hinter der sich die reichlich gefüllte Schatzkammer befindet, scheint goldhell mit Celesta- und Harfenklängen, von Violin- und Hornsoli veredelt. Der Zaubergarten hinter der vierten Tür lässt schimmernd Flötentöne erscheinen. Für die permanente Blutspur, die sich durch alle Kammern der Burg zieht, schafft Bartók eine spezifische Dissonanz, eine schmerzhafte klangliche Reibung, die so nur im Intervall der kleinen Sekund hörbar gemacht werden kann. Sie stellt einen steten psychologischen Begleiter dar. Was sich auch hinter den Türen findet, nirgends entgeht man dieser Blutspur. Der dramaturgische Höhepunkt ist die Öffnung der fünften Tür. Gemäß der für die gesamte Oper bedeutsamen Regieanweisungen ergießt sich hier Licht in schimmernder Pracht. Orgel, Blechbläser und Pauken spielen im dreifachen Forte, Blaubart jubelt zu den C-Dur-Klängen. Judith lässt die Szenerie zunehmend erkalten; ihre Kommentare singt sie vom Orchester nahezu unbegleitet. Die sichtbare Blutspur verfehlt ihre Wirkung auf Judith nicht – Blut klebt sogar an den Wolken, die über Blaubarts Herrschaftsgebiet ziehen. Vor der sechsten Türöffnung setzt Bartók auf die Geräuschwirkungen des Schlagwerks. Hier herrscht hörbar der Tod. Der Klang wirkt ausgemergelt, hohl und der mittleren Spektren beraubt. Im letzten Drittel der Szene dominiert wirklich der Horror. In der klassischen Musik existieren wenige vergleichbare Klangszenarien, die die Untiefen der menschlichen Seele derart drastisch, detailliert und ergreifend in Töne setzen. Die Musik lässt sich für den Hörer nur noch schwer von ihrer Wirkung differenzieren. Die musikpsychologische Sogkraft ist immens. Mondscheinsilbernes Licht scheint durch die letzte, die siebte Türe in die Halle des Schreckenspalastes: ein verfremdeter Trauermarsch zu der Szene, in der Judith von Blaubart als Königin angekleidet wird, schärfste Dissonanzreibungen und am Ende die Oktaven der Streicher, die ins Nichts versinkende Musik. Ewige Nacht. »Was andre Mädchen auch wollen, ich muss wohl getrieben gewesen sein, ins letzte Zimmer zu schauen, der Amnadostrieb, die Blaubartehe, auf das letzte Zimmer neugierig, auf geheimnisvolle Weise und zu geheimnisvollen Zwecken getötet zu werden und mich zutodezurätseln an der einzigen Figur, die für mich nicht durchschaubar war.« (Ingeborg Bachmann, »Jordanische Zeit«) Werke Orchesterkonzert III Béla Bartók Rumänische Volkstänze Sz 68 Sparsam instrumentiert sind die 1915 ursprünglich für Klavier komponierten Rumänischen Volkstänze, die 1917 für Orchester gesetzt werden. Es sind sieben Originalmelodien aus der Sammlung von 1115 Instrumentalmelodien, die erst 1967 aus dem Nachlass Bartóks herausgegeben werden. Im Original für Klavier solo, gehören diese Werke zu den meistgespielten Bartóks, allerdings in den Fassungen für Violine und Klavier sowie in der Orchesterfassung. In den Rumänischen Volkstänzen bleibt Bartók ganz nahe an den Originalmelodien und führt sogar exakt die jeweiligen Quellen an. Vor allem geht Bartók der latenten Harmonik der reizvollen Tanzmelodien nach und sucht deren unerhört vielgliedrige Rhythmik abzubilden. Die sechs Stücke entfalten auch heute noch in ihrer unverbrauchten Frische und spezifischen bäuerlichen Kultiviertheit Klang- und Rhythmusmagie. Keinem Komponisten ist es so wie Bartók gelungen, die Wurzeln der Volksmusik ernst zu nehmen und sie virtuos mit der eigenen avantgardistischen Klangsprache zu verschmelzen, um daraus einen einmaligen Kompositionsstil zu kreieren. Franz Liszt Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Dur Franz Liszt, der Virtuosen-Titan unter den Klavierkomponisten, der große Innovator nach Beethoven und Chopin, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr hoffentlich konzertant gebührend gedacht wird, ist nicht zu reduzieren auf seine Klavier-Solowerke. Ebenso wichtig für die weitere Musikgeschichte sind mit Sicherheit die Sinfonischen Dichtungen, die auch Béla Bartóks erste Kompositionsschritte erheblich beeinflussen und ebenso Spuren in Richard Strauss’ Tondichtungen hinterlassen. Eigenartigerweise stehen Liszts Werke für Klavier und Orchester nach wie vor ein wenig im Schatten der Solowerke. Der Vorwurf, das erste Klavierkonzert sei formal nicht gelungen, allenfalls rhapsodischen Charakters und (kompositionsgeschichtlich) nach Beethoven eine reine Zurschaustellung pianistischer Möglichkeiten, läuft ins Leere, wenn man sich Liszts Absichten vergegenwärtigt: »Sollen diejenigen, die von ihrem Genius und dem Geiste der Zeit zur Erfindung und zum Gusse neuer Formen sich getrieben fühlen, unter das Joch bereits fertiger Formen gebeugt werden?« Diesen Schlüsselsatz spricht Liszt in Bezug auf Hector Berlioz und dessen Verfahren der assoziativen Themenverknüpfung sowie seines Konzepts der »ideé fixe« aus. »Freunde, schafft Neues«, meint nicht erst Richard Wagner – mit dieser Einstellung darf Liszts erstes Klavierkonzert gehört, verstanden und dann auch bewertet werden. Majestätisch und klar konturiert schafft das Orchester das Entree für den Klaviereinsatz des ersten Satzes, Allegro maestoso. »Das versteht ihr alle nicht«, soll Liszt zu dem Rhythmus der ersten vier Takte gesagt haben. Geradezu genial ist die dann folgende quasi-improvisatorische Wirkung der Solopassagen des Klaviers. Weiß der Pianist, dass dort ein Orchester auf ihn wartet? 26 I 27 Das Prinzip des Kadenzierens, diese Art des Dialogs erzeugt eine Intimität, besonders zwischen Klavier und Klarinette, und steht im Kontrast zu den gewaltigen Klangballungen des Orchesters, die den Franz Liszt der bombastischen Tondichtungen erahnen lassen, die er in den 1850er-Jahren in Weimar aufführt. Der zweite Satz ist ein wunderschöner Gesang, der die Belcanto-Kompositionskunst eines Vincenzo Bellini elegant fortspinnt. »Ganz klassisch« folgt ein scherzoartiger dritter Satz. Wahrhaft »marziale« verarbeitet Liszt im letzten Satz das alles bestimmende Anfangsmotiv des Konzerts. Saftig dreinfahrende Posaunen machen schnell Platz für pianistisches Feinwerk. Wie Liszt seine Klangdramaturgie gleichsam vor und hinter den Vorhang zieht, ist spannend, abwechslungsreich und neuartig. Wie wichtig Franz Liszt die Arbeit an diesem Werk ist, macht die Tatsache deutlich, dass sie von 1830 (Entwurf) bis 1856 (Fertigstellung) andauert. Am 17. Februar 1855 spielt Liszt die Uraufführung in Weimar, am Dirigentenpult steht Hector Berlioz. Auch Béla Bartók hat frühe Berührungspunkte zu Franz Liszts Werk. Nicht von ungefähr ist eines seiner ersten Werke, »Kossuth«, eine sinfonische Dichtung für Orchester, die ohne Franz Liszts kompositorische Vorlagen so nicht denkbar ist. Über seine Studienjahre zwischen 1899 und 1903 an der Königlich Ungarischen Musikakademie sagt Bartók: »Gleich nach meiner Ankunft warf ich mich mit großem Eifer auf das Studium der mir noch unbekannten Werke Richard Wagners sowie der Orchesterwerke Liszts. Mein eigenes Schaffen jedoch lag in dieser Periode völlig brach. Nunmehr losgelöst vom Brahms’schen Stil, konnte ich auch über Wagner und Liszt den ersehnten Weg nicht finden. (Liszts Bedeutung für die Weiterentwicklung der Tonkunst erfasste ich damals noch nicht; ich sah in seinen Werken nur die Äußerlichkeiten.) Infolgedessen arbeitete ich etwa zwei Jahre hindurch beinahe gar nichts und galt eigentlich in der Musikakademie nur als brillanter Klavierspieler.« Igor Strawinsky »Le sacre du printemps« Die dritte Ballettkomposition Strawinskys nennt der Komponist selbst »Vesna svjaš čennaja«, in deutscher Übersetzung »Heiliger Frühling«. Durchgesetzt hat sich allerdings der französische Titel »Le sacre du printemps«, der bei der skandalbegleiteten Uraufführung der Ballets Russes in Paris am 29. Mai 1913 auf dem Programm steht. Der Untertitel »Szenen aus dem heidnischen Russland« findet oftmals keine Beachtung. Die ersten Skizzen für »Sacre« entstammen dem Jahre 1910. Zwischen September 1911 und März 1913 komponiert Strawinsky das Werk. Die Uraufführung am 29. Mai 1913 ist sicherlich einer der großen Skandale der Aufführungsgeschichte schlechthin. Pierre Monteux, der Dirigent im Pariser Théâtre des Champs-Élysées, geht seiner Aufgabe »wie ein Krokodil« nach und muss die Proteste über sich ergehen lassen. Der Schriftsteller Jean Cocteau notiert weiter dazu: »Man lachte, höhnte, pfiff, ahmte Tierstimmen nach. […] Der Tumult artete in ein Handgemenge aus.« Wahrscheinlich ist, dass sich ein Großteil des Protestes gegen die Werke Choreografie richtet, denn nur ein Jahr später wird das Werk bei einer konzertanten Aufführung begeistert gefeiert. Seitdem hat es einen beispiellosen knapp einhundertjährigen Siegeszug angetreten. »Sacre« dürfte bis heute diejenige Ballettkomposition sein, die dank ihrer kompositorischen Genialität und unmittelbaren Überzeugungskraft ein konzertantes Eigenleben führt, also auch ohne Bildsprache einer Ballettaufführung und 100 Jahre nach ihrer Uraufführung Begeisterung weckt, auf Ablehnung stößt – einfach emotional berührt. Im Winter 1908/09 lernen sich Igor Strawinsky und der Ballett-Impressario Sergej Diaghilew kennen. Dieser ist sofort von Strawinskys Musik überzeugt und bittet ihn, zunächst Klavierstücke von Chopin und Grieg zu instrumentieren. Anschließend erhält Strawinsky den Auftrag, die Musik zu dem Ballett »Der Feuervogel« zu schreiben. Der große Erfolg des »Feuervogels« bei der Uraufführung am 25. Juni 1910 bestätigt Diaghilews Gespür für Strawinskys außergewöhnliches Können auf dem Gebiet der Ballettmusik. Musik, die zwingend überwältigt, die selbst eine eigene Bildsprache entwickelt und transportiert und so eine starke Choreografie aushält, ja herausfordert – Ballettmusik, die eine echte Geschichte erzählt und nicht aneinander gereihte Szenen vertont. Bereits während der Endproben des »Feuervogels« hat Strawinsky folgende Vision: »Im Geiste sah ich eine große heidnische Feier; weise alte Männer, im Kreis sitzend, schauen zu, wie sich ein junges Mädchen zu Tode tanzt. Sie wurde von ihnen geopfert, um die Gottheit des Frühlings günstig zu stimmen. Das war das Thema von ›Le sacre du printemps‹. Diese Vision bewegte mich sehr, und ich schrieb sie sogleich meinem Freund, dem Maler Nikolas Roerich, der ein Kenner auf dem Gebiet heidnischer Beschwörung war. Er nahm meine Idee begeistert auf und wurde mein Mitarbeiter an diesem Werk. In Paris sprach ich darüber auch mit Diaghilew, der sich sofort in den Plan vertiefte.« Soweit äußert sich Strawinsky selbst zu der Idee, die dem »Sacre« zugrunde liegt. Die genaue Rekonstruktion oder zumindest die fantasiereiche Nachschöpfung von »Szenen aus dem heidnischen Russland« sind, bezogen auf die Sujetwahl, kein Unikat Strawinsky’scher Kreativität. Die intensive Beschäftigung mit archaischen Themen ist eine ernstzunehmende Strömung innerhalb der russischen Kunst zwischen 1905 und der Oktoberrevolution 1917. Der russische Dichter Alexander Blok fasst diese Denkrichtung zusammen, indem er eine Rückbesinnung des Kunstschaffenden zur »urtümlichen Natürlichkeit« des Volkes fordert. Demgegenüber definiert er den Begriff der Kultur als künstlich, entwurzelt, materialistisch, intellektuell und auf Zerstörung ausgerichtet. In diesem geistigen Boden wurzelt »Le sacre du printemps«. Die Thematik des Auserwählten und der weisen alten Männer hat Strawinsky wahrscheinlich einem Gedicht mit dem Titel »Jarilo« des führenden russischen Dichters und Mythologen dieser Zeit, Sergej Mitrofanowitsch Gorodezkij, entnommen. Jarilo ist der Name eines altslawischen Sonnengottes. In diesem Gedicht wird bereits das Thema des Mädchenopfers vorgeprägt. Strawinsky verfremdet im »Sacre« verschiedene Volkslieder u. a. aus der Sammlung seines Lehrers Rimski-Korsakow. Die Komposition gehört in der Radikalität ihrer musikalischen Ausformung zu den Schlüsselwerken des 20. Jahrhunderts. Alle Kraft und Entfaltung geht hier vom Rhythmus aus. Die Motive sind knapp gefasst und werden immer wieder neuartig zusammen- 28 I 29 gesetzt, angeordnet und getauscht. Sie ordnen sich aber ebenso wie der Klang konsequent dem rhythmischen Drive, der unaufhaltsamen, geradezu maschinell anmutenden Bewegung unter. Der Klang ist, ebenfalls wegweisend für die Musik des 20. Jahrhunderts, geräuschhaft angereichert. Streichinstrumente ahmen spieltechnisch Schlaginstrumente nach, die Vielzahl der Schlaginstrumente an sich ist beeindruckend. Holz- und Blechblasinstrumente dringen in extreme Bereiche der Klangerzeugung vor. Kein Wunder, dass diese instrumentalen Anforderungen kombiniert mit der Ballettchoreografie vor der Uraufführung 120 Proben erfordern. Der Erfolg und die überwältigende Sogkraft des »Sacre« bis zum heutigen Tage basieren auf der Konsequenz und Radikalität des Mitteleinsatzes, den Strawinsky konsequent durchkomponiert hat: Rhythmus, Dissonanzdichte, Vereinfachung der Formgebilde und unerhört innovative Instrumentation sind bis heute kompositionstechnisch beispielhaft. Audiophil Unser Programmheftautor Ulrich Schardt empfiehlt Wer sich ernsthaft mit Béla Bartóks Musik auseinandersetzt, kommt an den großen ungarischen Musikern des 20. und 21. Jahrhunderts nicht vorbei. Sprache und Musik, das wirklich Idiomatische auch in der Grammatik der Bartók’schen Kompositionen wird einfach von den zahlreichen großen ungarischen Dirigenten oft am zutreffendsten umgesetzt. An deren Spitze steht in der heutigen Zeit Iván Fischer mit seinem flexibel artikulierenden und charakteristisch klingenden Budapest Festival Orchestra. Diese künstlerische Partnerschaft ist derzeit bei Bartók weltweit nicht zu schlagen. Hören Sie es hier im KONZERTHAUS DORTMUND und ebenso zuhause beim Konzert für Orchester und dem »Blaubart« mit Ildikó Komlósi als Judith nach (Philips). Weitere ganz große »Blaubart«Aufnahmen gibt es von István Kertész mit Christa Ludwig und Walter Berry (Decca) aber auch von Antal Doráti mit Olga Szönyi und Mihály Székely (Mercury Living Presence), beide jeweils mit dem perfekten London Symphony Orchestra. Beim Konzert für Orchester dürfen es gerne das Concertgebouworkest Amsterdam unter Antal Doráti (Philips), Mariss Jansons (RCO Live) oder Riccardo Chailly (Decca) sein, ebenso die Berliner Philharmoniker unter Zubin Mehta (Sony) oder eine der zahlreichen Aufnahmen des Boston Symphony Orchestra unter Koussevitsky oder Ozawa. Auch die Aufnahmen aus Chicago mit Fritz Reiner (RCA BMG) und Sir Georg Solti (Decca) verbinden Orchesterperfektion mit ungarischem Esprit und Rhythmusstrenge. Beim massenhaft eingespielten »Sacre« fällt meine Auswahl auf den Uraufführungsdirigenten Monteux mit dem Boston Symphony Orchestra, auf Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker (Soundtrack zum EducationFilm »Rhythm is it«) und auf Pierre Boulez und das Cleveland Orchestra (Deutsche Grammophon). Haydns Sinfonien höre ich gerne mit Christopher Hogwood und seiner Academy of Ancient Music (Decca), mit George Szell und seinem Cleveland Orchestra sowie mit Nikolaus Harnoncourt und seinem Concentus Musicus Wien oder dem Concertgebouworkest (Warner Classics). Werke 30 I 31 Budapest Festival Orchestra Das Budapest Festival Orchestra wurde 1983 durch den Dirigenten Iván Fischer und den Pianisten Zoltán Kocsis mit Musikern gegründet, die alle »aus der Creme der jungen ungarischen Musiker geschöpft wurden«, wie es die Londoner »Times« bezeichnete. Ihr Ziel war es, durch intensive Proben und das Abverlangen der höchsten musikalischen Ansprüche mit anfänglich drei bis vier Konzerten signifikante musikalische Höhepunkte im ungarischen Musikleben zu integrieren und damit gleichzeitig Budapest ein neues sinfonisches Orchester von internationalem Rang zu geben. Heute ist das Orchester mit regelmäßig ausverkauften Konzerten nicht nur ein vitaler Bestandteil des Budapester Musiklebens, sondern auch ein gern gesehener und häufiger Gast in den bedeutendsten internationalen Musikzentren: Salzburg, Wien, Luzern, Montreux, Zürich, New York, Chicago, Los Angeles, San Francisco, Montreal, Tokio, Hongkong, Paris, Berlin, München, Stuttgart, Frankfurt, London, Florenz, Rom, Amsterdam, Brüssel, Madrid, Buenos Aires und andere. Nachdem zunächst Aufnahmen bei Hungaroton, Quintana, Teldec, Decca, Ponty und Berlin Classics erschienen, unterschrieb das Orchester 1996 einen Exklusivvertrag bei Philips Classics. Seine Aufnahme von Bartóks »Der wunderbare Mandarin« erhielt den »Gramophone Award« und wurde von »Diapason« und »Le Monde de la Musique« zu deren »Aufnahme des Jahres« gewählt. Die Aufnahmen von Liszts »Faust-Sinfonie« und Bartóks Konzert für Orchester kamen in den jeweiligen Jahren unter die besten fünf orchestralen Aufnahmen der »Gramophone«. 2003 unterschrieb das BFO eine Kooperationsvereinbarung mit dem Label Channel Classics. Unzählige berühmte Künstler und Dirigenten der internationalen Musikszene haben mit dem Budapest Festival Orchestra gespielt, darunter Sir Georg Solti, der bis zu seinem plötzlichen Tod im Sommer 1997 Ehrendirigent des Orchesters war, Kurt Sanderling, Yehudi Menuhin, Gidon Kremer, Martha Argerich, András Schiff, Heinz Holliger, Marek Janowski, Charles Dutoit, Agnes Baltsa, Edith Mathis, Yuri Bashmet, Radu Lupu, Thomas Zehetmair und Richard Goode, um nur einige zu nennen. Das Ensemble legt großen Wert auf die Darbietung moderner Musik: Es führte mehrere Welt- und Ungarn-Erstaufführungen von Ustvolskaia, Eötvös, Kurtág, Schönberg, Holliger, Thianyi, Doráti, Copland und Adams auf. Das Orchester gibt regelmäßig neue Werke in Auftrag, so bei Zoltán Jeney, László Sáry, Kamilló Lendvay, János Vajda, István Mártha, László Melis und László Vidovsky. Um die künstlerische Entwicklung seiner Mitglieder zu fördern, veranstaltet das BFO neben seinen großen Orchesterkonzerten regelmäßig Kammermusik- und Kammerorchester-Serien. Die Kammermusikkonzerte am Samstagnachmittag, die so genannten »Cocoa Konzerte« für Kinder, die Haydn-Mozart-Reihe, bei denen Orchestermitglieder die Solopartien übernehmen, und die »Offenen Probenkonzerte« mit Werkeinführungen von Iván Fischer wurden schnell zu Favoriten des Budapester Konzertpublikums. 32 I 33 Biografien Programm Iván Fischer Geboren 1951, studierte Iván Fischer zunächst Klavier und Violine, bevor er zum Violoncello wechselte. Nach dem Kompositionsstudium in Budapest schloss er sein Diplom in der berühmten Dirigierklasse von Hans Swarowsky ab. Für zwei Semester arbeitete er dabei als Assistent von Nikolaus Harnoncourt. Iván Fischers internationaler Erfolg als Dirigent begann 1976 in London, wo er den »RupertFoundation-Wettbewerb« gewann. Nach der einjährigen Zusammenarbeit mit den Sinfonieorchestern der BBC wurde er vom London Symphony Orchestra eingeladen, das ihn auf eine weltweite Tournee mitnahm. Er war als Gastdirigent in zahlreichen Ländern tätig; 1983 kehrte er nach Ungarn zurück, um das Budapest Festival Orchestra zu gründen. Hier führte er neben neuen, intensiven Probenmethoden und dem Schwerpunkt auf Kammermusik auch die kreative Arbeit mit jedem Orchestermitglied ein. Der sensationelle Erfolg dieses neuen Orchesters, das wiederholt zu den bedeutendsten Musikfestivals wie in Salzburg, Edinburgh, Luzern und London eingeladen wurde, festigte Iván Fischers Reputation als einer der weltweit visionärsten und erfolgreichsten Orchesterführer. Erst kürzlich wurde das Aufnahmerepertoire des Orchesters mit Werken von Kodály und Dvořák erweitert. Iván Fischer nahm Brahms’ Ungarische Tänze in eigener neuer Orchestrierung auf, wobei er Improvisationen von Zigeunermusikern mit einem Sinfonieorchester kombinierte. Als Gastdirigent kehrt er regelmäßig zu den Berliner Philharmonikern, dem Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam, New York Philharmonic, Cleveland Orchestra, Orchestre de Paris, Israel Philharmonic, Orchestra of the Age of Enlightenment und den Münchner Philharmonikern zurück. Besonders bekannt wurde er als Interpret von Bach, Mozart, Brahms, Mahler und Bartók. Im Opernbereich dirigierte er einen Mozart-Zyklus an der Wiener Staatsoper sowie Produktionen in Zürich, London, Brüssel, Stockholm und Budapest. Er war Musikalischer Direktor der Northern Sinfonia und der Kent Opera sowie Erster Gastdirigent des Cincinnati Symphony Orchestra. Zwischen 2001 und 2003 war er Musikalischer Leiter der Opéra de Lyon. Von 2006 bis 2010 war Iván Fischer Erster Gastdirigent bzw. Chefdirigent des National Symphony Orchestra Washington. Iván Fischer ist Gründer der ungarischen Gustav-Mahler-Gesellschaft und Schirmherr der englischen Kodály-Akademie. Er wurde vom Präsidenten Ungarns mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet und erhielt vom World Economic Forum den »Crystal Award« für seine Verdienste um die internationalen kulturellen Beziehungen. 34 I 35 Márta Sebestyén István Kádár 1957 in Budapest geboren, wuchs Márta Sebestyén umgeben von Musik auf. Ihre Mutter, eine Musiklehrerin, hatte bei dem großen Komponisten, Wissenschaftler und Ethnomusikologen Zoltán Kodály studiert. Im Alter von 12 Jahren wusste Márta Sebestyén, dass ihr Leben der Musik gewidmet sein würde. Mit ihrer wunderbaren Stimme wurde sie zu einer der authentischsten Interpretinnen traditioneller ungarischer Volksmusik – ein richtiger Weltstar. Sie gab und gibt noch immer Konzerte überall auf der Welt sowohl als Solokünstlerin als auch als Gastsängerin mit verschiedenen ungarischen und internationalen Folkloregruppen. Márta Sebestyén sang bei diplomatischen Veranstaltungen für Queen Elisabeth II., den japanischen Kaiser oder die spanische Königsfamilie. Ihre Zusammenarbeit mit der französischen Gruppe Deep Forest brachte ihr 1996 einen »Grammy« ein; sie nahm mit Peter Gabriel auf und wurde auch von anderen Genres, u. a. Film, entdeckt. Sie war die Stimme des »Englischen Patienten«, der 1997 mit neun »Oscars« (auch für die Musik!) ausgezeichnet wurde. István Kádár wurde 1963 in Marosvásárhely, Rumänien, geboren und begann mit dem Geigenunterricht im Alter von fünf Jahren. Nach den ersten Preisen bei verschiedenen regionalen und nationalen Wettbewerben studierte er zunächst zwei Jahre lang in Bukarest, bevor er in einigen deutschen Sinfonieorchestern spielte. 1988 ließ er sich in Ungarn nieder und führte sein Studium an der Franz Liszt Musikakademie bei Béla Bánfalvi und Péter Komlós fort. Zwischen 1988 und 1992 war Kádár Konzertmeister der Ungarischen Nationalphilharmonie. Seit 1992 ist er Mitglied des Budapest Festival Orchestra, mit dem er auch als Solist auftritt; 2004 und 2007 gewann er die »Sándor Végh Competition« des Budapest Festival Orchestra. Als aktiver Kammermusiker ist István Kádár Gründungsmitglied des Aperto Piano Trio und spielt regelmäßig Volksmusik mit seinen Kollegen Zsolt Fejérvári (Kontrabass) und András Szabó (Viola). Jenő Jandó Jenő Jandó ist einer der produktivsten Künstler in der Tonträgergeschichte der klassischen Musik, gleichzeitig ist er einer der meistgeschätzten und -bewunderten. Jenő Jandó ist Professor an der Liszt Akademie Budapest. Effektiv. Kompetent. Diskret. rEchtsanWältE Prof. Dr. Tido Park Fachanwalt für Straf- und Steuerrecht | Dr. Tobias Eggers | Ulf Reuker LL.M. (Wirtschaftsstrafrecht) | Dr. Stefan Rütters Rheinlanddamm 199 | 44139 Dortmund Fon (0231) 95 80 68 - 0 | www.park-wirtschaftsstrafrecht.de WirtschaftsstrafrEcht | stEuErstrafrEcht | compliancE 36 I 37 In Pécs geboren, einer ruhigen Stadt im Süden Ungarns, wurde Jenő Jandó von seiner Mutter am Klavier unterrichtet, bevor er an der Liszt Akademie Unterricht unter der sorgsamen Anleitung von Katalin Menes und Paul Kadosa erhielt. Nach seinem Abschluss hatte Jandó eine Reihe von Erfolgen bei internationalen Wettbewerben, doch er selbst betrachtet den Dritten Preis beim »Beethoven Klavierwettbewerb« im Alter von 18 Jahren als Beginn seiner professionellen Karriere. Die gleiche Souveränität, die Jenő Jandó im Umgang mit verschiedenen anspruchsvollen Stilen der Klavier-Sololiteratur beweist, zeichnet ihn als Kammermusiker aus. Sein Gespür für Kammermusik wird beispielsweise in einer Aufnahme des »Forellenquintetts« von Schubert mit dem Kodály Quartet oder den Klavierquintetten von Brahms und Schumann sowie seiner höchst erfolgreichen Einspielung von Beethovens »Erzherzog«- und »Geister«-Klaviertrios hörbar. Als Begleiter arbeitete Jenő Jandó eng mit Takako Nishizaki zusammen. Gemeinsam entstanden Aufnahmen der Violinsonaten von Franck und Grieg und vor allem eine vierteilige Sammlung der Mozart-Violinsonaten. Sein besonderer Stil der Begleitung zeigt sich auch in Kodálys Sonate für Violoncello und Klavier sowie in einer kürzlich erschienenen Aufnahme der Cellosonaten von Dohnányi mit Maria Kliegel. 38 I 39 Vince Danhauser Vince Danhauser kam 1990 in Budapest als Kind einer musikalischen Familie zur Welt. Sein Vater, selbst Musiklehrer, sorgte dafür, dass alle seine fünf Kinder eine musikalische Ausbildung erhielten. Er war der erste Geigenlehrer seines Sohnes. 2000 gründete Danhauser mit zwei Brüdern das Volksmusik-Ensemble Rojtos. Er ist Autodidakt am Kontrabass. Ferenc Zimber Ferenc Zimber wurde 1986 in Budapest geboren. Er erhielt ersten Unterricht am Cymbal an der Musikschule von Székesfehérvár und später am Musikgymnasium in Vác. Zimber ist Student an der Franz Liszt Musikakademie in Budapest bei Kálmán Balogh. Eckhardt Streichquartett Violetta Eckhardt kam 1969 in Ungarn zur Welt. Ab 1983 studierte sie am Gyõr Konservatorium und später an der Franz Liszt Musikakademie in Budapest bei Ferenc Halász (Violine) sowie György Kurtág, András Mihály und Ferenc Rados (Kammermusik). Sie gewann Preise beim »Ede-Zathureczky-Violinwettbewerb«, »Jenő Hubay Wettbewerb« und beim »József Szigeti Wettbewerb«. Sie absolvierte Meisterkurse bei Dénes Kovács, Isaac Stern, Ruggiero Ricci, György Pauk und Tibor Varga. Violetta Eckhardt ist Konzertmeisterin beim Budapest Festival Orchestra und spielt regelmäßig bei den Kammerkonzerten des Orchesters mit. 2009 gewann sie dessen »Sándor Végh Competition«. Gábor Sipos wurde 1967 in Budapest geboren. Ab seinem siebten Lebensjahr nahm er Geigenunterricht bei Erzsébet Skultéty und studierte später am Béla Bartók Konservatorium und an der Franz Liszt Musikakademie in Budapest. Er ergänzte sein Studium mit Meisterklassen bei György Pauk, Lóránt Fenyves, Endre Wolf und Tibor Varga. 1991 gewann er einen Preis beim »Jenő Hubay Wettbewerb«; im selben Jahr schloss er sein Studium ab. Sipos war von 1989 bis 1995 Mitglied des Budapest Festival Orchestra kehrte 2005 zum Orchester zurück. Er war Gründungsmitglied des Auer String Quartet und spielt nun beim Eckhardt Streichquartett. Cecília Bodolai machte 1984 ihr Examen an der Franz Liszt Musikakademie in Budapest. Vier Jahre lang spielte sie im Orchester der Ungarischen Staatsoper und war Mitglied des Danubius String Quartet, mit dem sie an internationalen Wettbewerben, Festivals, Konzertreihen, Radio- und TV-Aufnahmen teilnahm. Sie spielt seit 1992 im Budapest Festival Orchestra und ist Mitglied des Eckhardt Streichquartetts. 40 I 41 Rita Sovány gewann schon mit elf und 16 Jahren nationale Cellowettbewerbe und studierte an der Franz Liszt Musikakademie in Budapest bei Miklós Perényi. Nach ihrem Examen wurde sie Mitglied des Budapest Festival Orchestra. Sie spielt darüber hinaus im Eckhardt Streichquartett und regelmäßig bei den Kammerkonzerten des Budapest Festival Orchestra. Barnabás Kelemen Mit seiner »natürlichen Musikalität« und seinen »meisterlichen technischen Fähigkeiten« (»The Guardian«) hat der ungarische Geiger Barnabás Kelemen die Aufmerksamkeit der Musikwelt auf sich gelenkt. Er beherrscht ein breit gefächertes Repertoire, das von der Klassik bis in die zeitgenössische Musik reicht – so spielte er die ungarischen Erstaufführungen der Violinkonzerte von Ligeti und Schnittke sowie von Werken für Violine von Gubaidulina und Kurtág, die er an einem Abend uraufführte. Zusätzlich zu Gastspielen bei allen namhaften Orchestern Ungarns konzertierte Barnabás Kelemen unter anderem mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, Helsinki Philharmonic Orchestra, den Münchner Philharmonikern und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Er arbeitete mit renommierten Dirigenten wie Lorin Maazel, Sir Neville Marriner, Peter Eötvös, Zoltán Kocsis und Iván Fischer. Zu seinen Partnern im Kammermusikbereich zählen unter anderem Zoltán Kocsis, Miklós Perényi und Shai Wosner, mit denen er Recitals im Concertgebouw Amsterdam, in der Wigmore Hall und der Carnegie Hall spielte. 1978 in Budapest geboren, begann Kelemen im Alter von 11 Jahren in Budapest Violine zu studieren. Er ist Preisträger zahlreicher internationaler Wettbewerbe und wurde als Anerkennung für seine Erfolge mehrfach vom ungarischen Staat ausgezeichnet. Seit 2005 ist Barnabás Kelemen Professor an der Franz Liszt Musikakademie Budapest und unterrichtet regelmäßig als Gastprofessor an der Bloomington Indiana University. Er spielt eine Guarneri-del-Gesú-Violine von 1742 (vormals in den Händen von Dénes Kovács), die ihm vom ungarischen Staat zur Verfügung gestellt wird. Katalin Kokas Katalin Kokas wurde 1978 in Pécs geboren. Im Alter von fünf Jahren begann sie mit dem Geigenunterricht; mit elf Jahren besuchte sie die studienvorbereitenden Kurse der Franz Liszt Musikakademie in Budapest und studierte bei Ferenc Halász und Dénes Kovács. Mit 16 bekam sie ein Stipendium für das Toronto Royal Conservatory, wo sie bei Lóránd Fenyves studierte. Biografien Ab 1997 vervollständigte sie ihre Studien bei Eszter Perényi an der Franz Liszt Musikakademie und machte ihr Examen. Sie besuchte Meisterklassen von Ferenc Rados, György Kurtág, György Pauk, Dénes Zsigmondy, Igor Ozim, Tibor Varga, Endre Wolf, Jaime Laredo und Leon Fleischer. Katalin Kokas gewann zahlreiche nationale und internationale Wettbewerbe, darunter der »Bartók Preis« und den »Martinů Preis« im österreichischen Semmering, die »Carl Flesch International Competition« und den Wettbewerb »József Szigeti« in Ungarn. Sie erhält Einladungen zu Festivals und Konzerten in Delft, Sevilla, Budapest, Paris, Wien, New York, Washington und an die wichtigen Konzerthäuser in Europa und den USA. Ákos Ács Ákos Ács wurde 1969 in Tatabánya, Ungarn, geboren, wo er seine erste Musikausbildung erhielt. Nach dem Unterricht am Béla Bartók Konservatorium erhielt er schließlich 1992 sein Diplom an der Franz Liszt Musikakademie. Im selben Jahr erhielt er ein Stipendium vom Budapest Festival Orchestra und wurde im nächsten Jahr ordentliches Mitglied des Orchesters. Seit 1999 ist er dort Stimmführer der Klarinetten und war Solist bei mehreren Sinfoniekonzerten. Auch als Kammermusiker ist Ács aktiv. Im Februar 2001 spielte er unter der Leitung von Gérard Korsten Carl Stamitz’ »Darmstädter« Klarinettenkonzert, im März 2005 unter Hugh Wolff Mozarts Klarinettenkonzert. Er ist als Solist auf der letzten CD des Budapest Festival Orchestra (Channel Classics) mit dem zweiten Satz von Webers Klarinettenkonzert f-moll zu hören. Ádám Balogh 1997 in eine musikalische Familie geboren, begann Ádám Balogh im Alter von sieben Jahren mit dem Klavierunterricht in seiner Heimatstadt Pécs im Süden Ungarns. Schon ein Jahr später gewann er einen nationalen Klavierwettbewerb für Musikschüler, gefolgt von vier weiteren Ersten Preisen bei verschiedenen Wettbewerben in Ungarn. 2008 war er Preisträger in Zagreb (Kroatien), 2010 in Österreich. Im Frühjahr 2010 gab Ádám Balogh seinen ersten Klavierabend und trat als Solist mit dem Pannon Philharmonic Orchestra auf. Im Herbst 2010 war er einer der Gewinner beim Wettbewerb für Musikschüler des Budapest Festival Orchestra und spielte mit dem renommierten Orchester Mozarts Klavierkonzert in d-moll unter der Leitung von Iván Fischer. 42 I 43 Opern-Kinderchor, Mädchenchor und Jugend-Kammerchor der Chorakademie am KONZERTHAUS DORTMUND Die Chorakademie ist Europas größte Singschule. Aufgeteilt in die Bereiche Kinder und Jugend sowie Konzert singen in der Chorakademie inzwischen 1 300 Sängerinnen und Sänger in über 30 Chören. Im Opern-Kinderchor der Chorakademie lernen Kinder im Alter von 9 bis 14 Jahren das Handwerk für »die musikalischen Bretter, die die Welt bedeuten«. Der 2006 gegründete Chor wirkt nicht nur in zahlreichen Kinder- und Erwachsenen-Opern mit, sondern auch in den unterschiedlichsten Musiktheaterproduktionen und Konzerten. Im Wettbewerb weiß der OpernKinderchor ebenfalls zu begeistern. So gewann der Opern-Kinderchor beim Wettbewerb der Sängerjugend NRW »Jugend singt« im September 2008 nicht nur die Goldmedaille in seiner Altersklasse, sondern auch den Sonderpreis der Sparkasse Lüdenscheid. Der Mädchenchor der Chorakademie gewann u. a. den »Landes-Chorwettbewerb« 2005 in Siegen. Im darauf folgenden Jahr stellte sich das künstlerisch hochwertige Ensemble dann beim »Deutschen Chorwettbewerb« in Kiel der bundesweiten Konkurrenz und erreichte einen erfolgreichen 3. Platz. Ebenfalls begeistert der Mädchenchor in der Inszenierung von »Hänsel und Gretel« am Theater Dortmund zusammen mit dem JugendKammerchor und dem Opern-Kinderchor. Chorreisen führen die Mädchen einmal im Jahr ins In- und Ausland. Der Jugend-Kammerchor der Chorakademie konzentriert sich auf die Mitwirkung an sinfonischen Werken und beschäftigt sich außerdem mit der gemischtstimmigen Chorliteratur aller Epochen. Zur Eröffnung des »Klavier-Festival Ruhr« mit den Duisburger Philharmonikern in der neuen Mercatorhalle verlieh der Jugend-Kammerchor gemeinsam mit dem Sinfonischen Chor und dem Opern-Kinderchor der Chorakademie im Mai 2007 Beethovens »Chorfantasie« Klangfülle. Im Februar 2009 bot sich dem Jugend-Kammerchor die einmalige Gelegenheit, gemeinsam mit Weltstar Bobby McFerrin auf der Bühne zu stehen. Das Konzert war ein voller Erfolg. Zeljo Davutovic Die künstlerische Gesamtleitung der Chorakademie liegt in den Händen von Zeljo Davutovic. Er studierte in Weimar Kirchenmusik, Chorleitung und Cembalo. Die Teilnahme an mehreren Kursen für Chorleitung und Orgel vervollständigten seine Ausbildung. Seit Gründung des MonteverdiJunior-Chores 1995 verfolgte Zeljo Davutovic den Auf- und Ausbau des Kinder- und Jugendchores zu einer umfassenden Singschule für Dortmund und das Ruhrgebiet, deren Grundstein er Biografien durch die künstlerische Konzeption der Chorakademie gelegt hat. Seit Gründung im April 2002 führt er als künstlerischer Gesamtleiter gemeinsam mit Lars Kersting die Chorakademie. Zeljo Davutovic hat zudem die Leitung der Mädchenchöre, des Opern-Kinderchores und des JugendKammerchores inne. István Kovács Der ungarische Bass István Kovács wurde 1972 geboren, studierte zunächst an der Franz Liszt Musikschule in Pécs und setzte danach sein Studium in Budapest und Zürich bei Lászlo Polgár sowie in Venedig bei Sherman Lowe fort. István Kovács ist Preisträger mehrerer Wettbewerbe, darunter 1997 der Wettbewerb »Schubert und die Musik des 20. Jahrhunderts« in Graz, wo er auch einen Sonderpreis für die beste Schubert-Interpretation gewann. 1998 wurde ihm der Preis als bester Sänger in der Kategorie Oratoriengesang beim Internationalen Gesangswettbewerb »Francesco Viñas« in Barcelona verliehen, im selben Jahr erhielt er beim »ARD Musikwettbewerb« in München ein Stipendium als Sonderpreis. Im Januar 1999 war er dritter Preisträger beim Salzburger »Mozartwettbewerb«. Zu seinen bisherigen Opernengagements zählten u. a. Produktionen des Teatro Regio in Turin, am Neuen Theater Budapest und an der Opéra National du Rhin in Strasbourg. Sein Repertoire umfasst u. a. Guglielmo in »Così fan tutte«, Timur in Puccinis »Turandot«, Selim in Rossinis »Turco in Italia« und Herzog Blaubart in »Herzog Blaubarts Burg« von Bartók, den er auch schon in einer Filmproduktion für das ungarische Fernsehen sang. Zuletzt verkörperte er Attila in Verdis gleichnamiger Oper sowie Maometto in Rossinis »Maometto secondo«. István Kovács ist auch regelmäßig auf dem Konzertpodium zu erleben, unter anderem in Bartóks »Cantata Profana« unter Heinz Holliger in Stuttgart, in Mozarts c-moll-Messe mit dem MozarteumOrchester unter Ivor Bolton bei den »Salzburger Festspielen« und in Händels »Messias« mit dem Gewandhausorchester unter Herbert Blomstedt. Ildikó Komlósi Ildikó Komlósi stammt aus der kleinen Stadt Békésszentandrás im Südosten Ungarns. Sie studierte an der Franz Liszt Musikakademie in Budapest bei Mária Ónodi und schloss ihr Studium 1984 ab. Ihre weitere Ausbildung führte sie nach London und Mailand, bevor sie Mitglied der 44 I 45 Ungarischen Staatsoper wurde. 1986 gewann Komlósi die »Pavarotti International Voice Competition« und sang an der Seite Pavarottis Verdis Requiem unter der Leitung von Lorin Maazel. 1988 gab sie ihr Debüt an der Metropolitan Opera New York. Heute ist Komlósi kein festes Ensemblemitglied einer Oper, sondern singt regelmäßig an vier bis fünf Opernhäusern, darunter die Semperoper Dresden, das Royal Opera House Covent Garden in London und die Scala in Mailand. 2006 gewann Ildikó Komlósi gemeinsam mit José Cura den Preis der Stiftung Verona per l’Arena. Dejan Lazić Der Pianist Dejan Lazić wurde in Zagreb, Kroatien, geboren und wuchs in Salzburg auf, wo er am Mozarteum studierte. Als Solist mit und ohne Orchester trat Dejan Lazić in den großen Konzertsälen Europas, Nord- und Südamerikas, Asiens und Australiens auf und wurde zu zahlreichen internationalen Festivals eingeladen. Im Frühjahr 2008 gab er seine Orchesterdebüts im New Yorker Lincoln Center mit dem Budapest Festival Orchestra und Iván Fischer und in der Royal Festival Hall in London gemeinsam mit dem London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Kirill Petrenko. Während der Saison 2007/08 konzertierte er mit großem Erfolg mit dem Philharmonia Orchestra unter Vladimir Ashkenazy und mit den Bamberger Symphonikern unter Jonathan Nott. Außerdem spielte er mit dem Atlanta, Seattle, Indianapolis und Swedish Radio Symphony Orchestra, dem Residentie Orkest, dem Seoul, Hong Kong und dem Rotterdam Philharmonic Orchestra. In der Saison 2008/09 war er Artist in Residence beim Netherlands Chamber Orchestra und freut sich über eine wachsende Anhängerschaft im Fernen Osten. Neben seiner Solokarriere ist Lazić auch ein begeisterter Kammermusiker. Er arbeitet regelmäßig mit Künstlern wir Benjamin Schmid, Gordan Nikolić und Richard Tognetti und ist ein häufiger Gast beim »Menuhin Festival Gstaad« und vielen anderen Festivals. Dejan Lazić nimmt exklusiv für Channel Classics auf. Der erste Teil seiner »Liaisons«-Reihe mit Werken von Scarlatti und Bartók wurde 2007 veröffentlicht, der zweite mit einem SchumannBrahms-Programm folgte Anfang 2009. 2008 erschien eine Aufnahme des 2. Klavierkonzerts von Rachmaninow mit dem London Philharmonic Orchestra unter Kirill Petrenko. Lazić ist darüber hinaus ein erfolgreicher Komponist, dessen Werk verschiedene Klavierkompositionen, Kammermusik und Orchesterstücke umfasst. 46 I 47 MCO Residenz NRW Universell einsetzbar Der junge Dirigent Robin Ticciati steht am Pult, wenn das Mahler Chamber Orchestra (MCO) seine Vielseitigkeit als Sinfonieorchester, Begleiter des Pianisten Pierre-Laurent Aimard und Ensemble passionierter Kammermusiker unter Beweis stellt: Werke von Berlioz, Chopin, Kurtág und Schumann. Sa 19.03.2011 · 20.00 In Arbeit Pierre Boulez erarbeitet mit dem MCO und Studierenden des Orchesterzentrum | NRW in Dortmund ein Programm mit Werken von Ravel, Schönberg und Strawinsky für die MusikTriennale Köln. Durch eine öffentliche Generalprobe kann auch das Dortmunder Publikum an dieser Arbeit teilhaben. Sa 07.05.2011 · 17.00 Des Knaben Wunderhorn Im letzten Residenzkonzert der Saison stehen beim Mahler Chamber Orchestra pünktlich zum Gustav-Mahler-Gedenkjahr dessen Sinfonie Nr. 4 sowie Orchesterlieder mit der Sopranistin Mojca Erdmann auf dem Programm. Di 24.05.2011 · 20.00 Musik ist wie ein Puzzle aus Tönen: Viele Elemente fügen sich zusammen zur Erfolgsmelodie des KONZERTHAUS DORTMUND. Unterstützen auch Sie hochkarätige Konzerte und profitieren durch Kartenvorkaufsrecht, exklusive Einladungen, kostenlosen Bezug von Broschüren etc. Werden Sie Teil der Gemeinschaft der »Freunde des Konzerthaus Dortmund e.V.« Infos: T 0231- 22 696 261· www.konzerthaus-dortmund.de Weiterhören Texte Ulrich Schardt Aufführungsmaterial »Herzog Blaubarts Burg« © Universal Edition AG Wien Fotonachweise S. 04 © Sonja Werner · KONZERTHAUS DORTMUND S. 12 © Sonja Werner · KONZERTHAUS DORTMUND S. 30 © Sonja Werner · KONZERTHAUS DORTMUND S. 32 © Sonja Werner · KONZERTHAUS DORTMUND S. 35 © Sonja Werner · KONZERTHAUS DORTMUND S. 38 © Sonja Werner · KONZERTHAUS DORTMUND S. 45 © Sonja Werner · KONZERTHAUS DORTMUND S. 47 © Felix Broede Herausgeber KONZERTHAUS DORTMUND Brückstraße 21 · 44135 Dortmund T 0231-22 696 200 · www.konzerthaus-dortmund.de Geschäftsführer und Intendant Benedikt Stampa Redaktion Dr. Jan Boecker · Marion Schröder Gestaltung Denise Graetz Anzeigen Anne-Katrin Röhm · T 0231-22 696 161 Druck Hitzegrad Print Medien & Service GmbH Wir danken den beteiligten Künstleragenturen und Fotografen für die freundliche Unterstützung. 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