Kontinuität im Wandel: Pci – Pds – Ds. Der Prozess der - uni

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Christian Grywatsch
Kontinuität im Wandel:
Pci – Pds – Ds.
Der Prozess der Sozialdemokratisierung der
italienischen Kommunisten (1980 – 2000)
uni-edition
Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar.
Autor: Christian Grywatsch
Kontinuität im Wandel: Pci – Pds – Ds. Die Sozialdemokratisierung der
italienischen Kommunisten (1980-2000)
Christian Grywatsch – Berlin: uni-edition, 2006
ISBN 3-937151-58-3
Dissertation
zur Erlangung des Grades eines Doktors
der Sozialwissenschaften der Universität Erfurt,
Staatswissenschaftliche Fakultät
Gedruckt auf holz- und säurefreiem Papier, 100% chlorfrei gebleicht.
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Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt auch
für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und für die
Verarbeitung mit elektronischen Systemen.
Herstellung: Schaltungsdienst Lange, Berlin
Printed in Germany
ISBN 3-937151-58-3
Für
Giovanna, Pietro und Elisa
Danksagung:
Ich möchte mich an dieser Stelle für jegliche Unterstützung, die mir
während der Arbeit an meiner Dissertation entgegengebracht wurde
bedanken.
Für die Auskünfte über das Innenleben der Partei und die Prozesse, die sich
während des untersuchten Zeitraumes abspielten, sei von den vielen
Parteimitgliedern hier an erster Stelle dem Generalsekretär Piero Fassino für
sein Interview gedankt. Darüber hinaus war es neben dem
Sekratariatsmitglied, der Senatorin Silvana Amati, vor allem die Basis, für
die stellvertretend Silvano Paradisi genannt werden soll, die mir
bereitwillige Auskunft gab und so eine große Hilfe war. Eine unerlässliche
Stütze bei der Recherche war außerdem das Archiv der Democratici di
sinistra in Rom, ohne welches eine Reihe von Daten und Informationen
nicht zur Verfügung gestanden hätte.
Mein besonderer Dank gilt außerdem meinem Doktorvater Prof. Dr.
Michael Strübel, der mich über die Jahre bei meiner Arbeit unterstützt und
gefördert hat. Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Herrn PD Dr.
Alexander Thumfahrt für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens.
Großer Dank gilt insbesondere meiner Mutter Inge Grywatsch, die durch ihr
Korrekturlesen und die beharrliche und ausdauernde Beschäftigung mit den
verschiedenen Versionen der Rechtsschreibreform und deren Umsetzung
eine nicht zu überschätzende Entlastung für mich darstellte.
Der größte Dank aber gilt meiner Frau Giovanna und unseren Kindern, die
mir während des gesamten Forschungsprojektes moralisch unterstützend zur
Seite standen.
Ungeachtet dieser Unterstützung sind sämtliche Fehler und Mängel, die der
Arbeit anzulasten sind, allein durch den Autor zu verantworten.
INHALT
1 EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG .................................................... 11
2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN DER STUDIE............................... 21
2.1 ORGANISATIONSANALYTISCHER FORSCHUNGSANSATZ ..................... 24
2.1.1 Klassische Parteienforschung .................................................... 24
2.1.2 Moderne Parteienforschung ....................................................... 30
2.1.2.1
Kontingenztheoretische Organisationsanalyse................ 31
2.1.2.2
Funktionalistische Organisationsanalyse ........................ 34
2.2 HANDLUNGSTHEORETISCHER UNTERSUCHUNGSANSATZ ................... 38
2.3 ZWISCHENBILANZ ZUR PARTEIENFORSCHUNGSTHEORIE ................... 42
3 HISTORISCHER RÜCKBLICK 1943 – 1989........................................ 45
4 DIE AUFDECKUNG UND BEKÄMPFUNG DER KORRUPTION
MANI PULITE - ........................................................................................ 75
5 DAS ITALIENISCHE PARTEIENSYSTEM ......................................... 81
6 PCI– PDS – DS ORGANISATIONSTHEORETISCHE
PARTEIENFORSCHUNG AUS SICHT DES „KLASSISCHNEOKLASSISCHEN“ ANSATZES........................................................ 119
6.1 PCI ................................................................................................... 127
6.2 PDS - DS .......................................................................................... 174
7 PCI – PDS – DS ORGANISATIONSTHEORETISCHE
PARTEIENFORSCHUNG AUS SICHT DES MODERNEN
PARTEIENFORSCHUNGSANSATZES ................................................ 217
INHALT
7.1 KONTINGENZTHEORETISCHE ORGANISATIONSANALYSE.................. 219
7.1.1 Pci ............................................................................................ 221
7.1.2 Pds/Ds...................................................................................... 227
7.2 FUNKTIONALISTISCHE ORGANISATIONSANALYSE ........................... 232
7.2.1 Partei als Ausdruck sozialer Kräfte.......................................... 234
7.2.1.1
Pci ................................................................................. 235
7.2.1.2
Pds/Ds ........................................................................... 242
7.2.2 Parteien als Instrument der Machtausübung ............................ 248
7.2.2.1
Pci ................................................................................. 248
7.2.2.2
Pds/Ds ........................................................................... 251
7.2.3 Parteien als Vermittler demokratischer Legitimation .............. 258
7.2.3.1
Pci ................................................................................. 259
7.2.3.2
Pds/Ds ........................................................................... 261
7.2.4 Parteien als Interessengruppe und Karrierevehikel.................. 263
7.2.4.1
Pci ................................................................................. 264
7.2.4.2
Pds/Ds ........................................................................... 269
8 LINKAGE DES PCI, PDS, DS ............................................................. 275
8.1 ORGANISATORISCHES - INDIREKTES LINKAGE ................................. 277
8.2 INDIVIDUELLES – DIREKTES LINKAGE.............................................. 295
9 HANDLUNGSTHEORETISCHE ANALYSE ..................................... 309
10 ZUSAMMENFASSUNG: KONTINUITÄT UND WANDEL IM
PROZESS DER SOZIALDEMOKRATISIERUNG DER ITALIENISCHEN
KOMMUNISTEN .................................................................................... 337
11 ITALIEN – DIE FRAGE NACH DER ZWEITEN REPUBLIK......... 349
11.1 DIE VERFASSUNG .......................................................................... 351
INHALT
11.2 DAS STAATSOBERHAUPT ............................................................... 358
11.3 DAS PARLAMENT UND DIE REGIERUNG ......................................... 361
11.4 DAS WAHLSYSTEM ........................................................................ 366
11.5 DIE POLITISCHE KULTUR ............................................................... 377
11.6 DIE MEDIEN................................................................................... 381
11.7 TRANSITION OHNE ENDE ODER ENDE OHNE TRANSITION?............. 386
12 ANNEX ............................................................................................... 389
12.1 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ........................................................... 389
12.2 QUELLEN UND LITERATUR............................................................. 390
12.3 TABELLEN UND ÜBERSICHTEN....................................................... 422
1 Einleitung - Fragestellung
Italien ist ein Land, das auf uns Deutsche eine besondere Anziehungskraft
ausübt. Schon im Mittelalter zog es immer wieder Kaiser und Könige nach
Italien. Die Begeisterung, die tiefen Sehnsüchte und die Verwirklichung der
Träume blieb lange Zeit einem kleinen Kreis von Künstlern und
Intellektuellen vorbehalten. Durch ihre literarischen Arbeiten wurden zum
Beispiel Goethe und Hesse zu Botschaftern der Apenninenhalbinsel
gegenüber einem breiteren Publikum. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts
wurde Italien auch von Touristen erobert. Der Traum von „la dolce vita“
wurde so durch die Wohlstandsmehrung im Rahmen des deutschen
Wirtschaftswunders für viele erfahrbar.
Italien übte aber nicht nur auf Grund seiner schönen Strände, seiner Kultur
und Lebensfreude eine besondere Anziehungskraft aus. Auch auf ganz
anderem, auf politischem Gebiet, war das Land der Zitronenbäume und
Mandelblüten attraktiv. Die Polarisierung in zwei starke Subkulturen, die
katholische und die sozialistisch/kommunistische, die trotz ihrer tiefen
Feindschaft neben- und zunehmend miteinander kooperierten, wie durch die
Filmreihe Don Camillo und Peppone auch künstlerisch immer wieder
dargestellt, war ein beliebtes Studienobjekt. Überhaupt bot Italien mit der
größten kommunistischen Partei außerhalb des direkten sowjetischen
Einflussbereiches die Voraussetzung für ein, wie man es bezeichnete,
„europäisches Versuchslabor“.
Politisches Markenzeichen Italiens war eine einzigartige Kombination aus
Dauerkrise und politischer Stabilität, aus Regierungswechseln und
personeller Kontinuität. Eine parlamentarische Demokratie, die trotz des
Konkurrenzmodells starke konkordanzdemokratische Elemente aufwies,
eine Republik welche trotz der offensichtlichen Defizite, die über kurz oder
lang zu einem Zusammenbruch des Systems führen mussten, funktionierte.1
1
Wieser/Spotts 1983.
11
EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG
Dieses System, welches scheinbar keine Überraschungen mehr bereit hielt,
in dem eine Regierungskrise und der Sturz einer Regierung auf Grund der
Häufigkeit keine wirkliche breaking news mehr darstellte, geriet zu Beginn
der neunziger Jahre in Bewegung. Dies geschah in einer Intensität, die bis
dahin niemand für möglich gehalten hätte. Mit dem Zusammenbruch des
Realsozialismus und der Auflösung und Neugründung der
Kommunistischen Partei Italiens (Pci2) als sozialdemokratische
Organisation (Pds) verlor der „Faktor K“ seine determinierende, weil
blockierende Bedeutung. Die quasi Staatspartei Dc verlor somit ihre
Legitimation als Freiheitsretterin, was zur Folge hatte, dass neue Akteure
auf der politischen Bühne Fuß fassen konnten.3 Diese Tatsache führte dazu,
dass die Macht der dominierenden Parteien, insbesondere der Dc und des
Psi, eingeschränkt wurden und damit die bis dahin politisch aufrecht
erhaltene Immunität der Politiker gegenüber der Justiz überwunden wurde.4
Damit waren die Voraussetzungen für „Mani pulite“5 gelegt.
Durch die Art und Weise, wie diese Untersuchungen sich auf das ganze
Land ausbreiteten und das politische System erschütterten, sprach man auch
von einem Erdbeben, bzw. von einer Lawine, die sich unaufhaltsam ihren
Weg bahnte. Die gesamte politische Klasse in Italien war betroffen: etwa
1000 Politiker verschiedenster Ebenen, unter anderem war jeder dritte
Parlamentarier betroffen, sahen sich mit „avvisi di garanzia“6 konfrontiert.7
Alles schien zu diesem Zeitpunkt in Frage gestellt. Nicht wenige
2
Bei der Verwendung italienischer Termini, sowie der Abkürzungen für Parteien,
Organisationen o.ä. wurde in der Arbeit auf die italienische Schreibweise zurückgegriffen. Mit
Ausnahme von Abkürzungen werden diese Begriffe in Anführungszeichen gesetzt und deren
Übersetzung bzw. Bedeutung bei der ersten Erwähnung erläutert.
3
Fix 1999.
4
Unter den verschiedenen Darstellungen über „Mani pulite“ und die bis dahin übliche Form,
Skandale und politische Prozesse zu verhindern, bzw. ihre Ausweitung zu unterbinden sei an
dieser Stelle auf Roques 1994 und Losano 1994 verwiesen, die in narrativer Form einen guten
Überblick bieten.
5
„Mani pulite“ bedeutet übersetzt „saubere Hände“ und bezeichnet die staatsanwaltschaftlichen
Untersuchungen, die ihren Ausgangspunkt in Mailand nahm und die Aufdeckung der
systematischen Korruption und Schmiergeldzahlungen zum Ziel hatte.
6
Es handelt sich bei dem „avviso di garanzia“ um die Benachrichtigung durch die
Staatsanwaltschaft, dass gegen die Betreffende Person ermittelt wird.
7
Roques 1994, Seite 69.
12
EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG
beschworen bereits den Untergang des bis dahin bestehendes Systems,
welches man in Erwartung einer neuen Ordnung entsprechend den
italienischen Gewohnheiten zur Nummerierung schnell als Erste Republik8
betitulierte. Demnach würden die Ereignisse zu einer neuen, einer Zweiten
Republik führen.
Dass diese Einschätzung etwas vorschnell war, zeigte sich bereits nach
kurzer Zeit. Verantwortlich dafür war eine ebenfalls alte italienische
Tradition, die ihren Ausdruck in folgendem Zitat findet: "Alles muss sich
ändern, damit alles so bleibt wie es ist!"9 Es wundert daher auch nicht, dass
sich diese Textstellen in nahezu jedem Buch der neunziger Jahre über Italien
wieder findet. Wissenschaftlich ausgedrückt steht diese Sentenz für "ein
ausgesprochen konservatives Verständnis von Wandel [...] in dem zentrale
Bestandteile des Systems durch Veränderungen nicht-zentraler Bestandteile
aufrechterhalten werden."10 Eben dies vollzog sich in Italien und so folgte
auf den Zusammenbruch der Ersten Republik kein grundlegender politischer
Neuanfang, sondern der Versuch, mittels Modifikationen innerhalb des alten
Systems etwas Neues zu gestalten. Die Veränderungen spielten sich dabei
häufig in nicht zentralen Bereichen ab oder aber die Neuerungen waren
selbst nur sehr begrenzt.11
Was sich seit Beginn der neunziger Jahre grundsätzlich geändert hat, ist das
Interesse an Italien aus politikwissenschaftlicher Sicht. Die
Apenninenhalbinsel stand schon ein Mal, Mitte der siebziger Jahre, im
Mittelpunkt des internationalen Forschungsinteresses. Auch in Deutschland
beschäftigten sich in dieser Zeit viele Wissenschaftler mit dem
Eurokommunismus, einer Entwicklung, an welcher der Pci maßgeblichen
Anteil besaß. Sowohl die kommunistischen Parteien, als auch die
Implikationen für das nationale- bzw. internationale System waren dabei
8
Da sich die Begriffe der Ersten und Zweiten Republik allgemein, auch in der
Politikwissenschaftlichen Literatur, als Arbeitstitel durchgesetzt haben wird auf die
Verwendung von Anführungszeichen verzichtet.
9
Tomasi Di Lampedusa 1998, Seite 33.
10
Orlandini 2000, Seite 24.
11
Um dieser für Italien zentralen Frage nachzugehen und um ein besseres Verständnis für die
Diskussion um die Zweiten Republik zu schaffen, wird an dieser Stelle auf das Kapitel 11
verwiesen.
13
EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG
von Interesse.12 Nach dem Scheitern des „compromesso storico“
(Historischer Kompromiss), dem deutlich schwächeren Abschneiden der
Kommunisten bei den folgenden Wahlen (1979) und der Herausbildung
einer neuen Regierungskoalition, dem so genannten „pentapartito“
(Fünfparteienkoalition aus Dc, Psi, Pli, Pri und Psdi) der die
Regierungsfähigkeit in den Achtzigern wiederherstellte, nahm das
Forschungsinteresse deutlich ab. Selbst die Auflösung und Neugründung der
einstmals stärksten kommunistischen Partei der westlichen Hemisphäre
wurde über die entsprechenden Fachkreise hinaus wenig rezipiert. Die
Entwicklungen in Osteuropa, der Zusammenbruch der Staaten des „real
existierenden Sozialismus“ waren international von weit größerem Interesse.
Mit der durch „Mani pulite“ ausgelösten Entwicklung zu Beginn der
neunziger Jahre änderte sich dies schlagartig. Italien rückte wieder in den
Mittelpunkt. Nachdem über fast vier Jahrzehnte (mit Ausnahme der bereits
angesprochenen Siebziger) hinweg Regierungskrisen und Skandale mit der
Gewissheit thematisiert wurden, dass sich nichts ändern würde, spürte man
nun, dass Veränderungen in der Luft lagen. Ihren vorläufigen Höhepunkt
erreichte diese Phase, als der Medienunternehmer Silvio Berlusconi sein
politisches Engagement ankündigte und bereits zwei Monate später als
strahlender Sieger aus den nationalen Parlamentswahlen hervorging. Sein
Sieg veranlasste nationale wie internationale Beobachter zur Ausrufung
einer „Telekratie“, manche sprachen gar von der Gefahr einer
„Demokratur“. Nach knapp acht Monaten war dieses Gespenst zunächst
wieder verschwunden. Die Regierung stürzte und eine Übergangsregierung
unter dem Parteilosen Ciampi kam ins Amt. Blieb also trotz aller
Veränderungen doch alles beim Alten? Diese Frage muss mit Nein
beantwortet werden. Vor allem innerhalb der Parteienlandschaft hatten sich
Entwicklungen vollzogen, die als Bruch mit der Vergangenheit gewertet
werden konnten. In erster Linie ist das Auftauchen von neuen politischen
Akteuren zu nennen, welches durch wissenschaftliche Studien begleitet
wurde. Zentraler Gegenstand der meisten Analysen waren die
Parteiorganisationen Forza Italia13, Alleanza nazionale14 und die Lega
12
13
z. Bsp.: Goldenberg 1979; Timmermann 1979; Strübel 1982.
Renner 1994; Ruggeri/Guarino 1994; Wallisch 1997; Rauen 1995a; Rauen 1995b;
14
EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG
nord15. Besonders die Vereinigung Berlusconis erreichte durch die neuartige
Struktur Aufmerksamkeit, die in erster Linie mit Skepsis in Bezug auf ihre
demokratische Ausrichtung und Legitimität betrachtet wurde. Darüber
hinaus wurde besonders ein Phänomen thematisiert was in dieser Form erst
mit dem Aufsteigen der Forza Italia und ihres Führers aufkam: Ein
ausgeprägter Interessenkonflikt zwischen privaten (wirtschaftlichen) und
Staatsinteressen. Wie man Berlusconis Aufstieg auch werten mochte, Italien
schien seinem Ruf als „Laboratorium“ erneut gerecht zu werden.
Ein weiterer Einschnitt in der Geschichte der italienischen Republik stellten
die Nationalwahlen von 1996 dar. Durch sie gelangte zum ersten Mal nach
dem II. Weltkrieg eine Linksregierung ins Amt. Die Wahlen führten aber
nur begrenzt zu stabilen politischen Mehrheiten, so dass die Regierung Prodi
1998 zurücktreten musste. Es schien, als hätten trotz der Veränderungen der
Jahre 1992/93 die alten Mechanismen der Ersten Republik überlebt. Die
Beschreibung von Regierungskrisen gehörte damit, wie vor den Ereignissen
von „Mani pulite“ zum journalistischen Alltag. Die Faszination, die sich zu
Beginn der Neunziger nachweisen ließ, verflog auch deshalb, weil sich die
Entwicklungen innerhalb des Parteiensystems, speziell in Bezug auf die
politischen Akteure, nur noch rekapitulieren ließen. Die Spaltungen,
Neugründungen, Bündnisse und Vereinigungen waren nicht mehr zu
überschauen und nur schwierig zu analysieren, da durch ihre geringe
Halbwertzeit eine Analyse oft obsolet wurde.
Die Konsequenzen daraus sind Forschungslücken auf verschiedenen
Gebieten. Vor allem die kleinen Parteien sowohl der Mitte (z. Bsp: Ccd,
Cdu, Ppi) als auch des linken Spektrums, insbesondere die
Nachfolgeorganisationen des Psi, sind kaum wissenschaftlich thematisiert
worden. Aber auch bei den großen Parteiorganisationen finden sich
Forschungsdefizite. Eklatant schein dies im Bereich der Kommunistischen
Partei Italiens (Pci) bzw. seiner Nachfolger. Während die neuen Akteure FI,
An und Lega nord teilweise sehr ausführlich besprochen wurden, war das
Interesse am Pds im Vergleich gering.
14
15
Ignazi 1994; Feldbauer 1996; Scheuer 1996,
Visentini 1993; Brütting 1995a; Braun 1996; Bordon 1997.
15
EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG
Aus der Zeit der Neugründung des Pds stammt die von Piero Ignazi
vorgelegte Studie ‚Dal PCI al PDS’, die zur Datenbasis für alle, sich in den
neunziger Jahren mit der Transformation des Pci zum Pds beschäftigenden
Werke wurde.16 Mehr als fünf Jahre lang folgten keine umfassenderen
Studien zum Pds, da besonders die Aktionen „Mani pulite“ und die neuen
politischen Akteure die Aufmerksamkeit banden. Die Eruptionen, die das
Parteiensystem erschütterten und die Agonie der Dc und des Psi einleiteten,
standen einer intensiven Beschäftigung mit den kommunistischen
Nachfolgeparteien entgegen. Erst die Konfrontation zwischen Berlusconis
Forza Italia und dem Pds 1994 rückten letzteren wieder in die Nähe des
Rampenlichts der Parteienforscher. Carlo Baccetti legte 1997 eine
Monographie vor, die aufbauend auf der Analyse von Ignazi, die
Entwicklung der ersten fünf Jahre der Entwicklung des Pds nachzeichnete.
Im Kern ging es darin um die Beschreibung des Wandels. Auch die von
Anna Bosco im internationalen Vergleich mit den kommunistischen
Parteien Spaniens und Portugals vorgelegte Untersuchung nahm diesen zum
Ausgangspunkt.17 Die letzte Arbeit zum Pds und seiner Transformation zu
den Ds wurde von Bellucci, Maraffi und Segatti vorgelegt, welche
besonders auf die Einstellungsänderungen der Parteitagsdelegierten
zwischen Pci (1990) und Pds (1997) und Ds (2000) fokussierten. Die 2002
von De Angelis vorgelegte Analyse bezog sich im Gegensatz dazu
ausschließlich auf die Organisationsstruktur des Pci.
Alle diese Arbeiten setzen ihren Schwerpunkt auf den Nachweis des
Wandels und der Veränderung im Verhältnis des Pci und seinen
Nachfolgern. Was vollkommen fehlt, ist die Berücksichtigung von
Übereinstimmungen, bzw. der Suche nach Kontinuitäten in der Organisation
und den Prozessen der entsprechenden Parteien. Dies verlangt der Frage
nachzugehen, ob und worin sich Parallelen nachweisen lassen. Sämtliche
zitierten Arbeiten beschreiben in erster Linie die Veränderungen, ohne
dezidiert auf die Konstanten zwischen Pci und Pds einzugehen.
Die vorliegende Arbeit soll dazu einen Gegenakzent setzen und die
Dimension der Kontinuität verstärkt beleuchten. Mithin besteht die
16
17
Ignazi 1992.
Bosco 2000.
16
EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG
Singularität der vorliegenden Studie darin, zu fragen, wo die Grenze
zwischen Kontinuität und Wandel liegt. Damit sind nicht nur die Fakten und
Tatsachen der Transformation relevant sondern implizit rückt auch die
zeitliche Komponente der Entwicklung in den Vordergrund. So soll nicht
unhinterfragt auf die grundlegende Studie Ignazis zurückgegriffen werden,
der den Bruch des Pci mit der Vergangenheit als Folge der Wahlniederlage
von 1987 sieht. Auch wenn sein Werk als Datenbasis für die folgende Arbeit
unentbehrlich ist, soll eine, dem neuen Kenntnisstand der Forschung,
insbesondere durch die detaillierte Arbeit De Angelis, angemessene neue
Bewertung des Pci im Verhältnis zum Pds und den Ds erfolgen. Ins Zentrum
rückt dabei die Frage, wann der Wandel und die Veränderungen innerhalb
der Kommunistischen Partei Italiens begonnen haben. Es besteht in diesem
Punkt eine offensichtliche Diskrepanz zwischen den Studien von Ignazi,
Baccetti und Bosco und den Einschätzungen von Protagonisten der
ehemaligen Kommunistischen Partei Italiens. Während diese nahezu
einhellig die Krise und die beginnenden Veränderungen an den Beginn der
achtziger Jahre datieren,18 sehen die Wissenschaftler die Krise und die
Veränderung als Ergebnis der Nationalwahlen von 1987.19 Sie berufen sich
dabei auf das von Panebianco 1982 entwickelte Modell, mit dem sich
Veränderungen in Parteien beschreiben lassen. Die vorliegende Arbeit
bezieht sich auch auf das von ihm vorgelegte Transformationsmodell und
berücksichtigt gleichzeitig die von Harmel und Janda vorgelegte
Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung dieses von Wiesendahl als
„Neoklassischen Forschungsansatz“ bezeichnete Modell.
Durch diese Herangehensweise wird der Weg frei für eine vollkommen neue
Perspektive, aus welcher die Frage nach dem Zeitpunkt des Wandels
ergebnisoffen untersucht werden kann. Gerade darin bestand die Motivation
für und die Faszination in der Arbeit, zu überprüfen, ob sich aus den
fokussierten aktuellen Forschungsergebnissen, wie vermutet, eine neue
Bewertung in Bezug auf Kontinuität und Wandel ergibt.
Darüber hinaus wurde der Versuch unternommen, dem Ziel der
umfassenden Darstellung dadurch gerecht zu werden, dass die Dissertation
18
19
Ariemma 2000; Mantovani 2002; Caponi 2003.
Baccetti 1997; Bosco 2000.
17
EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG
sich nicht nur auf diesen Forschungsansatz beschränkt. Der Kategorie
Wiesendahls folgend sollen weitere Forschungsperspektiven genutzt
werden, um den Pci und seine Nachfolger darzustellen. Auch der als
„handlungstheoretische Perspektive“ bezeichnete Ansatz, der Parteien als
Produkt menschlichen Handelns erklärt, soll obgleich der gegebenen
Schwierigkeiten bei der Datenlage, mit einbezogen werden.20 Dieses
Vorgehen soll ein möglichst ausführliches Bild entwerfen, welches die
Kontinuitätslinien ebenso beleuchtet wie den zweifelsfrei abgelaufenen
Wandel.
Bevor die Untersuchung sich dem konkreten Gegenstand, dem Pci der
achtziger Jahre und dem Pds/Ds widmet, soll nach einer Einführung in die
theoretischen
Grundlagen
der
zur
Anwendung
kommenden
Parteienforschungstheorie und zum besseren Verständnis ein historischer
Rückblick auf die Geschichte Italiens eingefügt werden. Damit wird es auch
möglich, die publizistisch aufgeladene Frage nach der Zweiten Republik
Italien, die im Anschließenden exkursorisch angesprochen werden soll, zu
verstehen. Dies scheint dem Autor aus zweierlei Gründen notwendig:
Erstens da die Zweite Republik vor allem Mitte der Neunziger vielfach in
einen verkürzten Zusammenhang mit einem neuen Parteiensystem gebracht
wurde, was eine unzulässige Vereinfachung dieser für Italien zentralen
Frage darstellte. Der zweite Grund liegt darin, dass sich die Untersuchung
auf die Parteien und deren Analyse konzentriert. Dem Erkenntnisinteresse
folgend, wurde die Studie darum im Sinne einer möglichst großen
Tiefenschärfe nicht mit der Analyselast, zweifelsohne relevanter Fakt wie
der politischen Kultur, bzw. der Frage nach den verfassungsrechtlichen
Rahmenbedingungen, beladen. Der Autor ist sich bewusst, dass die
politische Kultur - für den Untersuchungsgegenstand Italien erscheint es gar
angebracht von politischen Kulturen zu sprechen - ein entscheidender Faktor
für ein Parteisystem ist, doch liegt das Ziel der Arbeit auf einer detaillierten
20
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass durch die Einführung dieser zweiten
Perspektive, die den gleichen Gegenstand innerhalb derselben Zeitspanne analysiert, inhaltliche
Wiederholungen teilweise nicht zu vermeiden waren. Speziell die Tatsache, dass die
beschriebenen Fakten aus der unterschiedlichen Perspektive unterschiedliche Konsequenzen
trugen, bzw. Schlussfolgerungen brachten, stand einem Verzicht auf eine abermalige Nennung
entgegen.
18
EINLEITUNG - FRAGESTELLUNG
politikwissenschaftlichen Betrachtung der Parteiorganisationen. Einer
breiten Würdigung aller Einflussfaktoren stehen dabei der Umfang, als auch
die geringere Schärfe in Bezug auf das angegebene Ziel entgegen. Um den
Faktoren trotzdem den ihnen angemessenen Stellenwert zuzuweisen, werden
sie im Kapitel 10 in einem Problemaufriss skizziert werden. Dabei handelt
es sich jedoch nicht um eine Vollständigkeit beanspruchende Abhandlung
aller Determinanten sondern um einen Exkurs, der für dass Problemfeld der
Zweiten Republik Italien sensibilisieren soll.
19
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