3 Bürgermeisterwahlkampf – Strategie und Taktik

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Bürgermeisterwahlkampf – Strategie und Taktik
Berthold Löffler
Ein erfolgreicher Bürgermeisterwahlkampf ist die Eintrittskarte ins Rathaus. Wer erfolgreich sein will, muss die systemischen Voraussetzungen
der Volkswahl kennen, grundlegende Einstellungen und Verhalten der
Wähler in Rechnung stellen, die strategischen Erfordernisse des Bürgermeisterwahlkampfes beachten und um Tücken, Fehler und Fallen, die der
Wahlkampf bereithält, wissen.
Beginnen wir mit drei Fallbeispielen:
– Klaus F., 59 Jahre alt, katholisch, geschieden und wiederverheiratet,
2 Kinder, parteilos, ist Diplomverwaltungswirt und Diplomverwaltungswissenschaftler. Nach seinem Studium war er in großen Unternehmen
der Privatwirtschaft tätig und hat sich vor etwa 10 Jahren als Unternehmensberater selbständig gemacht. Er kandidiert bei der Bürgermeisterwahl im Sommer 2009 an seinem protestantisch geprägten Wohnort W.
(16.000 Einwohner) und setzt sich gleich im ersten Wahlgang gegen
starke Mitbewerber durch.
– Johannes P., 39 Jahre alt, parteilos, evangelisch, lebt in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Er kandidiert bei der Bürgermeisterwahl in
seiner Heimatgemeinde H. (12.000 Einwohner) gegen den Amtsinhaber.
Bereits der Vater von P. hatte eine leitende Position in der Gemeindeverwaltung. P. war kein Verwaltungsfachmann, sondern Wirtschaftswissenschaftler und in einem Unternehmen der Privatwirtschaft beschäftigt. Er gewinnt im Frühjahr 2004 die Wahl gleich in der ersten Runde
gegen starke Mitbewerber.
– Otto Z., Beamter der Zollverwaltung, katholisch, steht zurzeit seiner
Bürgermeisterkandidatur in der protestantisch geprägten Gemeinde G.
(1.200 Einwohner) kurz vor der Scheidung. Seine neue Freundin, mit
der er zusammenlebt, begleitet ihn im Wahlkampf. Er setzt sich gleich
im ersten Wahlgang im Winter 2001 gegen seine Mitbewerber durch.
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Berthold Löffler
Gegenkandidaten waren der stellvertretende Kämmerer einer Großen
Kreisstadt sowie der Hauptamtsleiter derselben Stadt.
Die drei Kandidaten haben eine auffällige Gemeinsamkeit: Nach den üblichen Anschauungen über die Chancen von Bürgermeisterkandidaten
hätten sie nie gewählt werden dürfen. Die Kandidaten sind zwar Ausnahmefälle, aber sie bestätigen gleichzeitig die Regelmäßigkeiten der Bürgermeisterwahl und werfen ein Licht auf ihre kausalen Strukturen. Andererseits sind alle Bürgermeisterwahlen singuläre Ereignisse: Ein ganz
bestimmter Kandidat will in einer ganz bestimmten Gemeinde mit einer
ganz bestimmten lokalen politischen Kultur und spezifischen örtlichen
Verhältnissen, in einer ganz bestimmten Kandidatenkonstellation Bürgermeister werden. Dieses Geschehen findet statt in einer ganz bestimmten
Zeit unter unwiederholbaren Umständen mit ganz bestimmten Themen
und Problemen. Für die konkrete Entwicklung einer Wahlkampfstrategie
und ihre Umsetzung gibt es deshalb keine allgemein gültige Rezeptur, sie
kann immer nur im Rahmen einer Einzelfallberatung erfolgen.
Immer wieder überrascht der Mangel an Professionalität selbst bei großen OB-Wahlkämpfen. Das geht in manchen Fällen so weit, dass Kandidaten nicht wegen, sondern trotz ihrer
Wahlkampftipp:
Wahlkampfstrategie
gewinnen.
Ein
nicht
ausrottbar
scheinendes
Phänomen
Die Bedeutung des Wahlist z. B. Wahlwerbung mithilfe von
slogans, der Attraktivität
politischer Prominenz. Darin kommt die
der Partnerin oder der
schlichte Verkennung der Intelligenz
persönlichen Beziehunder Wähler zum Ausdruck. Denn die
gen zu Prominenten und
Wähler lassen sich nicht beeindrucken
des äußeren Erscheivon den angeblich guten persönlichen
nungsbildes wird häufig
Beziehungen von Bürgermeisterkandiüberbewertet.
daten zu einem Minister oder Landtagsabgeordneten. Auch die angebliche
Wahlwirksamkeit gut aussehender Ehefrauen gehört zu diesen Fehlwahrnehmungen. Attraktive Partnerinnen von Kandidaten (umgekehrt scheint
das eher keine Rolle zu spielen) mögen zwar einen erfreulichen Anblick
bieten, aber die Wähler können sehr wohl unterscheiden zwischen den
Kandidaten, ihren Partnerinnen und der Tatsache, dass sie einen Bürgermeister wollen, den sie für geeignet und fähig halten. Zeichen für einen
Mangel an Professionalität ist auch die Verschwendung von Zeit und Geld.
Mancher Kandidat und sein Berater wollen nicht begreifen, dass politische
Werbung nicht (oder jedenfalls noch nicht) nach denselben Gesetzmäßig-
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Bürgermeisterwahlkampf – Strategie und Taktik
keiten wie Produktwerbung abläuft. Das heißt, die strategische Planung
von Bürgermeisterwahlkämpfen ist keine Sache für Werbeagenturen, die
Gestaltung der unverzichtbaren Werbemittel dagegen schon. Ebenso grotesk überbewertet wird die Rolle des Slogans. Im besten Fall unterstützt
ein origineller, pfiffiger Slogan, der zum Kandidaten passt, die strategische
Wahlkampflinie. Als Faktor für sich ist er nicht stimmenwirksam. Maßlos
überschätzt wird auch die Wirkung des äußeren Erscheinungsbildes der
Kandidaten. Das führt meist zu Endlosüberlegungen in Outfit-Fragen, die
regelmäßig in die unvermeidliche Diskussion einmünden, welches Krawattenmuster bei den Wählerinnen am besten ankommt.
Ziel einer professionellen Wahlkampfplanung ist ein möglichst wirkungsvoller, zielgenauer und kostengünstiger Bürgermeisterwahlkampf.
Professionelle Wahlkampfplanung sieht ihre vielleicht wichtigste Aufgabe
darin, die allerschlimmsten Fehler und Fallen, mit denen der Wahlkampfweg gepflastert ist, vermeiden zu helfen.
1
Wähler, Nichtwähler und die Volkswahl der Bürgermeister
Für die Entwicklung einer schlüssigen und wirkungsvollen Wahlkampfstrategie kommt es darauf an, sich die Faktoren bewusst zu machen, die
das Wahlverhalten bei Bürgermeisterwahlen beeinflussen. Die entscheidende Frage ist, wie wirkt sich die Volkswahl des Bürgermeisters auf das
Wählerverhalten und die Kandidatenauswahl aus? Die Volkswahl der
Bürgermeister hat zwei typische Auswirkungen:
a) Sie führt dazu, dass sich die Wähler
nicht so sehr an den politischen ParBei der Bürgermeisterteien und Wählervereinigungen oriwahl steht immer die
entieren, sondern an den einzelnen
Persönlichkeit der KanKandidatenpersönlichkeiten (Kandididaten im Vordergrund.
datenorientierung). Politische und
sachpolitische Fragen werden personalisiert, die Kandidatenpersönlichkeiten stehen im Vordergrund,
selbst dann, wenn es im Wahlkampf um Themen von hohem lokalem
Betroffenheitswert geht (Personalisierung der politischen Fragen).
b) Wegen der Kandidatenorientierung und der Personalisierung der politischen Fragen verringert sich die Bedeutung der politischen Parteien
und führt tendenziell zu einer Entpolitisierung, genauer, zu einer Entparteipolitisierung der kommunalen Politik.
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Berthold Löffler
Natürlich hängt die Entparteipolitisierung von der Gemeindegröße ab. Sie
Je kleiner die Gemeinde,
reicht in kleinen Gemeinden sehr weit,
desto unwichtiger ist die
in den großen Städten behalten die
parteipolitische Orientiepolitischen Parteien schon deshalb ein
rung der Kandidaten.
gewisses Gewicht, weil dort die einzelnen Kandidaten ohne die finanzielle
oder mindestens logistische Unterstützung der örtlichen Parteiorganisationen keinen Wahlkampf machen könnten. Aber selbst in den Mittelstädten ist der Einfluss der lokalen Parteien relativ gering. Diese Auswirkung des Volkswahlsystems wird von den Ortsparteien regelmäßig völlig
falsch eingeschätzt. Die Ortsparteien und die Gemeinderatsfraktionen
überschätzen ihr Gewicht und ihren Einfluss im Bürgermeisterwahlkampf
bei Weitem. Selbst die Kandidaten sitzen dieser Fehleinschätzung auf. Sie
verkennen, dass sich die Bürger nicht auf die Orientierungshilfe der politischen Parteien angewiesen fühlen, sondern davon überzeugt sind, ihre
Wahlentscheidung selbständig fällen zu können.
Neben den systemischen Bedingungen sind es die Wahlberechtigten, deren Verhalten als Wähler oder Nichtwähler in das planerische Kalkül
einbezogen werden muss. Da von ihrem Verhalten Erfolg oder Misserfolg
der Kandidaten abhängt, stellen sich gleich mehrere Fragen: Wer sind die
Wähler? Wer sind die Nichtwähler? Wie verhalten sich Wähler, wie die
Nichtwähler? Inwieweit verhalten sich Wähler bei Bürgermeisterwahlen
anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen? Die letzte Frage drängt
sich schon deshalb auf, weil eine nach Systemebenen unterschiedlich
hohe Wahlbeteiligung zu beobachten ist. Während bei Bundestagswahlen
die Wahlbeteiligung zwischen 70 und 90 Prozent liegt, bei Landtagswahlen zwischen 60 und 80 Prozent, schwankt die Wahlbeteiligung bei Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen in Abhängigkeit von der Gemeindegröße zwischen 30 und 80 Prozent. Gerade bei Wahlen, bei denen es um
die Wiederwahl eines unumstrittenen Amtsinhabers ohne Gegenkandidat
geht, fällt die Wahlbeteiligung regelmäßig weit unter die Fünfzigprozentmarke. Wenn also von Wählern die Rede ist, dann geht es nicht nur um
sie, sondern gleichzeitig auch um die Nichtwähler, die bei kommunalen
Wahlen manchmal sogar die Mehrheit stellen. Und weil die „Partei der
1
Nichtwähler“ regelmäßig überhaupt die stärkste der Parteien auf kommunaler Ebene ist, sind die Nichtwähler in gewisser Hinsicht fast noch interessanter als die Wähler. Vor allem dann, wenn sich die Strategieplanung
1
Liepelt/Mitscherlich, Thesen zur Wählerfluktuation.
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Bürgermeisterwahlkampf – Strategie und Taktik
mit der Aufgabe beschäftigt, das gewaltige Stimmenreservoir der Nichtwähler zu erschließen.
Die niedrige Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene sucht nach einer
Erklärung, die Hans-Georg Wehling in den kompakten Satz gefasst hat:
„Die Wähler gehen umso eher zur Wahl, je wichtiger sie das Ergebnis für
2
ihr persönliches Leben einschätzen.“ Mit anderen Worten: Viele Wahlberechtigte wählen deshalb nicht, weil sie nicht den Eindruck haben, dass
im Rathaus Fragen behandelt werden, die für sie existenziell wichtig sind.
Außerdem wird die Wahlbeteiligung gedämpft durch die insgesamt hohe
Mobilität der Bürger. Wer zum Beispiel an einem anderen Ort arbeitet als
er wohnt, in einer bestimmten Gemeinde nur wohnt, weil dort die Mieten
erschwinglich sind, die Freizeit wiederum an einem anderen Ort verbringt, der wählt wahrscheinlich nicht, weil seine Bindung an den Wohnort nur sehr schwach entwickelt ist.
Vor diesem Hintergrund sind die Unterschiede zwischen Wählern und
Nichtwählern aufschlussreich. Statistisch gesehen befinden sich unter den
Nichtwählern:
– überdurchschnittlich viele junge Wahlberechtigte unter 30 Jahren. Das
hängt u. a. damit zusammen, dass diese Altersgruppe noch mobiler ist
als die ohnehin schon mobile Gesamtbevölkerung und dass sie besonders wenig Berührungspunkte mit Kommunalpolitik hat. Die Angehörigen dieser Altersgruppe sind also in den Gemeinden, in denen sie
ihren Wohnsitz haben, jeweils nur noch schwach, gar nicht oder noch
nicht integriert. Zu den schwach Integrierten zählen insbesondere Studierende. Viele von ihnen befinden sich in einem Prozess der Ablösung von Elternhaus und Herkunftsgemeinde, ohne sich bereits an
einem neuen Ort etabliert zu haben. Zudem ist bei vielen jungen
Wahlberechtigten das Interesse für Kommunalpolitik gering, selbst
dann, wenn das allgemeinpolitische Interesse groß ist. Natürlich gibt es
auch in dieser Altersgruppe schicht- und gruppenspezifische Unterschiede. Vor allem junge Wahlberechtigte, die in einer bestimmten
Gemeinde gesellschaftlich aktiv sind, die im Musikverein, bei der Feuerwehr, bei der Landjugend oder in Sportvereinen mitwirken, die vielleicht schon eigene Wohnungen oder Häuser besitzen, sind für kommunalpolitische Fragen offener und werden sich deshalb mit einer
höheren Wahrscheinlichkeit an Bürgermeisterwahlen beteiligen als die
hochmobilen Gruppen.
2
Wehling, BWGZ 16/1994, S. 565.
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Berthold Löffler
– überdurchschnittlich viele Frauen, obwohl sich der Abstand zwischen
Männern und Frauen in den letzten Jahrzehnten insgesamt verringert
hat. Unter den Nichtwählern auffällig hoch ist der Anteil der jungen
Frauen.
– überdurchschnittlich viele Bürger, die weniger als 10 Jahre am Ort wohnen. Aus der Gemeindesoziologie ist bekannt, dass die Integration von
Neubürgern in der Regel nach zehn Jahren abgeschlossen ist. Erst dann
ist kein statistischer Unterschied zwischen Alteingesessenen und Zuge3
zogenen mehr zu erkennen.
– überdurchschnittlich viele Angehörige der sog. Unterschicht, etwa ungelernte Arbeiter. Bei ihnen resultiert die Wahlabstinenz aus einem generellen Mangel an Interesse für Politik und insbesondere für Gemeindepolitik sowie aus einem Mangel an relevanter Information. Dadurch entsteht
ein Gefühl resignativer Ohnmacht gegenüber der kommunalen Politik.
Das führt zu der Einschätzung, dass die „Großkopfeten“ die wichtigen
kommunalpolitischen Entscheidungen ohnehin unter sich ausmachen.
– überdurchschnittlich viele gesellschaftlich Nichtaktive. Diese Gruppe
besteht aus Bürgern, die weder informellen Gruppen wie einem Stammtisch oder Freundeskreis angehören, noch in einem örtlichen Verein
mitmachen. Mitgliedschaften in Vereinen und Verbänden ohne örtlichen Bezug haben dagegen keinen Einfluss auf das kommunale Wahlverhalten.
– überdurchschnittlich viele Bürger, die wenig Interesse für Politik allgemein und in noch geringerem Masse für Kommunalpolitik aufbringen
und objektiv auch kommunalpolitisch schlecht informiert sind, wobei
der schlechte Informiertheitsgrad aus mangelhaftem Interesse an kommunalpolitischen Themen herrührt und umgekehrt. Daraus ergibt sich
eine sich selbstverstärkende Rückkoppelungsspirale aus Desinteresse
und Informationsmangel.
– überdurchschnittlich viele Wahlberechtigte, die EU-Ausländer oder
Spätaussiedler sind. Die Wahlbeteiligung der EU-Ausländer ist besonders niedrig. Das hat neben anderen Faktoren, wie etwa den schichtspezifischen, wohl damit zu tun, dass sie sich emotional immer noch den
Gemeinden ihrer Herkunftsländer verbunden fühlen, während sie an
deutsche Gemeinden nur funktionale Leistungserwartungen haben. Bei
den Spätaussiedlern ist die niedrige Wahlbeteiligung häufig Zeichen ei3
Statistisch heißt, dass in der Gesamtheit sowohl diejenigen enthalten sind, bei denen die
Integration nur drei Jahre braucht, wie auch diejenigen, die sich überhaupt nicht in das Leben
ihrer Gemeinde integrieren.
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Bürgermeisterwahlkampf – Strategie und Taktik
ner noch nicht oder nur mangelhaft vollzogenen Integration. Die defizitäre Integration hat häufig sprachliche Gründe. Mangelhafte Sprachkenntnisse allein sind schon Grund genug, dass sich ein ausreichendes
Maß an kommunalpolitischem Interesse und kommunalpolitischer Informiertheit erst gar nicht entwickeln kann. Latente Gefühle der Unterlegenheit oder Randständigkeit begünstigen darüber hinaus Rückzugstendenzen in die eigene Gruppe und Tendenzen der sozialen
Selbstabschottung.
Die beschriebenen Merkmale treten selbstverständlich nicht isoliert auf,
sondern kumulieren und verdichten sich zu bestimmten Phänotypen. Es
gibt Rückkoppelungen, etwa zwischen der Dauer der Ortsansässigkeit,
aktiver Vereinsmitgliedschaft und kommunalpolitischem Interesse. Manche der Merkmale verstärken sich gegenseitig, manche schwächen einander ab oder heben sich auf. Geringe Ortsansässigkeitsdauer, gesellschaftliche Passivität, junges Alter und Zugehörigkeit zur sog. Unterschicht
verstärken einander in Richtung Nichtwahl. Zunehmendes kommunalpolitisches Interesse, Informiertheit und aufsteigende Schichtzugehörigkeit
lassen eine Teilnahme an einer Bürgermeisterwahl immer wahrscheinlicher werden. Lange Ortsansässigkeit und Vereinsaktivitäten wiederum
schwächen die Wirkung eines geringen Lebensalters oder der Zugehörigkeit zu den unteren Schichten ab oder heben sie auf.
Auf der Gegenseite stehen die Wähler. Ganz allgemein gesprochen identifizieren sie sich in höherem Maße mit ihrer Gemeinde und den in dieser
Gemeinde vorherrschenden Werten und Einstellungen. Statistisch gesehen
befinden sich unter den Wählern:
– überdurchschnittlich viele Wahlberechtigte zwischen 30 und 60 Jahren.
Das sind Frauen und Männer mit Kindern und eigener Wohnung oder
eigenem Haus. Sie sind nicht so mobil wie die Unterdreißigjährigen. Mit
der Gemeinde sind sie über viele Interessen verbunden, etwa wo es um
örtliche Kindergärten und Schulen, öffentlichen Busverkehr, Freizeiteinrichtungen, medizinische Versorgung, Einrichtungen der Daseinsvorsorge, Vereinsaktivitäten geht. Außerdem haben sie eine relativ hohe
emotionale Bindung an ihre Gemeinde.
– Schichtbezogen gesehen wählen Mittelschichtangehörige, insbesondere
die Angehörigen der Oberen Mittelschicht, überdurchschnittlich häufig.
Innerhalb der Oberen Mittelschicht befindet sich die Untergruppe der
kommunalpolitisch hochinteressierten Wähler. Dazu gehören die am Ort
tätigen Selbständigen, also Gewerbetreibende, Handwerker, Rechtsanwälte, Einzelhändler, Ärzte.
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Berthold Löffler
– Landwirte sind die soziale Schicht mit der höchsten Wahlbeteiligung.
Sie sind auch insofern atypisch, als sie sich noch mehr für Kommunalpolitik als für Politik allgemein interessieren. Keine soziale Gruppe hat
einen so engen Bezug zur eigenen Gemeinde wie Landwirte. Sie verbringen Leben, Arbeit, Freizeit meist an ein und demselben Ort. Sie sind
in den wichtigen Vereinen der Gemeinde aktiv und fühlen sich meistens
ihrer Gemeinde emotional stark verbunden, was wieder aus der oft generationenlangen Ortsansässigkeit und der Ausrichtung ihres Lebens auf
die eigene Gemeinde herrührt. Ihnen gehört auch ein Großteil des für
die Kommunalpolitik so wichtigen Grund und Bodens. Kommunalpolitische Entscheidungen berühren häufig grundlegende Interessen von
Landwirten.
– Überdurchschnittlich viele Wähler finden sich bei den gesellschaftlich
aktiven Bürgern, die sich in den örtlichen Vereinen und Initiativen engagieren und an informellen Gruppen wie Stammtischen oder Familienkreisen teilnehmen. Wie wichtig dieses Potenzial ist, wird daran erkennbar, dass gerade in kleineren Gemeinden ein großer Teil der
Gemeindebürger in einem oder mehreren örtlichen Vereinen und Initiativen aktiv ist.
– Eine Ortsansässigkeitsdauer von mehr als zehn Jahren ist ein zuverlässiger Indikator für einen hohen Grad an gesellschaftlicher Integration
und Identifikation mit der Gemeinde. Die Wirkung der Wohndauer gilt
für deutsche Staatsbürger ausländischer Herkunft, EU-Ausländer und
Spätaussiedler aber nur eingeschränkt.
– Wähler haben ein größeres Interesse für Politik allgemein als Nichtwähler und vor allem ein größeres Interesse für kommunalpolitische Themen. Die kommunalen Wähler sind außerdem sehr viel besser informiert als die Nichtwähler. Die wichtigsten kommunalpolitischen
Informationsquellen sind die lokale Presse und/oder die Amtsblätter der
Gemeinden. Persönliche Kontakte spielen vor allem in kleineren Gemeinden eine wichtige Rolle. Mit aufsteigender Gemeindegröße beschaffen sich die kommunalen Bürger ihre Informationen aus der lokalen
Presse. Allerdings nehmen mit aufsteigender sozialer Schicht auch die
persönlichen Kontakte zu Entscheidungsträgern, wirtschaftlich einflussreichen Bürgern oder dem Führungspersonal aus dem vorpolitischen
und dem politischen Raum zu und kommen daher als Informationsquellen mit ins Spiel.
Die Kommunen in Baden-Württemberg sind vielfach künstliche Gebilde,
die im Zuge der Neugliederung zu Beginn der Siebzigerjahre des 20. Jahr-
60
Bürgermeisterwahlkampf – Strategie und Taktik
hunderts aus ehemals selbständigen Gemeinden zusammengesetzt wurden.
Diese Ortschaften haben sich zum großen Teil ihre eigene Identität bewahrt
mit der Folge, dass sich die Bürger vor
Wahlkampftipp:
allem mit den kommunalpolitischen
Themen der eigenen Ortschaft und nur
Gehen Sie in Ihrem
eingeschränkt mit den Problemen der
Wahlkampf auch immer
Gesamtgemeinde beschäftigen. Selbst
individuell auf die
das Interesse der kommunalpolitisch
Ortsteile einer Gemeinde
hochinteressierten Ortschaftsbewohner
bzw. die Stadtteile einer
ist tendenziell stärker auf die alte eheStadt ein.
mals selbständige Ortschaft ausgerichtet
als auf die Gesamtgemeinde. In den
größeren Städten interessieren sich die Bürger überwiegend für stadtteilspezifische Angelegenheiten. Relevant ist der Grad der Informiertheit und
des kommunalpolitischen Interesses für das Wahlverhalten insofern, als
sich die kommunalpolitisch interessierten und informierten Bürger ein
eigenständiges Urteil darüber erlauben, wer der beste Kandidat ist. Das
bedeutet, dass der Einfluss der örtlichen Parteien und Wählervereinigungen auf die Meinungsbildung der Bürger ungleich geringer ist als in der
öffentlichen Meinung unterstellt wird.
Die kommunalen Nichtwähler repräsentieren ein gewaltiges Stimmenpotenzial. Dieses Potenzial könnte regelmäßig ein wahlentscheidendes Gewicht haben. Allerdings ist diese Stimmenreserve schon deshalb schwer
mobilisierbar, weil die Nichtwähler nicht zielgenau identifiziert werden
können. Eine allgemein anwendbare
Wahlkampftipp:
Strategie zu ihrer Mobilisierung gibt es
nicht. Aber Nichtwähler sind grundsätzBemühen Sie sich, die
lich mobilisierbar unter der Bedingung,
Nichtwähler in der Gedass es den Kandidaten gelingt, sie
meinde zu mobilisieren.
persönlich anzusprechen. Mit diesem
Sie stellen ein enormes
Wissen kann professionelle WahlkampfStimmenpotenzial dar.
beratung dazu beitragen, dass wenigstens ein Teil dieser Reserve genutzt
werden kann, so wie im folgenden Beispiel: In einer 7.000-EinwohnerGemeinde stellte sich der Amtsinhaber (CDU) nach 24 Jahren erfolgreicher
Bürgermeistertätigkeit noch einmal zur Wahl. Allerdings tauchte ein Herausforderer (Die Grünen) auf. Der Wahlkampf verlief von Anfang an hoch
emotional, der Amtsinhaber polarisierte sehr stark und griff den Gegenkandidaten persönlich an. In dieser aufgeladenen Atmosphäre erreichte
der Amtsinhaber im ersten Wahlgang 49,5 Prozent der Stimmen, der Her61
Berthold Löffler
ausforderer 48 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt, fehlten dem
Herausforderer zum Sieg im zweiten Wahlgang etwa 100 Wählerstimmen.
Das Wählerpotenzial schien ausgeschöpft, zumal die Wahlbeteiligung
hoch war. Mithilfe professioneller Wahlkampfberatung kam der Herausforderer für den zweiten Wahlgang zu einer Strategie, die davon ausging,
dass der Amtsinhaber durch einen mit allen Mitteln der Emotionalisierung
betriebenen Wahlkampf sein Stimmenpotenzial ausgeschöpft hatte. Gleiches schien aber auch für den Herausforderer zu gelten. Allerdings war
klar, dass trotz hoher Wahlbeteiligung noch eine beträchtliche Stimmenreserve an Nichtwählern bestand. Eine wichtige Erkenntnis der kommuna4
len Wahlforschung lautet, dass Bürger mit geringer Ortsansässigkeit überproportional unter den Nichtwählern vertreten sind. Da die Beschaffung
der Adressen von Bürgern, die neu in die Gemeinde zugezogen waren,
über das Einwohnermeldeamt nicht möglich war, wurde ein behelfsmäßiges Verfahren gewählt. Ein Vergleich des damals aktuellen Telefonbuches mit einem zwei Jahre zurückliegenden ergab eine Differenz von etwa
200 Bürgern, die durch Zuzug in die Gemeinde wahlberechtigt geworden
waren. Der Herausforderer besuchte zwischen dem ersten und zweiten
Wahlgang alle auf diese Weise ermittelten Adressen. Er appellierte an die
Solidarität der „Reigschmeckten“, die, wie er selbst, neu in der Gemeinde
waren. Im zweiten Wahlgang blieb der Amtsinhaber, wie erhofft, auf seinem ersten Ergebnis von 49,5 Prozent stehen, der Herausforderer erreichte
50,1 Prozent.
2
So sehen Sieger aus – vom Profil erfolgreicher
Bürgermeisterkandidaten
Parteien spielen bei der Direktwahl der Bürgermeister eine untergeordnete
Rolle. Häufig allerdings treten sie bei der Suche und der Rekrutierung von
geeigneten Kandidaten in Aktion, müssen es aber nicht. Strategische Konsequenz der Kandidatenorientierung der Wähler und der reduzierten Bedeutung des lokalen Parteiensystems ist, dass sich die örtlichen Parteien
und Gemeinderatsfraktionen mit der Unterstützung von Kandidaten zurückzuhalten. Da sich selbst die parteigebundenen kommunalen Wähler
einen Bürgermeister wünschen, der über den Parteien steht und sich nicht
4
Löffler/Rogg, Determinanten kommunalen Wahlverhaltens in Baden-Württemberg und dies.,
Kommunalwahlen und kommunales Wahlverhalten, S. 109–136.
62
Bürgermeisterwahlkampf – Strategie und Taktik
Wahlkampftipp:
vor den Karren von Parteiinteressen
spannen lässt, schadet eine offene UnSignalisieren Sie Unabterstützung durch Parteien den Kandihängigkeit – vor allem
daten mehr als sie nützt. Hinzu kommt,
von den Parteien.
dass die Exponenten des lokalen Parteiensystems manchmal umstritten sind
oder im Verdacht stehen, Gemeindepolitik als Küchenkabinettspolitik zu
betreiben. In solchen Fällen erregt es das Misstrauen der Wähler, wenn die
Kandidaten in allzu große Nähe lokaler Parteigrößen geraten und der Eindruck entsteht, der Kandidat und künftige Bürgermeister könnte als „Marionette“ kommunalpolitischer Drahtzieher enden. Aus diesen Gründen
beschränken sich örtliche Parteien und Wählervereinigungen, die umsichtig und sensibel handeln, auf eine diskrete Unterstützung ihres Wunschkandidaten.
Welche Anforderungen ergeben sich aus den Bedingungen des Volkswahlsystems für das Profil erfolgreicher Kandidaten? Äußerst zählebig
sind gewisse Vorstellungen, wie erfolgreiche Kandidaten angeblich beschaffen sein müssen. Diese Vorstellungen werden zwar ständig von der
empirischen Wirklichkeit widerlegt, halten sich aber trotzdem hartnäckig
in den Köpfen von Bürgern und lokalen Wahlkampfstrategen. Diese Vorstellungen sind verzerrte Wahrnehmungen des amerikanischen Wahlkampfmodells mit seiner Überbetonung persönlicher Elemente. Träfen
diese Vorstellungen tatsächlich zu, dann gäbe es keine Bürgermeister, die
konfessionslos sind oder die „falsche Konfession“ haben; die geschieden
sind oder in homosexuellen Partnerschaften leben; die keine Kinder oder
keine besonders attraktiven Ehepartnerinnen haben; die ein gewisses Alter
über- oder unterschreiten; die über keine jugendliche Ausstrahlung oder
nicht wenigstens über die rhetorischen Fähigkeiten eines John F. Kennedy
verfügen; die nicht Mitglied in der Partei sind, die bei Bundestags- und
Landtagswahlen in der Gemeinde die Mehrheit hat. Oder die das Pech
haben, gleich mehrere dieser Eigenschaften zu besitzen.
Der Wahlerfolg lässt sich immer auf das Zusammenwirken verschiedener
Kandidatenmerkmale mit äußeren Umständen zurückführen. Nur in ganz
seltenen Fällen lässt sich Sieg oder Niederlage an einem einzigen Kandidatenmerkmal, an einem einzigen Fehler, einer gelungenen Wahlkampfmaßnahme oder an einer ganz bestimmten Situation festmachen. Kandidatenmerkmale und äußere Umstände verbinden sich zu einer spezifischen
Konstellation, die von den Wählern am Ende mit Zustimmung honoriert
oder mit Ablehnung bestraft wird. Unter diesen Voraussetzungen lassen
sich einige grundlegende Dimensionen des Wahlerfolgs identifizieren:
63
6
Motivation zur Kandidatur und Umsetzung
im Wahlkampf – eine Darstellung entlang
eigener Wahlkampferfahrung
Thorsten Frei
1
Wie wird man Bürgermeister?
Auch wenn es abgedroschen klingen sollte: Die Wahrnehmung des Amtes
eines Bürgermeisters oder einer Bürgermeisterin ist nicht Beruf, sondern
1
Berufung. Auch der Weg dorthin ist anders als im „normalen“ Arbeitsleben. Wer es sich zutraut, zusammen mit dem Gemeinderatsgremium die
Entwicklung einer Kommune nach eigenen Vorstellungen und in letzter
Verantwortung aktiv zu gestalten, kann, wenn eine interessante Stelle ausgeschrieben ist, nicht einfach seine aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen abgeben, die es üblicherweise dem zukünftigen Arbeitgeber ermöglichen, nach Abgleich mit dem Anforderungsprofil eine vernünftige
Auswahlentscheidung zu treffen. Auch
Hinweis:
ein Assessment-Center oder eine andere
moderne Form der Bewerberauswahl
Siehe auch den Beitrag
kann Interessierten nicht zum angevon Präsident Roger
strebten Spitzenamt in einem Rathaus
Kehle: Rechtliche Grundverhelfen.
sätze bei BürgermeisterRein formal gesehen ist die Bewerwahlen, Wahlanfechbung für eine ausgeschriebene Bürgertungen und sonstige
meisterstelle ganz einfach: Wer die in
wichtige Rechtsvorder Gemeindeordnung geforderten Vorschriften (S. 91 ff.).
aussetzungen erfüllt, teilt der in der
1
Dies dokumentiert auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung/Deutscher Städtetag/Deutscher
Städte- und Gemeindebund (Hrsg.). Beruf Bürgermeister/in. Eine Bestandsaufnahme für
Deutschland, 2008, in der festgestellt wird, dass fast 8 von 10 wahlberechtigten Deutschen
mit ihrem Bürgermeister zufrieden bis sehr zufrieden sind und sagenhafte 96 Prozent aller
hauptamtlichen Bürgermeister ihren Beruf auch gerne betreiben.
131
Thorsten Frei
Stellenausschreibung genannten Person schriftlich mit, dass er sich für die
ausgeschriebene Stelle bewirbt. Dem Bewerbungsbrief fügt er eine Wählbarkeitsbescheinigung der aktuellen Wohngemeinde bei. Gegebenenfalls
müssen einige weitere Voraussetzungen erfüllt sein, wie etwa die Abgabe
2
der notwendigen Anzahl an Unterstützerunterschriften.
Damit ist der erste Schritt für die Wahrnehmung eines kommunalen
Wahlamts gemacht. Jetzt geht es aber erst richtig los: Wer die Wahl gewinnen möchte, benötigt die Stimmen der
Wahlkampftipp:
Wahlberechtigten. Er oder sie muss also
etwas dafür tun, dass zum einen die
Die Wähler verzeihen
Wahlberechtigten am Wahltag auch zur
auch kleine Fehler
Urne gehen und zum anderen ihm oder
nicht – Lernen Sie
ihr ihre Stimme geben. Dass von nichts
deshalb auch aus den
tatsächlich auch nichts kommt, bewahrErfahrungen anderer.
heitet sich bei Wahlen sofort und direkt.
In den allermeisten Fällen ist die Aktivierung der Wähler im beschriebenen Sinn ein richtiger Kraftakt und immer auch eine große Herausforderung. Gilt es doch, im Wahlkampf nicht
nur Sachkompetenz zu vermitteln, sondern auch das notwendige Persönlichkeitsbild und – vor allem – keine Fehler zu machen. Wer sich erstmals
um ein solches Amt bewirbt, hat zwar Mut, Zuversicht und Entschlossenheit, in der Regel aber nicht den Überblick, was auf ihn zukommt, welche
Fußangeln ihn erwarten und wie die umworbenen Wählerinnen und Wähler auf sie oder ihn, das Wahlprogramm und die darin enthaltenen Lösungsvorschläge für die aktuellen und dringlichen Probleme der jeweiligen Kommune reagieren. Erfahrungen aus anderen beruflichen Tätigkeiten
nützen hierfür nicht allzu viel. Die Gefahr, Fehler zu machen, ist also groß
und deshalb nicht zu unterschätzen. Wähler reagieren auf solche in der
Regel gnadenlos: vielfach sehr rational, oft aber auch „aus dem Bauch
heraus“. Schon kleine Fehler können dazu führen, dass eine eigentlich gut
geführte Wahlkampagne letztlich doch nicht zum Erfolg führt.
Insbesondere auf der Grundlage eigener Erfahrungen sind im Folgenden
wesentliche Gesichtspunkte eines Bürgermeisterwahlkampfes exemplarisch dargestellt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht natürlich
nicht.
2
Dies gilt beispielsweise in Baden-Württemberg für die Großen Kreisstädte ab 20.000 Einwohnern, vgl. § 10 Abs. 3 des Kommunalwahlgesetzes Baden-Württemberg.
132
Motivation zur Kandidatur und Umsetzung im Wahlkampf
2
Warum eine Kandidatur als Bürgermeister?
Bürgermeister agieren an der Schnittstelle von Verwaltung, Wirtschaft und
Politik. Das ist einerseits attraktiv und reizvoll, andererseits aber auch mit
besonderen Herausforderungen verbunden. Nach Artikel 70 GG ist die
Ausgestaltung des Kommunalrechts Ländersache. Die Länder haben bei
der Wahrnehmung dieser Möglichkeit auf unterschiedliche, historisch
gewachsene Gemeindeverfassungssysteme zurückgegriffen. Alle Gemeindeverfassungen sind von dem Grundprinzip bestimmt, dass in der repräsentativen Demokratie die höchste Entscheidung letztlich beim Bürger,
beziehungsweise bei den von ihm gewählten Vertretern, liegt. Süddeutsche
und norddeutsche Ratsverfassung, rheinische Bürgermeisterei oder die so3
genannte unechte Magistratsverfassung unterscheiden sich darin nicht.
In den vergangenen Jahren hat die süddeutsche Gemeinderatsverfassung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts in Württemberg und Baden
und später auch in Bayern als KommuHinweis:
nalverfassungssystem entstanden ist,
einen regelrechten Siegeszug angeSiehe auch den Beitrag
treten. Verfassungssysteme dieser Art
von Prof. Gerhard
bestehen heute in Bayern, Baden-WürtBanner: Die baden-württemberg, Sachsen und – mit Modifikatembergische Kommutionen – in Sachsen-Anhalt; ebenso in
nalverfassung – ein
Thüringen sowie seit 1994 in RheinModell für Deutschland
land-Pfalz, im Saarland, Nordrhein(S. 13 ff.).
Westfalen, ab 1996 in Niedersachsen
4
und ab 1998 in Schleswig-Holstein.
Die Kommunalverfassung im Sinne der süddeutschen Gemeinderatsverfassung sichert dem Bürgermeister eine so starke und umfassende Stellung, wie sie im demokratischen-politischen System selten vorkommt. So
ist der Bürgermeister nicht nur für die Ausführung von Gemeinderatsentscheidungen zuständig, sondern ist darüber hinaus auch selbst Organ. Er
kommt durch eine Volkswahl in dieses Amt und ist dafür somit unmittelbar demokratisch legitimiert. Der Bürgermeister ist Vorsitzender des Gemeinderats, Leiter der Gemeindeverwaltung und Vertretungsorgan der
Gemeinde nach innen und außen. Wer Gestaltungskraft und Gestaltungswillen hat, kann also dem wahrzunehmenden Amt seinen ganz persön-
3
4
Theodor Pfizer, Kommunalpolitik, 1973, S. 37.
Alfons Gern, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 9. Auflage 2005, Randnummer 18.
133
Thorsten Frei
lichen Stempel aufdrücken und dieses nach seinen eigenen Vorstellungen
und Möglichkeiten formen und gestalten.
3
Schnittstelle von Verwaltung, Wirtschaft und Politik
Als Leiter der Gemeindeverwaltung hat der Bürgermeister zunächst einmal die klassischen Verwaltungsaufgaben wie etwa Bau-, Finanz- und
Ordnungsverwaltung selbst oder durch seine Mitarbeiter zu erledigen.
Darüber hinaus hat er in der Regel auch Aufgaben in den Bereichen der
Kultur, des Tourismus oder der kommunalen Daseinsvorsorge zu erledigen. In mittleren und größeren Kommunen kommt es allerdings oft vor,
dass diese aus der eigentlichen Gemeindeverwaltung ausgegliedert sind
und privatwirtschaftlich erledigt werden. In vielfältigen weiteren Bereichen, wie zum Beispiel im Kur- und Bäderwesen, mit Großveranstaltungen oder im Bereich des Stadt- bzw. Innenstadtmarketings werden vielfach
Herausforderungen definiert, die über das klassische Verwaltungshandeln
weit hinausreichen.
Die Bertelsmann-Stiftung hat 2008 eine Repräsentativerhebung durchgeführt, an der sich knapp 10 Prozent der deutschen Bürgermeister beteiligt
haben. Danach wird die Möglichkeit, das Stadtbild einer Kommune zu
verändern und mitzugestalten, von 97 Prozent der Bürgermeister als Hauptmotiv für die Berufswahl genannt, dicht gefolgt von der Freude am Umgang
mit Menschen (95 Prozent) und der persönlich empfundenen Verpflichtung
5
gegenüber dem Gemeinwohl (90 Prozent).
Im Kern geht es darum, dass ein moderner Bürgermeister seine Gemeinde nicht nur verwaltet, sondern im besten Wortsinne kreativ gestaltet. Zielsetzung muss dabei nicht immer sein,
dass die Kommune sämtliche Aufgaben
Im Amt:
selbst erledigt. Viel wichtiger ist vielMotivieren Sie die Bürger
mehr, Entwicklungen und Prozesse inund setzen Sie sie als
nerhalb der Gemeinde zu initiieren, zu
Mitstreiter bei Gemeinformen und ihnen Gestalt zu geben.
schaftsaufgaben ein.
Megatrends wie hohe Mobilität und
demographische Entwicklung spiegeln
den dramatischen Wandel der Gesell5
Bertelsmann-Stiftung/Deutscher Städtetag/Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.).
Beruf Bürgermeister/in. Eine Bestandsaufnahme für Deutschland, 2008, S. 17.
134
Motivation zur Kandidatur und Umsetzung im Wahlkampf
schaft wider. Wer hier gegensteuern will, braucht neue Konzepte und neue
Lösungen. Daraus erwachsen neue Aufgaben, die rechtzeitig erkannt und
in der politischen Gestaltung umgesetzt werden müssen. Dies erfolgreich
zu tun, verlangt vom Bürgermeister innerhalb der Gemeinde hohe Präsenz,
Überzeugungskraft und Durchsetzungswillen. Alleine wäre ein Bürgermeister mit dieser Aufgabe überfordert. Er benötigt Mitstreiter – also Menschen, die sich als Unternehmer, als Vertreter von Vereinen oder in sonstiger Form in der Gemeinde engagieren. Von alleine werden sich diese eher
selten in solche Gemeinschaftsaufgaben einbringen. Die Bürger müssen
dafür vielmehr gewonnen werden.
Der Bürgermeister hat also zunächst einmal Überzeugungsarbeit zu leisten und Begeisterung zu wecken. Das berühmte „Wir-Gefühl“ ist zu erzeugen und die Erkenntnis zu vermitteln, dass es eigentlich nichts Erfüllenderes gibt, als an der positiven Entwicklung der Heimatgemeinde aktiv
mitarbeiten und seine eigenen Vorstellungen dafür einbringen zu können.
Insofern ist das Amt des Bürgermeisters eminent politisch. Es geht nicht
nur um die Vernetzung der politischen Ebenen und den engen Kontakt zu
Mandatsträgern sämtlicher Parteien, sondern natürlich auch um die politischen Chancen und Möglichkeiten innerhalb der Gemeinde. Eine Sache
als richtig zu erkennen und sie umzusetzen, reicht dabei bei Weitem nicht
aus. Der zweite Teil ist der noch viel wichtigere: Die Menschen von der
Richtigkeit des politischen Weges zu überzeugen und mitzunehmen. Es
geht also darum, sich politische Mehrheiten zu verschaffen und zu organisieren. Dieser Teil der Aufgabe wird zwar in größeren Kommunen ausgeprägter sein als in kleineren. Im Kern wird es aber immer darum gehen,
Menschen auf den einzuschlagenden Kurs einzustimmen und sich entsprechende Mehrheiten zu verschaffen.
Eine fundierte fachliche Ausbildung reicht in der Regel nicht aus, um
den Anforderungen, die das Amt des Bürgermeisters mit sich bringt, gerecht werden zu können. Mindestens ebenso entscheidend ist die Persönlichkeit des Amtsinhabers. Die Ergebnisse der Bürgermeisterwahlen in der
letzten Zeit beweisen dies. Noch vor wenigen Jahren wurden insbesondere
einschlägig ausgebildete Verwaltungsfachleute – Verwaltungswirte der
Verwaltungshochschulen oder Juristen – in das Amt des Bürgermeisters
gewählt. Heute findet man nahezu sämtliche Professionen. Die Wähler
gehen also zunehmend davon aus, dass der Bürgermeister nicht sämtliche
klassischen Verwaltungsaufgaben selbst zu leisten in der Lage sein muss,
sondern er vielmehr neben der Leitung der Verwaltung die gesamten gemeindlichen Prozesse zu gestalten und führen hat.
135
Thorsten Frei
Nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung glauben 80 Prozent der deutschen Bürgermeister und Bürger zwar, dass Vorkenntnisse in
Verwaltungsfragen nicht unbedingt hinderlich sind, um eine Verwaltung
6
wirtschaftlich und deren Mitarbeiter verantwortlich zu führen. Trotzdem
zeigt die Realität, dass mindestens jeder vierte Amtsinhaber vor seiner
kommunalen Regentschaft beruflich noch nicht mit Verwaltungsaufgaben
zu tun hatte. Etwas mehr als ein Drittel war dagegen schon vorher im öffentlichen Dienst einer Kommune beschäftigt, jeder Fünfte im öffentlichen
7
Dienst beim Land.
Die Feststellung, dass letztlich die Persönlichkeit des Bewerbers für den
Wahlerfolg entscheidend ist, dokumentiert auch eine im Jahr 2005 von der
Hochschule für öffentliche Verwaltung
8
Anforderungen
Kehl durchgeführte Wahlanalyse. Dabei
an die Kandidaten:
wurden im Rahmen einer umfassenden
Telefonumfrage die OberbürgermeisterWichtig ist, dass Sie
bzw. Bürgermeisterwahlen in den südeine Verwaltung als
badischen Städten und Gemeinden EmGanzes führen können.
mendingen, Donaueschingen, SpaichinÜberlassen Sie das
gen, Schutterwald und Rheinhausen
detaillierte Fachwissen
analysiert. In diesem Zusammenhang
Ihren Mitarbeitern.
wurde festgestellt, dass in sämtlichen
untersuchten Gemeinden – unabhängig
von deren Größe – insbesondere die Persönlichkeit der Bewerber ausschlaggebend für die Wahlentscheidung war. Auf die weiteren Aussagen
der Wahlanalyse wird an anderer Stelle noch einmal eingegangen.
Ist der Bürgermeister ein Politiker? Nein, hieß es noch in den ersten
Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik: Bei dieser Beurteilung
wurde davon ausgegangen, dass es bei der Ausgestaltung dieses Amtes
nicht um Politik, sondern um die kommunale Selbstverwaltung geht, wie
auch das Grundgesetz in Art. 28 formuliert. Seit den 1970er-Jahren ist eine
drastische Politisierung der Kommunalpolitik eingetreten. Das Bewusstsein ist gewachsen, dass gerade vor Ort grundlegende politische Entscheidungen über die Lebensumstände der Bürgerinnen und Bürger getroffen
6
7
8
Bertelsmann-Stiftung, Die Demokratiemacher. Von Beruf Bürgermeister/in: Führung und
Beteiligung in der lokalen Demokratie, 2009, S. 23.
Bertelsmann-Stiftung/Deutscher Städtetag/Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.).
Beruf Bürgermeister/in. Eine Bestandsaufnahme für Deutschland, 2008, S. 12.
Seminar „Wer wird gewählt?“ – Eine Analyse von (Ober-)Bürgermeisterwahlen von Professor
Paul Witt und Oberbürgermeister Klaus Muttach, Hochschule für öffentliche Verwaltung
Kehl.
136
Motivation zur Kandidatur und Umsetzung im Wahlkampf
werden. So tätigen kommunale Körperschaften beispielsweise rund zwei
Drittel aller jährlichen öffentlichen Investitionen und führen etwa 80 Pro9
zent der Bundes- und Landesgesetze aus.
4
Die eigene Motivation – Stärken und Schwächen
Wer sich für das Amt des Bürgermeisters oder Oberbürgermeisters bewerben will, muss felsenfest davon überzeugt sein, dass er dieses Amt
auch wirklich möchte. Die eigene Überzeugung reicht im Zweifelsfalle nicht
Stimmen Sie Ihre Kaneinmal aus. Die Wahl in das Amt des
didatur unbedingt mit
Bürgermeisters hat gravierende AusIhrer Familie ab.
wirkungen für die ganze Familie. Die
Entscheidung, dieses Amt anzustreben,
muss deshalb bis ins Detail mit der Familie abgestimmt sein. Im Regelfall
ist die Wahl auf den Chefsessel im Rathaus mit dem Umzug in eine neue
Stadt und einem neuen gesellschaftlichen und sozialen Umfeld verbunden. Für die Kinder bedeutet dies eine neue Schule, neue Freunde und
ein neues Lebensumfeld; für den Ehepartner, dass er bzw. sie Teil des
öffentlichen Lebens wird und sich oft auch die Notwendigkeit für seine
bzw. ihre Präsenz in der Öffentlichkeit ergibt.
In den seltensten Fällen wird es möglich sein, die mit dem Amt des
Bürgermeisters verbundenen Aufgaben in der üblichen 40-Stunden-Woche
zu erledigen. Die Bedürfnisse der Gemeinde und ihrer Bürger orientieren
sich nicht an einem geregelten Tagesablauf. Jeder, der sich daran macht,
das Amt eines Bürgermeisters anzustreben, muss sich dieser Tatsache
bewusst sein. Um möglichen späteren Enttäuschungen und Fehlentwicklungen vorzubeugen, ist auch dieser Umstand vor einer Bewerbung mit
der Familie abzustimmen. Auf einen Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin warten im Amt Ärger und Unannehmlichkeiten in Fülle. Wenn sich
Situationen dieser Art nach dem Verlassen des Rathauses zu Hause fortsetzen, hält dies auf Dauer auch ein Mensch mit Elefantenhaut nicht mehr
aus. Deshalb ist es absolut unerlässlich, dass der Bewerber und seine Familie die Rahmenbedingungen kennen und diese ohne Vorbehalte akzeptieren. Wer im Rathaus letztlich für alles verantwortlich ist, braucht den
9
Everhard Holtmann, Parteien in der lokalen Politik, in: Wollmann/Roth (Hrsg.), Kommunalpolitik, 1999, S. 208.
137
Thorsten Frei
uneingeschränkten Rückhalt der Familie. Nur wenn die richtigen Formen
des persönlichen Umgangs auch mit den Beschwerlichkeiten des Amtes
gefunden sind, kann davon ausgegangen werden, dass dieser Rückhalt von
Dauer sein wird.
Die Motivation Bürgermeister zu werden, reicht für den erfolgreichen
Ausgang des Vorhabens allein nicht aus. Der Wahlkampf ist eine ganz
auf die Person des Kandidaten zugeschnittene Angelegenheit. Jeder Bewerber bringt in diesen seine ganze Persönlichkeit ein; neben den Stärken auch die Schwächen. Dessen muss man sich bewusst sein und sich
schonungslos mit den eigenen Schwächen auseinandersetzen. Das heißt,
der Kandidat oder die Kandidatin muss eine Strategie entwickeln, wie
im Wahlkampf mit erkannten Schwächen umzugehen ist. Damit kann es
in manchen Fällen sogar gelingen, sich in eine Position der Stärke zu
bringen.
Dass man sich im Wahlkampf Fehler nicht erlauben kann, ist bereits ausgeführt. Der größte anzunehmende Fehler wäre, mit der eigenen persönlichen Vita unsauber umzugehen. Egal,
Wahlkampftipp:
wie kurz ein Wahlkampf auch sein mag,
die Zeit wird immer ausreichen, dass
Seien Sie ehrlich und
Mitbewerber, deren Unterstützer oder
glaubwürdig. Einen
auch die örtlichen Medien die Angaben
Vertrauensbruch werden
zur Person, der fachlichen Qualifikation
Ihre Wähler nicht
usw. eines Kandidaten durchleuchten,
verzeihen.
überprüfen und hinterfragen. Sollten
dabei Unregelmäßigkeiten, Beschönigungen oder sogar Unwahrheiten vermutet werden, ist die Wirkung verheerend. Auf einen Schlag wäre Vertrauen zerstört. Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust ist jedoch das Schlimmste, was einem Kandidaten passieren kann. In vielen Fällen ist dies dann auch das Ende der Kampagne.
In der bereits oben zitierten Umfrage der Hochschule für öffentliche
Verwaltung Kehl wurde unter anderem herausgearbeitet, welche persönlichen Merkmale wichtige Entscheidungskriterien für die wahlberechtigten
10
Bürger sind. Dabei hat sich herausgestellt, dass insbesondere den Kriterien Geschlecht, Konfession, Freizeit, Hobby und Familienstand eine geradezu vernachlässigenswerte Bedeutung beizumessen ist. Selbst in kleineren Gemeinden sind diese Merkmale – entgegen einer landläufigen
Meinung – nicht ausschlaggebend. Auch die Frage, ob ein Bewerber einer
10
Seminar „Wer wird gewählt?“ – Eine Analyse von (Ober-)Bürgermeisterwahlen von Professor
Paul Witt und Oberbürgermeister Klaus Muttach, a.a.O. (Fußnote 8).
138
Motivation zur Kandidatur und Umsetzung im Wahlkampf
Partei angehört oder nicht, ist im Regelfall aus Sicht der Wählerinnen und
Wähler nicht von entscheidender Bedeutung. Wesentlicheres Gewicht
wird der früheren beruflichen Tätigkeit des Bewerbers zuerkannt. Hier
geht es insbesondere darum, nachzuweisen, dass man aufgrund bisheriger
beruflicher Erfahrungen in der Lage ist, die Herausforderungen im Amt
des Bürgermeisters erfolgreich zu bestehen. Insofern ist es wichtig, in der
Wahlwerbung auf die unterschiedlichen beruflichen und Lebenserfahrungen einzugehen und hinzuweisen. Üblicherweise wird von den Wählern
Verwaltungserfahrung geschätzt. Auch die Frage, ob man in der Lage ist,
Mitarbeiter erfolgreich zu führen, dürfte ein wichtiges Auswahlkriterium
sein. Mag die Versuchung auch groß sein, den eigenen Lebenslauf etwas
positiver darzustellen, als er, nüchtern betrachtet, tatsächlich ist, muss
dieser Versuchung absolut widerstanden werden. Für die Wähler ist das
wichtigste Kriterium nämlich die Persönlichkeit des Bewerbers. Das
höchste Gut, das verspielt werden kann, ist, wie oben dargestellt, die
Glaubwürdigkeit. Diese steckt den Handlungs- und Gestaltungsrahmen ab.
Natürlich empfiehlt es sich, in der Wahlkampagne die eigenen Stärken
und Besonderheiten in den Vordergrund zu spielen. Damit kann erreicht
werden, dass die weniger ausgeprägten Fähigkeiten und Eigenschaften im
Wahlkampf eine eher untergeordnete Rolle spielen.
5
Die Auswahl der geeigneten Stadt bzw. Gemeinde
Das Bürgermeisteramt muss immer im Zusammenhang mit der jeweiligen
Stadt oder Gemeinde gesehen werden. Hier gilt, dass der Bewerber oder
die Bewerberin zur Stadt passen muss
Wahlkampftipp:
und umgekehrt genau so. Städte und
Gemeinden sind je nach der Landschaft,
Informieren Sie sich
in der sie liegen, und ihrer eigenen
genau über Ihre WahlStruktur sehr unterschiedlich. Ist es
gemeinde – nicht zuletzt,
eine große oder eher kleinere Gemeinum den Wählern zu
de? Handelt es sich um eine Industriezeigen, dass sie Ihnen
und Arbeiterstadt? Beherrschen in ersam Herzen liegt.
ter Linie Dienstleistungen das Bild?
Gibt es eine konfessionelle Prägung?
Wie ist die Infrastruktur ausgebildet? Wie stellt sich die Finanzsituation
dar? Gibt es größere ungelöste Probleme? Wie ist die Zusammenarbeit
zwischen Gemeinderat und Verwaltung? Diese und andere Fragen sind zu
139
Thorsten Frei
klären. Vor der Eheschließung heißt es bekanntlich: „Drum prüfe, wer sich
ewig bindet.“ Auch wer das Wagnis einer Kandidatur für das Amt des
Bürgermeisters eingehen möchte, sollte auf die Risikoanalyse nicht verzichten und sich die „Braut“ vorher „ansehen“. Dies kann verhindern,
dass diejenigen, die es immer schon gewusst haben, irgendwann einmal
feststellen, dass „die beiden“ – in diesem Fall also Bürgermeister und
Gemeinde – einfach nicht zusammengepasst haben.
Es gibt zwar einige Beispiele erfolgreicher Kandidaturen in der Heimatgemeinde, trotzdem ist davon im Regelfalle abzuraten. Die Gründe sind
naheliegend: Am Wohnort ist man familiär und gesellschaftlich verwurzelt. Nicht selten wird man in Vereinen engagiert sein und auch den Arbeitsplatz dort haben. Dies birgt die Gefahr, dass Bewerberinnen und Bewerber selbst oder Familienmitglieder in eine bestimmte „Schublade“
gesteckt werden. Man kennt sich, und dies bewirkt, dass die Menschen im
Ort vom Mitmenschen, der sich für das Amt des Bürgermeisters bewirbt,
vielfach ein subjektives Bild haben. Dies kann gut oder schlecht sein. Aber
es ist eben ein Bild, das in einem Wahlkampf kaum korrigiert werden
kann. Dies verstärkt sich noch, wenn Bewerber in ihrer Heimatgemeinde
bereits beruflich oder politisch exponiert sind. Wer sogar dem Gemeinderat angehört, scheidet als Bewerberin oder Bewerber für das Amt des Bürgermeisters nahezu aus.
Oft werden Gemeinderatsmitglieder, die bei der Gemeinderatswahl ein
gutes Wahlergebnis erzielt haben, zur Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters in der Heimatgemeinde ermuntert und bewegt. Selten kann
aber das gute Ergebnis bei der Gemeinderatswahl in ein ähnlich gutes
Wahlergebnis bei einer Bürgermeisterwahl umgemünzt werden. Die Wähler unterscheiden sehr stark zwischen der Wahl zum Gemeinderat und der
zum Bürgermeister. So kann eine besonders starke Verankerung im gesellschaftlichen und Vereinsleben vor Ort bei der Kommunalwahl für ein
gutes Ergebnis sehr vorteilhaft sein. Bei der Bürgermeisterwahl wird aus
diesem Vorteil sehr oft ein Nachteil. Dies gilt in größeren Städten eher
weniger, in kleineren Gemeinden eher mehr. Gerade dort wird geschätzt,
wenn ein unbelasteter Bewerber von außen antritt. Diesem wird zugetraut,
dass er seine Entscheidung an sachlichen Kriterien orientieren und ohne
Ansehen von Personen treffen wird. Und dies dürfte auch tatsächlich so
sein. Mit einem Kandidaten von außen halten neue Ansichten Einzug, es
gibt keine – wenn auch nur vermeintliche – Verpflichtungen in der Gemeinde und auch keine Vorbelastungen. Persönliche Verbindungen spielen beispielsweise bei der Vergabe von Aufträgen und Leistungen nicht
nur keine Rolle, sondern es fehlt auch schon am „bösen Schein“. Auch für
140
Motivation zur Kandidatur und Umsetzung im Wahlkampf
diejenigen, die einen ganz besonderen Bezug zur Heimatgemeinde haben,
gilt die dringende Empfehlung, dort nicht als Bürgermeister zu kandieren.
Wer sich in einer „fremden“ Gemeinde als Bürgermeister bewirbt, muss
sich darüber im Klaren sein, im Falle eines Wahlsieges dort dauerhaft oder
jedenfalls für die nächsten acht Jahre zu
Wahlkampftipp:
leben. Im Sinne einer hohen Arbeitsund Lebenszufriedenheit ist es daher
Lassen Sie Ihre Familie
wichtig, dass sich sowohl der Amtsinauch an der Entscheihaber als auch dessen Familie in diesem
dung, in welcher GeUmfeld wohlfühlen. Deshalb ist es sinnmeinde Sie kandidieren,
voll, wenn sich der Kandidat und seine
teilhaben.
Familie vor der offiziellen Bewerbung
die ausgewählte Gemeinde in Ruhe
ansehen und dabei auch für sich entscheiden, ob diese als zukünftiger
Wohnort in Betracht kommen kann. Wenn diese Frage im positiven Sinn
entschieden ist, geht es in einem weiteren Schritt darum, auch das mögliche zukünftige berufliche Umfeld aufzuhellen. Wichtig dabei ist, dass der
Kandidat zur Stadt und ihrem Image passt. Warum? Ein Bürgermeister
muss glaubwürdig und überzeugend seine Gemeinde vertreten können
und grundsätzlich auch der erste Imagewerber sein, und dies ist eben nur
dann möglich, wenn die sprichwörtliche „Chemie“ stimmt – also Bürgermeister und Gemeinde zusammenpassen.
Die Gemeindegröße hat natürlich starke Auswirkungen auf den Aufgabenbereich. Darüber muss sich ein Bewerber im Klaren sein. Wer eher
vorsichtig agiert, wird sich für seine Bewerbung eine kleinere Kommune
aussuchen und wer sich mehr zutraut,
Im Amt:
eine größere. Eine kleine Gemeinde hat
den Vorteil, dass sie überschaubar und
Je kleiner die Gemeinde,
der persönliche Bezug zu den Mendesto stärker werden
schen gegeben ist. Andererseits bedeuSie als Fachmann in
tet eine kleine Gemeinde auch immer
verschiedenen Bereichen
die Limitierung von Möglichkeiten. In
zu Rate gezogen.
der Regel wird es dort keine weiterführende Schule und nur wenig öffentliche
und kommunale Infrastruktur geben. Die Gestaltungsmöglichkeiten im
Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge werden also eher eingeschränkt
sein. So dürfte es im Energiebereich eher selten die Möglichkeit der Eigenregie geben; in Einzelfällen vielleicht im Rahmen der interkommunalen
Zusammenarbeit mit einer größeren Nachbarkommune. Auch im Bereich
von Kultur und Tourismus werden die Handlungsinstrumente begrenzt
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