Gymnasium Damme Nordhofe 1 49401 Damme 05491/ 6701- 0 Facharbeit Im Leistungskurs Geschichte Der Vertrag von Rapallo Weg aus der Isolation, oder aggressiver Revisionismus? Verfasser: Christina Hardinghaus Fachlehrerin: Frau Wilhelm Abgabetermin: 28.03.2003 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung..............................................................Seite 1 2. Hauptteil 2.1 Das Problem der Reparationsfrage und die Erfüllungspolitik...................................................Seite 2-3 2.2 Die innenpolitische Stimmung um 1921/ 22........Seite 3-5 2.3 Der Weg zum Vertragsabschluss von Rapallo....Seite 5-7 2.4 Warum die Sowjetunion als Vertragspartner?.....Seite 8-9 2.5 Der Inhalt des Vertrages..................................... Seite 9-10 2.6 Die Rolle Maltzans, Wirths und Rathenaus.........Seite 10-12 2.7 Die Haltung Frankreichs und Englands gegenüber Deutschland vor und nach dem Vertrag von Rapallo................................................................Seite 13-15 2.8 Die innen- und außenpolitischen Folgen des Rapallo Vertrages...............................................Seite 15-16 3. Fazit......................................................................Seite 17-18 4. Literaturverzeichnis...............................................Seite 19 5. Erklärung...............................................................Seite 20 1. Einleitung Das übergeordnete Thema der Facharbeit lautet „Die Weimarer Republik“. Ich befasse mich auf den folgenden Seiten mit der Frage, ob der Vertrag von Rapallo als Weg aus der Isolation, oder aggressiver Revisionismus verstanden werden kann. Wobei das Wort „Revisionismus eine Bemühung darstellt, die bestehenden politischen oder völkerrechtlichen Verhältnisse zu verändern“ (Meyers Lexikonredaktion. Meyers großes Taschenlexikon in 24 Bänden. Mannheim 1998. Band 18. S. 139 ). Um diese Frage zu beantworten, müssen mehrere Aspekte beleuchtet werden, die direkt bzw. indirekt einen Einfluss auf den Vertragsabschluss genommen haben könnten. Meine weitere Vorgehensweise wird deshalb sein, dass ich als Erstes versuche die Gewichtigkeit der Reparationsfrage und dessen unmittelbare Folgen für Deutschland zu klären. Womit dann auch schon der zweite Punkt folgt, und zwar die innenpolitische Stimmung der Jahre 1921/ 22, aus der sich eine mögliche Motivation für diesen Vertrag ablesen ließe. Des weiteren werden noch die Gesichtspunkte auf dem Weg nach Rapallo bzw. Genua, warum die Sowjetunion als Vertragspartner und die Rolle Maltzans, Wirths und Rathenaus, aufgeführt, die die persönliche Einstellung der beteiligten deutschen Politiker, sowie der Sowjetunion, aber auch die Beweggründe für eine Zusammenarbeit wiederspiegeln sollen. Zudem wird ebenfalls ein Blick auf den Inhalt des Vertrages geworfen, ob dieser rein inhaltlich besorgniserregend oder sogar provozierend wirkte. Zum Schluss wird geklärt, wie die Alliierten, England und Frankreich, den Vertragsabschluss der Deutschen zwischen den Sowjets aufgenommen haben, und in wie weit sie darauf ihre bisherige Haltung gegenüber Deutschland veränderten. Dieser Punkt läuft dann nahtlos über in die innen- und außenpolitischen Konsequenzen des Vertrages für das Reich und was er letztlich überhaupt bewirkt hat. 2.1 Das Problem der Reparationsfrage und die Erfüllungspolitik Die Reparationsfrage galt in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges als das wichtigste außenpolitische Problem, über das die Alliierten verhandelten. Die Siegermächte und Deutschland konnten sich lange Zeit über keine für beide Seiten annehmbare Summe einigen.1 Fest stand nur, dass Deutschland sich im Versailler Vertrag verpflichtet hatte für die Schäden an der zivilen Bevölkerung aufzukommen, ohne dass eine konkrete Höhe der Kriegsentschädigung festgelegt wurde. Somit wurden die Reparationen zur Hauptstreitfrage, die auf insgesamt zweiundzwanzig Konferenzen versucht wurde zu lösen.2 Deutschland weigerte sich kontinuierlich die Zahlungsverpflichtungen anzuerkennen und wies die Forderungen der Reparationskommission im März 1921 in London von über 226 Milliarden Goldmark zurück. Daraufhin drohten die Alliierten, ausgehend von Frankreich, mit der Besetzung der Städte Duisburg, Ruhrort und Düsseldorf, um dort durch Zollerhebungen einen Teil der Reparationszahlungen einzutreiben. Doch Deutschland folgte dem Ultimatum nicht und die Drohung wurde umgesetzt.3 Die Reparationen wurden vor allem von Frankreich als politische Waffe gegen Deutschland eingesetzt, um den alten „Erzfeind “ auf unbestimmte Zeit finanziell geschwächt zu halten, damit Frankreich seine Vormachtstellung auf dem europäischen Kontinent ausbauen konnte. Es kam daher zu keiner Integration der deutschen Wirtschaft in die Weltwirtschaft, so dass die wirtschaftliche Entwicklung gehemmt wurde und die Inflation stieg.4 In Deutschland hatten zudem die unangemessene Höhe der Zahlungen, sowie die Sanktionen eine psychologische 1 vgl. Niedhart, G. Internationale Beziehungen 1917-1947. München 1989. S. 49-51. vgl. Graml, H. Europa zwischen den Kriegen. München ³1976. S. 96- 97. 3 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 49. 4 vgl. Michalka, W.,Niedhart, G. Die ungeliebte Republik. München 2002. S. 99-100. 2 Wirkung, die das Gefühl einer ungerechten Behandlung in der Bevölkerung hervor riefen.5 Erst nach einem weiteren Ultimatum am 5. Mai 1921 in London, in dem die Besetzung des gesamten Ruhrgebietes ab dem 12. Mai angedroht wurde, gab die neue Regierung Wirth schließlich nach und verpflichtete sich, die bereits auf 122 Milliarden Goldmark herabgesetzte Reparationssumme in jährlichen Raten zu zahlen.6 Mit dieser Bereitschaft den Forderungen der Alliierten nachzukommen, setzte die Phase der Erfüllungspolitik ein, die den guten Willen Deutschlands zur Zusammenarbeit demonstrieren sollte. Allerdings war die Erfüllungspolitik nicht als Selbstzweck gedacht, sondern sollte laut des damaligen Ministers für Wiederaufbau Rathenau die Unerfüllbarkeit der an Deutschland gerichteten Forderungen verdeutlichen. Außerdem erhoffte man sich so auf Dauer die Revision einzelner Beschlüsse des Versailler Vertrages, sowie die Rückkehr zu einem in Europa gleichberechtigten Staat.7 Außenpolitisch gesehen war die Erfüllungspolitik die einzige Alternative, den voranschreitenden Sanktionen weitestgehend entgegen zutreten. Doch innenpolitisch stieß die Politik der Kooperation auf Widerstand, vor allem im Lager der politischen Rechten. Sie arbeiteten gegen die Regierung an, indem sie in der Bevölkerung die Auffassung vertraten, man müsse sich den Forderungen der Alliierten widersetzen.8 2.2 Die innenpolitische Stimmung um 1921/ 22 Die innenpolitische Stimmung der Jahre 1921 bis 1922 war durch zwei außenpolitische Ereignisse stark geprägt. Zum Einen, der neuerlich angestrebte Kurs der Erfüllungspolitik, der so ganz im Gegensatz zur bisherigen Haltung Deutschlands zu den Alliierten und deren Forderungen stand, und deshalb von der Opposition, die sich ohnehin als Gegner der Regierung 5 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 105. vgl. Niedhart. Beziehung. S. 49. 7 vgl. ebda. S. 50. 8 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 107. 6 verstand, scharf verurteilt wurde.9 Für sie bedeutete die scheinbare Annäherung der amtierenden Regierung an die Reparationsforderungen die freiwillige Anerkennung des Versailler Vertrages und somit die Angleichung und Unterwerfung Deutschlands gegenüber den Westmächten und vor allem Frankreichs.10 Eng verbunden mit der Erfüllungspolitik war die stetige Zunahme der Geldentwertung, gegen die bewusst nichts unternommen wurde. Es galt nicht die Theorie, mit einer stabilisierten Währung die aufgezwungenen Zahlungen zu begleichen, sondern die „vollständige Liquidierung der Reparationen oder ihrer Finanzierung über eine internationale Anleihe als Vorraussetzung der Währungsstabilisierung“ zu erreichen.11 Die Folge war, dass das ohnehin geringe Ansehen des Staates zunehmend verfiel und die Stimmen gegen die Republik, die nicht nur von der politischen Rechten, sondern auch von der Linken her tönten, immer lauter wurden.12 Das an Macht und Prestige gewöhnte Deutschland konnte die Kriegsniederlage nicht verarbeiten. Deshalb sorgte die Legende, dass die deutschen Truppen im Krieg durch die demokratischen Vorhaben in der Heimat, wie durch einen Dolch kampfunfähig gemacht worden waren, dafür die Republik für die außenpolitische Isolation zu Verantworten. Angesichts dieses Vorwurfs und der Tatsache der voranschreitenden Inflation, konnte es zu keiner innerpolitischen Stabilität kommen.13 Das zweite, weitaus emotionaler um sich greifende Ereignis war die Teilung Oberschlesiens durch die Entscheidung des Völkerbundes. Hauptstreitpunkt war dabei der Verbleib des Industriegebietes, das sowohl Deutschland, wie auch Polen für sich beanspruchten. Auch eine Volksabstimmung in der betroffenen Region, die in ihrer Gesamtheit für ein Verbleiben beim Reich war, aber gleichzeitig starke regionale Abstimmungsschwankungen vorwies, brachte keine Einigung. 9 vgl. Michalka, Niedhart. Ungeliebte Republik. S. 75. vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 137. 11 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 133. 12 vgl. Michalka, Niedhart. Ungeliebte Republik. S. 75. 13 vgl. ebda. S. 122. 10 Die Angelegenheit wurde deshalb dem Völkerbund übertragen, um eine unabhängige Entscheidung für diese Frage zu finden.14 Zur Überraschung der Deutschen wurde der größte Teil des Industriegebietes Polen zugesprochen. Diese Nachricht erreichte Berlin am 20. Oktober 1921 und sorgte für einen Schockzustand, weil niemand mit so einem Ergebnis gerechnet hatte, sogar die Regierung vertrat öffentlich die Meinung, dass sich die Kommission für die deutsche Seite aussprechen werde.15 Um so größer war der Proteststurm und das Gefühl nach dem Versailler Vertrag erneut gedemütigt zu werden. Es war für viele einfach unbegreiflich, dass es zu einer Teilung kam, obwohl sich die Mehrheit der Oberschlesier für ein Verbleiben beim Reich ausgesprochen hatte. Die Tatsache, dass durch den erfolgreichen Abstimmungskampf wenigstens die vorläufige Abtrennungsabsicht für ganz Oberschlesien verhindert werden konnte, nahm zu dem Zeitpunkt in Deutschland niemand wahr. Vielmehr machten sich Unmut und Wut breit, weil man glaubte, dass Oberschlesien durch die nachgiebige Haltung Berlins in der Reparationsfrage bei Deutschland bleiben würde, doch nun musste man einem weiteren Machtverlust ins Auge sehen.16 Das war der Grund, warum die Erfüllungspolitik als deutscher Beitrag zum „Abbau der europäischen Spannungen“17 als gescheitert empfunden wurde.18 Die Regierung Wirth trat daraufhin am 22. Oktober zurück und kam als zweites Kabinett Wirth, ohne die Demokratische Partei zurück.19 Statt die Bevölkerung allmählich auf die unvermeidlichen Folgen eines verlorenen Krieges für Deutschland vorzubereiten, weigerten sich die Vertreter der Republik einen klaren Trennungsstrich zur Vergangenheit zu ziehen. Damit setzten sie die Republik und ihre Vorhaben zunehmend unter den Druck einer entente- und völkerbundsfeindlichen öffentlichen Meinung.20 14 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 135-136. vgl. ebda. S. 136. 16 vgl. Küppers, H. Joseph Wirth. Stuttgart 1997. Seite 126-129. 17 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 115. 18 vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 122. 19 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 135. 20 vgl. ebda. S. 113, 136- 137. 15 2.3 Der Weg zum Vertragsabschluss von Rapallo Im Sommer 1921 nahm die Erfüllungspolitik vor allem für das Auswärtige Amt, die Heeresleitung und die bürgerlichen Mittelund Rechtsparteien erschreckende Ausmaße an. Denn die von Rathenau geleitete Erfüllungspolitik überschritt ihre eigentlichen Grenzen. Sie war nicht mehr nur eine Entlastung der deutschen Westgrenze durch einige Reparationszahlungen, sondern tendierte zu einer Annäherung an Frankreich.21 Die Anhänger einer Revisions- und Restraurationspolitik, unter anderem der Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes, Reichskanzler Wirth, sowie General von Seeckt aus der Heeresleitung, sahen ihre Ziele einer Korrektur der Kriegsergebnisse als stark gefährdet an.22 Für sie war schon seit langem klar, dass Deutschlands Rückkehr zur alten Stärke eine aktive Außenpolitik erfordern werde. Unter diesem Begriff verstanden die Wortführer eine aktive und gleichzeitig intensive Annäherung an Russland, die den eingeschlagenen Weg in Richtung Völkerbund und Anerkennung des Versailler Vertrages blockieren sollte.23 Da aber weite Teile des Parlamentes vor einer Kooperation mit dem kommunistischen Staat zurück schreckten, und ansonsten auch die bei einer Zusammenarbeit durch Frankreich drohenden Interventionen nicht gerade förderlich waren, um das Parlament von der Notwendigkeit eines bilateralen deutschsowjetischen Abkommens zu überzeugen, arbeitete Maltzan mit gewagten Mitteln.24 Er erfand das Gerücht, dass Russland und Frankreich sich in der Frage über die russischen Kriegs- und Vorkriegsschulden einigen würden , und dass Russland dann vom Artikel 116 des Versailler Vertrages gebrauch machen würde, um von Deutschland Reparationen für die eigene Schuldenbegleichung zu fordern.25 Was allgemein allerdings nicht bekannt war, war die Tatsache, dass Maltzan mit 21 vgl. ebda. S. 137. vgl. ebda. S. 137- 139. 23 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 138. 24 vgl. ebda. S. 142. 25 vgl. ebda. S. 142. 22 Absprache Wirths bereits begonnen hatte, die Weichen auf eine ostorientierte Außenpolitik zu verstellen. Im Geheimen und ohne Wissen des Reichspräsidenten geschweige denn des Außenministers wurden ebenfalls schon militärische 26 Beziehungen zu Moskau gesponnen. Selbst Rathenau, der optimistisch eine Revision des Versailler Vertrages in Zusammenarbeit mit den Alliierten anstrebte, wurde letztlich durch dieses Gerücht verunsichert und schwankte bis zur Konferenz von Genua am 10. April 1922 zwischen Erfüllungs- oder Ostpolitik.27 Daher kam es schon vor der Konferenz zu diplomatischen Unterredungen in Berlin mit Moskau, die Rathenau gewähren ließ und bei denen die Grundrisse des späteren deutschsowjetischen Vertrages ausgearbeitet wurden.28 Für eine Unterzeichnung war Rathenau noch nicht bereit, denn er hatte bereits eine deutsche Beteiligung am internationalen Konsortiums zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Russlands zugesagt, von dem er sich erhoffte, dass es für Deutschland unter anderem ein weiteres Entgegenkommen der Alliierten in der Reparationsfrage bedeuten könnte.29 Außerdem wollte Rathenau den britischen Premier Lloyd Georges nicht vor den Kopf stoßen, der aufgrund seiner Appeasement Politik ständig versuchte Frankreichs Sanktionsbestrebungen gegenüber Deutschland zu zügeln.30 So lauerte eine kleine Gruppierung in der deutschen Delegation um den taktisch geschickt vorgehenden Maltzan und den Reichskanzler Wirth auf eine geeignete Chance, um mit einem „Misserfolg der Konferenz das Ende der Kontinentalpolitik Lloyd Georges zu besiegeln“, und sich so aus der kontinuierlichen Bevormundung zu befreien.31 Diese Chance bot sich schon bald an, denn die Konferenz entwickelte sich gerade in den Augen Rathenaus, aber auch der russischen Delegation nicht sehr vielversprechend. Schon 26 vgl. Helbig, H. Die Träger der Rapallo- Politik. Göttingen 1958. S. 59. vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 145- 146. 28 vgl. ebda. S. 145. 29 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 62, 85. 30 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S 130, 146. 31 vgl. ebda. S. 147. 27 nach einiger Zeit wurde den deutschen Vertretern gezeigt, dass sie keineswegs, wie vorerst angenommen, gleichberechtigte Verhandlungspartner waren. So weigerte sich Frankreich überhaupt über die Reparationen zu verhandeln, was natürlich Rathenaus besonderes Anliegen darstellte. 32 Mehrere Faktoren, wie beispielsweise die von den Westmächten geforderte Anerkennung der russischen Kriegsschulden und die isolierten Verhandlungen der Alliierten mit den Russen, unter Ausschluss deutscher Beteiligung sorgten im Laufe der Konferenz dafür, dass Deutschland und Russland wieder engeren Kontakt zueinander aufnahmen.33 Die Folge war, dass Rathenau sich von Maltzan überzeugen ließ, seine westlich orientierte Außenpolitik aufzugeben.34 Der Abschluss dieser Verhandlungen wurde in Rapallo, wo die russische Delegation residierte, in der Nacht auf den Ostersonntag am 16. April 1922 durch den Vertrag von Rapallo besiegelt.35 2.4 Warum die Sowjetunion als Vertragspartner? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich vor Augen führen, dass sowohl Deutschland, wie auch Russland in ihrer außenpolitischen Handlungsfreiheit eingeschränkt waren.36 Doch beide Staaten hatten außenpolitische Ziele, die sie durchsetzen wollten. So forderte Russland für sich die Anerkennung der Revolutionsregierung und Deutschland strebte die verlorene Machtposition in Europa an.37 Es entstand die Vorstellung einer deutsch- russischen „Schicksalsgemeinschaft“38, ausgehend von den restaurativen Kräften in Deutschland, die von den Bestimmungen des Völkerbundes umklammert wäre und nur gemeinsam zu 32 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S 84, 86. vgl. ebda. S. 84. 34 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 54. 35 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 89. 36 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 52. 37 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 127. 38 Schnieder, Th. zit. nach; Graml. Zwischen den Kriegen. S. 138. 33 sprengen sei.39 Die Teilung Oberschlesiens bot letztlich für die Anhänger einer aktiven Russlandpolitik die Chance, die zunehmende Verstimmung in Deutschland gegen die Ententegemeinschaft für ihre Zwecke zu nutzen. Sie erklärten Polen zu einem gemeinsamen deutsch- russischen Problem, um die Hemmungen gegen ein Bündnis mit Russland zu senken.40 Die Sowjetunion erwies sich überdies als entgegenkommender Partner , mit dem Hintergedanken, das innen- und außenpolitisch geschwächte Deutschland aus der kapitalistischen Einheitsfront des Westens herauszubrechen und eine kommunistische Revolution loszutreten, die ihre Ideologie in Europa verbreiten sollte.41 Außerdem befürchteten die Sowjets durch den Syndikatsplan Englands, der den Wiederaufbau der russischen Wirtschaft in Form eines internationalen Konsortiums für die Schaffung eines neuen Absatzmarktes vorsah, einen erheblichen Eingriff der kapitalistischen Welt in ihre Souveränität.42 Das deutsche Verhältnis zu Moskau war weniger auf wirtschaftlichen Interessen begründet, da man mit dem internationalen Konsortium gleichermaßen wirtschaftliche Beziehungen hätte aufbauen können.43 Es war vielmehr der Militärstaat Sowjetunion, der machtpolitisch gesehen vielversprechende Anknüpfungspunkte bot. Einer davon war die gemeinsame Basis einer antipolnischen Stoßrichtung, die den deutschen „Traum, das Kriegsergebnis zu korrigieren und zu jener kontinental- wie weltpolitischen Bewegungsfreiheit zurückzukehren“44, erfüllen sollte.45 Trotz der misstrauischen Haltung vieler Parlamentarier gegenüber dem kommunistischen Staat, entwickelte sich aufgrund der Argumentationen von Politikern wie Maltzan ein Bild der Sowjetunion als unabdingbarer Bündnispartner.46 39 vgl. ebda. S. 138. vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 136- 137. 41 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 51- 52. 42 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 148. 43 vgl. ebda. S. 138- 139. 44 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 141. 45 vgl. ebda. S. 141. 46 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 52. 40 2.5 Der Inhalt des Vertrages Der Inhalt des Vertrages von Rapallo war in 6 Artikeln festgehalten, wobei die gröbsten inhaltlichen Fragen bereits schon auf der halbwegs geheimen Verhandlung in Berlin, im Vorfeld der Konferenz von Genua, geregelt wurden.47 Die bedeutenden Artikel waren unter anderem Artikel 1, in dem das Deutsche Reich und die Sowjetunion gegenseitig auf den Ersatz ihrer Kriegskosten, sowie den Ersatz der Kriegsschäden verzichteten, und Artikel 3, der die sofortige Wiederaufnahme der diplomatischen und konsulatischen Beziehungen zwischen den beiden Nationen vorsah. Des weiteren der Artikel 4, der die allgemeine Regelung der beidseitigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen über das Prinzip des Meistbegünstigungsrechts festschrieb, das garantierte, dass keine der beiden Regierungen einen dritten Staat wirtschaftlich günstiger stellte als den Vertragspartner. Der Artikel 5 erweiterte den Artikel 4 noch einmal mit dem Einverständnis der beiden Länder, den wirtschaftlichen Bedürfnissen des anderen in wechselseitiger Gunst entgegenzukommen. Allerdings war bei einer Regelung dieser Frage auf internationaler Ebene eine vorrausgehende Verständigung von Nöten.48 Rein inhaltlich sah der Vertrag eigentlich nur den gegenseitigen Verzicht der Kriegskosten für die im Krieg entstandenen Schäden, sowie die Aufnahme diplomatischer, konsulatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Nationen vor und keine militärische Zusammenarbeit.49 2.6 Die Rolle Maltzans, Wirths und Rathenaus Diese drei Persönlichkeiten in der nach Genua entsandten deutschen Delegation stellen den Dreh- und Angelpunkt für das Zustandekommen des Rapallo Vertrages dar. So werden Wirth 47 vgl. Michalka, Niedhart. Ungeliebte Republik. S. 141- 142. vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 80- 81. 49 vgl. Niedhart, G. Die Außenpolitik der Weimarer Republik. München 1999. S. 15. 48 und Maltzan als die Initiatoren für das „politische Ergebnis von Rapallo “gesehen.50 Denn schon lange vor der Konferenz von Genua, waren Wirth und Maltzan von der Vorstellung überzeugt, dass die außenpolitische Klammer Versailles nur durch einen Ausbruch nach Osten gesprengt werden könne.51 Maltzan galt als Verfechter einer aktiven Russlandpolitik, zu dessen Stabschef er sich im Laufe der Zeit entwickelte.52 Auch Wirths Bestrebungen zu festen politischen Beziehungen mit der Sowjetunion sind früh anzusetzen, denn als Reichsfinanzminister um 1920 förderte er durch Geldmittel die von General von Seeckt ausgehende Zusammenarbeit mit der Roten Armee. Diese Aktion wurden der Öffentlichkeit, sowie dem Reichspräsidenten und dem Außenminister bewusst vorenthalten.53 Als spätere „Zentralfigur“54 der russophilen Bemühungen hat Maltzan kontinuierlich auf das Ziel eines deutsch- russischen Vertrages hingearbeitet, möglichst ohne der britischen Neutralität gegenüber dem Reich durch eigenmächtige außenpolitische Handlungen vor den Kopf zu stoßen.55 Er war sich, wie alle Vertreter der aktiven Russlandpolitik, der Gefahr des Scheiterns bewusst, wenn sie ihre gegen den Westen gerichteten Bestrebungen zu früh aufdeckten.56 Im Sommer 1921 kam es dann zwischen Wirth und Maltzan zu einer „Waffenbrüderschaft“57, bei der die weitere außenpolitische Vorgehensweise besprochen wurde, mit dem Ziel das am 6. Mai 1921 unterzeichnete Handelsabkommen zu einem Vertrag mit Russland auszubauen.58 Die weiteren Schritte zu den Verhandlungen mit Moskau übertrug Wirth an Maltzan, weil er als Reichskanzler davon offiziell nichts wissen durfte.59 50 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 93. vgl. ebda. S. 57. 52 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 140. 53 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 57- 58. 54 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 141. 55 vgl. ebda. S. 140. 56 vgl. ebda. S. 140. 57 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 57. 58 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 57. 59 vgl. ebda. S. 57. 51 So kam es, dass Maltzan auf Veranlassung Wirths Verhandlungen mit den Sowjets führte, ohne den Reichspräsidenten noch den Außenminister davon zu unterrichten.60 Allerdings intensivierte Maltzan seine Bemühungen um eine deutsch- sowjetische Verständigung erst um die Jahreswende 1921/ 22, da er als Taktiker auf eine geeignete Chance wartete, die einen separaten Vertrag zwischen den beiden Staaten quasi herausforderte.61 Diese Chance bot sich nach der Teilung Oberschlesiens, nach der die innenpolitische Stimmung gegen die Entente auf einem Höchstpunkt angelangte. Außerdem zeigte sich Russland aufgrund des Syndikatsplanes der Engländer, der für die Sowjets der Gefahr einer Einverleibung durch den kapitalistischen Westen gleichkam, zunehmend 62 vertragswilliger. Aber auch bei Wirth, der nicht abgeneigt gewesen wäre, das Handelsabkommen vom 6. Mai auch militärisch auszubauen, standen die Zeichen auf Sturm. Er erklärte Polen zum Feindbild und fasste zum ersten Mal den Gedanken eines antipolnisch ausgerichteten Zusammenspiels mit Moskau.63 Wirths Neigung zur Kabinettspolitik und Geheimdiplomatie waren nicht neu, doch nach der Regierungskrise 1921 suchte der „parlamentscheu“64 gewordene Wirth verstärkt die Zusammenarbeit mit der Reichswehr, die eine von Grund auf revanchistische Einstellung zur Außenpolitik pflegte.65 So wurde Maltzan immer mehr zur „treibenden Kraft “66, die das abgesteckte Ziel Wirths einer antipolnischen Stoßrichtung in Kooperation mit den Sowjets, verwirklichen sollte.67 Rathenau wusste bei seinem Amtsantritt als Außenminister im zweiten Kabinett Wirth, also nach der Regierungskrise, nichts von den bereits begonnen Verhandlungen mit Russland, 60 vgl. ebda. S. 58. vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 141- 142. 62 vgl. ebda. S. 142. 63 vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 127- 128. 64 vgl. ebda. S. 136. 65 vgl. ebda. S. 136. 66 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 59. 67 vgl. ebda. S. 59. 61 genauso wenig wie von den Verbindungen der Reichswehr mit der Roten Armee. Sein außenpolitisches Konzept sah zwar auch eine Revision des Versailler Vertrages vor, aber er wollte dieses Ziel im Einvernehmen mit den Westmächten erreichen.68 Die Erfüllungspolitik war eng mit dem Namen Rathenaus verbunden, der 1921 noch Minister für Wiederaufbau und ab 1922 dann Außenminister war. Für ihn bedeutete die Erfüllungspolitik die Möglichkeit eines Konfliktabbaus mit den Westmächten, um so einen „friedlichen Wandel des Versailler Systems “69 einzuleiten.70 Eine Einigung mit den Sowjets war für Rathenau nicht grundsätzlich ausgeschlossen, er hatte sich sogar eine Vermittlerrolle zwischen der Sowjetunion und den Westmächten vorgestellt, die eine internationale Aufwertung für Deutschland hätte bedeuten können. Folglich begrüßte er die Konsortiumspläne der Engländer, ungeachtet von den Vertragsplänen Maltzans im Vorfeld der Konferenz von Genua.71 Doch Maltzan schaffte es, Rathenau durch das Gerücht einer Annäherung Russlands an Frankreich, stark zu verunsichern und er setzte ihn auch auf der Konferenz weiter mit der Nachricht einer baldigen Einigung zwischen den Westmächten und der Sowjetunion zu ungunsten Deutschlands unter Druck.72 Diese Behauptung war aus der Luft gegriffen, und Maltzan war dies wohl bewusst, da ihm unter anderem die Ideologie und Denkweise der Bolschewiki bekannt waren, die sich nicht so schnell vom kapitalistischen Westen hätten bestimmen lassen.73 Trotzdem verschwieg er seinem Minister diese Tatsache, weil er sich selbst mit Nachdruck für den Vertrag einsetzte.74 Denn dieser Vertrag sollte nach den Plänen Maltzans „das Versailler System aus den Angeln heben“.75 68 vgl. Helbig. Rapallo- Politik. S. 67. vgl. Niedhart. Außenpolitik. S. 13. 70 vgl. ebda. S. 13. 71 vgl. ebda. S. 14. 72 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 54. 73 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 143. 74 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 54. 75 vgl. ebda. S. 52. 69 2.7 Die Haltung Frankreichs und Englands gegenüber Deutschland vor und nach dem Vertrag von Rapallo Nach dem Abschluss des Versailler Vertrages waren sich Frankreich, aber auch England bewusst, welche Gefahr von einem nach Revision des Kriegsergebnisses greifenden Deutschland ausging. Doch die Lösungsansätze der beiden Nationen für dieses Problem sahen durchaus unterschiedlich aus.76 Frankreich war stark von Sicherheitsängsten geplagt77, und empfand Deutschland als „chronisches Problem “ .78 Aus dieser Tatsache heraus versuchte Frankreich, die nach dem Krieg neugewonnene kontinentale Hegemonialherrschaft in Europa durch Bündnisse, beispielsweise mit Polen, auf jeden Fall gegen Deutschland zu verteidigen.79 Das Ziel der französischen Außenpolitik war es, Deutschland an einem Wiedererstarken zu hindern.80 Die Mittel für dieses Vorhaben boten die Reparationen, auf deren „Totalerfüllung“81 vor allem Poincare´, der spätere französische Ministerpräsident um 1921/ 22, unnachgiebig bestand.82 Er war ein absoluter Gegner Deutschlands, für den nur eine „Zerstörungspolitik“83 in Frage kam.84 Daher sahen Politiker, wie Poincare´ in den Reparationen, deren Höhe im Versailler Vertrag nicht festgelegt wurde, hauptsächlich die „politischen Möglichkeiten “85, den rechtsrheinischen Nachbarn zu unterdrücken. So sollte Deutschland gezielt durch die Höhe der Reparationen gereizt werden, denn bei einer Nichtbegleichung der Schulden sah sich Frankreich in die Lage versetzt, Sanktionen zu verhängen, die unter anderem die Besetzung deutscher Gebiete vorsahen. Die Absicht, die 76 vgl. Graml. Zwischen dem Kriegen. S. 83. vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 50. 78 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 83. 79 vgl. ebda. S. 93- 94. 80 vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 139. 81 vgl. ebda. S. 139. 82 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 96. 83 vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 137. 84 vgl. ebda. S. 137. 85 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 97. 77 dahinter steckte, war die im Friedensvertrag nicht durchgesetzte Forderung einer Verschiebung der französischen Grenze bis zum Rhein, zu korrigieren.86 Bei der britischen Regierung standen jedoch vor allem die wirtschaftlichen Aspekte im Mittelpunkt, die Deutschland für Englands Marktwirtschaft bot.87 Sie beobachteten deshalb mit Besorgnis die französische Deutschlandpolitik, die der Regeneration der europäischen Wirtschaft entgegen wirkte.88 So durfte nach Ansicht der Engländer weder die Kaufkraft, noch die industrielle Produktion in Deutschland Schaden erleiden, weil dies unmittelbare Folgen auf den für die Insel wichtigen Export und auf die Aussicht auf Reparationszahlungen nehmen würde.89 Doch die Vorraussetzung, die Deutschland als 90 „zahlungsfähigen Handelspartner“ sicherte, war die Rückkehr zur politischen Ebenbürtigkeit Deutschlands.91 Lloyd George, der britische Premierminister, strebte eine „britischen Interessen gemäße“92 Appeasement- Politik an, die zur Stabilisierung Europas beitragen sollte.93 Die Konferenz von Genua war der Versuch Lloyd Georges, unter Einbezug Deutschlands und Russlands, den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die politische Befriedigung „Europas vom Atlantik bis zum Ural“94 vorzubereiten.95 Nach dem Scheitern der Konferenz durch den deutschsowjetischen Vertrag, wurde Poincares grundsätzliche Absicht, die Besetzung linksrheinischer Gebiete , erheblich erleichtert. Denn in Frankreich kam das Bündnis zwischen Deutschland und der Sowjetunion einer Kriegserklärung gleich, die das 86 vgl. ebda. S. 97. vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 50. 88 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 95. 89 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 50- 51. 90 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 126. 91 vgl. ebda. S. 127. 92 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 51. 93 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 128. 94 George, L. zit. nach. Niedhart. Beziehungen. S. 51. 95 vgl. ebda. S. 51. 87 französische Sicherheitsbedürfnis abermals aufflammen ließ, und die Bevölkerung zunehmend beeinflusste.96 Obwohl der Vertrag als antipolnische Strömung gewertet wurde, war London immer noch gegen die französischen Vorhaben. Doch konnten die Franzosen davon ausgehen, dass die Briten nicht eingreifen würden, weil diese sich weiterhin von einem französisch- britischen Sicherheitspakt distanzierten.97 London hielt zwar nach wie vor an seiner Entspannungspolitik fest, doch die Entschlossenheit, die französische 98 Sanktionspolitik zu stoppen, schwand zunehmend. 2.8 Die innen- und außenpolitischen Folgen des Rapallo Vertrages Der Abschluss des Vertrages von Rapallo zog innen- wie außenpolitische Konsequenzen nach sich. Obwohl der Vertrag inhaltlich kaum Veranlassung zur Beunruhigung bot, lag seine Wirkung vor allem im psychologischen Bereich, da man den Vertrag als „Gespenst einer deutsch- russischen Verschwörung gegen die Westmächte“99 empfand. Der Vertrag brachte keinen Wandel in der Frage des Reparationsproblems.100 Ganz im Gegenteil sogar, er bewirkte, dass nun die Mehrheit der französischen Bevölkerung hinter Poincares „ sicherheitspolitischer Instrumentalisierung der Reparationen“101 stand, und zerstörte so die ohnehin von Poincare´ bekämpfte europäische Entspannung. Frankreichs Streben nach Erfüllung der totalen Sicherheit war nur noch eine Frage der Zeit und der Gelegenheit, die in der Ruhrbesetzung endete.102 Die außenpolitische Bewegungsfreiheit Deutschlands wurde durch das revisionspolitisch verstandene Bündnis zur Sowjetunion erheblich beeinträchtigt, da man eine Brüskierung 96 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 152. vgl. ebda. S. 153. 98 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 55. 99 Bournazel. zit nach. Kolb, E. Die Weimarer Republik. München 62002. S. 220. 100 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 53- 54. 101 vgl. Graml. Zwischen den Kriegen. S. 152. 102 vgl. ebda. S. 153- 154. 97 des neuen Vertragspartners vermeiden musste, denn jede diplomatische Verhandlung mit dem Westen konnte im Widerspruch zu Rapallo gewertet werden.103 Aber auch innenpolitisch gab es Folgen, da die „ verfassungsrechtlich mehr als bedenkliche Kabinetts- und Geheimdiplomatie“104 Wirths, durch die der Vertrag zustande kam, das Parlament und den Reichspräsident in ihrer Aufgabe der Willensbildung übergingen.105 Der Vertrag traf in Deutschland zwar weitestgehend auf Zustimmung106, doch führte er unmittelbar zu einer Spaltung der Koalition, da vor allem die sozialdemokratische Führung um den Reichspräsidenten Ebert von vorneherein gegen eine Zusammenarbeit mit den Sowjets war.107 Außerdem wurde Walther Rathenau, der Jude war, am 24. Juni 1922 durch antisemitische Rechtsradikale der illegalen Organisation Consul ermordet, da diese ihn beschuldigten mit dem Bolschewismus zu sympathisieren.108 103 vgl. ebda. S. 156. vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 160. 105 vgl. ebda. S. 160. 106 vgl. Niedhart. Beziehungen. S. 15. 107 vgl. Küppers. Joseph Wirth. S. 139. 108 vgl. Benz, W., Graml. H. Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. München 1988. S. 262- 263. 104 3. Fazit Es ist nicht ganz einfach zu klären, ob der Vertrag von Rapallo als Weg aus der Isolation, oder doch als aggressiver Revisionismus verstanden werden muss. Sicher ist nur, dass sich Deutschland nach dem Krieg von den Beschlüssen des Versailler Vertrages außenpolitisch eingeengt und sich durch die nicht gelöste Reparationsfrage vor allem von Frankreich bedroht fühlte. Dies spiegelt sich alles in der innenpolitischen Stimmung der Jahre 1921/ 22 wieder. Daher würde der Schluss nahe liegen, dass der Vertrag rein aus dem Zeitgeschehen heraus entstand, um Deutschland aus der Isolation der Nachkriegszeit zu befreien. Doch diese Sichtweise wäre sehr einseitig, wenn man damit argumentiert, dass Deutschland sich nur aus seiner Isolation zu befreien versuchte, schließlich strebten die Deutschen eindeutig eine Revision des Versailler Vertrages an! Auch Rathenaus Erfüllungspolitik zielte im engeren Sinne auf dieses Ziel hin. Daher kann also ausgeschlossen werden, dass die Revisionsbestrebungen an sich schon als provokant gegenüber den Westmächten gesehen werden dürfen. Es ist nicht der Gedanke, sondern die Vorgehensweise, die entscheidet, ob aggressiv oder nicht. Doch diese Vorgehensweise wurde maßgeblich von einer kleinen Gruppierung von Politikern, wie Maltzan und Wirth bestimmt. Ihre Motivationen und ihre dadurch zu erklärende, fragwürdige Vorgehensweise im Vorfeld von Genua, sind auf jeden Fall zu berücksichtigen! Denn die Stimmung gegen die Entente wurde nicht zuletzt von ihnen erst so richtig angeheizt. Sie brauchten eine breite Zustimmung in der Bevölkerung, damit sie ihre weitere, durchaus verfassungswidrige Vorgehensweise rechtfertigen konnten. Diese Tatsache zeigt zum einen die aggressive Einstellung der Initiatoren, zum anderen weist aber auch die Zusammenarbeit mit der Reichswehr indirekt auf die eigentliche Funktion des Vertrages mit den Sowjets hin. Natürlich kam in dem Vertrag selbst kein Artikel vor, der die militärische Kooperation zwischen Deutschland und der Sowjetunion regelte. Das wäre zu offensichtlich gewesen und hätte das Vorhaben sofort scheitern lassen. Stattdessen ging von dem Vertrag implizit eine Bedrohung aus, die auf die Alliierten eine nervenzerreibende Wirkung ausübte. Der Vertrag ist in meinen Augen halb als Weg aus der Isolation, aber auch als aggressiver Revisionismus zu werten. Denn die Klammer der Isolation, die vom Versailler Vertrag ausging, sollte zum einen durchbrochen werden, damit Deutschland seine außenpolitische Handlungsfreiheit wieder erlangt. Andererseits waren die Motive von Politikern, wie Maltzan und Wirth, stark revisionistischer Natur, die sie mit allen Mittel durchsetzen wollten. Die Befreiung aus der Isolation wurde durch den Vertrag ermöglicht, allerdings nur in eine Richtung, und zwar nach Osten, doch das war gewollt! Denn die Sowjetunion als Vertragspartner sollte Rückendeckung gewährleisten, um ein Stück machtpolitischen Spielraumes zurückzuerobern, der sich gegen das Versailler System richtete mit dem Ziel, sich ihm zu entziehen. Literaturverzeichnis Benz, W., Graml, H. Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. München 1988. Graml, H. Europa zwischen den Kriegen. München 31976. Helbig, H. Die Träger der Rapallo- Politik. Göttingen 1958. Kolb, E. Die Weimarer Republik. München 62002. Küppers, H. Joseph Wirth. Stuttgart 1997. Michalka, W., Niedhart, G. Die ungeliebte Republik. München 1980. Niedhart, G. Internationale Beziehungen 1917- 1947. München 1989. Niedhart, G. Die Außenpolitik der Weimarer Republik. München 1999. Hiermit versichere ich, dass ich diese Arbeit selbstständig angefertigt, keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt und die Stellen der Facharbeit, die im Wortlaut oder im wesentlichen Inhalt anderen Werken entnommen wurden, mit genauer Quellenangabe kenntlich gemacht habe. Neuenkirchen, den 27.03.03 Christina Hardinghaus